[Caraska] Im Abgrund einer dunklen Stadt

  • Anmerkung: Dieser Thread spielt etwa 10 Monate in der Vergangenheit.
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    "Wer mit Ungeheuern kämpft, mag zusehn, dass er nicht dabei zum Ungeheuer wird.
    Und wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein."
    Friedrich Nietzsche, Jenseits von Gut und Böse


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    Ein schmaler Streifen Sonnenlicht drang durch den vergitterten Spalt, hoch oben in der Mauer. Das blasse Licht verkündete einen weiteren Morgen, der sich hinter den Mauern, weit über ihrem Kopf, auf die dunkle Stadt ergoss, doch reichte das Licht kaum aus, um die dunkle Gefängniszelle zu erhellen. Aus unruhigen Träumen erwacht, zählte Uera den 456. Morgen seit dem Tag, an dem sie den bisher einschneidendsten Fehler ihres Lebens begangen hatte. Oder war auch dies nur ein grausamer Wink des Schicksals gewesen, das ihr eine Lektion erteilte und wollte, dass sie daran wuchs?
    Die Erinnerung an diesen Tag war seit dem etwas verblasst, doch Uera rief sie sich täglich in den Sinn, damit sie kein Detail jemals vergessen würde. Träge erhob sie sich von ihrem Lager, mühte sich, ihre mageren Glieder zu strecken, von denen sie jedes einzelne deutlich spürte, und sie begann an diesen einen Tag vor mehr als einem Jahr zurückzudenken.


    Ablehnung war ihr nicht unbekannt gewesen, doch nach den vielen Wochen der erfolglosen Suche nach einem Schmiedemeister in Caraska, der sie lehren wollte, hatte sie genug davon erfahren. Sie hatte ihre Suche endgültig aufgegeben, wollte weiterziehen, Richtung Küste, Richtung Meer ... doch die dunkle Stadt mit ihren schwarzen Häuserwänden, hatte sie in ihren Bann gezogen, hielt sie aus unerfindlichen Gründen länger fest, als sie gedacht hatte. In den vergangenen Jahren hatte sie viele Städte gesehen, viele Orte, an denen sich die Trockenen in ihrem Reichtum suhlten und viele Orte, an denen die Armut zum Himmel schrie – doch kein Ort war vergleichbar gewesen mit Caraska.
    Niemand verließ das Haus ohne Waffe. An vielen Tagen zog man im Morgengrauen einen Toten aus einem der Abwasserkanäle. Nahezu jeder hatte in seinem Leben schon gestohlen, geraubt oder gemordet. So gut wie nie verschwand der Geruch nach Schattentabak gänzlich aus der Luft und mit ihm der Geruch nach Ruß und Asche aus den vielen Schmieden.


    Hier, in ihrer Zelle, roch sie nichts davon. Prüfend tasteten Ueras Finger über ihre Unterlippe, deren Schwellung verriet, dass sie gestern aufgesprungen war. Sie ging auf einen Eimer sauberen Wassers zu, den sie sich gestern verdient hatte, ließ sich davor auf die Knie sinken. Es war kaum eine nennenswerte Menge, doch es reichte zumindest aus, um ihre Haut zu benetzen, ihre Kiemen zu befeuchten, das unangenehm raue, spannende Gefühl zu lindern, dass ihren ganzen Körper überzog. In diesem Verlies trocknete ihre Haut nicht so schnell aus wie an der freien Luft, schon gar nicht so rasch wie bei der Arbeit an der Esse, doch sie war fern von jedem Wasser und es hatte sie schon seit mehr als einem Jahr nicht mehr umspült.


    An jenem Tag vor vielen Monaten war sie zum letzten Mal geschwommen, erinnerte sie sich mit einem Stich im Herzen, im relativ klaren Nass eines Kanals, der rauschendes Flusswasser an ein Wasserrad spülte, mit welchem eine stampfende Hammerschmiede betrieben wurde. Der Abend und die Nacht waren rasch über die Stadt hereingebrochen und dann, wenn in anderen Städten das Leben erstarb, schien es Caraska es genau anders herum zu sein. Die Straßen waren gut gefüllt, genau wie die Tavernen, Bordelle und auch die Häuser in denen der Konsum des Schattentabaks geradezu zeremoniell stattfand. Uera hielt sich von diesen Häusern fern. Alleine der schwache Geruch des verbrannten Krautes, der vielen wie ein Parfum anhaftete, war schon genug, um ihr Kopfschmerzen zu bereiten und so hatte sie sich diesen Häusern niemals mehr als absolut nötig war genähert.
    Stattdessen hatte sie sich an leichte Beute gewöhnt. Niemandem konnte so leicht sein ganzes Hab und Gut gestohlen werden, als den Berauschten. Und wenn die gut betuchten Damen und Herren ihrer Sucht nachgingen, war zumeist keine Seele mehr zuhause und wachte über ihr Eigentum. So hatte sie sich an jenem Abend auf dem Weg zu einem Anwesen gemacht, dass sie schon vor längerem entdeckt hatte und das eine gute Ausbeute versprach. Es war das Haus einer der vielen Waffensammler Caraskas und dafür, dass er so einige Schätze besaß, erschien ihr sein Haus nur spärlich bewacht. Die Vorfreude auf reiche Beute hatte Uera damals zu ungeduldig gemacht, zu unruhig und vor allem: unvorsichtig.


    Mit einem bitteren Ausdruck in Ueras Gesicht, schöpfte sie mit den Händen Wasser aus dem Eimer, füllte ihren Mund, durchspülte ihre Kiemen mit dem kühlen Nass, ließ es kontrolliert wieder aus ihnen ausströmen, ehe sie sich wieder der staubigen Luft verschlossen.
    Ein erlösendes Gefühl, das wohl nur ein Meereslebewesen fern seiner Heimat kennen konnte.

  • Khoor schloss für einen Moment die Augen. Wie war es nur möglich, dass alles, was schief gehen könnte, ausgerechnet jetzt schief ging als er endlich eine brauchbare Information bekommen hatte. Endlich einen Schritt weiter gekommen war.
    Der bekloppte Kerl, der in den Ruinen von Sian 'Darai herum kroch und nach irgendetwas suchte, was ihm sagte, wie es zum Zerfall der Stadt hatte kommen können, hatte die Zeichen tatsächlich gekannt. Uralt seien sie. Und unvorstellbar mächtig, wenn auch in harmloser Farbe geschrieben. Das Amulett eines Kindes, hatte der Irre vermutet. Auch das war zutreffend gewesen und hatte die Hoffnung geschürt, endlich auf der richtigen Spur angelangt zu sein. Und zusammen mit dem, was er in Dheoris erfahren hatte ...... Khoor ballte die Fäuste. Wenn er mit seinem unvorstellbaren Zorn doch nur irgendwo hin könnte.

