Beiträge von Zarasshin

    Ah, so sah also endlich sein Gesicht aus, wenn es nicht durch ein Grinsen verzogen war. Aber Genugtuung darüber fühlte Zarasshin gerade nicht … mehr sich beträumt, mehr als versuchte sie Sandkörner auf der Handfläche zu halten, die eine Strömung mit sich nahm. Denn wisse, es gab keine Geschöpfe, weder im Meer, noch zu Land, denen eine Yassalar sich ehrfürchtig zeigen würde, Respekt bezeugen nur durch den eigenen Willen herbeigeführt, weil ein Vorteil darin gesehen wird – zweifel daran nicht, dass es ein Zauber war, wenn nicht ein Priester ihres Volkes ihr gegenüber stand, der sie zu Einsicht und Unterwürfigkeit zwang.
    Und das Schmunzeln der Wasserfee war ebenso nicht dazu gemacht, sie wieder zu befrieden, ihr möwenhaftes Kichern nicht gefällig die Einmischung zu verzeihen; auch wenn Zarasshin ahnen mochte, dass es nicht ihr galt – sondern ihm, der mit gespaltener Zunge sprach. Harmlos auszusehen, um dann einem Reptil zu ähneln, das nicht zu zähmen war. Ihre silbernen Brauen senkten sich aufgebracht. Sie hätte besser beobachten sollen, zürnte sie sich selbst, ihn musternd – war es zu erkennen, was er war? Ein schwacher Mann, was sonst?, meinte die Schwester nur, ja, was sonst?


    Die Yassalar drehte sich zur Seite, nicht ganz, nur eine halbe Schulter, aber immerhin folgte sie dem schnellen Flug der Kleinen. Ihre Geste zeigte mehr Interesse, als ihre offensichtliche Gleichgültigkeit gegenüber Tuireanns Anwesenheit. Hatte sie ihre Erdfee jemals mit solch einem zuvorkommenden Lächeln sehen dürfen, wie sie es nun Suna zeigte, die ihre Arme von den Schultern rütteln wollte?
    Zarasshins Kiemen begannen zu flattern, als sie das Kinn neigte … wage es nicht, über uns zu lästern, als sei ich nicht hier, sie fing den dunklen Blick Tuireanns, der sie über die Schulter der anderen Fee traf.
    Ich bin Tuireann, schön dich kennenzulernen, Suna“, mit einem selbstgefälligen Anheben der Mundwinkel sagte sie es, jetzt grinsend; die Beine überschlagen, hob sie sich mit gestreckten Armen an und baumelte über ihrem Sitz hin und her, während ihre Fersen an den Stein klopften. „Dumm ist sie nicht … ihre Schlüsse sind ebenso geschwind wie ihre Vorhaben.“ Hier nun Zwecke, Gründe und Antriebe ihrer anmaßenden Handlungen aus ihrem Vergangensein ins gegenwärtige Licht zu zwingen, das befand die Fee übertrieben: Zarasshin war Yassalar, was gäbe es da zu erklären? Zu schnell war unter ihresgleichen eine Wahrheit dadurch gefälscht, dass sie auf Kosten aller Wahrheiten eine Stelle erhält, die ihr nicht zukommt. Zarasshin nickte. Mit dieser Antwort war sie es zufrieden.
    Ich mag Herausforderungen und gäbe es eine größere, als die Yassalar? Was wäre robuster, als eine Erdfee dies zu meistern?


    Man darf seine Handlungen nicht von plötzlichen Regungen bestimmen lassen, sagte Zarasshin sich und konnte dennoch kaum an sich halten. „Nicht der Hellste also, solange du Muskeln hast …“, sie schnalzte abwertend mit der Zunge, als sie sich selbst dazu zwang Abstand in ihrer Aufmerksamkeit zu nehmen, nahm den Mann sich in die Augenwinkel. Seine Fee war also noch schlechter erzogen, als ihre. „Lass uns weitergehen … dieses … Gerede macht mich … ungeduldig.
    Sie sah ein, dass Feen sich nicht beeinflussen ließen, wusste, dass sie Tuireann nicht einmal erschlagen konnte, um sie zum Schweigen zu bringen. Was für ihn nicht galt und für eine gut gemeinte Drohung war es schließlich nie zu spät: „Wage es nie wieder meine Handlungen durch Magie zu beeinflussen – oder lasst mich danach nie wieder klar denken.

    Dieser Mann hatte sich, abgesunken in eine unbegreifbare Unbesonnenheit, zum eigenen Untergang bereit gehalten, während er nun anscheinend zum ersten Mal ernsthaft nachzudenken begann. Die Drohung diesmal gewichtig in sich aufnehmen … glaubte Zarasshin zu sehen, wie es in ihm arbeitete, seine Augen sie fixierten, seine Lippen sich öffneten und schlossen, ohne sich ihr entziehen zu wollen oder auch zu können. Weshalb musste man erst zu Stahl greifen, damit es Einsicht gab?
    Schweigend war ihr Abwarten, dass er auf die Knie sinken würde, ihre Musterung, von der ihre Gedanken jedoch schon wieder weit entfernt waren, weilten sie bei den kommenden Ereignissen, er nur verschwommene Grauwerte in einer Nacht blieb – eigentlich sah sie ihn gar nicht, bis er ihre Aufmerksamkeit zu sich zurückholte.


    Und dann ertappte sie sich dabei, wie etwas langsam begann in ihr nachzugeben: sie starrte auf seine Zunge, das Zischen, das seine Worte darauf begleitete … ein Perlen wie Wasserblasen begann in ihrer Brust, kitzelte in ihrer Kehle, bereit sich weiter oben in einem absurden Lachen zu lösen – da passten Sehen und Befinden nicht recht aufeinander, kämpften Verstand und Instinkt gegen einander an.
    Schnell und leicht könnte der Stahl durch den Kiefer gleiten, um Fleisch und Lüge zu verbinden, diesem Halbwesen das selbstgewählte Ende zu bereiten, diesem zischelnden Stück Muskel ein Ende bereiten – entschieden war es dem Handgelenk den erlösenden Ruck zu geben …


    … bevor sie allerdings reagieren konnte, musste ihr Blick zu dem kleinen Geschöpf zucken, das sich auf seine Schulter schob, um sich an sie zu wenden.
    Zarasshins Lider halbierten die hellen Pupillen, während sie überzeugt war, dass sie aus eigenem Antrieb den erstarrten Arm mit der Waffe sinken ließ. Unbestreitbar: die Fee hatte den richtigen Zeitpunkt gewählt, ihren Lehrling zu schützen.
    Die Yassalar stand in der Gischt eines ihr unbekannten Meeres, ließ sich von dem Rauschen der Wellen besänftigen, während ihre Schläfe sich zur Seite neigte. Gegen das Schimmern der zarten Flügel hier in der Dunkelheit, konnte Zarasshin sich plötzlich nicht erwehren: ein übernatürlicher Bewohner, der ihr jäh eine beruhigende Ausstrahlung auf die Sinne puderte. „Natürlich“, bedeuteten ihre Lippen unbeabsichtigt, drückten aus, was sie empfand: sie hatte ja gar nicht die Absicht gehabt ihn zu töten, nur ein wenig Ehrfurcht hatte sie dem Männchen einflößen wollen, damit wäre sie zufrieden gewesen, nur das …

