Der Tempel Emulars

  • Erst nur als helles Schimmern in der Ferne, wuchs Nir'alenar, das Prunkstück Beleriars, rasch zu immer größerer Pracht heran. Hinter ihr funkelte das Meer im warmen Mittagslicht, doch wie immer war es nur ein schwacher Widerschein der Kraft der Sonne, die so fern und scheinbar unerreichbar weit oben jenseits des Meeres thronte.


    Ascan vermied es, den Blick nach oben zu richten. Die alles umschließenden Wände aus Wasser und Magie und die Schwere des Ozeans, die auf ihnen lastete, drückten mit unbarmherzigem Griff sein Innerstes zusammen. Sein Kopf begann zu schmerzen und sein Blut zu rauschen, kaum dass er zu lange daran dachte.
    Endlich öffnete sich ihm das ganze Panorama auf die Stadt, lenkten die unzähligen Details seinen Blick und seine Gedanken in die Tiefe. Der dunkel gekleidete Syreniae mit den schwarzen Schwingen verringerte mit dem Neigen der Flügel seine Flughöhe. Noch durfte er kein Aufsehen erregen.


    Das Palastviertel strotzte vor Leben. Im Glanze des Reichtums und des maßlosen Prunks der Villen und Paläste fühlte sich sein eigenes Vermögen, das er in Seenheim angehäuft hatte, gering und nichtig an. Die Flügel eng an seinen Rücken legend, machte sich Ascan auf den Weg zum Tempel des Emular, dabei stets am Rand der breiten Straßen gehend und dabei in möglichst direktem Wege zu den goldgeschmückten Toren des Tempels strebend.


    Sie durfte noch nicht wissen, dass er zurückgekehrt war. Zu vieles war geschehen und zu vieles könnte geschehen, wenn er die Kontrolle über seine Rückkehr nach Nir'alenar verlor. Mit diesen Gedanken erreichte er die Torflügel und spähte aus dem Schatten seiner Kapuze über die Schulter, ob jemand ihm nachblickte.

  • Sonnenlicht flutete durch die Strassen dieser wunderbaren Stadt in welcher sie sich befand. Der zweite Tag ihres Aufenthalts war gerade angebrochen und bereits jetzt versprach er wunderschön zu werden. Die Strassen durch die sie schritt waren prunkvoll und einer Nymphe ihrer Abstammung mehr als würdig. Mehr noch, es schien genau der richtige Ort für Kyleja zu sein.
    Doch die Schwarzhaarige hatte kaum Augen für all die Schönheit die sie umgab. Viel zu vertieft war sie in ihre Gedanken. Ihre rechte Hand umspielte das Amulett um ihren Hals, der Anhänger Mirandils.
    Dieser Traum, er beschäftigte sie, sehr. Was wollte ihr die Göttin damit nur sagen? Er war so kurz, so unscharf gewesen, dass die junge Schwarzhaarige kaum etwas hatte erkennen können. Und doch, es musste wichtig sein.


    Ein anerkennender Pfiff liess die geborene Beor nun schliesslich doch aus ihren Gedanken aufschrecken. Einer der Männer auf der Strasse hatte ihr hinterher gepfiffen- wie so oft. Mit einem hinreissenden Lächeln schenkte sie dem Mann, der deutlich älter zu sein schien als sie selber, ein Quäntchen ihrer Aufmerksamkeit. Doch lange durfte er sich ihrer Schönheit nicht erfreuen. Etwas ganz anderes hatte ihre Aufmerksamkeit geweckt. Etwas Schwarzes.


    Eilige Schritte liessen den zarten Stoff ihres Umhanges rascheln als sie versuchte zu der Gestalt aufzuschliessen. Es war schnell, sehr schnell. Doch an der Tür zu einem der zahlreichen Tempel hielt er inne, nun konnte man erkennen, dass es ein Mann war. Er schien sich umzusehen ob man ihm folgte.
    Rasch verbarg Kyleja ihr Gesicht hinter der Kapuze ihres Umhanges und wandte sich ab. Jedoch nur um sich kurz darauf, als sie sicher war, dass er den Tempel betreten hatte, wieder umzudrehen. Sie sah gerade noch wie die schweren Türen ins Schloss fielen.


    Ein kurzer Blick auf ihre Umgebung sagte ihr, dass sie nur ein kleines Mass an Aufmerksamkeit auf sich hatte. Nicht mehr und nicht weniger als anderswo. Männer die ihren Körper mit hungrigen Blicken musterten und Frauen die eben dies voller Abscheu taten. Man erkannte viel zu leicht was sie war.


    Eines anmutigen Schattens gleich, huschte Kyleja über die Strasse und schob sich ebenfalls durch die Tür in den Tempel. Den Tempel Emulars.
    Suchend blickte sie sich um. Da, dort lief er. Leise und andächtig ging sie ihm nach.

  • Die Schritte seiner Stiefel hallten auf dem wertvollen Marmorboden, der von den zahllosen Sohlen, die jeden Tag über ihn schliffen, noch glatter geworden war. Es war nicht still im Tempel der Händler und in welche Ecke man auch blickte, sah man Priester in seidenen, goldbraunen Gewändern, die mit Gläubigen sprachen oder mit der Säuberung der heiligen Statuen beschäftigt waren. Die größte und lebensechteste dieser Statuen residierte am anderen Ende der langgestreckten Halle. Ein goldenes Abbild Emulars auf einem Thron, umgeben von zwei massiven Dukatenbergen. So fein waren die Münzen gearbeitet, dass man dachte, man bräuchte nur die Hand ausstrecken, um eine davon aufzuheben.
    Ascan riss seinen Blick nicht ohne eine Spur Reue von dem verführerischen Glanz los.
    Eine Abteilung junger Priester kreuzte seinen Weg, bewaffnet mit Rechenschiebern und Buchbänden über Handelsrecht, Profitkunst und alles, was auch nur entfernt mit klingender Münze zu tun hatte.
    "... darum darf eine Unterschrift niemals mit roter Tinte gezeichnet werden...", dozierte der ihnen voraus schreitende Priester, musterte Ascan flüchtig und ließ sich zu einem grüßenden Nicken herab, bevor er mit seiner Lehrstunde fortfuhr. Wie eine Schar Küken folgten ihm die jungen Priester.


    Nun war es nicht mehr weit bis zu der Statue am Ende der Halle. Ascan schlug seinen Mantel zurück, um vor dem Abbild auf ein Knie zu sinken. Er suchte die Münze mit dem Konterfrei Emulars in den Stofffalten über seiner Brust, hob sie zu einem flüchtigen Kuss an die Lippen und senkte das Haupt.


    Für das, was er vorhatte, würde er Emulars Segen dringender brauchen als jemals zuvor. Er stand allein vor einer Vergangenheit aus Schatten, die er zwar zurückgedrängt, doch niemals wirklich abgestreift hatte. Ohne Beistand würde es ihm nicht gelingen, sie ein für alle Mal hinter sich zu lassen.


    So vertieft in ein Gebet, das er stumm mit den Lippen formte, verblasste rasch das Geschehen im restlichen Tempel.

  • Sie konnte das Geräusch seiner Stiefel bis hier hören, während er über den Marmorboden schritt, unmittelbar auf die grosse Statue am Ende der Halle zu.
    Ihre blauen Augen verfolgten jede seiner Bewegungen während sie ihm langsam folgte. Sie fühlte sich unwohl hier drinnen und das sah ihr bestimmt jeder an. Das hier war nicht der Tempel ihrer Göttin.
    Ein stummes Stossgebet an Minaril, dass diese ihrer nun nicht zornig werden würde. Aber was wenn dieser Syreniae tatsächlich der war, der er versprach zu sein? Dann musste sie das hier tun.
    Ihre nackten Füsse hinterliessen ein leises platschen auf dem kalten Boden, doch das störte sie nicht. Viel zu sehr war sie damit beschäftigt die schwarzen Schwingen nicht aus den Augen zu lassen.
    Erst als eine Abteilung junger Priester bewaffnet mit Rechenschiebern und Buchbänden über Handelsrecht, Profitkunst und alles, was auch nur entfernt mit klingender Münze zu tun hatte an ihr vorbei kam lenkte sie ihren Blick in eine andere Richtung.
    "... darum darf eine Unterschrift niemals mit roter Tinte gezeichnet werden...", dozierte der ihnen vorausschreitende Priester, musterte den Syreniae flüchtig und schien kurz zu nicken. Als sein Blick jedoch auf die Nymphe fiel, zogen sich seine Augenbrauen zusammen.
    Schnell liess die Schwarzhaarige das Amulett Minarils unter ihrem Kleid verschwinden. Sie war auch so schon mehr als auffällig und fremd hier drinnen, da musste man es nicht noch übertreiben.


    Kaum das die Schar an ihr vorüber war, richtete Kyleja ihre Aufmerksamkeit wieder auf das Objekt ihres Interesses. Sie blieb kurz hinter ihm stehen und beobachtete wie er auf ein Knie sank und eine kleine Münze zu seinen Lippen führte.
    Dann schien er sich in ein Gebet zu vertiefen. – Das würde ihr Auftritt sein.


    Entschlossen trat sie neben ihn, schlug mit einem Rascheln den seidigen Stoff ihres Umhanges zurück, raffte ihr Kleid und liess sich anmutig wie keine zweite Frau in diesem Gebäude es vermochte neben dem Fremden auf den Marmorboden sinken. Auf einem Knie ruhend, einen Arm locker darüber gelegt blickte sie auf den Syreniae. Unter ihren langen Haaren hervor musterte sie den Mann aus tiefen, unergründlichen Augen heraus. War das hier tatsächlich schon das wonach Minaril sie geschickt hatte? Ein Mann der zu Emular betete? Kyleja war sich sicher, dass sie es herausfinden würde.


