Die Parade der Sternengarde

  • Es war ein schöner Sommertag unter der Kuppel. Über den Wellen musste die Sonne strahlen, denn sie war stark genug, um Nir’alenar in ein helles, warmes Licht zu hüllen, das die Bewohner der Stadt zum Schwitzen brachte.
    Das Palastviertel war so lebendig, wie man es nur dann erlebte, wenn ein großes Ereignis vor der Tür stand. Wesen aus allen Schichten und aus allen Teilen der Insel waren zusammengekommen, um die große Parade der Sternengarde zu erleben, die eine Woche voller Abwechslung und Aufregung verhieß. Die besten Fechter waren nach Nir’alenar gekommen, um an den berühmten Wettkämpfen teilzunehmen, die die Halle des Schwertes in jedem Jahr ausrichtete und die Nir’alenar tagelang in Atem halten würden.
    Der Adel hatte sich die besten Plätze reserviert. Damen in juwelengleich funkelnden Kleidern und ebenso herausgeputzte Herren besetzten Balkone und Terrassen an den Regierungsgebäuden und überblickten von dort aus das Geschehen. Manch einer von ihnen brachte die versammelte Menge zum Flüstern, bewegte sie zum Austausch von allerlei Gerüchten, die zurzeit in der Stadt die Runde machten.
    Überall am Rand der breiten Alleen des Viertels hatten Händler ihre bunten Stände errichtet. Es duftete nach Speisen aller Art, laute Rufe schollen durch die Straßen, um die Aufmerksamkeit auf Andenken oder ähnlich unnützen Tand zu lenken und die Händler wetteiferten miteinander, um ihre Waren anzupreisen und ein gutes Geschäft zu machen.
    Musik erklang an einigen Ecken, Schausteller zeigten ihr Können, ab und an rannte ein Dieb von der Wache verfolgt durch die Menge der Zuschauer und brachte unterwegs jene zu Fall, die in seinem Weg standen.
    Die Luft war von Spannung erfüllt, von Gelächter und Euphorie, die das ehrwürdige und normalerweise von erhabener Ruhe erfüllte Stadtviertel erbeben ließ. Hier und da wurden Wetten auf den Ausgang der bald beginnenden Kämpfe abgeschlossen und einige junge Mädchen zupften nervös an ihren schönsten Kleidern oder ihrem frisch frisierten Haar, die Wangen vor Aufregung gerötet, denn bald würden die schmucken Recken der Elitegarde durch die Straßen ziehen.
    Und tatsächlich, schon erklang laute Musik aus der Richtung der Kasernen und die Menge strebte auseinander, um die Straße freizumachen. Alle stellten sich erwartungsvoll an ihrem Rand auf und reckten die Hälse, ein kurzes Gerangel um die besten Plätze entbrannte und schon bald kamen die ersten blauen Röcke in Sicht.
    Gefiederte Hüte wippten auf den Köpfen der Sternengarde, die Rapiere waren blank poliert und ihre Knäufe blitzen im Licht. Jubel erscholl aus Tausenden Kehlen, während die Mitglieder der Garde im militärischen Gleichschritt voranstrebten. Doch bei aller Strenge blieb stets genug Zeit, dem einen oder anderen besonders hübschen Mädchen ein Zwinkern oder ein charmantes Lächeln zu schenken.

  • An diesem warmen Sommertag hatte sich Amelie für ein luftiges, nachtblaues Seidenkleis entschieden, welches aus einem Schulterfreien Oberteil bestand, das nach unten hin in verspielt geschnitten kurz über ihren Knien endete. Die langen Haare waren kunstvoll gesteckt. So fühlte sich Amelie wohl und bereit für die Parade der Sternengarde. Sie war nicht die einzige, welche diesem Ereignis beizuwohnen gedachte. Es herrschte reger Trubel im Palastviertel. Amelie kämpfte sich durch die Menge, erhaschte an einem Stand ein Glas Wein und genoss diesen. Nunja ... Es war genau ein einziger Schluck, der ihr von dem Getränk vergönnt war, denn ein Dieb auf der Flucht rempelte sie unsanft an, sodass sie den Rest des Weines verschüttete. Die Nymphe rief dem Unhold einige Beschimpfungen hinterher doch dieser schenkte ihr keinerlei Beachtung, war er doch viel zu sehr mit seiner Flucht beschäftigt. Und dieser Zwischenfall hatte Amelie daran gehindert, sich an den Straßenrand zu drängen, um die beginnende Parade betrachten zu können. So musste sie mit einer der hintersten Reihen vorlieb nehmen und blickte entsprechend missgelaunt drein.

