Beiträge von Amaray

    Sie empfing das Bild stumm, spürte die Ermutigung, die sie für einen Augenblick lächeln ließ. Schweigend ging sie für eine Weile neben Mallalai durch die Straßen, ließ das Bild der fremden Stadt auf sich wirken und hing ihren Gedanken nach.


    Es war merkwürdig, an einem Ort zu sein, an dem niemand von ihrem Makel wusste. An dem ihr keine Blicke, kein Getuschel folgten. Noch seltsamer war es, sich in Gesellschaft eines der Ihren zu befinden, ohne Misstrauen und Missgunst ausgesetzt zu sein.


    Sie musterte ihn von der Seite, nur kurz, so daß er ihren Blick nicht bemerken sollte. Schaute dann wieder zurück auf den Weg, der sie an ihr Ziel führen sollte. Ihre Zunge leckte über die trocken gewordenen Lippen. Trockenheit, ein Gefühl, das Amaray noch nicht kannte und das sich unangenehm anfühlte. Ohnehin bemerkte sie, wie das Nass ihrer Haut langsam nachlassen wollte, ihre fein geschuppte Haut von einem Spannungsgefühl umfangen wurde, das sie noch nie zuvor gefühlt hatte.


    Wie konnte es an einem solch trockenen, unangenehmen Ort Leben geben? Wie konnte man hier bleiben wollen und es dem Wasser vorziehen? Warum gab es Meereswesen, die an Land gingen, wenn es keinen dringlichen Grund dafür gab? Für den Augenblick fiel es Amaray schwer, dies zu verstehen und sie räusperte sich leise, um ihrer trockenen Kehle die Stimme zu entringen.


    „Warum verlässt Du das Wasser und kommst hierher? Hier an diesen… trockenen Ort.“


    Eine einfache Frage, geboren aus den Gedanken, die sie bewegten. Es schien ihr unfassbar, daß er sich hier auskannte, öfter hier einkehren musste, um… ja, um was zu tun? Was mochte ihn wohl hierher treiben?
    Sie sah ihn nicht an. Unangenehm war es ihr, Fragen zu stellen, die nichts mit den Wegen der Magie zu tun hatten. Persönliche Fragen. Fragen, die man nur dann stellte, wenn man einen näheren Umgang pflegte. Es war nichts, was Amaray gewohnt war und so kamen die Worte unsicher und stockend.
    Sie rang die Hände mit den zarten Schwimmhäuten zwischen den Fingern. Ein äußerliches Anzeichen für den inneren Aufruhr, der sie bewegte.

    Freundlichkeit von Ihresgleichen. Amaray war es nicht gewohnt und es stärkte die nagende Unsicherheit noch. Doch da war etwas anderes, ein seltsames Gefühl der Wärme, das sich in ihr ausbreitete, ohne dass sie es verstehen konnte. Niemand begegnete ihr arglos, niemand begegnete ihr ohne schiefe Blicke, niemals bewegte sie sich, ohne von Geflüster und Spott verfolgt zu werden.
    Ihr Staunen ließ sie die Freundlichkeit und die Gesten des anderen akzeptieren. Oder war da noch mehr? Neugier. Warum war er, wie er war? Woher stammte dieser Hass? Vielleicht spürte sie ein Wesen, das ebenso zerbrochen war wie sie.


    Und so nickte Amaray und ein ungewohntes, scheues Lächeln zeigte sich auf ihren Lippen. Der Panzer, der ihre Seele bedeckte und schützte, glitt ein wenig zur Seite und machte dem Wesen Platz, das sie vielleicht geworden wäre, hätte man sie nicht schutzlos auf den Stufen des Tempels ausgesetzt, um sie der Welt und ihrer Kälte auszuliefern.