    „Geld, Handel, Reichtum und Geschäfte, was bedeutet Euch das alles wenn ihr so konzentriert zu Emular betet? Ist es nicht töricht zu glauben die Welt bestehe nur aus materiellen Werten?“ Sie sprach leise und gedämpft, dennoch nahm sie im Augenwinkel wahr wie sich die ersten männlichen Personen nach ihrer wundervollen Stimme umdrehten. Manchmal war sie es leid, ein solches Mass an Aufmerksamkeit angedacht zu bekommen. Doch für heute wollte sie es gut sein lassen, es gab wichtigeres.
    Abwartend glitten ihre Augen über den Körper des Syreniae.

  • Nur einen Atemzug, bevor eine Stimme das Wort an ihn richtete, schien sich ein feiner Duft um ihn auszubreiten. Seine Gedanken verloren unvermittelt den Faden. Der Syreniae ärgerte sich still, Emular mit nur einem halben Gebet auf sich aufmerksam zu machen.


    Entsprechend kalt war sein Blick, der sich nach den naseweisen Fragen öffnete. "Es ist töricht, zu glauben, sie bestände aus etwas anderem!" grollte der Syreniae tief genug, dass die Wut in seinen Worten zu brodeln schien. "Wer stellt so...?" Er warf einen Seitenblick zu der Ursache der dreisten Unterbrechung und sah sich unvermittelt zwei großen, tiefblau schimmernden Augen gegenüber. Eingerahmt von einem makellos weißen Gesicht und tiefschwarzem Haar bannten sie seinen Blick einen Moment zu lange, um den Satz noch ohne spürbare Unterbrechung zuende bringen zu können.
    Auch seine Stimme wollte sich nicht recht an ihre vorige Kraft erinnern. "... dumme Fragen..."


    Etwas flüsterte hinter seiner Stirn, doch was auch immer es war, kämpfte vergeblich gegen die massive Wand aus Verblüffung, mit der er der Schönheit neben sich gänzlich gewahr wurde.

  • Sie konnte seine Reaktion auf ihren Duft, der ihn leicht und zärtlich umwehte, genau beobachten. Beinahe konnte sie körperlich spüren wie er von seinen Gedanken und Gebeten abgebracht wurde und seine ganze Aufmerksamkeit sich auf sie richtete, selbst wenn er noch nicht gänzlich bereit war ihr diese vollends zu schenken.
    Dieser Duft, sie wusste keiner konnte ihm widerstehen. Dieser leicht süssliche, orangene Zitrusduft, er war betörend und das wusste Kyleja besser als jeder andere. Und auch wenn es ihr bestimmt in vielen Situationen zuträglich war, dass Männer so stark auf ihren Duft reagierten, so war es ihr ein Stück weit auch lästig. Doch sie konnte ihre Neugier einfach nicht verbergen, also musste der Syreniae damit klar kommen.
    Und genau auf diesen richtete die Nymphe nun wieder all ihre Aufmerksamkeit, denn er wandte ihr nun leicht den Kopf zu und sah sie aus grauen Augen an. Für einen kurzen Moment erschrak die Schwarzhaarige ob der Kälte die aus seinen Augen sprach, doch ihre Neugier und der Wunsch Minaril zu folgen obsiegten binnen weniger Sekunden.


    "Es ist töricht, zu glauben, sie bestände aus etwas anderem!" Seine Stimme war tief und grollend als er endlich sein Wort an sie richtete.
    "Wer stellt so...?"Sein Blick fand ihre Augen und sie konnte sehen wie er sich darin verlor, so wie jeder andere vor ihm es ebenfalls getan hatte. Kyleja beobachtete wie sein Blick immer weiter in die tiefen ihrer Augen abglitt bevor er sich urplötzlich wieder etwas fokussierte. Er musterte ihr Gesicht während er sich offensichtlich darum bemühte seine Sprache wieder zu finden.
    "... dumme Fragen..."Seine Stimme hatte einiges an Kraft und Groll verloren, als er endlich seinen Satz vollendete.
    Jetzt da er sie etwas gemustert hatte, wusste die Nymphe, dass sie sich seiner Aufmerksamkeit sicher sein konnte. Sein Blick verriet es ihr.
    Und obwohl es gegen ihr Wesen verstiess und ihr eigentlich nicht in die Situation zu passen schien, konnte sie nicht verhindern, dass sich ihr rechter Mundwinkel zu einer Andeutung jenes verführerischen Lächelns hob, mit welchem sie den Männern den Kopf zu verdrehen wusste.
    Doch das hier war kein Mann welchen sie zu verführen suchte. Schnell konzentrierte sich die Schwarzhaarige wieder auf die angefangene Konversation. Doch das angedeutete Lächeln blieb.


    „Spielt es wirklich eine Rolle für Euch, wer diese Fragen stellt?“ Eine feine, schwarze Augenbraue hob sich und der Blick aus ihren dunkelblauen Iren wurde eine Spur intensiver.
    „Habt Ihr denn keine Träume die Ihr zu erfüllen wünscht? Ziele bei denen Euch weder Geld noch Handelsgeschick helfen können?“, fragte sie ruhig und mit immer noch leicht gedämpfter Stimme weiter.
    Abwartend liess sich die junge Nymphe auf ihr angewinkeltes Bein zurück sinken. Sie hatte gar nicht bemerkt, dass sie ihrem Gegenüber etwas näher gekommen war während sie sprach.
    Noch immer mehr als nur gespannt vor Neugier, taxierte sie den Mann mit den schwarzen Schwingen.

  • Wie ein Aufwind, der alles mit sich nach oben riss, was nicht rechtzeitig abgedreht hatte, rauschten die klaren Gedanken einfach an ihm vorbei. Er konnte den Blick nicht abwenden und etwas Unwirkliches sickerte in den Moment, als die Lippen der Dunkelhaarigen beim Sprechen allmählich näher kamen. Es war wie ein solcher zeitloser Augenblick, in dem die Kraft seines letzten Flügelschlags gänzlich verebbte und sein Flug zum Fall wurde. Doch seine Schwingen bewegten sich nicht. Stattdessen prickelte ein einzelner Gedankenfetzen vehement in seinem Hinterkopf, kratzte hartnäckig an seinem Verstand - ein Wort nur, dass zu wichtig war, um sich dem Vergessen zu ergeben... Es war...



    Nymphe.


    Mit Wucht riss ihn die Erkenntnis aus dem freien Fall. Seine Pupillen, erst noch offen von der Wirkung ihres Erscheinens, zogen sich blitzartig zusammen und ließen damit das Grau seiner Augen förmlich zu Eis erstarren. Die Umgebung kehrte klar in sein Blickfeld zurück. Die Frau an seiner Seite, dichter als er es unter normalen Umständen geduldet hätte, war eine Nymphe. Nichts anderes. Und er wäre fast wie ein junger Narr ihrer Magie erlegen.


    Ascans Kiefermuskeln zeichneten sich ab, als er die Zähne fest zusammen biss. Hinter seiner Stirn arbeitete es angestrengt, geradezu verbissen, um den kurzen Verlust seines klaren Verstandes so rasch es ging wett zu machen. Ihre Worte krochen nur mühsam und verschwommen aus seiner Erinnerung hervor.


    "Manchmal ist es das Wichtigste, zu wissen, wer fragt", entgegnete er abweisend und erhob sich dabei bereits, um Abstand zu dem Gesicht zu bekommen, von dem er nicht mehr sicher war, ob es ihm gefiel oder nicht. "Was interessieren Euch meine Träume?" wollte er kühl wissen und blickte auf die dunkelhaarige Nymphe herab. "Wer schickt euch? Oder treibt Ihr dieses Spiel öfter?"
    Sie wirkte alles andere als heimtückisch wie sie da kniete, doch Ascan verschloss seinen Blick davor. Der Stolz des Syreniae war verletzt. Er war es, der andere mit seiner Magie gefügig machte - nicht umgekehrt!

  • Die Schwarzhaarige betrachtete ihr Gegenüber und genoss wie er ihr langsam verfiel. Geduldig erwartete sie eine Antwort, zweifellos würde sie eine bekommen.


    Doch dann tat sich etwas Entscheidendes in seinen Augen. Seine Pupillen, erst noch offen von der Wirkung des Erscheinens der jungen Nymphe, zogen sich blitzartig zusammen und ließen damit das Grau seiner Augen förmlich zu Eis erstarren. Kyleja konnte hören wie sein Gehirn arbeitete um den Kontrollverlust durch ihre angeborene Magie auszugleichen. Und dann änderte sich seine Haltung.
    Das leichte Lächeln wich aus Kylejas Gesicht und purer Unglauben trat an dessen Stelle.


    Er wiederstand ihr!


    Das war unmöglich. Kaum ein Mann konnte ihr aus eigenem Willen widerstehen. Und schon gar nicht so wie dieser Syreniae es hier gerade tat. Der frische orangen Geruch wich beissendem Pfeffer als die Wut in der sonst so ruhigen Nymphe begann aufzukochen.