  • Auch Viviell hatte sich ein leichtes Kleid übergezogen das ihre kleine Rückenflosse frei ließ und in unterschiedlichen Grüntönen gehalten war. Als sie um eine Straßenecke bog fand sie sich plötzlich einer Masse von Menschen, Elfen und anderen Wesen gegenüber. Erstaunt blickte sie sich um und wandte sich dann an die scheinbar leere Luft links von ihr. "Sag mal, weißt du was hier los ist?" Ein Mann wollte schon etwas entgegnen, bemerkte dann aber, dass sie ihn anscheinend gar nicht beachtete und hielt unentschlossen inne. "Ach, die Parade der Sternengarde. Es ist bewundernswert wie du dir solche Details immer merken kannst." Irritiert blickte der Mann sie an und ging lieber ein paar Schritte weiter. Kurz darauf stürmte ein junger, von Verwünschungen verfolgter Mann an ihr vorbei. "Hey du Rüpel, du bist durch meine Freundin gerannt," schrie sie ihm hinterher.

  • Seoul fühlte sich nicht ganz wohl dabei so offen durch die Straßen zu gehen. Er war noch immer nicht sicher welche Variante unauffälliger war. Mal hatte er die Kapuze auf, die Teil seines nachtblauen Hemdes war, mal hatte er sie ab. In beiden Fällen erntete er Blicke. Sein Hemdkragen wies feine Stickereien auf. Dazu trug er eine schwarze Hose.
    Die Sonne schien ziemlich stark durch die Wellen. Zum Schutz ließ er die Kapuze wieder auf. Er ging weiter durch die Massen und blieb an einem Stand mit Getränken stehen.
    "Ich hätte gerne einen Becher Wasser und einen mit verdünnten Wein." Den Becher Wasser leerte er sofort. Als er Rufe hörte drehte er sich um. Er musterte Viviell. Hatte sie wirklich gesagt, er wäre DURCH die Freundin gerannt.

  • "Menschenmassen...," meinte sie scheinbar zu der Luft neben ihr, wo gerade noch der flüchtende Mann entlanggestürmt war. "Bist du sicher, dass du dir das angucken willst? ... Na gut, aber beschwer dich nicht nachher über die ganzen Leute, die in dich reinstolpern. ... Ja, ich weiß. ... Warte mal kurz, ich hole mir nur eben schnell was zu trinken." Mit den letzten Worten wandte sie sich von der Stelle ab auf die sie geblick hatte und ging auf den Stand zu an dem Seoul schon stand.
    "Guten Tag, einen Kolrabisaft bitte," sprach sie die Dame an, die die Getränke verkaufte, woraufhin diese sie entwas überrascht anblickt und entgegnete dies hätte sie nicht im Angebot. Nach Jasmintee und Stachelbeersaft, welche ebenfalls nicht zu haben waren, einigte man sich schließlich auf einen verdünnten Apfelsaft.

  • "Guten Tag, einen Kolrabisaft bitte," hörte Amelie eine Stimme aus dem allgemeinen Stimmengewirr heraus und drehte sich mit gerunzelter Stirn um. Wer bitte kam denn auf die Idee, einen Kohlrabisaft trinken zu wollen? Aber nun gut ... Eine kleine Erfrischung konnte nicht schaden. So entschied sich auch Amelie dafür, sich der Verkäuferin des Standes zu nähern und blieb neben jemandem stehen, den sie ebenfalls genau so verwundert musterte wie die Dame, welche soeben einen Kohlrabisaft bestellt hatte. Wer hatte denn bei solch einem Wetter eine Kapuze an? Doch bei näherem hin sehen erkannte die Nymphe das Gesicht hinter der Kapuze und lächelte den Nachtelfen freundlich an. "Seoul, es freut mich Euch wieder zu sehen".

  • Seoul wandte den Blick von der Halbnixe mit den ungewöhnlichen Vorlieben ab und erkannte Amelie wieder.
    Er reichte ihr die Hand und automatisch versuchte er zu erfahren, welchen Duft die Frau mit Nymphenblut verströmte.
    "Die Freude liegt auf meiner Seite" erwiderte er galant mit einem Lächeln. Obwohl er sich nicht sicher war, trotz der tatsächlich vorhandenen Freude, ob es wirklich gut war, Amelie wieder zu sehen.

