Der Nachtmarkt (alt)

  • Mit gerunzelter Stirn verfolgte Amina die fragenden Blicke des Syreniae, die zwischen ihr und der Cath'Shyrr hin und her wanderten. Dann entschloss sich die Andere, sie beide ahnen zu lassen, dass sie wohl etwas wusste und nannte auch sogleich einen Preis für ihre Mühen. Doch Amina ärgerte sich nicht. Sie konnte nur davon profitieren. Und wenn die beiden nun dermaßen auf sich selbst fixiert waren, war dies um so besser für sie.


    Ein Grinsen unter ihrer Kapuze verbergend stand Amina still daneben und hörte sich die Verhandlungen an. Die beiden schienen keine weitere Notiz mehr von ihr zu nehmen und so trat sie kaum merklich ein paar Schritte zurück in die Schatten.

  • Daerid liess sich Zeit. Er hatte Zeit. Sorgsam und routiniert hatte er die etwas entfernte Umgebung der kleinen Halle - seinem anvisierten Ziel - auf Zeichen ungewöhnlicher Aktivitäten abgesucht. Wobei schon ein besonderes Gespür dafür nötig war, um hier unten etwas als ungewöhnlich zu klassifizieren. Aber wie dem auch sei - diese Nacht schien den Satyr William Pottler nicht mit geplanter Offensive belästigen zu wollen. Nicht dass Daerid ein Angriff auf Pottler tangiert hätte. Vermutlich tangierte es sogar den Satyr nur am Rande. Der war schon mit ganz anderen Schwierigkeiten fertig geworden - und die Schwierigkeiten umkreisten einen wie die Motten das Licht, wenn man es in den dunklen Geschäften des Nachtmarkts erst einmal in eine Spitzenposition geschafft hatte. Die wollten nämlich auch viele andere innehaben. Und Daerid hatte keinerlei Interesse, sich zwischen den Fronten irgendwelcher bedeutungsloser Machtkämpfe wieder zu finden.
    Gelassen musterte der Assassine den Eingangsbereich der Halle. Zwei Wächter standen dort - eher proforma - denn es kam eigentlich nicht vor, dass hier jemandem der Einlass verwehrt wurde. Im Gegenteil - es konnten gar nicht genug Leute Pottlers exzessiven Veranstaltungen beiwohnen, damit sie sie möglichst alle mit der fortan schier unstillbaren Sehnsucht nach den Substanzen verliessen, die Pottler ihnen jederzeit mit größtem Vergnügen verkaufte. Canvele fand, dass sie es nicht besser verdienten. Warum begab man sich in eine solche Abhängigkeit ? Daerid selbst hatte mit Rauschgift nichts im Sinn. Auch nicht mit den exotischen Giftkreationen, von denen man im Zusammenhang mit Pottler hier und da munkeln hörte. Aber - und hier täuschte der Eindruck, den man von dem Satyr fälschlicherweise sehr leicht gewinnen konnte - Pottler war beileibe nicht nur der launische egozentrische Gastgeber und Drogenhändler. Er war auch ein durchtriebener Perfektionisnist. Wenn er schon den Tod verkaufte, ob auf Raten oder direkt, dann auch vollumfänglich. Und so hatte er für diejenigen seiner Kunden, deren Nervenkostüm dem Gedanken des vergifteten Anverwandten in den eigenen vier Wänden oder des erstickenden Kontrahenten in der unmittelbaren Nähe nicht gewachsen war, auch immer ein alternatives Angebot parat.
    Und hier befand sich Daerids Verbindung zu William Sprungbart Pottler. Irgendein lukrativer Auftrag war hier regelmäßig abzugreifen.
    Daerid sann kurz darüber nach, ob er den Mann, der an der Längsseite der Halle patroullierte, für eine gewisse Zeit aus dem Verkehr ziehen sollte, um im Falle des Falles einen freien Fluchtweg vom Dach zu haben. Er entschied sich dagegen. Seine scharfen Sinne hatten ihm längst verraten, dass die Geräusche, die aus den Wänden von Pottlers Domizil hervordrangen, ebenso wie der Geruch, der wie ein unsichtbarer giftiger Nebel in der Luft hing und der Halle eine Aura der Warnung verlieh, die jedes Wesen mit sensiblen Sinnen eigentlich davon zurück halten müsste, sie freiwillig zu betreten - beides wie immer waren, wenn Daerid Pottler aufgesucht hatte. Achselzuckend nahm Daerid das Seidentuch ab, welches seine untere Gesichtshälfte verhüllte, gab seine Deckung auf und trat offen zum Eingang der Halle hin.
    Die beiden Männer mit körperlich durchaus beeindruckender Statur - aber anscheinend bereits leicht vernebelten Sinnen - betrachteten den hochgewachsenen Neuankömmling grinsend. "Junge, Du siehst aber wirklich so aus als könntest Du dringend Entspannung und Spaß gebrauchen.", feixte einer von ihnen bei Daerid Canvele's Anblick. Die Lippen des Valisar verzogen sich zu einem verächtlichen Lächeln - eine sorgsam einstudierter Gesichtszug - während ein kaum wahrnehmbares Schütteln seiner linken Hand eine feingliedrige Kette aus seinem Ärmel hervorbrachte, die sich im selben Moment schon um die Knie des Sprechers wickelte und diesen mit nur wenig Kraftanstrengung seitens des Assassinen auf den Boden beförderte. Unverzüglich machte Daerid einen Schritt auf den anderen zu. Sein stechender Blick schien Eiszapfen auf den Mann zu verschiessen, der zurück gewichen war und mit einem Messer vor dem Valisar herumfuchtelte. "Mach Dich nicht unglücklich.", klang es völlig ruhig und melodisch aus dem eingefrorenen Lächeln. "Ich will ihn sehen. HINTEN !" Der Mann nickte langsam "Verstanden !". Lautlos und unverzüglich wandte sich der Assassine wieder dem anderen zu, der sich inzwischen von der Kette befreit und wieder aufgerappelt hatte und nahm ihm diese aus der Hand. "Danke !" sprach er und durchschritt den Eingang. Der Überrumpelte wurde von dem anderen am Arm gepacht als er hinterher stürmen wollte. "Bist Du verrückt ?", zischte er. "Ich glaub, ich kenn den. Der hat Dich zerlegt bevor ich den Mund wieder zubekommen habe!", wisperte er eindringlich. "Sagen wir Pottler Bescheid."
    Das Gesicht des Valisar war indes womöglich noch eine Spur verächtlicher geworden als die Halle mit ihrem berauschenden Ambiente sich um ihn herum legte. Sinnevernebelnde Gerüche und Bilder boten sich ihm, geeignet, einen um den Verstand zu bringen. Männer und Frauen - tanzend, spielend, kopulierend - und denjenigen, die herumliefen, war anzusehen, dass sie weder auf ihre erste Droge noch ihr erstes sexuelles Erlebnis aus waren. Und so rochen sie auch. Der Valisar versagt sich jeden Atemzug und steuerte zielstrebig eine fast unsichtbare Tür in einer der hinteren Ecken an. Hier und da musste er unsanft die eine oder andere Hand von sich stoßen und erst, als die Tür hinter ihm ins Schloß gefallen war, stieß er die Luft aus den Lungen hervor. Mit verschränkten Armen lehnte er sich an die gegenüberliegende Wand, die Eingangstür unablässig im Visier, und verharrte regungslos. Er kannte Pottler und wusste, dass dieser ihn einige Zeit warten lassen würde. Mal mehr - mal weniger. Daerid Canvele hatte Zeit.

  • Lieber ein Ensemble samt Hut und Schuhen in grässlichem Schlammgrün als eine nähere Bekanntschaft mit dem Syreniae. Er unterschritt Maidas persönliche Distanz aufs Äußerste. Sie konnte seinen warmen Atem unangenehm auf ihrer Wange fühlen. Solch körperliche Nähe empfand sie abstoßender als den zudringlichen Kerl, zu dem sie den Geflügelten bringen sollte. Unbehaglich streckte die Cath'shyrr den Rücken durch. Sprungbart Pottler war ein schmieriger Grapscher, der Geflügelte jedoch von einer durchdringenden Präsenz, drückend in jeder Pore, dass sich Maidas Nackenhärchen steil aufrichteten.


