Der Palast der Nacht

  • Ein wenig abseits von den anderen Tempeln des Palastviertels scheint ein Flecken reiner Dunkelheit zu liegen, der von dem Licht des Tages nicht vertrieben werden kann. Selbst das Licht der Zaubermuscheln erscheint machtlos gegen das düstere Zwielicht, in dessen Mitte sich der Palast der Nacht einem Himmel entgegen reckt, den er nicht mehr erreichen kann.
    Nur die wenigsten wagen es, sich dem Gebäude zu nähern und einen Blick darauf zu erhaschen. Denn es erfordert Mut, in das Herz der Finsternis zu treten und sich dem Gebäude zu stellen, das Shirashai zur Heimat ihres Gefolges auf Beleriar auserkoren hat.
    Tatsächlich – kein anderer Tempel der Göttin der Nacht kommt diesem Bauwerk gleich, dessen volle Schönheit man erst dann erblicken kann, wenn man es gewagt hat, die Dunkelheit zu durchschreiten, um schließlich vor seinen schwarzen Marmorstufen zu stehen, die in den Tempel hinein führen.
    Hier, inmitten der immer währenden Nacht, strahlt das silberne Licht der Sterne auf die elegante Silhouette der 5 schmalen Marmortürme, deren schwarzer Stein von silbrigen Adern durchzogen wird, die geheimnisvoll in der Dunkelheit schimmern.
    Im Zwielicht liegende Gärten, in denen nur magische Pflanzen wachsen die zu nächtlicher Stunde blühen, umgeben die glatten Mauern, die nur selten von schwungvoll geformten Fenstern durchbrochen werden, aus denen ein silbriges Glühen dringt.
    Stille liegt über dem Anwesen. Eine Stille, die noch nicht einmal von den Geräuschen der Stadt durchbrochen wird, die es umgibt. Wer den Tempel der Shirashai betreten möchte, der gelangt gleichsam in eine fremde Welt, an einen Ort, der außerhalb von Zeit und Raum zu existieren scheint.
    Auch im Inneren schwindet dieser Eindruck nicht, denn nur selten sieht man ein lebendiges Wesen durch den Altarraum gehen und was sich darüber hinaus hinter den Mauern des Tempels befinden mag, wird kein Auge jenseits der Priesterschaft jemals erblicken.
    In die Wände eingelassene, schimmernde Edelsteine, beinahe Diamanten gleich, beleuchten das Innere des Tempels mit ihrem kühlen Schein und saugen jegliche Wärme in sich auf. Beinahe möchte man frösteln, wenn man die schwarzen Bänke berührt, die ebenfalls aus Marmor gehauen worden sind und die den Blick zu dem Altar hin leiten, auf dem eine lebensgroße Statue jener Göttin thront, die diesen Ort zu ihrem Heim erwählt hat.
    Schlank und in all ihrer übermenschlichen Schönheit erhebt sich dort hinter einem runden Torbogen, auf dem tausende von Diamanten zu funkeln scheinen, das Abbild von Shirashai, der Göttin der Nacht. Und beinahe meint man, dass das Blut warm durch ihre Adern fließt und sie jederzeit zum Leben zu erwecken vermag. Die Augen der Göttin aus schwarzem Diamant richten sich mit einem beinahe amüsiert wirkenden Funkeln auf jeden Besucher und scheinen jede Bewegung zu verfolgen, obgleich man nicht zu sagen vermag, ob dies nur auf einer Täuschung beruht.
    Die Statue der Shirashai, über deren Kopf die Sterne des Nachthimmels an der Decke hinab leuchten, dominiert den Tempel ohne jede Frage und lässt keinen Zweifel daran aufkommen, dass dies wahrlich ihr Palast ist, in dem sie wie eine Königin auf ihr Gefolge hinab schaut.


    Der Palast der Nacht wird von der schwarz gewandeten Stimme der Dunkelheit, Sharinoe Daranday, geleitet – einer Frau, die der Göttin der Nacht nahezu zum verwechseln ähnelt und die beinahe niemals die Stimme über ein Flüstern hinaus erhebt. Eine Aura der Macht umgibt die schlanke, exotisch wirkende Frau, die sich stets mit der Geschmeidigkeit einer Schlange bewegt und sorgt dafür, dass sich ihr niemand über einen Abstand hinaus nähert, den sie selbst bestimmt.