  • Das Wasser spiegelte das warme Licht von oberhalb der Kuppel und schickte Lichtflecken in den kühlen Schatten der Brücke. Ein schwarz glänzender Oberkörper erhob sich dort aus den Fluten und aufmerksame Augen betrachteten die bunten Personengruppen, die alle ein gemeinsames Ziel zu haben schienen.


    Ihm war der immer dichter werdende Strom aus Leibern schon vor einer ganzen Weile aufgefallen, doch bisher hatte er das Glück gehabt, seinem Verlauf durch den Fluss folgen zu können. Etwas Großes fand in Nir'alenar statt.


    Wie durch einen glücklichen Wink segelte ein Flugblatt vom Geländer der Brücke hinab und landete in Reichweite neben ihm im Wasser.


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    PARADE DER STERNENGARDE



    ERLEBEN SIE SPEKTAKEL UND
    FECHTKAMPF! MUSIK UND
    TANZ! SPEYS UND TRUNK IN
    FANTASTISCHER MANIER!

    BESTAUNEN SIE EINEN TAG
    LANG DAS FESTIVAL IM
    PALASTVIERTEL NIR'ALENARS


    SEYET DABEI !
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    Zeciass ließ den dreckigen Fetzen treiben. Seine nachdenklich zusammengezogenen Brauen verrieten, wie es hinter seiner Stirn arbeitete, während er das Geschehen jenseits der Ufermauer im Blick behielt.


    Schließlich tauchte er noch einmal unter, nahm Schwung und stieß sich auf die Ufermauer empor. Ein Tropfenschwall begleitete sein Aufkommen. Einen kurzen Rundumblick später war er sich sicher. Die Menschen waren zu abgelenkt in ihrem freudetrunkenen Treiben, um ihn als Bedrohung zu erkennen.


    Gemäßigten Schrittes, die Hände hinter dem Rücken gekreuzt, begleitete er die Menge zu einer noch breiteren Straße, die von Verkaufsständen gesäumt war und in deren Zentrum blau-gekleidete Menschen marschierten. Der Jubel war ohrenbetäubend und die Menge wurde unbequem dicht. Nun konnte er deutlich die Blicke spüren, wenn sich auch niemand fand, der seinen Blickkontakt für mehr als ein paar Sekunden halten konnte.


    Sichtbar gereizt suchte er den Menschenflutschatten bei einem der Stände. Hier blieb genug Platz, die Arme auszubreiten und das Gefühl von zu viel Berührung loszuwerden.

  • Tilla schob sich durch die Massen. Ihr Weg führte sie in Richtung der Regierungsgebäude - dort wo am Meisten präsentiert und repräsentiert wurde.
    Sie selbst hatte sich dem Tag in ihrer Kleidung angepasst. Trotz der Hitze trug sie einen blauen, seidenen Gehrock in den Farben der Sternengarde. Eine enge schwarze Hose und dunkelblaue Stiefel komplettierten ihren Aufzug und während Tilla an einer dicken, schwitzenden Frau vorbeiging, bereute sie für einen Sekundenbruchteil diese Wahl. Es war warm. Zu warm. Sie schwitzte und der Geruch der Menschen um sie herum schien ihr jegliche Möglichkeit zu atmen zu nehmen.
    Zum Glück war Tillas Frisur wie die Helme der Garde von einigen Federn gespickt. Sie zog drei hinaus und wedelte sich mit ihnen etwas Luft zu.


    Offensichtlich war sie auch noch zu spät dran. Einen halbwegs guten Platz um zu sehen und gesehen zu werden konnte man hier wohl nicht mehr ergattern. Ein Fluch kam über die dezent geschminkten Lippen. So etwas war ihr noch nie passiert, war Pünktlichkeit doch eine Tugend, die Tilla nicht nur wegen ihrem Beruf sehr schätzte.


    Und nur einige Wimpernschläge später ertönte Jubel und der unverkennbare Klang marschierender Männer war zu vernehmen. Die Parade begann.
    Tilla fluchte erneut. Sie hatte eine Gruppe junger Mädchen vor sich stehen, die bei jedem Recken entzückt aufschrieen und mit den Händen wedelten. Nein, so hatte sich Tilla den Besuch der Parade nicht vorgestellt.

  • Der Stand, zu dem es ihn zufällig verschlagen hatte, war erfreulicherweise ganz nach seinem Geschmack. Die Luft war um einen Deut feuchter und den Schatten des aufgespannten Vordachs konnte er nutzen, um dem gleißenden Licht zu entkommen.