    Es schien gesünder, es nicht auf die Spitze zu treiben. Zehn Golddukaten mehr als ursprünglich geboten waren besser als nichts. Siebzig Dukaten waren eine Menge Geld, selbst für die verwöhnte Maida, die ungern ausschließlich von der Großzügigkeit ihrer adeligen Verehrer abhängig war.


    So groß ihre Unsicherheit gegenüber dem Syreniae auch war, so gereizt reagierte sie auf die Verletzung ihres Stolzes. Kleines Mädchen wagte sie nicht einmal Boingar zu nennen. Gierig, ja, doch sicher nicht verängstigst wie ein Kleinkind. Diesmal wich sie nicht zurück. Die Augen verengt starrte die Cath'syhrr dem Syreniae mitten ins Gesicht. Ihre Pupillen weiteten sich, als er die Kapuze zurück schlug und sie erkannte, WEN sie vor sich hatte. Hieß es nicht, der Vorgänger von Pottler hätte es zu weit getrieben und wäre im finsterten Winkel der Katakomben verscharrt worden? Wenn es sich bei ihrem Gegenüber wirklich um Bran Boréas handelte, dann war er jedenfalls quicklebendig.


    "Das kleine Mädchen", giftete sie ihm mit leiser, fester Stimme ins Gesicht, "hat es nicht nötig, ihre Geschäftspartner zu hintergehen. Ich erfülle Aufträge und verkaufe nur solche Namen, die hierfür nötig sind, Rabe ! Oder soll ich Euch bei Eurem vollständigen Namen nennen, von dem man sich erzählt, dass er keine Macht mehr besitzt, trotz seiner Zauberstimme? Man sagt gar, Ihr wärt an Eurer eigenen Asche erstickt."


    Maidas Eckzähne blitzten unter den Mundwinkeln hervor, was ihrem lieblichen Gesicht eine hässliche Bedrohlichkeit gab. An der kaum wahrnehmbaren Körperreaktion des Raben erkannte sie, dass sie mit seiner Person recht hatte. Bran Boréas, dessen Geschäfte heute Sprungbart Pottler führte. Seltsam, dass der Syreniae nicht wissen wollte, WER die Kontaktperson der Grauen Schlange war? Ob es sich um eine Falle handelte? Doch was bezweckte der Rabe damit? Warum wahllos zwei Frauen auf der Straße ansprechen? Oder hatte es primär mit der Person im Schatten zu tun? Maida warf der Diebin einen misstrauischen Seitenblick zu, ehe sie sich wieder voll und ganz auf Bran konzentrierte. Herausfordernd streckte sie die Hand aus, um die zwanzig Golddukaten einzufordern.

  • Erkenntnis spiegelte sich in ihrem Blick, kaum dass Ascans Hände den Stoff der Kapuze fallen ließen.


    Sie wusste, wer er war und wich um keinen Deut zurück. Ganz im Gegenteil klang der Stolz ihres Volkes aus ihren Worten, mit denen sie ihn beim Namen nannte. Doch mehr... Unmöglich, ein verräterisches Zucken im Mundwinkel zu unterdrücken. An seiner eigenen Asche erstickt?


    Amüsiert musterten seine Augen die raubtierhafte Mimik der zierlichen Cath'Shyrr; ihre auffordernd geöffnete Handfläche. "Und da hätte ich fast vergessen, wie nah die Gerüchte des Nachtmarkts der Wahrheit kommen...", sprach der Syreniae mit einer Stimme, die sich wie ein warmer Mantel ums Herz legte "... nur um ihr gleichzeitig so fern zu sein. Dieser Rabe..." Seine Tonlage gefror wie der Blick, mit dem er für einen Moment durch die Cath'Shyrr hindurch zu starren schien. "... er erstickte nicht nur - er starb hier in Nir'alenar. Für immer."
    Ohne weitere Erklärung langte der Geflügelte über die Schulter, um seine Kapuze wieder nach vorn zu schlagen.


    Den Seitenblick zu ihrer Komplizin hatte er nicht übersehen, doch Ascan war es müde, dem Wechselspiel länger aufzusitzen. Die Cath'Shyrr hatte ihre Glaubwürdigkeit bewiesen... und nicht nur das. Er würde ihr in dieser Sache vertrauen, doch das galt gewiss nicht zu gleichen Teilen für ihre übrigen Kontakte.


    Mit der rechten Hand zog er zwei schmale, locker verknoteten Leinenbeutel aus der mittleren Innentasche seines Mantels. Er wusste, dass diese jeweils zwanzig Golddukaten enthielten. In dem Wissen, dass man auf dem Nachtmarkt besser nicht in einem geöffneten Geldbeutel herumsuchte, hatte er Vorkehrungen getroffen. Diese war nur eine davon.


    "Ihr habt meine Aufmerksamkeit. Und mein Wort." Goldschwer legten sich die unscheinbaren Beutel in die Hand seiner neuen Geschäftspartnerin. "Nun nennt mir den Ort und geht voran." Auffordernd wandte sich sein linker Arm in Richtung des zwar nur spärlich beleuchteten, dennoch helleren Marktes. Dieser beengende Winkel hatte seinen Nutzen verloren. "Und Ihr?" fragte er ungerührt in den Schatten hinein, in den sich die rätselhafte Andere zurückgezogen hatte.

  • Laut ließ Willian Pottler den riesigen, leeren Krug auf das Pult vor sich donnern. Genießerisch langsam polterte die Luft aus seinem Magen über seine Lippen. "Potzblitz, bei Shirashais Arsch! Die Plörre prickelt mir Morgen noch in den Eiern!"


    Die lange Pfauenfeder, die er sich an seinen weißen Dreispitz gesteckt hatte, schwankte auf und ab, während das hemmungslose Lachen des berüchtigten Satyr durch den gruftartigen Raum hallte. Sein maßgeschneiderter Anzug aus weißem Brokat war gut sichtbar selbst bis in den letzten Winkel des Unterschlupfes. Sprungbart hatte jedoch darauf bestanden, dass der edle Stoff seine Brust aussparte, sodass sich sein volles braunes Bursthaar offen über seinem Brustkorb erhob. Eine zarte, helle Hand legte sich in diesem Moment darauf und der Satyr verstummte abrupt in seinem Lachen, um einen beschwingten Takt auf der Oberweite der barbusigen Dirne auf seinem Schoß zu trommeln.

    Sprungbarts hüfthohes Podest mit dem schmalen Pult, hinter dem er in einem bunt verzierten Sessel saß, befand sich in der Mitte des Raumes, fast vollständig eingeschlossen zwischen den Tischen, Bänken und Leibern der Feiernden. Abgesehen von der betrunkenen Frau auf seinem Schoß befanden sich noch zwei weitere Personen an seiner Seite. Die Gestalt zu seiner Rechten saß weit vorgebeugt auf dem Rand des Podestes und starrte auf den zerknitterten Stapel Papier, den sie Händen hielt. Es war ein Mensch mittleren Alters, aschblond und schlaksig. Erschrocken sprang sein Blick bei jedem besonders lauten Geräusch von den Dokumenten auf und seine tintenverschmierte Hand schob dabei reflexartig das Brillengestell seine Nase empor. Seine schlichte graue Kleidung machte ihn fast unsichtbar neben der herrschaftlichen Erscheinung des Satyr. Auch die Person, die zur Linken Sprungbarts stand, gehörte nicht zu den auffälligsten Gestalten, doch die unzähligen Waffen und die starke lederne Uniform machten ihre geringe Körpergröße mehr als wett. Mit einem Schnauben kommentierte die Feuerzwergin den begeisterten Ausruf ihres Arbeitgebers. Stolz erhobenen Hauptes wanderte ihr etwas unscharfer Blick über die zechende und sich vergnügende Meute in der Halle. Gelegentlich streute sie sich etwas graues Pulver auf den Handrücken und zog es gierig durch die Nase ein. Abgesehen von diesen kleinen Unterbrechungen, in denen ein Lächeln über ihre Züge huschte, blieb ihre Miene jedoch finster, hart und missgünstig.