  • Vor den schwarzen marmornen Stufen des Palastes der Nacht stand eine zierlich anmutende Gestalt, gehüllt in einen schwarzen Umhang, dessen Kapuze einen Schatten über ihr Gesicht legte, sodass
    man dieses nicht sofort erkennen konnte. Darunter trug die Oreade ein dunkelblaues, samtenes,
    recht freizügiges Kleid, wovon man, dem Umhang sei dank, nicht viel erkennen konnte.
    Ihre dunkelbraunen Augen leuchteten auf, während sie den Palast für mehrere Augenblicke von
    außen bewunderte, nur um sogleich Stufe um Stufe des dunklen Marmors zu erklimmen, sodass
    sie kurz darauf den Palast der Nacht betreten konnte. Wie immer war Amelie auch in dessen
    Inneren mehr als angetan von dem Schauspiel, welches die vielen in die Wände eingelassenen, leuchtenden Edelsteine ihr boten, um die Nacht in all ihrer Pracht zu offenbaren.
    Viel zu lange war Amelie schon nicht mehr hier gewesen. So eilte sie mit leisen, kaum hörbaren Schritten auf die Statue ihrer Göttin zu und ging vor dieser in die Knie, um ein leises Gebet zu sprechen.
    Die Kapuze hatte sich die Oreade hierfür herunter gezogen und ihre langen, dunklen Locken fielen rechts und links an ihrem Gesicht herab, während sie mit geschlossenen Augen voll und ganz in ihr Gebet versank.

  • Die Zeiten waren friedlich. Zu friedlich für Sharinoes Geschmack. Es war niemals gut für die Geschäfte der Priesterschaft, wenn es zu lange ruhig blieb. Verzweiflung und Not waren die Antriebsfeder eines jeden Glaubens. Ging es den Bewohnern der Insel zu gut, vergaßen sie schnell, den Göttern zu huldigen. Nein, schlimmer noch - sie wandten sich nur zu gern Eriadne zu, von Dankbarkeit für das Licht erfüllt, das ihr Leben erleuchtete.


    Sharinoe verzog das Gesicht und für einen Augenblick fiel die Maske der durchgeistigten Hohepriesterin von ihr ab. Die Priesterschaft war in den letzten Monaten geschrumpft, der Palast der Nacht war zu leer, Spenden blieben aus. Man bemerkte es an den abgewetzten Stellen, die das Holz der Bänke im Altarraum aufwies. Makel, an denen Sharinoes Blick jetzt hängen blieb, als er über die leeren Plätze hinwegschweifte. Ein Stirnrunzeln war die Folge, dann sah sie die dunkle Silhouette, die vor der Statue Shirashais kniete. Sharinoes Miene glättete sich und der lange perfektionierte Ausdruck der ruhigen, makellosen Stimme der Nacht kehrte zurück, ohne dass sie danach zu suchen brauchte.
    Mit leisen Schritten näherte sie sich der Nymphe, das Geräusch ihrer Schleppe, die über den Marmor glitt, nicht mehr als ein Flüstern.


    »Die Herrin der Nacht segne Euch, mein Kind.« Sharinoe hielt mit gefalteten Händen neben der Statue der Göttin inne, ein Abbild Shirashais, das auf Beleriar hinabgestiegen war.

  • Oh ja
    Es war wirklich ruhig geworden im Palast. Nicht, dass es hier nicht ohnehin stets ruhig war.
    Aber sonst, wenn Amelie hier her gekommen war, hatte sie immer den einen oder anderen Priester an ihr vorbeihuschen sehen, was an diesem Tag nicht der Fall war. Aber das machte ihr nichts aus.
    Vorerst sprach sie in Ruhe und immer noch mit geschlossenen Augen ihr Gebet zu Ende, voll und ganz darin vertieft, während sie wie aus weiter Ferne vernahm, wie sich etwas bewegte.
    Aus den dunklen Schatten heraus näherte sich jemand der Nymphe und blieb neben Shirashais Statue stehen, die Hände gefaltet, wie Amelie bemerkte, als sie ihre Augen öffnete und die unter den Shirashai-Priestern als Stimme der Nacht bekannte Leiterin dieses Palastes erkannte.
    Niemand Geringeres als Sharinoe Daranday hatte sich soeben zu Amelie gesellt und sie gegrüßt.
    Langsam, aber mit gesenktem Haupt erhob sich Amelie, die eigenen Hände noch immer gefaltet aber nun vor ihrem Körper hinab hängend lassend.
    "Ich grüße Euch".
    Amelies Stimme war kaum lauter als ein Flüstern, während sie zuerst Sharinoe ihre Aufmerksamkeit schenkte, bevor sie ihre Blicke über die leeren Schatten des Palastes huschen ließ.
    "Es ist ruhig geworden", stellte sie daraufhin fest, bevor sie Sharinoe mit einem weiteren, dieses Mal allerdings fragenden Blick bedachte.

