Wartend sah Uera zu, wie sie mit Khoínoor verfuhren. Die Männer fesselten den Geschuppten sehr gründlich und nahmen sich genügend Zeit dafür, eine jede Schelle und einen jeden Knoten zu überprüfen. Klug von ihnen. Zwar wehrte er sich nicht, doch in den goldenen Augen des Gefangenen loderte tiefste Wut, bei deren Anblick Ueras Haare im Nacken zu Berge standen und sich eine unangenehme Spannung in ihre Muskeln schlich. Zum ersten Mal seit seiner Ankunft wurde ihr bewusst, wie bedrohlich der Hüne wirklich war. Mit genügend Zorn beseelt musste er zu allem in der Lage sein und Ueras ungleich kleinerer, geradezu zerbrechlich wirkender Körper wäre ein Spielball in seinen Händen. Mit den großen Händen würde er ihr mühelos den Kopf von den Schultern reißen können … doch ... hatte er ihr nicht sein Wort gegeben? Uera schnaubte leise ob dieser Gedanken.
Ein Wort. Nichts weiter.
Er sah nicht einen Augenblick zu ihr hinüber, als die Männer ihn an ihr vorbei führten und Uera schluckte um das trockene Gefühl in ihrer Kehle zu vertreiben. Mit wenigen Schritten Abstand zu Khoínoor wurde auch sie abgeführt, durch die selben Gänge wie immer, tiefer und tiefer in den Untergrund unter dem uralten Verlies, durch Tunnel, die sich schon weit vor der Errichtung des Gefängnisses durch den Fels gefressen hatten. Die Dunkelheit störte die Yassalar kaum, denn ihre Augen sahen im Dunkeln eben so scharf wie im Hellen und die Farben, für deren Wahrnehmung es Licht gebraucht hätte, waren hier unten ohnehin nicht sehenswert.
Kühl und feucht war es, eine Wohltat, doch die Luft schmeckte schlecht, nach Moder und Krankheit … und nach Blut. Der Blick der Yassalar klebte am Boden vor ihren Füßen, kletterte höchstens an der hünenhaften Gestalt des Echsenmannes empor, der mit kleinen Schritten vor ihr herlief. Die Wachen sprachen nicht, wie sie es gewohnt war und so war es alleine das leise Stöhnen und schmerzerfüllte Seufzen der Gefolterten, das sie beide hörten. Im Gegensatz zu Khoínoor musste sie nicht mehr hinsehen, um zu wissen, was in den Nischen im Fels geschah.
Ihre Reise dauerte eine lange Zeit, in der sie viele Abzweigungen nahmen und scheinbar kaum voran kamen, doch Uera hatte sich die Abfolge der Abbiegungen schon vor langem eingeprägt und sie hätte den Weg ohne Zweifel selbst gefunden.
Schließlich blieb der Tross vor einer schweren Holztür stehen und einer der Männer holte den größten Schlüssel an seinem Bund hervor um sie zu entriegeln. Quietschend tat sich die schwere Türe auf, doch dahinter führte kein weiterer Tunnel noch tiefer in den Untergrund, sondern es wandte sich eine ausgetretene Steintreppe in die Höhe und dort wo sie hin führte, drang flackerndes Fackellicht hinab zu ihnen. Sie waren angekommen.
Uera und Khoor wurden unsanft die Treppe hinaufgezerrt und kaum waren sie am oberen Treppenabsatz angekommen, durch die nächste Türe gestoßen. Sie befanden sich in einem hohen Raum, einst wohl ein Saal für Verhandlungen und Absprachen, der jedoch mit raumhohen Käfigen gefüllt worden war, die zweifelsohne einmal einem anderen Zweck gedient hatten.
Früher, in den Zeiten, in denen diese Gemäuer noch eine beeindruckende Festung darstellten, wären hier vermutlich Hunde gehalten worden, jetzt waren bereits einige der Gefangenen dort hingebracht worden und brüteten schweigend in ihren Käfigen. Man wies jedem seinen Käfig zu und Uera atmete unmerklich auf, als sie feststellte, dass sie und der Hüne benachbart waren. Vielleicht würde ihr noch Zeit für zwei, drei erklärende Sätze bleiben?