Beiträge von Sehnsucht

    Elarus Stirn legte sich für den Bruchteil eines Augenblicks in Falten und seine langen Finger strichen nachdenklich über seinen Bart, so als müsse er erst über die Worte des Djirin nachsinnen. Schließlich schlich sich das gewinnende Lächeln zurück auf seine Züge und er griff nach einer kleinen, unscheinbar wirkenden Phiole aus zerkratztem Silber. Mit einem triumphierend wirkenden Blick präsentierte er das Gefäß, drehte es, so daß sein Kunde alle Seiten davon begutachten konnte.


    "Also benötigt ihr etwas, daß jede Frau begehrt, nicht wahr? Schenkt ihnen Schönheit, die sie für das Auge aller anziehend machen wird. Nur wenige Tropfen davon in ein Glas roten Kirschweines, wenn die vierte Stunde der Nacht angebrochen ist und ich schwöre euch, daß ihr euren Augen nicht mehr trauen werdet, wenn ihr sie am nächsten Morgen zu Gesicht bekommt."

    Ein leises Stöhnen entwand sich den Lippen der ohnmächtigen Djirin. Kaum merklich hob und senkte sich ihr Brustkorb, doch sie erwachte nicht. Die Schwärze im Inneren des Zeltes hielt für wenige Atemzüge an, doch löste sich dann langsam, als ob sich ein schwerer Schleier von den Wesen in seinem Inneren hob. Trotzdem blieb es dämmerig, nur wenig Licht drang von dem Zwielicht, das über dem Jahrmarkt lag, durch den schweren Stoff hindurch. Nur schemenhaft war die zerbrochene Kugel zu erkennen, aus der die Schwärze hervorgegangen war. Ein einzelner, silberner Stern lag inmitten der Scherben, einer Mahnung gleich. Das Zeichen einer eifersüchtigen Göttin, die keine Einmischung sterblicher Wesen in ihre Belange duldete.


    OOC Kommentar:
    Darcas, im Zelt war es stockdunkel und damit ist keine normale Dunkelheit gemeint, sondern eine offenbar magische, die förmlich blind macht. Nur so am Rande angemerkt.;)

    Der Djirin war fordernd, das war gut. Elaru witterte ein gutes Geschäft und ein Glitzern trat in seine Augen. Geschwind stellte er weitere Waren vor seinem Kunden ab und wies auf die vielzähligen, fein verzierten Fläschchen und Essenzen, die nun dort aufgereiht waren.


    "Warum erzählt ihr mir nicht ein wenig mehr über die Damen, denen ihr Präsente machen möchtet? Oder worauf ihr bei ihnen Wert legt? Gibt es Makel, die ihr zu entfernen wünscht? Wer wäre besser dazu geeignet, diese Entscheidung zu treffen als der Mann, dem die Schönheit seiner Frauen am Herzen liegt?"


    Elaru lächelte verschlagen. Er hatte den Djirin am Haken. Er wusste, daß es in den Landen, aus denen er stammte, an der Tagesordnung war, daß ein Mann mehrere Frauen sein Eigen nannte und so ging er davon aus, daß es sich hierbei nicht unbedingt um Angestellte handelte. Wie auch immer, der Vorteil lag eindeutig auf Elarus Seite...

    "Fürchten... nein, fürchten musst Du auch nicht mich. Fürchten solltest Du allein euch Dich und Deinen Hochmut."


    Die Djirin lachte leise, amüsiert über das Auftreten des Yassalar. Denn sie hatte es kaum anders erwartet von seinesgleichen. Zumindest schien er jedoch über genügend Verstand zu verfügen, um seine Haltung zu ändern... oder es wenigstens zu versuchen. Noch immer lächelnd wandte sich Madame Anora zu der dunklen Frau um, deren Fragen die Stille geteilt hatten.


    "So manches Schicksal möchte geändert werden und so mancher möchte sein Schicksal nicht ändern... manchmal sind unsere Versuche von Erfolg gekrönt, doch wer sagt, daß diese nicht das wahre Schicksal gewesen sind und es uns auf seinem Wege nur einen Streich gespielt hat? Am Ende erreicht das Schicksal immer sein Ziel... und verändert sich selbst, einer Schlange gleich, die sich um sich selbst windet. So lass mich sehen, was das Schicksal für Dich bereit halten mag, mein Kind, bevor Du es ändern möchtest."