    "Manchmal ist es das Wichtigste, zu wissen, wer fragt", entgegnete ihr der Schwarzschwingige nun abweisend und erhob sich dabei bereits, wohl um Abstand zu ihr zu gewinnen.
    "Was interessieren Euch meine Träume?" wollte er kühl wissen und blickte auf die dunkelhaarige Nymphe herab. "Wer schickt euch? Oder treibt Ihr dieses Spiel öfter?"
    Seine Fragen trafen ihr Ziel. Jedes einzelne Wort schürte nur noch mehr die aufkeimende Wut im Inneren der jungen Frau.
    Nur mühsam gelang es ihr, sich soweit unter Kontrolle zu halten und ihm keine Szene zu machen. Denn auch wenn ER ihr anscheinend entweichen konnte, so konnten es die anderen Männer hier im Tempel gewiss nicht.


    Nun war sich Kyleja mehr denn je sicher, dass Mirandil ihr diesen Mann nicht ohne Grund vor die Füsse hatte laufen lassen. Es war ein Test den sie zu bestehen hatte.
    Betont langsam und anmutig tat Kyleja es dem Mann mit den kalten grauen Augen nach und erhob sich. Er überragte sie um gut einen Kopf, doch das war der Nymphe herzlich egal.
    Mit den nun geweckten Genen ihrer adligen Abstammung blinzelte sie den Mann vor sich unter ihren langen, dichten Wimpern hervor an.


    „Das Wissen um das eigene Gegenüber ist eine grosse Macht“, philosophierte die Schwarzhaarige und setzte sich langsam in Bewegung. Anmutige, beinahe tanzende Schritte führten sie im Kreis um den Syreniae herum wobei sie ihn nicht aus den Augen liess. Es musste ihr nur gelingen ihn erneut mit ihren Augen zu fesseln.
    „Eine Macht derer sich nicht jeder würdig erweist. Seid ihr würdig die Macht des Wissens um mich zu erhalten?“ Sie hatte ihn nun einmal umrundet, dabei war sie ihm wieder einen Schritt näher gerückt.
    Mit einer langsamen Bewegung, den Augenkontakt zu ihm nicht abbrechend, griff sie in den Ausschnitt ihres Kleides und zog das Amulett Mirandils hervor, das violette Auge an der silbernen Kette.
    „Träume sind etwas Wunderbares findet Ihr nicht? Sie geben uns neue Hoffnung wenn wir sie einmal verloren zu haben glauben“, Ihre Stimme blieb ruhig, doch der Klang glich allmählich einem leichten Sing-Sang. Der Duft von Pfeffer wich allmählich und vermischte sich mit dem wiederkommenden süssen Duft von Orangen. Denn noch immer wahr sie neugierig, jetzt da er ihrer Magie widerstehen konnte mehr noch als vorher.
    „Ihr glaubt jemand könnte mich zu Euch geschickt haben? Wer ausser des Schicksals, das Mirandil für mich ersonnen hat soll das gewesen sein?“ reine Rhetorik sprach aus ihren Worten. Und doch wollte sie so vieles wissen über diesen Mann. Und er würde ihr nicht wegkommen bevor er nicht mindestens die Hälfte davon beantwortet hatte.
    „Ein Spiel? Oh gewiss liebe ich es zu spielen – ich bin eine Nymphe wie Ihr so richtig erkannt habt. Doch mit Euch pflege ich nicht zu spielen, sorgt euch nicht deswegen“, Sie legte viel in diesen letzten Satz. Es sollte ein Versprechen sein. An ihn und an sie selber. Denn nur so konnte sie sich selbst einen kleinen Bann auferlegen.


    Nun, da sie ihren kleinen Vortrag beendet hatte, reckte sie das Kinn ein wenig höher und fixierte seine stahlgrauen Augen mit ihren. Die freie Hand spielte mit ihren langen Haaren. Sowohl um sich selber zu beruhigen, als auch um ihn dazu zu bringen ihren Körper zu betrachten.
    Abwartend verharrte sie in dieser Position.

  • Ihre Miene entgleiste nicht lange, doch der blanke Unglaube darin bestärkte Ascan in dem Verdacht, dass es ein bewusster Verführungsversuch gewesen war. Eine feine Note in der Luft veränderte sich und hätte er nicht stets einen seiner Sinne auf die Launen seines Elements gerichtet, wäre es ihm vermutlich entgangen. Nymphendüfte. Er erinnerte sich daran. Mochte sie nur annehmen, er würde es nicht bemerken.
    Mit der Anmut einer Katze erhob sie sich ebenfalls. Ihre erste Antwort verriet ihren Unmut, so reserviert klangen die Silben aus ihrem Mund, doch schon während sie mit federleichten Schritten um ihn herum zu tänzeln begann, wurde ihr Tonfall erneut samtener.
    Seine Muskeln spannten sich alarmiert als könnten sie dadurch bewirken, dass er seine Sinne besser im Griff behielt. Hatte er mit seiner Frage ins Schwarze getroffen? Spielten sie hier ein Spiel? Wenn ja, wer wäre der Sieger und was wäre der Preis?


    Er verfolgte ihre Bewegungen, ihren Blick, halb bewusst halb unbewusst. Dass sie der Göttin Minaril angehörte, machte ihn stutzig. Ihre geringe Meinung von materiellen Gütern schloss aus, dass sie sich aus rein praktischen Gründen im Tempel aufhielt - wie so manche, die hier ein Notariat beglaubigen oder einen Handel absichern ließen. Wenn sie ihm jedoch aus purer Neugier in den Tempel gefolgt war, hatte er bereits mehr Aufsehen erregt, als ihm lieb war.


    "Weil Ihr nicht mit mir spielen könnt", stellte er klar, doch es war schwer zu leugnen, dass sie wusste, wie sie ihre Reize zur Geltung bringen musste. Die Art, mit der sie seinen Blick suchte, das Spielen ihrer Finger im schwarzen Haar. Sie war mindestens so attraktiv wie viele Frauen, mit denen er sich bereits für eine unbedeutende Nacht vergnügt hatte - vielleicht wäre sie sogar eine zweite Nacht wert...


    Ascan verbannte den Gedanken und ermahnte sich, sein Ziel nicht aus den Augen zu verlieren. Er war nicht deswegen zurückgekommen. Und sich von einer Nymphe verwirren zu lassen, war das letzte, was er gebrauchen konnte, wenn es darum ging, seiner Nemesis die Stirn zu bieten.



    Ihre Anmerkung zu den Träumen hing noch immer in der Luft. Es brachte eine Saite in ihm zum Schwingen. Sowohl seine Träume als auch seine Alpträume rissen zurzeit so stark wie nie an ihm. Die Schatten spürten, dass er ihnen den Garaus machen wollte und durchtränkten seine Nächte schon seit Wochen mit alten und neuen Schreckensbildern. Fast gegen seinen Willen gab er ihr Antwort. "Ihr müsst ein behütetes Leben geführt haben, wenn das alles ist, was Euch Eure Träume geben. Hoffnung." Das Wort klang fast wie eine Verwünschung von seinen Lippen. "Was das Wissen und die Macht angeht, da habt Ihr allerdings Recht."


    Er streckte langsam die Hand, um seine Fingerspitzen nah genug unter ihr vorgerecktes Kinn zu heben, dass sie die Wärme seiner Haut nahezu spüren konnte. "Aber in meinem Fall ist Wissen gefährlicher als Ihr ahnt. Deswegen mein Rat an Euch: Sucht Euch lieber einen guten, leichtgläubigen Mann, der Euch dankend sein Herz zu Füßen legt - denn bei mir findet Ihr keine wahre Liebe."

  • Noch immer abwartend beobachtete Kyleja sehr genau die Reaktionen des Syreniae. Sie konnte hören wie seine Atmung sich veränderte als er ihres Geruchs erneut gewahr wurde. Fasziniert betrachtete sie das Spiel seiner Muskeln, welche sich unter seiner dunklen Kleidung nur schwer abzeichneten. – Er kämpfte mit sich. Aber war das ein gutes Zeichen?
    Seine Augen verfolgten sie in jeder Bewegung die sie tat. Die Nymphe konnte sehen und spüren, dass ein kleiner Teil von ihm ihr noch immer nicht vollständig widerstehen konnte. Er betrachtete das Amulett und Kyleja könnte schwören, dass etwas Verwirrtes für eine Sekunde in seinen Blick aufgeblitzt hatte. Fragte er sich weshalb sie hier war? Bestimmt. Doch dann machte sich Unmut in seinem Blick breit.


    „Weil ihr nicht mit mir spielen könnt“, Seine Worte sollten seine Überlegenheit ausdrücken, das spürte sie. Doch seine Blicke verrieten ihn erneut. Wie er ihren Körper mit seinen grauen Augen musterte. Die Art mit der er auf sie reagierte und mit ihr sprach. Er war gewillt sich ihr zu widersetzen, aber wie lange würde er gegen sie ankommen? Es war ihre Natur jeden Mann zu bekommen den sie wollte. Doch wollte sie ihn wirklich auf diese Art für sich gewinnen? Ging es nicht auch anders? Warum sonst hatte Minaril ihr diesen Traum und diesen Mann gesendet.
    Kylejas Ärger über diesen Mann wuchs gleichzeitig mit ihrer Neugier im Sekundentakt. Schon wieder hatte er sich ihrer entzogen. Doch was war es, das ihm diese Kraft gab ihr immer wieder zu entschwinden?