    Er hockte auf einer viel zu kleinen Bank an einem roh zusammen gezimmerten Holztisch, der so schmierig und klebrig war als habe er noch niemals seit seiner Fertigstellung einen Lappen mit Wasser gesehen. Und der abgerissene Kerl, der sich Wirt schimpfte, teilte dieses Schicksal höchstwahrscheinlich mit seinem Tisch. Der Drak'khir hob dennoch die Hand mit seinem leeren Krug. Sollte er ihm noch was vom Gesöff bringen, was sich Bier schimpfte - es war egal. Er öffnete die Augen und sah zur Holzdecke hinauf, froh darum, dass die kleine verdreckte Öllampe auf dem Tisch nicht genügend Licht absonderte, um sehen zu können, was sich dort in dunklen Ecken über ihn an Dreck befinden möchte. Jedesmal, wenn die Tür sich öffnete und einen widerstrebenden Hauch nicht frischer - aber nicht ganz so rauchgeschwängerter - Luft herein liess, fürchtete man sozusagen um sein Leben. Jeder leise Luftzug könnte der entscheidende sein, der den in Jahrzehnten angesammelten giftgeschwängerten Staub mit all den Spinnweben von der Decke und aus den Ecken reissen und über die Gäste verteilen würde. Und ob man das Wunderkraut in dieser Konzentration heil überwinden könnte ? In diesem Schmutzfleck von Stadt wurde geraucht. Kinder, Männer, Frauen, Greise - statt zu essen schienen sie von dem Qualm dieses Krauts in ihren Pfeifen zu leben. Der Drak'khir hatte noch nicht so recht verstanden, was genau für ein Kraut es war, aber es stank bestialisch und brannte auf den sensiblen Geschmackszellen seiner Zunge und mittlerweile waren Kopfschmerzen sein ständiger Begleiter in diesem Schandfleck von Stadt geworden.


    Khoor starrte zu der benebelten Sängerin hinüber, die ihm seltsame Blicke zuwarf. Nicht mal nach einem dreistündigen Vollbad hätte er es in Erwägung gezogen, sie anzurühren. Vielleicht war sie einmal recht hübsch gewesen - für Oberflächenaugen - doch nun war ihr Körper gezeichnet von diesem Kraut und was das Schlimmste war: Diese Leute hier stanken aus sämtlichen Poren danach. Noch nie zuvor auf dieser Reise hat er sich so sehr nach seiner Heimat gesehnt, wie hier. Nach einer sauberen Taverne in Amedije, wo edel gewürzter Wein ausgeschenkt wurde, ein höflicher, respektvoller Umgang gepflegt wurde und jede Drak'khir, die etwas auf sich hielt, sich eher getötet hätte als dem Auserwählten so dermassen abstossende und anbiedernde Blicke zu zu werfen. Oder sonst einem Anwesenden.


    Warum war er nicht seiner Wege gegangen und hatte den alten Spinner in Sian 'Darai seinem Schicksal überlassen ? Durch die Handschuhe spürte Khoor, wie sich seine Klauen in das Fleisch seiner Handballen zu bohren drohten. Hastig griff er nach dem neuen Krug und kippte ihn halb hinunter. Nun war das Schwert entzwei, das Messer fort und sein treues Schlachtroß lahmte immer noch von der überstürzten Flucht über Felsen und Geröll. Der treue Gefährte hatte die Zwangspause bitter nötig - und sogar hier in diesem Räucherbunker gab es Geschäfte, in denen der Drak'khir Zutaten für lindernde Salben hatte erstehen können, um dem braven Tier zu helfen. Der einzige Lichtblick in dieser Schande der Oberfläche waren die Zwerge. Es war Khoor unbegreiflich, wie diese Brüder im Geiste sich freiwillig auf diesen Abweg hatten begeben können - aber wenigstens war das Schwert so in besten Händen und einen besseren Dolch als Ersatz für das Messer, das nun in einer geifernden Bestie mit unzähligen Zähnen steckte, hätte er sonst auf Beleriar kaum bekommen können.
    Der Schmied war nicht weniger überrascht gewesen über Khoor - und im Nachhinein gestand der Drak'khir sich ein, dass er mit dessen Schmiede wohl mehr Glück als Verstand gehabt hatte - war ihm jedoch freundlich gesonnen gewesen und hatte ihm einige nützliche Verhaltensmaßregeln für diesen Ort mitgegeben. Wie zum Beispiel den, die billigeren Tavernen vor Einbruch der Nacht zu verlassen, sich keine Pfeife andrehen zu lassen und nur bestimmte Speisen und Getränke überhaupt zu sich zu nehmen. Sattel- und Zaumzeug waren in der Schmiede verblieben und einen Tip für eine erträglich sauberen Schlafplatz hatte es auch gegeben bei Meister Xoron.


    Khoor leerte den Krug und dachte angewidert an seine Schlafstatt auf dem Boden. Schwächlich und mickrig waren sie, diese Oberflächenbewohner - und ebenso mickrig war das, was sich bei ihnen Bett nennen durfte. Wie sollte man in einem solchen Hasenstall ein stolzes Weib erobern und ihr beweisen, dass man ihrer würdig war. Andererseits ... sein Blick glitt über die jämmerliche Frauengestalt, die immer noch Töne von sich gab, die Khoor in den Ohren schmerzten - in welche dieser traurigen Figuren sollte man solche Mühen auch überhaupt investieren wollen, wenn man jeden Funken wahren Stolz vergeblich in ihnen suchte.
    Er war ungerecht und er wusste es. Es tat so verdammt gut, ungerecht und wütend zu sein.
    Klimpernd ließ er einige Münzen auf dem schäbigen Tisch zurück bevor er sich aus der Enge der Sitzbank quälte und mit tief herab gezogener Kapuze die Taverne verließ. Sehnsüchtig dachte er an gleißende Quarzlichter unter einer hohen Höhlendecke, die mit der Drehung der 100 Spiegel die ehrwürde Heimatstadt langsam in die Dunkelheit gleiten liessen und nur noch das allzeit vorhandene matte Licht der Narbondel hoch über allen Dächern von Amedije treu und unerschütterlich Wache hielt, während er durch den allgegenwärtigen Gestank des Rauschgifts den Rückweg zum Gasthaus antrat. Sie allein war das alles hier wert.

  • Heute war es ungewohnt laut in ihrem Trakt des Gefängnisses. Zwar waren die dunklen Zellen, die sich zahlreich an den Flur reihten, selten voll belegt, doch gestern waren einige neue Insassen dazugekommen. Einige riefen unverständliche Worte, verlangten nach dem süßlichen Gestank des Schattentabaks, hämmerten gegen die Mauern, die Böden, die Gitterstäbe. Aber auch sie würden sich an die Stille gewöhnen müssen, denn sie gewann am Ende immer, sie würde jede einzelne Faser ihres Verstands durchdringen, mit ihren trockenen Hirnen spielen, bis sie keinen klaren Gedanken mehr formen konnten. Ihre Beobachtung und Erfahrung hatten Uera gelehrt, dass sich dann an einem gewissen Punkt erwies, aus welchem Stoff jemand gemacht ist. Entweder, sie würden akzeptieren, adaptieren, ausharren, die Stille heimlich nutzen um ihre Gedanken zu klären, oder – und das geschah weitaus öfter – sie würden sich vollständig verlieren, ausdruckslos starrende Marionetten ihrer eigenen Furcht werden.
    Sie hatte einige wenige von ihnen gesehen, als sie an ihrer Zelle vorbeigeführt worden waren, doch die einzige Zelle, die sie von den Gittern ihrer Zelle aus im Blick hatte, stand schon seit Wochen leer. Der letzte, der dort seine Strafe hätte absitzen sollen, war nach einem kurzen Aufenthalt freigekauft worden. Eine Hoffnung, mit der sich Uera definitiv nicht beschäftigen musste.
    Uera strich ruhelos durch ihre Zelle, wie sie es an jedem Tag tat, rezitierte in Gedanken die Geschehnisse, die sie hier her gebracht hatten.



