Beiträge von Zarasshin

    Selbst das Schweigen war nicht unangenehm gewesen, als seine Stimme dieses dann brach. Kaum hatte sie noch mit sich um Fassung gerungen, hob sich schon ein halber Mundwinkel, mit zwei flackernden Augen wurde der Elf flüchtig bedacht und ihre Antwort blieb ein Schnaufen. Ein Lächeln, selbst ein halbes, muss nichts bedeuten für ihn, bleibt stets geheim, was hinter der schwarzen Stirn vor sich geht. Ihr Magen schoss ihr den Rachen hinauf und die Sehnen ihrer Hände waren zum Zerreißen angespannt, aber ja, sie blieb gelassen.
    Denn Zarasshin hatte kaum einen Halt mehr hinter dem Blick, der schon kurz zuvor in den See getaucht war, als sie der Fülle gewahr wurde. Der Raum wogte so endlos; einst floss er doch nicht auf einer Stelle – wo rann er jetzt? Sie fühlte dabei, wie die Erde unter ihr nachgab, fühlte sich auf einmal schon warm und weich von Schlamm umschlungen, rasch hinab gesaugt in eine warme, dunkle Tiefe ohne Luft; doch Zarasshin wusste, dass es ihr eigenes Dunkel war, darin sie absoff, wusste, dass sie sich selbst so eng umschlungen hielt, so eisern, dass es kein Entkommen gab.
    Also noch einmal die Sinne sammeln, die es ja für sich nicht einmal mehr erringen konnten, das lautere Geräusch seines Gehens wahrzunehmen. Mögliches und Unmögliches rangen in ihrem Herzen miteinander, keines von beidem fähig, die Oberhand zu gewinnen; ihr eiserner Wille ließ gerade nichts anderes zu. Sortiert wurde, was wichtig war, was nichtig.


    Am Ende wartete das liebliche Meer, das hier, unter der Kuppel in Gefangenschaft eines Sees, scheinbar auf seine Möglichkeit furchtbar zu sein, verzichtet hatte. Sanft war die Brise, die seinen Spiegel nur kräuselte, unerschöpflich wäre sein Farbenspiel unter freien Himmeln. Gerade von diesem mondenen See konnte man sich vorstellen, dass eine Göttin aus ihm aufgestiegen sei, die Herrschaft über alle Lebewesen zu ergreifen. Wer auch kein Herz für die Fülle, hatte mindestens ein Ohr übrig für die Melodie ihrer Stimme.
    Beim Anblick dieses nächtlichen Gemäldes und der Stille empfand Zarasshin zum ersten Mal die wirkliche Art ihrer Natur: die aus ihr selbst kommende Verbundenheit zum Sternenmeer. Jetzt war die Welt wieder viel weicher an den Kanten und sehnsüchtig beneidete sie wohl schon jeden Wind, der seine Schwingen bereits den Küsten außerhalb zu wandte. Jetzt riss sie das wenige Licht an sich, befühlten ihre Augen den dunklen Himmel, der keiner war, verglich Zarasshin das Land mit den Schichten nah am Horizont und mit der Dunkelheit des Sees, der Leere dazwischen. Sie neigte düster den zerschlagenen Kopf, ungeachtet der sorgfältigen Ausführung, war es eine Parodie von dem, was die Yassalar im Grunde fühlte.


    Somit sah Zarasshin seine Schritte, wie ein Stiefel neben ihren baren Fuß kam, so dicht an ihren Leib mündete Juvenos Gehen und sie kam zum unwilligen Stehen; da kam ihr dies Abschweifen der Gedanken zu Bewusstsein und sie entriss sich ihnen durch ein jähes Öffnen der Lider, die sich irgendwie halb geschlossen hatten. In einem wachsamen Zucken raste die Umgebung an ihnen vorüber, während die Schwarze sich an den dünnen Mantel ihrer schuppigen Haut presste, da sie die plötzliche Berührung nicht wahrnehmen wollte: es würde ihm nicht gut bekommen. Sie schüttelte ihre Gedanken zurecht, so dass sie seinem Blick auch stechend begegnen konnte.
    Es war drohendes Schweigen und nach dem Schweigen kam der Laut. „Verzeiht?“, spottete sie leise fragend und zuletzt im Klang versickernd, da seine Stimmlage dies nicht mitgetragen hatte, dann nimm die Hand zu dir zurück. Ein Schleier schien von ihren hellen Augen zu fallen. Eine wohlwollende Warnung am Rande: erschien ihr sein Vorstoß, als habe er vergessen, auf wen er getroffen war. Nur Geduld.
    Wie kann etwas fordernd und sanft zugleich sein? Gibst du auch?, da war er wieder der Spott; zwei ihrer Finger schnitten zwischen den Mündern, die Fäden Atem zerreißen, die da vielleicht gehangen hatten. Noch hatte man keine Gemeinsamkeiten gefunden als den Tod im Meer. Den leisesten Versuch einer Fortsetzung sollte man jetzt und hier im Keim ersticken. An einer Erfahrung wachsen und andere zur Seite schieben, sie zuwachsen lassen an einer neuen Erkenntnis, einer einzigen Form wahrhaft ansichtig werden, so ließ sie sich nicht beirren: nie hatte da ein Freund benannt werden können. Auch wenn sie nun wissen wollte, wie es sich anfühlte. Merkwürdigerweise musste sie wirklich nicht glauben, was sie wusste, mit diesen drohenden Schatten der Yassalar im Nacken konnte man nicht ewig urteilslos existieren – aber wo bliebe da die Hoffnung? Im Gegenteil, je schmerzlicher es werden würde, umso weniger erschütterte es sie. Verrate sie, Juveno, und sie fühlte alles, ja, sich bestätigt.


    Es gab keine Sorgen, ob man gesehen werden könnte – das Bewusstsein des eigenen Stolzes enthob sie solcher Gefühle, denn sie war vom Boden des Gewöhnlichen erhoben. Nun würde es wirklich finster für solche, die des nachts nicht zu sehen fähig waren, verloren sie die Helligkeit der Lampen, das Blätterdach schloss sich und sie setzte mit traumwandlerischer Sicherheit die Füße von der Ferse zu den Zehen, genoss unerwartet das Gefühl des sprießenden Grases, das glatte Gefühl der Steine.
    Zarasshin erstarrte, dort, wohin er sie geführt hatte, nahm sich behutsam aus seiner Führung und starrte in das Dunkel. War es eine Aufforderung? Gewiss, sie sah den See – mehr als das. Sie roch und fühlte die Fülle. Der geheime Genuss strahlte weiter, die Nerven nahmen ihn auf und gaben ihn weiter, er drang ins Hirn und das Herz verdoppelte seine Schläge. In den Fingerspitzen, den Handgelenken, den Schläfen schlug rhythmisch das erregte Blut.
    Das Wasser machte hier sogar, eingeschlossen von einigen Felsen, einen Sprung, hart wie Eis erschien es ihr, so weich wie eine tanzende Fee. In seinem Fall umschwebte luftgleicher Staub das Wasser, webte einen funkelnden Schleier im gedimmten Licht. Ihre Augen im Wasser könnten auch an ihr vorbei in die Parodie eines Himmels sehen. Ein Echo, hin und her geworfen, ein Schall zwischen Himmel und Erde, ein Nachthimmel im Wasser ... das Wasser im Himmelszelt. Keine Form war beständig, kein Sein ewiglich, alles war im Fluss, beständig in Veränderungen begriffen; Juveno hatte es erst bewiesen.
    Eine flache, geschwungene Linie Bäume konnte Zarasshin sehen, die Grenze wie Quecksilber schwimmend auf ihrer Welt … langsam spürte sie, wie der letzte Atem verbraucht wurde, so unbewegt sie sich auch hielt, der Zwang begann, ihre Kiemen wollten ausatmen und verlangten nach frischem Nass. Die geschwollenen Schmerzen im Gesicht verlangten nach Kühle. Noch bedeutete es zwar nicht ihren Tod an Land zu bleiben, noch fand sie Halt unter ihren Füßen ... „Juveno“, sagte sie seinen Namen, gleichmäßig und betont, „hier wird sich unser Weg vorerst trennen, denn wir nehmen an, ein Bad zu nehmen, liegt Euch fern. Diese Nacht also dann: im Guten.
    Lasst nicht zu, dass die Götter mit Euch spielen.
    “ Wie versprochen waren ihre Krallen in Verborgenheit geblieben, ruhend mit ihrem Spott. Sie hielt ihm ihren Arm zum Ergreifen hin, wollte seinen Unterarm nehmen wie Kriegerart.

    Wenn es am schönsten ist, soll man sich abwenden. Dieses Sprichwort gab es auch im Sternenmeer: die kostbaren Momente bewahren, bevor sie vergingen und man nur noch den schlechten gedachte, die folgten. Ich darf Mitleid haben. Eine grollende Trauer um sie, der eine sonderbare Begegnung mit mir zuteil wurde. Aber ich darf mir nicht die Freiheit einräumen, eine Verantwortung zu fühlen für ihr Schicksal. Denn das lag nicht in Zarasshins Hand, ebenso wenig wie ihres in der Mondschönen Beschluss.
    Keine logische Erklärung, kein mathematisches Gesetz, noch physikalische Zusammenhänge griffen hier ihr zu helfen zu verstehen, was ihnen hier geschah – sie sich hatte hinreißen lassen zu tun, zu sagen und zu zeigen. Immerhin keinen trockenen Atemzug wollte sie gelten lassen, dass sie ihren Vorteil aus den Augen verloren hätte, nur um zu spielen und zu genießen. Yassalar-Ehre, versteht sich; nichts gab es unentgeltlich auf dieser Welt. Immer wird man bezahlen müssen, fortwährend sehen, wo man bliebe. Deshalb lächelte Zarasshin, heute Nacht nicht. Nur dieses Mal gab es etwas unentgeltlich. Und bevor sich die Götter ein anderes überlegten, hieße es gehen, abtauchen und erinnern. Manchmal eben wurde das Sein auch transparent und dann schimmerten vergessene Wünsche und Ängste durch die Haut eines jeden, so auch bei der Yassalar: für kurze Augenblicke geweckt, war die unbekannte und freundliche Regung lediglich … zu gefallen und sich über Syrrlithes staunenden Blick zu freuen. „Anders als erwartet, mh?“, folgerte sie daraus sowie aus dem Laut, der zwischen den Zähnen pfiff, aber sie wich vor der jähen Nähe nicht – und noch, bevor sie mehr sagen konnte, entfloh ihr ein herzliches Lachen, ob der fadenscheinigen Enthüllung. „Gleich, was Ihr auch seid, Syrrlithe“, antwortete die Schwarze in einem spitzzahnigen Grinsen, „Es wird Zeit – für mich abzutauchen.
    Und doch fiel es ihr schwer sich loszusagen, so anziehend blieb die geheimnisvolle Gestalt. Kämpfe, erhebe dich, trotze! Ihr Wille warf nur aufgebracht den Stein ab, den man ihr aufgeladen. Es war nicht ihre aufgellende Enttäuschung, die sie über sich hinweg plätschern ließ, sondern etwas Unscheinbares – allein dort unten, entzückt in der Tiefe war, wonach es sich lohnte zu forschen und die Zeit alles zu überdenken. Möglich war es dann zu spät, wahrscheinlich nie wieder zu finden. In einer anderen Nacht sollte dies gelöst werden, vielleicht auch niemals mehr. Allein, sie wollte ihrer Schwäche trotzen, denn es war Unrecht, was die Natur sich dieses Mal hatte erdreistet.


