Beiträge von Shizar

    Shizar hob die Brauen. Selbstsicherheit sprach aus jedem Wort und die Tatsache, dass sie ungehindert die Katakomben passiert hatten, ließ sie nicht daran zweifeln, dass Wahrheit darin lag. Und natürlich hüllte er sich weiterhin in Geheimnisse … vielleicht wenig verwunderlich, wenn man bedachte, wo er sich bewegte. Wer hier verkehrte, neigte mit Gewissheit nicht dazu, seinen Namen auf den Lippen zu tragen. Zumindest, wenn er ein langes Leben besitzen wollte.


    „Und Ihr wollt mir noch immer nicht verraten, wer Ihr seid, nehme ich an?“, fragte sie dennoch, aber sie erwartete keine Antwort darauf. Warum sollte er antworten? Wissen bedeutete Macht. Dies hatte sie in dieser Nacht am eigenen Leib einmal mehr erlebt.


    Shizar stieß ein Seufzen aus und verschränkte die Arme vor der Brust. Es war kühl. Ungemütlich kühl. Wenngleich ein Teil des Frostes aus ihrem Inneren stammen mochte.


    „Wie Ihr heute Nacht erlebt habt, versage ich auf großartige Weise darin, meine eigenen Geheimnisse zu wahren und meine Rätsel zu lösen. Also wäre es besser für Euch, wenn Ihr nicht zu viel von dieser Bekanntschaft erwarten würdet.“


    Es klang resigniert. Untypisch. Aber die Nacht hatte die Maske von Shizars Gesicht gerissen und nichts als Erschöpfung zurückgelassen.

    Shizar hatte geglaubt, die Katakomben zu kennen. Den Nachtmarkt, der sich darin verbarg. Doch tatsächlich hatte sie diesen Flecken noch nie betreten. Die Schattenmagierin folgte dem Fremden durch die labyrinthartigen Strukturen und ihre Augen erfassten jede Kleinigkeit darin. Jede Handlung des Mannes, der sie führte. Er bewegte sich darin, als wäre es seine Heimat. Zweifellos führten seine Schritte ihn oft hierher.


    Und der Markt … Shizars Augen streiften die Vielzahl der hier gesammelten Gegenstände und ihre Lippen verzogen ich zu einem dünnen Strich. Es mochte der Ort sein, an dem auch Morwys seine Waren bezogen hatte. Hatte … es setzte voraus, dass er tatsächlich tot war. Allerdings … bestand auch die Möglichkeit, dass er sie verraten hatte. Verkauft für eine beträchtliche Summe, die ihm mehr wert gewesen war als seine Kundin. Shizar schloss es nicht aus. Sie hatten Geschäfte miteinander gemacht. Er war ihr nie verpflichtet gewesen. Männer wie Morwys kümmerten sich nicht um Loyalität und Moral. Sie kümmerten sich allein um das Gold in ihren Taschen. Ihre Loyalität gehörte jenen, die am meisten dafür boten.


    Vielleicht … konnte sie hier finden, was sie suchte. Einen Weg in die Freiheit. Shizar musterte den Hinterkopf des Fremden, der unbeirrt voranschritt, bis er schließlich innehielt und sie ansprach.


    Die Magierin legte den Kopf schief. Ihre Silberaugen waren auf den Mann gerichtet, der sie durch die Katakomben geführt hatte, während sie noch immer versuchte, ihn einzuschätzen.


    „Warum helft Ihr mir?“ Eine direkte Frage, wie es normalerweise nicht Shizars Art sein mochte. Doch … in dieser Nacht war ihr die Lust an Spielereien vergangen. Sie fühlte sich roh. Ein Zittern lauerte in ihrem Inneren, genährt durch die Erkenntnis, dass ihr Leben auf dem Kopf stand. Unwiderbringlich auf dem Kopf stand. Sie schluckte und atmete ein. „Euch ist bewusst, dass meine Feinde über Macht verfügen. Allein die Tatsache, dass Ihr in dieser Gasse aufgekreuzt seid, hinterlässt eine Zielscheibe auf Eurem Rücken. Es ist leichtsinnig gewesen, mich nicht einfach dort meinem Schicksal zu überlassen. Ihr kreuzt die Pfade einer rachsüchtigen, eitlen Göttin und ihrer nicht minder liebenswerten Priesterschaft. Für eine Fremde.“

    „Erzählt mir etwas Neues“, antwortete Shizar, als der Fremde das Symbol hervorzog, das auf ihrer Schulter prangte. Der Anblick wirkte wie ein Schlag in den Magen. Eine Bestätigung, die sie hart schlucken ließ.


    Ihre Finger schlossen sich um das Buch und zogen es heran. Eine gemurmelte Formel und sie stieß einen Fluch aus. Eine Fälschung, natürlich. Mit einem Zauber versehen, der ausgelöst worden war, als Dandaras Magie damit in Berührung gekommen war. Die magische Kraft hatte den Einband versengt und dunkle Flecken hinterlassen. Die Schattenmagierin ließ das Buch fallen und wischte die Hände an ihrer schwarzen Robe ab, als hätte sie sich daran beschmutzt. Wertlos. Wie diese ganze verfluchte Nacht.


    Eine gefühllose Maske legte sich über ihr Gesicht, als der Fremde das Genick ihres Angreifers mit einem scharfen Ruck brach. Das Geräusch ließ sie schaudern und verursachte ihr Übelkeit, doch sie ließ es nicht auf ihr Gesicht dringen. Shirashais Schergen hätten Schlimmeres mit ihr getan. Und sie verstand. Wer immer er war, er war geübt darin, seine Spuren zu verwischen. Zu töten. Und er sah. Mehr, als sie ihn sehen lassen wollte.