    Madame Anoras dunkle Augen versanken im Inneren ihrer Kugel, tauchten in die Wirbel ein, deren Bedeutung nur sie allein zu entschlüsseln vermochte. Ihre Finger liebkosten den kühlen Kristall wie einen Liebhaber, dem sie Freude zu bereiten wünschte. Für einen langen Moment betrachtete sie das, was sie in ihren Tiefen sah, bevor ein tiefes Seufzen über ihre Lippen drang und ihre Augen sich erneut auf Shiarée hefteten. Ihre Stimme hatte einen tiefen, dunklen Klang, schien wieder aus weiter Ferne durch die Nebel zu dringen.


    "Glück... Glück ist es, was jedes Lebewesen zu finden hofft. Doch weißt Du selbst, was Glück für Dich bedeutet? Denn nur dann, wenn Du selbst entschlüsselt hast, was Du Dir wirklich wünscht, so wird Dir Glück beschieden sein.
    Doch ich sehe eine Entscheidung, die Du treffen musst. Eine schwere Entscheidung, die Dein Leben für immer verändern wird, oder es zum Stillstand verdammt..."


    Erneut tauchten ihre Augen in die Kugel ein, weiteten sich dann in stummem Entsetzen, bevor sie sich trübten und Madame Anora auf ihrem Kissen zusammen sank, scheinbar leblos. Die Kugel wurde schwarz, dann barst sie, zerbrach in tausend Scherben, aus denen reine Dunkelheit hervor quoll. Alle Kerzen in dem blauen Zelt erloschen, gleich dem Licht in Madame Anoras Augen, und Schwärze löschte jeden hellen Schein aus, nahm die Sicht, so als seien die Augen blind geworden...

    "Oh, die Spiegel zeigen mir die Wahrheit, so wie sie jeder Seele die Wahrheit über sich selbst offenbaren. Und das werden sie auch für euch tun... verzeiht, wenn ich euch gestört habe, bevor sie dies zu tun vermochten."


    Sehnsucht verneigte sich entschuldigend und trat einige Schritte zurück, entfernte sich jedoch noch nicht, während sie die Augen durch das Labyrinth schweifen ließ. Sie erblickte die Satyrfrau und eine Elfe, nicht weit entfernt. Der Anblick ließ sie auf rätselhafte Weise lächeln, ohne daß der Grund dafür offenbar wurde. In der Tat, die Spiegel zeigten die Wahrheit, die niemand sehen wollte... und diese beiden hatten sie bereits zu spüren bekommen.

    Elarus Stirn legte sich für einen Augenblick in Falten, als das Interesse seines Kunden in anderen Regionen abzugleiten schien. Solcherlei war niemals gut, denn nur allzu schnell erlosch dann der Wille, einen Kauf auch wirklich abzuschließen. Es wäre besser, die offenen Fragen schnell zu klären, um wieder zum Kern des Unterfangens zurückkehren zu können.


    "Es ist kein Geheimnis, daß Madame Anora dem Volke der Djirin entstammt. Ihr könnt ihr Zelt kaum verfehlen."


    Kurz und knapp gesprochen. Schnell fassten Elarus geschickte Hände nach dem nächsten Tiegel. Prachtvoll war er anzusehen. Von silberner Farbe und aufwendig verziert. Ein Spiegel prangte auf seinem Deckel und gab Jamils Gesicht auf eine leicht verzerrte Weise wieder. Offenbar hatte er während des Transportes leiden müssen.


    "Wie wäre es hiermit? Die Essenz des zauberhaften Auges wird sicherlich die Augen eurer fleissigen Mädchen erfreuen, wenn sie am nächsten Tag in den Spiegel schauen. Jede Erscheinung des Alterns wird verschwunden sein, sobald sie nach einer Nacht erholsamen Schlafes wieder erwachen..."


    Er lächelte einladend, während er den Tiegel präsentierte, verschwieg jedoch, daß diese Nacht auch in der Tat erholsam sein musste, damit die Essenz ihre Wirkung überhaupt zu entfalten vermochte.

    "Wagst Du es nicht, in der Sprache der Insel zu sprechen, wenn Du mir mit Trotz begegnen möchtest? Glaubst Du denn, niemand verstünde Deine Worte? Oder möchtest Du ihre mangelnde Klugheit verbergen?"


