Mit großen Augen schaute er Nyx an und sein Magen zog sich zu einem schmerzhaften Klumpen zusammen, als er hörte, was der Mann über das Haus berichtete und über die Frau, das steigerte sich sogar nich, als er erwähnte, dass sie Waisenkinder aufnahm. Es konnte also wirklich sein, dass Rahla dort war und dass es ihr dort so ganz und gar nicht gut ging. Am liebsten wäre er sofort losgerannt. Er musste sie da raus hohlen. Aber wie sollte er das alleine Schaffen? Und wenn selbst der dunkelhaarige Mann sich vor der Hausherrin fürchtete, wie konnte dann er dort hin gelangen? Ein verwegener Plan kam ihm in den Kopf… wenn sie Waisenkinder aufnahm… aber wie würde er da je wieder raus kommen? Ihm lagen plötzlich tausend Fragen auf der Zunge, doch Nyx würgte ihn ab, ehe er auch nur eine Frage aussprechen konnte. Vielleicht war das sogar auch besser so. Er musste irgendwie den Mann dazu bekommen ihm zu helfen. Aber der hatte klar gemacht, dass er ihm nicht helfen würde. Nicht einfach so. Und noch war er auch nicht so ganz schlau daraus geworden, warum er ihm Dinge beibringen wollte, aber zumindest hatte er mittlerweile etwas mehr Vertrauen zu dem schlaksigen Kerl gefasst. Um ihm von seinem Problem zu erzählen, dazu reichte es allerdings noch bei weitem nicht.
Als Nyx gegangen war suchte sich der Rabenjunge ersteinmal ein ruhiges Plätzchen in einer Seitengasse, in der er etwas von dem Brot as, welches er von Nyx bekommen hatte. Es war zwar mittlerweile recht hart geworden, aber wenigstens nicht schimmelig. Ihm gingen die Worte des Mannes nicht aus dem Kopf. Wachpatroullien, Hunde, gefährliche Leute. Hoffentlich war es nicht Rahla, die kürzlich dorthin gekommen war. Abgelenkt von den Gedanken um das Haus und die Frau und das Mädchen führte ihn sein Weg geradezu wahllos durch viele kleine Gassen. Hauptsächlich achtete er darauf nicht allzu vielen Leuten zu begegnen und suchte die Häuser und Bauten nach irgendwas geeignetem ab. Am liebsten hätte er wieder etwas, was recht hoch gelegen war, damit ihm nicht jeder folgen konnte. Aber all die Möglichkeiten, die er erspähen konnte boten wieder nur minimalen Wetterschutz. Er hatte wohl all sein Glück bei dem Schuhklau heute früh aufgebraucht und langsam begannen die neuen Schuhe zu schubern. Wenn er also morgen nicht ungeheure Blasen haben wollte, so musste er dringen erst einmal etwas daran tun und die Schuhe ein wenig ausstopfen. Vorne auf der Ecke gab es einen Kutschenbetrieb und somit sicherlich bei den Pferden auch etwas Stroh.
Zunächsteinmal ging er ganz unauffällig an dem großen Scheunentor vorbei. Blickte nur wie zufällig in den Durchgang. Gerade wurde eine große prachtvolle Kutsche angespannt. Als er das Tor passiert hatte ließ er sich die Szene nochmal durch den Kopf gehen. Es waren gerade einfach zu viele Leute anwesend. Und für ein bisschen Stroh das Risiko viel zu groß. Aber ihm war auch etwas anderes aufgefallen. Der Zugang zum Heuboden war sehr direkt links neben dem Eingang gewesen. Von unten konnte man auch gut die große Klappe vorne in der Häuserwand sehen, durch die es ein leichtes war das Stroh und Heu in den Speicher zu bekommen. Wenn man nur irgendwie an den Männern vorbeikommen könnte, wäre da oben sicherlich ein gutes Versteck. Nur wie sollte er immer unbemerkt in den Eingang huschen? Dann noch die Leiter rauf? Er schüttelte zu sich selber den Kopf. Vielleicht bei allzu großem Regen und wenn er nichts besseres finden würde, wäre es das Risiko wert. Dann trabten die vier Rappen aus der Toreinfahrt, die reich verzierte Kutsche stolz hinter sich her ziehend und mit großen Augen ließ Tohe das Gefährt an sich vorbeiziehen. Dann huschte er selber doch noch einmal an dem Eingang vorbei, spähte hinein und beschloss die Gunst der Stunde zu nutzen um die Strohreste, die sich unter der Luke gesammelt hatten aufzusammeln, wo sich gerade die Knechte zu anderen Arbeiten im Innenhof zugewandt hatten.
