Beiträge von Niiv

    Nickend bestätigte die Alariapriesterin, das sie gut nachvollziehen konnte, dass die Mannschaft gereizter war.

    „Ich werde ein offenes Ohr für Eure Männer haben.“ Antwortete sie dem Kapitän und nahm nun die andere Hand an den Stab. Als die Schritte des Kapitäns verklungen waren, beugte sie sich ein wenig in Keonas Richtung. „Ihr braucht nicht bei mir bleiben, ich glaube ich komme zurecht, auch wenn ich dieses Schiff noch nicht kenne.“ Meinte sie, als auch Boreas gegangen war. Sie konnte deutlich hören, wo sich die Crewmitglieder aufhielten und ob sie nun zuerst mit Seluriananhängern, oder Alariagläubigen sprach, war vollkommen egal. Am besten wäre es, wenn sie aus beiden Gruppierungen gelichzeitig jemanden erwischte.

    Den Stab vor sich haltend suchte sie sich einen Weg auf die Stimmen zu, wobei ihr das Schwanken des Schiffes gleich wieder in Leib und Seele überging. Es war doch ganz anders, als durch die Luft zu gleiten und ein wenig hatte sie es vermisst.

    „Alaria zum Gruße.“ Trat sie näher an die Leute heran und sogleich wurde es sehr viel Stiller. Niiv hasste das, weil die Leute sich wohl so überfahren vorkommen mussten, wenn sie sie plötzlich ansprach.

    „Oh.. Euer Gnaden..“ antwortete einer und von einem anderen kam ein unterdrücktes Grunzen.

    „Bitte entschuldigt… Kert meint es nicht so.. es ist nur der Sturm, der ihn etwas durcheinander gebracht hat und seine guten Sitten vergESSEN lassen hat!“ Sagte der erste wieder und seine Stimme wurde dabei immer deutlicher, als würde er vor allem zu Kert sprechen.

    Die Priesterin nickte höfflich in die Richtung in der sie den Kapitän vermutete. „Ich hörte, ihr habt ein paar schlimme Tage hinter euch?“ fragte sie und löste sich dabei von der Führung Keonas, jetzt wo sie wieder ‚festen Boden‘ unter den Füßen hatte. Alles was nicht eine 30 cm breite Planke war, war fester Boden!

    Sachte schaukele das Schiff auf den Wellen.

    „Ja ein Sturm hat uns übel mitgespielt.“ Antwortete der Mann, doch Niivs Ohren waren mittlerweile schon bei der Mannschaft. Die Männer und Frauen freuten sich unglaublich über das Essen, so das der Smutje – sie benannte den Mann mit der tiefen Stimme jetzt so – sie nur mit irgendwas, das er gegen das Fass schlug, davon abhielt, es gleich zu öffnen.

    „Nerson helf mir die Tüften in die Kombüse zu bringen, bevor die Bambusen die noch roh eese!“ sprach er aufgebracht und wieder schlug Holz an Holz.

    Zwei Eilige Schritte folgten und ein paar Aufgebrachte Seeleute schienen einzusehen, dass das Fass zu überlassen war.

    „Wie lange hatten die Männer keine ordentliche Mahlzeit mehr?“ wollte sie wissen und griff den Stab in der Hand fester. Bei sowas war sie keine große Hilfe, denn Worte halfen nicht bei einem leeren Magen.

    Niiv hoffte einfach nicht im Weg herum zu stehen. Viele Schritte eilten über das Deck und hier und da schnappte sie ein paar Wortfetzen auf, die allerdings ohne Zusammenhang blieben. Nur dass sich das andere Schiff in Seenot befand, dass wusste sie mittlerweile. Doch wie schlimm es war, dass konnte sie absolut nicht abschätzen. Stil lauschte sie den Wellen unter sich, wo sie nun wieder Wasser unter dem Rumpf hatten. Ertsmal konnte sie vermutlich nicht viel tun.