    Madame Anora lachte leise. Ihre Stimme klang, als müsse sie eine weite Entfernung überwinden, die zwischen ihr und den Besuchern ihres Zeltes bestand. Ihre Augen ruhten auf dem Yassalar, schienen durch ihn hindurch zu blicken, so als ob sie es vermochten, alles zu sehen, was sie wünschte. So verharrte sie für einen langen Augenblick, bevor sie die andere Frau einer kurzen Musterung unterzog und sich doch noch einmal zu ihm umwandte.


    "Frage Dich selbst, warum Dich Deine Füße an diesen Ort geführt haben, wenn Du noch nicht einmal den Mut hast, mir die Stirn zu bieten. Denn wie sollst Du dann Deinem Schicksal in das Auge blicken?"


    Die hoch gewachsene Djirin verstummte, eine Spur ihres Amusements noch immer in den dunklen Augen glitzernd. Ihr Blick verließ den Yassalar, heftete sich auf die dunkle Gestalt der Frau, die ihrem Wink Folge geleistet hatte. Langsam trat sie hinter ihrem Tisch hervor, näherte sich ihr, um ihr in die Augen zu blicken.


    "Zu Folgen bist Du gewohnt, mein Kind. Und doch ist Dein Wille stark. Ich spüre Deinen Mut... Du wirst das Schicksal herausfordern und ihm entgegen treten. So sage mir, was Du zu sehen wünschst."


    Der Nebel wallte auf, als sie sich umdrehte und hinter ihrem Tisch auf einem Kissen niedersank. Es war schwer zu atmen, schwer zu denken, während die dichten Schwaden durch jede Pore des Körpers zu dringen schienen. Ruhig wartete die Djirin ab, blickte in die Tiefen ihrer Kugel, in der ein leichter, farbiger Wirbel tanzte...

    Ein weiteres, kurzes Beben und das Karussell ruhte wieder. Drehte sich weiter, als sei niemals etwas geschehen. Die dunklen Flecken, gerade noch so überwältigend in ihrer Präsenz, verblassten, lösten sich auf. Ebenso, wie es die weiße Frau getan hatte. Eine weitere Runde noch und nichts mehr erinnerte an das erschreckende Erlebnis. Es war vergangen, einer Täuschung der Sinne gleich.


    Doch konnte es sein, daß sich die Sinne dreier Wesen gleichzeitig hatten täuschen lassen?


    Unvermittelt hielt das Karussell an. Ein klagender Ton zog durch die Musik, traurig und leise, voller Schwermut. Dann verstummte auch sie.

    Ein leiser Luftzug strich durch das Labyrinth, als Sehnsucht leise auf dem Boden hinter der Frau mit der dunklen Haut aufsetzte. Ihre dunklen, schimmernden Schwingen falteten sich auf ihrem Rücken, ein majestätischer Anblick, von einer seltsamen Schöheit durchdrungen. Mit kaum hörbaren Schritten trat sie hinter die exotisch anmutende Frau, die ihr Bild im Spiegel ansah und ihre Stimme war so sanft wie ein Windhauch in einer lauen Sommernacht, als sie sie schließlich ansprach.


    "Die Welt der Spiegel ist faszinierend, nicht wahr? Manchmal zeigt sie uns nur unser Antlitz, manchmal Dinge, die wir nicht wissen und die wir nicht sehen wollen. Und manchmal auch Dinge, die wir gerne sehen möchten. Was zeigt sie euch?"


    Sehnsucht schwieg, wartete, bis die Frau ihrer gewahr wurde.

    "Was euer Herz begehrt zu erraten, fällt mir nicht schwer. Doch ich glaube nicht, daß ihr es kaufen möchtet."


    Elaru lächelte schief. In der Tat mussten einige Flaschen für den Djirin verführerisch sein, doch diese würde er wohl kaum erwerben wollen. Doch wenn er sich dachte, daß es einfach werden würde, ihn zu bestehlen, so hatte er sich geirrt. Allerdings wäre es kaum dienlich für sein Geschäft, wenn er ihm dies offenbaren würde.
    So nahm er also einen der kleinen Tiegel zur Hand - ein goldenes Gefäß mit kleinen Rubinsplittern besetzt, die jedoch genauso wenig echt waren, wie die goldene Farbe des Metalls - und bot es seinem Kunden dar.