    Schon stand mit einem Schritt ein Fuß im Nass des süßen Sees und es machte sie stärker als alles, was es sonst auf dieser Welt gab. Es waren nicht der Fremden Gedanken, die sie fürchtete, es war das Vernehmen des pochenden Rufs in ihrer Brust als Antwort auf Verlockungen … zu bleiben. Schmerzhaft, unbefriedigend und närrisch; während ihre Kiemen bereits erwartungsvoll flatterten. Geräuschlos und überzeugt von ihrer Kraft drehte sich Zarasshin nach einem letzten Augenaufschlag hinein. Und da war kein Zweifel mehr, nichts als Vollkommenheit, im Sein und Glauben.



    +++



    OT
    … und deshalb schreibe ich Zarasshin raus *umarm* es erscheint mir nicht richtig, dass du nur schreibst, weil du glaubst, du musst.
    So darf das nicht sein ;o) hab Freude am Schreiben und vielleicht fällt es dir mit jemand anderem leichter.

    So sei es – was jedoch nicht bedeutete, dass Zarasshin sich auch aufmuntern ließ zu antworten.
    Wasser schadete niemandem, auch Jonos würde ein Bad nicht schaden.
    Zudem: ein Wort veränderte das Verhältnis zu einem jeden Ding, ein Wort konnte alles zerstören oder retten, eine Truhe feuerte die Fantasie an, was deren Inhalt wäre – mit einem Wort könnte sie seine Sorgen beschwichtigen. Gerüchte starten mit einem Wort oder es werden Kriege damit begonnen. Es hatte für sie wenig an Bedeutung, ob der Inhalt der Truhe beschädigt, zerstört oder heil bliebe; eine Warnung war hier aus seinem Mund unangebracht, auch schnell als unbedeutendes Geplapper abgetan, eine Warnung verhieß, dass es zerbrechlich sei und von Wert. Ohnehin entkam nichts heil ihrer Gewalt, selbst wenn es seine Unschuld bewahrte. Gönnte sie sich die Schlucke eines unbekannten Gifts in seinen Worten und wusste, dass sich ihr bereits die Ehre aufwarf und den Stolz wölbte, um darüber aufzubegehren, was es Yassalar zu sein hieß.
    Ihr Weltbild war ja ein ganz anderes; die Werte und Ideale, das Verzeihen und die Verantwortung zu tragen, waren ganz Erzeugnisse der Trockenen, der Elfen und der Menschen und der verabscheuungswürdigen Mira'Tanar, die sich derart unterwarfen, erdachten und bestimmten von diesem ... so auch die Liebe und der Hass, ganz nach Bedürfnissen erschaffen, lagen sie nicht irgendwo für sich alleine, sondern waren ganz an die Fremden gebunden, die Yassalar glaubte sich durchaus davon befreit. Keine Erinnerungen, kein Reuen. Nur die Zukunft. Sie brauchte seine Warnungen also nicht.
    Ihr Blick ruhte in seinem, weil sie ihn eingefangen hatte, die Stille ruhte jäh einer Anwesenheit gleich zwischen ihnen – warum willst du tiefer forschen? Nichts wirst du finden. Fortuna atmete nicht, wo sie stand.


    Mit steinernem Gesicht besah sie sein Aufladen des Gewichts. Sie regte die Beine, um den eisernen Ring um die Brust zu zersprengen, verflucht, die Luft schmeckte nicht nach Vergeltung, sondern nach Aufbruch. Zarasshin lud zum Gehen ein, indem sie sich dem etwas helleren Ausgang zu wandte, auf dem sich kreisend das Dunkel spreizte, da, wo das Licht versickerte. Sie wollte nicht, dass ihr erschreckend zu Bewusstsein kam, dass Ascan etwas absichtlich für sie zurückgelassen hatte … geh hin und lass dir von den Wellen ein paar Ohrfeigen geben und alles wird gut sein. Es war ein herbeigesehntes Bild vor ihren Augen, das sie dessen ungeachtet nüchtern besah und die Yassalar befand, dass es längst nicht mehr so überwältigend war wie einst, als habe es die Macht die Sehnsucht nach ihm zu beschwören auf einmal eingebüßt. Das Barometer ihrer Hoffnungen war über die Zeit hinweg gefallen. Es waren sie bedrückend weh: ihre Hände, ihre Haut, ihre Kehle. Es wäre gelogen, wollte sie behaupten, dass es sie unberührt ließ – wohl aber auch auf ganz andere Art. Sehnsucht danach für diese Gefühle Ascan den Dolch im Herz zu drehen und Missmut vergiftete ihr ihre Bewegung. Dies hier tat sie nur für sich, einen Schlussstrich zu ziehen, die Gefühle mit der Truhe tiefer zu begraben als sie je getaucht war. Sanfte Ergebenheit entstellte ihre gefrorenen Züge und die Entscheidung bebte ihr durch den Leib, wo die Lippen alles erzittern ließen – und wenn sie dabei durch den Druck erdrückt werden würde.


    Sie ging gebremst weiter, damit er würde folgen können mit der Last, ließ einen zischenden Laut entrinnen, der sich wie ein Knoten in ihrer Kehle löste, der alles enthielt, was Zarasshin zuwider war. Damit wandte sie sich zu Jonos um. „Wir gehen zum Hafen“, teilte sie ihm ihre Entscheidung mit und ihre Hand beschrieb einen unwirschen Bogen, nun doch hingerissen zu einer Antwort. Er war naheliegend dem Händlerviertel. „Der Wasserschaden wird euch alle ereilen, wenn die Kuppel bricht.“ Und Zarasshin zeigte grinsend ihr spitzes Gebiss.

    Allerdings setzte der Mann das Gewicht nun zu Boden, anstatt die Last nach draußen zu tragen; seine Muskeln erschlafften, wo das Blut noch sichtbar wild ob der Anstrengung durch dicke Adern tobte. Um die ganze Aufmerksamkeit einer Yassalar buhlte man nicht; weder machte man Zarasshin einen Vorwurf keinen Willen zu zeigen, noch bat man darum, es doch einmal zu tun; länger zu verweilen, nicht zu flüchten aus ihrer Gegenwart, Minuten zu schinden. Gut, dass er zu dieser Zeit zu ihr sprach, in der sie weder anderweitige Beschäftigungen hatte, noch zu viel Energie, um wirklich noch einmal aufzufahren. Die trockene Luft machte ihr das Sein schwerer.
    Ihr Kinn hob sich lediglich ein wenig, als es ihren Nacken heiß überlief. Genügten ihm ihr flüchtiges Augenmerk, die Drohungen, ja selbst diese kurzen Debatten nicht? Es klang, als wolle Jonos sich wirklich Sorgen um ihr Eigentum machen. Wie geahnt, Zarasshin verstand ihn nicht. Also – warum sollte sie es auch wollen? Warum sollten wir dich durch und durch verstehen wollen?
    Möglicherweise verwischten sich die Grenzen für ihn. Ein Sachverhalt, der nicht ganz eindeutig darlegte, dass es sich hier um Besitzanspruch und kurze Leibeigenschaft handelte. Sie waren keine Freunde und würden es niemals sein. Der Mann war hier, weil sie es wollte. Die Schwarze baute auf Zwang und Gehorsam, Anbetung und Pflichtgefühl, Angst und Hass. Wie sie wieder einmal bemerkte, war die Weltordnung in Zesshin Doraz eine einfach strukturierte, im Gegensatz zu den Verflechtungen dieser trockenen Stadt. Wussten diese in ihrer seltsamen Lebensweise nicht um ihren Platz.
    Und da ihre Gedanken gerade immer noch in seiner Gestalt ihren Mittelpunkt hatten, so stießen Jonos‘ Worte gegen ihre Geduld, wie gegen einen ausgespannten Seidenfaden, welcher leicht durchgerissen werden konnte – und dennoch durch eine strenge Fügung zur Unverwundbarkeit bestimmt war; der sich dem Auge verbarg und erst offenkundig wurde, wenn man ihn fast schon berührte. Ein Faden, der jetzt leicht in ihren Überlegungen summte.
    Natürlich sprach er Recht – wenn es sie nur interessieren würde, was in der Truhe sei. Aber das wusste er ja nicht.