    Ob sie nach Minea und Zorak schauen sollte? So wie sie es verstanden hatte, sollten die beiden sich unter Deck verstecken. Ein guter Gedanke, denn Seeleute waren vermutlich nicht so gut zu sprechen auf einen Bären – egal, ob sie nun zur See oder zur Luft fuhren.

    Leichte Schritte kamen näher und Niiv wandte sich ein wenig dem Neuankömmling zu, bis sie Keona an ihrer Stimme erkannte.

    „Sind sie in einen Sturm geraten?“ fragte die Priesterin nach, denn das war die erste Erklärung, die ihr einfiel. Die Zweite wollte sie lieber nicht aussprechen, denn bei Kanonen, die das verursacht hatten, lag zwangsläufig ein Überfall zu Grunde.

    „Wie geht’s der Mannschaft?“ wollte sie wissen und nickte auf Keonas Angebot hin, sie zu den Stufen zu führen. Ein offenes Ohr für die Matrosen konnte nie Schaden.

    Das Pfeifen in ihrem Ohr wollte nicht so recht abebben, weshalb sie mehr und mehr das Gefühl bekam, dass sie sich das nicht einbildete. Ausserdem waren Schritte an Deck zu hören. Umsichtig tastete sie nach ihren Sachen. Die erste Nacht auf einem unbekannten Schiff war immer etwas komisch und sie musste sich bewusst in Erinnerung rufen, wo sie was hingelegt hatte.

    Für einen kurzen Moment überlegte sie, ob sie nur ihren Mantel schnell über das Nachthemd streifen sollte, das Pfeifen stammte eindeutig von einer Bootsmannspfeife, war aber zu leise, als dass es von der Wolkentänzer stammen konnte. Je nachdem was los war, war es vielleicht keine gute Idee im Nachthemd an Deck zu gehen. Also schnappte sie sich so schnell sie konnte Hose und Hemd, Stiefel und Gürtel und zog sich an. Zuletzt griff sie nach Mantel und Hut, bevor sie nach ihrem Stab tastete und sich einen Weg an Deck suchte. Fast viel sie die Treppe hoch, weil sie den Abstand der Stufen noch nicht gewohnt war und es eventuell auch etwas zu eilig hatte. Das Pfeifen hatte mittlerweile aufgehört, was ein gutes oder ein schlechtes Zeichen sein konnte. Und den Schritten nach zu Urteilen war mindestens einer der vier Besatzungsmitglieder schon wach. Um wenn es sich handelte, konnte sie allerdings noch nicht sagen, dafür kannte sie die Mannschaft noch nicht gut genug, aber mit der Zeit konnte es durchaus vorkommen, dass sie die Matrosen alleine am Schritt auseinander halten konnte.

    Ihr Stab kratze über die Planken, als sie sich einen Weg zu Reling suchte und ein kühler Wind kam ihr entgegen, der fetzen von Rufen zu ihr herüber trieb. Doch etwas zu verstehen, das vermochte sie nicht.

    Eine komische Angespanntheit lag in der Luft, irgendwie hatte sie mehr Hektik erwartet, aber woher sollte diese kommen, wenn nur so wenige Leute an Bord waren? Kurz lauschte sie, ob sie einen der anderen Ausmachen konnte.

    “Traut ihr euch zu die Gefangenen zu behandeln?“ fragte der Mensch und schaute von seinem Pergament auf. Die Feder drehte er dabei etwas unsicher zwischen den Fingern.
    “Ich kann euch einen von der Stadtwache zur Seite stellen. Ihr müsst nicht alleine gehen. Es ist auch gar nicht notwendig das ihr die Verräter wieder zusammen flickt. Nur die Nacht überleben sollten sie schon.“ sein Blick war steinern und verriet nicht, was der Mann wirklich über das ganze Thema dachte.
    “General Lorancius bat mich darum, das sich jemand den Drak'khir anschaut, den er mit einem Kopfstoß außer gefecht gesetzt hat.“ eindringlich schaute er die Cath'shyrr an: “ich stelle euch auf jeden Fall jemanden zu Seite.“ schloss er und stand auf um der Katze zu bedeuten, dass sie sitzen bleiben sollte, bis er wieder da war.
    Doch nur wenige Minuten später kehrte der alte Mann zurück, gefolgt von Leander.
    “der Hauptmann wird euch begleiten.“ erklärte er und hatte den Menschen wohl auf dem Flur getroffen.
    “die anderen Heiler sind noch mit den Prüflingen beschäftigt.“ meinte Leander, als er auf Rhynn zutrat.


