Schattenspiele

  • Die Gräfin war einmal mehr unterwegs, um ihre prekäre finanzielle Situation zumindest temporär ins Lot zu bringen. Wochenlang hatte Corielle das Haus beobachtet, das sie nun aus den Schatten heraus betrachtete, das Kommen und Gehen der Bewohner genauestens unter die Lupe genommen, bis sie sich sicher war, daß sie heute Nacht würde zuschlagen können, ohne gestört zu werden.
    Für eine Weile hatte sie sich überaus intensiv mit dem mittleren Sohn des Hauses beschäftigt, um mehr über das Anwesen zu erfahren und die Nase in das Innere stecken zu können. Sie wusste, wo sich die Diener aufhielten, wo die Gemächer der Herrschaften lagen - und noch wichtiger - wo sich die wertvolle kleine Statuette aus Diamant befand, die die Göttin Eriadne darstellte.
    Corielle seufzte leise. Wenn es ihr gelang, das kleine Meisterwerk zu stehlen, wäre sie ihre Sorgen für eine ganze Weile los. Die Damahir waren keine Familie des Hochadels und Gendar, das Ziel ihrer Avancen hatte außer seiner Schönheit wenig zu bieten. Aber sie waren eifrige Anhänger der Göttin und so war es nicht verwunderlich, daß sich ein solcher Schatz in ihrer Hand befand und sicher einen guten Teil des Familienvermögens verschlungen hatte.
    Und zudem hatte man sie ein klein wenig herablassend behandelt. Corielle war nicht rachsüchtig, zumindest nicht im Übermaß. Aber es gab Dinge, über die sie nicht hinwegzusehen bereit war. Schließlich war sie immer noch eine Gräfin, ganz gleich, wie ihre Finanzen aussehen mochten. Und als Gräfin durfte man eine gewisse Behandlung erwarten, die nicht unbedingt mit Herablassung zu vereinbaren war.
    Nur noch wenige Minuten trennten sie von einigen kleinen Annehmlichkeiten, die sie sich damit würde leisten können. Ganz zu schweigen davon, daß ihr der Vermieter im Nacken saß und mittlerweile lästig wurde. Ein neuerliches Seufzen. Diesmal deutlich sehnsüchtiger. Die Gräfin brauchte dringend neue Gewänder, bevor sie sich der Schande preisgeben musste, mit abgenutzten Säumen auf einer Gesellschaft zu erscheinen. Und auch die Dienerschaft wollte entlohnt werden.
    Ein tiefer Atemzug und sie stieß sich von der Fassade ab, auf der sie verharrt hatte, bis die letzten Lichter erloschen waren. Die Muschellampen reichten kaum bis in die Schatten hinauf und nur ein leises Rascheln ihrer Federn, das an einen aufsteigenden Vogel erinnerte, verriet, daß sich etwas darin bewegt hatte, während sie sanft zu Boden glitt und leise in der Gasse landete.

  • Er blickte in die Dunkelheit über sich, dorthin wo er die Decke vermutete, es war ein sehr geräumiges und hohes Zimmer, doch jetzt und hier, in diesem Augenblick, wirkte es begrenzend und einengend auf ihn, wie ein imaginäres Gefängnis. Obwohl er schon in viel engeren Räumen gehaust hatte, dreckig und stinkend, verspürte er nun den tiefen Drang hier sofort zu verschwinden.
    Das regelmäßige Atmen neben sich riss ihn wieder aus seinen Gedanken und er betrachtete das Gesicht der jungen Frau, die da neben ihm in dem großen Bett lag. Sie hatte zarte Gesichtszüge und ein niedliches Stupsnäschen, dazu noch hübsche lange Haare und...auch der Rest war sicherlich nicht zu verachten. Aran richtete sich etwas auf und zog dann langsam an der Decke, um den schlanken Körper neben sich ganz langsam und fast schon vorsichtig zu entblößen. Die zarte helle Haut zeichnete sich in der Dunkelheit deutlich ab und er legte eine Hand auf ihren flachen Bauch, um dann mit seinen Fingern streichelnd die Konturen ihrer Kurven nachzuzeichnen, während seine Hand über die zarte Haut wanderte. Er wusste nicht mehr, ob die junge Frau ihm überhaupt ihren Namen genannt hatte, wahrscheinlich hatte er ihn einfach nur vergessen, sie hatte so fürchterlich viel geredet, dass er irgendwann nicht mehr wirklich zugehört hatte, aber sie war wohl eine Adelige oder lebte bei Adeligen, oder so ähnlich...
    Auch wenn sie ja durchaus ansehlich war, verspürte er noch immer den Drang zu gehen und erhob sich langsam aus dem Bett, um sich daran zu machen, seine Habseligkeiten von Boden aufzusammeln, wo sie vorhin zusammen mit ihrer ungleich kostbareren Kleidung achtlos gelandet waren. Immer wieder wanderte sein Blick dabei zum Bett, wo seine junge Gespielin noch immer ruhig lag, die Decke zur Seite gezogen, es war fast schon schade, dass dies hier nur eine einmalige Angelegenheit bleiben würde, dachte Aran mit einem anzüglichen Grinsen, ehe er sich endlich anzukleiden begann und sich dann dem Fenster zuwandte, um kurz einen Blick in die düstere Gasse zu werfen. Auch wenn er sich wohl den Hals brechen würde, war dies doch der bessere Weg, als im Dunkeln durch ein unbekanntes Haus zu schleichen, zu oft hatte dies zu sehr unangenehmen Erlebnissen geführt. Ein letztes Mal warf er einen Blick auf die junge Frau und trat dann neben sie ans Bett, ergriff vorsichtig ihre Hand und hauchte einen sanften Kuss darauf, um ihr dann geschickt einen ziemlich wertvoll wirkenden Ring vom Finger zu ziehen.
    Diese Nacht hat sich in doppelter Hinsicht gelohnt, dachte er grinsend und trat dann wieder an das Fenster, um es möglichst leise zu öffnen, was allerdings leichter gesagt als getan war...