    Allerdings war auch Shizars Blick scharf. Scharf genug, um zu erkennen, wie er sie anblickte. Und sie wusste, dass darin eine größere Macht schlummerte als in jedem Funken Magie, der ihr zur Verfügung stand.


    Sie richtete sich auf und das schwarze Haar glitt über ihre nackte Schulter. Shizar bemühte sich nicht, ihre Haut zu verbergen. Er hatte ohnehin genug gesehen. Innerlich knirschte sie mit den Zähnen, doch es zeigte sich nicht in ihrem Gesicht.


    „Gut. Geht voran.“


    Ein knappes Einverständnis. Shizars Blick glitt über ihre Schulter, auf der Suche nach Verbündeten des Toten. Einer Rückversicherung von Shirashais Anhängern, die aus den Schatten hervorbrechen könnte ... sie wollte ihr Glück nicht auf die Probe stellen. Und für den Augenblick bedeutete es eine größere Sicherheit, sich einer lebenden Waffe anzuschließen. An einen Ort zu gehen, der keine Spur ihrer Präsenz trug. Zumindest, bis sie wusste, wie im Namen aller Götter diese Bastarde ihre Fährte aufgenommen hatten.

    Die Antwort war direkt. Abweisend. Wahr. Ein Messer, das jede weitere Frage abschnitt. Und sie nährte die Gewissheit, dass dieser Mann etwas war, das Shizar bislang noch nicht begegnet war. Doch es beantwortete nicht die Frage, ob er ehrlich war. Ein Tod mehr oder weniger … was bedeutete es den Priestern Shirashais? Was bedeutete es ihrer Hohepriesterin? Ein Tod mehr … es würde sie nicht kümmern.


    Die Schattenmagierin starrte den Mann noch für einen Atemhauch länger an. Dann richtete sich ihr Blick auf das Buch und sie presste die Lippen zusammen. »Woher weiß ich, dass ich Euch vertrauen kann? Ihr könntet all das inszeniert haben, um mich in Sicherheit zu wiegen.«


    Ihre Augen glitten flüchtig über die Gasse. Gehetzt. Sie wusste, dass sie nicht in Sicherheit war, solange sie hier stand. An einem Ort, den mit Gewissheit diejenigen kannten, die diesen Mann geschickt hatten.


    Morwys … war wahrscheinlich tot.


    Ihre Finger bohrten sich in ihre Schulter, dort wo der silberne Stern saß. Für Shizar fühlte es sich an, als würde das Symbol der Göttin brennen. Heiß genug, dass sie sich wünschte, es aus ihrer Haut reißen zu können. Oh, sie hatte es versucht. Eine kleine Narbe zeugte noch davon. Aber der Stern selbst war wie Eisen. Unverletzbar.


    Die Frage, wohin sie gehen sollte … Shizar atmete tief ein. Ja, sie wusste es. Aber noch … noch würde sie kein Wort darüber verlieren.


    Dandara rührte sich. Die Fee erwachte und das Prickeln der Magie wurde stärker in ihr. Es gab Shizar den Kälte, die sie brauchte, um sich langsam niederzulassen und die Finger nach dem Buch auszustrecken.

    Noch immer rang Shizar um Fassung. Ihr Körper war angespannt, jede Faser fluchtbereit, während sie ihr Gegenüber musterte. Der Mann streifte seine Kapuze zurück und offenbarte seine Züge. Marmorgleich. Die Schattenmagierin fand keinen anderen Vergleich und es ließ ihre Unruhe steigen. Nein, tatsächlich kein Mensch. Eine Kreatur, wie aus der Nacht geboren, die Augen dunkle Saphire.


    Eine Kreatur … aus der Nacht geboren … die versuchte … sie zu … beschwichtigen?


    Für einen Moment starrte sie ihn an. Versuchte, seine Worte zu entschlüsseln.


    Feind …


    Sie blickte auf den Mann am Boden und eine ihrer Hände glitt hinter ihren Rücken, um ihren Stand zu festigen,


    Feind …


    Ja … sie besaß Feinde. Und wer immer dieser Mann war, der nun tot am Boden lag, er war gewiss nicht von Morwys gesandt worden. Die Magie so fremd … keine Magie der Schatten und doch dunkel. Sie musste nicht lange raten, wer ihn gesandt hatte. Shizars Knie wurden weich und sie schwankte.


    Sie haben mich gefunden … Sie hat mich gefunden.


    Nein … es durfte nicht sein. Denn wenn es die Wahrheit war, konnte sie nicht nach Haus zurückkehren. Nicht sofort. Nicht ohne … Schutzmaßnahmen.


    Die Schattenmagierin schluckte und ihre Aufmerksamkeit kehrte zu dem Mann zurück, der auf das Buch wies, als wäre es natürlich, dass sie es an sich nahm. Dass er für eine Fremde getötet hatte. Dass sie … denselben Feind besaßen?


    »Das beantwortet nicht meine Frage«, sagte sie mit aller Ruhe, die sie aufzubringen vermochte, obgleich ihr Mund staubtrocken war. »Was seid Ihr?«


    Sie sah ihn an. Unverwandt. Während sie den Impuls unterdrückte, ihren verrutschten Ausschnitt zurück über die Schulter zu ziehen. Ob er die leichten Schuppen auf ihrer Haut erkannte oder nicht … es bedeutete nichts. Nicht mehr.

    Shizar stolperte zurück, als sich der Griff des Mannes plötzlich löste, ohne dass sie auf der Stelle die Ursache erkennen konnte. Sie suchte Halt an der Hausmauer und blinzelte. Einmal. Ein zweites Mal. Die Dunkelheit zerfaserte zu einem trüben Schleier und gab den Blick auf den Vermummten frei, dessen Kapuze von seinem Gesicht gerutscht war. Doch er war nicht, was ihren Blick fesselte.