    Sein Schrei rüttelte sie auf und mit einem vernehmbaren Grollen fuhr der Dolch in seine Manschette und Zarasshin Schritte zurück. „Schlangenbezungter Magier“, fletschte sie ihr Haigebiss, es klang wie ein Fluch, eine Herausforderung … ein Ärgernis.
    Oh, das solltest du als Kompliment annehmen“, meinte eine rissige Stimme von der Seite her, zu der Zarasshin gar nicht erst den Kopf wenden musste, um zu wissen, wer es sich dort im Gemäuer bequem gemacht hatte. Ihre Fee, so schwarz wie sie selbst, so dass man Tuireann kaum von dem dunkel schattierten Untergrund würde unterscheiden können, robust und grob in der Gestalt – und nichtsdestoweniger der mahnende Finger, der ihre salzigen Entscheidungen zu entschärfen wusste.
    Sozusagen: der letzte Tropfen auf der Waagschale zum Guten hin.

    Da Zarasshin nicht damit rechnete, etwas anderes als einen niederen und schwachen Menschen zu sehen, hatte sie seinen Pupillen wenig Beachtung geschenkt, die ihr ein wenig Aufschluss darüber gegeben hätten, dass ein Schein trügen konnte. Nicht sehr oft zeigte die Yassalar ein anderes als das sichtbare Bild von sich und gab sich, im Gegensatz zu vielen anderen ihrer Rasse, nicht dem Versuch der Täuschung hin. Unverfälscht zeigte sie, was und wer sie war und ist und sein würde … konnte Zarasshin von anderen weniger erwarten? Immer hatte sie die Wahrheit sich zum Spiegelbild gemacht. Zweifellos musste ein jeder wissen, wer dort vor ihm stand und stets damit rechnen, dass ihre unverfälschten Drohungen keine leeren Gebärden waren. Furcht hätte sie durchaus erfreut. Magie in ihm zu finden nicht.
    Jetzt befand sie es nur als äußerst unklug zu lächeln und keine Einsicht zu zeigen – riechen wir Übermut, neben dem Nass? Gut für ihn, dass Zarasshin um ihre Überlegenheit wusste, ein Übermaß an Selbstbewusstsein besaß, so keinen Bedarf an übereilten Demonstrationen hatte. Einzig sah sie an ihm um jede Erfahrung bare Unvernunft: sie nahm an, dass er noch nie eine Begegnung mit einem ihrer Rasse durchstanden hatte.


    Zarasshin erwiderte sein Lächeln, obwohl sie seine Worte als töricht befand. Sie lächelte, als habe ein Kind, dem sie wohlgesinnt war, einen Einwand vorgebracht. Es gab leider keinen Hauch großherziger Wärme in ihr. Wo nur das Dunkel ist, herrscht nicht einmal der Schatten, ganz lichtlos im Gegensatz zu ihm war sie und seine Worte waren anschaulich, das Beben seiner Schultern interessant genug, so dass es sie ein wenig ermunterte es ihn zu lehren, damit die frustrierenden Gedanken sie nicht letztendlich derart zornig machten, um ihren Gesten eine tödliche Note zu verleihen. Da sie etwas von ihm verlangte und er ihr gerade lebend mehr wert war … sie fand also einen Tropfen Toleranz in sich – nichts ist unmöglich, sprach bereits das Kind, später dann die Frau, immer in dem Versuch über sich hinaus zu wachsen.
    Trockenen fehlte einfach der natürliche Instinkt des Begreifens. Ihre Augen schweiften über das Blätterdach, sie fanden aufzuckende Irrlichter, umrissscharfe Glühwürmchen. Die Yassalar mussten ihrem Ruf gerecht werden, weil sie dazu geboren waren und kein Wesen unterlassen konnte, wozu es seiner Natur nach geschaffen war … dann lenkte sie ihren ausdruckslosen Blick zurück zu ihm.


    Eine Hand stützte sich an ihre Rippenbögen – so zuerst ein wenig mit der Beute spielen, ihn in dem Glauben lassen, dass sie lieber denn sein Herz aus der Brust nehmen wollte, somit auf seine Arme Kraft verzichten … und ihn durch seine Kehle entleeren.
    Ihr glaubt also, ich sei dumm“, meinte sie zunächst dazu und schwieg. Obwohl Zarasshin gänzlich ohne die Wärme eines echten Gefühls und aus einer Absicht gesprochen hatte, brauchte er keine Furcht um sein Leben haben. Der Zeitpunkt war längst wieder vergangen und dieser Ort stimmte sie zugegeben … freundlich, „nicht nur, dass Ihr an meinem Verstand zweifelt, sondern Ihr sprecht mir noch dazu die Gabe ab, abgestandene Brühe von frischem Wasser zu unterscheiden.“ Es seiner Geste nachahmend zuckte sie die Schultern.
    Die Spitze ihres Dolches setzte sich sanft an das weich fleischige Dreieck unterhalb seines Kinns. „Ich denke, Ihr solltet niederknien, um Euch selbst zu überzeugen, indem Ihr davon kostet, mh.“ Abgestanden oder frisch?
    Sie bemerkte verärgert, wie in sicherem Abstand zu ihr die Erde zu brodeln begann … ihre Lippen spitzten sich unwillig. Wie immer – der passende Moment.

    Ja gewiss, Waagschalen waren ein interessantes Gerät …
    … für das Schicksal, das sie mit einem Fingertippen neigen konnte, die Schale mancher Vergehen war schnell zum Überwiegen gebracht, so mancher Yassalar lernte den Wert des letzten Tropfens erkennen, das Gewicht des selten gesprochenen Wortes wog schwer …
    … wie sich einem nun erschließt. Und deshalb sollte er seinen Blicken mehr eine Leichtigkeit zugestehen, besser wäre es diese zügiger über sie wandern zu lassen, als die Augäpfel im Leichtsinn zu verlieren.
    Haltung zu wahren war oft eine Herausforderung für die Dunkle. Schwerer als gedacht, als Zarasshin seinen Blick erwiderte, wollte sie dem kühlen Gewährenlassen ihrer Natur entsprechen und ihn sprechen lassen. Hier sollte sich dennoch die Welle brechen, dachte Zarasshin, lauschte sie, wie er sie nach und nach verstimmte, dieser bedenkenlose Narr – und ich bin wirklich nicht kleinlich, zischte die Schwester.