    Doch dann endlich erhob er seine Stimme wieder. Und nun, da der Groll von vorher beinahe vollkommen verklungen war, musste die junge Nymphe zugeben, dass seine Stimme durchaus angenehm war. Männlich, ein wenig grollend noch immer, aber sie gefiel ihr – eine Tatsache die sie nicht über jeden Mann behaupten konnte mit dem sie sprach.
    „Ihr müsst ein behütetes Leben geführt haben, wenn das alles ist, was Euch Eure Träume geben. Hoffnung.“ Alleine die Art wie er das Wort Hoffnung aussprach, liessen die Schwarzhaarige aufhorchen. Irgendetwas war da, das ihn Beschäftigte. Und es musste etwas mit ihren Worten zu tun haben, denn er wirkte nicht als hätte er bereits sonderlich lange über die Träume und Wünsche nachgedacht.
    „Was das Wissen und die Macht angeht, da habt Ihr allerdings Recht“, stimmte er ihr zu. Doch dieses kleine Zugeständnis wollte kein Gefühl der inneren Befriedigung aufkommen lassen.


    Argwöhnisch betrachtete sie seine Hand als diese sich ihren Gesicht näherte. Kurz unter ihrem Kinn hielt er inne. Die Wärme seiner Finger prickelte auf ihrer Haut und liess all diese ach so dummen, nymphischen Gelüste in ihrem Inneren aufkochen. Sein ganzer Körper war ihr so nah wie noch nie in den vergangenen Minuten. Und es wäre ein leichtes gewesen, sich ihm vollends zu nähern.
    Aber das durfte sie nicht, diese Art von Kontakt zu diesen Syreniae stand nicht in Minarils Sinn, das spürte die junge Nymphe.
    Ihre Augen wanderten über sein Gesicht, welches sie nun zum ersten Mal deutlich sehen konnte. Er hatte markante Gesichtszüge, männlich und äusserst stolz anzusehen. Kein Makel zierte sein Antlitz, bis auf eine gut verheilte Narbe. Er hatte bestimmt ebenso wenig Probleme eine Frau für sein Vergnügen zu finden, wie Kyleja wenn es darum ging einen Mann zu bekommen.
    „Aber in meinem Fall ist Wissen gefährlicher als Ihr ahnt. Deswegen mein Rat an Euch: Sucht Euch lieber einen guten, leichtgläubigen Mann, der Euch dankend sein Herz zu Füssen legt – denn bei mir findet Ihr keine wahre Liebe.“
    Seine Worte verwirrten die junge Nymphe für einen kurzen Moment. Wahre Liebe? Daran hatte sie nicht im Geringsten gedacht seit sie ihn entdeckt hatte. Doch nun wurde ihr sein Verhalten zumindest zum Teil klarer, er dachte sie wollte ihn als Rettung aus diesem elenden Fluch.


    Kyleja atmete tief durch und versuchte jegliches Gefühl, das einen zu betörenden Duft erzeugen konnte zu unterdrücken. Langsam hob sie ihre Hand und legte sie auf das Handgelenk seines Armes, der noch immer zu ihrem Kinn erhoben war. Während sie nun das Wort an ihn richtete, wanderten ihre Finger langsam über seinen Arm.


    „Sagt mir, was bedeutet es ein behütetes Leben zu führen?“ Fragend legte sie den Kopf schief, hörte jedoch nicht auf seinen Arm zu streicheln. Er selber hatte den Fehler begangen den Körperkontakt zu provozieren, nun würde er spüren müssen, dass es noch schwerer war den Berührungen einer Nymphe zu entkommen, als ihrem Duft zu widerstehen.


    „Meine Träume geben mir sowohl Wissen, als auch Macht und allein daraus gründet sich meine Hoffnung. Sagt, ist es falsch begründete Hoffnungen zu haben?“ Für eine Sekunde schloss sie ihre unergründlichen Augen, nur um sie in neuer Intensität wieder zu öffnen.


    „Und was die wahre Liebe angeht, seid unbesorgt, diese Unterhaltung gründet lediglich auf meiner Neugier nachdem ich euch draussen gewahr wurde“, beruhigend neigte sie den Kopf und betrachtete ihn lange und nachdenklich. Langsam aber stetig wanderten ihre Finger weiter über seinen Arm. Dann umfasste sie urplötzlich sein Kinn und legte ihren Daumen über seine Lippen


    „Aber bedenke, dass ich mit jedem spielen kann wenn ich es nur will“, Bewusst unterliess sie die höfliche Anrede während sie nun mit leicht drohendem Unterton sprach.
    „Wenn mir der Sinn danach stünde mit dir Syreniae diese Nacht zu verbringen, dann würde ich jetzt nicht hier stehen und diese kleinen Spielchen spielen und dir Rede und Antwort stehen, während ich selber kaum nützliches aus deinem Mund höre“ Sie machte eine kurze Kunstpause und atmete tief durch, bevor sie etwas sittlicher fort fuhr. Viel zu leicht gelang es diesem Mann ihre Beherrschung auf die Probe zu stellen.


    „Mirandil prophezeite mir eine schicksalshafte Begegnung und wie immer behielt sie Recht.“ Eine erneute Pause folgte. Kyleja überlegte hin und her ob sie ihm dieses Wissen wirklich geben konnte, doch er schien gegen alles andere unempfänglich zu sein.
    „Selbst wenn Ihr sagt das Wissen sei gefährlich so will ich es euch dennoch gewähren meine Namen zu erfahren, denn auch in meinem Fall könnte Euch das Wissen sowohl zugutekommen, als auch das Genick brechen“, Ihre Daumen fuhr leicht über seine Lippen bevor sie ihre Hand zurück zog und sich einen kleinen Schritt von ihm entfernte.


    Mit einem undeutbaren Blick zu ihm richtete sie Kleid und Umhang, nicht ohne ihm einen kleinen Blick auf die silbernen Dolche zu gewähren an deren Ende bläuliches Gift schimmerte.
    „Sagt, wollt Ihr meinen Namen erfahren und vielleicht Hilfe erhalten, bei was auch immer ihr gedachtet Emulars Beistand zu erbitten?“, Fragend blickte sie zu dem grossen Syreniae mit den eindrucksvollen Schwingen auf. Hoffentlich lag sie richtig und er hatte tatsächlich ein wichtiges Gebet um Beistand geführt bevor sie ihn unterbrochen hatte.

  • Zu spät wurde Ascan klar, dass er gleich zwei Fehler begangen hatte. Nicht nur hatte er seinen Blick beim Sprechen in ihre Augen gesenkt, sondern ihr mit seiner Geste förmlich eine Einladung geschenkt, sich ihm weiter zu nähern.
    Mit einer Zartheit wie sonst nur die Winde über seine Haut strichen, glitten ihre Finger seinen Arm hinauf. Ein Beiklang dieser zarten Berührung hallte betäubend in seinen Schläfen. Er wollte den Kopf schütteln, um die klebrigsüße Magie aus seinem Kopf zu vertreiben, doch sie sickerte erschreckend rasch in seine Muskeln und Gelenke.
    Zu schnell, als habe er sich zuvor nicht völlig von ihrem verführerischen Fluch lösen können, kehrte die Benommenheit zurück.


    Die Nymphe sprach von Träumen, Liebe und Neugier und als würde sie dabei ein unsichtbares Netz weben, zeichneten ihre Berührungen ein kompliziertes Muster seinen Arm entlang. Er wusste und merkte es, doch was half es gegen den Abwind, seine Natur zu kennen, wenn man bereits hinab gedrückt wurde. Die Beherrschung, mit der er seine Sinne vor dem Absturz bewahrte, ließ seine Schwingen erbeben. Sie war nicht wie die Nymphen, die er bisher kennen gelernt hatte.
    Er war sich nicht einmal mehr sicher, ob er diesen Tanz um seinen klaren Verstand auf längere Sicht gewinnen konnte. Waren sie nicht eben noch von schillerndem Gold und Juwelen umgeben gewesen? Wieso waren es dann diese blauen Augen, die heller strahlten als alle Schätze Emulars?


    Dass sie plötzlich nach seinem Kinn fasste, ließ den Wirbel stocken, in den er bereits wieder geraten war. Gesunder Widerwille regte sich in dem Syreniae, der sich eine solche Behandlung von niemandem gefallen ließ. Dass sie es wagte!
    Die Worte auf seiner Zunge wollten sich nicht lösen, als reiche der sanfte Druck ihres Daumens bereits, seine Lippen zu versiegeln, doch seine Augen sprachen Bände. Ihr Wechsel in der Anrede entfachte seine Entrüstung nur noch weiter. Was sie hier trieb, hätte sich nicht einmal Sel bei ihm getraut!


    Noch als sich ihre Finger lösten, riss er den Kopf zur Seite und etwas wie Mordlust blitzte in seinen Augen auf. Dass sie von selbst zurückwich, war ihr Glück. Sie wollte Antworten? Hitzig loderten seine Gedanken mit gewohnter Schärfe in seinem Verstand. Oh, nun würde er ihr antworten - ob es ihr gefiel oder nicht!


    "Eure Göttin hätte Euch lieber warnen sollen, einen Bogen um mich zu machen", hallte die Stimme des Syreniae dunkel durch das Treiben des Tempels. Seine Stimme nutzte die unerhofft zurück erlangte Freiheit, um die Nymphe nun mit seiner ureigenen Kraft zu konfrontieren. Sie hätte ihn bannen sollen, solange sie noch die Gelegenheit dazu besessen hatte - denn er würde dieses respektlose Spiel mit seinem Kopf nun endgültig und gründlich herumreißen.