    Er betrachtete den Stand genauer. Die stümperhaft zusammengezimmerte Konstruktion, die hier als Verkaufsraum genutzt wurde, hätte selbst den schlechtesten Handwerker in Zesshin Doraz beschämt.
    Zeciass trat zu der Sitzbank, die seitlich des hölzernen Verschlags aufgestellt war. Eine Frau und zwei Männer saßen dort mit ihren Bechern. Die Männer unterhielten sich lautstark und schienen die Aufmerksamkeit der Frau neben sich erregen zu wollen, während sich deren Blick nur zur Parade richtete.


    So war sie es auch, die Zeciass zuerst bemerkte. Die aufkeimende Vorsicht in ihrem Blick steigerte sich noch als ihr klar zu werden schien, dass er tatsächlich genau auf sie zukam. Er musste nicht einmal drohend dreinblicken, da nahm sie schon ihren Becher vom Tresenbrett, stand auf und ging beschleunigten Schrittes zum benachbarten Stand.

    Zufrieden setzte er sich auf den so wie durch Zauberhand frei gewordenen Platz. Der Blick auf das Treiben am Rande der Marschierenden war gut und so hielt er Ausschau nach Besonderheiten. Seine Hand rieb dabei über seine Schulter, auf der es unangenehm prickelte, seit er den Fluss verlassen hatte.

    Was tat diese verfluchte Kuppel mit dem Licht? So intensiv kannte er es nur von der Meeresoberfläche...

  • Brennan hatte es Sharinoe versprochen. Er würde sich auf der Parade der Sternengarde nach potentiellen, neuen Gläubigen für die Schattengöttin umschauen. Und soviel wie auf den Straßen los war,.. nun, würde er sehr aufmerksam sein müssen.


    Wie die meisten Schaulustigen hatte Brennan sich dem Anlass entsprechend rausgeputzt. Nun schritt (oder quetschte) er sich alleine durch die Menschenmenge.
    Die Mädchen jauchzten, als die Sternengarde endlich aufmarschierte und auf die Lippen des Vogelhändler setzte sich ein Lächeln. Er mochte dieses Fest.


    Plötzlich sah Brennan in der Menge ein Gesicht, dass ihm bekannt, nein, vertraut erschien. Er seufzte. Amelie. Hübsch wie eh und je, in einem luftigen Kleidchen. Brennan drehte sich um. An so einem Tag war es einfacher, wenn man alleine versuchte, die "Ungläubigen" auf seine Seite zu ziehen.

  • Tilla entschied sich, diesen Auflauf an geballter Mädchenhysterie zu entgehen und drehte sich wieder um. Gesehen werden, ja. Aber in Verbindung mit einer Horde heranwachsender Mägde gebracht werden? Nein, das hatte sie dann nun doch nicht nötig.
    Vielleicht sollte sie sich zunächst einmal mit einem kühlen Getränk die Zeit vertreiben. So führte sie ihr Weg durch die Massen direkt vor einem der vielen Stände, die für Erfrischung sorgen sollten.


    "Nie wieder.. nie wieder gehe ich so spät los." Brummelte sie kurz vor sich hin und dachte zurück an ihre Schwester, deren Bälger Tillas Stiefel bei ihrem letzten Besuch versteckt hatten und die sie heute so rastlos hatte suchen müssen. Hinter den Waschzuber, begraben unter einem Berg Leinentücher hatte sie sie schlussendlich entdeckt.


    Tilla war in Nir'alenar nicht unbekannt. Jedoch wurde sie von den meisten ihrer Kunden gemieden. Schließlich wurde sie gleichsam geschätzt, weil sie so oft Helfer in wirtschaftlicher Not war und doch verachtet, weil ihre Hilfe einen ganz erheblichen Zins verlangte, der nicht nur einem ehrbaren Bürger schon ins Schwitzen gebracht hatte und Tilla einen angemessenen Wohlstand einbrachte.
    So kam es, dass die Brünette gleich zwei ihrer derzeitigen Schuldner auf den Bänken vor dem Stand sah. Der eine drehte sich schnell weg, tat, als wäre er in ein Gespräch vertieft. Der andere jedoch schaute einen Augenblick lang zu lang zu Tilla herüber.


