Das Anwesen der Marasar

  • Würde man der dem Adelssitz der Marasar gerecht, wenn man die Bezeichnung Villa für ihn verwenden würde? Wahrscheinlich wäre es passender, wenn man ihn Palast nennen würde, denn nichts anderes stellt dieses riesige Bauwerk dar, das auf einem erhöhten Hügel des Adelsviertels thront.
    Grünflächen umgeben das Anwesen mit den vielzähligen Ställen und Nebengebäuden, verweisen bereits auf die Existenz des berühmten Parks, in dem sich so manche Abendgesellschaft abgespielt hat. Wer ihn einmal mit eigenen Augen gesehen hat, wird niemals die gepflegten Blumenbeete mit den exotischen Pflanzen vergessen, die wohl nur mithilfe reiner Magie hier zu wachsen vermögen. Das Plätschern der Springbrunnen ist allgegenwärtig und erfüllt die Luft ebenso wie das muntere Zwitschern der Vögel. Und sicherlich ist in den abgeschlossenen Lauben schon so manches gut gehütete Geheimnis entstanden.
    Doch nichts übertrifft das Hauptgebäude, das machtvoll inmitten der anderen Bauwerke steht, die sich geradezu vor ihm zu verneigen scheinen. Aus schwarzem Stein erbaut und von schwarzem Marmor geziert, von schlanken Säulen und Statuen gesäumt, erhebt sich das dunkle Herz der Familie in all seiner einschüchternden Pracht, die sich auch in den Innenräumen fortsetzt.
    Verzweigte Gänge, manche sicherlich gut gehütet vor neugierigen Augen, verbinden sich mit den großen Zimmern, die das Auge mit den glitzernden Leuchtern und den dicken Teppichen blenden. Aber es ist gewiss, dass ein argloser Besucher, der die weiten Treppen emporsteigt, niemals alles zu Gesicht bekommen wird, was sich hinter diesen Mauern verbirgt. So manches Gemälde mag nur dazu da sein, einen geheimen Raum oder Gang zu verbergen und wer weiß, was sich hinter den imposanten Kaminen in Wirklichkeit verbergen mag?
    Schließlich munkelt man allerlei, wenn man über die Marasar spricht. Von verborgenen Kerkern ist die Rede, von Schreien in der Nacht, von allerlei Mysterien, die das Blut gefrieren lassen. Schließlich ist Astalion Marasar, das Oberhaupt der Familie, keineswegs für seine Milde bekannt.
    Und gibt es nicht gar Gerüchte, dass den Marasar ein eigenes Kind verwehrt geblieben ist? Schließlich ähnelt Vanathor seinem Vater nicht im geringsten, besitzt weder die blonden Locken und die helle Haut seiner Mutter Talia noch das schwarze Haar und die dunklen Augen seines Vaters. Und waren die Marasar nicht einst verarmt, bis sie aus heiterem Himmel zu jenem sagenumwobenen Wohlstand gelangt sind? Verarmter Hochadel, für den man nur Spott übrig hatte und vor dem man nun das Haupt beugen muss.
    Ja, es gibt einige Geheimnisse, die die Familie Marasar umgeben und wann immer ihr einziger Sohn auf seinem edlen Ross durch die stählernen Tore reitet, kann man gewiss sein, dass ihm alle Blicke folgen werden.

  • Skandar schwieg, während er die Kurtisane auf sein Pferd verfrachtete, bevor er schließlich hinter ihr aufstieg. Er wunderte sich zwar über ihre mangelnde Gegenwehr, war jedoch froh darüber, daß ihm eine jener Szenen erspart blieb, die sie ihm schon bei so mancher Gelegenheit gemacht hatte. Er legte wenig Wert darauf, sich auf der Straße lächerlich machen zu lassen, insbesondere in der Hafengegend, in der er sich bei vielen anderen Gelegenheiten bewegte. Er war darauf angewiesen, daß er hier ernstgenommen wurde. Es war ihm gleich, was man in Adelskreisen von ihm halten mochte, doch hier galt es stets, sich Respekt zu wahren.