    Es war die bleiche Gestalt, die ihn zu Boden zwang. Und unter ihrem Griff … schmolz der andere. Wie Kerzenwachs, das sich zu einer Pfütze auflöste und langsam verging.


    Shizar erstarrte. Ihre Instinkte rieten ihr, zu laufen. Abstand zwischen sich und diesen fahlen Menschen zu bringen. Sie suchte das Kribbeln von Magie in der Luft. Das Zusammenballen der Elemente, das auf einen Zauber hinwies. Aber es gab nichts. Nichts.


    Nein. Dies war kein Mensch.


    Shizar schluckte und presste sich an die Wand. Sie spürte Dandaras benommene Präsenz, betäubt von dem Hieb der magischen Kraft. Und es bedeutete … dass sie schutzloser war, als sie sich eingestehen wollte. Die Schattenmagierin fluchte innerlich, während sie versuchte, einen Schutz zu beschwören, irgendetwas, aber es war nicht mehr als ein leichtes Kribbeln auf ihrer Handfläche zu spüren. Und sie wusste, dass sie nicht davonlaufen konnte. Diese Kreatur war ein Jäger. Ein Jäger, unter dessen Händen das Leben aus seiner Beute wich.


    Der Händler sah ein letztes Mal zu ihr auf und sank dann in sich zusammen. Das letzte Licht in seinen Augen erlosch. Die Kerzenflamme wurde vom Wind zu Rauchfäden verweht und verging. Und noch immer ruhte er im Griff des Fremden, dessen Züge unter seiner eigenen Kapuze verborgen blieben.


    »Was … was im Namen aller Elemente seid Ihr?«, brachte sie heiser heraus und presste sich unwillkürlich noch dichter an die Wand. All ihre Sinne waren geschärft, während sie zu Liaril betete, dass Dandaras Benommenheit rasch genug verfliegen würde, um ihnen die Flucht zu gestatten.

    Shizar streckte die Hand aus. Die Handfläche flach auf den Körper des Mannes gerichtet. Ein Prickeln rann über ihre Haut. Die Präsenz von Magie, die von dem Buch ausging. Die Schattenmagierin konnte sie spüren. Dennoch … etwas daran wirkte … fremd. Wenngleich sie nicht sagen konnte, woran es lag. Als wäre die Magie … nicht den Schatten entsprungen … nicht vollkommen.


    „Ihr werdet mir vergeben, wenn ich mich vergewissern will“, sagte sie kalt.


    Nicht sie selbst. Dandara würde es. Shizar erkannte die flüchtige Bewegung. Den Schatten, der sich unbemerkt näherte. Der Gesandte des Händlers bemerkte die Fee nicht. Seine Aufmerksamkeit blieb auf Shizar konzentriert. Auf die ausgestreckte Hand, die andeutete, dass sie sich mit einem Zauber der Echtheit des Buches versichern wollte. Eine Ablenkung, derer sie sich nicht zum ersten Mal bedienten.


    „Morwys wird nicht erfreut sein, dass Ihr seine Integrität anzweifelt.“ Die kultivierte Stimme zeigte eine Spur von … Erheiterung? Shizar musterte den Schatten der Lippen inmitten des Bartes. Er verriet nichts. Die Miene des Mannes war so kalt wie ihre eigene.


    „Ich zweifle nicht ihn an“, erwiderte sie ohne Gefühl. Eine Beleidigung, ja. Aber es kümmerte sie nicht. „Und wenn es an Eurer Integrität keinen Zweifel gibt, werdet Ihr mir nicht verweigern, dass ich prüfe, was ich kaufen soll. Morwys wird es verstehen.“


    Ihr Tonfall wurde süßlich. Aber all der Honig konnte nicht die Schärfe darunter verbergen. Aus den Augenwinkeln konnte Shizar sehen, wie Dandara hinter dem Mann aufflackerte. Ein Schatten, in dem man Fledermausflügel erahnen konnte.


    Der Mann streckte die Hände mit dem Buch aus und die Fee stieß darauf hinab wie ein Raubvogel, der seine Beute fest im Visier hatte.


    Ein Atemhauch. Ein Herzschlag.


    Dann explodierte Schwärze, die das Licht schluckte, und Shizar stieß einen Fluch aus. Sie hörte Dandaras leisen Aufschrei, aber sie war blind. Die Dunkelheit war wie eine Decke, die sich über sie herabsenkte und ihr die Sicht nahm.


    Eine Falle. Eine verfluchte Falle! Aber warum? Niemand wusste, wer sie war … niemand konnte wissen …


    Instinktiv fasste sie nach ihrer Magie, um Schattenpfeile in die Richtung zu schleudern, in der der Mann stand, aber die Schatten antworteten nicht. Ihr Magie schwieg. Entsetzen breitete sich in Shizar aus, als sie hastig einen Schritt zurücktrat und mit dem Rücken gegen die Mauer des Hauses hinter sich prallte. Hände fassten nach ihr. Eisige Hände, die sich um ihre Handgelenke schlossen.


    „Ihr werdet erwartet“, schnarrte der Vermummte. „Besser, Ihr setzt Euch nicht zur Wehr.“


    Eine Warnung, ebenso honigsüß wie ihre eigenen Worte. Shizar nahm all ihre Kraft zusammen, um ihn von sich zu stoßen, aber er war wie eine Mauer aus Eisen.