    „Die Hallen der Magie, ja. Mein Meister hat diesen Namen erwähnt. Ist es weit von hier aus?“


    Die Entfernung kümmerte sie in Wirklichkeit wenig. Es war ihre Unbeholfenheit, die sie belangloses aussprechen ließ, weil sie keine anderen Worte fand. Wie sollte sie auch wissen, was sie fragen durfte? Was sie tun sollte? Die Situation war ungewohnt.
    Alles außerhalb der magischen Universität war ungewohnt.
    Eine Welt, die sie nicht kannte und niemals kennengelernt hatte. Die Universität war ein abgeschlossenes Reich für sich, in dem sich alles in geregelten Bahnen bewegte und in dem man die meisten Gesichter kannte und ihnen Namen zuordnen konnte.
    Es war ein gleichsam von der Außenwelt abgeschlossener Bereich, den Amaray selten verlassen hatte, wenngleich sie dort nicht glücklich war. Doch wenigstens befand sie sich in der Nähe Niralors und begegnete ihm zuweilen, was ihre Tage erträglich machte. Und die magischen Studien taten ihr übriges, um sie vergessen zu lassen – es war alles, was die Welt ihr zugestanden hatte.

    Amaray folgte dem anderen Meereselfen aus dem Wasser hinaus. Noch immer schmerzhaft füllten sich ihre Lungen wieder und wieder mit der Luft und verwandelten sie in das, was sei einst hätte sein sollen, bevor die Sternensplitter den Ozean berührt hatten - ein Geschöpf der Oberwelt, dazu erschaffen, um unter den Sternen zu tanzen und Luft zu atmen.


    Mallalais Frage erinnerte sie an den eigentlichen Zweck ihrer Reise, der unter den neuen Eindrucken so sehr in den Hintergrund getreten war.
    Ein plötzliches Zittern lief durch den zarten Körper, endete schließlich in einem kaum merklichen Beben, das sie nicht zu unterdrücken vermochte. Ihre Augen wurden groß, als ihr das Ausmaß ihres Auftrages plötzlich in seinem vollen Umfang zu Bewusstsein kam. Sie war hier fremd! Eine fremde Stadt, eine fremde Stadt, die fremdartiger war als alles, was sie sich vorzustellen vermochte. Und sie war allein. Noch nicht einmal eine Fee war an ihrer Seite, denn Amaray besaß keine solche Wesenheit, die sie mit ihrer Macht zu stärken vermochte. Wie sollte sie ihren Auftrag erfüllen? Wie sollte sie sich hier zurechtfinden, wenn alles, was sie in diesem Augenblick wollte, die Flucht zurück in das Meer war?


    Wie klein sie sich plötzlich fühlte, wie hilflos. Sie verachtete diese Gefühle, die sich ihrer bemächtigen wollten, versuchte, sie in einer riesigen Kraftanstrengung zu verdrängen. Doch was half es, wenn sie sich selbst belog? Wenn sie ihre Angst verleugnete? Aber ebenso wenig half es ihr, wenn sie sich von der Panik übermannen ließ und sich in den wirbelnden, dunklen Schlund stürzte, der sie dann erwartete.


    Ihre Schultern hoben und senkten sich in einer Geste, die ihre Hilflosigkeit gegen ihren Willen offenbar machte. Sie räusperte sich, als es sie einmal mehr Mühe kostete, unter diesen merkwürdigen Bedingungen Worte zu formulieren und sie mit unsicherer Stimme hervorzubringen.


    “Ich suche jemanden. Einen Magier, ein Halbblut unseres Volkes. Mein Meister möchte, dass ich ihm eine Nachricht überbringe.”


    Sie verstummte, unsicher, ob sie zu viel gesagt hatte. Unsicher, was sie offenbaren durfte. Der Inhalt der Nachricht war ihr nicht bekannt. Sie sollte sie überbringen und in Empfang nehmen, was sie daraufhin erhalten würde. Mehr wusste sie nicht.
    Ein nervöses Lachen erklang, als ihr bewusst wurde, wie absurd all das war. Sie hatte Niralor imponieren wollen und sich für dieses Unterfangen gemeldet. Blind dafür, was es wirklich bedeuten würde.


    “Aber ich befürchte, dass ich die Größe dieses Ortes unterschätzt habe.”

    Amaray erkannte wohl den Ausweg, den Mallalai ihr bieten wollte und ihr Gesicht wurde von einer heftigen Röte überzogen, als in ihr Bewusstsein drang, wie leicht es ihm doch gefallen sein musste, ihre Gefühle, ihren inneren Zweispalt so einfach und mühelos zu erkennen. Lagen ihre Gefühle so deutlich sichtbar vor allen, die sie traf? Gleich einem Silbertablett, das sie willig präsentierte?
    Ärger erfasste sie, Ärger über sich selbst und über ihre eigene Unbeherrschtheit. Ja, sie war an ihrem Unglück selbst schuld und sie wusste es. Unbeherrschtheit war der Todesstoß für jeden Magier, die Garantie dafür, daß sie es niemals vermögen würde, eine Fee an sich zu binden.
    Sie sah zu Boden, kämpfte erneut mit sich und blickte dann zu ihm auf auf. Beinahe lag etwas herausforderndes in ihrem Blick, als ihre Augen Mallalai begegneten und mehr zu sagen vermochten, als es ihr Mund zu tun bereit war.