    Eine der Wachen vom Eingang kämpfte sich bis zu dem Satyr durch. "Bogart!" begrüßte Sprungbart ihn mit weit ausholender Geste und in einer Lautstärke, die die Hand seines Buchhalters erschrocken zu seiner Brille tasten ließ. "Warum parlierst du nicht mehr an unserer Türe und heißt unsere wackertreuen Gäste willkommen?" Mit Daumen und Zeigefinger zwirbelte der Satyr seinen weit abstehenden, kastanienbraunen Oberlippenbart.
    Der Angesprochene suchte nicht lange nach Worten. "Hinterzimmer, Sprungbart. Da wird's schon so kalt, dass selbst die Eiszapfen ne Gänsehaut abkriegen."
    Augenblicklich verzog sich das gönnerhafte Grinsen des Satyr zu einem schiefen Zähnefletschen. Das Losungswort 'Eiszapfen' verriet ihm zuverlässig, wer gemeint war. Der Nachtmarkt hatte also gerade nichts Besseres zu tun als Daerid Canvele in sein Refugium zu kotzen.


    Pottler gab Bogart ein flüchtiges Handzeichen, dass er verstanden hatte. Der Wächter beeilte sich, seinen Posten wieder zu besetzen. "Hoch mit dir, Schätzchen", schob Sprungbart die Dirne von seinen Beinen. "Jetzt werden Geschäfte gemacht. Wieselschiss! Lady Karôs!"


    Die Feuerzwergin sprang ohne viel Federlesens vom Podest und landete dabei prompt auf einem Paar, das sich eng umschlungen am Boden vergnügt hatte. Einige Tritte und hässliche Flüche später war der Weg frei und eine Gasse hatte sich gebildet. Mit weit ausgreifenden Schritten stolzierte der Satyr beschwingt hindurch, klatschte einer Frau dabei auf den Hintern und wusste, dass sein Buchhalter und die Söldnerin ihm dichtauf folgten. Eigentlich fühlte er sich sicher, was den Valisar betraf, aber er war nicht so erfolgreich geworden, weil er unnötige Risiken einging. Lady Karôs war seine Absicherung in körperlichen Belangen und selbst Wieselschiss war ihm nützlich, denn er sorgte dafür, dass jede Absprache ihren verbindlichen Weg auf Pergament fand.


    Kraftvoll stieß er seinen Huf gegen die Tür des Hinterzimmers, die ruckartig aufschwang und krachend gegen die Innenwand schlug.
    "CANVELE, mein FREUND!" betrat er mit herzlich erhobenen Händen und volltönender Stimme das Zimmer. Fast schien es, als wolle er den Assassinen, der an der gegenüberliegenden Wand lehnte, überschwänglich in die Arme schließen. "Was verschafft mir diese ungebührende Ehre deines Besuchs? Was kann dieser bescheidene Satyr für dich tun? Oder..." Er lachte und stemmte die Fäuste in die Hüften. "... bist du hier, um etwas für mich zu tun?"


    Wie zwei Schatten nahmen seine beiden Handlanger zu seinen Seiten Aufstellung. Die Hand der Feuerzwergin lag auf dem Griff einer Peitsche an ihrem Gürtel und ihr Blick, mit dem sie den Valisar förmlich an die Wand nagelte, sprach von purer Mordlust. Der blonde Mensch fummelte stattdessen an einer ausgemergelten Feder, die er aus einem Beutel hervorgezogen hatte.


    Autor: Ascan

  • Zwei dunkle Augen fixerten aufmerksam, wie zwei gefüllte Leinenbeutel den Besitzer wechselten. Nun ... Mit etwas Geduld würden diese schon bald eine neue Besitzerin haben. Doch alles gemach. Zuerst einmal galt es zu beobachten, wo die Cath'Shyrr ihren Lohn verstauen würde.


    Und dann drang abermals die Stimme des Syreniae an ihr Ohr und sie blickte ihn an. "Nun ich fürchte, ich kann Euch nicht weiter helfen. Alles was ich weiß, habe ich Euch bereits gesagt und das war nicht sehr viel. Es tut mir leid, dass ihr nun auf mich verzichten müsst".

  • Der Lärm, die Musik und die Geräusche übereinanderrollender Leiber machten es unmöglich, zu bestimmen, was jenseits der Tür genau vor sich ging.
    Ohne jede Vorwarnung wurde sie jäh aufgestossen und prallte vom Schwung getrieben mit lautem Knall gegen die danebenliegende Wand. Nichts an Daerid bewegte sich. Kein Glied seines Körpers regte sich, nicht der kleinste Muskel in seinem Gesicht zuckte und sogar die Falten seines samtenen Umhangs und der Kapuze, die ihm mittlerweile wieder weit über die Wangen fiel, schienen dem Lufthauch der sich öffnenden Tür zu trotzen.
    Pottler stolzierte in den Raum hinein, jeder Zoll seiner Erscheinung, angefangen von dem exzentrischen Federhut, dem überdimensionalen Schnurrbart über den reinweißen Anzug bis hin zu seinen Hufen die personifizierte Beleidung von Canvele's feinem und stilvollem Sinn für Schönheit. Allerdings - das musste Daerid zugeben - Pottler inszenierte das groteske Bild von sich selbst mit solch einer Perfektion, dass er es fast schon wieder für anerkennungswürdig befand.
    Soweit nichts Neues also. Vielleicht ungewöhnlich schnell für Sprungbarts Verhältnisse. Die Augen des Assassinen huschten über die Dreiergruppe und verengten sich leicht. Der stierende hasserfüllte Blick aus den blutunterlaufenen Augen der Zwergin interessierte Daerid zunächst nicht weiter. Dafür fixierte er den anderen. "Vielleicht können wir etwas für unser beider Zufriedenheit tun, William.", klang die entnervend melodische Stimme wie bizarrer Gesang aus Canvele's Mund hervor. Die Unscheinbaren waren oft die Gefährlicheren. Und Daerid lieber vorsichtig als tot.
    "Wenn Dein blonder Begleiter an seiner Gesundheit hängt, lässt er auf der Stelle diese Feder fallen. Und bitte ihn doch, stattdessen lieber die Tür zum Festsaal und seinen Rauchschwaden wieder zu schließen. Ich hänge auch sehr an meiner Gesundheit, wie Du weißt. Und nachdem wir etwas für unser aller Gesundheit getan haben, mein Freund ..." Canvele verstand es, dem für ihn völlig bedeutungslosen Wort einen fast freundlich anmutenden, heimeligen Klang zu verleihen. "... lass uns sehen, ob wir unserer zufriedenstellenden geschäftlichen Beziehung nicht ein weiteres Kapitel hinzufügen können." Kühl und abschätzend legte Canvele's Blick sich in den des Satyrs. Daerid sah keinen Sinn in unnötigen Zeugen, wie Pottlers Figuren es in seinen Augen waren - aber wenn der eigenwillige Exzentriker darauf bestand, war es dem Assassinen gleich, wie viele Mitwisser dieser sich aufhalsen wollte. Das war nicht sein Problem. Und wenn es das wider Erwarten doch werden sollte, kein besonders langwieriges.

    Man beherrscht die Leute mit dem Kopf - mit einem guten Herzen spielt man nicht Schach.


    Nicolas Chamfort

  • Der Rabe war tot. Nun, ihr sollte es Recht sein. Mit Sprungbart Pottler ließ sich gute Geschäfte machen. Sofern er die heutige Begegnung mit dem Syreniae heil überstand. Sie hatte den Giftmischer verraten, nein, verkauft, um genau zu sein, doch sie war Pottler nichts schuldig. Ihm würde ein anderer nachfolgen. Ein Lieferant war so gut wie der andere.