    Zarasshin rollte sich herum – im Schauer ihrer Haut, in einem Sprung ihrer anmutigen Glieder, im Trunk der Augen, in ihres Ohres Rausch, so dass sie geschmeidig neben ihm zu stehen kam, spürte sie mit den Händen durch die Luft wie durch Wasser. „Denkst du nicht auch“, und die Luft vibrierte stählern unter der eingepeitschten Härte, als sie das Wort betonte. Zarasshin war nicht zornig zu nennen, sie war seltsam friedlich, sich flüchtig fragend, wann sie sich persönlicher geworden waren, „dass dies nicht deine Sorge zu sein braucht?“ Gedehnt und verernstet.
    Was sie dachte, was der Inhalt wäre? Alles was zählte war, was sie wollte und ihm mitteilte. Geschähe es nicht so, geschähe es ein wenig anders. Doch leer würde keine Stelle bleiben, allein, sie würde ihm nichts anderes eröffnen. Die Gelassenheit galt es zu erhalten, gegen das Nichts, in dem nur die Wut schwamm. Die Minuten wurden zu einem weglos verwachsenem Dickicht, dessen Stimme ihren Klang besaß. Wenn sie seinen Willen nur so einfach brechen könnte, wäre Zarasshin zufrieden und Jonos ruiniert.
    Ihre Mundwinkel zuckten in einem freudlosen Lächeln, klammerte sie sich an seine trotzige Haltung, wie an einem Stück Treibholz fest. „Hast du nicht eine Aufgabe erhalten?“ Es war kein direkter Vorwurf, eine Feststellung, dass sie es fast leid war, sich seinen Trotz gefallen zu lassen, und doch bereit war, es ein weiteres Mal zu akzeptieren – zu diskutieren, anstatt zu handeln. Zarasshin hatte die Untergrenze des Zorns erreicht und ihr Inneres floss in einem Gleichklang, obwohl es schäumte, um auch ihr letztes Bewusstsein von Ärger tiefer zu ziehen. Ebbe und Flut, beide Gezeiten rangen in ihr um die Vorherrschaft. Hoffnung und Resignation. Aber was einmal entschieden war, musste so sein: die Kiste hatte ins Meer zu gelangen und sie würde Frieden halten.
    Doch alle Ruhe konnte es nicht hindern, dass ein grimmiges Flackern ihr über die silbernen Schuppen lief, als sie so voll gänzlicher Unbefangenheit halblaut die Feststellung aussprach: „Und je schneller wir das hinter uns bringen, desto schneller können wir wieder unserer Wege ziehen.“ Lebend und unverletzt. Ein fadenscheiniges Wispern, erzwungen aus ihrer trockenen Kehle. Dann bin ich dich los und du mich.

    Es war Suna anzusehen, dass sie nicht ganz verstand. Natürlich Logik, denn es folgte ebenso einer Gesetzmäßigkeit, wenn man versuchte einer Yassalar die Konsequenzen ihres Handels begreiflich zu machen, als wenn man es einem weniger mit Leidenschaft geschlagenem Wesen erklärte. Zu oft waren die Gefühle in Zarasshin berauschender, als dass sie mit Vernunft einzugrenzen wären. Feuer, du wirst das ganze Viertel in Asche legen, wenn du brennst, Wasser, du wirst die Menschen auf dem Schiff ertränken, wirst du stürmend darüber herfallen … Yassalar, die Menschen, die Elfen, all die anderen Völker werden zerbrechen unter deiner Gewalt. Zarasshin würde die meiste Zeit wenig Gedanken an die Folgen verschwenden, risse ihr Zorn sie mit sich. Keine Einsicht, wenn man ihr erklärte, dass sie Jonos als Träger für sich gefunden habe, so dass sie ohne ihn die Last selbst zu schultern habe. Es war keine Dummheit, wusste Tuireann, es war das Wesen der Yassalar. So umsichtig vorausschauend und zielorientiert sie auch agieren konnten, entzündete sich ihr Stolz, gab es wenig Halten nur: kalte Berechnung oder grausame Zerstörung. Wenigstens konnte man Zarasshin nicht vorhalten, sie täusche ihren Gegenüber und schleiche sich hinterrücks an. Und nur aus diesem Grund wusste Tuireann wie einschätzbar Zarasshin war, auf ihre ganz eigene und sonderbare Art.


    Wunderbares Mienenspiel. Zarasshin hatte nicht nur Augen, sondern auch Ohren und andere Sinne. Einer davon konnte ruhen, die anderen waren wachsam, niemals träge, auch wenn es so schien. Jetzt war sie nicht ganz Auge und Beobachtung, doch vor allem anderen dies. Das Verlangen ihrer Augen lag auf Jonos Körper, dem reizenden Muskelspiel unter seiner Haut, als dicke Striemen wie Peitschenhiebe darauf, seinen glänzenden Augen, die sich vor Anstrengung verengt hatten: schien sein Schweiß sie nicht abzustoßen, sondern in der Mitte zu entzünden. Sein flacher Bauch pumpte den Atem und vibrierend hielt sein Körper dem Gewicht stand, während Verästlungen von Adern sich wölbten. Rebellion und eine Zusage im gleichen Atemzug.
    Aber die Luft blieb schwer und anscheinend zu warm für sie, schwieriger aus den Lungen zu treiben, hatte man sie einmal dahinein bekommen, obwohl er es sein müsste, dem sie sich verweigerte so schnell durch die Kehle zu gehen, wie er sie für die Anstrengung brauchte; sein Atem beruhigte sich wieder. Sich umkreisende Blicke wie Schattenhaie, das kalte Lächeln sie nicht gezähmter machte. Ein ganzer Schwarm jetzt zwischen ihnen. Wie schön seine Augen waren, wenn sie funkelten und glitzerten und ich bin der Grund dazu … gib mir die Wut, lass sie fliegen, wir wollen sie fangen, um sie der unseren hinzu zufügen.
    Sie muss natürlich ins Meer, Jonos“, nachsichtig erklärt, als wäre seine Frage eine ganze Absurde, denn sie beabsichtigte nicht Ascans Truhe an Land zu öffnen, „nur dort ist sie mir am besten aufgehoben.“ Der Sylphe würde nicht zurück kommen sie zu holen. Ganz verständnislos wurde Zarasshins Blick auf Jonos – hatte er sich das nicht denken können, als sie ihm all diese bestimmten Orte nannte? Kannte eine Yassalar sich in Nir'alenar besser aus als ein Trockener, der diese Stadt mittlerweile seine Heimat nannte?
    Und je länger er hier stand und seltsame Fragen stellte, desto schwerer würde die Truhe wohl werden; nicht an Inhalt, sondern sich labend an der Munterkeit seiner Muskeln, bis zuletzt nur Müdigkeit darin zu finden wäre.

    Seltsamerweise war sie an ein Buch erinnert, das sie einmal in den Händen gehalten hatte, irgendwo an einem trockenen Ort. Ein Buch aus Papier, dessen Seiten aufgeklappt sich voneinander lösten, als der Sturm anhob, so dass die Finger dazwischen fahren konnten, jedes beliebige Blatt berühren, um den Inhalt den Augen zu offenbaren, damit man die Gedanken haften oder auch fliegen lassen ließ. Der Anfang und das Ende der Geschichte lägen bereit, wenn man erfahren wollte oder lieber unwissend zu bleiben wünschte. Sie hatte darin gelesen, die Hauptbeschäftigung der Weisheit bestünde darin, dass man das Gute und das Böse wohl unterscheiden vermochte.
    Endlich, endlich glaubte Zarasshin Seiten für sich geöffnet, das Schloss fiel klirrend zu Boden – nein! Dies spräche von Gewalt, hingegen es ihr dargeboten wurde wie hervor gelockt: eine dunkle, grollende Staubwolke erhob sich daraus. Zarasshin hatte verstanden, dass diese hier nicht alles hinnehmen würde; der Inhalt der Seiten zeigte sich, wenn man bereit dafür sei.
    Da haben wir es also, raunte die Schwester zufrieden. Als würde der Wind Seite um Seite bewegen, erhaschte sie verschwommen Schrift, las einzelne Worte nur … Es schien: mit aller Kraft schlugen die Versuchungen gegen die Härte des Einbandes und festigten das Gewebe mehr. Syrrlithes grollender Wille vermehrte den Schwung der Seiten, ihrer beider Vermessenheit klatschte die Überschriften hinzu, und die Intelligenz ihrer Weiblichkeit, vereint mit der Gewalt des stolzen Blutes, schuf eine elektrische Kraft … und die Yassalar bewunderte deren Geschick sich selbst zu zügeln: in den Muskeln, in dem Zittern des Leibes, da sah sie das Temperament der Yassalar in dieser zu hellen Gestalt. Bestaunte Zarasshin die bebende Beherrschung ihrer Stimme, die nicht allein physischer Natur war, sondern mehr wie ein Überlaufen viel zu reicher Gefühle, fand sie in den schönen Zügen nur Zufriedenheit.


    Zarasshins Daseinsberechtigung bestand nicht nur in ihrer kraftvollen und kämpferischen Ausstrahlung, sondern auch darin den Yassalar ihren Anteil an Hoffnungen und Täuschungen zu geben, hinter deren geopferten Wirklichkeiten ein Sieg stand, der ihnen gebührte. Manche dürstete es nicht nach Wahrheit, von den Tatsachen wandten sie sich ab, wenn sie ihnen nicht zusagten, um sich dann lieber verführen zu lassen. So, auch wenn sie stets um die Gewissheit wusste, dass sich vielleicht eine Täuschung darüber lagern wollte, tat sie oft ihr Bestes, diese zu nähren. Merkwürdigerweise musste sie nicht glauben, was sie wusste, warum also nicht ein wenig der Hoffnung hingeben? Ein Vielleicht war hier schon mal ein Anfang, nicht wahr? – und Zarasshin zufrieden es bekommen zu haben, denn wie oft wäre es schon um sie geschehen gewesen, wäre da nicht ein Tropfen gewesen, der Zuversicht versprach?
    Zarasshin, die leise lachte. Einmal dieses Unenträtselbare und nie wieder von hier an, eine Regung für diesen Morgen, ein Zoll, der entrichtet wurde für das Schöne, das man bewundern durfte. Die Erwartung platzte ihr fast die Haut, ihre Lippen, ihre Augen atmeten die Drohung ungezwungen ebenso ein sowie wieder aus. Es war ein vollkommener Moment, ein kostbarer Augenblick, in dem ihr Lachen auch wieder verklang.
    Zarasshin, die den Schwall der Bedrohung mehr ahnte, als empfand, der aus der Mondschönen lauerndem Verstand schoss, brandete er nur wie Wellen um sie herum, die der Stein in der Brandung war. Wie immer war es ihr eine Wohltat Macht zu beobachten, die herausschoss, packen, zerreißen, niederbrennen und vernichten wollte, alles beseitigen, was im Weg stand. Wenn es auch andere Lösungen gab, die Befriedigung lag immer nur darin, steigerte sie die Sicherheit; Macht, die ihr Schauder gönnte, als würde ihre Haut mit Säure übergossen – bei Zi'llail, sie kannte es ja. Es war herrlich anzusehen! Das Schicksal lächelte ihr selbst durch diese Gefährlichkeiten zu, flüsterte zu Zarasshin von Glück dieses Geschöpf heute Nacht getroffen zu haben. Die Äste der Bäume zeigten ihr die einzige Bewegung, deren Blätter den einzigen Ton.
    Kurz genoss Zarasshin noch einmal ihr eigenes Entsetzen, das sie tiefgründig für Syrrlithe empfand. „Gewiss tue ich das“, antwortete sie mild, sich dies nicht anmerken lassend, „warum auch nicht?“ Glied um Glied entspannte sie die Muskeln darin, zuletzt „Ich habe wohl genug erfahren.“ – und dir gezeigt von meiner Gabe, erzählt von meiner Stadt.
    Zarasshin beendete ihren Weg um Syrrlithe herum, bis sie seitlich zu ihr wieder stehen blieb. Knisternd war deren Feuer, wie es in ihrer Brust ein tosend-perlendes Echo fand. Standen hier etwa zwei Gegensätze, die sich glichen? „So wie Ihr es verlangt, handele ich nicht.