  • Einige Schritte über das enge Gässchen und Corielle hatte die niedrige Mauer erreicht, die den Garten vor ungebetenen Besuchern schützte. Die Corvae lächelte still in sich hinein, während sie an Gendars unerträglich arrogante Mutter zurückdachte, die sie erst letzte Woche hier empfangen und ihr dabei zu verstehen gegeben hatte, was sie von einer Rabenfrau an der Seite ihres Sohnes hielt.
    Nun, sie würde sicherlich überaus erfreut sein, wenn sie hörte, daß ihr Sohn seinen nicht standesgemäßen Umgang losgeworden war. Zu dumm, daß das Gleiche dann für ihre hübsche Statuette galt, die sie mit Hingabe pflegte und unglücklicherweise auch zu gern jedem präsentierte, der ihren Weg kreuzte. Es war ein Fehler gewesen, das wertvolle Stück vor Corielles Nase zu halten und sie dabei unentwegt zu beleidigen. Insbesondere wenn man bedachte, daß ihre Kasse augenblicklich gähnend leer war. Die Versuchung war zu groß, um ihr wegen Gendars hübschem Gesicht zu widerstehen. Kein Mann konnte so schön sein, daß Corielle gewisse andere Dinge darüber vergaß.
    Doch es war an der Zeit, diese Gedanken beiseite zu legen und sich auf die bevorstehende Aufgabe zu konzentrieren.
    Ein schneller Blick, eine rasche Bewegung und die Corvae hatte das lächerliche Mäuerchen überwunden. Nun ja, es bestand wenig Grund für übermäßigen Schutz, wenn der Besitz so erbärmlich war. Diese kleine Gehässigkeit erlaubte sie sich noch, bevor sie ihre Aufmerksamkeit vollends auf dem Garten richtete.
    Corielles Krallen gruben sich in das weiche Gras, dann hüpfte sie von Schatten zu Schatten, gab sich der würdelosen Bewegungsart der Corvae hin, die sie für gewöhnlich mied, die jedoch auch Vorteile besaß.
    Beinahe am Haus, lauschte sie in die stille Nacht, nickte dann zufrieden. Offenbar waren alle ausgeflogen oder schliefen bereits tief und fest. Ihr Plan verlief reibungslos und schon bald würde die Statuette ihren Besitzer wechseln und zu Golddukaten gemacht werden.
    Und dort war er auch schon, der kleine Vorsprung, der rund um das Haus führte und schließlich bis zu einem Balkon reichte. Von dort aus wäre es kein Problem mehr, das von der Straße abgewandte Fenster zu erreichen, das sie zuvor heimlich präpariert hatte.