    Die Beweggründe von Bran Boréas waren für Maida ohne Belang. Stumm nahm die Cath'shyrr die Geldbeutel entgegen und wog sie prüfend - und zwar einzeln - in der Rechten. Der Nachtmarkt war kein Ort um Geld nachzuzählen. Hier musste man blind vertrauen. Maida vertraute niemandem. Sie kannte das Gewicht der Münzen und hatte lange geübt, um zehnstellige Summen an ihrem Gewicht zu erkennen. Sie lächelte zufrieden und zog die Hände unter den Umhang zurück. Da sie nicht mit zusätzlichen Einnahmen gerechnet hatte, war ihre Ledertasche zuhause geblieben. Notdürftig befestigte sie die Schnüre der Leinenbeutel an ihrem Gürtel.


    "Den Ort soll ich Euch nennen? Damit Ihr mir von hinten über den Schädel schlagen und allein den Weg finden könnt?" Sie lachte gedämpft. "Oh nein, Rabe, solche Spielchen könnt ihr mit der Schwester dort im Schatten treiben. Folgt mir oder bleibt wo Ihr seid. Es ist Eure Entscheidung."


    Die Cath'shyrr zog die Kapuze wieder tief ins Gesicht hinab und marschierte festen Schrittes los. Nichts deutete darauf hin, wie grazil sie sich auf dem Parkett der Reichen zu bewegen verstand. Auf die Schwester im Schatten achtete sie nicht mehr.

  • Schweigend nahm er ihre paranoide Vorsicht hin. Es spielte keine Rolle, welche Meinung sie von ihm hatte... solange sie ihr Gold wert war.
    Ascan widmete der Zurückbleibenden ein letztes Nicken und verließ mit einer entschlossenen Drehung den Winkel, um der weit ausgreifenden Cath'Shyrr zu folgen.


    Wo sie geschickt wie es ihre Natur war zwischen den Gestalten des Marktes hindurch navigierte, zeigte er weniger Feingefühl. Die Wenigen, die nicht von selbst einen Schritt zur Seite traten, drückte er ohne Umschweife beiseite, was nicht von jedem schweigend quittiert wurde.
    So sehr ihn die Verhandlung mit der Cath'Shyrr an die angenehmeren Momente seiner Vergangenheit erinnert hatte, so sehr widerte ihn das Pack an, das sich hier zwischen den Ständen tummelte.
    Ascan musste tief Luftholen, um einem, der meinte, ihn am Flügel packen zu müssen, nicht mit seiner Faust zu antworten. Zu seiner Erleichterung genügte es, dessen Griff mit einem kräftigen Ruck abzuschütteln. Ein Moment, in dem er die Silhouette seiner Wegfinderin fast aus den Augen verloren hätte.


    Das Gedränge des Marktes löste sich allmählich auf, sodass er schließlich ganz zu ihr aufschließen konnte. Wenn ihn sein Gespür und seine Erinnerung nicht täuschten, hatten sie sich in ziemlich gerader Linie in nördliche Richtung bewegt. Noch immer erhellten Fackeln die Umgebung, doch ihre Anzahl wurde spärlicher.
    Aus dem Augenwinkel heraus musterte er die Haltung der Cath'Shyrr. Ob auf der Suche nach einem verräterischen Anzeichen, das auf einen Hinterhalt deutete, oder aus purer Neugier, wie sie dem Ziel dieses Weges entgegen sah, konnte er selbst nicht genau sagen.

  • Blanke Panik stempelte sich in die Züge des blonden Buchhalters. Plötzlich hatte er es so eilig, seine Schreibfeder fallen zu lassen, dass dabei gleich alle Dokumente zu Boden rauschten, die dieser sich in der Eile unter den Arm geklemmt hatte.
    Weit verdrehte Pottler die Augen, als ein unscheinbarer Umschlag mit rotem Siegel an seinem Huf zum Liegen kam. Wieselschiss machte seinem Namen wieder mal alle Ehre.


    Der Satyr beobachtete noch kurz wie der feige Mensch seine sieben Sachen hastig wieder zusammenraffte. "Mach gefälligst die Tür zu, wenn du damit fertig bist." Ernst kehrte sein Blick zu dem Assassinen zurück, der die unliebsame Marotte, ihn Willian zu nennen, noch immer nicht aufgegeben hatte. Er zuckte bedauernd mit den Schultern. "Ich habe keinen Auftrag, Canvele. Nichts als Geizhälse und zwielichtige Schlampen, die sich mit einer Prise meines Hausrezepts zufrieden..." Etwas rempelte ihn grob in die Seite und er unterbrach sich unwillig, um die Zwergin anzusehen. "Sprungbart. Da!"
    Ihr Fingerzeig deutete energisch auf den Umschlag zu seinen Hufen.


    Scharf zog der Satyr die Luft zwischen seinen Zähnen ein, kaum dass er das rote Siegel in Gestalt eines Vogels erkannte. Die Überraschung wich und an ihrer Stelle stieg eine zornige Röte in sein Gesicht. Sein langer Schnauzbart bebte. Er hob seinen rechten Huf und nagelte damit Wieselschiss' Hand an den Boden, der seine Griffel gerade nach dem versiegelten Brief ausstreckte und bei den Worten der Zwergin mitten in der Bewegung erstarrt war. Der Schmerzenslaut des Buchhalters ging im Gebrüll seines Arbeitgebers komplett unter. "Du kritzelnder STÜMPER von einem Bastard! Ich habe dir gesagt, du sollst jeden versiegelten Brief SOFORT rausrücken! SCHER DICH RAUS HIER!"
    Fluchtartig stürzte der Blonde zur Tür, kaum dass Pottler den Druck seines Hufes löste. "UND VERGISS NICHT AUCH NOCH DIE VERSCHISSENE TÜR! WIR SPRECHEN UNS NOCH!" Das hämische Lachen der Zwergin begleitete den Rauswurf des Menschen und verstummte in dem Augenblick, als die Tür ins Schloss fiel.


    Pottler murmelte mit noch immer hochrotem Kopf etwas davon, wie schwer es geworden war, zuverlässiges Personal zu finden und bat Canvele mit einer knappen Handbewegung um einen Moment Geduld. Seine Finger brachen hastig das Siegel und falteten das Schriftstück grob auseinander. Rasch sah man seine Augen über die Zeilen gleiten und es war erstaunlich anzusehen wie schnell das Blut aus seinem Gesicht schoss.


    Wortlos ließ er den Brief sinken und starrte für einen Moment mit undeutbarer Miene an die leere Wand. "Canvele... es hat sich gerade etwas ergeben..." Der Satyr räusperte sich ausgiebig und so etwas wie ein Lächeln kehrte in sein Gesicht zurück. "Allerdings erfordert es ein gewisses Maß an... Anpassungsfähigkeit... deiner Expertise. Sieh es als Entgegenkommen... zur Feier unserer langen und gütlichen Zusammenarbeit. Ich werde deine Fähigkeiten dieses Mal selbst in Anspruch nehmen..." Er suchte den Blick des Valisar im Schatten von dessen Kapuze. "Ich brauche dich heute... als Leibwächter."
    Der Kopf der Feuerzwergin ruckte zu Pottler herum. Hasserfüllt verzerrte sich ihre Mimik, doch kein Wort verließ ihren grimmig verzogenen Mund.


    Autor: Ascan

  • Mit aufmerksamem Blick beobachtete Amina, wie die Cath'Shyrr den Beutel mit dem begehrten Inhalt notdürftig an ihrem Gürtel befestigte. Die Spitze mit der 'Schwester dort im Schatten' überhörte Amina geflissentlich. Besagte Schwester hatte etwas ganz anderes im Sinn.


    Allerdings durfte sie die Frau jetzt nicht mehr aus den Augen lassen. Und schon marschierte die Cath'Shyrr auch schon los und der Syreniae folgte ihr. Teilweise verdeckte er die Sicht auf die zierliche Gestalt der Cath'Shyrr doch Amina folgte ihnen unauffällig. Das Gedränge des Marktes kam ihr hier sehr recht.