    "Also müsst ihr auf der Suche nach einem Geschenk sein. Einem Geschenk für die Dame eures Herzens womöglich... der ihr die Freude ewiger Schönheit machen wollt? Den Prozess der Alterung aufhalten, die Jugend wiederbringen, die verloren erscheint?"

    Ja, normal waren viele Wesen auf diesem Jahrmarkt, doch manch eines war es vielleicht auch nicht...


    Die weiße Frau senkte den Kopf, schüttelte ihn langsam. Trauer stand in ihren Augen, während sie gleichsam verging, durchscheinend wurde und sich auflöste. Nur einige Sekunden vergingen und schon war es so, als habe es sie niemals gegeben. Eine Sinnestäuschung nur, nicht von fester Gestalt, ohne Substanz. Hatte es sie überhaupt jemals gegeben oder war sie eine Frucht der überreizten Sinne, ein Streich?
    Dann quoll es aus dem Boden hervor, befleckte das Karussell und die Pferde. Ein dunkles, schimmerndes Rot. Kleine Flecken, manche feucht, andere zu schwarzen Flecken vertrocknet.


    Ein Beben lief durch das Karussell...

    Männer waren seltene Besucher an Elarus Stand. Gemeinhin waren es die Frauen, die von dem Versprechen ewiger Schönheit angelockt wurden und die sich dankbar in seine Hände begaben. Er musterte ihn aus den Augenwinkeln. Dunkle Haut, hoch gewachsen. Ein Djirin. Elaru kannte dieses Volk. Er würde auf seine Flaschen achten müssen, auch wenn er seit seiner Bekanntschaft mit Madame Anora ohnehin keine prachtvollen Gefäße mehr an seinem Stand aufbewahrte. Doch man konnte niemals voraussehen, welche Vorlieben ein Vertreter dieses Volkes wohl haben mochte und was ihn verlockte.


    Mit einem gewinnenden Lächeln drehte er sich zu seinem Kunden um, eine weitläufige Bewegung bot seine Waren dar, so als habe er einen imaginären Vorhang gelüftet, der sie zuvor verdeckt hatte.


    "Ich biete euch, was ihr sucht. Nicht mehr und nicht weniger."

    "Zwei Wesen, gemeinsam. Und doch getrennt."


    Der Ursprung der dunklen Stimme war nicht zu erkennen, in diesen ersten Augenblicken im Inneren des Zeltes. Neblige Schwaden verwirrten das Auge, betäubten die Sinne und ließen die Gedanken schwer fließen, als bestünden sie aus zähem Honig. Ein leises Lachen erklang aus der gleichen Richtung - oder war es aus einer anderen Ecke gekommen? Durchscheinende Schleier verbargen seine Quelle. Noch.


    Ein leises Wort in einer fremden Sprache und die Nebel teilten sich, gaben den Blick frei auf die hoch gewachsene Gestalt einer verschleierten Frau. Goldene Münzen klirrten an ihrem Gewand, an den goldenen Ketten und Bändern, die sie trug und die bei jeder ihrer Bewegungen eine leise Melodie spielten, die von fernen Ländern erzählte.
    Hinter dem niedrigen Tisch stand sie, von prachtvollen Flaschen umgeben, die kristallene Kugel in ihrer Hand, die von schwarzen Zeichen übersät war. Dunkle Augen, von einem tiefen Violett gezeichnet, blickten wissend und herausfordernd, schienen in die Seele all jener zu blicken, die sich in ihr Zelt wagten. Sie waren das einzig sichtbare in dem verhüllten Gesicht. Schwarz umrandet und tiefer als die See.
    Eine Geste, fließend und bestimmt, deutete auf die bunten, aufwendig verzierten Kissen am Boden. Wiesen an, darauf Platz zu nehmen.


    Ihre Stimme erklang, klar und dunkel gefärbt, leise, von einem fremdartigen Akzent geprägt, der gleichsam melodiös und tragend war.


    "Der Zufall ist eine Illusion. Allein das Schicksal leitet unsere Wege zusammen und trennt sie wieder. Und ihr seid gekommen, um das Schicksal herauszufordern. Mut erfordert dies. Und Mut werdet ihr brauchen, wenn ihr auf seinen Wegen wandelt."