    Ja, ich bringe dieses Opfer für Dich. Und ich habe mich dazu entschlossen. Bring mich nicht davon ab.


    Doch dies sprach sie nicht aus. Die Worte, die über ihre Lippen kamen waren anders, weniger von Entschlossenheit gefärbt als ihr Blick, so als sei es noch ungewohnt für sie, wirklich das in die Freiheit zu entlassen, was ihr Kopf so einfach in ihrem Mund legen wollte.


    "Ja, ich möchte, daß wir zusammen gehen. Dieser Ort ist mir nicht vertraut... er ängstigt mich."


    Und dies war noch nicht einmal gelogen. Die Welt außerhalb des Meeres war fremd für Amaray und die Eindrücke, die sie zu überwältigen drohten, benebelten ihre Sinne und machten sie nahezu unbrauchbar. Womöglich, ganz tief in ihrem Inneren, war sie froh darüber, ein Wesen gefunden zu haben, daß sie zu leiten vermochte, ihr bei den ersten Schritten auf diesem ungewohnten Terrain zu gehen half. Doch dies würde sie sich niemals eingestehen. Und der Teil, der darum wusste, hoffte inständig, daß ihre Gefühle diesmal nicht leicht zu lesen waren und dies offenbaren würden.


    Und da war noch mehr - Neugier. Neugier auf dieses andere Wesen, das so anders war als sie selbst und doch dem gleichen Volk entsprungen war. Neugier darauf, was ihm wohl wiederfahren sein mochte, um ihn zu dem zu machen, was er war. Um ihn blind zu machen, wenn er einem Yassalar begegnete. Doch gleichzeitig glaubte sie nicht daran, daß er es ihr so einfach servieren würde, wie sie ihre Gefühle wohl wider ihren Willen dargelegt hatte.

    "Was, ich? Was meint ihr damit?"


    Amaray blickte zutiefst verwirrt den Tritonen an, um die Augen dann aus dem Fenster schweifen zu lassen und den Meereselfen mit einem Blick zu verfolgen. Mars kleiner Hinweis darauf, daß er an der Bekanntschaft mit ihr interessiert gewesen war, brachte sie vollkommen aus dem Konzept und ließ sie gleich darauf heftig erröten. Nein, es hatte keinerlei Anzeichen dafür gegeben, daß der andere Mira'Tanar an mehr, als lediglich an etwas Gebäck interessiert gewesen war, zumindest redete sich Amaray tapfer ein, daß dies der Fall gewesen war.
    Sie brauchte nur wenige Sekunden, um sich von ihrer Verwirrung zu erholen und funkelte Mar wütend an, so als ob er sich einen Scherz auf ihre Kosten erlaubt hatte. Was nach Amarays Meinung auch so gewesen sein musste. Höchstwahrscheinlich musste dies den anderen vollkommen verwirren, doch das erkannte sie noch nicht einmal.


    "Nein, so ein Unsinn! Er war lediglich zufällig hier, um ein wenig Gebäck zu kaufen."

    Amaray gab nicht vor zu verstehen, was Mallalai in seinem Inneren bewegte, denn die Geschichte, die er nur so kurz anschnitt, gab ihr kaum Aufschluss darüber, was ihn bewegen mochte und sie zweifelte daran, daß er es ihr offenbaren wollte. Doch eines verstand sie, auf einer tieferen Ebene, die ihr selbst kaum bewusst war - er würde sich in diesen Augenblicken nicht daraus befreien können, wenn sie ihm nicht dabei half. Er würde sich auf den Yassalar stürzen, mit ihm kämpfen, bis einer von ihnen blutend auf dem Boden lag und sich nicht mehr zu erheben vermochte. Und sie war alles, was noch dazwischen stand.
    Und so focht Amaray ihren eigenen Kampf aus, von dem er nichts ahnen konnte. Kämpfte gegen ihre Unabhängigkeit und die schlechten Erfahrungen an, die das Leben unter den Meereselfen für sie bereit gehalten hatte. Nein, Amaray vertraute sich niemandem an, sie suchte keinen Schutz und erbat sich keine Hilfe, denn nur zu sehr war sie sich der Tatsache bewusst, daß es Enttäuschung und Schmerz mit sich brachte, wenn man sich in die Hände eines anderen begab. Und Schutz suchen bedeutete Schwäche. Schwäche, die sie in ihrem Leben nicht dulden konnte und für die sie sich verachtete.