  • Noch während sich Aran der Verriegelung des Fensters zu schaffen machte, musste er mit einigem Erstaunen feststellen, dass sich das Fenster beinahe mühe- und vor allem lautlos öffnen ließ, als hätte jemand tatsächlich vergessen, es richtig zu schließen. Dem Umstand, dass das Fenster tatsächlich bis eben fest verschlossen gewirkt hatte, schenkte er allerdings keine große Beachtung, war er doch viel zu sehr mit seiner kleinen ‘Flucht’ beschäftigt. So spähte er noch einmal in die Dunkelheit unter dem Fenster, in die kleine düstere Gasse, die sich zwischen der Hauswand und der Gartenmauer befand. Dort unten mussten sich offenbar einige Büsche befinden, die würden einen eventuellen Sturz wohl abfedern, sprach er sich innerlich Mut zu und zog dann schnell seine Lederweste aus, wickelte seinen alten rostigen Degen darin ein, verstaute auch seine anderen Habseligkeiten mitsamt dem wertvollen Ring darin und schnürte dann alles wie ein Paket zusammen, um es dann vorsichtig aus dem Fenster in den Garten zu werfen. Beim Klettern würde ihn der Kram nur stören und er würde sich sein Hab und Gut gleich wiederholen. Kurz hielt er inne, hörte zu wie sein Zeug raschelnd in einem der Büsche landete, dann machte er sich daran langsam aus dem Fester zu steigen, wobei er ein letztes Mal in Richtung des schlafenden jungen Dings blickte und sich innerlich fragte, ob er wohl doch noch die eine oder andere Trophäe hätte mitgehen lassen sollen, außer dem Ring und den zugegebenermaßen recht netten Erinnerungen...

  • Mit geschickten Bewegungen zog sich Corielle an der Fassade des Hauses empor. Ihre Krallen fanden mühelos Halt und trugen sie schnell voran. Schon hatte sie den Balkon erreicht und es war nicht mehr weit bis zu dem Fenster, das in Larials Gemächer führte. Gendars jüngere Schwester war ein überaus lebhaftes Ding, das kaum eine Nacht zuhause verbrachte. Zu viele wechselnde Liebhaber hielten sie in Bewegung und sorgten dafür, dass die Gräfin eine wunderbare Möglichkeit fand, ungesehen in das Haus einzudringen. Auch heute würde sie unterwegs sein. Corielle hatte mitgehört, wie sie mit einer ihrer Freundinnen über ihr nächtliches Vorhaben getuschelt hatte. Ein Besuch in einem stadtbekannten, liederlichen Etablissement stand an, das normalerweise nicht unbedingt der richtige Ort für junge Adelsdamen war. Nun, der Corvae war es nur recht, dass Larials Neigungen in Richtung einer Nymphe gingen. Es würde bis in die Morgenstunden dauern, bis sie wieder nach Hause zurückgekehrt war. Heimlich natürlich. Wenn ihre Mutter etwas davon erfuhr, würde sie wahrscheinlich niemals mehr das Haus verlassen. Es war gut, dass die Baronesse wenig Ahnung von dem hatte, was ihre Kinder des Nachts trieben. Danach wäre der Verlust der Statuette noch das kleinste Übel.
    Doch plötzlich fiel etwas Großes, Dunkles aus Larials Fenster hinab und die sorgsamen Pläne der Rabenfrau gerieten in Unordnung. Corielles Augen weiteten sich vor Schreck, als etwas genau auf sie zu sauste und schließlich ihren ungeschützten Kopf traf. Ein leiser Schreckenslaut entfuhr ihr, etwas, das verdächtig nach einem Krächzen klang, dann verlor sie das Gleichgewicht und rauschte mit unbeholfenem Flügelschlagen in die Büsche hinab. Ein tiefer Fall, der nur durch ihre Schwingen abgebremst wurde, die sie vor Schlimmerem bewahrten. Benommen blieb sie für einen Augenblick auf dem Hosenboden sitzen, fasste sich stöhnend an die Stirn, um die Quelle für dieses unerwartete Ungemach zu finden.

  • Aran hielt in der Bewegung inne, als er von unten plötzlich ein seltsames Krächzen und weitere merkwürdige Laute hörte, die Büsche raschelten, als hätte er ein wildes Tier aufgeschreckt oder dergleichen. Er spähte aus dem Fenster hinunter in die Dunkelheit und auch wenn er nicht genau sehen konnte, was da unten vor sich ging, wirkte der Schatten doch viel größer als von einem normalen kleinen Tier. Vielleicht war dort unten etwas gefährliches, Wachhunde hatte er vorhin jedenfalls keine gesehen, aber man konnte ja nie wissen. Wahrscheinlich sollte er doch besser den Morgen abwarten, wenn es heller wurde, das wäre womöglich sicherer. Doch die Neugier siegte wieder einmal und abermals streckte Aran seinen Kopf aus dem Fenster um hinunter in die Dunkelheit zu spähen, schließlich lag ja auch sein Hab und Gut dort unten und das war ihm heilig...

