Der Priester wirkte ein wenig erstaunt. Dieser Mann war ihm nicht unbekannt und schon seit langer Zeit war er nicht mehr in dieser Stadt gewesen. Er wusste, dass seine Herrin eine gewisse Schwäche für ihn besaß, denn mit seinem Eifer hatte er sich seinerzeit unverzichtbar gemacht. Ein gewisses Gefühl des Grolls brodelte in ihm. Seitdem der dunkle Mensch gegangen war, war er selbst, Sirenor, in Sharinoes Gunst aufgestiegen. Würde es nun bedeuten, dass er seinen Platz verlieren würde?
Trotzdem verneigte er sich ehrerbietig und nahm die Nachricht entgegen, um sie der Herrin zu überbringen.
„Wartet hier. Ich werde die Herrin über Euer Kommen informieren.“
Mit diesen knappen Worten verschwand er in den Schatten und es dauerte eine Weile, bis er plötzlich wieder daraus auftauchte und Brennan zunickte.
„Kommt, die Hohepriesterin erwartet Euch.“
In der Tat. Sirenor hatte gehofft, dass sie sich ein wenig Zeit lassen würde, bis sie diesen Mann empfing. Doch sofort, nachdem sie die Nachricht gelesen hatte, hatte sie nach ihm verlangt. Und für gewöhnlich war es besser, Sharinoe Gehorsam zu zeigen.
Also ging der Schattenelf voran. So hochmütig, wie man es von einem Angehörigen seines Volkes erwartete. Vor Sharinoes Gemächer angekommen, öffnete er die Tür und trat beiseite, um Brennan einzulassen, schloss sie dann sogleich wieder, als er den Wink der Hohepriesterin erblickte, die ihn dazu aufforderte, sich zurückzuziehen.
Sharinoe war allein. Sanftes Licht aus weißlichen, schwebenden Kugeln erhellte ihren Arbeitstisch und die Dokumente, die darauf ausgebreitet lagen. Eines davon war die Nachricht aus Shay’vinyar, die noch immer offen vor ihr lag.
Eine frische Brise drang durch das offene Fenster herein und ließ die schwarzen Seidenvorhänge sanft flattern. Es war ein luftiger, lauer Tag, dessen Licht jedoch nur schwach in den Palast der Nacht eindrang.
Die Hohepriesterin war so schön wie immer. Doch Sorgen zeichneten ihr Gesicht und ersetzten ihre sonst stets majestätische Haltung. Sorgen, die größer schienen, nachdem sie die Botschaft von Evoras Tenyor, des Hohepriesters des dortigen des Tempels gelesen hatte. Beinahe wirkte sie klein. Kleiner als sonst. Es war ein erschreckender Blick hinter eine sonst so perfekte Fassade, die ihr niemals entglitt.
Trotzdem zierte ein leichtes Lächeln ihr Gesicht, als sie Brennan die Hände entgegen hielt.
„Brennan, mein Lieber. Es erfreut mein Herz, dass ihr den Weg zurück nach Nir’alenar gefunden habt. Beinahe habe ich befürchtet, dass ihr niemals mehr zurückkehren würdet. Und ich bin mir nicht sicher, ob ich Euch böse sein sollte, dass Ihr uns einfach verlassen habt.“