    Seine Kraft an der Truhe erleichterte es ihr auf einmal; plötzlich bemerkte Zarasshin, wie die harte Spannung in ihren Schultern erlöst wurde, um zu einem leichten Vibrieren abzuflauen. Irgendwie gab er ihr das Gefühl, dass er sie richtig zu packen wusste, schien Jonos stärker als er aussah. Zufrieden mit sich und ihrer Auswahl, enttäuscht ob der Aussicht ihn taumeln zu sehen, gab die Yassalar Stück für Stück der Tiefe nach, um in die Hocke zu sinken, während der Mann sie wenigstens mit schnelleren Atemzügen belohnte.
    Zufrieden knurrend, so dass es fast erleichtert klang, gab sie die Kiste ab und rutschte auf den Bauch, bettete je einen Ellenbogen in einer Handfläche zu, um sich, nach unten sehend, darauf abzustützen. Befriedigt sah sie die Schweißperlen auf seiner Stirn, versöhnt vernahm sie die stoßweise hervor gepressten Worte. Wohin? … nun …


    Tuireann sah besorgt auf, ihre braune Hand machte eine schlichtende Bewegung. Sunas liebenswürdiger Blick fesselte sie, half der Maske, die in ihren ernst ruhenden Zügen eingemeißelt war, weicher zu werden. „Keinen Dank, Suna. Es war eine Erfahrung wert.“ Hatte Suna es etwa auch gesehen, wie der stumme Kampf zwischen ihnen stattgefunden hatte? Vielleicht hätte sie selbst besser mehr an ihr sehen, um deuten zu können, wenn sie nur darauf geachtet hätte. Schatten und Grauen sind nur eine Flanke des Lebens, Lärm und Kampf an Zarasshins Seite und auch wenngleich es den Yassalar scheinbar aufgetragen war, die Abgründe zu beschwören, es ihre Lebenswahl ist, standen dort auch nur zwei Sterbliche. „Hast du je gehört, dass man mit Logik ankommt gegen eine Leidenschaft?“, dass man dem Fieber zureden kann: Fieber fiebre nicht oder dem Feuer: Feuer brenne nicht? Kann man Zarasshin nicht einfach sagen, sie solle nicht fühlen, wie sie fühlt? Sein, als was sie geboren ist … Hinter dem Dunkel versteckte es sich leicht … Tuireann seufzte. „Ich glaube, ich habe Augen im Herzen“, fügte sie an. Leise Zuversicht pochte von innen an die Herzwand, schon wieder ließ die Hoffnung nicht locker. Vielleicht lohnte es sich nicht, sich um den Zorn eines einzelnen zu kümmern, denn wie schön wäre es, einmal seinen eigenen Zorn zu haben?


    Gleich zwei schwarzen Sonnen brannten sich dann ihre Augen auf Jonos, das dunkle Zwielicht funkelte darin, als nur die Pupillen sich hoben und seine Geste nachahmend, leckte eine schwarze Zunge sich über die Lippen.
    Zum Marktplatz?“, im Händlerviertel, weil dort der Brunnen Nir’alenar mit dem Meer verband, „zum Seeviertel“, da sich hier der Hafen mit den gestrandeten Schiffen befand. Zarasshin nahm ihr freundlichstes Lächeln auf das Gesicht. Lass mich mutmaßen: jetzt wirft er sie hin, flüsterte die innere Schwester und die boshafte Freude erweiterte sich bis in ihre Augen, „oder tragt sie in das Adelsviertel.“ Zum Mondenteich. Sie war nicht derart boshaft das weit entfernteste Ziel von ihm zu fordern … „Die Wahl überlasse ich ganz Euch.“ – und seiner Kraft, seinem Willen, seinem Stolz.
    Doch dann … das Lächeln, das sie sich auf die Lippen gesammelt hatte, mit jedem Vorschlag, mit jedem Wort mehr, fiel ihr von den Lippen; es blieb liegen, eiskalt, und so hörte sie ihr Herz an die Rippen pochen wie an hartes Holz.

    *hust* wer redet hier von dürfen?? Ich darf das Inet für die Arbeit verwenden, da rutscht halt ab und an eine andere
    Seite zwischen ... lala ... nur leider arbeite ich in Quark und nicht als Sekretärin und deshalb fällt viel tippseln auf.
    Das Problem ist, wir haben Hoch- und Tiefzeiten und ich bin dazu noch sehr schnell im Erledigen des
    Wenigen ... verdammt aber auch. Zurzeit läuft die Produktion erst an, aber passt schon, und irgendwann
    ist alles aufgeräumt und vorbereitet. Blubb.


    Sodele, und jetzt gehe ich essen!

    Brav *gg* du hörst aufs Wort *tätschel* danke hui ... ich geh gleich lesen ...
    Das Problem ist nur, ich bin auf der Arbeit und wenn ich zu viel tippe,
    schauen mich alle schräg an. Leider, leider ... morgens bin ich bis 10 allein,
    da fällts nicht auf XD aber ist ja schon Halbzeit, juhu!

    Was geschehen war, ist geschehen, und was einmal nicht geschah, wird niemals geschehen. Es musste nicht so kommen. Jonos musste nicht aufprallen – solange ein Schicksal abwendbar war, das seinen Fall bedeutete, solange würde Tuireann sich bemühen. Und sie war da gewesen, um die Gefahr von ihm abzuwehren, denn sonst wäre da nun nichts mehr zu lernen. Gewiss, ein jeder hielt seine Schicksalsfäden in den Händen, es war an einem selbst zu entscheiden, wer Macht über einen besaß, man lenkte seine Schritte, man befahl die Wirklichkeit sich nah – und nur Jonos und Zarasshin konnten sich selbst befreien.
    Sofort erhob sich mit Zarasshins missbilligendem Blick der Schwindel, wie ein Tier aus der Tiefe, um die Kleine einzuhüllen, aber es traf sie nicht unvorbereitet. Tu das nicht ..., flüsterte es warnend in ihren Gedanken, doch nichts konnte sie mehr von ihrer Schülerin abbringen, weil sie ihr das Wichtigste war, das sie je für sich hatte finden können. Der Tod begleitete ihr Leben jetzt wie der Schatten das Licht und Tuireann hatte das noch nicht akzeptiert.


    Fast war Zarasshin von dem inneren Kampf zermalmt und der lauernde, berechnende Wahnsinn streckte mit tobenden Fingern sein Antlitz durch ihre fahlen Augen. Ihr zarter, von diesem Sturm gerüttelter Körper, beugte sich unter seinen Peitschenhieben, als Tuireanns Macht sie auch schon zurück schleuderte, dessen rumpelndes Echo ihr als eine lebendige Kraft entgegenschlug – ihre Lippen waren nur noch ein Fletschen und sie spürte, wie es gegen sie drückte. Ihre Augen glitzerten im Halbdunkel, als das restliche Licht der Umgebung seine Farbe in sie ergoss und zischend auf das Brodeln darin stieß.
    Es schien, als habe Zarasshin nur noch ein paar Augenblicke Kraft sich selbst zu halten: die Fasern, die ihren Verstand hielten, standen kurz vor dem Reißen und es würde in dem engen Raum des Turmes losbrechen. Wahrscheinlich fühlte sie bereits, als wäre genau das schon längst passiert. In der Hocke, lauernd nach vorne geneigt, starrte sie über den aufgeworfenen Erdhügel, drei Finger auf dem Boden gaben ihr Gleichgewicht. In der Rechten hielt sie noch immer das Schwert fest umgriffen – eine gespannte Harpune, bereit für den Abschuss.
    Kaltblütig und zugleich gierig heiß, ohne Illusionen, im seltsamen Gegensatz der Empfindungen trachtete sie immer noch nach dem Leben des anderen. Die Kämpferische, die Hungrige, die Durstige spürte, dass es ihr in die Kehle stieg, der Drang, der sie einhüllte, der von ihr ausströmte, sie umgab. Und als sie losgerissen war, fiel Zarasshin ein kaum merkliches Zucken hinter sich selbst her, bevor sie es begriff und zu sich kam, war sie doch mitten in Tuireanns Sturm geraten.
    Wortlos erwiderte sie deren Blick, ihre Klinge hatte ins Leere gefasst, ihre Stimme war irgendwo hängengeblieben. Sie war hellwach und alles hatte Umrisse so scharf wie ausgeschnitten. Die Erde war zu schwer für sie. Sie selbst zu schwer für diese trockene Welt.


    Zarasshin hatte einst ihren eigenen Wahnsinn durchschritten, hatte sich durch ihre persönliche Hölle gekämpft und wenn sie ehrlich war, war sie gestärkt daraus hervor getreten. Danach wusste sie um die Wahl, diese war leichter zu treffen. Zuletzt glaubte sie, dass es nichts mehr gäbe, dass sie noch einmal einer Bewusstseinsspaltung entgegen bringen könnte, den zwei Seiten, die in ihr um die Vorherrschaft rangen. Es jetzt beenden, dieses Bündnis mit der Erdfee, um sein Leben willen. Schrecklich und furchtbar waren die Yassalar, ihre Kraft schaffte das Recht; einem Sturmwind gleich fegte die Jagd vorüber, nur um weiterzuziehen, kein Blick fiel je zurück, so wie Zarasshin ihn nun zu Boden senkte.
    Sie wählte die Magie; es fühlte sich langsam an, als würde sie stets gegen eine Welle anlaufen und von ihrer Würde, sich nicht darunter zu beugen, wäre zuletzt kaum mehr etwas übrig.
    Die Schwester, die sich als Schatten über Zarasshin stülpte, sah gefährlich aus, das ließ sich nicht abstreiten – sie selbst jedoch, vernahm nur Tuireanns Flehen, spürte genug von dem kleinen Wesen, um zu begreifen, wie sehr sie darum bat, sie nicht gehen zu lassen. Zarasshin war wie trunken von ihrem Zorn. Verachtung, Spott und Hass, damit kam sie zurecht, doch das Leid unter dem zu erwarteten Wutausbruch schnitt tief in sie, denn auch sie wollte Tuireann nicht ziehen lassen. Ihr Dasein brachte so viele Qualen mit sich, dass es ihr dafür ein gerütteltes Maß Sinneslust schuldig sei und diese empfand Zarasshin im höchsten Grad bei Tuireann.