    Es mochte eine der dunkelsten Gassen nahe des Hafens sein. Selbst das Licht der Muschellaternen vermochte kaum, sie in mehr als einen trüben Schein zu tauchen. Dennoch kannte Shizar sie gut. Es war die Gasse, in der sie sich häufig mit Morwys traf, einem der Händler, die ihre Finger an den dunklen Adern der Stadt hatten und Dinge besorgen konnten. Dinge, die Shizar wiederum dringend genug suchte, dass sie bereit war, die beträchtliche Summe zu bezahlen, die Morwys diesmal verlangte.

    Shizar verzog das Gesicht, als ihr das Gewicht zu Bewusstsein kam, das an ihrer Hüfte zog. Ein Geschmeide ihrer Mutter, der Wert hoch genug, um Morwys’ Forderung gerecht zu werden. Shizar trennte sich nicht gern davon. Es mochte ein Erbstück ihrer Familie sein - der Familie, die ihre Mutter vor die Tür gesetzt hatte wie eine billige Hure. Dennoch kannte sie es seit den Tagen ihrer Kindheit und es erinnerte sie …


    Gleichgültig. Es würde seinen Zweck erfüllen. Hier und jetzt. Ihre Mutter würde es verstehen. Gutheißen. Solange es Shizar nur einen Schritt weiterbrachte. Zu ihrer Erlösung. Freiheit.


    Sie biss die Zähne zusammen und richtete ihre Aufmerksamkeit auf den Mann, der vor ihr stand. Seine Gestalt war schmal wie ein Grashalm - ein Gegensatz zu Morwys, dessen Wohlstand an seiner Körperform erkennbar war. Sein Gesicht verbarg sich unter einer Kapuze. Sie konnte nicht mehr als den Bart darunter erkennen und es genügte, um ein Kribbeln in ihrem Magen zu hinterlassen. Morwys mochte vieles tun, aber er verbarg sein Gesicht niemals …


    „Wenn Morwys Euch gesandt hat, habt Ihr, was ich wollte?“ Sie hielt ihre Stimme kühl. Schneidend sogar. Zauber regten sich unter ihrer Haut. Schützende Schattenmagie, die sie ihrem Gegenüber ins Gesicht schleudern würde, sobald er einen Schritt zu nahe an sie herankam. Dandara hielt sich verborgen. Ein winziger Schatten, der mit der Umgebung verschmolz. Dennoch konnte Shizar die Nähe der Fee spüren. Eine tröstliche Macht, die Speere aus Schatten auf den Vertreter des Händlers niedergehen lassen würde, wenn es nötig war.


    „Gewiss“, antwortete die vermummte Gestalt. „Seht her. Morwys betrügt seine Kunden niemals.“ Die Stimme zu kultiviert, der Tonfall zu geschliffen. Wieder ein Gegensatz mehr zu Morwys.


    Shizar spannte ihren Körper, als der Mann in seinen Mantel griff und ein Buch darunter hervorzog. Der Einband war brüchiges altes Leder. Durch genügend Hände gegangen, um Spuren davongetragen zu haben. Er hielt es ins Licht der Muschellampen und die Schattenmagierin verengte die Augen, während sie es musterte.

    In der Ferne erklang leiser Gesang. Ein Schatten huschte unvermittelt über Shizars Gesicht – ohne Zweifel, die Diener Moravons, die sich um die Katakomben kümmerten. Wahrscheinlich würden sie bald durch den Gang kommen, in dem sie nach dem Zugang zu Deonors Grab gesucht hatte. Nur mit Mühe verbiss sie sich den Fluch, der über ihre Lippen kommen wollte. An die Suche war in diesem Fall nicht mehr zu denken. Diese lästigen Gestalten würden Stunden damit zubringen, die Fackeln auszutauschen.


    "Oh, macht Euch keine Sorgen um Dandara. Sie hasst es, wenn sie dunklen und feuchten Orten ausgesetzt ist und sie nimmt es mir übel, wenn ich sie zu einem Besuch in den Katakomben zwinge." Ihr Schulterzucken tat die Laune des Schattengeistes als unwichtig ab. Tatsächlich war es nicht das erste Scharmützel dieser Art und es würde nicht das letzte bleiben. "Und sehr wahrscheinlich hätte sie es bevorzugt, mit Euch allein zu sein." Ein leichtes Zucken ihres Mundwinkels deutete an, dass sie sich über diese Tatsache amüsierte.


    "Nein, ich denke, ich werde nach oben zurückkehren. Onkel ... Deonor war keiner meiner liebsten Verwandten. Mein Besuch kann warten." Nein, er musste warten. Shizar seufzte innerlich. "Aber vielleicht möchtet Ihr mir beim Aufstieg von Euren dunklen Geschäften erzählen? Es würde mich schrecklich interessieren, für welche Machenschaften man ein Singvögelchen missbrauchen kann. Oder seid Ihr zum Schweigen verpflichtet?"


    Sie legte den Kopf schief und wieder glitzerte es in ihren Augen. Tatsächlich war sie neugierig. Dunkle Machenschaften und Geheimnisse interessierten sie stets und sie sperrte sich nicht gegen Klatsch. Zumindest dann, wenn er nützlich war.

    "Tatsächlich? In der Nacht? Wer würde wohl ein Interesse daran besitzen, in der Nacht Nachrichten zu versenden?" Shizars ironisches Lächeln ließ darauf schließen, dass sie die Frage keineswegs ernst meinte. Allein die Tatsache, dass sie sich mit einer alten, verschmutzten Karte in den Katakomben bewegte, ließ darauf schließen, dass ihr ein solches Ansinnen nicht fremd war. "Ihr solltet vorsichtig sein, sonst bringt man Euer Geschäft womöglich mit dunklen Machenschaften in Verbindung. Und wie schnell ist ein guter Ruf ruiniert?" Es war nahezu unmöglich zu erkennen, ob sie scherzte oder nicht. Das Glitzern in den kühlen Nebelaugen mochte ebenso gut dem schwachen Lichtschein in den Katakomben geschuldet sein.