    Ihre Hand vollführte eine schnittige Geste vor der Brust, die meinte, dass es langsam genug der beschämenden Worte sei. Sie sollte den Mann nutzen, wie es ihr zustand, wegen er hier war, gerade da ihr Verstand wusste, dass ein Trockener nicht aus Eigenschaften bestand, sondern aus Kräften und Strebungen, die miteinander im Widerstreit lagen und zum Ende hin immer die kurzsichtige Zerstörung obsiegte.
    Dieser Männliche war das beste Beispiel. Obwohl sie erfahren genug war, um zu wissen, dass man niemanden einen Einzelzug seines Wesens zum Vorwurf machen durfte, vielmehr ein jedes Wesen in seiner Gesamtheit fassen musste, so konnte die Yassalar es doch nicht verhindern, seine absichtlich zur Schau gestellte Dummheit nicht zu verstehen, die sie mit unmutigem Widerwille erfüllte. Alle Gewöhnung konnte es nicht hindern, dass ein grimmiges Flackern ihr durch die geschuppten Gewebe lief, als er in gänzlicher Unbefangenheit diese Sätze sprach. Zarasshin forschte umsonst in seinem beschatteten Gesicht, dass er wusste, was er herausforderte. Umso befremdeter wurde ihr, als sie ja an Unterwerfung gewöhnt war.


    Sie erfror, innerlich, wie äußerlich überzog sie die Eisschicht, deren Kälte in ihr klirrte. Spiel und Ernst, Sein und Schein. Zarasshin spielte niemals. Sie war kein Schein. Und eben stand der Mann auf der Klippe zum Fall, wir hören, oh ja, ich höre dir zu. Seine Gedankengänge blieben … abwegig und für sie nicht nachvollziehbar.
    Ihre Hand wanderte um sein Kinn, und wenn er nicht zurückzucken würde, hielt sie so dann leicht den zerbrechlichen Kiefer zwischen der Spannung ihrer mit Schwimmhaut bewebten Finger. Eine der schwarzen Krallen tippte ihm auf den Wangenknochen, während alle das Blut unter sich vertrieben, in weißen Punkten ruhten. Wich er aus, bliebe dennoch der drohende Fingerzeig, der in einer schwarzen Kralle endete. „Bei Zi’llail“, zischte Zarasshin, während das Violett vor ihre Sicht floss, „beherrscht Eure Zunge, Mann. Dafür haben wir keine Verwendung.“ Schnell wäre sie heraus geschnitten. Aus ihrer linken Armmanschette stieß der blauschimmernde Dolch und, wenn es einen guten Zeitpunkt zum Schweigen gäbe, dann wäre es vielleicht dieser.
    Und da sie ihm nun so nahe war, roch das Meereskind das Wasser an ihm, das sich um seinen Stand herum in einer Pfütze sammelte. Irritiert löste sie Arm und Blick und sah nach unten, während sie einen Schritt zurück tat. Mit der Spitze ihrer Waffe zielte sie dort hin. „Erklärt uns dies.

    Und für wen hier nichts war, der wisse, dass es ein Ort mit Erinnerung für die Yassalar bedeutete. Unter einem letzten steinernen Torbogen blieb sie stehen und sah in die Höhe, die sich als Turm langsam aus der Dunkelheit schälte, in der der Wind spielte und die Raben ihre Nester bauten. Schwarze Federn verbargen die Fußspuren, die sie hier einst hinterlassen hatte – wie lange war es nun schon her?
    Wie so tief versunken ihre Gedanken, so erschreckend plötzlich herausgeholt fand Zarasshin sich, als die Stimme ihres Begleiters sie erreichte. Wahrheitsgemäß? … könnte sie alles sein, doch wenig Gutes entstand gewohnheitsmäßig aus einem Treffen mit einem Yassalar. Alles Erlauschte und Angenommene streifte doch nur kraftlos an einem vorüber, nur aus eigenem Erleben vermag ein jeder das Wesentliche wirklich erlernen.
    Und als sie sich umwandte, strahlte seine Haut so bleich wie der Mond, während er nur ihr grinsendes Gebiss sehen konnte, in dessen Mundwinkel die spitzen Zähne blinkten, und die silbernen Strähnen ihres Zopfes, die sich auf die Schultern legten. Sie war die Dunkelheit der Meere, die lichtlosen Tiefen, in denen seine Welt eines Tages versinken würde … daran glaubte Zarasshin.
    Eigentlich?“, das klang nach Trotz und Aufbegehren, eine Frage nach ihrer Anmaßung. Eindringlich besah sie ihn, was ging da vor hinter der blanken Stirn? Immer waren die Instinkte wissender als die wachen Gedanken, war schon alles vorausgewusst … Zarasshin wunderte sich: nicht bei ihm? Ihr Kopf neigte sich in der Betrachtung … in der Überlegung …


    Ihr findet diesen Körper anziehend …“, es war keine Frage, sondern eine festgestellte Beurteilung, wenn sie dem Weg seiner Augen folgte. Eine Feststellung, die ein Hauch Unglauben durchlief. Sein Unterbewusstsein legte ihr einen Todestrieb nahe wäre Zarasshin schlechterer Laune: ein Männchen, dass in die Sterne greifen mochte.
    Auf von ihm Unberechenbares war sie jederzeit gefasst – nur auf dies eine nicht, dass dieses Nichts eines Trockenen, anfing eine Yassalar zu begehren. Nicht einen Augenblick, und auch nur im flüchtigsten, war es ihr in den Sinn gekommen, sich innerlich vorzustellen, dass unter dieser atmenden, trockenen Form ein Körper sanft fühlte, wartete, der Körper eines sinnlichen Mannes, der wie alle begehrte und begehrt sein wollte, dass er es auch nur wagte sie zu ersehnen.
    Bestimmt hatte nie der Gedanke auch nur schattenhaft Zarasshin durch den Sinn gestreift, dass in seinem harten Körper die gleichen Organe sich spannten und in seinem Bauch die gleiche Lust sich drängen könnte … sie schnaufte herablassend. „Dann betrachtet, was unerreichbar ist“, sagte sie mit leidenschaftlich vibrierender Stimme, „denn es geht nicht um das Wer, sondern um das Was. Ein Name wird für Euch ohne Bedeutung sein.“ So wie es ihr bei ihm noch nicht einmal um das Was ging, trocken, mundatmend, schwach. Mensch oder Elf – sei es ohne Bedeutung. Sollten seine Freunde seinen Namen behalten.