    Erdrückende Furcht und Demut erweckend, erhoben sich die Worte des Weißhaarigen, in dessen Augen es mit Mal zu stürmen schien. "Ihr wollt meine Antworten hören? Besser Ihr merkt sie Euch, Minarilstochter! Die Bedeutung eines behüteten Lebens? Sie ist ein erbärmlicher Luxus, den nur die Dummen und Sorglosen kennen! Nur sie können glauben, dass Hoffnung und Vertrauen genügen, um in diesem grausamen Leben Glück zu erlangen!" Seine Schwingen fächerten weit genug auseinander, um eine Wand aus Schwärze hinter ihm zu errichten. "Eure Göttin mag ihre Träume und Schrecken verteilen, aber am Ende sind es klingende Münze und barer Stahl, die Euer und mein Schicksal bestimmen! Liebe und Hoffnung sind nichts als Illusionen, geschaffen um Euch gehorsam dem Licht am anderen Ende des Sturms nachjagen zu lassen. Und Eure Hilfe soll ich brauchen können?" Bitterer Spott stach aus seiner Stimme. Seine magischen Worte waren darauf aus, sie zu treffen und ihr den Hochmut zu rauben, mit dem sie ihn gedemütigt hatte als sie ihn - Ihn, Ascan Bran Boréas - mit all den einfältigen Männer gleichsetzte, mit denen sie sonst ihr Spiel trieb.


    "Ich habe Emular gedankt", log er inbrünstig und ohne einen Hauch von Zurückhaltung. "Gedankt für das Glück, die Wahrheit zu kennen. Über die List des Schicksals und die Schatten, die diese Welt beherrschen."


    Die vergifteten Dolche an ihrer Seite waren seinem stechenden Blick ganz und gar nicht entgangen. Das Grollen, das seine letzten Sätze begleitete, musste der Nymphe wie ein Befehl ihrer Göttin selbst in die Knochen fahren. "Und ihr scheint diesen Schatten ebenfalls zu dienen, Nymphe. Nun nennt mir Euren Namen! Aber verschont mich mit Eurem Geplapper über Hoffnung. Dieses nichtswürdige Spiel endet hier."

  • Kyleja betrachtete das Profil des Syreniae, dessen Gesicht er von ihr abgewandt hatte, kaum dass ihre Finger seine Haut verliessen. Sie dachte darüber nach, was sie gesagt und getan hatte seit sie diesen Tempel betreten hatte. Erneut betete sie stumm zu Minaril, dass dies hier diese Art der Kommunikation wert war.
    Die Nymphe schrak zusammen, als sich die Stimme des Gefiederten voll von Groll und verletzten Stolz über die Geräusche des Tempels erhob.


    Die Schwarzhaarige spürte, wie sich etwas in ihr zu ändern begann. Diese Stimme. Er sprach mit seiner, ihm gegebenen Kraft. Bittere Enttäuschung breitete sich in der jungen Frau aus. Hatte sie ihm nicht aus Höflichkeit genau dies erspart, was er nun mit ihr zu tun gedachte? War sie nicht bereit gewesen jegliche Arten der magischen Beeinflussung zu unterlassen um ihn nicht auf diese Weise zu gewinnen?


    Kyleja spürte die Furcht und Demut wie sie von ihrem Körper und ihrem Geist Besitz ergriffen. Ihre Augen weiteten sich während sie den Mann mit den Schwingen nur stumm anstarren und seinen Zorn gefüllten Worten lauschen konnte. Beinahe glaubte sie daran, dass diese Furcht, beinahe Angst die sie nun plötzlich empfand und die jegliche anderen Gefühle verdrängte, ihre eigene war. Doch da war ein entscheidendes Detail, das die junge Nymphe davor bewahrte demütig vor diesem Syreniae auf die Knie zu sinken und ihm die Antwort zu geben die er wollte, in der Hoffnung er möge ihr dann wohlgesonnener begegnen.
    Denn was er nicht konnte, war ihre Düfte zu kontrollieren. Und als sie nun tief einatmete umwehte sie ihr eigener, süsslicher Duft und befreite ihre Sinne von seiner magischen Folter.
    Wie konnte er es wagen ihr das anzutun, was sie ihm bemüht war zu ersparen?! Wut und bitterböse Gedanken verdrängten jegliches positive Gefühl und jegliche Angst die er gesät hatte unverzüglich aus ihrem Geist.


    Und wie er es wagte sie anzulügen. Niemand der Gefühle beeinflussen oder kontrollieren konnte, wäre auf diese Worte hereingefallen. Und dennoch war er dreist genug ihr dabei ins Gesicht zu sehen. Der plötzliche Drang nach Vergeltung schoss durch die Adern der noch jungen Nymphe und vergiftete ihren Wunsch nach Selbstbeherrschung. Die Forderung nach ihrem Namen nachdem er ihr ein Leben in den Schatten unterstellt hatte, war nun nur noch die Spitze des Berges.


    Ja er hatte Recht, sein Spiel würde hier enden. Doch Kylejas Spiel würde in diesem Moment gerade erst beginnen. Für eine Sekunde senkte sie den Kopf und betrachtete scheinbar den marmornen Boden unter ihren nackten Füssen.
    Doch schon bald begannen ihre Schultern zu beben und als sie den Blick erneut hob, glitzerten Tränen in ihren tiefen, blauen Augen. Kleine, schimmernde Tropfen, perlengleich, liefen über ihre Wangen und tropften zu Boden. Nur eine Nymphe konnte weinend noch so betörend aussehen.
    Nun würde der Syreniae lernen was es hiess einer Nymphe zu erliegen.
    Ihre Augen hefteten sich auf seine grauen Iren, drangen in diese ein und fesselten sie an den Anblick der Schwarzhaarigen. Mit einer unglaublichen Intensität flutete ein vollkommen neuer Duft, der Duft nach Zimt, den Tempel – so, dass sich beinahe jeder anwesende Mann zu Kyleja umwandte.
    Ihre Stimme klang fein und zerbrechlich als sie diese erhob.
    „W-wie könnt Ihr so mit einer Frau reden? Habe ich Euch denn nicht so behandelt wie eine anständige Dame einen ehrbaren Mann wie Euch zu behandeln hat? Sagt, was habe ich Euch Böses getan, dass Ihr so voller Groll gegen mich seid.“ Weinerlich presste sie die vollen Lippen aufeinander. Immer dichter wurde der Geruch der jedermanns Sinne zu betören wusste. Und Kyleja genoss es innerlich diesen Schachzug zu tun. Der Gefiederte würde schon noch sein wahres Ich zeigen, da war sie sich sicher.


    Ihre Stimme wurde zart wie geschmolzene Schokolade und ihre Tränen versiegten allmählich während sie weiter sprach.
    „Gewiss ist es töricht zu glauben Hoffnung allein sei ausreichend um ein glückliches Leben zu führen. Doch Ihr müsst mich missverstanden haben. Lediglich wollte ich fragen, ob ihr denn keine Träume habt die sich ohne materielle Werte erfüllen liessen.“ Zähfliessend und angenehm wie warmer Honig floss die Melodie ihrer Stimme jedem in Hörweite um die Ohren und sorgte dafür, dass jegliche Gedanken sich nur auf sie fixierten.
    „So wie Ihr über Schrecken redet, scheinen Eure Träume Euch sehr zu quälen. Jemand wie ich, die einen guten Draht zu Göttin Minaril hat, könnte euch helfen dieser Qual zu entkommen. Im Gegenzug könnte ich von euch etwas über das Glück des materiellen Wertes lernen. Nennt es… eine Zweckgemeinschaft“ Schmeichelnd und verführerisch war kein Ausdruck für den Klang ihrer Stimme. Kyleja fokussierte sich vollkommen auf ihr Gegenüber, die anderen Anwesenden blendete sie vollkommen aus. Sie wollte sehen wie dieser Syreniae unter ihrer Magie einbrach und in ihren Augen versank, wie er sich willenlos dazu bereit erklärte ihr alles zu Füssen zu legen was sie verlangte – und seien es nur simple Antworten auf ihre Fragen.
    „Mein Name, er soll Euer grösstes Geheimnis und gleichzeitig Euer grösster Schatz sein, auf dass Ihr ihn niemals mehr vergesst“, ihre Stimme war ein Wunsch und gleichzeitig ein Fluch der sich über diesen Syreniae legen sollte. Niemals sollte er ihr Gesicht und ihren Namen vergessen können. Mit Minarils Hilfe würde ihr Gesicht in seinen Träumen erscheinen und ihn in stillen Momenten heimsuchen.
    „Ich nenne ihn nur ein einziges Mal, danach will ich Euren Namen erfahren.“ Ein letztes Mal holte die Nymphe tief Luft bevor sie ihren eigenen Namen aussprach. Ihre Stimme liebkoste die Silben ihres Namens fast so, als würde sie einen Mann streicheln und jeder einzelne Buchstabe brannte sich tief und leidenschaftlich in das Gedächtnis jedes Mannes in ihrer Nähe ein.
    „Mein Name lautet: Kyleja Beor“.

  • Die von Furcht erfüllte Ergebenheit, die ihre Gesichtszüge zu beherrschen begann, erfüllte ihn mit mehr als milder Genugtuung. Ascan konnte seinem eigenen Herzschlag lauschen, solche Stille lag nach seinen Worten in der Luft. Es war ein starker, erleichterter Takt und der Syreniae sandte ein spontanes Stoßgebet an Emular, dass er bald um einen Namen reicher - statt seines Verstands ärmer - den Tempel würde verlassen können.