    Die offene Musterung des Mannes ließ sie ungerührt und mit schief gelegtem Kopf über sich ergehen. Es erstaunte Shizar. Sie fand ein Interesse in seinem Blick, das sie sich nicht zu erklären vermochte und es weckte ihre Neugier. Dennoch ... ihr Argwohn nahm nicht ab, im Gegenteil. Es lag an seinen Augen. Obgleich er harmlos wirken mochte, fand sie etwas darin, das diesen Eindruck schwinden ließ. Männer mit solchen Augen waren niemals harmlos.


    Dandara stieß ein lautes Seufzen aus und flatterte demonstrativ mit den dunklen Flügelchen. Ihr "Ich warte zuhause auf dich" erklang gelangweilt. Allein Shizar vermochte es, den Ärger zu erkennen, der darin mitschwang. Sie antwortete nicht darauf.

    "Shizar", erwiderte Shizar die Vorstellung des Vogelhändlers, ohne ihren Familiennamen zu nennen. Einmal mehr schlich sich das ungeliebte Zischen in ihre Stimme, das sie ihrer Abstammung zu verdanken hatte und sie verfluchte es innerlich. Dandara schenkte sie kaum Beachtung. Sie hob eine Braue und starrte dem Schattengeist für einen Augenblick in die Augen, bis dieser sich abwandte und sichtlich verstimmt die kleinen Ärmchen vor der Brust verschränkte.


    Hilfe, Liaril bewahre ... nein, es wäre überaus hinderlich, bei ihrer Suche Gesellschaft zu bekommen. Insbesondere, wenn sie den Mann nicht kannte. Shizar musterte ihr Gegenüber. Etwas Finsteres haftete ihm an, obgleich sie nicht zu bestimmen vermochte, woher dieser Eindruck rührte. Beiläufig faltete die Schattenmagierin die Karte zusammen und ließ sie im Ärmel ihrer Robe verschwinden. "Ich war auf der Suche nach der Grabstätte eines ... entfernten Verwandten. Er war nicht sehr bekannt." Shizar lächelte kühl, nachdem sie die Lüge über die Lippen gebracht hatte. "Wahrscheinlich muss ich mich eher für Dandara entschuldigen. Sie neigt dazu, in männlicher Gesellschft anhänglich zu werden."


    Der Schattengeist murmelte etwas Unverständliches und funkelte Shizar wütend an. Ohne Zweifel würde es später zu einer Auseinandersetzung kommen, für den Moment war ihr dies jedoch gleichgültig. Sie war verärgert. Sehr verärgert. Dandara ließ kaum eine Gelegenheit aus, ihre Suche zu sabotieren.


    "Sagt ... wie kommt es, dass Ihr Eure Vögel in den Katakomben ausfliegen lasst? Es scheint mir bessere Orte dafür zu geben." Shizar ließ ihren Blick auffällig über das Gewölbe gleiten und zog fragend die Brauen empor. Es war merkwürdig. Und merkwürdige Dinge neigten dazu, ihr Misstrauen zu wecken.

    Shizar wartete. Die Zeit verstrich, doch Dandara kehrte nicht zurück. Verfluchtes, eigensinniges Feenbiest! Warum war ausgerechnet sie mit dieser Kreatur gestraft? Die Magierin verdrehte die Augen in Richtung des Gewölbes, das sich über ihrem Kopf erstreckte. Wie sie Dandara kannte, hatte sie sich auf den Weg nach Hause gemacht, um Shizar für den Aufenthalt in den Katakomben zu strafen. Pflichtbewusstsein gehörte keineswegs zu Dandaras ausgeprägten Stärken, wenn es keine konkrete Gefahr gab, der es zu trotzen galt. Sie fluchte leise und machte sich auf den Weg, um nachzusehen, ob ihre Annahme den Tatsachen entsprach.


    Erstaunlicherweise musste sie nicht lange suchen. Sie fand die Fee nicht weit entfernt ... im Gespräch mit einem Mann. Natürlich! Außer einem Kaminfeuer gab es wenig sonst, was die Schattenfee so sehr zu entzücken vermochte. "Vögel ...", hörte sie Dandara gerade in einem dunklen, nachdenklichen Tonfall sagen.


    Shizar trat aus den Schatten, die Karte in den Händen. Der Ausdruck auf ihrem Gesicht war unwillig. Er galt Dandara, obgleich es kaum zu bestimmen war. "Wenn Ihr damit die kleine Kreatur meint, die ich aus meinem Haar pflücken müsste, so findet Ihr sie gleich diesen Gang hinab." Ihre Stimme war kühl, emotionslos, ganz im Gegensatz zu Dandaras Reaktion.


    Die Schattenfee fuhr ruckartig zu ihr herum und ihre Augen blitzten ärgerlich. "Shizar ... Du störst.", zischte sie leise.

    Dandaras Miene war finster, während sie den Gang entlang flog. Zuweilen zehrte Shizars Besessenheit von Geheimnissen und dem Buch der Schatten an ihren Nerven. Es war nicht so, dass sie brenzlige Situationen generell mied, aber gelegentlich war ihr ein warmes Plätzchen in einer Taverne deutlich angenehmer. Und heute hätte sie nur zu gerne auf die zugigen, feuchten Katakomben verzichtet. Dandara mochte Luxus. Sie teilte Shizars Vorliebe für Staub und Spinnweben nicht. Es war ein ständiger Anlass für Streitigkeiten.


