Shizar folgte dem Diener durch das Herrenhaus, während sie ihre Umgebung in sich aufnahm. Fragen brannten auf ihrer Zunge. Aber sie zweifelte nicht daran, dass die Dienerschaft kein Wort über die Lippen bringen würde, wenn sie auch nur eine davon äußerte. Dies zumindest glaubte sie über ihren Gastgeber zu wissen. Wer gegen seinen Willen sprach, würde nicht lange in diesen Mauern leben. Falls die Diener überhaupt wussten, dass er mehr war als ein gewöhnlicher Adeliger. Vermutlich glaubten sie, dass er nicht mehr als ein Angehöriger des Adels war, der sich des Nachts gern in der Stadt herumtrieb. Nicht, dass es wenige davon gegeben hätte.
Sie unterdrückte ein Seufzen und sah sich um. Nichts ließ daraus schließen, dass dies mehr als das Haus eines reichen Bewohners der Stadt war. Von den aufgestellten Büsten bis hin zu den Gemälden an den Wänden, die auf sie hinabsahen. Besaßen sie tatsächlich Augen? Ab und an konnte Shizar sich nicht des Eindrucks erwehren, dass sie beobachtet wurde.
Schließlich führte der Diener sie eine breite Treppe hinauf, die offensichtlich zu den Gästezimmern des Hauses führte. Magische Lampen an den Wänden tauchten den Gang in ein warmes Licht und ein kurzes Aufblitzen von Heimweh zuckte durch ihren Geist. Ihr Zuhause, das ihr nicht mehr offen stand. Denn ohne Zweifel würden sie dort bereits auf sie warten. Alles, was sie besaß … was sie war … verloren.
Sie presste die Lippen zusammen, als der Diener eine vertäfelte Holztür öffnete und sie mit einer Verneigung in den Raum entließ, in dem sie bleiben sollte. Ein großzügiges Bett mit seidenen Kissen und Decken auf einem kostbaren Teppich. Bestickte leichte Vorhänge in dunklen Juwelenfarben gewährten eine gewisse Abgeschiedenheit. Eine Frisierkommode. Samtene Sessel und ein Diwan. Ein Tischchen, auf dem eine Karaffe stand, die höchstwahrscheinlich Wein enthielt. Kristall, gewiss. Hohe Fenster, hinter denen sie zweifellos das Adelsviertel von Nir’alenar finden würde, wenn sie die schweren Vorhänge öffnete. Nicht überraschend. Nicht ungewöhnlich. Sie hatte nichts anderes erwartet.
„Ich danke Euch“, sagte Shizar und der Diener verabschiedete sich mit dem Versprechen, ihr das Mädchen zu senden, das sich ihrer annehmen sollte. Nun … sie selbst hätte es bevorzugt, allein zu bleiben.
Shizar seufzte und ließ sich auf den Diwan sinken, während sie die Karaffe und die zugehörigen Kelche musterte. Vielleicht sollte sie sich betrinken, bis sie einschlief … oh, sie war keineswegs hungrig. Es würde keinen Unterschied machen. Aber es würde die nagende Verzweiflung in ihrem Inneren betäuben. Zumindest für eine Weile, bis sie wieder nüchtern war. Und wach.
Sie schüttelte den Kopf, ein schiefes Lächeln im Gesicht, das eine bittere Note besaß. Am Rande ihres Blickfeldes bewegten sich die Schatten, als Dandara sich ebenfalls auf dem Diwan niedersinken ließ. Die Fee blieb stumm, doch über ihr Band spürte Shizar dieselbe Verzweiflung, die auch sie erfasst hatte.