    Es war ein kühler Abend gewesen, doch die Stadt hatte ihre drückende Luft nur unfreiwillig gehen lassen. Der Tabakrauch zog wie ein übelriechender Nebel durch die Straßen und hatte auch Uera eingehüllt, die sich kaum Mühe geben musste, nicht aufzufallen. Mit der Kapuze über den kurz geschorenen Haaren und einem halb in einem Halstuch verborgenen Gesicht war sie ausreichend vermummt um unerkannt in der strömenden Masse an Trockenhäuten mitzutreiben. Bald jedoch verließ sie die Hauptstraßen, schlug ihren Weg in die vereinsamt wirkenden Gassen ein, die eng waren, voller Ratten und über denen sich die Häuser aufeinander zuneigten, sodass nur ein schmaler Streifen Himmel sichtbar blieb. Im Schatten war ihre dunkle, dünne Gestalt so gut wie unsichtbar.
    Das Anwesen des Sammlers wirkte etwas heruntergekommen, die Jahre hatten an den geschwärzten Holzbalken gefressen und die Fenster blind werden lassen. Sie konnte kein Licht hinter den Scheiben sehen, doch Uera mahnte sich zur Vorsicht. Es konnte gut sein, dass dort drinnen bei Kerzenlicht einer der unterbezahlten Wächter seine Schicht schob.
    Das Haus lehnte sich an das benachbarte, leerstehende Gebäude, als wäre es nicht in der Lage für sich zu stehen. Sicher, dass sie alleine auf der dunklen Straße war, trat sie auf die Tür des Nachbargebäudes zu, die nur noch schief in einer Angel hing und sich mit sanfter Gewalt öffnen ließ. Es war stockfinster im Inneren, doch Ueras Augen sahen im Dunkeln wie Katzenaugen und ihr blieb nichts verborgen. Sie watete durch den Unrat, den Staub der vielen Jahre, doch sie interessierte sich nicht für den schmutzigen Kram hier, ihr eigentliches Ziel war der gemeinsame Hinterhof der Gebäude, über den sie in das andere Anwesen einsteigen wollte.
    Sie spähte aus einem mit Spinnweben behangenen Fenster hinaus und änderte den Plan augenblicklich, als sie den großen, zottigen Hund entdeckte, der vor der Hintertür des Anwesens mit einer großzügig bemessenen Kette angebunden war und den Schlaf der Gerechten schlief. Sie hasste diese Tiere mit einer Leidenschaft. Sie waren mit ihrer Nase und ihrem Gehör so viel schwerer zu betrügen als ein Mensch. Sie waren so viel schneller und hatten zudem ein garstiges Gebiss, dass sich nur all zu gerne in Waden grub.
    Ihr Blick fiel missmutig auf den marode wirkenden Balkon, der sich an das Anwesen des Sammlers drückte und den sie vielleicht über das Dach erreichen konnte. Ein Risiko. Aber anders würde sie nicht an dem lästigen Köter vorbeikommen.
    Einen Augenblick später war sie bereits in den noch staubigeren Dachboden vorgedrungen und drückte ein Dachfenster auf, entschlüpfte in die Nachtluft, die hier oben nicht besser war, als unten auf der Straße. Bemüht, keine Geräusche zu verursachen zog sie sich aus dem Fenster, setzte vorsichtig einen Fuß vor den anderen und tastete sich auf dem eingesunkenen Dach vorwärts. Die Ziegel des alten Daches wackelten unter ihren Stiefeln und das Gebälk knarrte leise, wo sie auch hintrat. Schließlich geschah, was geschehen musste: ein Ziegel löste sich und Uera hielt die Luft an. Wie in Zeitlupe konnte sie das fallende Stück Ton beobachten, wie es über die anderen Ziegel rutschte, über die Dachkante glitt, sich einmal in der Luft drehte und schließlich klirrend laut auf dem Pflaster des Innenhofes zerplatzte. Intuitiv duckte sie sich, presste sich so nahe an das Dach, wie nur möglich, atmete tief aus um sich noch flacher an die kühlen Dachziegel schmiegen zu können.
    Nur einen Sekundenbruchteil später war die Luft von einem ohrenbetäubendem Bellen erfüllt, das sie Nacht zerriss wie ein schwarzes Tuch.

  • Die Dämmerung hatte soeben damit begonnen, allmählich das tröstliche Tuch der Dunkelheit über der Stadt auszubreiten. Es fiel ihr leicht hier, wo der Großteil der Einwohner sie eifrig darin unterstützte, die Luft und das Licht des Tages immerzu mit Rauchschwaden zu durchsetzen. Die Straßen leerten sich, weil es Mann und Maus in die Tavernen zog. Khoor war es recht. Leere Straßen bedeuteten keinen Ärger, denn die Rauchglocke, die die Stadt fest im Griff hatte, war, wie er bereits am eigenen Leib hatte erfahren dürfen, noch nicht einmal das Ärgste. Auch wenn das kaum vorstellbar war.


    Aber der Genuß dieses Tabaks veränderte die Leute. Nicht nur über die Jahre beraubte er sie ihrer gesunden Körper und erschuf groteske Zerrbilder, die mehr am Tod entlang zu taumeln schienen als lebendig zu sein. Auch kurzfristig entriß dieses Kraut ihnen offenbar den Verstand und machte sie zu etwas, das zu normalen Denken nicht mehr fähig war. Ein Paradies für Gauner und Betrüger - und diese Subkultur der Stadt war keine Spur angenehmer sondern wähnte in jedem ein leichtes Opfer. Entsprechend dreist traten sie auf. Khoor schüttelte in der Erinnerung an die drei Kerle, die ihn an seinem zweiten Abend hier um seine Geldkatze, die er gar nicht bei sich führte - noch so ein Rat von Meister Xoron, hatten erleichtern wollen und keine seiner Warnungen ernst genommen hatten.


    Er hatte sich anhalten lassen, hatte sich beleidigen und beschimpfen lassen, er hatte zähneknirschend über das Rumgefuchtel mit Messern hinweg gesehen - aber als einer dieser schmächtigen Wichte ihn hatte anfassen wollen, war es um seine Sicherungen geschehen gewesen. Einer war offenbar bei Verstand gewesen, denn er war unverzüglich abgehauen als Khoor den Lebensmüden gepackt und gegen eine Hauswand geworfen hatte, dass das Geräusch brechender Knochen einem die Haare hätte zu Berge stehen lassen können. Der dritte war dämlicher - aber auch mutiger, denn er hatte tatsächlich mit seinem Messer angegriffen, allerdings so eindeutig unerfahren und dilettantisch, dass Khoor lediglich ein wenig zur Seite hatte tänzeln müssen und dem Angreifer zur Abwehr eine mächtige Ohrfeige verpasst hatte. Mächtig für einen Drak'khir. Diesen Hänfling hatte sie wie eine Puppe durch die Gegend geschleudert, wo er am Ende reglos liegen geblieben war. Zu reglos und Khoor hatte feststellen müssen, dass der Dummkopf in sein eigenes Messer gestürzt war. "Hoffentlich ist euch das eine Lehre, zukünftig Augen und Verstand bei der Wahl eurer Opfer offen zu halten." hatte er den anderen wutentbrannt angeherrscht, dessen schmerzerfülltes Stöhnen verriet, dass sein Aufprall sich übler angehört hatte als er tatsächlich gewesen war, und war seiner Wege gegangen.