    Niemand sah Sehnsucht dort, von wo aus sie das Treiben im Inneren des Labyrinthes beobachtete. Ihre dunklen Schwingen hatten sie leise empor getragen, hinauf zu der Rückseite des Eingangs, wo ein kleiner Vorsprung aus Holz angebracht worden war, von dem aus sie das ganze Labyrinth erblicken konnte. Nur eine dunkle Gestalt, die einer Statue gleich dort oben verharrte. Bewegungslos und ruhig.


    Verlorene Seelen...


    Ein seltenes, verhaltenes Lächeln zog über ihre Lippen. Jene, die sich durch das Labyrinth bewegten, wussten gar nicht, wie zutreffend diese Bezeichnung auf sie war. Doch sie würden es lernen...


    Sie murmelte einige, leise Worte in einer fremden Sprache, die schon lange vergessen war. Und die Dinge... veränderten sich.

    Niemand hatte bemerkt, daß eine weitere Frau an das Karussell getreten und ein Stück davon entfernt stehen geblieben war. Sie bewegte sich lautlos, ihre Füße verursachten kein Geräusch auf dem rauen Boden des Jahrmarktes. Etwas an ihr wirkte seltsam, fernab von ihrer geräuschlosen Erscheinung. Waren es die altmodischen Kleider, deren Schnitt schon seit Jahrhunderten aus der Mode gekommen schien? Die fremdartige Frisur ihres hellen Haares, das kunstvoll aufgesteckt gewesen war? Nun hingen wirre Strähnen um ihren Kopf, hatten sich aus den Nadeln gelöst, die sie zusammen gehalten hatten. Oder war es die Tatsache, daß ihr einst so prachtvolles Kleid wirkte, als habe es schon bessere Tage gesehen. Dunkle Flecken zogen sich über den perlenbesetzen Stoff, die Spitze war zerrissen und hing an manchen Stellen herab.
    Eine unnatürliche Blässe überzog ihre Haut, ihre Augen waren von einem hellen Blau, das beinahe farblos zu sein schien. Ihre Brust hob und senkte sich kaum. Geisterhaft war ihre Erscheinung, so als sei sie nicht von dieser Welt.


    Sie legte den Kopf schief und beobachtete wortlos das Geschehen. Ihre Hand hob sich - grüßend? Warnend? Ihre Lippen öffneten sich, doch kein Ton drang aus ihrem Mund.

    Die Musik schwieg. Plötzlich und ohne Ankündigung war sie verstummt und die Stille lastete schwer auf den Frauen, die sich davor unterhalten hatten. Beinahe wirkte sie unheimlicher als die Missklänge, die sich von Zeit zu Zeit in die Musik gemischt, sie so schaurig verzerrt hatten.
    Dann, ein anderes Geräusch, nicht gleich zu identifizieren. War es ein Schnauben gewesen? Womöglich das Schnauben eines Pferdes? Ja, das Geräusch hatte dem Schnauben eines Pferdes geglichen, doch schließlich war das unmöglich, denn die Pferde standen ebenso erstarrt, wie sie es noch vor einem Moment getan hatten an Ort und Stelle.


    Unvermittelt setzte die Musik wieder ein und das Karussell begann sich zu drehen.