  • Noch immer verdutzt, erspähte Corielle die Ursache ihres plötzlichen Sturzes, die nicht weit von ihr entfernt in den Büschen gelandet war. Ohne lange darüber nachzusinnen, fasste sie beherzt nach dem Bündel und erhob sich wacklig, um tiefer in die Schatten zu tauchen und zu inspizieren, was sie zu Fall gebracht hatte. Irgendetwas oder irgendwer musste sich in Larials Gemach befinden. In der Geschwindigkeit ihrer Handlung schaffte sie es kaum, ernsthaft darüber nachzusinnen, warum im Namen der Götter das Mädchen zuhause war und irgendwelche Gegenstände aus dem Fenster beförderte. Doch dies war für den Augenblick auch unerheblich. Zumindest erklangen keine Rufe - man hatte sie offenbar nicht gesehen und die Gräfin legte keinen Wert auf die Schande, die ihre Entdeckung nach sich ziehen würde. Die Herrin des Hauses wäre in höchstem Maße erfreut.
    In den Schatten angelangt betrachtete sie das Wurfgeschoss genauer. In ihrer Stirn pochte ein verdächtiger Schmerz und die nähere Inspektion förderte einen alten, rosigen Degen zutage, den sie mit gerümpfer Nase fallen ließ. Aha. Dies war offenbar die Ursache für die unschöne Beule, die sich bald auf ihrem Antlitz zeigen würde. Natürlich würde sie dies tagelang ans Haus fesseln, wenn sie nicht die Folgen eines Sturzes vorschützen wollte. Und Corielle hasste es, ungeschickt zu erscheinen. Aber was tat Larial mit diesem unglücklichen Ding?
    Neugier breitete sich ungebeten in ihrem Inneren aus. Ein Laster, gegen das sie zuweilen machtlos war und das sie ihre Vernunft vergessen ließ. Sofortige Flucht wäre dem wohl durchaus vorzuziehen gewesen.

  • Irgendetwas war dort unten, doch was es genau war, konnte Aran von oben einfach nicht erkennen, dazu war es einfach zu dunkel unten bei den Büschen. Auch das laute Rascheln ebbte nun wieder ab und es wurde still. Einige Augenblickte noch starrte er nach unten, doch es half alles nichts, so konnte er jedenfalls nichts erkennen. Er zog sich wieder zurück und blickte sich schnell in Larials Schlafzimmer um, dann fiel sein Blick auf ein kleines Büchlein, das auf ihrem Nachttischlein lag. So schlich er zurück zum Bett, nahm das kleine Büchlein an sich, ließ seinen Blick noch einmal kurz über die schlafende junge Frau wandern und beeilte sich dann damit, zurück an das Fenster zu schleichen. Dort angekommen steckte er den Kopf wieder heraus und spähte in die Dunkelheit, um kurzerhand das kleine Büchlein ebenfalls durch die Dunkelheit nach unten fallen zu lassen, denn falls dort ein Tier war, musste er es wohl verscheuchen...

  • Corielles Inspektion war noch nicht abgeschlossen. Nachdem sie auch eine alte Lederweste nach einem pikierten Schnüffeln hatte zu Boden fallen lassen, wurde ihre Hartnäckigkeit belohnt. Ein Ring. Unglaublich. Wie kam er in diese Ansammlung alten Plunders? Sie drehte das offensichtlich wertvolle Stück in den Händen. Keineswegs mit der Statuette vergleichbar, die sie sich ausersehen hatte, doch immerhin eine kleine Entschädigung für das, was ihr entging. Mit einem leidlich zufriedenen Nicken ließ sie das Schmuckstück in ihr Dekolleté gleiten, wo es sicher verwahrt sein würde. Den Rest beförderte sie endgültig zu Boden.


    Doch dieser kurze Moment der Unachtsamkeit zog sogleich Folgen nach sich, als ein neuerliches Wurfgeschoss aus dem Fenster befördert wurde und sie an der Schulter traf. Ein empörtes, erschrockenes Aufquietschen folgte, dann schlug sie sich die Hand vor den Mund, brachte hastig ein krächzend anmutendes „Miau?“ hervor, das wenig glaubhaft klang, doch einen arglosen Zuhörer womöglich zu täuschen vermochte.


    Ihr Blick huschte derweil empor, wo sie die Quelle dieser Unverschämtheiten zu entdecken versuchte. Sie erkannte einen Umriss. Unmöglich zu sagen, ob es Larial selbst war. Doch mittlerweile hegte die Corvae ernstliche Zweifel daran, dass Gendars Schwester wahllos Dinge aus dem Fenster beförderte. Gehörte diese Silhouette etwa zu einem Mann?

  • Das erschrockene Aufquietschen ließ der Piraten doch etwas irritiert die Augenbraue lupfen, während er in die Dunkelheit der Büsche unter dem Fester starrte, doch als dann das seltsame Mauzen einer Katze erklang, reichte es doch aus, um für etwas Beruhigung zu sorgen, vielleicht auch weil Aran sich nicht mit möglichen Schwierigkeiten beschäftigen wollte, dafür fehlte ihm auch ganz einfach die notwendige Geduld.