  • Sharinoe folgte dem Blick der Nymphe und stieß ein Seufzen aus. »In friedlichen Zeiten wenden sich die Inselbewohner seltener an die Götter und ich befürchte, unsere Priesterschaft ist geschrumpft. Shirashais Stimme ist nicht mehr laut und deutlich in Nir’alenar zu hören.«


    Und die Schatzkammer des Tempels war beunruhigend leer. Es war jedoch nichts, was Sharinoe jemals offen aussprechen würde. Sharinoe musterte die Nymphe. sie war reizend. Hübsch genug, um jedem Mann den Kopf zu verdrehen, der ihrer ansichtig wurde und um seinen Willen nach dem ihren zu biegen. Ein Instrument, das Shirashai jederzeit gefiel. Ein Instrument, das sie einsetzen konnte, um die Schwierigkeiten des Tempels zu verringern.


    Die Hohepriesterin lächelte und wies auf einen Gang, der in den hinteren Teil des Tempels führte, von dem aus man in die Tempelgärten gelangte. »Warum geht Ihr nicht ein Stück mit mir, mein Kind?«

  • Das Seufzen Sharinoes konnten Amelies Ohren durchaus vernehmen und die Nymphe konnte nur all zu gut nachvollziehen, was wohl in ihrem Gegenüber vor sich gehen mochte. Sie hörte deren Worten und nickte dann. An diesem Dilemma musste unbedingt etwas getan werden. Doch was das war, vermochte Amelie in diesem Augenblick nicht zu wissen.
    Von den weiteren Gedanken Sharinoes bezüglich der Schatzkammer und den restlichen Gedankengängen ahnte Amelie nichts. Dennoch erwiderte sie deren Lächeln und blickte den Gang entlang, zu dem ihr die Hohepriesterin wies. Anschließend nickte sie. "Gerne". Und während sie ging, huschten Amelies nachdenkliche Blicke immer wieder zu der Hohepriesterin herüber. "Was kann ich tun?" Die Nymphe konnte und wollte nicht einfach tatenlos bei diesem Dilemma zusehen. Sie fühlte sich in der Verantwortung, etwas zu unternehmen.

  • »Ihr habt Einfluss, mein Kind.« Sharinoe lächelte warm und hielt dann inne, um nach dem Kinn der Nymphe zu fassen. »Und vielleicht seid Ihr Euch dessen noch nicht einmal bewusst. Shirashai hat Euch mit Schönheit gesegnet. Ein Lächeln, die richtigen Worte und ich bin mir sicher, dass Ihr die Herzen der einflussreichsten Männer zu öffnen vermögt.«


    Und ihre Taschen … Eine sichere Folge. Aber manches blieb besser ungesagt.


    Die Stimme der Nacht ließ Amelie los und ging weiter auf die Gärten zu, in denen sich die prächtigen Nachtblumen geöffnet hatte, um sich dem Mond zuzuwenden, dessen Kraft sie selbst unter dem Ozean noch spürten. Sie verströmten einen betörenden Duft, Parfum, manches giftig und die Sinne verwirrend, verborgen hinter Schönheit. Die Priesterin neigte sich herab, um eine Sternenlilie zu pflücken, deren Blüten in seinem seidigen Blau leuchteten. Schön. Und mit einem Gift gesegnet, das den Geist einlullte und willenlos machte.


    »Alles, was Ihr tun müsst, ist wie eine Sternenlilie sein.« Sie reichte Amelie die duftende Blüte.

  • Sharinoe war also der Meinung, dass Amelie Einfluss hatte? Nun ja ... Da mochte sie womöglich recht haben. Aus diesem Grund erwiderte Amelie das Lächeln der Hohepriesterin und blickte sie an.
    Aus dem Lächeln wurde ein Grinsen, als die Nymphe dann die weiteren Worte Sharinoes vernahm.
    Oh ja ... Mit Sicherheit würde es ein Leichtes werden, den ein oder anderen Mann zu verführen und am Besten sogar noch in Shirashais Arme zu locken. Das wäre es, was die Anhängerschaft der dunklen Göttin dringend benötigen würde.
    In Gedanken versunken, wie sie wohl am Besten vorgehen konnte, folgte Amelie der Hohepriesterin bis in den Garten des Palastes hinein und blieb dort stehen um sich umzusehen. Der Duft der verschiedensten nachtblühenden Blumen stieg in Amelies Nase und für einen Augenblick schloss diese ihre Augen, um diesen Duft genießerisch durch die Nase einzuatmen.
    Nachdem die Nymphe ihre Augen wieder geöffnet hatte, blickte sie auf die blau leuchtende Blüte, welche Sharinoe ihr reichte und nahm diese entgegen.
    Langsam führte sie die Sternenlilie etwas höher, um daran zu riechen. "Sternenlilie?" Schon oft hatte Amelie die Blumen bewundert, welche in diesem Palast wuchsen aber deren Namen waren der Nymphe vollkommen unbekannt.