    Gelächelt hatte er, gelächelt und war nicht ihrem leichten Stoß ausgewichen, den so mancher schon als hart empfunden hätte. Sie wusste nicht um den Schmerz, den sie bereits verursacht hatte und selbst wenn, hätte sie es nicht als solches anerkannt. Wahrscheinlich kam es auf das Wesen eines jeden Yassalar an, auf seine Einstellungen und die Hemmschwelle seiner Aggressivität, doch es blieb einfach so, dass es ein Trieb war, der sich kaum kontrollieren, noch lenken ließ, brach er einmal durch den bewussten Willen, da er so ursprünglich und überlebenswichtig war, wie wenig Zarasshin auch sonst begrenzt fühlte: sich an den Ufern zu reiben, da man gesetzt bekam, nach dem letzten Flossenschlag immer noch einen mehr zu wollen, zu provozieren und diese Trockenen zu verachten. Barst nicht die Quelle unter dem Druck, wenn man stets versucht hat, sie verschlossen zu halten, um dann zuletzt die Hand wegzuziehen? Also lieber dosiert verwenden, dann war es auch die innere Schwester zufrieden. Meistens brodelte es nur, begann in den Gliedern zu schmerzen und ihr unbewusst die Augen suchend zu lenken, auch wenn Zarasshin diese Nacht noch lange nicht bereit war, ihren Körper außer Hand zu geben.
    Deshalb grinste sie, für sich, ungesehen – dergleichen konnte sie anerkennen: die Standhaftigkeit und die Kühnheit. Aber wenn er glaubte, dass dies ein Angriff gewesen sei, so sollte er sich gefasst machen, wenn sie erst Anlauf dafür nehmen würde … in den der Fremde nun verfiel. Sie bemerkte seine schnelleren Schritte, sah, wie er sich an ihr vorbei schob und wahrlich … er stellte sich ihr in den Weg, wie Zarasshin amüsiert bemerkte. Eine silberne Braue wölbte sich fragend.


    Sie erwiderte seinen eindringlichen Blick. Und Zarasshins Gesicht zeigte auch die Abneigung offen, obwohl sie ihr Kinn im Gegensatz ergeben neigte und ihm seine hitzigen Worte gewährte. Teilnahmslos und träge nahm sie die bekrallten Finger unter eine jede Achsel, so dass sie sich nicht an ihn werfen würde, während sie zuhörte. Kurz hoben sich die schwarzen Lippen in der Herausforderung seines schneidenden Tons, kurz nur war es der Schattenhai, der aufruckte, in dessen Anwandlung sie sich flüchtig zeigte.
    Teile seines Gehirns, die noch rational arbeiten konnten, die nicht beherrscht wurden von einer archaischen Panik, müssten es erkennen, du bist nicht in Gefahr. Nun. Freiwillig also. Er wendete sich ihre Aufforderung zu seinem eigenen Antrieb? War es dann leichter zu ertragen? Bitte, es zählte nicht, wie er es sich annehmbar machte.
    Ihr seht das ganz richtig“, ganz sanft jetzt, weich rollend die Zunge, fühlte sie sich weder davon angegriffen, noch beleidigt. So war es wohl mehr ein Erfolg, als dass man es als Fehler würde bewerten können – denn, zu seinem Glück, bezog sie die Betonung des Plurals nicht auf sich. Und als er den Weg wieder freigab, „gehen wir.“ Glück eben.


    Langsamer setzte sie jetzt ihren Schritt, so beruhigt wie ihr fremder Begleiter nun, in dem die Wut gezügelt war, die Gischt sich zu sanften Wellen abgeklungen hatte … wollen wir es beinahe friedlich nennen, wie sie nebeneinander gingen, solange sie die Stimmen nicht erhoben?
    Trat man dann unter die wenigen Bäume, die allmählich das Licht zurück zwangen und Dunkelheit unter sich warfen, fand man dazwischen einen, spärlich mit alten Pflastersteinen gezeichneten, Weg zwischen zerbrochenen Säulen, die gen Blätterdach standen, mit weißem oder bereits bemoostem Ton noch stumpf in der spärlichen Helligkeit glitzerten. Zarasshin liebte nicht die luftige und einsame Frischung des Ortes, sondern die Anwesenheit der Einsamkeit, die hier zusammengepresst erschien, als könne sie diese mit einer Faust umschließen. Wer einst am Ende der Straße sein Heim gefunden hatte, wohnte hier nicht mehr und nur die Raben krächzten ihre Stimme in den Wind.

    Kein Vertrauen war es, das sie voran gehen ließ: sondern Arroganz. Was gäbe es ihr zu trotzen? Besser war es immer einen Schritt voran zu machen, als sich umzusehen, damit man sah, was sich heranschleicht.
    Nun, außerdem, sollte er davon rennen, wahrscheinlich würde sie nicht einmal die Kraft verschwenden ihm zu folgen … oder? Eine gute Jagd verlockte stets. Ihr Arm ruckte seicht, als sie einen der metallenen Stifte in die Abschussvorrichtung einrasten ließ – wer sagte etwas von … körperlichem Einsatz? Diese Nacht war sie schon genug gelaufen, während doch Schwimmen ihre bevorzugte Fortbewegungsart war.
    Sie spürte seine Augen, als seien es tastende Hände. Sie spürte es wohl, dann drehte sich auch ihre Schläfe, um mit einem Auge nach hinten sehen zu können und ja, sie wusste, mit was er seine Furcht überzeugte, ablenkte von den beunruhigenden Gedanken, die ansonsten seinen Verstand überflossen hätten. Nur Blicke … zwei Worte, die das Verlangen der Schwester kaum zu zügeln wussten, die Augäpfel drehend zwischen den Fingern fühlen zu wollen. Weshalb so gereizt diese Nacht? Zarasshin wusste durchaus, wie ansehnlich ihr Leib geformt war: welchen Anblick die sich, unter der Haut wie Aale, windenden Muskelstränge boten.

    Hilfe? Zarasshin lachte hörbar, durchaus ein angenehmer Laut. „Ihr irrt“, antwortete sie noch ruhig, noch mit der Erheiterung in der Stimme. Es gab nur Dinge, die sie für sich als zu unwürdig zu tun empfand, „schmeichelt uns nicht, die Worte sind verschwendet.Spart den Atem. Als sie dann plötzlich auch schon herumfuhr, ihm mit einem weit ausgreifenden Schritt nahe war und ihm, würde er nicht schnell genug ausweichen, mit einer Hand vor die Brust stieß, während es ansonsten nur ein unwirscher Wink durch die Nachtluft blieb.
    Ihre Augenfarbe wechselte von silbern zu einem warnenden Violett. „Begeht nicht den Fehler mich mit einem Eurer Weibchen zu verwechseln.“ Die Wirkung ihrer Gegenwart, die ihr Gewohnheit geworden war, und wohl auch das Bewusstsein darum, sonderte sie von diesen Trockenen ab. Die Berührung ihrer Hände wäre so, als würden Abertausende von Messern von der Hand eines Sturms herumgeschleudert, also besser: man reizte sie nicht noch mehr.