  • Interessiert betrachtete der Assassine die Reaktion des Blonden, der so sehr zusammenschrak, dass er die unter seinen Arm geklemmten Dokumente gleich mit der Feder zusammen fallen ließ. Der Valisar wurde nicht von Wut oder gar Scham über den Irrtum behindert sondern konnte unmittelbar zum nächsten Punkt übergehen. Seine kalten Augen wanderten an dem Satyr empor, nachdem sie sich von einem versiegelten Umschlag zu seinen Hufen gelöst hatten und studierten ihn eindringlich. Dieser blonde Teil seines Personals sagte über Sprungbart mehr aus als über den Kerl selbst. Bekam der Satyr nichts Besseres mehr ? Ohne sichtbare Regung nahm Daerid zur Kenntnis, dass Pottler zur Zeit keinen Auftrag vermitteln konnte. Vielleicht war das im Augenblick auch besser, denn Pottler's Reaktion auf den sich gerade noch am Boden befindlichen Umschlag, ließ den Assassinen sich fragen, ob er womöglich gerade Zeuge des Anfangs von Pottlers Untergang wurde. Sprungbart war ein Exzentriker - aber ein wohldurchdachter so lange Daerid ihn kannte. Jetzt aber geriet er gerade offensichtlich aufrichtig außer sich. Und das bedeutete selten etwas Gutes.
    Der Blonde verschwand und die Tür fiel ins Schloß. Und Pottler's Reaktion auf den Inhalt dieses Umschlags bestärkte den Valisar darin, dass Pottler in einer Krise steckte. Der Valisar war kurz davor, ebenfalls zu verschwinden.
    Kein Auftrag - und mit dem Rest und seiner Entwicklung hatte er nichts zu schaffen.
    Doch bevor er sich rühren konnte, begann Sprungbart, das Wort an ihn zu richten.


    Nachdem Sprungbart geendet hatte, blieb Daerid einige Momente lang stumm, ohne den Blick von dem Satyr oder der Zwergin abzuwenden. So schnell hatte selbst er nicht mit einer Bestätigung seiner Vermutungen gerechnet. Im Grunde spielte es für ihn keine Rolle, ob er mit Sprungbart Geschäfte machte oder mit seinem Nachfolger. Pottler war bislang - so seltsam das ob seiner Erscheinung und der Art, die er an den Tag zu legen pflegte, auch anmuten mochte - jederzeit diskret und zuverlässig gewesen und seine Informationen immer zu 100 % korrekt. Der Assassine war sich der Nachteile neuer Geschäftsbeziehungen bewusst - zunächst hatte man immer auf zwei Fronten sein Augenmerk zu richten. Hier hatte Sprungbart bislang Pluspunkte gesammelt.
    Lohnte es sich möglicherweise, ihn noch etwas länger in seiner Position zu halten ?
    Nun - möglicherweise verhielt es sich so.


    Ein lange trainiertes Lächelns umspielte die schmalen Lippen des Valisar. "Du kannst den Tod bei mir kaufen Wiliam - aber Daerid Canvele ist nicht zu kaufen. Außerdem ..." zum allerersten Mal bewegte der Assasine sich sichtbar und deute eine fast unmerkliche Verneigung in Richtung der Feuerzwergin an. "... hast Du ja bereits eine äußerst fähige Leibwächterin in Deinen Diensten, wie ich sehe. Ich hingegen - bin nur Experte darin, niemals einem Auftraggeber zugeordnet werden zu können."
    Mal ganz abgesehen davon, dass er als Leibwächter unter Umständen Leute würde töten müssen, die er viel lukrativer einzeln aus dem Weg räumen konnte - aber das behielt er für sich.
    "Da andererseits unsere geschäftlichen Beziehung ausgesprochen zufriedenstellend verlief, kann ich Dir anbieten, bis zum Morgen hier zu verweilen und mir die Angelegenheit anzusehen. Und Dir versichern, dass ich mich keinesfalls gegen Dich stellen werde. Allerdings nur unter zwei Bedingungen: Erstens betrete ich nicht Deine Festhalle - außer, um das Gebäude zu verlassen.
    Und zweitens will ich wissen, worum es sich bei der Angelegenheit handelt.
    Andernfalls gehe ich meiner Wege." Abwartend und unbewegt betrachte der Assassine den Satyr.

    Man beherrscht die Leute mit dem Kopf - mit einem guten Herzen spielt man nicht Schach.


    Nicolas Chamfort

  • Der Syreniae trampelte hinter ihr her wie der berühmte Elefant im Porzellanladen. Hatte die Cath'shyrr kurz überlegt, ein paar Umwege zu nehmen, um sich so unauffällig wie möglich Sprungbarts Etablissement zu nähern, ließ sie diese Überlegung nun fallen. Der Geflügelte war inzwischen Nachtmarktgespräch und bestimmt hatte Pottler durch seine unzähligen Informanten längst erfahren, dass der Rabe zurückgekehrt war. Alles andere hätte Maida bloß verwundert.


    Sie ließen den Markt hinter sich und bogen in eine Gasse ein. Bran Boréas schloss zu ihr auf. Sie spürte, dass er sie heimlich musterte. Maida schmunzelte. Den Blick weiterhin auf die Straße, die Sinne auf die Umgebung gerichtet, raunte sie:


    "Was versucht Ihr zu ergründen? Ob ich Euch in einen Hinterhalt locke? Sehe ich aus wie jemand, der seinen Verdienst mit anderen teilt?"


    Eine weitere dunkle Gasse folgte, die sie näher an den Rand des Nachtmarkts führte. Maida lauschte auf das Geschrei einer Frau, wildes Gekeife in ununterbrochenem Stakkato, gefolgt von dem Brüllen eines Mannes. Hunde bellten. Eine Ratte flitzte über den Weg und verschwand in einer brüchigen Hausmauer. Eine Fensterladen schwang über ihren Köpfen auf. Maida beschleunigte den Schritt und hörte hinter sich das Plätschern des ausgegossenen Nachttopfs auf dem Straßenpflaster.


    "Nun, könnt Ihr erahnen, wohin Euch dieser Weg führt? Ihr müsst diese Gegend doch wie Eure Rocktasche kennen."


    Lichter tauchten vor ihnen auf. Zwei Wächter flankierten den Eingang zu einer kleinen Halle. Ein schlaksiger blonder Mann mittleren Alters eilte mit kreidebleichem Gesicht aus der Tür hinaus in die Düsterkeit. Maida blieb abrupt in ausreichender Entfernung stehen und deutete mit dem Kinn in die entsprechende Richtung. Sie hatte keineswegs vor, die heiligen Hallen des Satyr zu betreten.


    "Hier sind wir, Rabe. Gebt mir das Geld, dann verrate ich Euch den Namen."

  • Ascan wandte den Blick von ihr ab. "Wer weiß... Ihr seht auch nicht aus wie eine Frau, die es nötig hätte, sich hier unten herumzutreiben."


    Die Atmosphäre in den schmalen Gassen und kalten Gängen malträtierte die Sinne jedes gesunden Wesens. Das dunkle Milieu in den Katakomben kündete von all den Dingen, die in Nir'alenar nicht so liefen wie sich Eleria Anuriel das wohl wünschen würde. Doch Verbrechen und Armut klebten stets aneinander wie Fliegen an der Scheiße, daran würde sich selbst in tausend Metern unter dem Meer nichts ändern.


    "Es ist lange her", blieb seine Antwort auf ihre zweite Frage.


    Endlich schienen sie am Ziel angelangt. Ihre deutende Geste ließ ihn die Gebäudekonstruktion mustern, die etwas zu schief an der Katakombenmauer lehnte... wie ein Betrunkener, der gerade noch einmal rettenden Halt gefunden hatte. Aus dem Inneren drang Lärm wie er ihn nur aus besonders schlechten Spelunken kannte. Ihre folgenden Worte ließen ihn zurück sehen.