    Diese setzte ihr süßestes Lächeln auf. So unschuldig und mädchenhaft, dass es fast mit dem Lächeln der Mädchengruppe, die sie gerade noch so verachtet hinter sich gelassen hatte, konkurrieren konnte.
    "Juris Schwarzenfuß. Wie schön euch zu sehen. Ich warte schon länger auf einen Besuch von euch. Sagt, vermisst eure Frau noch nicht die Ohrringe, mit denen ihr hier euer Bier bezahlt?" Das Lächeln blieb zuckersüß, der Mann jedoch wurde nervös und kalkweiß.
    "Ma.. ma.. meine Frau. Ja, sie.. oh, dahinten ist sie ja. Ich sollte schnell.. verzeiht bitte. Ach nehmt doch meinen Platz.. und... wir sehen uns bald wieder.." Mit diesen Worten sprang der füllige Mann auf und riss fast die ganze Bank um.


    Tilla blieb ruhig und sah ihm entspannt hinterher. Sie hatte sowieso keine Lust auf einem Fest über das Geschäft zu sprechen. Nein, aber es war immer eine unbändige Freude, wenn man plötzliche Panik in den Augen eines Gegenübers aufblitzen sehen konnte. Und außerdem - jetzt hatte sie wenigstens einen Platz, mit dem sie zwar auch nicht mehr von der Parade sah, aber wenigstens ihre Füße schonen konnte.
    Ob die Bälger ihr irgendetwas in die Stiefel geworfen hatten? Sie meinte ein Drücken am rechten großen Zeh zu spüren.

  • Inzwischen war er froh, dass das Tragnetz mit seinem Besitz sicher verborgen in einer Spalte des Flussbetts auf ihn wartete. Denn flink und unbemerkt wie Putzerfische tummelten sich zahllose Diebe in der Menge und reinigten ihre abgelenkten Opfer von ihren Habseligkeiten.
    Man musste sich fragen, für wen dies das größere Fest war...


    Aus dem Augenwinkel bemerkte er etwas, dass seine Sinne in Alarmbereitschaft versetzte. Aber was er im ersten Moment für einen der Soldaten gehalten hatte, entpuppte sich als blau kostümierte Frau, die höchstens einmal eine Bedrohung für den Vogel gewesen war, dessen Federn sie nun in der Hand schwang.
    Zeciass' Interesse währte noch einen Moment länger als nötig auf der weiblichen Erscheinung, bevor er wieder zur Parade sah und keine Kopfbewegung darauf hingedeutet hatte, dass seine Aufmerksamkeit jemals an anderer Stelle gewesen war.


    Das kurze Gespräch, das sich daraufhin hinter seinem Rücken entspann, war aufschlussreich genug, um einige Schlussfolgerungen zuzulassen. Die Sprechende verfügte offensichtlich über genug Einfluss, um die Stimme seines Sitznachbarn ernsthaft nervös klingen zu lassen. Zeciass war sich nicht über jedes der Worte im Klaren, doch die Anspielung auf die Ohrringe, die sich in ihrem statt seinem Besitz befanden und die Verbindung zu hier entstandenen Kosten deuteten auf eine Gläubiger-Schuldner-Beziehung hin.
    Ein gewohntes Verfahren unter seinesgleichen, um sich die Zuverlässigkeit eines anderen zu sichern.


    Abrupt geriet die Sitzbank in Schieflage. Zeciass zog scharf die Luft ein. Ein glücklicher Griff zum Tresenrand und seine Körperbeherrschung retteten ihm gerade noch das Gleichgewicht. Der dritte Mann am anderen Ende der Bank ruderte dagegen hilflos mit den Armen, bevor er nach hinten kippte und mit einem hörbaren "Uff" auf dem Pflaster auftraf. Nur eine Sekunde später war der Gestürzte wieder auf den Beinen, machte jedoch keine Anstalten, wieder Platz zu nehmen, sondern nuschelte einige unverständliche Worte und flüchtete wie sein Vorgänger aus der Situation.


    Zeciass hatte den Tresen losgelassen und sich zu der Urheberin der Unruhe herumgedreht. Sein unbewegtes Gesicht ließ keinen Aufschluss zu, wie er über das Geschehene dachte.
    Es war die Frau in Blau.

  • Es glich einem Wink des Schicksal, dass die Vorkommnisse ihn dazu gebracht hatten, sich in diesem Moment umzudrehen. Kaum strich sein Blick über das Gesicht und die Gestalt der blau kostümierten Frau, lenkten ihn auch schon die Bewegungen ab, die hinter ihrem Rücken vor sich gingen.