    »Kusch, kusch, hau ab, hol dir ein leckeres Mäuschen...!« zischte der Pirat von oben aus dem Fenster in die Dunkelheit, um den vermeintlichen Störenfried zu verscheuchen, auch wenn das natürlich nicht viel helfen mochte. Dann hielt er kurz inne, spähte wieder nach unten in die Büsche und als sich nichts weiter tat, konnte man sein leises Fluchen von oben hören, als er langsam auf den Fenstersims stieg, um dann doch tatsächlich aus dem Fenster zu steigen: »Hau bloß ab, du verfluchtes Katzenvieh!«


    Aber in dem Moment war das kommende Unglück eigentlich schon vorherzusehen...

  • Ein wenig erbost lauschte die Gräfin der Aufforderung, sich eine Maus zu besorgen. Nun, zumindest war ihre Täuschung ganz offensichtlich gelungen und mittlerweile war gewiss, dass es sich tatsächlich um einen Mann handelte. Aber was für ein Exemplar mochte Larial sich dort ins Haus geholt haben? Normalerweise waren es junge Adelige oder aufstrebende Händler, mit denen sie sich vergnügte.
    Sie dachte an den altersschwachen Degen und die nicht unbedingt wohlriechende Weste, die sie zuvor ins Gebüsch befördert hatte. Sollte ihr etwa ein anderer Einbrecher zuvorgekommen sein? Ihr manipuliertes Fenster für seine Zwecke genutzt haben? Vielleicht sogar ihre Statuette gestohlen haben? Unerhört! Wut breitete sich in der Corvae Frau aus. Der Ring sprach dafür, denn seine sonstigen Besitztümer wiesen keineswegs darauf hin, dass er rechtmäßig ihm gehörte. Zudem war es ein Ring, den man normalerweise an einer Frauenhand fand.


    Vorsichtig tastete sie nach dem alten Degen, den sie zuvor beiseite befördert hatte. Zwar wusste sie beileibe nicht, wie man damit umging, doch Corielle hatte die Erfahrung gemacht, dass dies relativ gleichgültig war, solange das Gegenüber nichts davon wusste. Eine Waffe flößte Respekt ein. So einfach war das. Sie trat noch tiefer in den Schatten zurück, bereit, diesem Dieb zu folgen, wohin auch immer er gehen mochte.


    Und dort zeigte sich auch schon sein Hinterteil, als er sich an den Abstieg machte. Mit zu Schlitzen verkniffenen Augen beobachtete sie das Geschehen.

  • Es war einer dieser Abende gewesen, die man im Nachhinein auch getrost hätte vergessen können.
    Tara - noch immer vollkommen mittellos - hatte den Plan gehabt, in einem der bestbesuchtesten Gasthäuser in Nir'alenar ihr Glück beim Spiel herauszufordern.


    Nun, es sei soviel gesagt, es war bei einem Plan geblieben.


    Stattdessen hatte die Rothaarige nur zwei bis drei Getränke zu sich genommen. Zwei bis drei Getränke zuviel, wohlgemerkt. Ihren Geldkummer hatte sie regelrecht ertrunken, bis sie tatsächlich vor die Tür gesetzt wurde. Kein Wunder, den letzten Rum hatte sie weder mit barer Münze bezahlen können, noch durch einen Augenaufschlag von irgendjemand erschnorren können.


    Frustriert wanderte sie nun durch das Adelsviertel. Wenn sie in dieser Nacht schon unter einer Brücke schlafen mußte, dann wenigstens unter einer vornehmen.
    Sie hatte sich gerade eine nette Ecke ausgeguckt, als sie es in der Nähe rascheln hörte. Tara spannte alles an und versuchte mit zusammengekniffenen Augen zu erkennen, was da vor sich ginge. Plötzlich tauchte in einem der Fenster etwas auf.. ein... Hintern?


    Tara mußte lachen. Vielleicht war ihr das Glück an diesem Abend ja doch noch holt! So manch ein heimlicher Geliebter war durchaus bereit, die ein oder andere Münze springen zu lassen um ein Geheimnis zu wahren.

  • Für einen unbeteiligten Beobachter musste der Anblick des nächtlichen Fassadenkletterers durchaus einen gewissen Unterhaltungswert bieten, schien er doch die Gewandtheit einer Katze zu haben, zumindest einer ziemlich tapsigen Katze, der man zudem noch einen guten Schuss Rum statt ins Schüsselchen gegeben hatte. Der wackelnde Hintern und die zappelnden Beine boten ein Bild, das alles andere als elegant anmutete, wohl eher das genaue Gegenteil, dazu kam die Dunkelheit, die es ganz offensichtlich nicht einfacher machte, irgendwo an der Wand Halt zu finden. Es grenzte dann doch tatsächlich an einem Wunder, dass der Kletterer nicht einfach in die Tiefe stürzte, sondern wie durch einen glücklichen Zufall tatsächlich einen Augenblick lang Halt fand und mit dem Abstieg begann.