    In Gedanken versunken bemerkte sie den dunkel gekleideten Mann nicht sofort, der auf sie zu kam. Als er sich aus den Schatten schälte, stutzte sie jedoch und hielt mitten im Flug inne. Sie musterte ihn schweigend, dann hellte sich ihr Gesicht deutlich auf. Wenn es eines gab, das Dandaras Stimmung auf der Stelle zu heben vermochte, so war es die Gesellschaft eines attraktiven Mannes. Und dieser Mann war durchaus nach ihrem Geschmack. Dass er deutlich größer war ... nun, es störte sie nicht. Es gab Dinge, über die man hinwegsehen musste, wenn man Seinesgleichen verschmähte.


    Ein bezauberndes Lächeln erblühte auf den Lippen der vergleichsweise winzigen Schattenkreatur und sie flog näher heran. Ein Blick aus wimpernverhangenen Augen traf ihr Gegenüber und sie strich sich geziert eine lose Haarsträhne hinter das Ohr. "Sieh an", hauchte sie mit rauchiger Stimme. "Ich hatte keine Gesellschaft erwartet."

    Shizar fuhr zusammen, als ein klatschendes Geräusch ertönte und sie aus ihren Gedanken riss. Gerade eben hatte sie die Finger in eine weitere Ritze geschoben, um darin nach dem beschriebenen Mechanismus zu tasten und alles, was sie nicht brauchte, war Gesellschaft. Mit einem leisen Fluch hob sie den Kopf, um den Gang entlangzusehen, als in unglaublichem Tempo etwas Kleines, Undefinierbares an ihrem Kopf vorübersauste.


    "Was bei Shirashais nacktem ...?!", der Satz endete in einem erstickten Aufschrei, als ein weiteres der kleinen Geschöpfe heranraste und sich in den langen Flechten ihres schwarzen Haares verfing. Aus dem Schrei wurde ein ungestümer Fluch, als es dicht neben ihrer Wange flatterte und schlug, kratzte und protestierend piepte.


    Shizar zögerte nicht lange. Ihre Finger glitten aus der Spalte und schlossen sich um das verängstigte Geschöpf, das sich als verirrter Vogel erwies. Dandara saß noch immer an der gleichen Stelle, allerdings hatte sich ihre Haltung deutlich verändert. Der Schattengeist lachte aus voller Kehle, so laut, dass man glauben konnte, ein wesentlich größeres Wesen vor sich zu haben.


    Die Magierin starrte den Geist böse an, ohne damit auch nur das geringste zu bewirken, dann befreite sie das Tier verärgert aus seinem schwarzseidenen Gefängnis. Mit einem erleichterten Laut flatterte es den Gang hinab.


    "Wirklich, Dandara. Es hätte dich zu viel Mühe gekostet, mir zur Hand zu gehen, nicht wahr?" Shizar musterte den Geist mit einer emporgezogenen Braue, erntete jedoch nur ein gelassenes Schulterzucken.


    "Wieso sollte ich? Du bist allein zurechtgekommen, oder nicht?"


    "Weil du langsam fett wirst und dir Bewegung nicht schaden kann." Shizar ignorierte Dandaras wütenden Blick, wohl wissend, dass es wenig gab, was den eitlen Feengeist härter traf. Wo zum Abgrund war der Vogel hergekommen und wer hatte geklatscht? Forschend spähte sie den Gang hinab. "Mach dich wenigstens jetzt nützlich und sieh nach, ob wir Gesellschaft bekommen."
    Sie verstaute die Karte in ihrer Robe, während sich Dandara murrend in Bewegung setzte.

    "Verflucht, Dandara! Musst du mir vor dem Gesicht herumschwirren?", zischte Shizar ungehalten, während sie mit einer heftigen Bewegung den Elementgeist beiseiteschob, der gelangweilt vor ihrer Nase schwebte.


    "Gib es auf, Shizar. Die Karte ist eine Fälschung. Er hat dich hereingelegt." Dandara gähnte herzhaft und machte es sich dann mit einem Augenrollen auf einem losen Stein gemütlich. Sie verschränkte die Arme hinter dem Kopf und bemühte sich nicht, ihren Unwillen zu verbergen.


    Shizar antwortete nicht, sondern fuhr damit fort, die Wände nach Spalten oder verborgenen Schaltern abzutasten. Schon seit Stunden befanden sie sich in den Katakomben von Nir'alenar. Es war ein abgelegener Gang, den selten eine lebendige Seele betrat. Dandara murmelte etwas Unverständliches, während sie die Halbelfe dabei beobachtete, wie ihre Finger in Spalten und Löcher glitten, zupften, drückten und zerrten, ohne etwas auszurichten.


    Tatsächlich verlor auch Shizar langsam den Mut. Sie hatte die Karte bei einem windigen Händler erstanden, der auf dem Nachtmarkt seltene magische Gegenstände anbot. Darunter ein Medaillon, das ihr Interesse geweckt hatte. Es sollte aus dem Besitz von Deonor Aristan stammen, einem Schattenmagier, der sich mit seinen magischen Schätzen hatte bestatten lassen. Deonors Grab hatte Generationen eifriger Schatzjäger dazu animiert, in den Katakomben ihr Glück auf die Probe zu stellen, allerdings erfolglos. Auch Shizar konnte nicht widerstehen, wenn sein Name fiel. Nicht zuletzt, weil dieser in Verbindung zu dem legendären Buch der Schatten stand.