    Wie sollte er sich denn von Tameqa verabschieden? Die Graue würde das einfach nicht verstehen. Toben würde sie und einen Moment stellte er sich die Greifin vor, wie sie halb Corandir in Schutt und Asche legte. Natürlich würde sie das nicht schaffen. Eher würde sie der Umstand brechen, dass sie ihn hinrichteten und er konnte sich ebenso gut vorstellen, dass sie nicht viel länger lebte. Tränen füllten seine Augen. Nicht aus selbstmitleid, sondern weil Tameqa auch unter all dem hier leiden musste. Sie glaubten ihm nicht und deshalb musste sie leiden.
    Das konnte er doch unmöglich zulassen. Aber was sollte er tun? Er konnte nicht mehr sagen um sich zu entlassten und fliehen war auch unmöglich. Wenn er sich verwandelte hatten sie halt einen Mauersegler, den sie töteten, den fliegen war ihm gerade nicht möglich. Wenn ihm nicht bei jedem atemzug die Lunge brennen würde, dann hätte er eine chance gehabt, sich oberhalb des Türsturz zu verstecken und durch den geöffneten Türspalt hinaus zu huschen.
    Vielleicht.
    Aber dann wäre er auch ganz klar schuldig.
    Verkrampft nestelten seine Finger weiter an dem Verschluss seiner Rüstung und schoben die erste Schließe ganz langsam auf. Das brachte es doch auch nicht und den Heiler konnte sich Leander auch sparen.
    Wenn sie ihm eh nicht glaubten und ihn töten würden. Dann war er dieser Mühe doch auch nicht wert.
    Sie sahen ihn als Verräter. Und was war, wenn dem wirklich so war?
    Vielleicht hatte er wirklich Hochverrat begangen? Und einen auf den Kopf bekommen? Und konnte sich deshalb an alles mögliche erinnern nur nicht, wie sie das geplant und ausgeführt hatten?
    Er schüttelte den Kopf.
    Das zwielicht machte ihn wahnsinnig, denn jegliches Zeitgefühl ging ihm verloren.

    Als ihre Finger die warme und weiche Haut von Mineas Wangen berührten zuckte Niiv tatsächlich ersteinmal zurück, weil sie zwar verstand, was die Frau vorhatte, es ihr aber etwas plötzlich kam. Ausserdem wunderte sie sich ein wenig. Bisher hatte die zierliche Frau, einen eher zurückgezogenen Eindruck gemacht und war nun die Erste, die eine solche Nähe zuließ. Zuerst überflutete sie wieder dieses seltsame Gefühl von Unbehagen, als sie die Frau berührte. Vielleicht auch ein Grund, warum sie zuerst zurückweichen wollte. Ihre Finger zitterten sogar leicht, als sie dies bemerkte und nur zaghaft kam sie dem Vorschlag der Frau nach. Die Unsicherheit konnte sie gerade so gar nicht überspielen, was ihr wiederum leid tat. Was musste Minea wohl von ihr denken, musste sie die zitternden Finger doch deutlich spüren. Da hatte sie eben noch gesagt, dass sie auf Vorurteile nichts gab, und nun zögerte sie so.
    Langsam begann sie doch endlich damit ihre Fingerspitzen sanft die Züge der Ki erkunden zu lassen.
    Alles an ihr schien schmal und klein zu sein. Der Nasenrücken nur ein Hauch, die Wangenknochen dafür aber deutlich. Es zeichnete ihr ihr ganz eigenes Bild von der Frau, welches sie aber niemals wirklich in der Lage wäre zu beschreiben. Nach und nach viel das seltsame Gefühl von ihr ab, es stellte sich zwar keine Vertrautheit ein, aber zumindest war das komische Gefühl vom Anfang weg und sie hoffte, dass es auch nichtmehr wieder kam.
    „Ja es hilft.“ Lächelte sie der Frau entgegen, als sie ihre Finger wieder zurück zog.