    Ihre bebenden Schultern und die feuchten Augen rührten ihn nicht an. Dass Ehrfurcht Tränen löste, erlebte er nicht zum ersten Mal. Die verletzt klingenden Worte aus ihrem Mund jedoch ließen ihn scharf die Luft einziehen. Was bei allen Göttern...?
    Durchdringendes Zimtaroma prickelte ihm nach dem abrupten Atemzug in Nase und Rachen, doch nicht deswegen schnellte Ascans Hand fassungslos zu seinem Hals. Was war passiert? Wie konnte sie ihn ansehen - so mit ihm sprechen?


    Er spürte noch während sie weiter sprach, dass etwas ganz und gar nicht stimmte. Etwas an ihr veränderte sich. Mit einem Schlag schien sie schöner, reizender und wertvoller als alles, was er je besessen oder begehrt hatte. Der Eindruck entriss sich gewaltsam jeder logischen Erklärung; die Intensität der Erkenntnis zwang ihn zu einem schwankenden Schritt rückwärts.


    Tatsächlich gelang es keinem der übrigen Männer im Tempel, die Nymphe nicht mit offenem Mund anzustarren. Einige der jungen Priester, die das Gold und die Juwelen an den Wänden poliert hatten, ließen sogar ihre Lappen fallen. Ein fülliger Händler, der gerade ein langes Pergament hatte unterzeichnen wollen, warf seine Schreibfeder energisch zu Boden und setzte sich sogleich in Richtung der scheinbaren Jungfrau in Nöten in Bewegung; dicht gefolgt von dem Priester, der ihm das Pergament vor die Nase gehalten hatte.
    Als wäre das der Stein, der die Lawine ins Rollen brachte, fuhr Bewegung in ein Dutzend Männer. Ihre Gesichter beim Heraneilen sprachen sowohl von liebevoller Besorgnis um die zarte Nymphe, von blanker Gier nach ihr, als auch von Wut auf den Dunkelgekleideten, dem ihre entzückenden Worte zu gelten schienen. Die anwesenden Frauen begannen wilde Beschimpfungen auf die Nymphe auszuspeien und einigen von ihnen gelang es dabei nicht einmal, ihre Ehemänner zurückzuhalten.


    Die Szene hätte sich als witzig entpuppen können, wäre es den berauschten Verehrern nicht so bitter ernst dabei gewesen. Gegen jede Erwartung gelang es dem beleibten Händler tatsächlich zuerst, die Nymphe zu erreichen. Seine Hand schloss sich hart um die Schulter der Begehrten. Innerhalb von Sekunden waren weitere Liebestolle heran und langten nach ihr.


    Immer noch zu perplex, um die Tragweite des Augenblicks zu erfassen, schien der Syreniae seinerseits zu einem gemeißelten Abbild geworden zu sein. Mit hängenden Armen und zur Seite geneigtem Kopf hing Ascans Blick an der Nymphe, Kyleja Beor, die jedoch zwischen den nachdrängenden Männerkörpern immer weniger zu sehen war. Die Wucht der Magie pochte in seinen Schläfen.

  • Mit sowohl innerlicher Genugtuung als auch Bedauernd beobachtete Kyleja wie ihrem Gegenüber seinerseits die Genugtuung aus dem Gesicht wich und stattdessen zunächst ein fassungsloser Ausdruck darauf lag. Die Hand die sich auf seinen Hals legte bereitete der Nymphe zunächst Sorgen, hatte sie mit ihrem Duft vielleicht etwas übertrieben? – Nein, er würde das schon vertragen.


    Mehr als deutlich erkannte die Nymphe den Moment in dem ihm klar wurde, was das zu heissen hatte. Der haltsuchende Schritt nach hinten war der grösste Beweis dafür, dass er sich bereits haltlos an sie verloren hatte.


    Doch nun da erreicht war, was es zu erreichen gegolten hatte, musste Kyleja zunächst den Rest der Situation betrachten. Es war immer gefährlich an Orten in deren Nähe sich viele Männer aufhielten eine solche Kraft zu wirken. Und tatsächlich:
    Im Tempel war nahezu haltloses Chaos ob ihrer Magie ausgebrochen. Einige Männer strebten zielgerichtet in ihre Richtung während die anwesenden Frauchen die wüstesten Flüche auf sie losliessen. Einer der Frauen die am nächsten standen und die gerade versuchte ihren durchaus gutaussehenden Mann zurück zu halten, schenkte die Schwarzhaarige ein mild entschuldigendes Lächeln. Heute war es wirklich nicht ihre Absicht gewesen alle anwesenden Männer zu verführen, wie sie es zu früheren Zeitpunkten bereits ab und an gerne getan hatte. Dieses Mal galt ihr Interesse einzig und allein dem Syreniae, der sie mit verklärtem Blick anstarrte.


    Doch Kyleja wurde nun ernstlich an die Lage erinnert in welcher sie sich nun durch ihre Aktion befand. Denn Männer anzulocken war eine Sache, mit ihnen umzugehen und sie gegebenenfalls wieder loszuwerden eine völlig andere. Und dieser Aufgabe sah sie sich nun gegenüber. Natürlich wäre es ein leichtes gewesen jetzt ihre zwei Dolche zu zücken und diesen herrlich verführenden Zimtduft verwehen zu lassen. Aber das hier war ein heiliger Ort, wenn auch nicht für die junge Nymphe so auf jeden Fall für den Syreniae und alle anderen Anwesenden. Selbst wenn die männlichen davon sich dessen im Moment weniger bewusst waren.


    Spätestens jetzt, als sich die Hand eines beleibteren Händlers fest um ihre Schulter schloss und seine vor Verlangen verzerrte Visage in ihrem Blickfeld auftauchte, bekam die zierliche Nymphe die Gefahr der Situation zu spüren. Denn für die anwesenden Männer war jeder andere ein Rivale um die schöne Schwarzhaarige in Nöten. Und diese galt es vor dem schwarz gekleideten Mann mit den grossen schwarzen Schwingen zu retten, der ihr ja anscheinend ein Leid angetan hatte.


    Und genau zu diesem huschte der Blick der Nymphe nun, er war als ihr besonderes Ziel am stärksten von ihrem Bann getroffen. Und sie wusste, Männer die ihrem Bann erlegen waren, würden alles und mehr für sie tun. Eine Eigenschaft die ebenso nützlich wie schrecklich sein konnte, das wusste die Schwarzhaarige. Doch heute wollte sie nur die Nützlichkeit nutzen und den schrecklichen Teil aus ihrem Kopf verbannen, zu schmerzlich war die Erinnerung daran, zu schnell würden die Wunden wieder aufreissen wenn sie sich erlaubte daran zu denken.
    Und so heftete sich ihr hilfesuchender Blick auf den des Weisshaarigen und ihre Lippen formten tonlos eben jene Worte, die ihn hoffentlich aktiv werden lassen würden. Trotz seiner augenblicklich noch anhaltenden Schockstarre.

  • Ascan brauchte ihre Worte nicht zu hören, um zu verstehen. Als fiele ein unsichtbares Gewicht von seinen Gelenken ab, kehrte die Kraft in ihn zurück - machtvoller, als er es jemals zuvor bei sich erlebt hatte. Sein Blick fixierte sich schlagartig, sprang von ihren nach Hilfe flehenden Augen zu den keuchenden Fratzen, die sie umgaben.


    Reinste Abscheu und Zorn trieben ihn zum ersten Schritt, mit dem er den erstbesten Kerl am Kragen packte und zurück riss. Ein erschrockenes Würgen erklang, dann prallte der Erfasste hart auf den Marmorboden. Zwei weitere waren ihm noch immer im Weg und dass sie ihre Hände nach seiner Kylea reckten, ließ weiß glühende Raserei in ihm auflodern.


    Wie Adlerklauen schossen seine Arme vor, packten die Schädel der beiden und schmetterten sie mit einem wuchtigen Ruck gegeneinander. Es knallte dumpf und das gleichzeitige Knirschen hätte von seinen Zähnen stammen können, so stark biss er diese zusammen.


    Räudiger Abschaum!


    Als gäbe es weder den Tempel, noch einen anderen Grund, der ihn zurückhalten könnte, trat Ascan einem Vierten kraftvoll in die Kniekehle. Fast augenblicklich knickte der Getroffene ein und stieß einen leidenden Schrei aus, als sich seine Hände zugleich von der Nymphe lösten.


    Ascan prägte sich flüchtig die Visage des zu Boden gegangenen ein, in der gnadenlosen Absicht, dessen dreckige Griffel für diese Sünde später noch persönlich zu Brei zu treten. Endlich gelangte er neben Kylea, riss in der gleichen Bewegung die Speckhand eines Händlers von ihrer Schulter, nur um gleich darauf einen weit ausgeholten Fausthieb an dessen Schläfe krachen zu lassen. Nach einer nahezu anmutigen Pirouette schickte der Hieb den verdutzt grunzenden Mann direkt auf die Bretter.


    Dem so Erlegten noch ein hasserfülltes Knurren mit ins Traumreich schickend, fuhr Ascan herum. Sein linker Arm umgriff die Taille der Beschützten; zog sie eng an sich. Sein angespannter Oberkörper unter der grauen Seidentunika bebte. Sie zu spüren, machte es nicht besser. Ganz im Gegenteil brannte sein Körper und wären da nicht immer noch die verhassten anderen Männer gewesen, hätte er ganz anderes mit ihr getan als sie nur mit entschlossener Kraft festzuhalten.