    Immer noch loderte der Zorn in dem Drak'khir auf, wenn er daran zurück dachte - auch jetzt, wo er die Stallungen erreicht hatte, in dem Reisende ihre Pferde gegen Entgelt in Obhut und Pflege geben konnten während sie in der Stadt ihren Geschäften nach gingen. An zahllosen Boxen ging Khoor vorbei bis er die seines Tieres erreicht hatte. Der mächtige Hengst spitzte die Ohren und brummelte ihm entgegen, was Khoor mit einem langen Blick voller Verachtung quittierte, nachdem er die Kapuze zurück geschoben hatte. Anscheinend benebelte der ewige Rauch nicht nur Personen das Hirn sondern machte auch vor Pferden nicht halt - anders konnte er sich diese unangemessene Zuneigungsbekundung in der Öffentlichkeit nicht erklären. 'Noch 4 Tage', sagte er sich stumm, während er den Tiegel mit Salbe aus dem Umhang zog und die Schulter des Dunkelbraunen damit einzureiben begann. 'Nur ....... noch ........ 4 ....... Tage.........' sagte er sich in Gedanken die Worte im Rhythmus des Einreibens immer wieder vor.
    Die einfache Technik hatte Erfolg - sein Unmut legte sich nach und nach und nachdem er sich davon überzeugte, dass der Hengst mit frischem Wasser und genügend Futter ("Werter Herr - Euer Tier frisst für zwei !!") versorgt war, trat er unverzüglich den Weg zu seinem ......... Hasenstall an.
    Khoor mahnte sich zur Ruhe.


    Den Rückweg trat er erneut mit tiefgezogener Kapuze an. Eine ganze Weile ging es eine der Hauptstrassen entlang, die im Schleier der nahen Dunkelheit fast menschenleer war. Auch als er sie verliess und tiefer in das Viertel vordrang, in dem er eingemietet war, begegnete ihm niemand und er war froh darüber. Noch einmal abbiegen. In nur wenigen Metern Entfernung baumelte quietschend die alte Öllampe neben der Eingangstür seiner Herberge. Sonst war alles still.
    Khoor starrte die Straße hinunter. Absolut nichts war zu sehen, was auch nur im Geringsten ungewöhnlich gewesen wäre. Und dennoch war da dieses untrügliche Gefühl, dass dort etwas ganz und gar nicht stimmte .....

  • Vier Schritte zum Lichtschacht. Vier Schritte zum Gitter. Zurück zum Licht. Zurück zum Gitter.
    Pausenlos, doch mit ruhigen, weichen Schritten ging die Yassalar in ihre Zelle auf und ab. Mit jedem weiteren Schritt auf dem schmutzigen Boden lockerte sich ihre verspannte Muskulatur ein wenig und ihr Gang wurde weicher.
    Endlich hielt Uera inne, nahe an den Gitterstäben, schloss ihre Hände fest um die rostigen Stangen und spähte hinüber in die verlassene Zelle. Ihr Blick war leer, ohne Bedauern, denn es verlangte ihr nicht nach Gesellschaft. Neue Insassen waren ihr zu gesprächig, stanken nach Angst. Es war Uera nur recht, dass die Zellen – solange der Platz reichte - so belegt wurden, dass niemand einen Gesprächspartner hatte. Das Geplapper und Rufen der anderen Insassen ging ihr langsam aber sicher auf die Nerven, Uera vermisste ihre Stille und sie hoffte, dass die ersten Nächte in diesem Etablissement diese bald wieder herstellen würden.
    Sie neigte den Kopf auf die linke Schulter, dann auf die rechte, bis ein erlösendes Knacken ihren Nacken befreite. Die silbernen Haarsträhnen, die ihr dabei ins Gesicht fielen, strich sie energisch zurück hinter die Ohren. Ihr Haar war seit ihrer Ankunft hier rasch gewachsen, lag mittlerweile in silbernen Strähnen auf ihren Schultern und sie hasste es. Es störte sie und hätte sie auch nur etwas annähernd scharfes zur Verfügung gehabt, hätte sie das Silberhaar augenblicklich zurückgestutzt. Natürlich hatte sie nichts dergleichen in ihrer Zelle, nicht mal einen rostigen Nagel hatte sie finden können und daran würde sich auch so bald nichts ändern. Mit einem sachten Kopfschütteln versank sie wieder in Gedanken und ihr war, als klingele das Hundebellen noch heute in ihren Ohren ...


    Kaum hatte das Vieh begonnen, sich die Kehle aus dem Hals zu bellen, war auch schon der Nachtwächter erschienen, den Uera hinter den abgedunkelten Fenstern vermutet hatte. Lautlos hatte sie den Kopf gereckt und einen kurzen Blick über die Dachkante geworfen, sodass sie den Wächter an der Balustrade stehend ausmachen konnte. Natürlich hatte er mit seinen kleinen, trockenen Schweinsäuglein im schlecht beleuchteten Hof niemanden ausmachen können und sein Blick war erst gar nicht in Ueras Richtung vorgedrungen.
    "Was ist denn jetzt schon wieder?", hatte er gekeift und in den Innenhof hinabgespien. "Halt endlich die Schnauze, Drecksvieh, und bell erst wieder, wenn wirklich etwas passiert!"
    Schließlich war er laut fluchend wieder im Haus verschwunden, hatte die Tür hinter sich zugeworfen. Ueras Mundwinkel zuckten zufrieden nach oben. Nicht verriegelt. Wie nachlässig.
    Bevor sie es jedoch wagte, sich zu rühren, hatte sie noch abgewartet, ob der Nachtwächter an der Hintertüre erscheinen würde, um dem Hund eigenhändig das Genick zu brechen. Er schien das ohrenbetäubende Bellen ignorieren zu wollen.
    Das Tier hatte ihre Witterung aufgenommen, dessen war sich Uera sicher. Es verursachte einen solchen Krach, dass es Uera gleich war, dass es laut rumpelte, als sie nach einem gewagten Sprung vom Dach auf dem Balkon landete. Sie warf dem tobenden Tier einen spöttischen Blick über das Geländer zu. Armes Tier. Niemand versteht dich.
    Sie öffnete die Türe, die der Wächter erst vor wenigen Augenblicken zugeworfen hatte, einen Spalt weit und gleich einem Schatten glitt sie in den dahinterliegenden Raum, lauschte nach den verebbenden Flüchen des Nachtwächters, der sich auf der Treppe ins obere Geschoss bewegte und widmete sich dann in aller Ruhe dem Interieur des Anwesens.
    Uera erinnerte sich daran, wie jedes einzelne Textil im Inneren nach dem Rauch des Schattenkrauts gestunken hatte, wie der eigenartige Geruch schwer in der Luft gehangen hatte. Das Bellen des Hundes war nur gedämpft zu hören gewesen, sodass das Ticken einer wertvollen Standuhr an ihr Ohr drang. Ein Arbeitszimmer. Und an der Wand über dem ausladenden Schreibtisch hatte sie das erste Schmuckstück entdeckt: einen fremdländisch wirkenden Säbel, dessen metallene Scheide über und über beschlagen und mit Rubinen besetzt war. Die Schneide des Säbels wirkte schon aus Entfernung stumpf, doch ein zartes Muster verriet den gefalteten Stahl. Eine rote Tassel hing staubig vom Griff hinab. Protzig, unhandlich und vermutlich schon lange unbrauchbar, aber sorgfältig gefertigt. Anerkennend war ihr Blick über die Waffe gewandert, doch Uera hatte den Säbel getrost hängen lassen. Ihr stand der Sinn nach brauchbaren Waffen. Nach Klingen, die Leben rauben konnten. Und nach den edlen Steinen, welche die Frau des Sammlers in ihren Gemächern horten musste, wenn sie den Geschichten Glauben schenken konnte.