    Auf der Karte war nicht allein der direkte Weg zu seinem Grabmal verzeichnet, nein, dies wäre zu einfach gewesen. Deonor hatte sein Grab mit allein Mitteln schützen lassen, die ihm zur Verfügung standen. Er war bereits zu seinen Lebzeiten ein gieriger, kleiner Bastard. Auch im Tode gab er diese Haltung nicht auf. Deonor Aristan teilte mit nichts und niemandem. Die Karte zeigte eine Möglichkeit, auf einem Schlupfweg in die Grabkammer einzudringen und die Fallen zu umgehen. Eine Möglichkeit, die der Händler genutzt hatte, um an das Medaillon zu gelangen.


    Shizar richtete sich auf und pustete frustriert eine schwarze Strähne aus ihrem bleichen Antlitz, betrachtete sich die Wände genauer. Es musste einen Weg geben. Es musste einfach.

    Ein „Test“ also. Shizar kämpfte für einen winzigen Augenblick mit der Wut, die ungebeten in ihr aufsteigen wollte. Dieser Zandhros war glitschig wie ein Winteraal. Ein besonders schwer zu greifendes Tier, das sich aus jeder brenzligen Situation herauszuwinden pflegte. Shizar hob eine Braue empor, zog es jedoch vor, Dursals Experimente nicht mehr länger zu thematisieren. Ob er aufrichtig war oder lediglich auf ungeschickte Weise einen Fehler zu korrigieren versuchte, war schwer zu sagen. Sie kannte den Magier nicht gut genug, um sich ein Urteil zu bilden.


    Stattdessen nickte sie und erhob sich übergangslos. Dandara flatterte von ihrer Schulter auf, um sich gleich darauf wieder in einer etwas bequemeren Position niederzulassen.


    „Wir werden sehen, Zandhros. Bevor ich meine Entscheidung treffe, werde ich einiges überdenken müssen.“


    Nun, Informationen einziehen traf es wohl eher. Noch wurde sie nicht recht schlau aus diesem seltsamen Parcours mit den vielen Wendungen, der an diesem Abend stattgefunden hatte. Doch etwas in ihr war neugierig darauf, was wirklich hinter all dem stecken mochte.
    Sie nickte knapp und wandte sich dann um, um den Zauberbrunnen zu verlassen.

    „Ein ganz reizendes Angebot, Zandhros. Leider teile ich Eure Faszination an dieser Thematik nicht und ich verspüre nicht den Wunsch, Dursals … Versuche am eigenen Leib nachzuvollziehen. Ich bin mir jedoch der Tatsache bewusst, daß viele aus unseren Reihen Interesse an der Erforschung von solcherlei Dingen hegen. Ich gehöre allerdings nicht dazu.“


    Shizar erschauderte geziert. Wenn dies zu seinen Überredungstaktiken gehörte, so trafen sie bei ihr keineswegs auf fruchtbaren Boden. Vertrauen hin, Vertrauen her. Sie würde sich von niemanden in einen Todesähnlichen Zustand versetzen lassen. Und schon gar nicht von jemandem, der offenbar ein klein wenig leichtfertig mit dem eigenen Leben umging.


    „Und da Ihr ein solch wahrhaft hilfsbereiter Zeitgenosse seid, habt Ihr also beschlossen, das Schicksal aller ansehnlicher, junger Schattenmagier in die eigene Hand zu nehmen und sie für alle Zeit von dieser Plage zu befreien? Ganz gleich, ob Ihr selbst dabei zu Schaden kommt? Eure Selbstlosigkeit erstaunt mich.“


    Eine Braue wanderte nach oben und rauchfarbene Augen musterten ihr Gegenüber durchdringend.

    Shizars Brauen schossen empor. Eine Gefühlsregung, die sie nicht schnell genug zu kontrollieren vermochte, bevor sie auf ihr Gesicht gelangen konnte. Nur mit Mühe unterdrückte sie das hysterische Auflachen mit einem Schluck Rotwein, der beruhigend ihre Kehle hinab floss und es ihr ermöglichte, die Fassung zurück zu erlangen.


    Es war beinahe klischeehaft. Wie aus einem dieser Liebesromane, die gerade in Mode gekommen waren. Ja, es hätte direkt aus der Feder des Artemius Saskolar stammen können. Der düstere Schattenmagier, das unschuldige, goldene Mädchen und die rachsüchtige Göttin. Der Stoff, der das Seestern Theater zum Beben brachte. Shizar glaubte kein Wort davon. Allerdings gab es diese andere Kleinigkeit, die weitaus interessanter - und beunruhigender - war. Besuche der Göttin in der Kindheit. Shizar wehrte sich gegen den Impuls, das Mal an ihrer Schulter zu berühren, fragte sich gleichzeitig, ob ihr Gegenüber auf ähnliche Weise gezeichnet sein mochte. Dandara regte sich unruhig. Die Schattenmagierin konnte sich vorstellen, was in dem Geist vor sich ging.


    "Wenn Ihr glaubt, daß Ihr... Eure Pläne in die Tat umsetzen könnt, ohne daß SIE Euch auf die Schliche kommt, seid Ihr ein Narr, Zandhros. Ihre Spione sitzen auf der ganzen Insel und lauern darauf, daß ein Werk wie das Buch der Schatten zum Vorschein kommt. Ihr seid tot, bevor Euch auch nur eine Formel daraus über die Lippen gekommen ist."


    Sie schwieg für einen Augenblick und ein eindringlicher Blick aus ihren rauchfarbenen Augen traf den Schattenmagier unvermittelt.


    "Besuche in der Kindheit sind keineswegs gewöhnlich. Ihr könnt unmöglich so dumm sein, daß Ihr glaubt, daß sie das Interesse an Euch verliert und Euch in Ruhe lässt. Wahrscheinlich beobachtet sie Euch in diesem Augenblick durch die Augen irgendeines Wesens, das sich in diesem Gasthaus befindet."