    Wie zum Beweis, dass sich die Stimmung keinesfalls entschärft hatte, ging ein Aufschrei durch das knappe Dutzend Widersacher. In den Augenpaaren staute sich purer Hass auf den dreisten Syreniae, der sich zwischen sie und das Objekt ihrer Begierde gewagt hatte.
    Den feinen Duft der Nymphe an sich, wusste Ascan, dass es Zeit war, zu wirklich drastischen Mitteln zu greifen. Er spannte sich und mit einem dumpfen Schlag, begleitet vom Rauschen riesiger Federn, öffneten sich seine Schwingen in der goldenen Halle. Der schwarze Widerschein spiegelte sich in den reichen Wänden, den streng blickenden Statuen und ein Stoßwind peitschte die Haare der Umstehenden durcheinander. Zwei der Männer wurden von den jeweils knapp vier Meter messenden Schwingen getroffen und zu Boden gestoßen. Die kämpferische Haltung des Syreniae schloss einen Zufall aus.


    Schon bereits als sich eine angriffslustige Welle der Bewegung in der verbliebene Gruppe aus Feinden ankündigte, langte seine Hand hinab, schlug seinen Mantel zurück und umfasste den Griff der goldverzierten Pistole, die er seit seiner Abreise aus Nir'alenar nur noch als letztes Mittel in Betracht zog. Fast klang es wie ein tödliches Flüstern, als er die wertvolle Waffe entsicherte und mit ausgestrecktem Arm einmal im Kreis bewegte. Erschrocken duckten sich die Männer sowohl unter seinen Schwingen als auch dem Lauf der Pistole. Die Nymphe dabei weiterhin sicher an sich gedrückt haltend, endete Ascans Schwung wahllos vor der Stirn eines Gegenspielers. Der Emular-Priester erbleichte nahezu augenblicklich und seine vor Schreck geweiteten Augen schienen sich nicht entscheiden zu können, ob sie lieber in den Lauf oder zu der Nymphe blicken sollten. Ascans Haltung hatte alle Skrupel eingebüßt. Eine falsche Bewegung dieser Ratte und er würde diesem Tempel einen rot glitzernden Anstrich spendieren.


    Etwas in seinem Verstand schrie geradezu, dass es falsch war, was er da gerade tat, aber weder sein Arm noch seine Überzeugung schienen davon sonderlich beeindruckt. Alles, was auch nur irgendeine Bedeutung hatte, hielt er eben jetzt in seinem Arm.

  • Zufrieden registrierte Kyleja, wie der Syreniae aus seiner Trance erwachte. Sein Blick erwiderte ihren für eine kleine Sekunde nur um dann sofort den „Feind“ anzuvisieren. In diesem Fall war das der Haufen liebestoller Männer jeglichen Alters, die sich um die Schwarzhaarige scharten.
    Auf seinem Gesicht lag ein beängstigender Ausdruck, Zorn und Abscheu spiegelten sich deutlich in seinen unergründlichen Stahlaugen wider. Der Würgende, der zu Boden ging erntete jedoch kaum einen Blick von der Nymphe. Auch als den beiden unmittelbar vor ihr die Schädel zusammen geschlagen wurden, zuckte die Schwarzhaarige kaum zusammen. Viel zu oft hatte sie bereits Männer um sich kämpfen sehen, als dass sie noch immer jedes Mal erschaudern könnte.


    Erleichtert atmete die Nymphe aus, als sich weitere Hände von ihr zu lösen begannen, jetzt da einige des Syreniae gewahr wurden und merkten, dass es ihm bitterer Ernst war. Der beleibte Händler hatte kaum eine Chance zu reagieren als der Fausthieb des neugewonnenen Beschützers der Nymphe ihn traf. Scheinbar ohnmächtig blieb er zu Füssen der Nymphe liegen.
    Das Knurren, welches der Syreniae darauf erklingen liess, sorgte nun doch für eine leichte Gänsehaut bei der Nymphe. Dennoch lehnte sie sich beinahe dankend an den muskulösen Körper des Geflügelten. Sie konnte seine Anspannung deutlich spüren. Seine Hand lag warm, beinahe heiss auf ihrer Taille. Fast schmerzhaft drückte er sie fest an seinen erhitzten Körper.


    Der Aufschrei, der nun durch die Menge ging fuhr Kyleja durch Mark und Bein. Sie schauderte. Das hier war wirklich eine mehr als gefährliche Situation. Sie wusste, dass sowohl der Syreniae als auch alle anderen anwesenden Männer Dinge tun könnten und würden, die sie später bereuen würden. Das musste sie auf jeden Fall verhindern. Der Schaden der entstehen könnte wäre viel zu gross um zu riskieren, dass die Situation eskalierte.


    Die Schwingen, die schon im geschlossenen Zustand beeindruckend waren, raubten der Nymphe den Atem. Dieser Mann war ein regelrechtes Prachtexemplar von einem Syreniae. Der Wind der durch den Flügelschlag entstanden war, liess die Haare der Nymphe aufwirbeln. Mehr als vorher wurde Kyleja bewusst, wie gefährlich ein Syreniae doch sein konnte, als die zwei Männer von den riesigen Schwingen zu Boden gestossen wurden.


    Mit schreckgeweiteten Augen verfolgte Kyleja die Bewegungen des Syreniae als er die reich verzierte Pistole zückte. Das was er da tat, durfte ganz sicher nicht passieren. Das hier war ein Tempel und noch dazu der seines Gottes. Die Gedanken rauschten durch den Kopf der Nymphe, sie musste verhindern, dass der Priester auf dessen Stirn ihr Verteidiger nun zielte, oder jemand anderes auf diese Art für ihren Zauber bezahlen mussten.


    Mit einer schnellen Bewegung hob sie die Hand und legte sie auf den Arm des Syreniae. Langsam glitten ihre Finger zu der Hand die noch immer die Pistole erhoben hielt. Beinahe zärtlich schlossen sich ihre Finger um seine. Mit sanfter Gewalt drückte sie seine Hand nach unten. Gleichzeitig reckte sie den Hals ein wenig, so, dass ihre Lippen nahe am Ohr des Syreniae verharrten.
    „Ihr habt genug getan, lasst ihnen Eure bisherigen Taten eine Drohung sein und verlasst diesen Ort gemeinsam mit mir. So könnt ihr später ohne Reue wieder unter Emulars Augen treten“, flüsterte sie beruhigend an seinem Ohr. Sie legte alles an Ruhe und Überzeugung in ihre Worte was sie aufbringen konnte.
    Manche spitzen Zungen mochten ja behaupten, eine Nymphe besässe kein Gewissen, vielleicht gab es genug auf die das zutraf, aber nicht auf Kyleja. Sie würde nicht all diese unschuldigen Männer in den Tod schicken, nur weil sie gerade am falschen Ort gewesen waren.
    „Vertraut mir, Emular wird es Euch danken wenn Ihr diesen heiligen Ort nicht jetzt und hier auf diese Art entweiht.“

  • Wohl nicht einmal mit beiden Armen und unter vollem Einsatz ihres zierlichen Körpers hätte Kyleja seinen Arm in diesem Augenblick senken können - doch seine Muskeln leisteten ihrer Absicht nur zu bereitwillig folge. Der Pistolenlauf sank auf eine weniger tödliche Höhe. Sichtlich aufatmend, dass sein Kopf nicht länger als Zielscheibe herhalten musste, wagte es der Priester, in ein banges Schlottern zu verfallen.
    Ascans Augen, die erst noch warnend auf den Priester geblickt hatten, verloren bei den Worten der Nymphe zusehends an Härte. Ihr süßer Atem an seinem Hals sandte ein Prickeln seine Wirbelsäule hinab, das sich als feines Rascheln bis in seine Federn fortsetzte.
    Im gleichen Maße, in dem sein Grimm auf diese Weise verflog, sickerten andere Gedanken in seinen Verstand - dunklere, die ihn mit Macht drängten, ihre Lippen und ihren Körper augenblicklich als Lohn für seinen Sieg einzufordern.


    Die Beherrschung zu bewahren, sie nicht mit bloßer Kraft zu beanspruchen wie eben jene, die er gerade auf Abstand gebracht hatte, forderte den letzten Rest seiner Kontrolle über sich. Ascan konnte sie nicht ansehen. Ein Blick in diese Augen und der schmale Grad zwischen Gier und Geduld wäre verloren.
    Es gehörte jedoch nicht viel dazu, sie sich vorzustellen. Die schlanken langen Beine, die vollen Brüste, die sich selbst durch den Stoff seiner Tunika warm und weich an ihn pressten... Seine Hand, die ihren Körper hielt, krallte sich fester in ihre störende Kleidung. Bevor der Syreniae der Versuchung erliegen konnte, gab er sich selbst einen Ruck.


    "Zurück!" donnerte der Befehl aus seiner Kehle. Gleichermaßen an sich selbst wie die wenigen verbliebenen Männer gerichtet, die noch immer standhaft ihren Anspruch auf die Nymphe verteidigen wollten.
    Seine Stimme klang fremd in seinen Ohren. Für einen kurzen Moment, in dem seine Magie wirkte, wusste er nicht mehr, was er mit ihr bezwecken wollte. Warum griff er darauf zurück - und wofür?
    Doch der Eindruck verflüchtigte sich zu schnell.
    "Hier gibt es nichts, das euch gehört. Geht zu euren Weibern zurück und vergesst, was hier geschah", hörte er sich selbst weiter sprechen. Sein Befehl würde die Gedanken der Umstehenden endgültig von der Frau in seinem Arm lösen. Es fiel ihm leicht. Die Gedanken der Menschen waren wie taumelnde Blätter im Wind, die ein gezielter Luftstoß in jede nur erdenkliche Bahn wehen konnte.