    Man konnte in der ruhigen Nacht hören, wie der Mann ein Streitgespräch mit sich selbst begann, offenbar machte er sich selbst Vorwürfe, wie er in diese Situation hatte geraten können, wobei es eher wie das Gefasel eines Betrunkenen wirkte. Eine halbe Ewigkeit schien der Kerl direkt unterhalb des Fensters an der Wand zu hängen, kaum eine Bewegung, ehe er dann langsam versuchte tiefer zu klettern, doch es dauerte nicht lange, dann verließ ihn sein unverschämtes Glück, er ächzte laut auf, versuchte verzweifelt sich festzuhalten und dann verlor er den Halt und rauschte plötzlich nach unten in die Tiefe...

  • Mit stummer Faszination beobachtete Corielle das Geschehen, das sich über ihrem Kopf abspielte. Die Gestalt gab ein eher jämmerliches Bild ab und sie begann sich ernsthaft zu fragen, wie in Askalars Namen sie überhaupt dort hinauf gelangt war. Der geschickteste aller Diebe schien er keinesfalls zu sein. Es musste reines Glück gewesen sein, das ihn so weit gebracht hatte.
    Da begann er, leise einige Sätze zu brabbeln, die eindeutig verwaschen klangen. Ungläubig spitzte sie die Ohren. Er war doch nicht etwa betrunken? Ein betrunkener Einbrecher? Eine Schande, wahrhaftig. Nicht auszudenken, was alles ...


    Sie kam kaum dazu, den Gedanken zu formulieren, denn da rächte sich sein Zustand auch schon. Mit großem Getöse rauschte er ebenfalls in die Büsche hinab, viel zu nahe an ihrer eigenen Position für ihren Geschmack.
    Die Corvae stöhnte leise auf. Nein, das durfte nicht war sein. An einen Raubzug war nun nicht mehr zu denken. Schon wartete sie angespannt darauf, ob im Haus Lichter aufflackern würden, doch zunächst blieb alles still. Der Großteil seiner Bewohner war ausgeflogen. Und genau das hatte diese Nacht so überaus perfekt gemacht. Verärgerung machte sich in Corielle breit, während sie den unverschämten Kerl musterte, der ihren Plan ruiniert hatte.
    Er würde sich doch hoffentlich nicht den Hals gebrochen haben? Andererseits würde es dadurch wesentlich leichter, ihn nach der Statuette zu durchsuchen.


    Ihr Kopf schob sich aus den Büschen, um einen genaueren Blick auf den Gefallenen zu erhaschen. Den Degen hielt sie sicherheitshalber fest umklammert, ungehalten über die Tatsache, daß sich an diesem Abend keine ihrer eigenen Waffen an ihrem Körper befand. Törichte Corielle. Sie war sich schlicht und ergreifend zu sicher gewesen.
    Tapfer widerstand sie dem überwältigenden Drang, den Mann mit einer gewissen Rachsucht mit der Spitze des Degens anzustupsen, um zu prüfen, ob er sich noch unter den Lebenden befand. Dafür würde noch Zeit sein, wenn er sich nicht von allein regte ...

  • Der versoffene Pirat rauschte ruckartig in die Tiefe, um dann krachend in den Büschen unterhalb des Fenster zu laden, zum Glück nicht auf, sondern nur neben Corielles eigener Position, so dass er nun direkt neben ihr lag. Der Sturz war mit Sicherheit recht schmerzhaft gewesen und ein ganzer Haufen blauer Flecken war wohl das Mindeste, was er von dem Aufprall davontragen würde, hatten die Büsche seinen Sturz doch nur sehr ungenügend abgefedert, war doch Corielle an der selben Stelle vorhin gelandet. Einen Augenblick lang kehrte trügerische Stille ein, Zeit zumindest, um den Mann genauer in Augenschein zu nehmen. Die Kleidung wirkte, als wäre sie vor einem Jahrzehnt vielleicht mal in Mode gewesen, gewaschen hatte man sie wohl auch schon eine Weile nicht mehr. Er roch auf jeden Fall stark nach Rum, er hatte auf jeden Fall mehr als nur einen Schluck getrunken, viel mehr.


    Langsam kam Bewegung in die daliegende Gestalt, schmerzhaft ächzte er, als er sich langsam aufrichten wollte, gefolgt von einigen ziemlich derben und deftigen Flüchen, der Alkohol in seinem Blut sorgte zumindest dafür, dass er die Schmerzen nicht ganz so intensiv spürte, wie es ohne der Fall gewesen wäre. Er sank wieder auf den Boden und rollte sich etwa zur Seite, während seine Hände suchend durch die umliegenden Büche wanderten. »Wo ist bloß mein Hab und Gut?« nuschelte er dabei vor sich hin und es war klar, wonach der Mann suchte.