  • "Zehn ???? TAGE ???????????" Mit einer Mischung aus tiefstem wütenden Grollen und einem kaum merklichen Hauch von Verzweiflung waren die Worte der hünenhaften Gestalt entfahren, die sich dabei mit einer raschen Bewegung, die man dem Riesen im ersten Moment schwerlich zugetraut hätte, zu dem Zwerg umgedreht hatte. "Das! ist! zu! lange!" Voller Zorn hämmerte er seine Faust auf eine alte hohe Truhe, vor der er gestanden und einige Arbeiten des Schmieds betrachtet hatte, die dort an der Wand darüber aufgehangen waren. Das konnte er hier gefahrlos tun, denn die Truhe war mit geschmiedeten Beschlägen eingefasst und der Schmiedemeister, der die Hände über seinem beachtlichen Bauch gefaltet hatte und den Wüterich mit leisem Schmunzeln betrachtete, verstand sein Handwerk.


    "Seht, mein zorniger Kunde...." sagte der zwergische Schmiedemeister und sein Schmunzeln vertiefte sich etwas. " ... Euer Schwert ist entzwei gebrochen. Es ist eine hervorragende Arbeit eines meiner verehrten Brüder - aber es bedarf sorgfältiger Arbeit, um es wieder in seinen hervorragenden Zustand zurück zu versetzen. Es ist möglich - aber es braucht diese Zeit. Wenn die Bruchstelle nicht mehrfach geschmiedet wird und zwischendrin immer wieder ausreichend Zeit zum Aushärten bekommt ......" der mächtige lange Bart des Zwergs wippte bedauernd im Kopfschütteln seines Trägers hin und her. Dabei war Meister Xoron seinem ungeduldigen Kunden durchaus zugetan.


    Er konnte sich für die Augen der Welt verhüllen, wie er wollte. Einen Zwerg konnte er damit nicht täuschen. Nicht nur der ungewöhnlichen Größe oder der massigen Gestalt wegen. Schon dieses steife arrogante Gehabe mit dem er sich ziemlich vergeblich um eine gängige, ihm fremde, Höflichkeit bemühte und dieses ständig im Hintergrund schwelende Temperament, dass er nur so mühsam - oder auch nicht - beherrschte, waren für Meister Xoron Beweis genug gewesen. Obwohl er selbst noch nie zuvor einen gesehen hatte. Die Oberfläche mochte dieses Volk fast vergessen haben - wahrschenlich war es auch besser so - aber in den Legenden und Geschichten aller Zwerge existierten sie immer noch. Unrühmlich war ihr Part in dem entsetzlichen Krieg gewesen. Und nur das Volk der Zwerge hatte danach langsam festgestellt, dass man mit diesen eigenartigen Geschöpfen .... Schöpfungen ..... durchaus auskommen konnte, wenn man ein paar Dinge beachtete. Elegant das tiefe Misstrauen ignorierte, dass sie allen anderen Völkern gegenüber an den Tag legten, sich nicht an der Verachtung stieß, mit der sie die Welt der Oberfläche betrachteten und ihr unendlich überzogenes Selbstbild und Ehrgefühl, an dem sie beinah zu ersticken drohten, nicht beleidigte, mit dem sie permanent bemüht waren, diese brodelnde ohnmächtige Aggressivität, die in ihnen steckte, zu kontrollieren.
    Nun ja ... wenn man bedachte, dass sie von Drachen abstammten........
    Vielleicht war es besser für alle, dass sie die Abgeschiedenheit gewählt hatten. Die meisten Personen mochten Reptilien nicht, wegen ihrer starren Unbeweglichkeit und dieser irritierenden Geschwindigkeit, mit der eine Schlange oder eine Eidechse dann doch wie aus dem Nichts heraus agierte. Und das als zwei Meter hohe Erscheinung mit mindestens 200 Pfund Gewicht ?
    Aber Meister Xoron wusste augenblicklich, dass er einen Drak'khir vor sich hatte. Und betrachtete ihn mit nicht geringer Neugier.


    Allerdings war es nun wohl an der Zeit, zu zeigen, dass er sich in sein Metier und die Ehre seiner eigenen Kunst auch von einem brodelnden zornigen Drak'khir nicht würde hineinreden lassen.
    " .... dann wird dieses Schwert nie mehr zu altem Glanz und alter Zuverlässigkeit zurück finden. Es ist Euch überlassen. Ich könnte Euch zweifelsohne ein vergleichbares Schwert neu schmieden - aber auch das nähme zehn Tage in Anspruch. Und Ihr seid nun einmal nicht mein einzigster Kunde. Aber wenn Ihr Pfusch wollt, dann seid Ihr in meiner Schmiede verkehrt !" Meister Xoron's Stimme zeigte unmissverständlich an, dass dieser Rauswurf ernst gemeint war. Für einen Augenblick befürchtete er fast, doch einen Schritt zu weit gegangen zu sein. Ohne jedes Blinzeln wurde er von goldbraunen Augen mit geschlitzen Pupillen fixiert, das Beben der breiten tiefen Brust seines Gegenübers war sogar durch den Umhang hindurch deutlich zu sehen. Die Hand auf der Truhe zitterte.


    Es dauerte mehrere Sekunden - einer Unendlichkeit gleich, wenn man ungewiß auf den Vulkan starrt und nicht zu sagen vermag, ob er ausbrechen wird oder nicht - bis die Gestalt des Hünen sich straffte. "Zehn Tage.", sagte er mit mühsam unterdrückter Wut. "Was bekommt Ihr für Eure Arbeit, Schmiedemeister, wenn ich zusätzlich ein Messer erwerben möchte ?"
    Meister Xoron's freundliches Lächeln kehrte in sein bärtiges Gescht zurück, denn er war klug genug, die gezollte Hochachtung, die seiner Arbeit da gerade in mehr als unscheinbaren Worten dar gebracht worden war, zu erkennen. Die Daumen seiner immer noch gefalteten Hände begannen, um einander zu kreisen, während er überlegend die Lippen schürzte. "Zwölf Goldstücke. Messer führe ich nicht - aber einen Dolch sollt Ihr bekommen, der Euch Euer Messer nicht wird missen lassen. Und 18 Goldstücke bekomme ich als Vorleistung für meine Schmiedearbeiten. In acht Tagen könnt Ihr es abholen."


    Wohlwollend sah Meister Xorron zu, wie der Riese ohne Widerrede und auch ohne jedes Anzeichen dafür, dass er die verkürzte Verarbeitungsdauer überhaupt registriert hätte, eine überaus prallgefüllte Geldkatze vom Gürtel unter dem Umhang hervorholte, zu ihm an die Ladentheke heran trat und ihm dreißig Goldstücke auf den Tresen abzählte. "Wählt einen geeigneten für mich aus!" herrschte er ihn in Befehlston an. Meister Xoron bekam langsam ehrlichen Spaß an diesem ungewöhnlichen Kunden. Er nickte beflissen, ging hinüber zu einer weiteren Waffentruhe und wählte eine gänzlich unverzierte aber hervorragende Waffe aus. Kurz prüfte er sie, ging dann zu seinem Schleifstein hinüber und beseitigte noch ein paar kaum merkbare Lagerspuren an der Klinge. Dem Drak'khir kehrte er getrost den Rücken. Einen vertrauenswürdigeren Kunden könnte er kaum haben, da war er sich sicher.