    Zarasshin sah an ihm hinab. Er hatte sich benässt? Gewiss führt uns nichts hinaus, um das einmal erleben zu können. Sie fühlte ernüchtert, silbern nahm sich der Groll wieder aus ihren Augen zurück. Sie sah wieder auf und, obwohl es ja für sie selbst wenig beschämend sein musste, fehlten ihr gerade die Worte.
    Ihr Kiefer zitterte, weil sie ihre Zähne zu fest aufeinander presste, ob aus Belustigung oder Unmut ließ sich schwer feststellen. Keine Erklärung, noch Ausflüchte wollte sie hören. Sie verstand ihre Wirkung, die sie auf andere hatte, auch wenn sie die Furcht selbst nicht kannte.
    Mit einem Ruck drehte sie sich ab, um wieder in eine noch strammere Gangart zu verfallen.

    Als er zurück trat, so tat auch Zarasshin es, verschränkte die Finger abwarten miteinander, ließ ihn seine eigenen Schlüsse ziehen, und tastete ebenso mit kaltem Enthusiasmus über seinen Körper. Schattige Ringe malten sich unter seine Augen, glaubte sie Müdigkeit und Hunger in einem Körper erkennen zu können, der Strapazen gewohnt zu sein schien.
    Kein Wort hätte eindrücklicher sein können, als der Augenschein. Geruhsam hatte sie gelernt, dem anderen Atem zu lauschen, um zu erfahren, ob das Herz schneller schlug, das zerbrechliche Leben darin zu begreifen: ein süßer Strom, einschmeichelnder Töne, um ihre empfänglichen Sinne darin zu baden, sie durch Entzücken zu ermatten, wenn sie Anstalten machten zu fliehen.
    Um ihre dunklen Lippen flackerte ein abwertendes Lächeln auf, als sie die Andeutungen eines Grinsens auf seinen Zügen zu sehen glaubte, hast du nun gesehen, was es zu sehen gibt? Gerne würde sie ihm alle Gedankengänge gönnen, die er als Vergleich ziehen mochte, was auch immer er glaubte in ihr zu sehen: die Meinung anderer interessierte Zarasshin nicht.


    Eine unerwartete Verwunderung nahm jedoch in einem dunklen Schatten von ihrem Gesicht Besitz, als sie den Kopf nach seiner Antwort neigte – aber dennoch blieb es unverändert, wie es immer war: stumm und ohne ersichtliche Empfindung wie zuvor.
    So fügsam, so zahm? Keine Wiederworte, keine Fragen nach dem Weshalb? Kein Streit … nur geht voraus?, mit höflich verschränkten Fingern auf dem Rücken … sie hielt sich davon ab, zu ergründen, ob er dort eine Waffe versteckt hielt. Es würde ihm schlecht bekommen. Er wusste was dort vor ihm stand, es war ihm in die Augen geflossen, auch wenn er anscheinend nur die Weibliche sah; und auch, wenn sie an keine von ihm ausgehende Bedrohung glaubte, denn gegen eine Yassalar anzugehen, da fanden nur wenige Mut, so wusste sie doch um die Flügel der Angst. Daneben fand sie weder Argwohn, noch Unwille; allein, sie würde wachsam sein. Das war ihr Urteil heute Nacht.
    Was für ein ärgerliches, kleines Gefühl. Zarasshin zog sich auf würdevolle Art zurück, wie er es nicht mit anderem hätte erreichen können. Sie stimmte mit einem Nicken zu, hielt ihre tödliche Kraft im Zaum, weil die Yassalar ohnehin einfach nie einen Grund brauchte, um zornig zu sein; so dann später eben, nach getaner Arbeit. Später dann. Vielleicht würde sich etwas finden lassen ihn zu reizen ...


    Die Nacht war hell, wie immer in der Stadt. Das seichte Laternenlicht fiel in großen Tropfen durch die Zweige, fiel es über die Kanten der Häuser, durch das löchrige Dach dieser Ansammlungen, es malte rötlichbleiche Flecken vor ihre Schritte und glitt über ihre Arme, überzog farbig die Manschetten, als Zarasshin sich darin bewegte. Es wogte über sie, ein Gitterwerk von Licht und Schatten, mit dem es die Stadt in seinem Netz einfing.
    Die Dunkle genoss es die Straße hinab zu gehen, jeden einzelnen Schritt zu setzen, vom Ballen abzurollen bis hin zu den Zehen, die Arme schwach hängend lassen an den Seiten, die Kiemen weit zu öffnen und zu schließen, um dabei nach dem Mann in ihrem Rücken zu lauschen, den das tränende Schwert in zwei Hälften teilte. Einen Blick über die Schulter gönnte sie sich dann doch, als könnte man dem Gehör eines Meerwesens nicht trauen – maß ihn flüchtig, ob er immer noch so gefügig folgte und war zufrieden mit dem, was sie sah.
    Es war nicht weit. Aber es war ein für sie schwer zu gehender Weg, dem sie bereits jetzt schon folgte. Und auf gewisse Weise war es tröstlich ihn nicht allein gehen zu müssen. Nimm dem Ding die Seele nicht … versuche nicht zu verstehen, sagte sie sich, du zuckst doch nicht zurück, du schreitest weit aus, weil dein Mut noch größer ist.
    Und besser auf andere zeigen, wenn in einem selbst Ungewisses zu finden war – „Wo habt Ihr Eurer Misstrauen zurück gelassen, so dass Ihr einer Yassalar ohne zu zögern folgen könnt?“, fragte sie nach vorne gerichtet und, wenn ihm ihre Stimme so zu leise war, dann würde er aufschließen müssen, um ihr zu erklären, ob er nicht um sein Leben fürchtete.

    Um zu begreifen, was die Höhe ausmacht, musst du dich erst nach oben schwingen, wo du die Tiefe nachempfinden kannst, wo Sprünge den Abgrund überbrücken. Im Strecken, Gleiten, Greifen wächst du über dich hinaus und ziehst dich über die Gefahr hinweg. Ein neuer Abend, eine neue Nacht – eine neue Zeit.
    Bruchstückhaft zogen Dinge an ihrem inneren Auge vorüber, während Zarasshin konzentriert auf einem Dach entlang lief.
    Der Abend hatte sich an seinen Aufstieg zur Nacht gemacht, in der Ferne glomm, was übrig war von einem Tag innerhalb der Kuppel. Die Weite hielt ihr Blickfeld gefangen, fühlte sie sich fast wie von Wind und den Wellen getragen, wogte sie auf ihren ganz eigenen Beweggründen beinahe vergessend einem kaum ersichtlichen Ziel entgegen. Ihr Spiel, ihr Übermut – warf sie sich im Übermut und Eifer hinein in ihr Himmelstreiben, denn man konnte nie genug üben mit einem fremden Element.
    Und doch ermüdete es sie, so dass sie langsamer werden musste. Es war viel schwieriger, die Emotionen zu benennen, die sie jetzt sich selbst im Zorn gegenüber empfand, als eine weite Häuserschlucht zu überspringen. Zu schwerfällig, würde sie es benennen, was andere mit Anmut beschreiben mussten, ja, anerkennen, dass eine Yassalar, geschlüpft in den Weiten des Meeres, selbst in der Leere mit Grazie beschenkt war.
    Ihr fischgleicher Körper war so kühn, in Lust und Jubel und Kampf, erhaben zwischen Erde und Himmel, im Fallen und Jagen und Stürzen, als sei sie ohne Gewicht. Sie stürzte sich nicht nur hinab, sondern auch hinauf, nutzten Ecken, Kanten, Risse im Gemäuer, triumphierte sie über das Gleichgewicht.
    Ein Lachen stieß sie aus, gab es ihren Göttern hin, warf einen grimmigen Blick hinauf, um nur noch schneller zu werden, in Aufforderung, dass man sie niemals fangen könnte, offenbarte sie die Freiheit ihrer Natur. Der Atem der Welt war ihr Pfad, der Arm, der sie wiegte, sie warf.