  • Ein wenig in der Ferne zuckte Tara zusammen, als der vermeintliche Liebhaber/Einbrecher, unsanft auf dem Boden landete.
    Das mußte weh getan haben. Sehr.


    Eigentlich hatte sie vorgehabt, den Fremden zu überraschen, sobald er unten angekommen war - kurz zuvor meinte sie jedoch unweit von dem Gefallenen ebenfalls eine Bewegung gesehen zu haben. Gleich eine Diebesbande?
    Sie zog das einzig halbwegs kostbare - wenn auch eher aus sentimentalen, als aus werttechnischen Gründen - aus dem Halfter an ihrem Gürtel. Ihre Pistole. Vorsichtig spannte sie sie und hoffte sehr, dass die Diebe dabei nicht das verräterische Klicken hörten.

  • Nichts ahnend von ihrer Beobachterin, zuckte Corielle zurück, als sie bemerkte, wie nahe dieser Kerl ihr tatsächlich war. Und ganz offensichtlich war er noch am Leben. Das Glück der Betrunkenen, ohne jeden Zweifel. Und ihr Glück, daß er nicht auf ihr gelandet war und ihre zarten Knochen gebrochen hatte.
    Die Gräfin rümpfte die Nase, als ihr seine Ausdünstungen in die Nase stiegen. Und anscheinend hatte er diesen Raubzug bitter nötig, wenn man nach seinen Kleidern urteilen wollte. Nun, dies zumindest hatten sie gemeinsam.
    Verstohlen huschte ihre Hand an ihr Dekolleté und tastete nach dem Ring, der dort sicher verwahrt steckte. Dann angelte sie mit dem Degen nach den Überresten seines Bündels und beförderte es mit einem eleganten Schwung in seine Richtung.
    Die Spitze der Waffe folgte und richtete sich drohend auf seine Brust. Die Gelegenheit war günstig. Er war benommen und stand unter Alkoholeinfluss. Besser würde es wohl kaum mehr werden.


    "Wo ist meine Statuette, du Mistkerl? Hat dich deine Mutter keine Manieren gelehrt? Man lässt die Finger von der Beute anderer."


    Es war ein heiseres Zischen, das aus Corielles Kehle drang. Und kurz darauf tauchte ihr Kopf in seinem Blickfeld auf. Die Augen schossen ärgerliche Blitze auf ihr lädiertes Gegenüber und machten deutlich, daß sie in dieser Hinsicht keinen Spaß verstand.

  • Als Corielle sein Bündel mit einem eleganten Schwung in seine Richtung beförderte, brummte der ziemlich versoffen wirkende Kerl kurz und tastete mit seinen Händen nach seinem Besitz, bemerkte jedoch recht schnell, dass dieser nicht vollständig war, denn sofort fluchte er leise in übelstem Gossenjargon vor sich hin. Erst jetzt richtete sich eine Aufmerksamkeit auf die fremde Frau neben ihm im Gebüsch und er musste grinsen, als er bemerkte, wie diese ihn mit seinem eigenen rostigen Degen in Schach halten wollte, ihre Worte schienen ihn jedoch kaum zu interessieren, jedenfalls ging er darauf nicht weiter ein.


    »Oh, Du bist wohl das streunende Kätzchen, dass ich vorhin gehört habe...« begrüßte er sie mit einem süffisantem Grinsen auf den Lippen, ehe er den Blick auf seinen Degen richtete. »Du wirst doch wohl nicht so töricht sein, einen Piraten mit seiner eigenen Klinge bedrohen zu wollen, oder etwa doch?« richtete er mit einem leichten Lallen das Wort an sie und streckte dabei seine Hand aus, um den Degen mit der Fingerspitze zu berühren und leicht zur Seite zu bewegen, damit dieser nicht mehr direkt auf sein Antlitz gerichtet war.


    »Wenn ich Dir einen Vorschlag machen darf, kleines Kätzchen?« fragte er sie noch immer mit einem Grinsen auf seinen Lippen und fuhr dann fort: »Du händigst mir meinen Degen und meine kleine Kostbarkeit aus und danach ziehen wir beide zufrieden unserer Wege, ein kleines Kätzchen wie Du sollte sich wohl nicht in düsterer Nacht mit einem Piraten einlassen...«


    Der Mann schien, so sonderbar es nach diesem Sturz klingen mochte, keine Schmerzen zu spüren. Ob das nun einfach daran lag, dass er zu besoffen war, um jetzt noch großartig Schmerzen spüren zu können oder einfach daran, dass er sich bisher ja auch kaum bewegt hatte und noch immer mit dem Rücken in den Büschen vor Corielle hockte, konnte man wohl nicht mit letzter Bestimmtheit sagen...