    Noch einmal betrachtete er seinen Kunden von oben bis unten als er ihm den Dolch reichte. Wirklich ungewöhnlich. "Ihr könnt Euer Sattelzeug hier in der Schmiede lassen solange Ihr in der Stadt verweilen müsst.", bot er ihm an. "Wendet Euch von meiner Schmiede nach rechts, geht bis zur nächsten Strassenkreuzzung und biegt dann nach links ab. Nach etwa ..." er musterte Khoor noch einmal eindringlich " 300 Schritten, würde ich sagen, kommt Ihr an ein kleines aber sauberes Gästehaus."
    Abermals fixierten ihn diese starren Augen von oben und die Sekunden quälten sich dahin. "Ich nehme Euer Angebot an Schmied." kam es irgendwann aus der Kapuze heraus, nachdem der Hüne den Dolch eingesteckt hatte, ohne ihn auch nur im Mindesten zu prüfen. Sie schienen einen großen Schritt voran gekommen zu sein.
    Unbeeindruckt und geschäftig ging Meister Xoron zu einer Ecke gegenüber der Esse und räumte einige Decken und Beschläge zur Seite. "Stellt es nur hierher.", winkte er dem Fremden und als dieser ihm Folge geleistet hatte und der schwere Sattel nebst Zaum in der Ecke verstaut war, sprach der Zwerg den Hünen abermals an. "Werter Freund - in dieser Stadt herrschen Umstände, die Euch sehr befremdlich vorkommen werden. Lehnt Pfeifen ab. Und nehmt nur Essen und Getränke entgegen, deren Fertigung Ihr mitansehen konntet oder die solcher Konsistenz sind, dass nichts hineingeschmuggelt werden kann. Und den reichlichen Inhalt Eurer Geldkatze solltet Ihr neugierigen Augen ebenfalls vorenthalten. Es ist die Oberfläche. Und ich bin am meinem Werklohn interessiert.", lächelte er verschmitzt.


    Khoor starrte den Zwerg erneut regungslos an. Ein Zwerg. Ein ......... Bekannter. Inmitten lauter fremdartigen Personen, die ihn häufig verwirrten und denen er tiefes Mißtrauen entgegen brachte - eine Person, der er von vornherein so etwas ähnliches, wie Vertrauen entgegen brachte. Schließich zog er abermals die Geldkatze hervor, griff ohne Ansehen hinein und stopfte den Handinhalt in eine Tasche seines Umhangs. Den Beutel ließ er auf seinen Sattel fallen.
    "Khoínoor Charad dek l'Bryre." sagte er mit leichter Verneigung. "Euren Name und Eure Schmiede werde ich in Ehren halten, Meister Xoron!" Damit verließ er die Schmiede ohne sich noch ein mal um zu sehen.


    Meister Xoron's Blick wanderte zu den beiden Bruchstücken des Schwertes hinüber. Was mochte sein ungewöhnlicher Kunde nur damit angestellt haben ?

  • Mit ruhigen Bewegungen und einer Lautlosigkeit, wie sie nur geübte Diebe an den Tag legen konnten, war sie den schmalen Flur hinabgegangen. Das abgewetzte Parkett wollte unter jedem Schritt ächzen, doch Ueras leichtfüßiger Gang verursachte kaum ein Geräusch.
    Der angrenzende Raum, ein geräumiges Speisezimmer, bot mit mottenzerfressenen Wandteppichen, einem wuchtigen, antiken Tisch und ebenso klobigen Stühlen nichts Interessantes für die junge Yassalar und so ging sie an der offenstehenden Türe vorbei, löschte dabei in beiläufig wirkender Manier eine den Flur erhellende Öllampe. Ihre Augen brauchten kein Licht um zu sehen.
    Die anderen Zimmer hatten sich als ähnlich uninteressant herausgestellt und so beschloss sie, sich das nächste und letzte Stockwerk und damit auch die Wache vorzunehmen. Schläfrig wie er war, hielt sie es für leicht, ihn entweder zu umgehen oder aus dem Weg zu räumen. Uera verharrte, lauschte und vernahm an der Grenze des Hörbaren ein gleichmäßiges Atmen vom oberen Ende der Treppe.
    Mit fließenden Schritten huschte sie die Stufen hinauf und tastete sich in den Raum vor. Dort saß er, dösend, in einem Sessel, die Arme auf dem Bauch verschränkt und den Kopf zur Seite geneigt. Eine weitere Öllampe flackerte von einem Beistelltisch und tauchte den Raum in ein unstetes Licht. Das Bellen des Hundes war noch immer nicht verklungen und der Schlaf der Wache wirkte nur flach. Es war also entschieden.
    Ueras Puls beschleunigte sich, während sie der Wache Schritt für Schritt näher kam. Sie hielt die Luft an und ihre Linke war fest um den Griff ihres Dolches geschlossen, als sie wie ein Schatten an die Lampe heranglitt und auch sie löschte. Er bemerkte Uera erst, als sich ihre Hand bereits auf seinen Mund gelegt hatte. Einen Wimpernschlag später ließ ein gezielt ausgeführter Schlag in die Schläfenregion die Wache kraftlos zusammensacken und halb von seinem Sessel rutschen. Uera atmete erleichtert auf. Etwas hielt sie davon ab, ein Blutbad anzurichten. Es reichte aus, wenn er bewusstlos war.
    Als er sich auch nach einer Weile nicht regte, nahm Uera ihm seinen billigen Dolch ab, wandte sich zufrieden ab und betrat das Schlafgemach des Sammlers, begann damit, Schubladen aufzuziehen und ihren Inhalt auf dem Boden zu verteilen. Es gab keinen Grund, dabei besonders leise zu sein, aber sie wollte keine Zeit verschwenden.
    Ueras Augen weiteten sich erstaunt, als sie die unterste Schublade eines Nachtkästchens öffnete. Es lag ein schlanker Revolver darin, mit einem fein ziselierten, goldverzierten Lauf und einem Griff aus schwarzem Perlmutt. In der kannelierten Trommel befand sich lediglich eine einzige Patrone, doch weiteres Wühlen in der Schublade beförderte etwas mehr Munition zutage. Gute Beute, die sie vielleicht noch heute zu viel Geld machen konnte. Uera selbst hatte sich nie mit Schusswaffen anfreunden können. Sie war eine Diebin. Wenn sie tötete, so musste es leise geschehen.
    Sich die Waffe hinter den Gürtel klemmend, sah sie sich weiter um, bis ihr Blick an einem Holzkästchen voller Intarsien hängenblieb, das vorne mit einem zierlichen Schloss zugehalten wurde. Als sie es anhob, konnte sie das Klimpern einer Kette, das Aufeinanderschlagen kleiner Steinchen und das Kullern von Perlen hören und bevor sie sich nach einem Schlüssel umsah, zog sie den Dolch. Sie setzte ihn geschickt an und öffnete das Kästchen im Handumdrehen wie man eine Auster öffnen würde.
    Uera grinste breit und in ihr wallte überschwängliche Freude auf, als sie den Inhalt untersuchte. Ein Armband, besetzt mit Brillanten und Turmalinen. Ohrringe aus blutroter Koralle und strahlend weißen Perlen und – das beste – eine kleine Sammlung verschiedener Granate, die sich einzeln gefasst an eine Goldkette reihten. Besonders der größte, fast schwarze Stein, der ein fast schon beunruhigend dunkles Leuchten besaß, ließ Ueras Herz schneller schlagen und sie konnte sich nur schwer von seinem Anblick losreißen. Ein berauschend schöner Almandin, wie sie ihn noch nie zuvor gesehen hatte.
    Ein letzter Raum noch, denn dort musste sich der Großteil der Waffensammlung befinden, dann wollte sie das Weite suchen und so ließ sie das Schlafgemach in seiner Unordnung zurück und ging in den Raum zurück, in dem die bewusstlose Wache lag.



    Ueras Stirn presste sich an die kühlen Eisenstäbe der Zelle. Sie hätte den Wächter damals gleich töten sollen. Es war das unnötige Zögern und die Unsicherheit, die sie hier her gebrachten hatten. Die Ungeduld. Aber sie hatte ihre Lektion gelernt. Nie würde sie diesen Fehler wiederholen. Niemals.
    Was war das Leben eines Trockenen schon wert?