    Niemand anderes als das Weibsbild, die ihm so schnell ihren Platz geräumt hatte, war nun dabei, eine Abordnung bewaffneter Männer zu ihm zu führen. Die Uniformen sprachen eine klare Sprache. Ihre zeigende Armbewegung und die grimmigen Gesichter der Garde waren die letzte Bestätigung, die er brauchte.
    "Das stellt ihr euch zu leicht vor", lächelte Zeciass ungerührt und erhob sich von seinem Platz. Schon nach wenigen Schritten schoben sich Zuschauer in das Blickfeld zwischen ihm und der Garde. Die Wachen realisierten ihren Nachteil und begannen zu rennen, um den Yassalar im Menschengewühl nicht aus den Augen zu verlieren. Laute Rufe erschallten.


    Man möge beiseite gehen! Man möge den Yassalar festhalten!

    Das Ergebnis war, dass die stumpfsinningen Paradebesucher stehen blieben und suchend nach dem Unhold gafften, bis die Garde wütend zwischen ihnen hindurch rempelte.
    Zeciass hatte derweil ein über die Maßen fettleibiges Exemplar der Gattung Mensch erblickt und nutzte den sehr willkommenen, wenn auch widerwärtig anzusehenden, Zufall für seine Zwecke. Im Sichtschatten der buntgeschmückten Qualle war es ihm ein Leichtes, gänzlich im Strom der Zuschauer unterzugehen, der noch immer ekstatisch jubelnd den marschierenden Soldaten zu folgen versuchte.


    Eine Seitenstraße weiter verließ er unbehelligt die stinkende Deckung aus Leibern. Seine Augen brannten; ob entweder vom beißenden Gestank der verschwitzten Körper oder vom Gleißen des Sonnenlichts auf dem hellen Pflaster, war unmöglich zu entscheiden.
    Zeciass dankte Zi'llail, den Fluss hinter der nächsten Grundstücksmauer zu erkennen.
    Was die Krieger der Garde betraf... Seine Augen blitzten bei dem Gedanken. Er würde sich bald schon eine Gelegenheit verschaffen, um ihnen diesen lächerlichen Übermut auszutreiben, einen Yassalar maßregeln zu wollen.


    Die letzten Schritte mit Anlauf nehmend, tauchte er wieder in den Fluss ein und schwamm den Weg zurück zum Versteck seiner Habseligkeiten.

  • Es war in jedem Jahr ein sehnsüchtig erwartetes Ereignis und doch war es stets zu schnell zu Ende. Schon bald war die Parade der Sternengarde vorbeigezogen und die schmucken Recken versammelten sich auf dem Platz des Deiron, auf dem es schon vor Schaulustigen wimmelte. Zurück ließen sie seufzende Mädchen und eine aufgeheizte Menge, die sich nun unter Drücken und Schieben in Richtung des Festplatzes aufmachte.
    Bunte Wimpel flatterten dort über nicht minder bunten Zelten und zogen zahlreiche Blicke auf sich, denen neugieriges Getuschel folgte. Jeder wusste, dass sich dort die verwegenen Fechter auf ihre Kämpfe vorbereiteten, die sie schon bald hier austragen würden. Sie waren von der ganzen Insel her angereist und so mancher Name wurde ehrfürchtig geflüstert, da sich sein Träger einen gewissen Ruhm errungen hatte.
    Dort musste das Zelt von Saloran, dem Nordelfen stehen. Man erkannte es an dem weiß-blauen Stoff, der mit Silber gesäumt war. Da drüben gehörte das schwarze Zelt zu dem Streiter, den man den Dunklen nannte und der für seinen Wagemut aber auch für seine Grausamkeit bekannt war. Und keine Frage, das violette Zelt gehörte zu Damoris, dem gut aussehenden Nir'alenarer, der sich bereits mit Jubelstürmen feiern ließ und der für seine Affären bekannt war. Und erst das hellgelbe Zelt mit dem verschlungenen Muster! Es erregte beinahe das größte Aufsehen, gehörte es doch Dariella Fesalis, einer wahrhaftigen Cygnai, die die Meisterschaft in der Fechtkunst anstelle des Tanzes gewählt hatte und sich nun als einzige Frau den Männern stellen würde.
    Schon jetzt wurden an offiziellen Stellen eifrig Wetten auf den Ausgang der Kämpfe abgeschlossen und nahezu jeder stand an, um noch seinen Wetteinsatz zu erbringen und eine Gelegenheit auf den möglicherweise hohen Gewinn zu erhalten.
    Plötzlich wurde es jedoch still auf dem Platz, so still, wie es bei einer solch großen Versammlung möglich war. Nur ein heiseres Flüstern störte noch die Ruhe, die sich über alle gelegt hatte.
    Auf einem Podest, das inmitten einer abgeschlossenen Arena aufgestellt worden war, erkannte man die schlanke Gestalt und das blonde Haar von Nayara Eandara, der Leiterin der Hallen des Schwertes. Jubel empfing die zierlich wirkende Frau, die der Menge ein Lächeln schenkte. Gleich würde ihre Stimme erschallen und die Wettkämpfe offiziell eröffnen. Beinahe schien es, als ob jeder den Atem anhalten würde, um ihr zu lauschen und dann dem Einmarsch der Recken zu harren. Würde es viele neue Gesichter geben? Überraschungen? Wer verbarg sich in den unbekannten Zelten? Die Aufregung stieg schier ins unermessliche.