    Ein kurzes Kommando an das Pferd und sie bewegten sich aus dem Seeviertel heraus in Richtung des Adelsviertels, wo Vanathor zweifelsohne noch immer vor Wut schäumen würde. Es war kein kurzer Weg. Er führte durch die halbe Stadt, über den Dessibar hinweg. Eine wahrhaftige Premiere, wenn man es genau nahm. Diashanee war bisher niemals so weit gegangen, wenn sie das Anwesen der Marasar verließ. Mit einem Seufzen fragte sich Skandar, wohin ihre nächsten Ausflüge führen mochten. Denn er zweifelte nicht daran, daß es ein nächstes Mal geben würde. Und wieder würde er es sein, der sie zurückholen musste.

  • Ohne Zweifel würde es ein nächstes Mal geben. Allerdings regten sich auch bei Daishanee gelegentlich Zweifel, WIE weit sie gehen durfte, ohne ihren Liebhaber dermassen zu verärgern, das er sie kommentarlos zu beseitigen bereit war. Nun - sie hoffte, das es sein würde wie so oft. Ein Ausbruch der Wut, beiderseits durch die feurigen Temperamente unterstützt, eine ebenso feurige wie leidenschaftliche Versöhnung und alles würde wieder gut sein. Doch nun galt es erst einmal, den ersten Sturm zu überstehen, wenn Skandar sie wieder im Anwesen abliefern würde. Vor allem, wenn Skandar verriet, WO er sie aufgegabelt hatte.


    Daishanee nagte kurz an ihrer Unterlippe, ehe sie den Blick wieder auf den Weg richtete, dem das Pferd folgte. Der Wind wehte durch ihre roten Locken und sie schloss einen kurzen Moment die Augen, während sie darüber nachdachte, wie sich wohl ein Kuss anfühlen mochte - ein richtig leidenschaftlicher Kuss. Doch derlei würde ihr auf immer verwehrt bleiben. Zu viel Leidenschaft war in ihrem Fall definitiv tödlich. Große Gefühle würde es in ihrem Leben niemals geben.

  • Skandar schwieg während des Rittes. Es gab nichts zwischen ihm und der Kurtisane zu bereden. So erreichten sie nach schließlich das Tor zum Anwesen der Marasar. Ohne eine Regung zu zeigen, bot er seine Hilfe beim Absteigen vom Pferd an und warf die Zügel danach einem Bediensteten zu.


    Einen Blick mit hochgezogener Augenbraue schenkte er noch Daishanee, der fragte ob sie bereit war. Auch wenn dies nicht der Fall war, würde er sie doch ohne zu zögern zu Vanathor führen.

  • Bereit.. nun, wann war man jemals auf eine Begegnung mit Vanathor Marasar gefasst? Was sie einst in seine Arme geführt hatte, bestand noch immer und doch durfte sie niemals wirkliche Gefühle haben. Ihr Fluch und zugleich ihre Gabe, oder wie immer man es nennen wollte.
    Sie ließ sich von Skandar vom Pferd helfen und straffte die Schultern. Es wurde Zeit um dem Sturm zu begegnen und nicht als winziges Blatt davongewirbelt zu werden, sondern ihn standhaft zu überstehen.


    Ein kaum merkliches Nicken in Richtung Skandars folgte. Dann würde sie ihm folgen.


    Das ihre Gedanken sich dabei um Vanathor drehten wie so oft, wenn sie einen ihrer Ausflüge gemacht hatte, davon würde sie sich nichts anmerken lassen. Was genau sie mit diesem Mann verband, wagte sie nicht mit Worten zu beschreiben. Sie konnte es wohl auch gar nicht. Feuer und Feuer, das waren sie.. und gleich und gleich gehörte zusammen, selbst wenn es keine wirklichen Gefühle zwischen ihnen geben durfte und Vanathor ohne Zweifel nicht ungefährlich war.
    Aber wer sagte schon, das sie selbst ungefährlich war? Ein sachtes Schmunzeln spielte hinter Skandars Rücken über ihre Lippen und ließ sie einen Moment wie eine Raubkatze wirken. Doch es schwand rasch wieder, je näher sie zu Vanathor kamen.