    Kommt herbei, Bürger Nir’alenars und seht den einzigartigen, den unglaublichen Jahrmarkt der verlorenen Seelen, der euch in seinen Bann ziehen wird!
    Hört die Klänge der Musik, die schaurig schön über den Jahrmarkt mit seinen tausend Wundern zieht – erinnert sie euch an das Klagen verlorener Seelen, die auf der Suche nach ihrer Heimat durch die Welt ziehen? Sie erwecken Sehnsucht und Traurigkeit in euren Herzen, Schwermut, die kaum zu erfassen ist.
    Erblicket die Zelte, die Wagen und die Käfige, die schon aus der Ferne nach euch rufen und die Dinge verbergen, die ihr in eurem Leben noch nie zuvor zu Gesicht bekommen habt. Schaudert es euch? Spürt ihr die Düsternis, die in einigen von ihnen wohnen mag und die euch eine wohlige Gänsehaut über den Körper jagt? Fühlt ihr die Neugier, die euch magisch zu ihnen hinzieht? Tretet ein und seht mit eigenen Augen, was nur wenige erblicken durften.
    Seht die Wunder des Labyrinths der Spiegel, nach dessen Besuch euer Leben nie mehr das Gleiche sein wird. Seht ihr sein verlockendes Schimmern, dort drüben? Das lockende Silber der Spiegel, die im Lichte der Dämmerung nach euch rufen?
    Und schaut, der dunkle Wirbel zu eurer Rechten. Seht das Karussell mit den schwarzen Pferden, die auf und ab wippen und sich im Kreise drehen zu den Klängen der Musik. Sind sie nicht unglaublich schön? Beinahe lebendig, so als könntet ihr den Atem sehen, der durch ihre Körper wogt? Ein Ritt auf ihrem Rücken muss unvergesslich sein.
    Vernehmt ihr das leise Murmeln zu eurer Linken, das aus dem dunkelblauen Zelt hinaus dringt, das von goldenen Zeichen geziert wird, die mystisch und fremd wirken? Ja, es ist die einzige, die leibhaftige Madame Anora, die große Wahrsagerin der Djirin, die eure Zukunft aus dem Kristall ihrer Kugel zu lesen vermag. Doch seid gewarnt – Madame Anora irrt sich niemals und nicht immer wird es euch gefallen, was sie euch zu sagen hat.
    Doch geht voran, noch lange habt ihr nicht alle Wunder gesehen, die der Jahrmarkt der verlorenen Seelen für euch bereithält!
    Ja, ihr könnt die Düfte riechen, die eure Sinne betören – das köstliche Gebäck der schönen Syndra, von dem man sagt, dass jeder, der davon kostet, ein unvergleichliches Gefühl des Glücks empfinden wird – oder die tiefste Trauer, die jemals gefühlt worden ist. Doch habt keine Angst – es ist nur ein Gerücht, dass der König von Kanthoria sich nach einem Bissen davon in den Tod gestürzt hat.
    „Und das rote Zelt?“, fragt ihr euch sicher, denn der zarte Duft, der daraus hervordringt, ist beinahe unwiderstehlich, nicht wahr? Ja, dieses Zelt verbirgt die wundersame Welt der Parfums und Salben, die ein jedes Wesen unwiderstehlich zu machen vermögen. Und seid versichert, dass Elaru sich in seinen Rezepturen niemals vertut... zumindest nicht, ohne Absicht.
    Doch wenn ihr glaubt, dass ihr bereits alles gesehen habt, dann seid versichert, dass es noch mehr zu entdecken gibt, als eure Augen zu erfassen bereit sind. Denn nicht umsonst seht ihr dort in der Ferne die Wesen, die sich vor dem Eingang zu der Höhle der ewigen Liebe drängen. Sie alle wünschen sich, den Partner für die Ewigkeit zu finden... und wenn sie wieder in die Freiheit treten, so wird sich ihr Wunsch erfüllt haben, so wahr ich hier stehe!
    Oh, ihr habt andere Wünsche, fernab von der Liebe? Dann dürft ihr den Brunnen der tiefsten Sehnsucht nicht versäumen, denn er wird sogar all jene Gefühle erkennen, die ihr zu verbergen trachtet.
    Und wenn ihr denkt, dass euer Staunen nicht mehr größer werden kann, so treten ein in das schwarze Zelt am Rande des Jahrmarkts und seht die verlorenen Seelen, die sich in ihm eingefunden haben.
    Ihr spürt Dunkelheit daraus hervordringen? Ja, es erfordert Mut, sich den verlorenen Seelen zu stellen. Und ob ihr ihrem Anblick gewachsen seid, vermag ich nicht zu sagen, bevor ihr es nicht selbst versucht habt. Doch fürchtet euch nicht – kein Wesen, das reinen Herzens ist, hat dort etwas zu befürchten, denn verlorene Seelen vergreifen sich niemals an der Unschuld... so sagt man zumindest.


    Alles was ihr nun noch tun müsst, ist durch den Eingang zu treten, unter dem hölzernen Schild hindurch, das leise im eisigen Windhauch des Herbstes knarrt und das euch zeigt, an welchen Ort ihr gelangt seid.


    Der Jahrmarkt der verlorenen Seelen hat seine Tore geöffnet.