    Lange Zeit lag sie am nächsten Morgen wach und grübelte über den Traum, den sie nur noch allzu deutlich in Erinnerung hatte. Sachte schaukelte die Hängematte hin und her, aber es regte sich noch niemand der anderen auf dem Schiff, so dass sie auch keine Notwendigkeit darin sah, schon aufzustehen. Möglicherweise war es auch noch mitten in der Nacht, einen umstand, den sie zwar mit Zisch Uhr leicht klären konnte, aber dazu müsste sie sich auch aus der Hängematte schälen.
    Sie hatte am Strand gestanden und um sie herum waren Käfige über Käfigen. Sie hangen, sie schwebten. Und in jedem der Käfige saß ein Vogel, einer prächtiger als der andere, doch keiner sang. Nur das Rauschen der Wellen war zu hören, dabei mussten so viele Vögel doch so viel Lärm machen.
    Also hatte sie versucht die Türen zu öffnen. Aber es gab keine Türen. Es gab nur eiserne Gitterstäbe. Und das Rauschen des Meeres wurde lauter, bis sich eine Melodie aus den Fluten erhob und sie zu sich lockte. Eine Stimme in ihrem Kopf forderte sie dazu auf, die Käfige mitzunehmen. Doch zuerst hatte sie angst, dass doch dann die Vögel in den Käfigen ertrinken würden, wenn sie sie mit ins Meer nahm. Die Stimme wurde drängender, ja fast zornig, ließ ihr gar keine andere Wahl. Warum, das konnte sie gar nicht so genau benennen, es war einfach das starke Gefühl, das tun zu müssen, was die Stimme ihr sagte. Also nahm sie die Käfige. Einen nach dem anderen und trug sie ins Meer. Doch sobald die Gitterstäbe das salzige Wasser berührten, zerfielen sie zu staubigem Rost, der ins Meer gespült wurde.
    Sie hatte schon lange nichtmehr so viele Bilder in einem Traum gehabt. Oder wenn doch, dann konnte sie sich nur noch an Geräusche und Gefühle erinnern. Aber dieser Traum hinterließ einen komischen Nachgeschmack. Etwas seltsames haftete ihm an.
    Ein Geräusch auf Deck riss sie aus ihren Gedanken und nachdem sie diesen Traum nun schon einige Zeit in ihrem Kopf hin und her gewälzt hatte, beschloss sie doch aufzustehen und hoch zu gehen.