    Und doch... wenn es Schwäche war, die über Leben und Tod entschied, wie konnte sie sich ihr dann entziehen? So wandte sie ihren Blick vom Boden ab, auf den anderen Meereselfen. Und die Worte kamen ihr nur widerwillig über die Lippen, stockend und unsicher, tröpfelnd wie zäher Honig, der sich nicht lösen wollte.


    "Das Philosophenviertel... bitte zeig mir den Weg. Ich... ich habe diesen Ort noch nie zuvor betreten und..."


    Ein erneutes Zögern, das die quälenden Worte, die Eingeständnis ihrer eigenen Unfähigkeit nicht über ihre Lippen lassen wollte.


    "... ich weiß nicht, wie ich dorthin gelangen soll. Und dieser Ort... bereitet mir Unbehagen in seiner Fremdartigkeit. Ich fühle mich, als sei ich in einem Käfig gefangen, der mich niemals mehr gehen lassen wird."


    Die Worte, die nun endlich über ihre Lippen gekommen waren, hatten einen zarten, rötlichen Schimmer auf ihren Wangen hinterlassen und Amaray wandte beinahe beschämt den Blick ihrer blauen Augen von Mallalai ab, sah erneut zu Boden, um sich zu fassen.

    Amaray hatte den Mund geöffnet um zu antworten, schloss ihn jedoch gleich wieder und schwieg während des Wortwechsels der beiden Männer. Es hatte ohnehin wenig gegeben, daß sie zu antworten gewusst hätte - sie war erst zu kurz in dieser Siedlung und achtete gemeinhin wenig auf Schmuck und dergleichen, da es eher Wissen war, mit dem sie sich zu schmücken pflegte.
    So blickte sie dem Meereselfen nur ein wenig verwirrt über dessen Reaktionen nach, für die sie keinen Anlass zu finden vermochte und lächelte den Tritonen kurz als Antwort auf seine Ausführungen über seine Backkünste an. Es war Amaray nicht gegeben, es wirklich zu bemerken, wenn ein männliches Wesen ihr imponieren wollte.

    Nicht ahnend, was den anderen Mira'Tanar in diesem Augenblick beschäftigen mochte und in ihren eigenen Gedanken gefangen, erblickte Amaray den Yassalar nicht sofort. Zu viele Eindrücke schwebten durch ihren Geist und lähmten diesen in ihren ersten Augenblicken auf dem Land. Und selbst wenn sie in diesem Moment alle Energie darauf verwendet hätte, auf den Yassalar oder ihren Begleiter zu achten, so hätte sie es dennoch nicht vermocht. Zuviel Neues umgab sie, lenkte sie ab und verlangte nach ihrer Aufmerksamkeit. Zu merkwürdig war das Gefühl, Luft zu atmen und sich nicht in der schützenden Umarmung des Wassers zu befinden.
    Ein kurzer Stich fuhr durch ihr Herz, als ein nagendes Gefühl, irgendwo in den verborgensten Tiefen ihres Kopfes leise zu sticheln begann, daß dies wohl der Grund dafür sein müsse, daß sich ihr keine Fee nähern wollte. Denn mangelnde Konzentration war der Todesstoß für den Fluß der magischen Energie...


    Entschlossen wischte sie den Gedanken beiseite und er half ihr dabei, in die Realität zurück zu kehren und die seltsame Spannung im Körper ihres Begleiters zu bemerken, dessen Aufmerksamkeit auf etwas gerichtet war, das sich im Augenblick noch ihrem Bewusstsein zu entziehen vermochte.
    Amarays Augen glitten über den Hafen, suchten nach dem, was Mallalai wohl beunruhigen mochte und blieben schließlich an dem dunklen Gesicht des Yassalars hängen, der nach seinen Verfolgern Ausschau hielt, wohl um ihnen endgültig zu entkommen.