  • Ein wenig irritiert blickte Tilla auf das Geschehen um sie herum.
    Abfällig hob sie eine Augenbraue und verfolgte mit ihrem Blick wie der Yassalar fortging, die Bewaffneten sich irritierend ansahen und dann hinter ihm hersprangen. Sie hatte das "Gespräch" zuvor nicht mitbekommen und keine Ahnung, warum er verschwand - so nahm sie das Naheliegendste an. Wahrscheinlich hatte der Yassalar Schulden.


    Schade, dachte sie bei sich. Hätte sie dies vorher gewusst, hätte sich sicherlich ein Tauschgeschäft angeboten.


    Doch schnell waren ihre Gedanken wieder an anderer Stelle.
    Sie hatte beschlossen sich ebenfalls zum Festplatz und den Zelten aufzumachen. Wie jedes Jahr bereute sie es, dass sie ihr eigenes Geschäftsfeld bisher nicht erweitert hatte. Die Buchmacherei würde an solchen Tagen unwahrscheinlich Profit bringen. Aber es war schwierig, von den eigenen Kunden sowohl Wetten, als auch Kredite für diese aufzuschwätzen.


    Tilla seufzte als sei die vielen Wimpel sah. Ihr Herz schlug für jeden der Teilnehmer ein wenig. Sie konnte sich nur schwer entscheiden ob sie die Eleganz des Nordelfen oder die Skrupellosigkeit des Schwarzen bewundernswerter fand. Und dieser Damoris.. nun zumindest war er nicht unattraktiv. Mit einem Lächeln auf den sorgsam geschminkten Lippen hörte sie der Rede Nayara Eandaras zu.

  • Amelie lächelte den Nachtelfen an. "Ich muss gestehen, dass ich mit Euch nicht hier gerechnet hätte", ließ sie Seoul wissen, während im selben Moment ein paar kichernde junge Mädchen an ihnen vorbei schlenderten. Überhaupt machten sich die meisten zum Festplatz auf. Die Parade war vorüber. Kurz hatte Amelie überlegt, ob nicht auch für sie ein schmuckes Mitglied der Sternengarde dabei sein könnte doch sie zog die Anwesenheit Seouls vor.