    Jonos war aufgestanden. Da war das Blut an seinem Arm gewesen, hervor gelockt durch ihr Schwert, da war ihr innerer Wahn, der sie bestürmte, ihre sich aufschraubende Verzweiflung, die Ketten, an denen gerüttelt wurde, weil der metallische Blutgeruch berauschte. Es hatte keine Macht über sie! Zum Glück wandte er sich ab, entfernte sich und nahm den Geruch mit.
    Ihre Gefühle wateten durch einen Alptraum, wankten durch einen Schleier aus violetter Brühe, an dem sie sich verbrannten, immer wieder stürzte sie in die Tiefe und traf auf blutige Klumpen Fleisch, kroch auf wunden Händen und Knien an ein bekanntes Ufer. Langsam verbarg sie das tränende Schwert wieder in seiner ledernen Scheide, nahm ihm die Aussicht auf einen Tod. Zarasshin reckte sich Wirbel um stolzen Wirbel. Den Dank aus Sunas Mund hatte sich Tuireann wirklich verdient.
    Die Zeit löste sich ihr zu einer Pfütze auf und breitete sich zerrinnend aus, als sie es, wesentlich ruhiger als sie sich fühlte, aussprach: „Gut.“ Keine Fragen mehr, Jonos nahm ihren Willen an.
    Mit ihrem baren Fuß gab sie der Kiste ihren ersten Schub nach vorne, am Rand dann nahm sie den Griff in beide starken Hände, doch da sie wusste, wie schwer sie werden würde, lehnte sie sich zurück und ging leicht in die Knie, damit das Gewicht sie nicht vornüberzog. Zarasshin war sich über die Höhe bewusst, die sie beide überspannen mussten, legte und sammelte ihre ganze Spannung in ihren Körper, holte einmal tief Atem, bevor sie die Truhe über die Kante schob. Sofort krallte sie die Zehen in die wenige Erde, rammte sie eine Ferse gegen einen kleinen Vorsprung aus Stein, als der Zug nach unten sie erfasste. Die Luft wollte sich schlagartig vor Anstrengung aus ihrer Lunge pressen, indes Zarasshin sie stoßweise entließ. Bedächtig ging sie tiefer in die Knie und wartete auf Jonos‘ Zugriff, wenn die Truhe in seine Reichweite kam. Vielleicht hätte sie wenigstens noch die Genugtuung, dass die Kiste ihn erschlug.

    Was sah sie da in seinen Augen? Sollte da etwa ein lebendiger, trotziger Funke sein? Interesse und Abscheu spielten in den ihren, als sie kaum glauben wollte, was da in seinen Bewegungen begann und sich Wellen gleich fortsetzen sollte. Fühlte sie nur den harten Schlag ihres Herzens bis hinauf in den Hals und es ließ sich nicht beruhigen in der springenden Ader. Jedes Ding und jedes Wesen konnte nur eines sein, dieses aber muss es ganz sein und Jonos war eben so, wie er gezeigt hatte zu sein: närrisch und wagemutig zugleich, von jedem ein Halbes in ihm. Denn ein stärkeres Wesen barg sich anscheinend unter der dünnen Haut, das sich nicht so leicht schrecken ließ. Skepsis und Widerstand gegen die Angst, prallte ihr drohendes Wesen ab an seiner Natur.
    Zum ersten Mal fiel Zarasshin auf, dass jemand ihr widerstand, wenn sie versuchte zu spielen, die Angst keinen Einfluss nahm. Nicht nur Geschöpf, sondern zugleich auch Schöpfer ihrer eigenen Bedrängnis, kam er hinauf … gekrochen zu ihr, was wieder die Glut schürte, die gerade am verlöschen gewesen war. Zarasshins Vernunft senkte sich, so wie ihr Kinn sich hob, nahezu zerschlagen von der heutigen Nacht, ihr Herz ein Stein, den sie sich nicht selbst aufgeladen.


    In dieser Zeitspanne kreisten Tuireanns Augen in den Mustern Sunas, denen sie mit einem Fingerzeig kleine Steinchen nachfolgen ließ, bis eine leichte Berührung sie aufsehen hieß. Ihr Blick zeigte Verwirrung über das soeben Gehörte und nur deshalb konnte der sanft ausgeübte Druck der Wasserfee sie sich erheben lassen. Ihre kräftigen Arme breiteten sich verständnislos aus und beinahe hätte sie ihrem Unmut Raum in Schimpftiraden verschafft, als es sie lächeln ließ – man sollte wirklich nicht übersehen, was gerade geschehen war: Zara hatte ihre Aggressionen überwunden, den Teil in sich zurückgenommen, der die Gelüste und Instinkte der Yassalar auslebte.
    Ja, dachte sie, später – sie würde stets die Erde finden, auf der Zarasshin Asdis ging … dem ungeachtet, sie konnte nicht. „Nein, Suna“, antwortete Tuireann, „wenn ich gehe, wird nichts mehr sie hindern können.“ Zugegeben, die Erdfee fand keine Abneigung gegen Jonos in sich, so dass sie ihn im Stich lassen könnte und gerade eine Wasserfee sollte um die Art der Yassalar wissen. Denn, was er wollte, stand für Zarasshin nicht zur Diskussion, gleich, was das Stück Trockenholz denken mochte, was er zu tun habe: nichts davon könnte eine Yassalar zu beeindrucken wissen.


    Da, er sagte es schon wieder. „Nein?“, wisperte sie mit Lippen, die sich kaum bewegen wollten, so dass sie sich nur wie eine zaghafte Welle öffneten und schlossen, weil sie es dennoch taten. Bevor Jonos ganz bei ihr war wappnete sie sich gegen seinen so zerbrechlichen Körper, der für die Yassalar wie zuckende Flammen war, um ihn samt seiner Dreistigkeit von sich zu stoßen und ihm im Wölben der Brauen deutlich zeigte, dass ihre Geduld nicht ewig währte. Blieb also nur die empfindlichen Sinne zu strafen mit dem Verbleiben in Langsamkeit, das zähnliche Gefauche wurde getarnt mit Luftholen, kämpfte Zarasshin gerade gegen sich selbst an, damit ihr Zorn sich nicht unweigerlich selbst Ausdruck verschaffen würde.
    Von allen Empfindungen war ihr die der Überlegenheit am meisten im Kopf verhaftet und darin wie Hochwasser gestiegen und daran versuchte sie sich nun zu halten, wie an einem Stück Treibholz auf stürmischer See. Wurde er von Neugierde getrieben oder gar Dummheit? War sein Gerechtigkeitssinn derart ausgeprägt, dass er ohne Weiteres sein kleines Leben aufs Spiel zu setzen bereit war?


    Ihre Lider rissen auf, als sie der Bewegung seiner Hand gewahr wurde, deren Ziel ihr Nacken sein musste. Stille, wenn all der Lärm erlosch, langsam schmolz die Umgebung von den Rändern her dunkel. Sie tötete nicht unentwegt. Glaubte man das? Auch wenn sie andererseits lediglich versuchte sich zu erinnern, wie es ging barmherzig mit ihnen zu fühlen: deren ganzes Leben erschien ihr grauenhaft unerträglich, diese armen, leidenden Wesen. NEIN! Diese aufsässigen, törichten und erbärmlichen Geschöpfte – so dass ihre hell bewimperten Augen sich zusehends mit unverhohlenem, schwarzem Zorn füllten. In ihr entzündete sich der gewaltige Drang um sich zu schlagen, so dass ihre Lippen zitterten, ihr Blick zu flackern begann, als sie seine Hände zu spüren glaubte – wie konnte er es wagen? Seltsam, obwohl sie einen Moment kaum wusste, wie ihr geschehen war … wag es, wag es!, tobte die Schwester, lass es zu! Und kurz berührten sich ihre Zungen.


    Tuireann ahnte es, bevor sie es sah. Zarasshin verfestigte ihren Stand auf dem Grund, sie wandte sich um, in zusammen geraffter Zeit – sie erkannte es in der Schwarzen Gesicht, das sie sich von seinem Griff ziehen ließ, von Jonos, zu ihm heran, Stirn an Stirn, Haut an Haut; seinem Grinsen musste er sich nun selbst gegenüber sehen.
    Dann streckte sich Zarasshins Arm, wie von selbst, drehte die Handfläche nach außen und umfasste den Knauf, der über ihre Schulter ragte.


    Welches Gefühl aller Gefühle in Zarasshin, als das blaue Metall summte … es übernahm ihre Haut, brauste die Nervenbahnen entlang und fegte alle Unentschlossenheit aus ihren Tun; es sang für sie, glaubte sie es zu hören, war es ihr ein vollendeter Genuss. Es brauchte nicht viel, der tränende Stahl war scharf gleich einer Koralle.


    Im gleichen Moment warf Tuireann ihre Arme hoch, beschwor Fels und Erde, Gestein und die Natur ihr zu folgen. Ihre Handflächen pressten sich in die Luft, fast gegen einen unsichtbaren Widerstand Zarasshin zu. Es gab ein Rumpeln und Murren um sie herum, als die Steine fielen, die Erde unter den Wünschen der Fee sich bäumte. Zarasshin hatte keine Chance, als sie von Jonos weggerissen wurde … hatte die Schwertspitze ihn gestreift?