    Abrupt hielt Zarasshin Asdis inne. Sie schmeckte die Nacht, diese Spur wollte sie haben, flimmerten ihre Jagdinstinkte auf, schlug sie ihren geschmeidigen Körper hinab in eine Bauchlage. Von der Höhe erfasst, zur Tiefe gezwungen fiel sie hinab, landete sie zart und unbemerkt. Wie auch?, – angetan mit schwarzem Meeresleder, dem es kaum möglich war, ihren strammen Leib zu verhüllen, blieb sie eins mit der Finsternis. Handbreite Bänder, die sich wie Schlangen um sie wanden und jede Bewegung lebendig begleiteten. Ihr mächtiger Trieb hetzte sie weiter in eine dunkle Straße, in der ihre leichten, baren Schritte kaum erklangen und das leise Echo übertrug sich auf ihr Blut. Wer hatte behauptet, sie habe kein Ziel diesen Abend? Schnell bewegte sie sich durch das Labyrinth der Stadt dahin zurück, woher sie ursprünglich gekommen war. Und vergangen war aller Spaß, die Ernsthaftigkeit fesselte Zarasshin in die Aufgabe, die sie sich gestellt hatte.
    Es wurde still, die Stadt ging leiser.
    Mit unbewusster Eleganz trat sie zu dem einzigen Mann, den sie hier hatte sehen können. Er war ihr fremd, sie kannte ihn nicht. Aber das war irrelevant, er schien ihr kräftig genug, er stank nach Hafen und Pech, dass er vor ihr Augenmerk geraten war und zimperlich war sie noch nie gewesen.
    Ihr“, sprach sie ihn an und reckte stolz das Kinn, unnahbar waren ihre Schultern gestrafft … siehe ihre Pupillen silbern, Vorsicht, wenn sie violett sich färben, „werdet uns begleiten.“ Man sollte keine voreiligen Schlüsse ziehen, welche Absicht sich hinter einem solchen Angebot verbergen mochte.

    Zarasshins Sehnsucht hatte sich für einen Moment der Schwäche demaskiert. Das Weiche, das stets gestaltlos, unterdrückt und vermummt sein musste, hatte sekundenlang eine bestimmte Gestalt angenommen, die nun durchschimmerte und eine Yassalar, die es fürs Erste nicht zurück zu drängen wusste. Die gespaltene Persönlichkeit, die innere Schwester, wie Zarasshin sie nannte, die schon immer ihren Schatten durch die Haut warf – einen bleichen, verschwommenen, aber doch erkennbaren Schatten: auf die rechte Seite der Brust, auf die herzlose Hälfte – schwieg erfreulicherweise dazu. Diese verdammte nämlich das Weiche, das in dieser Rasse der Welt nichts zu suchen hatte, das sich in Ruhe bringen, ja vielleicht auch blenden ließ von einer Fremden. Doch lasst euch nicht täuschen: Zarasshin war immer wachsam.
    Syrrlithe hatte sich von den Worten mitnehmen lassen, hinunter auf den Grund des weiten Ozeans, wirbelten anscheinend Bilder hinter ihrer Stirn; Zarasshin konnte es beinahe erahnen, wie die Stadt der Yassalar Form dort ebenso annehmen wollte, doch wenig Ansatz für ihre Wirklichkeit finden konnte. Was griffen da alles an Gedankensträngen ineinander, welche Erkenntnisse und welche Frage tollten da über das Gesicht? Zarasshin wusste es nicht zu sagen und fragen würde sie nicht. Und als die Mondschöne den Kopf schüttelte, bewegte auch die Yassalar leicht das Kinn, nein, das Sternenmeer bleibt dir auf ewig verwehrt – und kurz strömte ihr ein unbekanntes Bedauern in den Bauch, das daraus resultierte, dass sie sich flüchtig vorstellte, was ihr selbst bliebe, wenn die brillante Stadt ihr auf einmal versagt wäre.


    Ich habe von Feuer geträumt und es trieb mich hinauf zu den Sternen“, beantwortete Zarasshin ehrlich die Frage für die heutige Nacht; daran war nichts verwerflich, nichts Dunkles, geringfügig Spannendes. Was ihr Volk ferner dazu trieb an Land zu gehen, nun, dies bliebe verschwiegen, war hier nicht von Bedeutung … in Wahrheit: war es nicht für fremde Ohren bestimmt.
    Da war es noch, nicht ganz betäubt, griff es nach ihr, tastete es nach dem Sinnen unter ihrer Haut, von dem Zarasshin vielleicht selbst nicht einmal wusste, dass es vorhanden war; wie Atemzüge tief drinnen, die nach Luft schnappten, während alle einen für tot hielten. Ihre Gedanken ließ die Dunkelheit ringsum noch dichter erscheinen … ich bin ein Fäulnisschimmer in der Schwärze eines Sumpfes, dachte die Yassalar ins Ungewisse.
    Sekundenbruchteile empfand sie die ganze Trostlosigkeit, die ganze Vergeblichkeit, die ganze Müdigkeit … aber auch jeglichen Schmutz, mit dem ihr todbringendes Ich durchtränkt war, und die scharfen Gerüche verzweifelter, untergangstrunkener Angst des Traumes dieser Nacht. Todesschweiß, roch sie ihn zwischen ihren beiden Geisterleibern? Den Alptraum hatte sie mit ins Erwachen genommen. Hoffnungslos sog Zarasshin den widerlichen Geruch ein und aus und schickte den erbärmlich schwachen Fetzen wieder sterben.