    Ein Tempel der Schönheit, so wird dieses offene, dunkelrote Zelt bezeichnet und doch wird darin keiner Gottheit gehuldigt, sondern allein dem Talent desjenigen, der sich diesen Ort zu seiner Wirkungsstätte erwählt hat.
    Der dunkelhaarige Elaru ist von einer nahezu unwiderstehlichen Gestalt und wer in seine smaragdgrünen Augen blickt, kann sich kaum dem Zauber entziehen, der in ihnen wohnt. Es fällt nicht schwer, ihm zu glauben, dass sein makelloses Äußeres ebenfalls durch all jene Dinge verursacht worden sein mag, die er mit seiner seidenen Stimme anpreist.
    Ein Halbblut ist er, wie so viele, die sich den Jahrmarkt zu ihrer Heimat auserkoren haben. Abkömmling einer Nymphe und eines entflohenen Ashaironi, deren Liebesgeschichte ein dramatisches Ende nahm, was Elaru dazu brachte, der Liebe für alle Zeiten abzuschwören. Gerade dies macht ihn jedoch so interessant für all jene weiblichen Wesen, die sich geschworen haben, seine Meinung über die Liebe zu ändern.
    Doch dies ist nicht das Einzige, was seinen Stand so anziehend macht. Hunderte Töpfchen, Tiegel und Flaschen stehen hier auf dem Tisch mit dem samtenen Tuch ausgebreitet und versprechen, ihren Käufer unglaublich anziehend zu machen, wenn man sie zu den richtigen Gelegenheiten einsetzt.
    So steht dort eine „Salbe des makellosen Teints“, die man stets nur zur 24. Stunde des Tages auftragen darf, da ihre Wirkung sonst nicht vorherzusehen ist. Dort ein eine kleine Phiole, die das „Serum des unwiderstehlichen Lächelns“ beinhaltet. Doch dieses darf nur angewandt werden, wenn man zuvor zwei Tage keine Speisen über die Lippen gebracht hat.
    Ja, Elarus Warnungen, in seiner feinen, spinnwebartigen Handschrift auf kleine Pergamente geschrieben, die an den Gefäßen angebunden sind, lassen keine Zweifel offen an dem, was man zu beachten hat, wenn man auf der Suche nach unwiderstehlicher Schönheit ist.
    Und wann immer er eines davon verkauft, kann ein guter Beobachter jenes seltsame, undeutbare Glitzern in seinen Augen erkennen, das keineswegs von den Goldstücken verursacht wird, die in seinen Beutel wandern...

    Welch komplizierter Titel ist es, der sich über dem Eingang des dunkelblauen Seidenzeltes in verschlungenen und fremdartig anmutenden Lettern windet, doch es ist nicht die Art seiner Besitzerin, die Dinge einfach und klar auszudrücken.
    Goldene Zeichen, so verschlungen, daß sie sich förmlich zu bewegen scheinen, wenn man sie mit den Augen streift, verteilen sich willkürlich über die nachtblaue Seide und bieten einen prachtvollen Anblick aus der Ferne.
    Erst, wenn man sich näher an das mystisch anmutende Gebilde heranwagt, erkennt man, daß der Stoff an den Kanten bereits abgestoßen ist, hier und da gar geflickt, wo der Zahn der Zeit Löcher in das Gewebe genagt hat.
    Doch auch, wenn das Zelt dem Zahn der Zeit nicht vollkommen getrotzt hat, ist es doch schwer, sich der mystischen Aura zu entziehen, von der es umgeben wird. Leises Gemurmel dringt daraus hervor, hebt sich manchmal bedeutungsschwer, um dann wieder abzuebben und kaum hörbar zu werden. Ein fremder, schwerer Akzent liegt in dieser Stimme und es ist kaum möglich, von draussen wirklich zu verstehen, was sie wohl erzählen mag.
    Ein schwerer, einlullender Duft dringt aus dem Inneren heraus, wann immer sich der Schleier, der den Eingang bildet, hebt und einen weiteren Kunden Madame Anoras wieder in die Freiheit entlässt. Manch einer hat dann einen verklärten Blick, so als ob er kaum mehr auf dieser Welt verweilt und spricht man ihn dann auf seine Erlebnisse an, so wird die wirre Antwort mit abwesender Stimme gegeben und enthüllt nichts.
    Manchmal hebt sich der Schleier gar lange genug, um einen kurzen Blick in das Zelt zu gewähren, auf Madame Anora, die große, dunkelhäutige Frau in den fremdartigen Gewändern mit den Schleiern, die ihr Gesicht vor neugierigen Blicken verbergen. Auf ihre kristallene Kugel, die sie ständig mit den langen Fingern liebkost und auf die Flaschen, die sie umgeben und aus denen eine rauchige Substanz dringt, womöglich der Auslöser des fremdartigen, benebelnden Duftes.
    Und von Zeit zu Zeit geschieht es, daß Madame Anoras dunkle Augen auf einen Passanten treffen, ihre Hand sich in einer lockenden Geste erhebt und ihn zu sich hinein winkt. Doch was geschieht, wenn der Vorhang hinter diesem fällt, erfahren nur diejenigen, die den Blick in die Zukunft nicht scheuen...