  • Unter den eisig blauen Augen der Valisar bewegten sich viele Gesichter. Sie studierte einige der Besucher genauer, versuchte in ihrer Gestik und Mimik Emotionen ausfindig zu machen und sie korrekt einzuordnen. Es war nur eine Übung, doch sie hatte in letzter Zeit nicht viel Gelegenheit dazu gehabt. Sie war in den letzten Wochen wenig in Gesellschaft gewesen, aber sie hatte auch nicht nach ihr gesucht. Ihr Wahrsagerzelt auf dem Markt war geschlossen, sie hatte sich eine Auszeit genommen um sich zurückzuziehen, zu denken, zu orakeln und zu meditieren. Nun war es wieder an der Zeit, zu üben. Um besser zu verstehen können, was sie einst selbst beherrschte. Die farbenfrohe Palette echter Emotionen, die in ihrem eigenen Herzen zu einem einzigen Grau in Grau verschwommen waren.
    Silene hatte sich in festlichere Gewänder als sonst gehüllt, um diesem Anlass beizuwohnen. Statt dem üblichen Schwarz trug sie heute ein weißes, figurbetont geschnittenes Kleid. Lang und mit fließendem Rock, hochgeschlossen und mit hohem Kragen. Wer sie sah, musste sich wohl unwillkürlich den Schweiß von der Stirn tupfen, doch die Valisar schwitze nicht. Ihr war nicht warm, sie war von der üblichen Kühle erfüllt. An den Säumen des Kleides hatte ein kundiger Schneider mit Silbergarn zarte Stickereien angebracht, welche im Sonnenlicht funkelten wie kleine Eiskristalle. Sie trug keinen Schmuck, nur das Halsband mit dem Korallensplitter, ein Geschenk, dass sie über alle Maße wertschätze, lag um ihren Hals, verborgen unter dem Stoff. Ihr Haar lag offen und silbern auf ihren Schultern, wie durch Magie lag jede Strähne an ihrem richtigen Platz.
    Man konnte nicht sagen, dass sie die Parade der Sternengarde genoss, doch ihrem Auge gefielen die Gewandungen, die synchronen Bewegungen der Recken, die vielen Banner, Wimpel und Fahnen. Alte Erinnerungen waren an dieses Fest geknüpft. Sie hatte in den vielen hundert Jahren ihrer Existenz schon oft dieser Parade beigewohnt. In dem Teil ihrer Vergangenheit, in der ihr Herz noch warm geschlagen hatte, hatte sie den lauen Abend durchaus mit dem ein oder anderen Recken verbracht, schließlich war sie ein den Göttinnen der Liebe geweihtes Wesen … nun ließ sie der Anblick der Männer kalt. Alleine ihr Verständnis für Symmetrie sagte ihr, dass sie alle begehrenswert wirkten und auch die Gesichter der vielen Mädchen und jungen Frauen verrieten ihr vieles.
    Ihr eigenes Gesicht war wenig ausdrucksvoll, doch sie hatte ein sanftes Lächeln aufgelegt, nur einen Hauch von Krümmung in ihren Mundwinkel, speziell für diesen Anlass, denn es lag ihr fern, verstörend oder erschreckend zu wirken. Sie ließ sich im Strom der Leiber mittragen, berührte jedoch keinen davon. Jeder schien der Valisar auszuweichen, als spürten sie die Kühle ihrer Haut, als wäre sie von einer Aura umgeben, die andere Körper nicht duldete.
    Schließlich erreichte sie den Festplatz, noch bevor Nayara Eandara ihre Rede begonnen hatte. Ihr Blick glitt über die Gesichter in ihrer Nähe und blieb kurz an einem hellen, sorgsam geschminkten Gesicht hängen. Ein zartes Lächeln zeigte sich auf den Lippen der Menschin, ein Lächeln, dass die Valisar nicht besonders gut beherrschte und nicht sofort einordnen konnte. Silenes Blick verriet ihr ein sorgsam gepflegtes Äußeres, perfektionistisch wie ihr eigenes. Ihre Hand wanderte in einen weißen Stoffbeutel an ihrem Gürtel und beförderte einen kleinen, marmorierten Stein heraus, doch die Göttern gönnten ihr weder eine Deutung des Lächelns, noch einen Blick auf den Ausgang des Turniers.

    Nur ewigen und ernsten Dingen / Sei ihr metallner Mund geweiht
    Und stündlich mit den schnellen Schwingen / Berühr' im Fluge sie die Zeit
    Dem Schicksal leihe sie die Zunge / Selbst herzlos, ohne Mitgefühl
    Begleite sie mit ihrem Schwunge / Des Lebens wechselvolles Spiel
    Friedrich Schiller - Das Lied von der Glocke

  • Seoul zögerte nur kurz und bot dann seinen Arm an. "Kann ich euch zum Festplatz geleiten?" Er schaute fragend und gab ihr die Zeit sich einzuhängen.
    "Ich bin nicht wegen der Parade hier. Das Turnier interessiert mich. Seine Oberarmmuskeln spannten sich als erer an seine eigene Zeit im Umgang mit einer Waffe dachte.

  • Auch der Vogelhändler hatte sich der Bewegung der Masse angepasst und war mittlerweile am Festplatz angekommen.
    Überall wurde gelacht, gejubelt, getrunken, geflirtet.. die Parade schien tatsächlich in diesem Jahr ein rauschendes Fest zu werden.
    Brennans Weg führte ihn gleich in die Nähe des Platzes, an dem der "Dunkle" sein Zelt aufgeschlagen hatte. Ein jeder, der auf ihn setzte, war der Dunkelheit nicht abgeneigt, dessen war Brennan sich sicher. Für wie viele Mädchen und jungen Kerlen hatte die Dunkelheit etwas durchaus verführerisches an sich? Und hier, bei diesem Mitstreiter des Tunieres würde sich sicher der ein oder andere von ihnen einfinden.


    "Hey, wie hoch steht der Kurs für den "Dunklen"?" rief Brennan einem Mann zu, der von einigen Leuten umringt war und offensichtlich Wetten annahm.

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