    Langsam ließ sie die Handkante zu Boden sinken, so langsam, um Syrrlithes Blick darauf zu ziehen. Eine filigrane Ranke aus Erde ließ sich, gleich einem Wurm, von der sich hebenden, schwarzen Hand mit nach oben nehmen – weniger Tuireanns Erdmagie, mehr die Magie der Erbauer von Zesshin Doraz, wie es den Yassalar bereits stark in die Wiege gelegt wurde. Dies hier benötigte wenig an Kraft, nur Konzentration und … eine geringfügige Prise an Zuneigung.
    Dem schwarzen Finger mit der krallengleichen Zuspitzung folgte der, nur scheinbar instabile Trieb, ließ sich krümmen und in einen Bogen führen, Dornen wuchsen ihm dann aus der Spitze, eine Krone, die lebendig wuchsen, bis sie sich strudelnd ineinander flochten.
    Zufrieden belächelte Zarasshin das kaum eine Handlänge hohe Ding und die innere Stimme grunzte nun fletschend fragend, was die Spielerei hier sollte. „Manches Mal, Syrrlithe, muss man sich abwenden, um die Heimat schätzen zu können.“ Die Gedanken klären vom Schlick, um wieder zu wissen, zu was man zurückkehrt.

    Zarasshin lachte rau. Sie hatte vom Dunklen Schlaf gesprochen, der endgültig jedes Leben zu sich nahm und es den Göttern schenkte darüber zu richten. Einen kannte sie, der ihnen entkommen war, der zurückgekehrt war aus seinem Schicksal, welches sie selbst, Zarasshin Asdis, ihm gegeben, und ein neues erlangt hatte. Ob es nun ein gutes oder schlechtes sei, das wusste sie nicht zu sagen, den verwirrten Edelelfen hatte sie schon seit Langem nicht mehr getroffen. Möglich, dass er sich wieder auf Reisen begeben hatte, zumindest, da war sie sich sicher, hätte ihr Juveno etwas über den Westen von Beleriar erzählen können. Sie wusste hingegen nichts. Und es rumorte ärgerlich in ihr. Es wäre um einiges leichter zu entscheiden, wie sie sich zu verhalten hätte, wenn sie wüsste, welches Wesen hier vor ihr saß. Ein Wald konnte, insofern er noch stand und nicht nur seinen Namen gab, freundliche Bewohner hervorbringen, so weich wie seine Blätter, so doch auch Raubtiere, die des nachts auf die Jagd gingen – ihr Instinkt riss sie in die Richtung der Vermutung, die ihr besser gefallen mochte, als sie zuzugeben bereit wäre.


    Zesshin Doraz ist mehr als eine Heimat“, flüsterte Zarasshin, versuchte in Konzentration auf das Reich der Yassalar das wachsende Unbehagen zu ignorieren, das sie schon in den Stand getrieben hatte, „es ist das hungrige und alles umfassende Reich des Meeres, in dessen Mitte ein ruheloses Herz, namens Zarasshin, schlägt.“ Der Sehnsucht Klang war geständiger, als alles, was gesagt werden könnte, die Wahrheit aber ein verstecktes Maß an Beherrschung darin. Zesshin Doraz war ein zweischneidiges Schwert, sowohl von Vorteil als auch nachteilig, jedoch auf jeden Fall scharf.
    Sie sah auf Syrrlithe herab und wieder fühlte sie sich gedrängt Abstand zu nehmen, angezogen und abgestoßen, ein unangenehmes Gefühl der Unordnung, das ihr mehr als unbekannt war. Ihre reine Freundlichkeit könnte Zarasshin schon zermürben; wahrscheinlich traf man nur einmal in einem Jahrhundert auf solch eine Ausstrahlung, in der magische Schönheit vereint war mit betörender Bedrohung, so dass man sich selbst ganz schlecht und verdorben fühlte.


    Sie sank wieder in die Hocke, zupfte an einem Grasbüschel vor ihren baren Füßen, nahm aber ihren Blick nicht aus dem wunderschönen Gesicht. „Ihr könnt es Euch nicht vorstellen“, ahnte sie, denn so erging es allen Trockenen, die ihre Welt unter Wasser nicht zu teilen vermochten, während sie hier unbehelligt sein konnte und atmete. Und besser war es für diese Mondschöne, befand Zarasshin, denn gleich dem Gebiss eines Schattenhais, gab Zesshin Doraz seine Opfer ungern wieder frei. „Des Meeres Schwerelosigkeit trägt die filigranen Bauwerke Zarasshins, Türme von reinem Saphirblau, die spinnwebartige Brücken verbinden und märchenhafte Gärten überspannen“, sie lächelte wehmütig, „ich habe an keinem Ort je Vergleichbares gesehen.

    Also lagen der Yassalar Gedanken nicht in deren Reichweite und so konnte die Fremde nicht wissen, was da vorging. Interessant? Keineswegs, allein auf ein Ziel ausgerichtet, das nicht schwer zu erraten war. „Nein, Ihr verkennt die Yassalar“, antwortete Zarasshin dann auch erklärend auf deren erste Annahme und blickte sehr ernst auf den Mondenteich hinaus, sie wusste, es gab Opfer, die man nicht annehmen durfte, „der Tod erinnert uns bloß an die Kürze des Lebens, so dass wir aus den Knochen mahnend zu lesen vermögen, es zu genießen.“ Aber auch dieser Genuss mochte in Zesshin Doraz manches Mal schwer fallen. „Ich, Zarasshin, klage mein Schicksal nicht mehr an, Syrrlithe, bin ich erst einmal blutleer und im Meer treibend.“ Eine Tatsache. Den Schattenhaien ihr Fleisch. So wie es ihres war Tod zu säen und Anklage zu ernten, doch selbst klagen stand Zarasshin nicht.
    Der fremde Name floss ihr leicht über die Zunge. Er nahm seinen Platz ganz selbstverständlich in ihrem Satz ein, der den ihren, einem Zischen gleich, zuerst nannte. Zuletzt erhielt er den harten Klang des Z'sharr, der ihn abrupt abhackte, sie erwiderte das Schmunzeln nicht. Alles wurde ihnen einverleibt, nichts würde bleiben, wie es war.