    Etwas wie Erlösung machte sich sogleich auf den Gesichtern der Männer breit, die sich suchend nach ihren Frauen umdrehten oder es plötzlich sehr eilig hatten, das Weite zu suchen.
    Ascan selbst fand die Ruhe in sich, die er vermisst hatte. Sein Blick glitt zu der Nymphe. Er erinnert sich an ihre Fragen; ihre Vorschläge. Seine Reaktionen darauf erschienen dagegen nur verwaschen in seinem Gedächtnis; unnahbar wie Klippen, die von zu dichtem Nebel verhangen waren.


    Sie wirkte zerbrechlich in seinem Arm und Ascan lockerte seinen Griff. Nichts lag ihm ferner, als ihr ein Leid zu tun. "Mein Name ist Ascan. Ascan Bran Boréas. In Nir'alenar kannte man mich früher als 'den Raben'", begann er in ruhigem Ton mit seiner ersten Antwort... und etwas in ihm ahnte in stiller Qual, dass noch zahlreiche weitere folgen würden.

  • Ebenso wie der Priester atmete Kyleja erleichtert auf, als der Syreniae seinen Arm tatsächlich sinken liess. Anscheinend waren ihre Worte zu ihm durchgedrungen und auch wirksam genug gewesen um ihn zur Vernunft kommen zu lassen.
    Er wäre selbst auf Dauer mehr als unglücklich damit geworden wenn er den Tempel nie mehr hätte betreten dürfen. Und die Nymphe hätte ewig dieses schlechte Gewissen gehabt, bei jedem Blick in seine Stahlgrauen Augen die so voller Härte die anderen Anwesenden musterten, hätte die Schwarzhaarige sich elend gefühlt. Sie konnte ihm nicht den heiligsten Ort rauben. Sie musste daran denken, wie sehr es ihr zu schaffen machen würde, sollte man sie aus Minarils Tempel verbannen. Ein kleiner Schauer durchlief ihren Körper. Nein, das wäre pure Folter. Der Weisshaarige sollte dies nicht erleiden müssen. Wo ihm Emular doch mindestens so wichtig zu sein schien wie Minaril es für sie selbst war.


    Kyleja spürte sehr wohl das leichte Zittern, hörte das Rascheln in den Federn der noch immer weit gefächerten Schwingen. Auch merkte sie, wie die Hand ihres Beschützers sich für einen kurzen Moment etwas zu sehr um ihre Hüfte verkrampfte um noch beschützend zu wirken. Natürlich wusste sie um die Wirkung ihres Körpers. Doch ebenso schätzte sie den Mann an dessen Körper sie lehnte nicht als solchen ein, der seine Kraft für solch niedere Motive einsetzen würde.


    Ein kurzer, kaum spürbarer Ruck lockerte seinen Griff wieder ein wenig. Seine Stimme hallte übermächtig durch die Halle. Nur kurz verspürte die Nymphe ebenfalls den Drang sich fort zu bewegen. Ebenso wie bei ihrem Duft war es dem Syreniae mit seiner Stimme nicht möglich Personen aussen vor zu lassen, jemanden nicht zu beeinflussen. Doch die Hand um ihre Taille, und ihr eigener lieblicher Duft der nun den Kleidern des Geflügelten, zwar in schwächerer Form als bei ihr, ebenso anhaftete, hielten sie davon ab den Tempel zu verlassen.


    Kyleja verfolgte, wie die Priester schnellstmöglich an ihre Arbeit zurückkehrten. Etwas Verwirrung hing in ihren Gesichtern. Konnten sie sich nun keinen Reim mehr darauf machen, was sie geritten hatte. Die Ehefrauen einiger Männer schenkten dem Syreniae einen erleichterten, teils auch dankenden Blick. Dann widmeten sie sich ihren eigenen Männern. Mancherorts konnte man leise Schimpftiraden hören, andere wiederum machten ihrem Mann unverzüglich klar, dass sie nun gehen wollten. Es war ein recht unterhaltsames Schauspiel, das all diese Leute boten.
    Und wäre da nicht noch immer diese brennende Neugier in der jungen Nymphe gewesen, welche nun wieder in Form eines zarten Orangenaromas aus ihr heraus brach, so hätte sie gewiss noch einen Moment zugeschaut wie allmählich Normalität in den Tempel zurück kehrte.


    Aus dem Nichts heraus schien sich der Syreniae nun an all ihre Fragen zu erinnern. Denn endlich verriet er ihr seinen Namen.
    Ascan Bran Boréas. Der Rabe. Kylejas Gedanken rasten. Kaum hatten sich seine Lippen wieder geschlossen, erschien das Bild eines alten Wanderers vor dem geistigen Auge der Nymphe. Sie hatte ihn vor einiger Zeit im Schattenforst, der für kurze Zeit so etwas wie ihr Zuhause gewesen war, getroffen. Er kam von Nir’alenar und hatte ihr viele Geschichten aus dieser wunderbaren Stadt erzählt.
    Natürlich auch über die Leute die dort lebten. Er hatte auch vieles aus der Unterwelt dieser Stadt zu erzählen gewusst, was er gewiss nicht jedem auf die Nase band, solange es sich nicht um eine Nymphe handelte. Und besonders oft hatte er über „den Raben“ geredet. - Anscheinend genau über den Raben der nun neben ihr in Emulars Tempel stand. -
    Kaum hatte der alte Mann sie verlassen, hatten die Träume begonnen. Die Träume mit den schwarzen Schwingen vor der goldenen Tür die immer wieder zu verschwimmen schienen wenn Kyleja versuchte mehr zu erkennen.
    Hatte Minaril vielleicht gewollt, dass sie dem Raben, und somit Ascan, begegnete? Nur warum, das musste sie noch herausfinden. Und vielleicht waren die Antworten, die der Syreniae ihr schuldig geblieben war bisher, der Schlüssel dazu.


    Siedend heiss fiel der Nymphe ein, dass genau dieser sie noch immer an seinen Körper gedrückt hielt. Bestimmt wartete er darauf, dass sie nun etwas sagte.
    „Es freut mich, Eure Bekanntschaft zu machen Ascan Bran Boréas.“ So gut es ihr in dieser Position möglich war, neigte die Nymphe den Kopf zum Gruss. Ein Blick aus langen, dichten Wimpern richtete sich auf das Gesicht des Weisshaarigen.
    Würde sie nun ihre Antworten bekommen? Aus einem unbekannten Grund vermutete die Schwarzhaarige, dass sich dadurch vielleicht nur noch mehr Fragen ergeben würden.

  • Sein Name ließ eine undeutbare Regung über ihr Gesicht wandern und für einen Moment schienen ihre tiefblauen Augen durch ihn hindurch zu schauen. Während er den Blick nicht von ihr nahm, schob er die Pistole in den ledernen Halfter an seinem Gürtel zurück. Wie von selbst glitten dabei auch seine Schwingen zusammen. Die langen, glänzenden Federn schoben sich so eng übereinander, dass ihre wahre Spannweite innerhalb weniger Augenblicke wieder in Vergessenheit geraten war.


    Gerade hob er die Hand, in dem Wunsch, sanft ihre Wange zu berühren und so aus ihren fernen Gedanken zu wecken, als sie von sich aus den Kopf neigte. Ihre Worte klangen höflich und reserviert, so gegensätzlich zu dem, was er für sie empfand, dass er seine Handbewegung irritiert zurücknahm. Auch sein Griff um ihre Taille lockerte sich weiter.


    Es war ihm, als habe er zu rasch an Höhe verloren. "Nenn mich Ascan... bitte", fanden Worte zu ihm. Der eigenartige Eindruck, sich nicht mehr in den eigenen Gedanken zurecht zu finden, verstärkte sich. Träumte er? Wie lange war er bereits hier?


    Doch statt einer Antwort, war da nur dieser Name. Ihr Name, der sich vor jeden Gedankenfetzen schob, der ihm eben noch greifbar schien. Kyleja Beor. Er konnte ihn beiseite schieben, nur um sogleich wieder darauf zu verfallen. "Kyleja..." Als wäre es damit getan, die Formel auszusprechen, formten seine Lippen ihren Namen. Er wusste nicht, ob er den Klang dieses Wortes hasste oder liebte. Ascan suchte in ihren Augen nach einer Antwort, doch sie rissen ihn in nur noch tiefere Verwirrung.


    Sie hatte ihn nach seinen Träumen gefragt...


    "Ich bin wegen meiner Träume hierher - nach Nir'alenar - zurückgekehrt", sprach er weiter als wüsste seine Stimme besser als er, was es zu sagen galt. "Diese Stadt und meine Vergangenheit hier bilden die letzte Hürde, bevor ich diese verfluchte Insel endlich verlassen kann. Ich muss mich meinen Dämonen stellen, damit ich zurück kann... zurück zu den Winden und den Klippen meiner Heimat. Wovon ich träume? Ich träume von der Weite und der Freiheit, dem Sonnenlicht, das auf meinen Flügeln brennt und der Endlosigkeit der Nacht über mir."


    Er musste innehalten, denn die laut ausgesprochene Wahrheit ließ seine Stimme beben. Wie sollte sie das verstehen...?

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