  • Der Moment zog vorüber. Und die Geräusche der Nacht drangen wieder an seine Ohren. Irgendwo hinter ihm war ein quietschender, klobiger Karren in die Gasse eingebogen und rechter Hand hinunter glaubte Khoor, die leisen Schritte von mehreren Personen zu hören. Der leichte Kopfschmerz war wieder da und seine drangsalierten Geruchszellen in Nase und vor allen an der Zunge schrien ihm auch weiter zu, diesem Ort, dieser ganzen verfluchten Stadt so schnell wie nur möglich den Rücken zu kehren. Waren seine Sinne schon so überreizt, dass er sich Dinge einbildete ?


    Die Schritte einer einzelnen Person hallten überlaut auf dem Strassenpflaster vor ihm. Ein breitkrempiger Hut tauchte für wenige Schritte im spärlichen Licht der Öllampe auf und machte keinerlei Anstalten, dem Drak'khir vor sich auch nur irgendwie auszuweichen sondern hielt direkt auf ihn zu. Khoor spürte fast körperlich, dass diese Gestalt Ärger bedeutete. Und auch wenn es ihn echte Überwindung kostete einem so dreisten Oberflächler Platz zu machen - Khoor legte keinen Wert auf noch mehr Ärger in dieser Stadt. Seine Aufgabe war zu wichtig, er hatte einen Durchbruch erzielt - und selbst die ungeschickteste, dümmste Hand konnte einen Zufallstreffer landen. Solange er nicht angegriffen wurde ....... schon war der Drak'khir im Begriff, in die rückwärts liegende Straße auszuweichen, als ihn die Stimme aufhielt.


    "Wartet! Ich habe mit Euch zu sprechen!", kam es streng und befehlsgewohnt unter der Hutkrempe hervor. Khoor stutzte. Wer sollte ihn hier sprechen wollen ? Er kannte hier niemanden und hatte auch niemandem seinen Namen genannt, außer dem Schmiedemeister. Und der Zwerg, da war Khoor sich absolut sicher, wäre selbst erschienen, wenn es notwendig gewesen wäre. Zwerge waren mindestens genau so mißtrauisch wie die Angehörigen seines eigenen Volkes es waren.
    "Wer seid Ihr ?" fragte er lauernd zurück. Der Man blieb stehen und hob den Kopf. Seine Augen wirkten in der Dunkelheit und unter dem Hut vollkommen schwarz, vielleicht war aber auch nur der scharfe Kontrast zu den bleichen wächsernen Gesichtszügen schuld daran. Selbst Khoor zuckte innerlich vor diesem Anblick zurück. Oberflächler waren wahrhaftig nicht besonders attraktiv - aber der hier sah aus wie der Tod persönlich, obwohl - und es beunruhigte Khoor mehr als alles andere - der Geruch dieses Mannes vollkommen frei von den Ausdünstungen des Schattenkrauts war, welche fast allen anderen Einwohnern dieser Stadt unablässig aus den Poren herausquollen.


    Die schwarzen Augen fixierten den Drak'khir, vollkommen blicklos. "Es gab da vor zwei Abenden einen Vorfall." Ohne hinzusehen griffen ungesund aussehende Hände in die Innentasche des Überwurfs, holten ein Büchlein hervor und blätterten darin herum. "Ihr sollt darin verwickelt gewesen sein."
    Khoor spürte, wie leises Grollen in ihm anschwoll. "Und Ihr seid ?"
    "Ich bin Oberbefehlshaber der hiesigen Stadtwache. Ihr sollt eine Person getötet haben und eine weitere schwer verletzt." Die schwerfällige Kutsche war mittlerweile herangekommen und Khoor schickte sich gerade an, ihr den Weg frei zu machen, damit sie ihren Weg an ihm vorbei fortsetzen konnte. Doch der Kutscher hielt die Mähre an und hastig wurde die Tür des Gefährts, das mehr einem Fass ähnelte, als einer Kutsche, aufgerissen. Ein junger Mann sprang auf die Strasse. Wild fuchtelnd deutete er auf Khoor. Seine Stimme überschlug sich förmlich als er losschrie. "Das ist er, Kommandant. Dieser dort. Er muss verrückt sein. Er hat den jungen Aslirm ermordet. Und Olvlot ist nur knapp davon gekommen. Ich erkenne ihn genau. Sie müssen ihn festnehmen. Worauf warten Sie noch ???"
    Bereits beim Losschreien hatte Khoor's Brustkorb zu beben begonnen, als das Wort "ermordet" fiel machte er bereits den ersten Schritt auf den Schreihals zu - der Zorn loderte durch seine Adern. Wie konnte dieser Wicht es wagen ......


    "Halt!" der Bleiche stand vor ihm und gebot ihm Einhalt. Und Khoor blieb tatsächlich stehen, er konnte es selbst kaum glauben. Die schwarzen Augen hielten seinen Blick - doch nicht einmal dieser unheimliche Mann schien sich sicher zu sein, wie lange er den Wütendenen würde bezähmen können. "Ihr könnt gehen, junger Graf Benrock. Im Augenblick brauche ich Euch nicht mehr."
    Dem jungen Mann schien das nicht zu passen. Unschlüssig verharrte er noch neben der Kutsche als der Bleicher herumfuhr und ihm mit einen "Verschwindet!" Beine machte. Eilig rannte er davon und nur seine schnellen Schritte waren noch eine Zeitlang zu hören.
    "Wollt Ihr es Leugnen ?" die schwarzen Augen waren schon wieder bei Khoor.
    "LEUGNEN ???" schnaubte dieser empört auf. "Das ist eine ehrlose, schmutzige Lüge! Diese Männer haben ....." angesichts dieser Unverschämtheit gerieten sämtliche Kontrollen in Khoor ins Wanken.
    "Also nicht! Ihr werdet mich zur Wache begleiten."
    Drohend ging Khoor auf den Sprecher los, alle Sicherungen in ihm waren gerissen, er schäumte vor Wut und stieß den Sprecher mit der Hand grob zurück. Für eine Sekunde sah er Unglauben in dem bleichen Gesicht aufflackern, Angst. "Nirgendwohin gehe ich ......." zürnte er.


    Es war nur eine Handbewegung des Fremden im Zurücktaumeln. Etwas Schweres Massiges flog auf den Drak'khir zu. Im Fallen registrierte er die schnellen hastigen Schritte aus der rechten Straße noch bevor sein Verstand ihm sagte, dass es ein Netz aus schweren Stricken war, das da von irgendwo über ihm auf ihn hinunter geworfen worden war. Er tobte wie wild, weil er seinen Zorn nicht mehr beherrschen konnte und obwohl er wusste, dass er sich immer mehr in diese heimtückischen Maschen verstricken würde. Der bleiche Mann starrte immer noch mit einem seltsamen Gesichtsausdruck zu ihm hin aber Khoor bemerkte es längst nicht mehr. Wie ein Wahnsinniger brüllte, tobte und trat er um sich und riß er an fesselnden Stricken herum, vollkommen seiner Natur erlegen und zu keinem klaren Gedanken mehr fähig. Weitere Männer liessen sich an Stricken von den nebenstehenden Häusern herab und sahen fragend zu ihrem Kommandanten. Mit spitzen Eckzähnen zerriss der Drak'kir einen der Stricke und der Bleiche schüttelte unmerklich den Kopf. "Erledigen!", befahl er nur, steckte das Buch wieder ein und verließ den Schauplatz in die Richtung aus der er gekommen war.
    Khoor hatte kein Gefühl mehr dafür, wie viele Schläge und Prügel er in dieser Nacht an diesem Ort tatsächlich einstecken musste bis endlich einer der Knüppel trotz seines Wütens zum entscheidenden Mal die richtige Stelle erwischte und sein Körper wie leblos zu Boden sank.