    Unwillkürlich wandte sie sich von ihm ab, zu dem Mira'Tanar an ihrer Seite, noch immer nicht verstehend, was ihn bewegte. Und ohne zu wollen, kam die leise Frage über ihre Lippen: "Warum?". Denn sie verstand ihn nicht, verstand nicht, warum er es nicht zufrieden war, mit dem Leben davon gekommen zu sein. Was ihn dazu trieb, den Yassalar zu verfolgen und Rache zu nehmen.

    Amaray war verwirrt. Es fiel ihr schwer, die Handlungen ihres Begleiters wirklich zu begreifen, doch mittlerweile war sie sich recht sicher, daß er sich nicht weder über sie lustig machte, noch daß er negative Gefühle gegenüber ihrer Person hinter seiner Freundlichkeit verbarg. Und so folgte sie ihm nun, da er sich schnell auf die Kuppel zubewegte, die das Meer vom Festland trennte, sich wohl seiner Eile bewusst, obgleich sie nicht zu verstehen vermochte, warum ihm die Verfolgung dieses einen Yassalar so wichtig war. Mallalai gab sich nicht damit zufrieden, mit dem Leben davongekommen zu sein. Er wollte Rache. Und Amaray folgte ihm aus einem Grund heraus, den sie selbst nicht verstand.


    Sie zögerte für einen Augenblick bevor sie schließlich die Kuppel überwand, unter der seltsamen, magischen Konstruktion hindurch schwamm, die das Land unter ihrer schützenden, nahezu flirrenden Schicht gefangen hielt. Es glich beinahe einem Schock, dieses seltsame Summen, das sie auf ihrer Haur spürte, als sie die Kuppel überwand und sie mit ihrem linken Bein nur zart berührte. Und dieser Schock fuhr durch ihren ganzen Körper, brachte sie dazu, in der Reaktion darauf nach der Hand des Meereselfen zu greifen, eher um das Gefühl der Angst verschwinden zu lassen, das sich in ihrem Geist zu regen begann, als um wirklich Hilfe zu finden.


    Und so durchstieß auch Amaray die Wasserdecke, um sich der schutzlosen Atmosphäre des Festlandes auszusetzen. Ein leichtes Zittern lief durch ihren Körper, ein kurzes Schnappen nach der ungewohnten Luft, die schmerzhaft in ihre Lungen drang und darin für einen furchtbaren Augenblick brannte. Dann öffnete sie die Augen und strich das silbrige Haar aus ihrem Gesicht, um unsicher ihre neue Umgebung zu mustern - den Hafen von Nir'alenar, die gestrandeten Schiffe, deren Segel zerrissen und trostlos von einer magischen Brise berührt wurden und die darin ein geisterhaft anmutendes Geräusch verursachten.

    Für einen Augenblick legte Amaray ein wenig erstaunt den Kopf schief, denn die Reaktionen des anderen Meereselfen wirkten so, als sei irgendetwas nicht in Ordnung. So erwog sie zunächst, ihn danach zu fragen, verwarf den Gedanken jedoch wieder. Möglicherweise wäre es ihm unangenehm - vielleicht hatte er gar ein Problem mit Frauen, denn das solche Dinge nicht selten waren, war sogar für Amaray mittlerweile kein Geheimnis mehr. Und so wandte sie sich lieber an den grinsenden Tritonen, um seine Frage zu beantworten.


    "Nein, ich bin tatsächlich erst vor Kurzem hier angekommen, aber ich bin nicht zum ersten Mal in dieser Bäckerei. Vielleicht habt ihr mich einfach nicht wahrgenommen."

    "Mallalai..."