    Wenn die bodenständige Tuireann schon angespannt war, dann sollte es kaum verwundern, dass Suna an ihrer Seite Beunruhigung ausstrahlte. Auch wenn sie in diesem Moment nicht mit Sicherheit sagen konnte, ob nicht heute die Nacht gekommen war, in der Zarasshin entschieden hatte, ohne eine Fee ihren Weg gehen zu wollen. Auf der anderen Seite, war es für sie kaum zu verwundern, dass Jonos noch atmete; die Lebhaftigkeit seines Temperaments, das aus Schalk und Verbissenheit gewoben schien, drängte Zarasshin geradezu, sich an ihm festzubeißen –ein Reiben an anderer Willen würde sich die Yassalar ungern entgehen lassen. Möglichweise könnte seine Unversehrtheit ein wenig leiden, doch er würde überleben … wäre er nicht der erste der Trockenen, wie Zarasshin sie bezeichnete, der wohlwollend von ihr entlassen wurde. Tuireann war sich sicher, dass sich daran erinnerte … war sie doch? Es war nicht gut, das Violett in Zarasshins Augen war wirklich nicht gut. Sie blieb, ebenso wie Suna, sitzen, hier auf dieser Stelle, sollten die beiden Narren es unter sich klären – und wer wusste schon zu sagen, ob es nicht auch einen Gewinn für das Selbstbewusstsein war, sich gegen eine Yassalar behauptet zu haben? Diese Möglichkeit zu erleben würde sie Jonos keinesfalls verweigern wollen. Vielleicht bat sie ihn einen kurzen, schwachen Augenblick stillen Schweigens um Verständnis, bevor sie sich abwandte, um sich gerader Wirbel auf eine der zuvor geformten Stufen zu setzen.


    Er nötigte sich, wie es ihr schien, wenig zu einer Ergebenheit des Tones. Was empfand er – Verachtung? Tief und lautlos kam die Ernüchterung zu ihr, das grässliche Gefühl hier nicht schnell gewinnen zu können durchfraß Zarasshin. Ihr Wesen konnte ihn nicht einnehmen, in keinerlei Hinsicht, weder unter Zwang, Bedrohung, Warnung, noch unter Belehrungen … wahrscheinlich nicht im Kampf, dazu war er zu schwach, wenn auch gewiss zäh: es würde keinen Spaß bringen. Freundlichkeit hatte sie ihm erwiesen, als sie auf dem Weg mit ihm lachte … Was für ein ärgerliches, kleines Gefühl, dass nichts davon ihn hatte ertränken können. Sie war sich so sicher gewesen zu wissen, wie das Blut unter der zarten, hellen Haut rascher floss und die Worte auf einmal klangvoller tönten.
    Doch diese eine Frage, nein, diese beantwortete sie nicht. Zu tief war dieses Gewässer, zu tückisch ... die Winde, die über ihre Wasseroberfläche strichen, waren zu ...
    Unbewaffnet?“, knurrte Zarasshin, „Eure Zunge scheint mir scharf genug, um zu verletzen.“ Sie zog sich auf würdevolle Art zurück, hielt ihre tödliche Kraft im Zaum, weil sie doch einfach nie einen Grund brauchte, um zornig zu sein, doch wusste, wenn ein Ausbruch nur noch törichte Starrköpfigkeit wäre und wenig berechtigt und eine Verschwendung von Kraft. Sie hatte sich in das berauschende Gefühl gegeben, sie war gescheitert und hatte verloren, weil sie in der Trunkenheit des Stolzes gewesen war; dass es hier nichts gäbe, ihr zu widerstehen. Ein Gefühl, für das es sich zu sterben lohnte und nun dahintrieb wie abgestorbener Schlick. Alles hatte seinen Preis.
    Geschmeidig zog sie sich hinauf, erhob sich in einen Stand, der von Hochmut nur so troff. „Geht“, sagte sie, in ihrer Stimme war abrupt wieder das Eis gewesen. Kein Harren heute, kein Feilschen, kein Blut? „Ihr seid so stur wie einer der Tritonen und Euer Grinsen ist kaum mehr zu ertragen für mich. Geht!“ Widerwille und zugleich Akzeptanz einten sich in Jonos, das eine war augenscheinlich nicht ohne das andere möglich. Seht: Hitze und Licht gehörten gleichzeitig zu einem Feuer, und so könnte sie nahe der Flamme von dem einen auf das andere schließen und Vorsicht wahren … hier, hier hatte sie nur einen schwachen Mann gesehen und nicht auf anstrengenden und halsstarrigen Irrsinn geschlossen.


    Brachten ihre Erinnerungen sie zurück zu den frühen Tagen, in denen alles faszinierend, für die Sinne überwältigend gewesen war, der ewige Kosmos des Meeres sich einer Spielwiese gleich aufgetan hatte. Die Welt mit neuen Augen sehen und begreifen, bis es ermüdend wurde, trostlos, keine wilden Stromschnellen mehr … alles schon erlebt. Heute Nacht, eben gerade, bemerkte die Yassalar, dass in ihr Sinnen ein neuer, unbekannter Strudel geflossen war.

    Zarasshin bemerkte zwar den Blick nach oben, folgte ihm aber nicht nach, denn dort gab es ohnehin nichts zu betrachten. Mehr war sie gebannt von der Ranke und starrte darauf, so dass ihr jetzt leider der erstaunte Ausdruck entging, den sie ebenso hervor gezaubert hatte. Doch sie überhörte nicht den beeindruckten Hauch von Neugierde in der Stimme Klang. Unglaublich – wie wahr. Aber auf diese Frage gäbe es keine Antwort.
    Sie lachte leise und der Spott war nicht zu überhören, denn sie lachte tief in ihrer Kehle und mit schnaubender Luft darin, als es dann auch jäh verstummte. „Zu viel der Fragen!“, erwiderte die Yassalar grob und zerschlug mit flacher Hand das Gebilde. „Vielleicht, vielleicht auch nicht.“ Sie sprang auf. Wie klang dies alles? – gelogen!
    Erfasste Zarasshin sie, das Wesen, das so harmlos aussah, die dunklen Haare, die jungen Züge, in Menschlichkeit verharrt. Man kann viele Fehler machen, wusste sie, ein ungewisser Rest blieb trotz reiflichen Nachdenkens, auch wenn man glaubte, alles bedacht zu haben – der größte Fehler jedoch wäre die Neigung die Stärken der anderen Rassen nicht anzuerkennen oder sie überhaupt nicht wahrnehmen zu wollen. Und heute Nacht war wenig bedacht worden; diesen Schlag nahm die törichte Närrin, die sie war, ohne ein Wimpernzucken an, mehr läuterte er alles in eine Schärfe, die sehr ernüchterte.


    Stolz richtete Zarasshin sich auf, ihr Kinn hob sich in der Anmaßung eines Wesens, das sich allem erhaben fühlte, an keine Regel gebunden, keinem Gesetz verpflichtet, niemandem zugehörig und in keiner Stadt zuhause, als der der Yassalar.
    Ihr Gefühl sagte ihr, dass andere Kräfte am Werk waren, sie anzuziehen, während ihr Instinkt sie fliehend machen wollte, Zarasshin hingegen verstand es nicht. Obwohl sie es sich wirklich fest vorgenommen hatte, sperrte ihre vertraute Geisteshaltung sich gegen sie, bauschte sich dicker, schob sich wie Watte zwischen ihren Willen Abscheu und Engstirnigkeit zu fühlen, als wäre ihren Gefühlen die Richtung nicht sicher, die ihre Art ihnen vorgab: sie mochte diese.
    Und Zarasshin mochte niemanden, hegte kein Vertrauen, sie zürnte allem und jedem, sie verachtete, in ihr lagen weder unbewusste Zuneigung, noch emotionale Freundlichkeit – und eben hier lag der Fehler. Eben da stimmte etwas nicht.


    Langsam, Schritt für Schritt, glitt sie zur Seite, neigte still den Kopf in der Betrachtung, um in den Rücken der Mondschönen zu gelangen. Ihre Augen trugen Reflexionen, deren Zucken wie ein Schwarm aufgescheuchter Bienen war, der sich orientierend oft reglos in der Luft hielt, bevor er wieder niederbrach. „Weshalb glaube ich Euch auch zaubern?“, fragte sie ganz beherrscht, weshalb habe ich das Gefühl wachsam sein zu müssen und kann es jedoch nicht?

    Nein.
    Ihr Gesicht zeigte augenblicklich ein Schauspiel von grenzenloser Wut, gleichwohl fragte Zarasshin sich, ob Jonos wohl wusste, was er ihr abverlangte. Wenig nur gab es sie davon abzubringen seinem Trotz entgegen zu treten, entweder, um ihn auf ihre Seite zu ziehen oder auf die Knie zu zwingen … und dann würde sie sein Grinsen derart erweitern: nämlich die Mundwinkel ziehen von einem Ohr zum anderen. Eine überwältigende körperliche Präsenz der Gier nach Blut und Macht, die Aggressionen schwemmten den verständigen Geist hinweg. Er forderte? Er fragte nach einem Entweder oder?


    Alarmiert tat Tuireann ein paar entsetzte Schritte und in ihren Gedanken drehte es sich, was zu tun sein würde. Nein, Widerspruch ertrug Zarasshin wahrlich nicht mehr, konnte sie nicht gebrauchen bei ihrem Tun, es widerte die Yassalar an, auch wenn sie auf ihre ganz eigene Art barmherzig war. Und einem Nein konnte nur eine, für die Erdfee unvorstellbare, Reaktion antworten. Sie würde es nicht wagen ... denn nein, sie würde nicht bei Zarasshin bleiben, sollte sie töten. Früher oder später würde der Tatbestand eintreten, das war ihr durchaus bewusst, aber besser später als jetzt. Das Denken daran konnte Tuireann ihrer Schülerin nicht absprechen, noch verbieten, dazu lag es einfach zu tief in deren Natur verankert, indes sie hoffte allein durch ihre Anwesenheit sie lediglich zu Gewalt zu zügeln. Und da wusste Tuireann, dass sie zu viel verraten hatte, dass es ihre Schuld war, dass es zu dieser Situation gekommen war. Sie musste zusehen, ob es gut ging oder nicht.