    "Wir haben eine Abmachung, Katze." In der Finsternis rieben seine Federn raschelnd übereinander. Ein Geräusch, das ohne sichtbaren Ursprung an fein wispernde Stimmen erinnerte. "Ich kam Euch bereits entgegen, als Ihr mir eben das Ziel unseres Weges verschwiegen habt. Entgegen unserer Absprache. Aber stellt meine Geduld nicht auf die Probe. 40 Dukaten für den Ort und unser kleines Spiel, 30 weitere, sobald ich sicher sein kann, dass Ihr mich zum Richtigen geführt habt." Seine Stimme wollte den Ton anschlagen, der seine Forderung unwidersprechlich gemacht hätte, doch dieses Mal ließ er es nicht zu. Er stand hier nicht als der Rabe, den sie in ihm sah. Er würde ihrem Vertrag mehr vertrauen als seiner Macht - zumindest soviel war er Emular schuldig.
    "Nennt mir den Namen. Ich habe Euch bis hierher vertraut, nun vertraut mir", drang Ascan mit ernster Stimme auf sie ein. "Emular sei mein Zeuge: Bewahrheitet sich Euer Wort, werdet Ihr Euren Lohn von mir erhalten!"

  • Gekonnt verbarg Willian Pottler den Triumph, den Canveles Vorschlag in ihm auslöste. Gepriesen sei Neala! Seine Göttin hielt ihm selbst im Unglück noch die Treue. Er faltete den Siegelbrief wieder zusammen und deutete mit ihm wie mit einem Zeigestock in Richtung des Valisar, während seine andere Hand an seiner Bartspitze zwirbelte. "Wir sind im Geschäft, mein Freund!" röhrte er. "Draufgespuckt und abgemacht!"
    Lady Karosh hatte noch immer keinen Mucks von sich gegeben. Die schmeichelnden Worte des Assassinen handelten ihm bloß einen wenig dankbaren Blick ein, während die Nase der Zwergin einen Deut höher wanderte. Mürrisch verschränkte sie die muskelbepackten Arme unter ihrer ausladenden Oberweite, dann erst bemerkte sie, dass der Satyr lächelnd zu ihr herüber sah. "Lady Karosh, mein edler Rosendorn, schaut doch bitte, ob im Saal noch alles zum Besten steht. Und teilt der Garde vorn mit, sie habe Euch ab sofort jeden verdächtigen Besucher sofort zu melden." Pottler zwinkerte ihr fast verschwörerisch zu. "Und mit 'verdächtig' meine ich ausnahmsweise jeden mit schwarzen Flügeln."


    Hörbar stampfenden Schrittes verließ die Feuerzwergin daraufhin den Raum, wenn auch erst nach einem drohenden Blick auf Daerid. Grinsend zuckte der Satyr mit den Schultern, kaum dass sich die Tür hinter ihr geschlossen hatte. "Sie ist ein mürrisches Ding, aber beißen tut sie aufs Wort." Übergangslos wurde er ernst, denn sein feinsinniger Humor hätte an den Valisar kaum verschwendeter sein können.


    "Ihr seid lange genug in Nir'alenar, um Euch vielleicht zu erinnern, Canvele. Mein Geschäft verlief nicht immer so prachtvoll. Ihr wisst, ich bin ein Priester des Genusses an diesem trostlosen Ort, ein Visionär, ein Auserwählter der Glückseligkeit!" Theatralisch wischte er sich eine imaginäre Träne der Rührung aus dem Augenwinkel. "Das kann ich jedoch nicht von meinem Vorgänger behaupten." Kraftvoller wedelte er nun mit dem Brief durch die Luft. "Ein verfluchter Kerl! Übelste Sorte! Skrupellos und dabei auch noch humorlos bis ins Mark. Der Rabe. Bran Boréas. Wer sich damals mit ihm einließ, bereute es schneller, als er bis Drei fluchen konnte."
    Seine Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. "Syreniae, mein werter Canvele... Mit denen ist nicht gut Kirschen essen. Ein Wort von ihnen und - ZACK - weiß man nicht mehr, wo einem der Kopf steht." Bezeichnend tippte er sich mit dem Brief an die Schläfe. "Brandgefährlich. Ich weiß, wovon ich rede. Nur ein ausgemachtes Genie meines Formats ist in der Lage, aus einem Geschäft mit ihnen Gewinn zu schlagen." Er nickte. "Richtig, ich rede von der Grauen Schlange... und genau die hat mir in diesem Brief soeben mitgeteilt, dass ihr vermaledeiter Volkskollege wieder in Nir'alenar aufgeschlagen ist."


    Mit einer dramatischen Pause gab er dieser Information zusätzliches Gewicht. "Als wäre das nicht Grund genug, mir Sorgen um die Zukunft meines allseits geschätzten Etablissements zu machen, soll ich diesen Unglücksboten auch noch zu ihr bringen! Und soll ich dir sagen, warum sie gerade mich darum bittet, Canvele?" Sein schiefes Grinsen war so bitter, als habe er soeben in eine Zitrone gebissen. "Weil es laut ihrer Einschätzung möglich wäre, dass er gleich bei mir auf der Matte steht. Um mir den Hals umzudrehen."


    Nun wusste der Valisar also Bescheid. "Finito!", klatschte der Satyr schallend in die Hände. "Schluss mit Aufträgen! Der Rabe bezahlt keine Mörder, Huren oder Fälscher. Wozu auch, hm? Wenn ein Satz genügt, all diese Dienste umsonst zu bekommen. Ich kann nur hoffen, dass dir das Ansporn genug ist, deinen guten alten Freund heute nicht zu leichtfertig aufs Spiel zu setzen."


    Autor: Ascan

  • Sie hatte es befürchtet. Der Rabe pochte auf die Vereinbarung. Ihre Gestalt spannte sich, während sie sich zu ihm herum drehte.


    "Wie Ihr bereits vermutet habt, handelt es sich bei diesem Viertel um keine Umgebung, in der ich mich üblicherweise bewege. Dies gilt ganz besonders für solche Etablissements."


    Maida betonte das Wort bewusst abwertend. Innerlich wappnete sie sich gegen die Fähigkeit des Syreniae, ihren Willen zu beugen. Maidas grüne Augen, von orangefarbenen Sprenkeln durchsetzt, starrten direkt in die stahlgrauen von Bran Boréas und hielten dem harten Blick stand. Was blieb ihr auch anderes übrig um ihren festen Entschluss zu bekunden, obwohl es sie drängte, die Lider zu senken und sich der Dominanz des Raben zu entziehen.


    "Es hat nichts damit zu tun, dass ich Euch nicht vertraue", behauptete Maida mit sanfter, schmeichelnder Zunge. "Doch ich habe keinesfalls vor, einen Fuß dort hinein zu setzen." Ihr Gesichtsausdruck bekam einen angewiderten Zug, während ihr Zeigefinger in die betreffende Richtung zeigte.


    "Ihr könnt mir glauben, der Name gehört zu jener Person, die ihr sucht. Er nennt sich Willian 'Sprungbart' Pottler, ein Satyr, nach oben gezwirbelter Schnurrbart, laut und ohne jegliche Manieren. Nicht zu verfehlen. Er ist die erste Adresse, an die man sich wendet, wenn man Rauschgift in großen Mengen erwerben möchte. Ich rate Euch, nehmt keine Getränke von ihm an. Er ist Spezialist für magisch verbesserte Gifte. Schon so mancher Geschäftsmann mag nicht ganz grundlos plötzlich den Verstand eingebüßt haben, wie man hört."


    Maidas Blick wurde eindringlich. Ihre ganze Haltung verriet Unsicherheit und Nervosität.


    "Emular sei MEIN Zeuge, dass ich Euch die Wahrheit sage. Pottler IST der Kontaktmann der grauen Schlange. Und er ist gefährlich. Das dort ist kein Ort für eine Frau. Sofern Ihr also nicht garantieren könnt, dass ich diese Lasterhöhle unbeschadet wieder verlassen werde, bitte ich Euch mir mein Geld JETZT zu geben. Ich verzichte sogar darauf, 10 Golddukaten für die zusätzlichen Informationen zu Sprungbart von Euch zu verlangen."