    Amaray wiederholte die geschmeidigen Silben, die in der Sprache der Meereselfen seinen Namen formten und mühte sich, vor seiner Begrüßung nicht zurück zu zucken. Zu wenig war sie die Nähe eines anderen Wesens gewohnt, um sie gleichmütig hinzunehmen und so sehr sie sich auch bemühte, ihre Gefühle zu verschleiern, so war ihre Unsicherheit dennoch spürbar wie eine zitternde Aura, die sie umgab. Ihre Augen huschten zu Mallalai, der gleichmütig wirkte und seine Gleichmütigkeit trieb eine rötliche Färbung auf ihre Wangen und ließ sie eine unangenehme Wärme auf ihrem Gesicht spüren. Mühsam unterdrückte sie die Wut, die in ihr aufsteigen wollte - keine Wut auf ihn, jedoch Wut über ihre eigene Unzulänglichkeit und ihre mangelnde Erfahrung. So straffte sie ihren Körper und blickte durch die Kuppel hindurch, nahm das Leben auf dem Land wahr, daß dort seinen Fortgang nahm und sich nicht an den beiden Meereselfen störte, die vor dem Übertreten seiner Grenzen standen.
    Ein tiefe Bewegung ihrer Kiemen, auf dem Land wohl einem Seufzen gleich und Amaray blickte ergeben zu ihrem Begleiter hinüber. So sehr sie es auch hasste und es nicht gewohnt war, sich in die Abhängigkeit eines anderen Wesens zu begeben - hier gab es keinen anderen Weg, wenn sie sich nicht vollends eine Blöße geben mochte.


    "Ihr... wart bereits auf dem Land, nicht wahr?"


    Die Worte kamen zögerlich und kosteten Überwindung, doch Amaray zwang sich dazu, sie über die Lippen zu bringen.

    "Oh...."


    Amaray blickte den Tritonen ein wenig überrascht an, der ihr die Süßigkeit entgegen hielt und sie damit aus ihren Gedanken gerissen hatte. Mit einem Lächeln nahm sie das Gebäck entgegen und pflückte ein Stück davon ab, um den Teig zu probieren.


    "Vielen Dank, ich glaube ich habe bisher noch nicht davon probiert."


    Liebesstängli, ein merkwürdiger Name, wie Amaray fand und sie wunderte sich ein wenig darüber, wie das Gebäck wohl dazu gekommen sein mochte. Kurz wanderten ihre Gedanken nach Kina'mallei und ihr Blick wirkte ein wenig traurig, doch dann fing sie sich wieder und richtete ihre Aufmerksamkeit auf das Geschehen im Laden. Der andere Meereself schien merkwürdig unsicher, doch Amaray vermochte es nicht, einen Grund für seine Unruhe zu finden.

    Amaray war es nicht gewohnt, bewundernde Blicke oder amouröse Gesten auf sich zu beziehen. In ihrer Heimat, insofern sie überhaupt eine Heimat besaß, hatte niemand solcherlei für sie übrig gehabt und so überging sie das Blubbern des jungen Tritonen nun arglos, ohne seinen Grund näher zu überdenken und nahm die Verlegenheit des anderen Meereselfen kaum wahr. Innerlich wartete sie beinahe eher auf ein Anzeichen der Ablehnung und so fiel die Erwiderung seines Grußes ein wenig hölzern und unsicher aus, auch wenn sie sich um eine für sie ungewohnte Freundlichkeit bemühte. Elue'Adar war schließlich nicht Kina'mallai - doch Amaray stand noch sehr weit am Anfang dieses Lernprozesses.
    Um sich abzulenken, musterte sie schließlich aufmerksam die Waren der Bäckerei, während der andere Meereself bedient wurde.

    Zwar würde sie es sich niemals eingestehen, doch das Leben auf dem Land wirkte in seiner Hektik einschüchternd auf Amaray und führte schließlich dazu, daß es ihr unmöglich war während der Zeit ihres Aufenthaltes in der Stadt zu verbleiben. So hatte sie also mit Erleichterung die Siedlung Elue'Adar gefunden, in deren "Schlund" man leicht eine Unterkunft zu finden vermochte, die auch für Amarays kleine Vermögensverhältnisse passend war.


    Wenn ihre Aufgabe sie nicht nach Nir'alenar führte, erkundete sie also die Siedlung. Eine Siedlung, in der man sie nicht kannte und in der man ihr offen begegnete - eine Erfahrung, die für Amaray beinahe so fremd war wie das Leben unter der Kuppel. Recht schnell war sie dabei auf Niniues Bäckerei gestoßen und sie hatte sie schon einige Male aufgesucht, um sich die ein oder andere Köstlichkeit zu gönnen.


    Und so zog ein hungriger Magen sie auch an diesem Tage wieder in den Korallengarten, der die Bäckerei umgab. Mit einem Lächeln auf den Lippen nickte sie grüßend, um dann zu warten, bis sie an die Reihe kommen würde. Den anderen Kunden nahm sie dabei nur am Rande wahr, drehte er ihr doch ohnehin im Augenblick den Rücken zu.