    Die Beschreibung von Keona über Boreas hörte sich sehr lebendig an. Und sie musste kurz grinsen, als sie die Vergleiche mit Pfau und Löwen anbrachte. Tatsächlich hatte sie nun eine gewisse Vorstellung, wenn sie auch kein Bild bekommen konnte. Und gerade Keonas Beschreibung zeigte einmal mehr, das die Leute mehr waren, als nur ein Abbild, welches man beschreiben konnte.
    „Freundin, wäre vermutlich etwas übertrieben.“ Antworte sie auf die Frage der Frau. „Ich habe sie einmal getroffen und sie hat mir etwas gebaut. Aber… nunja, wir waren irgendwie schon so auseinander gegangen, dass ich sie mal wieder besuche, wenn ich in der Stadt bin.“ Niiv kramte kurz in ihrer Tasche und beförderte den Kompass hervor. Sie war immer noch unglaublich stolz auf dieses Werk der Gnomin, so dass sie es gerne zeigte. „Man kann die Nadel feststellen, so dass sie nicht verrutscht, wenn man wissen will, wo Norden ist.“ Kurz zog sie an dem kleinen Hebel und demonstrierte das gesagte. Dann schloss sie wieder die Hand um das kleine gerät. Vermutlich waren die anderen gar nicht so begeistert wie sie, davon und hatten eh schon tausend Kompasse gesehen.
    Gerade als sie ihn wieder einstecken wollte fiel ihr noch etwas ein. Sie benutze das nicht oft, aber irgendwie hatte sie das Gefühl, dass den Elementaren dieses kleine Detail Gefallen könnte.
    Behutsam zog sie an dem Mechanismus und stellte dann den Kompass vor sich auf die Planken. Eine leise Melodie erklang und spielte ‚Zwischen Wind und Wellen‘.
    Überrascht drehte sie den Kopf zu Minea, die wohl näher gekommen war. Dadurch, dass sie dem Kompass gelauscht hatte, war ihr das irgendwie entgangen, dass ihr gelichmäßiges Gemurmel, welches wohl eine Übersetzung für den Tua’tanai, war, abgebrochen war. Nun galt ihre Aufmerksamkeit der jungen Frau, die mit ihren warmen Händen nach der ihren griff. Wollte sie ihr irgendwas zeigen? Das sie mitkommt? Ihre Bewegung war so unsicher, dass Niiv nicht so recht wusste, wie sie reagieren sollte. Weder zog sie sie hoch, noch sagte sie etwas, schien sogar in ihrer Handlung inne zu halten. Als sich die Finger langsam wieder von ihrer Hand lösten, nahm sie ihre andere Hand hinzu und umschloss die Hand Mineas.
    „Was kann ich für euch tun?“ versuchte sie sie davon abzuhalten ihr vorhaben, was auch immer es war, abzubrechen. Lockerte aber auch gleichzeitig ihren Griff. Es sollte nur eine Geste sein, nicht sie wirklich festhalten. Anscheinend war diese Frau sehr unsicher und sie wollte sie keinesfalls drängen.