  • Der Assassine verzog keine Miene als Sprungbart mit dem Brief auf ihn deutete. Wäre er kein Valisar gewesen, hätte er sich womöglich geschmeichelt gefühlt, dass Pottler es bereits als besiegelungswürdigen Handel ansah, wenn Canvele versprach für diese eine Nacht nicht gegen ihn zu handeln – aber so nahm er dies schlicht zur Kenntnis. Immerhin lebte sein Geschäft nicht zuletzt auch davon, dass sein Wort etwas galt und zumindest in Sprungbart's Bild von ihm war dies anscheinend der Fall. Stumm verfolgte er den Abgang der Zwergin, um seine ungeteilte Aufmerksamkeit dann dem Satyr zuzuwenden. In seiner Erinnerung suchte er nach den Namen, die Sprungbart von sich gab. Die graue Schlange, Bran Boréas - der Rabe …......


    Gift und Rauschgift waren nicht Daerid's Geschäftszweig und er interessierte sich auch nicht im
    Mindestens dafür – viel zu auffällig. Ein Giftanschlag war eine höchst unsichere Methode und das Gift selbst trug immer auch die Handschrift seines Erzeugers und somit den potentiellen Verrat in
    sich. Aber der Nachtmarkt war ein ewig flüsternder Moloch, der Gerüchte ebenso wie Wahrheiten immerwährend ausspie, wie ein von Pottlers Kreationen im Endstadium Abhängiger die Brocken seines eigenen Magens. Für jeden, der hier unten Augen und Ohren offen halten musste, war es praktisch unmöglich, nicht irgendwann und irgendwo einen Brocken davon abzukommen – und letztendlich wühlten sie wohl alle in denselben unappetitlichen Brocken herum. Daerid hatte mit dem Raben keinerlei Verknüpfungen – und dann hatte dieser sich nicht in nennenswertem Stil mit Auftragsmorden befasst, soviel war sicher. Punkt für Sprungbart, wie Daerid geschäftsmäßig resümierte.


    Aber … da waren auch Flüstereien über dessen Beseitigung gewesen, wenn er sich recht erinnerte ...... Verrat, Untreue, Aufbegehren...... Gewissen ? Die Todsünden hier in den Tiefen unter Nir'alenar, wo die Dunkelheit Freund und Feind zugleich war. Nur dort oben – dort konnte man auf Gnade und Vergebung hoffen, von seinem Gott, seinem Geschäftspartner, seinem Herrn, seinem Ehepartner. Hier unten ? Niemals ! Diese Blöße konnte sich in der dunklen Welt niemand geben. Niemand, der an der Macht und am Leben bleiben wollte.
    Die graue Schlange hatte einen Namen auf dem Nachtmarkt. Und wenn dieser Rabe seiner von ihr angeordneten Beseitigung tatsächlich entgangen war – dann war er auch über seine Rasse hinaus
    keinesfalls jemand, den man unterschätzen durfte.


    Ein Syreniae....... gehört hatte Daerid von ihnen. Natürlich.
    Begegnet war er noch keinem. Insofern war es ihm nicht möglich, einzuschätzen, inwieweit das, was man über ihre beeindruckenden Beeinflussungsfähigkeiten munkelte, auch tatsächlich der Wahrheit entsprach. Und Sprungbart wollte etwas von ihm. Was an den Worten des Satyr war Manipulation ? Und was entsprach den Tatsachen ? Weder hier unten, in der Schwärze unter der Stadt, noch oben im Licht sah man viele Angehörige dieses geflügelten Volkes. Vielleicht eine Parallele zu seinem eigenen Volk. Die Voraussetzungen für eine Karriere in der Finsternis waren nahezu perfekt - aber vielleicht lag es grundsätzlich nicht in der Natur eines Syreniae - eben so wenig wie in der eines Valisar - sich ihrer natürlichen Gegebenheiten für das, was von fühlenden Personen gemeinhin als niedere Zwecke bezeichnet wurde, zu bedienen.


    Der Assassine beschloss, diese Möglichkeit im Hinterkopf zu behalten, dass es sich auch bei diesem Geflügelten so verhalten könnte. Nur könnte – denn, immerhin – IHN selbst gab es schließlich auch hier unten. Der Rabe war also Pottlers Vorgänger gewesen. Sicher, dann war Sprungbart für ihn ein denkbarer Weg, der zur Grauen Schlange führen konnte. Und Sprungbart's Angst wurde nachvollziehbarer. Selbst wenn der Syreniae nicht so skrupellos sein sollte wie Pottler ihn darstellte - die Graue Schlange hatte schon mehr als einmal bewiesen, dass es lebensgefährlich war, ihr Missfallen zu erregen. So oder so, Daerid glaubte, Pottlers Zwickmühle zu verstehen.
    Nun – wie auch immer sich das Ergebnis dieser Nacht darstellen würde, es war eine Möglichkeit, eine Begegnung mit mit Syreniae praktisch unter klinischen Bedingungen ablaufen zu lassen.


    Lautlos stieß der Assassine sich von der Wand ab, bewegte sich geschmeidig zum Schreibtisch hinüber und starrte auf die Tischplatte hinunter. Ungerührt holte er zwei seiner präparierten Tücher aus seinem Umhang hervor und begann, mit einem von ihnen akribisch die Ecke der Tischplatte vor ihm zu säubern. Dann erst bediente er sich seines kleinen Skalpells und ebenso virtuos, wie er noch vor wenigen Stunden damit eine Zunge zwischen rot geschminkten Lippen entfernt hatte, schnitt er nun zwei akkurate hauchdünne Streifen von dem anderen Tuch hinunter und verstaute Skalpell und Tuchrest wieder in seinem Umhang. "Du solltest ihn hier drin erwarten, wo er seine Flügel nicht wirklich gebrauchen können wird und seine Bewegungsfähigkeit diesbezüglich eingeschränkt ist. Am Schreibtisch, damit Du in Deckung gehen kannst, wenn nötig. Und platziere den Tisch so, dass jeder Eintretende sich zwischen uns befindet, ob er will oder nicht." Der Valisar hob den Kopf, wandte ihn Sprungbart zu und musterte ihn aus gleichgültigen, unter Kapuze so eben noch zu erkennden, Augen. "Und William, wenn Dir Dein Leben lieb ist, reiß Dich zusammen und wiederhole deutlich jedes wichtige Wort, das er zu Dir spricht. Warst Du an seiner .......... Absetzung .................... beteiligt ?“ Sorgsam faltete Canvele einen der Streifen etwas zusammen, steckte ihn in den Mund und begann, nahezu unsichtbar darauf herum zu kauen.

    Man beherrscht die Leute mit dem Kopf - mit einem guten Herzen spielt man nicht Schach.


    Nicolas Chamfort

    Einmal editiert, zuletzt von Daerid Canvele ()

  • Es war kein leichtes Unterfangen, dem Objekt ihrer Begierde zu folgen. Ständig huschte ihr irgendjemand durchs Blickfeld und sorgte dafür, dass sie die Cath'Shyrr für einen Augenblick aus den Augen verlor. Sie gingen und gingen. Bis sie schließlich ihr Ziel erreicht hatten. Dieses Ziel jedoch war für Amina reichlich uninteressant. Ihr Blick heftete sich an den kleinen Beutel, der an der Seite der Cath'Shyrr auf und nieder wippte. Amina konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Wie nachlässig doch Manche mit ihrem Geld umgingen. So schnell konnte es verloren gehen ...


    Bedächtig näherte sie sich der Frau, machte sich das Gedränge um sie herum zu Nutze. Es war ein Leichtes, den Beutel von dem Gürtel zu befreien und schon hatte er seine Besitzerin gewechselt. Mit flinken Fingern verschwand der Beutel unter Aminas Umhang und die dunkle Gestalt machte sich davon, verschmolz in der Menge und ward nicht mehr gesehen.

  • Willian Sprungbart Pottler. Der Name war gefallen. Für einen irritierenden Moment war es wie früher, wenn er bekommen hatte, was er wollte. Sein Interesse an der Cath'Shyrr drohte bereits bei ihren nächsten Worten vollständig zu erlöschen. Als hätte der Wind gedreht und trüge ihre Stimme in eine ganz andere, unbedeutende Richtung.
    Der Syreniae biss die Zähne zusammen und konzentrierte sich. Der Schatten der Erinnerung verzog sich so rasch wie er gekommen war. Klar drangen ihre Warnungen zu ihm durch - ebenso wie ihre Bitte.