    Der Dunklen Blick verschlang den Mann, als sie sich auf die Knie niederließ, die noch silbernen Augen nicht mehr aus seinen nahm und sich auf die Kante zuschob, die Zehen in den kantigen Untergrund verkeilte, um sich zu halten. Ihre Ellenbogen sanken und gestützt auf die Fingerknöchel lehnte sie sich kopfüber zu ihm herunter.
    Ein bitteres Lachen, das alles andere als ein Lachen war, ein Glucksen hinten in der Kehle fand es schließlich ihren Mund. Und Zarasshin wusste, was sie fühlte: sie war amüsiert. Verwegene Kühnheit wusste sie zu schätzen. Sein Problem war ja auch der Mangel an Einsicht, nicht der an Mut und Zarasshin war einfach nur schlecht darin, Dinge so hinzunehmen, wie sie waren. So gesehen würde sein einziges Leben an ihrer Welle zerbrechen müssen, denn er konnte nur seine kleine Welt übersehen, diese trockene Leere einschätzen, die kaum einen Flossenschlag, derart mit Narren gefüllt, wert war. Er breitete die Bedeutung seiner Stärke seiner eigenen Natur über jede Niederlage aus, seine Einbildungskraft blendete ihn scheinbar.
    Jonos kam ihr ziemlich anmaßend vor, hielt sie sich den Handrücken vor die Lippen, um das Lachen zu unterdrücken, während ihre Augen sich mit einem drohenden Violett füllten.


    Kurzerhand zog sie ihr Messer, „Sollten wir Euch die Daumen abschneiden, damit Ihr nie wieder etwas halten werdet?“ Ihre schwarze Zunge fuhr langsam genüsslich über den blauen Stahl, der aus ihrer Manschette stach, „Oder gleich das Schwert ziehen, um zu ermessen, ob es wohl Eurer Größe entspricht?“ Es von ihrem Rücken nehmen und es ihm von oben herab durch den Mund die Kehle hinunter in die Eingeweide stoßen, so dass es ihm zwischen den Schenkeln herausstach? Ihr spitzes Gebiss fletschte sich zu einem gefährlichen Grinsen, weit entblößte sie das schwarze Zahnfleisch. Es war, als läge dort wirklich die Nacht selbst; sie hatte die Lippen zurückgezogen und die Zähne zu einem Totenschädelgrinsen gebleckt, und ihre Augen wurden zu schwarzen Löcher, weil sie das Kinn nur tiefer senkte und diese aus dem letzten Licht nahm.
    Zarasshins linker Handballen stahl sich auf seine Stirn, würde Jonos nicht einen Schritt zurücktreten, die geglätteten Finger in seinem Haar sich wiederfinden, um seinen Kopf nach hinten zu drücken. So fühlte Zarasshin sich von seiner trotzigen Haltung verhöhnt – er sollte sterben ...würde aber weiterleben, denn sie nahm Tuireanns harte Aufmerksamkeit auf sich wahr.
    Erbost hob sie die Augen Tuireann zu, schnalzte mit der Zunge, die ihr feucht über die Lippen fuhr. Gern wollte die Yassalar etwas in Stücke zerreißen, achte ihren ruhigen Gemütszustand nicht, den sie zeigte, denn anderes wütete in ihr und wäre die Fee nicht anwesend, hätte sie längst reagiert.

    In Wellen summte der Boden um sie herum, ganz leicht vor Erregung, wenn Tuireann in der Nähe war, ganz wie Wasser, zog er Kreise allein durch ihre ganz eigene Natur. Die Erdfee hörte Jonos Frage an sie und entschied ihm eine Antwort zu geben und wenn es war nur aus Dickköpfigkeit Zarasshin entgegen zu stehen. Ihr Finger streckte sich, um der Erde zu bedeuten, Stufen zu bilden, die sie einer Prinzessin gleich von der Wand hinunter steigen konnte, um Aug in Aug mit Jonos zu wurzeln – mit dem Rücken zu Zarasshin, so dass diese nicht die Worte ihrer Lippen lesen konnte. Auch wenn es nicht zählte, denn das Rumpeln der tiefen Erde wusste mehr Eindruck zu schinden, als einer Yassalar Aufgeblasenheit und herrische Ungeduld. Die letzte erdige Stufe hing in der Luft vor seinem Gesicht und Tuireann sah ihn eindringlich an, während sie eine Hand in die dralle Hüfte stemmte und kurz zu Suna nickte. Ihr war aufgefallen, wie der Turm auf die Verwandte wirkte.
    Ein Sylphe wohnte hier; er wusste ihren Sturm zu lenken, wie meine Erde die Winde nur zu ersticken weiß“, erklärte sie, raschelnd war ihre Stimme, wie trockene Blätter, die man zwischen den Handflächen zerrieb. Tuireann zupfte sich ein wenig Moos von einem Absatz und legte es schmückend auf ihr Haar … lebensprall ist er gewesen, erinnerte sie sich, fruchtbar wie die Erde, erinnerungsträchtig und wenn sie die Augen zusammenkniff, hatte Ascan stets ein samtener Schein der Unschärfe umhüllt. „Ich wache über ihr Verhalten, so wie es mir möglich ist. Habe gewacht, bis sie ihren Schwur brach, um auf meine heilige Erde sein Blut zu vergießen..“ Allein, von Zarasshins Wollen wusste sie nichts. Sie zuckte mit den schwarzen Schultern.
    Mochte man glauben, der Sylphe lag Zarasshin auf dem Gewissen, war es natürlich nicht so – nicht nur, da sie ein solches nicht besaß. Ascan war fort, hatte die Stadt verlassen – wohin, weshalb? Weder Tuireann, noch Zarasshin wussten dies.


    Jonos!“, rief Zarasshin auffordernd, recht ungeduldig, und wandte man sich ihr zu, konnte man sie klettern sehen. Hinauf auf einen Absatz, der kaum genügend Platz für ihren schlanken Körper zu bieten schien. Ein Stein fiel unter ihrem baren Fuß hinab, als sie sich über die Kante schwang. Natürlich hatte sie gesehen, wie gesprochen wurde, desinteressiert hatte die Brise ihr ein Wort zugespielt: Sylphe.
    Eine fahrige Bewegung tat sie, als zerreiße sie ein unsichtbares Spinnengewebe. Ascan, dachte ihr Gefühl und die schwarze Hand wischte, von jähem Ekel überrieselt, dieses unsichtbare Klebrige vom Gesicht. Sie hob den Kopf und schaute Jonos von oben lauernd an; sie hatte die Augen zu glitzernden Schlitzen zusammengekniffen – sie hoffte für ihn, er gehorche ihr. Nichts an ihr war schwach geblieben von jener Zeit, da sie auf den Sylphen getroffen war.
    Auch wenn sie es kaum zugeben würde wollen: wer oder was auch immer der Sylphe gewesen sein oder nicht gewesen sein mochte, die Vorstellung, ihn nicht wiederzusehen, hatte Zarasshin eine Zeit lang nicht ertragen, ebenso wie der Gedanken unerträglich erschienen war, ihm wieder zu begegnen. Etwas rumorte in den dunklen, unerreichbaren Winkeln ihres Kopfs, zu verschlossen, um sich selbst alles einzugestehen oder auch nur fähig zu sein es gar je zu können.
    In der Hocke zog sie an einem Griff, der aus einer niedrigen Nische in der Wand lugte, und sich zuletzt als kniehohe Truhe entpuppte. An ihren ruckartigen Bewegungen konnte man erahnen, dass sie schwerer wog, wie zornig sie jäh wieder war; voller Staub war die Kiste, mit einst silbernen Scharnieren, aus dunklem Holz. Zarasshin klopfte mit der flachen Hand darauf und warf Jonos ein verächtliches Lächeln zu. „Wir werden die Truhe hinablassen, du wirst sie nehmen.“ Tatsachen. Komm zu uns, Männchen.

    Tuireann ahnte, dass es da mehr zu sagen gäbe. So derb ihr Anblick auch war, so feinsinnig war die Erdfee, was Schwingungen anging. Sonst bliebe da kaum Raum zu erraten, welche Nuance der Betonung ihr Zarasshins nächtliche Laune verriet. Dagegen würde sie nie in ein Wesen dringen, um zu erfahren, welchen tragischen Hintergrund eine Geschichte wirklich in sich barg. Tuireann nahm hin, auch wenn sie deutlich zu sehen glaubte: in den Augen Sunas, die auf seinem Gesicht ruhten, lag eine wortlose Zuneigung. Wer liebt, muss fürchten, dachte Tuireann bei sich und bedauerte, dass es Zarasshin gewesen ist, auf die Jonos diese Nacht getroffen war. Er blieb gelassen und schwieg, das mochte sein Glück sein. Nicht anders sollte man ihrem Sturm begegnen, der es sich zur Aufgabe gemacht hatte, die Wellen zu brechen, die auf sie zutrieben, anstatt einfach hindurch zu tauchen.
    So wie sie Zarasshin nicht an allem hindern könnte, was unweigerlich geschehen musste, konnte sie auch das Schicksal nicht beeinflussen. Allein, sie konnte lediglich lenken, ein wenig Einfluss durch ihre Anwesenheit nehmen, sich wie kühlendes Wasser um das brodelnde Gemüt der Schwarzen legen. Tuireann schmunzelte über diesen Vergleich.


    Nur vorneweg gesagt: sich selbst einen Namen geben, sich subjektiv machen, würde ihn auch nicht retten können. Unter ihrer Klinge würde alles sich niederstrecken lassen: Bruder und Schwester, Bekannter und Feind. Unter ihrer Hand nichts gedeihen, was nicht ihren Zweck erfüllte. So nichts, wisset, nichts davon war demnach Hilfsbereitschaft, lediglich Berechnung. Und weder Freund noch Feind war sie, konnte sie das eine niemals werden, das andere dagegen recht schnell.
    Er hatte gezögert, was sie in ihrer Gewissheit nur bekräftigte, dass er sie fürchtete – was sollte das nur, ausgeliefert war er ihr ohnehin. Unentschlossen war sein Blick hin und her gewandert, in der Überlegung ganz versunken. Streng schloss sich ihre Hand zur Faust, einzeln beugte sich jeder ihrer Finger, „Zarasshin!“, zischte es vernehmlich, zugespitzt durch den Akzent der Yassalar. Vergiss den Namen nicht, so wie ich deinen vergessen werde. Merke dir die Stunde, du wirst vielleicht an sie zurückdenken. Ihr schwarzes Gesicht verschmolz endgültig mit einem Schritt rückwärts mit der Finsternis und erst dann zog sie an, nahm ihn mit in die absolute Schwärze des Turmes, als es zuerst über wenige Treppenstufen nach unten ging. Ein enger Schacht, eine Treppe, deren Anfang man nicht zu sehen vermochte, noch das Ende, wenn sie denn eines hatte. Aber so durfte man nicht denken, jeweils einen Schritt nach vorne gehen und der nächste würde folgen auf abgenutzten Stufen. So sollte man meinen, dass eine Treppe ein Ziel hatte, etwas zu verbinden, dies war ihre Eigenheit, ihr Nutzen. Also fürchte dich nicht.