Was für eine erbärmliche Beute, das war das angespannte Herzklopfen nicht wirklich wert gewesen, dachte sich der Junge, als er endlich wieder in den Schatten einer Gasse verschwinden konnte.
Aber es reichte um den Platz zwischen der Schuhspitze und seinen Zehen zu füllen. Und Schuhe in denen er nicht rutschte waren doch einiges Wert.
Es lies sich gleich viel besser laufen, was allerdings die Aussicht auf Erfolg bei seiner Suche nicht gerade erhöhte. Es gab sicherlich Viertel, in denen die Wahrscheinlichkeit höher war etwas zu finden, aber dort war die Gefahr auch größer auf andere Banden zu treffen und eigentlich hatte er das vermeiden wollen. Doch so langsam konnte er nicht mehr so wählerisch sein. Die Dämmerung setze ein und mit ihr dann auch alsbald der Regen. Was seine Überlegung, sich doch einfach irgendwas hohes nicht Wettergeschützes für zumindest diese Nacht zu suchen, gleich zunichte machte. Es musste unbedingt Wettergeschützt sein, dafür halt dann nicht so hoch.
Wie zum Beispiel die tiefen Kellerfenster des Gebäudes vor ihm. Wenn er sich nur ganz nah an die Gitterstäbe drückte, dann würde er zumindest nicht nass werden. Aber er wäre so ungeschützt von vorne, dass an Ruhe an diesem Ort nicht zu denken wäre. Noch war es lediglich leichter Nieselregen, aber das würde sich schon bald ändern und dann war er lieber Müde und trocken, als Müde und nass.
Eilig schritt er auf das Haus zu. An der anderen Seite wucherte eine dichte Hecke aus der sich Efeu die Mauer empor rankte. Vielleicht gab es dort drunter auch die Fensternieschen? Da hätte er doch so etwas wie Schutz, weil ihn nicht jeder sehen konnte. Langsam ging er näher ran, schaute sich nochmal um, ob ihn jemand beobachtet und bog dann die Zweige auseinander. Ja das Glück schien doch noch ein wenig auf seiner Seite zu sein. Schnell versuchte er das Dickicht weiter zu durchdringen, doch er war zu hastig. Scharfe Dornen kratzen ihm über Stirn und Wangen und hinterließen eine blutige Spur. Tohe fluchte leise. Aber die Dornen würden auch jemanden Aufhalten, der an ihn rankommen wollte. Also ging er behutsamer weiter. Bog vorsichtig die Spitzenbewerten Zweige von sich weg und kroch so nah wie möglich am Boden zu einer der Fensternieschen. Langsam schwoll das Tröpfeln an, doch eng an das Gitter gepresst kam der Regen nicht bis zu ihm.
Am nächsten Morgen waren seine Glieder steif, der Boden war kalt und zusätzlich stieg eine noch eisigere Kälte aus dem Keller empor. Umständlich in der Enge trug er das letze bisschen von MaJinnys Salbe auf. Das Zeug hatte wirklich gute Dienste geleistet und seine Seite tat heute morgen fast gar nicht mehr weh. Dann as er weiter von seinem Brot und auch einen der Äpfel, bevor sie faulig wurden. Zu lange konnte er leider seine Lebensmittel nicht aufbewahren. Aber bevor er sich etwas Neues besorgte brauchte er ein Versteck. Er wollte es doch mal in dem heruntergekommenen Viertel versuchen, in dem MaJinny ihr Haus hatte. Bei den vielen Ruinen würde sich doch sicherlich was finden lassen.
Der Weg aus der Dornenhecke war ähnlich mühsam, wie der hinein, nur dass zum Glück der Regen wieder aufgehört hatte. Eilig huschte er davon.