Er schien ihr unentschlossen, ein Hin- und Hergerissen. In Erwartung nahm sie langsam ihren Arm zurück; der unter der harten Manschette noch dem Druck der Hand nachsann. Da, Juveno sah sie derart an, dass es Zarasshin kribbelte; vielleicht sich nicht bewusst seiner Art, aber so ungefähr im Blick, wo der Weg hingehen sollte: den, wohin sie ihm gezeigt. Die Yassalar sah zum See hinab. Ihre Augen, ein Silbergrau, überhuscht von goldenen Lichtern, gleich dem Flirren der Sonnenreflexen auf einem Wildbach, als sie eine Ahnung bekam.
Das Gefühl in ihrem Magen wurde zu einem eisigen Stich, der durch sämtliche Adern zu gehen schien und Zarasshin hatte das Gefühl, in dem Abstand zwischen zwei Herzschlägen hängen zu bleiben – alles folgte einem Zyklus, indem nun wiederkehrte, was man nie wieder sehen hatte wollen. Sie hoffte, ihre Miene sei unergründlich; ihre Gefühle derart fest in ihrem Inneren verschlossen, dass sie fast nicht zu ihr zu gehören schienen. Törichter Elf, knurrte sie gedämpft, wem wollt Ihr etwas beweisen, wenn Ihr in den Fluten ersauft?
Glaubte er die Götter noch an seiner Seite, hoffte er, es auch ohne diese unvergleichliche Hilfe zu schaffen? … wollte er Zarasshin erneut in Verruf bringen oder zählte er auf die Yassalar, wenn ihn seine Kräfte verließen? Das Wasser war schon recht finster, aus der Tiefe käme anderes hervor, die Insel weiter als man denkt … vielleicht schälte sich mit der kalten Fülle die Narretei ab. Jede Bewegung musste ihm hier so fremd, jede Bewegung eine Anstrengung, eine Parodie der Wirklichkeit sein.
Der Sinn lag ihr fern zu lachen, die Worte auch. In diesem Augenblick zeigte er einer tückischen Yassalar die Wahrheit, wie es um ihn stand. Juveno konnte nicht mehr zurück, Zarasshin glaubte zu ahnen, dass er es nicht mehr würde ertragen können, alles hatte sich verändert und es wieder abzustreifen, wäre unendlich schwer. Sein altes Leben war kalt und fern von all dem, was man ihm im Tod anvertraut, was er erfahren hatte und es in Worte packen wollen klang gleich anders, ungenügend, wie leer. Man musste sich beweisen, um sich zu finden, man klammerte sich an jenen, der die letzten Schritte mitgegangen … man fand Erinnerungen, die leicht zu töten sind, die schon tot waren, seine Sehnsucht nach dem wahren Leben äußerte sich wohl mit jedem Moment, der verstrich und er zögerte.
Ein Blatt löste sich und segelte vor ihr auf das Wasser und riss sie heraus aus der Gedankenwelt. Das der Pappel war hellgelb gefärbt, hatte die Form einer Lanzenspitze und war regelmäßig gezahnt – es fiel ihr auf, warum auch immer, als sie danach griff und es zwischen die Fingerspitzen nahm. Haben wir ihn Feigling genannt?, fragte sie sich.
Nur nicht denken, Gedanken zerfressen einen wie der Wurm den Baum. Rechts erhob sich die Böschung mit meterhohem Fingerhut, von da aus wölbten die Bäume gierig ihre Wurzel nach dem Wasser, fleckten die Flanke des Ufers mit Braun und Dunkelgrün. Es war ein Ort zum Heilen, zum Ruhigwerden. Was wollte er?
Eine Wassergeburt, wie das Meer den Mond gebiert? Hier war er gestorben, vielleicht musste er auch hier neu geboren werden und wies ihre Anwesenheit den Weg in beide Welten? Die Kraft des Wassers ist ungeheuer, denn es ist Kraft und Milde zugleich.
Es könnte die Frage, wer er ist, neu aufwerfen, wenn er sich hier so anders befühlte, als hätte er sich mit gebundenen Handgelenken übergeben, die das Wasser nun lösen konnte. Keine Form war beständig, kein Sein ewiglich, alles war im Fluss, beständig in Veränderungen begriffen und der Elf hatte noch viel Zeit vor sich.
Das Gras am Ufer wurde glitschiger, als Zarasshins Zehen den Schlamm zwischen sich fühlten, langsam, ganz bedächtig ging sie weiter, bis sie bis zum Nabel im See stand, ihre Handflächen erschütterten der Sterne Stand am Himmel. Es war kühl, es war ganz weich und dann tauchte die Schwarze gleitend unter, ohne auch nur einen Wasserklang zu beschwören. Der süße Genuss erfasste sie, weil alles auf einmal ganz warm war, die Nerven nahmen ihn auf und gaben ihn weiter, er drang ins Hirn und das Herz verringerte seine Schläge. In den Fingerspitzen, den Handgelenken, den Schläfen schlug rhythmisch das sich beruhigende Blut. Sie ließ sich auf den Abgrund des Gefühls ein, den auszumessen und in den sich hinabzustürzen ihr verlockend erschien. Ihr Inneres riet ihr stets die beiden Welten möglichst wenig zu vermengen, doch noch musste sie hier bei Juveno bleiben.
Ihre blinzelnden Augen verschwanden unter Wasser, als sie eintauchte und hinauf wieder atmete, sich drehte und den Himmel bestaunte – und, was sagst du jetzt?, fragte sie die Schwester und spürte ihr amüsiertes Grinsen im Bauch. Wart ab, dir wird die Selbstgefälligkeit schon vergehen. Sie biss die spitzen Zähne aufeinander und versank. Die Lider hoben sich und Zarasshin ließ das stählerne Hell des Lichtes unter Wasser auf sich einwirken, lauschte, witterte und verstand … eine flache, geschwungene Linie Wald konnte sie sehen, die Grenze wie Quecksilber schwimmend auf ihrer Welt und mit Leichtigkeit fand sie Juvenos perlende Bewegung, wie sie die Fülle zerschnitt.
Mit strammen, aber leichten Bewegungen glitt sie neben ihn; er war schon weit gekommen in seinem Wahn. Haltet einen Augenblick ein, forderte sie von ihm, dreht Euch auf den Rücken und hört zu. Sie sah ihn ungeduldig an. Es sind außer uns noch drei Wesen im Mondensee. Wir fühlen ihre Anwesenheit , erklärte sie jetzt, gleich, wer es ist, haben wir ein Problem, wenn man uns bemerkt und erkennt; versteht Ihr das?