    "Der Nachtmarkt ist kein Ort für eine Frau, die sich nicht zu wehren weiß! Ich bin nicht Euer Leibwächter und Ihr wusstet vorher, worauf Ihr Euch einlasst!" stellte er schonungslos klar und gab sich keine Mühe, die Härte aus seiner Stimme zu verbannen. Sein Blick richtete sich verdrossen auf das Gebäude, das sie so sehr zu fürchten schien. Seine Kiefermuskeln bewegten sich angespannt und trotz seiner harschen Worte schien er mit sich zu ringen. Schließlich entrang sich ein dunkles Seufzen seiner Brust. Seine Stimme klang gefasster, als er wieder sprach. "Das hier wird kein Anstandsbesuch, Katze. Ich spiele da drinnen auf Risiko, nur damit das klar ist. Handelt nicht leichtsinnig, fallt mir nicht ins Wort und seht zu, dass Ihr dicht bei mir bleibt. Selbst wenn ich wollte, könnte ich nicht für Eure Sicherheit garantieren... aber ich werde Euch beschützen so gut es in meiner Macht steht. Also begleitet mich oder wartet hier. Eure Entscheidung." Ohne noch einmal zurück zu blicken, trat er aus der dunklen Deckung hervor und bewegte sich festen Schrittes auf das Gebäude zu.


    Die Wachen am Tor drehten die Köpfe, als sie die Bewegung bemerkten. Wie zur Antwort auf die Verblüffung in ihren Gesichtern erschien in diesem Moment eine kleine Gestalt im Eingang. Nur flüchtig richtete sich der Blick der Zwergin auf den Syreniae und schon trat sie einem der Wachen so kräftig gegen die Wade, dass dieser überrascht strauchelte. Herrisch ins Innere der Lasterhöhle weisend, blaffte sie den Wachmann an, der sich daraufhin beeilte, ihrem Befehl nachzukommen.


    Die ungute Ahnung, dass das nicht zum üblichen Prozedere gehörte, verfinsterte Ascans Miene. Nein, er konnte wirklich nicht für die Sicherheit der hübschen Cath'Shyrr bürgen... er wusste nicht einmal, ob er selbst diese Nacht unbeschadet überstehen würde.

  • Pottler lauschte den Worten des Assassinen nickend. Er konnte sich an nicht viele Gelegenheiten erinnern, an denen Canvele derart viele Sätze am Stück von sich gegeben hatte. Es war zutiefst beunruhigend und aufschlussreich zugleich. Zumindest klangen seine Worte aufschlussreich, denn seinen Taten konnte Pottler beim besten Willen keinen Sinn abgewinnen. Hätte der Valisar in diesem Moment einen Handstand auf dem Tisch vollführt und dabei mit Dolchen jongliert, hätte er ihn damit kaum gründlicher verwirren können.
    "Ja, das ist ein fabelhafter Vorschlag! Seine verdammten Flügel nutzen dem Raben hier drinnen nichts." Ein tückisches Glitzern kam in seinen moosgrünen Augen auf. Mit dem ausgefuchsten Assassinen an seiner Seite fühlte er sich bereits jetzt in der überlegenen Position.


    Schon bewegte er sich vor, um den Schreibtisch zu verschieben, als Canvele seine letzte Frage stellte. "Ich bin die Unschuld in Person!" beteuerte Willian inbrünstig, während er das Holz fasste und mit seinen Hufen festen Halt suchte. "War damals zwar schon im Geschäft, hatte aber nichts mit der grauen Schlange zu schaffen." Ächzend stemmte er sich gegen den massiven Tisch. Zur Antwort ächzte auch das Holz und setzte sich widerstrebend in Bewegung. "Der Rabe war eines Tages einfach weg. Wie vom Erdboden verschluckt. Manche sagen, die Asche hätte ihm den Rest gegeben, aber ich kenne meinen Stoff..." Pottler löste eine Hand vom Holz und tippte sich an die knollige Nase. "... wenn man weiß, wie man es anstellen muss, bleibt man von allen körperlichen Nachwirkungen verschont. Kein hässlicher Schwindhusten, keine grauen Flecken oder Verfärbungen, nichts! Nur der reinste Rausch, den man sich vorstellen kann."


    Endlich stand der Tisch so wie gewünscht. Beim Betreten des Raums blieben auf diese Weise nur wenige Schritte, bevor man sich vor dem wuchtigen Möbelstück nach links wenden musste, um dem Satyr beim Sprechen gegenüberstehen zu können. Im Rücken seiner Gäste blieb dabei noch ausreichend Platz für den Assassinen und die geheime Tür in den Raum, in dem Pottler die Gifte ausstellte. Der Satyr breitete die Hände aus und stützte sie flach auf die Schreibtischplatte, den Assassinen dabei fest in den Blick fassend. "Deine treue Unterstützung hat mich in Gönnerlaune versetzt, Canvele. Wäre das nicht was, wenn dein kaltes Herz einmal etwas spüren würde? Stell es dir nur mal vor... all diese nie gekannten Empfindungen, die es auslösen könnte. Gar nicht neugierig? Einmal ist keinmal, so sagt man doch." Das Lächeln des Satyr zog sich breit über seine stoppeligen Wangen.
    "Hör gut zu, ich verrate dir das Geheimnis. Dann kannst du es dir überlegen." Er deutete in die Halle jenseits der Tür. "Asche... dieses graue Pulver. Das ist nur das Zeug, das ich an diese gierigen Bastarde da draußen verscherbele, die auf jeden Kupferpfennig beißen. Denen ist egal, was mit ihnen nach dem nächsten Zug passiert." Seine Finger zogen etwas aus der Seitentasche seiner weißen Weste. Ein kaum daumengroßer grauer Brocken unbestimmbaren Materials. "Das... ist Blutasche."


    Er ließ dem Valisar einen Moment Zeit, dann griff er sich die faustgroße Frauenbüste aus Marmor, die auf dem Rand des Schreibtisches stand und beim Verschieben fast zu Boden gestürzt wäre. Gezielt klopfte er mit ihrem Sockel mehrere Male auf den Brocken ein. "Jetzt siehst du gleich, was ich meine." Vom Brocken war nichts mehr zu sehen. Stattdessen breitete sich ein Pulver so intensiver roter Farbe auf der Holzplatte aus, dass es von innen zu glühen schien. "Die reinste Blutasche", sprach der Satyr erfürchtet beim Anblick der Droge. "Man hat nur wenige Augenblicke, um es zu verbrauchen, sonst... sieh selbst."
    Schon ließ das unwirkliche Glimmen nach und noch einige Atemzüge später verblasste auch die rote Färbung. Gewöhnliche graue Asche lag nun vor dem Satyr. "Das ist der ganze Zauber", seufzte dieser und man konnte ihm ansehen wie leid ihm die verschwendete Portion tat. "Es hat was mit der Luft zu tun. Blutasche muss immer bruchfrisch sein, dann kann man steinalt und sehr glücklich mit ihr werden." Pottler hob den Blick zu Canvele. "Nun?" Abermals fischte er in seiner Tasche und streckte dem Assassinen die Handfläche entgegen, auf der ein unscheinbarer Brocken Blutasche ruhte. "Ein gut gemeintes Geschenk unter Freunden", erklärte er seine Geste auffordernd und schürzte die Lippen. "Nimm es einfach mit und probiere es bei Gelegenheit. Sei nicht empfindlicher als Eriadne. Ein Zug hat noch niemanden umgebracht." Er lachte und fügte plötzlich sehr ernst hinzu: "Loswerden kannst du deinen Fluch damit zwar nicht - aber wäre es nicht grandios, ihn mal für ein paar Momente auszutricksen?"


    Er hatte es bisher aus purer Vorsicht nicht gewagt, mit einem solchen Angebot an den Assassinen heran zu treten, doch heute Nacht - das hatte er im Gespür - könnten so einige Dinge anders laufen als man es erwartet hätte.



    Autor: Ascan

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