    "Mein Name ist Amaray..."


    Die Worte hatten ihre Lippen verlassen, kaum daß sie sich dessen bewusst geworden war und für einen Augenblick richteten sich ihre blauen Augen auf die Kuppel, die die Stadt in ihrem Inneren barg. Der Yassalar war nun nicht mehr weit davon entfert und es war unwahrscheinlich, daß sie ihn einholen würden, bevor er das Festland betreten hatte. Der Gedanke erfüllte Amaray mit einer leisen Unbehaglichkeit, während sie die weißen Türme der Stadt durch den Schleier des Meeres wahrnahm, lenkte sie damit gar von der Unsicherheit ab, die sie dem anderen Meereselfen gegenüber empfand.
    So schien ihre Stimme beinahe ein Eigenleben entwickelt zu haben, als sie ihn nach seinem eigenen Namen fragte und nun, da die Worte ausgesprochen waren, wagte sie sich den anderen anzublicken, obgleich ihr die vage Unsicherheit, von der sie nun wieder erfüllt war, ins Gesicht geschrieben sein musste.


    "... und wie werdet ihr genannt?"


    Scheu wandte sie sich wieder von ihm ab und ließ den fremden Anblick der Stadt auf sich wirken - nein, Amaray hatte noch nie zuvor Land betreten und mit jeder Sekunde, in der sie sich ihr näherten, wurde das flaue Gefühl in ihrem Magen stärker.

    Amarays blaue Augen spiegelten die Überraschung wider, die Mallalais Worte in diesem Augenblick in ihr auslösten. Der Meereself schien seine düstere, abweisende Haltung von einem Augenblick auf den anderen abgelegt zu haben und es fiel ihr schwer, seine Reaktionen einzuordnen. So stutzte sie also für einen Moment und sah ihm mit großen Augen nach, während er so mühelos in die Höhe glitt. Dann schüttelte sie das Erstaunen ab und folgte ihm mit einer gleitenden Bewegung, die sie auf die Stadt zutrug. Ein unsicheres Lächeln zeichnete sich auf ihren Lippen ab - denn Amaray, die es wohl gewohnt war mit Ablehnung umzugehen, hatte selten aufrichtig wirkende Freundlichkeit von ihresgleichen erfahren.


    "Ja, lasst uns auf die Jagd gehen.", stimmte sie dem anderen Mira'Tanar zu. Und in dem Augenblick, in dem die Worte ihre Lippen verlassen hatten, leuchtete das innere Feuer erneut in ihren Augen auf. Amaray mochte dies zwar selbst nicht bemerken, doch die Wärme, die sich in ihr ausbreitete, vermochte sie dennoch zu spüren. Mit wenigen Stößen hatte sie zu Mallalai aufgeschlossen und schwamm nun an seiner Seite.

    Für einen Augenblick stutzte Amaray verwirrt, nicht in der Lage, die Härte zu verstehen, mit der der Mira'Tanar ihr antwortete. Doch dann gewann ihre übliche Maske wieder die Oberhand und verdrängte die Gefühlsregung aus ihrem Herzen. Sie war es ohnehin nicht gewohnt, daß man ihr mit Freundlichkeit begegnete und so überging sie seine harten Worte. Es war wie ein Makel, der ihr anhaftete, so als ob andere Meereswesen etwas in ihr zu spüren vermochten, daß sich nicht mit ihrer eigenen Welt vereinbaren ließ.


    "Wie ich bereits sagte, mein Weg führt mich ebenfalls in die Stadt und wenn es euch nicht lieber ist allein zu gehen, so können wir gemeinsam dorthin gelangen. Aber es liegt mir fern, euch meine Anwesenheit aufzudrängen wenn ihr sie nicht wünscht."


    Amarays Worte waren betont nüchtern gesprochen und verrieten keine Gefühlsregung. Sie verstand nicht, was den anderen Meereselfen zu seinen Worten und zu seiner Reaktion bewegt hatte und so schob sie es auf die übliche Kälte, die man ihr unter ihresgleichen entgegen brachte. Wer wusste schon, ob er in der Akademie der Magier verkehrte und ob sie sich dort schon einmal begegnet waren. Entschlossen schüttelte die Meereselfe diese Gedanken ab und wandte ihren Blick auf die Stadt, die vor ihnen lag und die den Yassalar verschluckt hatte.