    Beoras hatte wohl recht damit, was er über ihr Wissen sagte. Das würde durchaus ausreichen um alle an Board der Obrigkeit auszuliefern. Sogar das was Harkson wusste, reichte dazu, denn da Keona und Minea öffentlich gesucht wurden, mit Steckbrief in der Zeitung und allem drum und dran, würde jede Wache ihm gehör schenken. Und tatsächlich musste sie sich fragen, wie weit dieser Varrin wohl gehen würde, wenn irgendwer erfuhr, dass sie mit diesen Leuten auf einem Schiff unterwegs gewesen war, und nichts gesagt hatte. Würde man ihr glauben, wenn sie die Ahnungslose spielte? In ihren Augen ein gutes Mittel, wenn man dadurch Leid verhinderte.
    Die Priesterin sog jedes Detail, welches Boreas ihr darbot auf. Und sie kam nicht umhin zu bemerken, dass seine Stimme einen wenig höher klang, als, er von Keona sprach.
    Bei der Beschreibung von Chipsa glitt ihr ein Schmunzeln über die Lippen. Das war wohl die jedem Feuer innewohnende Eigenschaft, größer sein zu wollen, als es war, und von der Fackel zum Waldbrand zu werden.
    Als er zu Minea kam, drehte sie ihren Kopf nochmal ein wenig ruckartig in die Richtung des Kapitäns. Hatte sie richtig gehört? Fuchs? In ihrem Kopf rumorte es, und das wurde nicht besser, als der Mann meinte, dass sie ein Mensch wäre, weil damit die andere Lösung, die ihr in den Sinn kam, auch hinfällig war. Über die Tua’Tanai hatte sie ja auch schon so unglaublich viele merkwürdige Geschichten gehört.
    „Ki?“ hakte sie zaghaft nach. Und ihre Hand wanderte nachdenklich an ihre Stirn. In Ji San gab es viele Geschichten über solche Menschen. Da hatte Boreas recht. Das wirklich beunruhigende an den Geschichten über die Ki war, allerdings, nichtmal die Worte, die meistens davon handelten, dass man ihnen nicht trauen sollte, oder das die Schuld an allem waren, wenn es irgendetwas gab, wozu man einen Sündenbock brauchte. Nein das beunruhigende war, dass diese Geschichten immer nur getuschelt weitergegeben wurden. Etwas, was Niiv doch ihm höchsten Maße misstrauisch gegenüber des Tuschelnden machte.
    „Ich mag Vorurteile nicht. Sie sagen zwar oft viel aus, aber nicht über diejenigen, denen sie gelten, sondern über diejenigen, die sie verfassen.“ antwortete sie, als Boreas kurz inne hielt. Irgendwie hatte sie das Gefühl, als ob er von ihr erwarte, dazu etwas zu sagen und sie ärgerte sich gleichzeitig über sich selber, dass trotzdem diese Vorurteile, die sie gehört hatte, sie schon längst beeinflusst hatten. Obwohl Minea sich ihr gegenüber genau so verhalten hatte, wie der Kapitän gesagt hatte, nämlich fürsorglich und höflich, gab da dieses Gefühl von Misstrauen, in ihrer Nähe. Oder Unbehagen? Sie konnte es noch nichtmal so genau benennen. Es war nur ein Hauch. Aber dieser Hauch ärgerte sie. Weil er nicht gerechtfertigt war.
    Die Beschreibung von Zorak lenkte sie aber wieder von diesem Gedanken ab und als er auf seine eigenes Aussehen zu sprechen kam, konnte sie nicht anders als zu fragen: „Wie fühlt sich das an, wenn man seine Haarfarbe wechselt?“ Das faszinierte sie. Ob er dafür eine bestimmte Stimmung brauchte? Oder ob er wirklich einfach machen konnte, was er wollte.
    „Ich danke euch.“ antwortete sie, als er geendet hatte. „Das ihr so offen zu mir seid, obwohl ihr es nicht müsstet. Ich hätte es gut verstehen können, wenn ihr gesagt hättet, dass ihr nicht noch mehr über euch Preis geben wollt.
    Natürlich dürft ihr mich auch Fragen, wenn ihr etwas wissen möchtet über mich.“ bot sie an. Da sie tatsächlich gerade das Gefühl hatte, ziemlich viele Fragen zu stellen, aber selbst nur wenig zu erzählen. Und sie war sich nicht sicher, ob die Leute hier sich einfach nur nicht trauten. Denn auch wenn sie nur zwei Tage, maximal drei, Reisegefährten ein würden, so war es trotzen gut, wenn ein dünnes Band zu einem Tau wurde, wie Boras es so schön genannt hatte.