    Dicht über dem See tauchte ihre Nachtsicht alles in ein faulig schwefliges Licht, angerührt von einem weißen Nebel. Selbst das frische, im Wasser gebadete, Grün des Grases schien das unirdische, falbe Glutlicht in sich einzusaugen und wieder auszuspeien, denn darin gab es keine Wärme mehr … ein Licht, wie von den Göttern dazu ausersehen, dem Weltuntergang zu leuchten. Krank, aussätzig, eitergelb, ensetzenerregend und ranzig fiel es auf Zarasshin und ebenso im Vertrocknen begriffen fühlte sie sich auch. Eine noch zu verachtende Schwäche. Sie drückte ihre Schenkel durch, hob ihr Kinn und stand hoch aufgerichtet am Ufer. „Wo liegt der Schattenforst?“, fragte sie beiläufig, dann eben durch den Hintereingang, als sich ihre Augen zu Schlitzen verengten – das Meer war unruhig heute Nacht, der Mondenteich fühlte seine Klauen in den Eingeweiden wühlen. Und ihr gefiel nicht, wie Syrrlithe mit ihr sprach. Deshalb sah Zarasshin sanft lächelnd hinab: spielt nur mit der Yassalar, ich vergesse nichts. Fließend, wie Ebbe und Flut, wie Wellen türmend, sanft wie sich ausbreitende Ringe … Zarasshin war das Meer. Jede Kleinigkeit würde sich zu einem Ganzen zusammen setzen lassen, jeder Tropfen ergab mit vielen einen Ozean. Sie würde versuchen zu verweilen, nah und hier zu sein, es nicht aus der Höhe zu betrachten, sondern im Kleinen. Ein Ton, eine Silbe, eine Regung, ein Klang von vielen. Wahnsinn wäre, auch nur eines davon zu verkennen.

    Und weil es keine konkreten Anzeichen eines Vorhabens in den Augen der Yassalar gab, kühlte der erste Schrecken in dem fremden Blick wieder ab. Die Effekthascherei war gelungen, offenbart, dass da sich etwas locken ließ, etwas schrecken, doch gut getarnt unter dem Eis, das vom ersten Augenblick der Bedrohung an in der Mondschönen ganzen Haltung gelegen hatte. In den Tiefen der stürmischen Augen durfte die aufgestöberte Furcht sich regen, nur nicht übergreifen auf den ganzen Leib, nur nicht das, nicht die Handlung befehligen, noch bange Worte auf die Zunge legen. Der Geist befahl dem Fleisch. Und Zarasshin wurde nich enttäuscht.
    Nichts mehr von der Hitze in ihrem Gegenüber war geblieben und Zarasshin fühlte, wie das Eis zu ihr selbst hinübersprang, sich im Geäst ihrer Adern ausbreitete, wie es vom Blick zum Herzen her auswuchs, ein gläserner Baum der Gleichgültigkeit, wie es Gehirn und Nerven mit weißen Kristallen bedeckte und die Haut mit einem starren Panzer überzog. Es blieb nur zu denken, dass sie es ja gar nicht wollte, sie jene im Grunde hatte schonen wollen, von der Kälte der Yassalar fernhalten, mit der ihre Grausamkeit sie vereist hat bis in das Herz. Auch wenn alle darin erfrieren sollten, diese ja nicht. Diese nicht.


    Ihr Mundwinkel hob sich zu einem grausamen Imitat eines Lächelns, als sie abgewiesen wurde, ein Zischen erreichte sie in den Worten, untermalt von einem Grollen, wie ein Seebeben. „Ja, das bin ich wohl.“ Zu nah. Vielleicht.
    Und Zarasshin? Was empfand sie nun? Sie wusste es selbst kaum, sie könnte es nicht beschreiben. Eine außergewöhnliche Anziehung, doch niemals wären es ihre Worte … eine spirituelle Euphorie, würde ein anderer es beschreiben; Faszination, meinte die Schwester: alles zurückweichende Leben würde ein Magnet sein, der ihre Seele anzog. Wenn sie uns jedoch nicht fürchtet, muss sie sich stärker wissen?
    Was tief in den fremden Augen eine sich türmende Welle lang zucken durfte, stöberte Zarasshins Herz auf und die Wogen ihrer Freude schwangen sich bei diesem Anblick auf, anstatt zu nieder zu brechen, die Schauer über die Schüppchen hatte sie zu ertragen, die Ohnmacht der Empfindungen hatte fast ihren Höhepunkt erreicht.
    In ihrer Hand könnten Strafe und Liebkosung sein, Schmerz und Freude lagen nah beieinander – was nun? Sie fühlte die Verzweiflung wie ein lauerndes Tier, das auf ihrer Brust saß. Wenn die Fremde nur einmal wagte, einen Blick auf sie zu richten, einen, der ihr Blut nicht in Begehren in Wallung bringen würde, sei es entschieden … was dann? Was? Doch so … eine wie uns.


    So rollte sie zurück auf die Fersen und fühlte weder beleidigt, noch verwundert. Nur ein Hauch dessen blieb, dass sie glaubte, nur aufgrund eines guten Willens zu leben – lächerlich!
    Man hatte ihr die eigene Reaktion gezeigt, ein Spiegel dessen, wie sie selbst reagiert hätte. Eine wie uns. Und gespürt, was man spüren musste, wenn zwei Wellen aufeinanderprallten. Eine Reflexion, ein Echo der eigenen Kraft und des Willens; die Herausforderung war angenommen und in der Mitte sank man vereint zusammen, während ein Nass das andere überrollte, das andere es unterspülte … Zarasshin nickte wenig verunsichert, „Ich bereue nichts“, ganz trocken, denn damit verbunden müsste das Bewusstsein von Unrecht sein, ein Bedauern oder das Gefühl der Schuld – und doch war sie die Erste, die den Blick aus dem starren Fixieren nahm. Eine Verschwendung der Zeit die Vergangenheit sich ungetan zu wünschen. Anstatt zu bedauern, sollte man versuchen die Ergebnisse zu verändern, die unwillkommen waren, anstatt sie hinzunehmen. „Weshalb glaubt Ihr, dass ich überhaupt etwas bedauern könnte?“ Nicht nur glauben, auch so überzeugt davon ... Mancher starb lächelnd bei seiner Tat. Und immer würde Zarasshin mit den Konsequenzen leben, die sie heraufbeschwor.


    Sie zog ihren jetzt wieder silbernen Blick zurück zu der Fremden. Noch immer sah sie ihr kein bekanntes Volk in den Zügen. Scheinbare Fingerzeige war sie nicht geneigt gewichtig zu nehmen und der unverhohlene Spuk ihrer Wünsche verzerrte ihr die klare Folgekraft ihrer Denkwelt. Mit einer heftigen Sehnsucht, dachte sie, es müsse eine Freude sein, sich nach vorne zu lehnen, sich aufzuspießen auf den stechenden Blick, auch wenn sie nicht dazu geschaffen war, freiwillig zu leiden. Umso befremdeter kam ihr zu Sinn, als sie ja an Unterwerfung gewöhnt war, dass sie gerade bereit war ihre strenge Haltung aufzugeben.
    Seid Ihr fähig in meinen Gedanken zu lesen?“, nahm Zarasshin ihre Frage wieder auf und sie tippte sich abwägend in an die Schläfe, nahezu belustigt, was es in den schwarzen Strängen zu entdecken gäbe, „Sagt nun: was seid Ihr?“ Was verbarg sie – was war sie noch nicht bereit zu zeigen? Was muss ich meinem Volk vor Augen halten, was könnte die Priesterinnen an euch interessieren?