  • „Streunendes Kätzchen …? Kleines Kätzchen?“


    Die Corvae spuckte die unverschämten Bezeichnungen beinahe vor die Füße des Betrunkenen. Das war ja wohl der Gipfel. Corielle hatte wenig für Kätzchen übrig und diese vertraulichen Worte ließen ihre Wut keineswegs verrauchen. Sie fachten sie geradezu an. Allerdings gehörte sie nicht zu den Frauen, die solche Gefühlsregungen sofort an ihre Umwelt weitergaben. Was wollte man auch von diesem Kerl erwarten? Seine Flüche ließen nicht gerade auf eine gute Kinderstube schließen.


    Als er die Klinge beiseiteschob, richtete sie die Waffe ungerührt und ohne Umschweife sofort wieder auf seine Brust.


    „Es scheint mir, als ob Ihr momentan nicht derjenige seid, der in der Lage ist, Forderungen zu stellen. Außerdem wäre ich Euch dankbar, wenn Ihr Euch eines kultivierteren Tones befleißigen könntet.“


    Es mochte absurd erscheinen, dass eine Diebin einem anderen Dieb einen höflichen Ton in solch einer Situation abverlangte, doch Corielle war der Überzeugung, dass es in jeder Lebenslage galt, eine gewisse Form zu wahren. Wahrer Adel war nicht situationsabhängig.
    Der blasse Schein der Muschellampen glitzerte auf ihren Krallen und ließ das schwarze Gefieder an den Armen der fremdartigen Kreatur schimmern, während sie keinerlei Anstalten machte, auf seine Forderung einzugehen. Die kleine Kostbarkeit ließ sie aufhorchen, doch sie unterdrückte den Impuls, die Hand in Richtung ihres Dekolletés wandern zu lassen, wo diese sicher verwahrt war.


    Sie räusperte sich leise.


    „Leider ist Euer Wunsch vollkommen indiskutabel. Aber ich habe Euch einen Vorschlag zu machen. Ihr gebt mir meine kleine Kostbarkeit und ich hinterlasse Euch Euren lächerlichen Degen da vorne an der Mauer. Was denkt Ihr? Klingt das verlockend?“


    Eine schwarze Braue wanderte fragend auf elegante Weise empor, die andere Hand wies grazil hinter auf die Mauer, die sich momentan in ihrer beider Rücken befand.

  • Nun war es der am Boden liegende Mann, der erstaunt seine Augenbraue lupfte, als Corielle den Degen wieder direkt auf seine Brust richtete. »Oh, das kleine Kätzchen will spielen?« fragte er mit deutlich hörbarem Amüsement in der Stimme und ging keineswegs auf ihren Gegenvorschlag ein. »Dir ist aber schon klar, dass wenn Du die Klinge eines Piraten auf ihn selbst richtest, auch bereit sein solltest, zuzustechen? Das ist Dir doch klar, oder?« Alles in allem schien der irgendwie heruntergekommen wirkende Mann die Situation keineswegs als ernst einzuschätzen, geschweige denn gefährlich, man könnte ihm also durchaus mangelndes Urteilsvermögen unterstellen oder es auch einfach auf den regelmäßigen Rumkonsum schieben.


    Während er zwar noch immer in den Büschen lag, versuchte er nun eine zumindest halbwegs angenehme Liegeposition zu finden und kurz konnte man ein leises schmerzhaftes Keuchen hören, ganz so unbeschadet wie es zuerst schien, hatte er den Sturz also nicht überstanden, auch wenn der Lump Corielle noch immer verschmitzt angrinste und erst jetzt die Gelegenheit wahrnahm, sie etwas ausführlicher zu mustern, so gut es in der Dunkelheit eben ging. Er wirkte tatsächlich für einen Moment überrascht, als er erkannte, dass er keine normale Frau vor sich hatte, ihre Krallen waren ihm vorher offenbar nicht wirklich aufgefallen. »Oder doch eher ein Vögelchen...« murmelte er leise, wie zu sich selbst, doch schnell hatte er sich wieder gefasst.


    »Also, willst Du nun endlich zustechen oder mir meinen Besitz zurückgeben?« richtete er seine Frage wieder an sie und fügte dreist grinsend hinzu: »Ich könnte ja auch schreien und in einer wohlhabenden Gegend wie dieser würden sicherlich sehr schnell Wachen auf uns aufmerksam werden. Ein paar Nächte hinter Gittern würden mir nichts ausmachen, ich bin schon aus schlimmeren Situationen entkommen. Du hingegen siehst mir nicht so aus, als ob Du Dich in einer engen Zelle wohl fühlen würdest.«


    Er grinste sie wieder direkt an und erklärte zwinkernd: »Schon so manch hübsche Blume ist hinter dicken Mauern elendig verwelkt...«

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