    Ab und an zuckten Zarasshins Schultern, denn ihre Ohren lauschten sensibel auf jedes Geräusch, während sie Jonos sicher führte, bis der Gang sie ausspuckte in ein großes Rund: das Herz des Turmes der Raben. Sie ließ ihren Arm sinken und entzog sich so des Menschen Hand; hier war es nur wenig heller, aber hoch oben fehlte das Dach und ein Grau gab den Augen etwas mehr Sinn. Und sie ging weiter, trat in die Mitte und sah sich um, was verändert war. Es lag mehr Staub auf dem alten Gemäuer, mehrere große Brocken hatten sich gelöst und waren auf den Aufstieg aus festgetretener Erde gefallen, die sich rund um die Innenmauer wandte und dort endete, wo einst ein zweites Stockwerk gewesen sein musste. Unten im Halb, wo Zarasshin stand, fand man nicht einmal mehr die Trümmer der Decke. Wahrlich eine Ruine, mehr nicht … oder?
    Vor ihrem inneren Augen sah Zarasshin silberne Federn, die sich zu mächtigen Flügeln breiteten und ihre Erinnerung blickte in schillernde Pupillen, die so anziehend waren, so dass man sich in die Mitte eines saugenden Wirbels zu werfen bereit war … Ascan, wisperte es nur scheinbar von den Wänden, vielleicht, weil sie es wünschte, aber seine ihr ebenbürtige Anwesenheit war nicht mehr zu spüren. Zarasshins Blick verhärtete sich, als sie bemerkte, dass ihre Gesichtszüge ein Eigenleben entwickelt hatten. Mit einem anmutigen Sprung nahm sie ein kleines Stück Mauerwerk und drehte sich suchend um.

    Der Schein konnte trügen: was untrüglich gerade durchgeschienen, war weder Realität, noch Wunsch – die Yassalar konnte sich keine Freunde erlauben, selbst wenn es sie danach verlangen würde. Sie stützte sich auf sich selbst, sie gab sich Rat und sah in abertausend Wassertropfen nur die Welle, die gegen sie drängte. Zarasshin wusste nicht, wie es war den Kopf anzulehnen, um auszuruhen, eine Entscheidung einmal in geliebte Hände zu legen oder um ihrer selbst willen geschätzt zu werden. Zi’llail behüte uns, würde sie vorlaut abwehren und doch nicht wissen, wovon sie sprach. Sie wusste aber um die Yassalar und, dass ein einmal falsch gewähltes Vertrauen den Untergang bedeuten konnte.
    Selbst Tuireann, die Zarasshin besser zu kennen schien, als jeder andere, war sich bewusst, wie zerbrechlich die Bindung zwischen ihnen war: als zitterte man unter der Beobachtung eines hängenden Tropfens, wann er denn fallen würde und nicht ob er es tat. Dies stand außer Frage. Zarasshin entschied meistens nach ihrem eigenen Vorteil und nichts schien wichtiger und alle Hoffnung, die Suna fühlte, kannte Tuireann nicht.


    Und Erdfee sowie Meereswesen hörten genau zu. Uns interessieren die Landwesen auch, dachte Zarasshin, pflichtete bei und sagte sich, dass es eben diese Hartnäckigkeit wäre, die deren Untergang bedeutete, denn folgerichtig verhieß das Meer ihnen den Tod. Weshalb nicht einsehen, dass das Unterwasserreich nicht noch einmal mehr aufgeteilt werden brauchte? Eindringlinge waren sie – liefen sie auf dem Grund und Boden der Yassalar, der überschwommen gehörte. Zu gerne hätte sie ihnen eine Handvoll Erde mit dem Hinweis entgegen geschleudert, dass dies kein Land zum Laufen sei, doch Tuireanns Stimme hielt sie davon ab.
    Das bedeutet“, folgerte Tuireann, während sie kopfüber vom Eingang hing, „dass er außerhalb der Kuppel geboren wurde.“ Die Haut wie Borke ihrer Wangen verzog sich unter ihrem Grübeln. „Weshalb hast du ihn hier nach unten gebracht, Suna?“ Besprochen wurde der Mann, als wäre er gar nicht da.
    Hast du nicht bedacht, dass sein Leben in der Fremde der Tiefe kläglich sein wird?“, hakte auch Zarasshin nach, die das Innere des Turms musterte und nach der Erdfee griff, die sie von den Steinen klaubte und in ihren Zopf setzte – „Das meinte ich nicht, Zara“, entgegnete Tuireann, die jetzt an dem dicken Strang zwischen Muscheln baumelte.
    Ich auch nicht.
    Die Wasserfee hatte noch mit keinem Wort ihre Gründe erklärt, was sie speziell in diesem gesehen hatte, um seinen Wert für sie zu erklären; und was da gewesen sein musste, war versickert im Erdreich des Sternenmeers.


    Gebt mir Eure Hand, wandte sie sich wieder an den Trockenen und öffnete die schwarze Klaue mit der Handfläche nach oben, deren Umrisse man außerhalb der Pforte eben noch erahnen konnte … wohl ersichtlich aber die Krallen, die leicht nach innen gebogenen, kleinen Dolche. Sie fächerte die Finger leicht und die zart mit Schwimmhaut bewebten Zwischenräume mochten verhindern, dass er seine Finger ganz mit ihren verflechten wollte. Das halbe Lächeln zeigte eine Ahnung des Glanzes ihres Haigebisses … eine Herausforderung, der Zweifel darin, dass er es nicht ohne Zögern wagen würde nach ihrer Hand zu greifen. Trotz der heimlichen Schatten auf ihrem Sein, trotz manch auffälliger Zeichen, war Zarasshin so herrlich lebendig und freundlich, so zauberhaft fähig in ihrem Gebaren, dass man die tödliche Kraft darüber vergessen konnte. Stellt er nun unter Beweis, was seine Fee in ihm sieht?, wisperte es in ihr, schallte von einem Ohr zum anderen, nahm Zarasshin in den Würgegriff ihrer Wachsamkeit.
    Ihre silbernen Augen hoben sich schwer ihm zu, fixierten die Beute, denn schnell kniffen sich ihr die Augen wieder zusammen, denn immer war es, als lauere ihr etwas auf, wenn sie es zuvor nicht genau besah. Nichts, wogegen sie sich noch wehren könnte, der stets lauernde Verrat in ihren Reihen, ließ sie beharrlich auf das völlig Unvorhersehbare prüfen.

    Zarasshin erkannte Enttäuschung und Schmerz, wenn sie diese sah. Und jetzt eindeutig geschrieben in die Stimme und Züge des Mannes neben ihr, als sie geschmeidig seinen sich ausholenden Armen auswich. Er sollte nicht alles so deutlich zeigen, was ihn kränkte, es lud zu Ausnutzung ein. „Du musst ihr viel bedeuten, wenn sie es wagt dich vor einer Yassalar zu beschützen“, wenn es auch nicht Achtung war, die seine Fee für ihn empfand. Zarasshin lachte leise, warf einen erneuten Seitenblick zu ihrem Begleiter und blieb in einem Grinsen hängen.
    Sie wusste nicht zu sagen, weshalb sie sich herabließ, ihm in den Worten einen Hinweis zu geben, aber die Strenge war aus ihrem Gesicht gewichen. „Vielleicht solltest du das, denn mit Disziplin und durch tägliche Übung erreicht man seine Ziele. Wenige nur von euch werden mit natürlichem Können geboren, Talent genügt nicht immer.“ Sie sprach nach vorne, als wolle sie für sich selbst übergehen solches zu einem Fremden sagen. Sie musste hoffentlich nicht erwähnen, dass die Yassalar davon ausgenommen waren, er brauchte sich nicht grämen, wollte er sich zu ihr vergleichen, denn die Zuchtprogramme ihres Volkes ließ nichts anderes zu, als starke Nachkommen.
    Erneut fragte sie sich welches Volk sich in diesem Körper versteckte, unvorstellbar für sie, Menschen hätten sich mit einer Seeschlange gepaart. „Und Magie könnte“, sie maß ihn mit einem Blick, „körperliche Mängel ausgleichen.“ – und den mitleidigen Spott einer Fee mindern. Er musste zugeben, dass er nicht annähernd ein Übermaß an Perfektion besaß. Schwer nur wurde jemand mit diesem Anblick vertraut, legte sie die volle Aufmerksamkeit auf ihn, denn umso verständlicher schien es, dass die silbernen Augensterne die finsterste Nacht zu durchdringen wussten, und ihr Ausdruck war so eindringlich, dass man dabei das Gefühl hatte wie in der Gegenwart von Wahnsinnigen, die ein ganz anderes Dasein führten.



    Tuireann erhob sich fließend, „Was ist an ihm, das dich neugierig machte?“, rief sie jener hinterher und strich sich über das verästelte Haar. Ihr war der Boden vorbehalten, Flügel besaß die Erdfee nicht. Und so sprang sie gleich einer flinken Eidechse die Steinwand entlang, hielt sich an allen Vieren, als gäbe es da nichts zu fallen.
    Ja, Suna“, mischte die Yassalar sich ein, für Sticheleien war auch sie zu haben, „was gab es da anderes außer Armseligkeit zu sehen?“ Davon abgesehen, Zarasshin mochte Lebensgeschichten, die ihr viel über das ihr gegenübertretende Volk verraten konnten – und doch, sie glaubte nicht daran, dass die Trockenen sich würden verteidigen können, sollte die Kuppel eines Tages unter der Welle der Yassalar brechen. Dem ungeachtet, sie würde hilfreiches Wissen nicht verschmähen, sollte man dann auf Widerstand treffen. Was sie wusste, würden dann – unter gewissen Voraussetzungen – alle erfahren.
    Mittlerweile erreichten sie einen Bogen aus großen Steinquadern, in dem eine Holztür schräg in den Angeln hing, die Zarasshin mit einem kräftigen Tritt in das Innere beförderte. Geflattere rauschte durch das Innere des Turmes, Federn stoben auf und Tuireann flitzte an ihnen allen vorbei in die Finsternis, die dort herrschte. Fee sowie Yassalar konnten das Schwarz durchdringen, doch galt dies auch für ihre weniger talentierten Begleiter?