    Amaray gelang es nur mit Mühe, die Augen von dem Yassalar los zu reissen, der eilig weiter in Richtung des Festlandes unter dem Meer davon schwamm. Noch immer ließ sie das Gefühl in Watte gepackt zu sein nicht los und es dauerte einen Augenblick, bis sie die Worte fand, dem anderen Mira'Tanar zu antworten.


    "Ich... nein, ich bin nur leicht verletzt, es ist nichts ernstes. Doch ihr seht aus, als hätte euch der Yassalar weitaus übler mitgespielt als mir."


    Mit diesen Worten glitten Amarays Augen über die Gestalt des Meereselfen, dann huschten sie zu dem davonschwimmenden Yassalar zurück, während eine Hand gedankenverloren über ihre Wunde strich. Wenn sie doch nur eine vollwertige Magierin wäre... niemals hätte der Yassalar sie so einfach überrumpeln können.


    "Ihr habt recht... mein Weg wird mich ohnehin in die Stadt führen, auch wenn ich wenig Lust verspüre, ihm erneut gegenüber zu stehen. Wer weiß, welche Überraschungen er noch parat hält?"

    Mit einem Mal war Amaray frei. Nach einem harten Aufprall wurde ihr Peiniger einfach von ihr weg gerissen, dazu gezwungen, die Meereselfe frei zu geben, die sich diese Gelegenheit nicht entgegen ließ. Mit wenigen Stößen hatte Amaray Abstand zwischen sich und die schwarze Bedrohung gebracht, die sie endlich freigegeben hatte.
    Leicht benommen versuchte sie, ihre Umgebung zu überblicken und sah den Yassalar, der für einen Augenblick ebenso benommen wirkte wie sie selbst. Dann kam der Meereself in ihr Blickfeld und Amaray wurde bewusst, wer den Aufprall herbei geführt hatte. Eine Wunde an seiner Schulter schien frisch zu sein. Sie blutete leicht, wirkte jedoch nicht lebensbedrohlich.


    Der Yassalar jedoch hatte sich schnell wieder gefangen, verschwendete jedoch keine Zeit darauf, seinerseits zum Angriff über zu gehen. Mit einem hasserfüllten Blick macht er kehrt, so schnell es ihm möglich war - wohl wissend, daß seine Chancen schlecht waren, wenn es zu einem Kampf mit den Tritonen und dem Meereselfen käme. Die Stadt - seine Rettung. Die letzte Hoffnung, seinen Verfolgern zu entkommen, die nun wieder bedrohlich nahe gekommen waren.

    Amarays Herz raste noch immer mit jedem Schwimmstoß des Yassalars, der sie näher an die Kuppel Beleriars heran brachte. Wütend auf sich selbst traten Tränen in ihre Augen, die jedoch mit dem Wasser des Sternenmeeres davongetragen wurden, als seien sie nicht existent. Aber es war nicht die Angst, die sie in diesem Augenblicken bewegte, nein, es war die Wut auf sich selbst, die Wut darauf, daß sie es nicht vermocht hatte, eine Fee an sich zu binden. Wie einfach wäre es, dem Yassalar mit Hilfe der Magie zu entkommen. Ja, sie verfluchte sich selbst und ihren schwachen Körper, der es nicht vermochte, sich gegen das stärkere Wesen zur Wehr zu setzen und ihm zu entfliehen.


    Der Yassalar schien unterdessen weder Angst noch Bedenken zu kennen. Beinahe gemächlich schwamm er durch das Meer, so als ob es nichts und niemanden gab, das ihm gefährlich werden konnte. Und in der Tat, zwar konnte er den Mira'Tanar nicht einschätzen, doch war er sich sicher, daß die Tritonen nichts tun würden, um das Leben der kleinen Meereselfe zu gefährden. Oh ja, sie waren dort, noch immer hinter ihm - doch in der Stadt war er ihnen allen um ein Vielfaches überlegen. Nur noch wenige Züge trennten ihn nun von dem Hafen Nir'alenars, über den er durch die Kuppel gelangen wollte und wenn er diesen erst erreicht hatte, wäre er flugs in seinem Versteck.