  • "Es heißt, dass sie von der Herrin der Nacht gesegnet wurden und ihre Blüten die Schönheit der Nacht verkörpern. Ihre Schönheit. Ihren Zauber. Und ihre Geheimnisse, die sich erst erschließen, wenn man hinter die schöne Fassade blickt." Sharinoe lächelte hintergründig. "Wer ihr zu nahe kommt, muss vorsichtig sein. Denn der Blütenstaub in ihrem Herzen kann den Geist verwirren und den Willen rauben."
    Die Hohepriesterin blickte über das Meer der blauen Blüten hinweg und eine frische Brise setzte ihr Haar in Bewegung. "Was unsere Göttin nun braucht, ist eine Armee von Sternenlilien, die für ihren Ruhm Blütenstaub über offene Geister streut und sie in ihre Arme trägt."
    Sie wandte sich zu der Nymphe um und ihre silbernen Augen flackerten im Halbdunkel des Gartens. Für einen Augenblick wurde das Abbild der Göttin auf ihren bleichen Zügen offenbar, so deutlich, dass es schien, als ob die sie Nacht in ihre Umarmung zog. "Und Ihr seid ein Teil dieser Armee, die unsere Herrin reich für ihre Dienste belohnen wird."

  • Bezüglich der Erklärung zu diesen durchaus faszinierend anmutenden Pflanzen achtete Amelie aufmerksam den Worten der Stimme der Nacht mit einem Lächeln.
    Allerdings entfernte Amelie dann besage Blüte schnell wieder aus ihrem Gesicht, als Sharinoe erkärte, dass man vorsichtig sein müsse, wenn man ihr zu nahe käme.
    Das letzte was Amelie gebrauchen konnte war, wenn sie ihrer Sinne beraubt würde. Andererseits war dies dann doch eine recht nützliche Eigenschaft, welche sie sich durchaus zunutze machen könnte. Sich selbst und Shirashai selbstverständlich ebenfalls.
    Amelie schien verstanden zu haben und schenkte Sharinoe ein Lächeln.
    Das Wort 'Armee' war in diesem Fall wohl ein recht großes Wort, denn was die Priesterschaft dieses Tempels anging, konnte man wohl eher nicht von einer Armee sprechen.
    Dennoch nickte die Nymphe zustimmend.
    "Ich werde sehen, was sich machen lässt. In der nächsten Zeit habe ich vor, einen Ball in meiner Tanzschule zu veranstalten, zu der hoffentlich viele Bürger dieser Stadt erscheinen werden", ließ sie Sharinoe daher wissen.

  • »Ihr seid eine fleißige und einfallsreiche Tochter unserer Göttin.« Sharinoe lächelte leicht, während sie ihren Spaziergang durch den Garten wieder aufnahm. "Ich bin mir sicher, dass Ihr einen großen Beitrag dazu leisten werdet, die Herrin der Nacht wieder ins Gedächtnis der Verlorenen zurückzubringen. Ihr wisst, dass ihre liebenden Arme jeden aufnehmen, der sich nach Antworten und Geborgenheit sehnt."


    Vor allem, wenn seine Taschen gut gefüllt waren. Doch im Allgemeinen besuchte das einfache Volk selten einen Ball. Ob eine Tanzschule den Adel anziehen würde, blieb fraglich. Doch der eine oder andere reiche Händler würde genügen.
    Sharinoe unterdrückte ein Seufzen, während die Tempelglocken zu läuten begannen und die Dienerinnen der Göttin in den Altarraum riefen, um die Mitternachtsandacht zu begehen.


    "Die Andacht beginnt bald. Vielleicht möchtet Ihr heute Nacht daran teilnehmen, um den Segen unserer Herrin mit Euch zu nehmen, wenn Ihr den Tempel verlasst."

  • Auch auf Amelies Lippen zeigte sich ein sanftes Lächeln, als die Hohepriesterin sie als fleißige und einflussreiche Tochter Shiranais lobte und die Nymphe senkte diesbezüglich demütig ihren Kopf.
    "Das werde ich", versprach die Nymphe leise bezüglich des Beitrages, den sie leisten würde.
    Und sie würde Sharinoe hierbei ganz sicher nicht enttäuschen.


    In ihrem Kopf plante die Nymphe bereits, wie sie wohl vorgehen könne und ja ... Ein Fest wäre wirklich das Beste. Und dort würde sie den reichsten Adeligen auswählen, der auf diesem Fest ... einem Ball wohlbemerkt ... erscheinen würde.


    Die bevorstehende Andacht jedoch führten Amelie wieder zu Sharinoe zurück und sie nickte. "Sehr gerne". So folgte die Nymphe dem Klang der Glocken und ging zuruück ins Tempelinnere, wo sie sich einen Platz für die Andacht aussuchte, auf dem sie sich nieder ließ.

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