    Eine glaubhafte Befürchtung, die auch Shizar in ihr Visir brachte. Eine plötzliche Übelkeit machte sich in ihrem Magen breit und sie brachte all ihre Willenskraft auf, um sich nicht in dem Raum nach etwaigen Beobachtern umzusehen.

    Er war scharfsinniger, als Shizar es ihm zugetraut hätte. Für einen kurzen Moment zogen sich die schwarzen Brauen über den kühl blickenden Augen zusammen, dann entspannte sich ihre Miene zu einer Art gespieltem Schmollen. Ein gut erprobtes Mienenspiel, das seine Wirkung selten verfehlte.


    "Nein wirklich, Zandhros, Ihr beleidigt mich. Erst wollt Ihr mich mit euren eigenen billigen Tricks ködern und dann werft ihr mir eine ähnliche Plumpheit vor. Ich bin bekannt dafür, mein Wort stets in jeglicher Hinsicht zu halten. Ihr solltet mir nicht Eure eigene Unehrlichkeit unterstellen wollen."


    Während sie mühelos ihre verletzte Fassade aufrecht erhielt, begann es in Shizars Kopf zu arbeiten. Tatsächlich wusste sie nicht, wie sie ihre nächsten Schritte setzen sollte und so spielte sie auf Zeit.
    Es schien, als ob sich ein einfacher Ausweg bieten sollte. Nur ein einfaches Nein und er würde sie in Ruhe lassen. Tatsächlich? Sie konnte es kaum glauben. Der andere Schattenmagier legte einen solch großen Wert darauf, ehrlich und offen zu erscheinen, daß er ihr Misstrauen geradezu herausforderte.
    Vieles an dieser Begegnung blieb ihr ein Rätsel. Warum er ausgerechnet sie ausgewählt hatte, was all das Gerede von Bedrohung auf der einen Seite aber auch von den Verlockungen der Macht auf der anderen zu bedeuten hatte. Es ergab keinen wirklichen Sinn. Und Shizar hatte gelernt, daß keine einfachen Auswege gab und die Dinge selten so waren, wie sie sich darstellten. Es gab Gründe, warum sie gemeinhin andere Magier zu meiden pflegte.


    Mit einem tiefen Seufzen nippte sie an ihrem Wein und richtete dann ergeben den Blick in Richtung der Zimmerdecke, bevor sie sich eines schmeichelnden Tonfalles bediente. Er war unecht, sicherlich, doch das sollte ihr Gegenüber kaum stören.


    "Und wie könnte ich jemals Eure Fähigkeiten infrage stellen? Ein Anfänger hätte wohl kaum Kenntnis von diesem Werk erlangt. Zumindest dann nicht, wenn er nicht zuvor Shirashais Laken geteilt hat."


    Nun, genau genommen sorgte er selbst dafür, daß man sie nicht infrage stellte. Er ließ keine Gelegenheit aus, diesen Umstand zu erwähnen.

    Nachdem Zandhros geendet hatte, lehnte sich Shizar auf ihrem Stuhl zurück und der leichte Hauch eines angedeuteten Lächelns erhellte ihre Züge und durchdrang die Emotionslosigkeit. Es war weniger das offene, freundliche Lächeln einer gewöhnlichen Frau, eher das etwas beunruhigende, zufriedene Lächeln einer Katze, die soeben ihre Milchschale geleert hatte.


    "Seht an, Ihr könnt also auch anders, Zandhros? Ohne billige Tricks? Ihr überrascht mich. Das hätte ich Euch niemals zugetraut."


    Der leise Sarkasmus in ihrer Stimme war deutlich hörbar. Es war gewiss, daß Shizar sich nicht in ein fröhliches, naives Ding verwandeln würde, das freudestrahlend auf jeden Vorschlag einging und sich nichts dabei dachte. Dennoch wirkte ihre Miene zumindest ein klein wenig zugänglicher. Sie musste keine Zugeständnisse machen, nein, das würde sie auch nicht. Aber bis sie einen Weg gefunden hatte, diesen lästigen Menschen loszuwerden, bevor er ihr die Aufmerksamkeit der Göttin der Nacht auf einem Silbertablett dargebracht hatte, war es vielleicht nicht unklug, sein Spiel mitzuspielen. Wenn sie erst zuhause war, nun, dann würde sie sich problemlos seinem Zugriff entziehen können. Bis zu diesem Zeitpunkt mochte es nicht schaden, sich seine Ergüsse anzuhören, ohne ihn allzu sehr auf ihr kleines Problem aufmerksam zu machen.
    Das Letzte, was sie brauchte, war ein eifriger Anhänger Shirashais, der seine Neugier nicht zu zügeln vermochte. Wenn sie jedoch auf ihn einging, war es wahrscheinlicher, daß Ihr genau diese Neugier erspart blieb.


    "Nun gut, also werde ich Euer Angebot in Betracht ziehen. Ihr werdet es sicherlich verstehen, daß ich tatsächlich Zeit benötige, um darüber nachzudenken. Eine solche Entscheidung möchte gut durchdacht werden."


    Wenn sie allzu kategorisch ablehnte, würde es Zandhros mit aller Wahrscheinlichkeit misstrauisch werden lassen und er könnte nach Gründen suchen. Shizar hatte einen gewissen Ruf, was Geheimnisse betraf und wenn er sich an den richtigen Stellen umgehört hatte, war ihm dieser womöglich zu Ohren gekommen. Besser, nicht zu riskieren, daß er seine Nase tiefer in ihre Geheimnisse steckte, als er es womöglich ohnehin schon getan hatte.