    Niiv musste schon ein bisschen Schmunzeln, als der vorlaute Chips kurzerhand Mine beschrieb. Auch wenn sie, wie wohl jeder andere Mensch mit seiner Beschreibung nicht viel anfangen konnte. Aber es sagte etwas darüber, wie Chips sie wahrnahm und das er wohl vor allem vergleiche anstellte. Und Farben und Formen schienen in seiner Welt nicht so eine große Bedeutung haben. Sie fragte sich ja schon ein bisschen, wie der Elementar aussah, Wie eine Flamme? Dann gab es durchaus Sinn, das Formen und Farben recht nebensächlich für ihn waren. Beim Detail der Ohren, wurde sie allerdings stutzig. Es gab nicht allzuviele Völker, deren Ohren irgendwie behaart waren. Und sie wusste ja auch nur von Zorak, dass er ein Bär war. Der Name den Chipsa noch erwähnte sagte ihr nichts. „Dann seid ihr eine vom Volke der Cath’shyrr?“ fragte Niiv nach. Dieses Volk, war ihr zu Chipsas Beschreibung als erstes in den Sinn gekommen. „Nicht das das wichtig wäre, aber dann passe ich wohl besser in eurer Nähe mit dem nassen Element auf. Und bei Chips sowieso.“ fügte sie an, als der Feuergeist sich selber beschrieb. Ihr war nur nicht so ganz klar, was er mit groß meinte.
    „Wie groß?“ fragte sie zaghaft. „So groß wie Minea?“ Bot sie ihm einen Vergleich an, der für sie zwar auch nur vage war, aber es würde reichen um ihn einzuordnen, wobei es, wenn er wirklich Menschengroß war… sie versuchte sich daran zu erinnern, jemals einem Feuerelemtar begegnet zu sein. Aber da sie ihr ganzes Leben am Meer und in der Nähe von Wasser verbracht hatte, war dem einfach nicht so. Sie hatte in ihrer Jugend vor allem den ein oder anderen Wassergeist mal gesehen und die waren doch recht klein gewesen. Das es einen Wassermagier in den Tempel gezogen hatte, war doch recht häufig vorgekommen und die kleinen Wasserwesen von denen sie begleitet wurde, hatten vor allem die Quelle mit dem gesegneten Wasser geliebt. Für einen kurzen Moment hatte sie da Gefühl, das sie tatsächlich das Bild von glitzerndem, plätscherndem Wasser, vor ihrem inneren Auge bildete. Doch es war nur ein Schemen, eine vage Erinnerung, unigreifbar und flüchtig. Mehr Gefühl, als Abbild.

    Nervös strich Niiv über ihren Mantel. Ja in gewisser Weise würd ihr das helfen, wenn sie tasten durfte. Sie hätte dann definitiv eine bessere Vorstellung von den Leuten, aber das war ihr doch etwas zu intim. Sie hatte das durchaus schon ein paar Mal gemacht. Aber nur bei Leuten, die sie gut kannte. Und die Mannschaft der Wolkentänzer kannte sie doch jetzt erst seit ein paar Stunden. Das Ipati sie noch nichtmal abwaschen helfen ließ, sagt dazu ja schon alles.
    „Farben sagen mir was. Durchaus, ja. Langsam aber sicher bekommen sie zwar eine neue Bedeutung, weil sie… uhm.. verblassen.“ Antworte sie und wusste es nicht so recht zu beschreiben. Farben wurden immer ungreifbarer, aber sie hatte durchaus noch eine Vorstellung davon, auch wenn diese sich eben langsam mit Gefühlen, oder Gefühlten überlagerten. Es war in solchen Fällen auch irgendwie einfach ein Attribut, was ein Aussehen erzählbarer machte. Und Zugegebenermaßen lag noch mehr darin, wie eine Person sich selber beschrieb. Denn es verriet ihr, was dieser Person wichtig war. Oder was sie selbst an sich auffällig empfand. Man musste seine große Nase nicht mögen, aber es gab Leute, die das trotzdem erwähnten und Leute, die die Gelegenheit nutzen es unter den Tisch fallen zu lassen.
    Für einen kurzen Moment, da Keona anscheinend tatsächlich gewillt war sich zu beschreiben, nur nicht wusste wie, überlegte Niiv, ob sie nicht vorschlagen sollte, das Boreas sie beschrieb, die beiden schienen doch ein besonders Verhältnis zu haben. Aber sie entschied sich dagegen, während sie von sich selber unbemerkt begonnen hatte, den Saum ihres Mantels in den Fingern zu kneten, so dass sich feiner Salzstaub löste. Das wiederrum könnte den Kapitän in ein Fettnäpfchen manövrieren.
    „Nunja, erzählt einfach, was ihr erzählen wollt. Die Gefahr eines Fettnäpfchens ist doch eher gering.“ Versuchte sie ihr Mut zu machen.
    Vielleicht wäre es besser, wenn sie ein wenig von sich Preis gab, um den Leuten die Angst etwas falsches zu sagen zu nehmen. Nichts war schlimmer, als wenn sie alle immer nur irgendwie rumdrucksten und nicht wusste, was sie sagen sollten.
    „Ich war in meinem Noviziat, als es anfing, dass ich immer weniger erkennen konnte. Davor hab ich die Welt mit all ihren Farben betrachten können. Und schließlich, als ich die Weihe erhielt, war es so schlimm geworden, dass gerade mal eine Unterscheidung von Hell und Dunkel möglich war. Bis nun, ja … gar nichts mehr blieb.“ Sie versuchte das so nüchtern wie möglich rüber zu bringen, weil sie Angst hatte, dass es die anderen bedrücken könnte und das war nun ja nicht ihr Ziel. Außerdem fürchtete sie immer den Augenblick, der Mitleid heraufbeschwörte. Der die Stimmung des Abends damit zerstörte. Aber nun hatte sie damit angefangen, also musste sie da durch. Sie wollte Keona nur auf garkeinen Fall das Gefühl geben, dass sie doch irgendwie was Falsches sagen konnte. Sie ließ den Saum ihres Mantels wieder los und lächelte in die Runde.