  • Schließlich waren sie vor der Tür zu Vanathors Arbeitszimmer angelangt. Skandar trat wortlos beiseite, öffnete zuvor noch die Tür, die den Blick in das Innere gewährte. Bei dem, was hier folgen sollte, wollte er nicht anwesend sein. Seine Aufgabe war erledigt und um den Rest würde sich Vanathor persönlich kümmern.


    Der Rothaarige drehte ihnen den Rücken zu, schien nicht zu bemerken, dass jemand eingetreten war. Er stand am Fenster und blickte über die Stadt, die sich unter dem Anwesen der Marasar erstreckte. Vanathor war offenbar in Gedanken versunken, der Blick von etwas gefesselt, das in der Ferne lag.
    Erst als Skandar die Tür hinter der Dai’Vaar schloss, drangen Worte aus seinem Mund und ließen erkennen, dass er seine Umgebung dennoch wahrnahm.


    „Wo bist Du gewesen, Daishanee?“


    Seine Stimme klang ruhig und leise. Zu ruhig womöglich. Es war eine Stimmlage, die einem Zuhörer eisige Schauer über den Rücken jagen würde, wenn er damit konfrontiert wurde.

  • Sie waren angekommen und Skandar öffnete die Tür. Von dem was nun folgen würde, musste er auch nichts mitbekommen. Ihr Blick streifte Vanathors Rücken, als die Dai'Vaar eintrat und auf das Geräusch lauschte, mit dem die Tür sich hinter ihr schloss.
    Dann wanderte ihr Blick zu Vanathors Haar, während sie mitten im Raum stehen blieb. Ein dezenter Schauder von Vorfreude, aber auch ungewisser Angst rann ihren Rücken herunter, als sie seine Worte in Verbindung mit dem Tonfall zu hören bekam.


    "In der Stadt. Ich brauchte ein wenig Luft." Nunja, ganz richtig war ihre Aussage ja nicht, hatte sie sich immerhin in einem recht fragwürdigen Viertel und dazu noch in einem Gasthaus herum getrieben. "Und dann hatte ich noch etwas getrunken in einem Gasthaus." fügte sie an, wobei sie versuchte, ihrer Stimme nicht anhören zu lassen, welchen Respekt sie vor Vanathor hatte, was ihr jedoch nicht ganz gelang.


    Ohne Respekt kam man bei einem Mann wie Vanathor auch nicht weit. Wer es ihm gegenüber an Respekt mangeln lies,, der war schneller eine erkaltende Leiche irgendwo in der Stadt, als es ihm lieb war. DAS wusste sie so sicher, wie sie wusste, das sie heute wirklich achtgeben musste, was sie sagte.

  • "Es scheint, als ob Dein Bedürfnis nach frischer Luft in letzter Zeit recht groß geworden ist, Daishanee. Ich frage mich, ob Du der Meinung bist, daß eine Frau, die sich meiner Gunst rühmen möchte, allein in Tavernen verkehren sollte. Stünde mir der Sinn nach solch einer Gesellschaft, würde ich sie weitaus günstiger in einem Hurenhaus finden."


    Er wandte sich noch immer nicht zu ihr um. Vanathors Blick blieb auf das Fenster gerichtet, suchte in der Ferne etwas, das nur er allein zu sehen schien. Seine langen Finger trommelten einen leisen Takt auf dem Fensterrahmen. Das einzige Geräusch, das das Schweigen durchdrang, das sich über den Raum gelegt hatte, nachdem seine Stimme verklungen war. Es war unmöglich, seine Stimmung zu deuten. Er schien grüblerisch und abwesend, seine Gedanken mit etwas beschäftigt, das die rothaarige Frau nicht zu ergründen vermochte.

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