    Schon weithin hörbar sind die Klänge der Musik, zu deren Melodie sich die schwarzen Pferde des Karussells bewegen und die Tafel mit den goldenen Lettern, die daneben angebracht worden ist, verspricht eine Reise, die man niemals vergessen wird. Und wenn man sich die Zeit nimmt, die Geschichte zu lesen, die auf dieser Tafel geschrieben steht, so kann man nicht umhin, auch daran zu glauben.
    So soll der König eines fernen, schon lange in Vergessenheit geratenen Landes das Karussell für seine geliebte Mätresse als Zeichen seiner ewigen Zuneigung in Auftrag gegeben haben. Und weithin wurde der phantastische Anblick der weiß-goldenen Pferde gerühmt, die Kunstfertigkeit mit der das Karussell erbaut worden war und die wunderbare Musik, die erklang, sobald es sich in Bewegung setzte. Zauberhaft war es, von einer unbeschreiblichen Schönheit geprägt, die das Herz berührte und die Gefühle des Königs beinahe spürbar machte.
    Doch es gab ein Augenpaar, das nicht wohlwollend auf dieses Werk der Liebe und der tiefen Zuneigung blicken konnte. Die Königin, der die Liebe des Königs zu seiner Mätresse ein ewiger, schmerzender Dorn im Auge war, verbündete sich mit den Mächten der Dunkelheit und verfluchte das Karussell in jenem Moment, als die Mätresse des Königs zum ersten Mal ihren zarten Fuß auf die seine Bretter setzte.
    Und ihr Fluch tat sein scheußliches Werk, als sich das Karussell endlich zu drehen begann. Denn die Pferde schienen gleichsam zum Leben zu erwachen, bäumten sich mit weit aufgerissenen Augen auf und schrieen in ihrer wilden Hysterie Furcht erregend, brachten das Blut in den Adern aller zum gefrieren.
    Keiner der Anwesenden vermochte es, etwas zu tun. Keiner vermochte es, der Mätresse zur Hilfe zu eilen, als sie sich nicht mehr auf den Pferden halten konnte und schließlich abgeworfen wurde. Ein scheußliches Krachen machte dem Spuk ein Ende, die Pferde standen still, die Musik verstummte und das Licht in den Augen der Mätresse verlosch in den Armen des Königs, dessen verzweifelter Schrei durch das ganze Schloss zu hören war.
    Und in diesem Moment, nachdem sein Schrei verklungen war und als die Stille so schwer auf allen lastete, die das Unglück mit eigenen Augen hatten ansehen müssen, verfärbte sich das ehemals so prachtvolle Karussell. Das reine Weiß der Pferde wurde zu dem tiefen Schwarz der Nacht, so als ob aller Frohsinn und alle Schönheit aus dem einst so wundervollen Kunstwerk gewichen war und sich in tiefe Traurigkeit verwandelt hatte. Und der König befahl, dass das Karussell zu vernichten sei. Nicht ein Splitter davon durfte in dem Schloss verbleiben und an seinen schmerzhaften Verlust erinnern.


    Und so steht das Karussell heute auf dem Jahrmarkt der verlorenen Seelen, brachte es sein Erbauer doch nicht über das Herz, sein größtes Werk zu vernichten, so wie es ihm der König befohlen hatte. Heimlich verkauft und für Jahrhunderte vergessen, ist es endlich wieder zu neuem Leben erwacht.


    Und auch, wenn seine einstige Schönheit nun verblasst ist, tiefe Kratzer das Holz zieren und sich schiefe, traurige Töne mit der Musik vermischen, so kann man immer noch seine einstige Pracht und Vollkommenheit erahnen. Und manchmal, ja, manchmal denkt man beinahe, dass sich eines der Pferde bewegt, man ein Zwinkern und Leuchten in seinen Augen wahrgenommen hat.


    Doch sicher war dies nicht mehr, als eine Täuschung der Sinne...