    Es war ungewöhnlich, dass sie alle zusammen unter freiem Himmel gegessen hatten. Aber dies war auch eine ungewöhnliche Mannschaft. So eine familiäre Atmosphäre gab es wahrlich nur selten auf einem Schiff. Meistens spaltete sich doch irgendwie die Besatzung in zwei oder drei Gruppierungen. Der Kapitän blieb gerne unter seinen Offizieren und die Mannschaft ebenfalls unter sich. Hier war es ganz und gar nicht so. Und das lag sicherlich nicht nur daran, dass es so wenige waren. Diese Leute verband etwas, das konnte Niiv deutlich spüren. Sie hatten wohl schon einiges miteinander durchgemacht. Allerdings kam sie nicht umhin festzustellen, dass es vor allem Boreas war, der sich um das Schiff kümmerte. Keona ging ihm zwar zur Hand, fragte aber viel. Man merkte, dass sie und Minea keine Seefahrtserfahrung hatten. Am liebsten hätte sie daher dem Kapitän angeboten, dass sie auch mithelfen konnte. Nur, wenn es auf Schnelligkeit ankam, was immer dann der Fall war, wenn es für ein Manöver mehr Leute bedurfte, dann wäre sie über kurz oder lang eher Ballast, als Hilfe. Man konnte ihr nichts zuwerfen und sie konnte nicht selbstständig schnell auf veränderte Gegebenheiten reagieren. In der Theorie, da konnte sie das alles, ja…
    Sie nahm einen weiteren Schluck um den Gedanken herunter zu spülen.
    „Darf ich euch um etwas bitten?“ begann sie und man merkte, dass ihr die folgende Frage nicht so ganz einfach viel, weil es nun mal nicht alltäglich war. „Würdet ihr mir beschreiben, wie ihr ausseht?“
    Das mindestens zwei der Anwesenden Gesuchte waren, war ihr in dem Moment vollkommen entfallen. Beim Essen herrschte eine so gelöste Stimmung, dass sie die ganze Geschichte schon fast verdrängt hatte. Erst als sie darüber nachdachte, dass sie diese Information hauptsächlich dafürbrauchte um jemand anderem zu sagen, wen sie meinte, die Sehenden konnten doch meist mit ihren Personenbeschreibungen, die sich auf Stimme, Geruch oder Händedruck, bezogen, nicht viel anfangen, fiel ihr wieder ein, dass Minea und Keona das vielleicht gar nicht wollten.
    „also… äh.. nur wenn, ihr wollt. Vielleicht ist es auch besser, wenn ich das nicht weiß.“ Schob sie schnell nach und legte ihr Geschirr zusammen.
    „Ich helf‘ euch abtrocken.“ Verkündete sie um die peinliche Situation, die sie heraufbeschworen hatte irgendwie zu überbrücken und den Frauen die Gelegenheit zu gebe, das gesagte einfach zu ignorieren.