  • Eine Welle der Unruhe wogte durch den Gefängnistrakt, als eine Stimme vom Ende des Flures erklang. Für einige der Insassen würde es zum Abendessen, welches üblicherweise aus Brot vom Vortag und abgestandenem Wasser bestand, etwas von dem ekelerregenden, aber sehr nahrhaften Eintopf geben. Diesen zweifelhaften Leckerbissen würden allerdings nur jene erhalten, die sich für den heutigen Abend freiwillig meldeten. Wenn sich nicht genügend freiwillig meldeten ... würden sie willkürlich Insassen auswählen. Das übliche eben.
    Uera wog die Vor- und Nachteile ab, bewegte ihre schmerzenden Glieder und kam zum Schluss, dass sie eine Pause brauchte. Der gestrige Kampf war hart genug gewesen und mehr als knapp ausgegangen. Aber es hatte sich durchaus gelohnt, dachte sie und sah auf den mit Wasser gefüllten Eimer hinab, ehe sie sich in den hinteren Bereich ihrer Zelle zurückzog. Dem Lichtstreifen in ihrer Zelle nach, war es bald an der Zeit für die erste Mahlzeit des Tages und sie konnte hören, wie mit dem Austeilen begonnen wurde.
    Als der Bursche, der stets das Essen brachte, an ihrer Zelle vorbeikam, warf er zunächst einen prüfenden Blick hinein, schob dann rasch eine Holzschüssel mit einer undefinierbaren, grauen Masse durch eine Klappe in der Gittertüre. Uera blieb wo sie war und warf nur einen bösen Blick nach ihm. Bevor er fragen konnte, was er alle fragen musste, gab sie schon eine bissige Antwort.
    "Nein."
    Auf dem Gesicht des jungen Mannes zeigte sich erst Überraschung, dann zuckte er jedoch mit den Schultern und schürzte die Lippen. "Wirklich schade … ihr Weiber kämpft wie wilde Tiere.", feixte er in süffisanter Stimme, lachte leise und ging weiter zur nächsten Zelle.
    Ich bin das wilde Tier, das dich augenblicklich mit bloßen Händen in Streifen reißen würde., grollte Uera in sich hinein und holte sich ihre Schüssel mit dem unappetitlichen Brei. Voller Unlust und Ekel stocherte sie eine Weile in ihrem Essen herum, dann stellte sie die Schüssel beiseite. Später. Nun wollte sie sich zunächst sammeln, um ihre Rekapitulation dort fortzusetzen wo sie unterbrochen wurde.



    Als sie aus der Türe des Schlafgemachs getreten und ihr Blick auf den leeren Sessel gefallen war, hatte sie das blanke Entsetzen ergriffen. Weg. Er war weg. Ihr Instinkt übernahm augenblicklich und sie erstarrte, um zu horchen, doch als sie das Rascheln von Stoff hinter sich hörte, war es bereits zu spät gewesen.
    Etwas Schweres traf sie seitlich am Kopf. Uera schrie vor Schmerz und Überraschung auf, taumelte nach vorne und stürzte auf ein Knie hinab. Sie reagierte verzögert, im selben Moment, in dem sie nach ihrem Dolch greifen und herumfahren wollte, traf sie ein Tritt mit einem schweren Stiefel ins Kreuz. Mit dem Gesicht voran kam sie auf den Holzdielen zum Liegen und nur einen Augenblick später war der Nachtwächter über ihr und fixierte sie mit einem Knie zwischen den Schulterblättern. Verflucht, warum ist er so schnell? Warum bin ich so langsam?
    "Was haben wir denn da gefangen? Eine kleine Elster.", sprach der Mann mit einer dunklen Stimme, die vor Ironie troff. Stoßartig atmete sie aus, sträubte sich, denn sie konnte hören und spüren, wie er ihr den Dolch abnahm. Unnachgiebig lastete sein Knie auf ihrer Wirbelsäule. Uera spürte den Revolver zwischen ihrem Bauch und dem Boden, wie sich das kühle Metall an ihren Leib presste. Eine Chance. Nur eine. Sie mimte die Ergebene, leistete keine Gegenwehr mehr.
    Er betrachtete ihre Klinge stumm, prüfte die Schärfe mit der Kuppe seines Daumens und war für einen Sekundenbruchteil nicht ganz bei der Sache. Der Druck ließ etwas nach. Die Yassalar spannte ihren Körper, bewerkstelligte es, sich unter dem schweren Knie heraus zu winden, sich zu drehen und ihm noch im Liegen einen kräftigen Tritt mit beiden Füßen in sein fleischiges Gesicht zu verpassen.
    Sein schmerzerfülltes Grunzen war Musik in ihren Ohren. Mit beiden Händen im Gesicht konnte er nicht sehen, wie sie sich aufrappelte, doch der Schmerz schien in rasend zu machen und noch bevor Uera halb auf den Beinen war, stürzte sich der Wächter erneut auf sie.
    Nur diesmal erstarrte er zur Salzsäule, bevor er - mit ihrem rasierklingenscharfen Dolch in der Hand - die Distanz zwischen ihnen überwunden hatte. An ihrem ausgestreckten Arm zeigte der Lauf des schlanken Revolvers auf ihn, das Spannen der Waffe klang bedrohlich leise, ihr Finger legte sich sanft an den Abzug. Sie verstand nicht viel von Schusswaffen, aber so weit reichte ihr Wissen. Langsam richtete sie sich zu ihrer vollen Größe auf.
    „B-b-bitte … nicht schießen!“, stammelte der Wächter und seine Augen waren schreckgeweitet, das viele Weiß leuchtete hell im Dunkeln. Klappernd fiel der Dolch zu Boden. Uera fluchte in Gedanken, welche rasend auf eine Entscheidung drängten, denn der Mensch hatte sie gesehen, würde sie vermutlich wiedererkennen und das bedeutete nichts Gutes. Für einen Moment blieb sie einfach stehen, unschlüssig, unfähig auch nur einen Schritt zu machen oder ein Wort zu sagen. Warum denkst du noch nach? Schieß!
    Ueras Arm begann leicht zu zittern, kalt lagen ihre Augen in denen des Menschen. Seine Hände wollten in die Luft wandern, doch Uera hatte längst die Geduld und die Nerven verloren.
    Der Schuss zerriss die Stille der Nacht und der Hund vor der Türe jaulte so laut auf, dass man denken konnte, jemand hätte auf das Tier geschossen. Tatsächlich jedoch war es der Nachtwächter, der wie ein nasser Sandsack zu Boden fiel, regungslos vor Ueras Füßen liegen blieb und ihren Dolch unter sich begrub. Der Rückschlag der Waffe hatte Uera relativ unvorbereitet getroffen und greller Schmerz durchzuckte ihren Arm vom Handgelenk bis zur Schulter.
    Wie vom Donner gerührt und mit knisternden Geräuschen in den betäubten Ohren konnte sie sich nicht bewegen, bis plötzlich das Leben in sie zurückkehrte und sie rauschend nach Luft schnappte. Nichts wie weg von hier. Sie packte das Treppengeländer und schwang sich mit einer abenteuerlichen Bewegung darüber hinweg, direkt auf die Stufen, die sie sogleich herunterjagte. Sie konnte mit ihrem Arm nicht klettern, an der Hintertür lauerte tobend der Hund. Einen Moment später war sie durch die Vordertür gestürmt, hinaus auf die Straße.
    Sie flog durch die Stadt, jagte kreuz und quer durch die Gassen, alles, nur weg von dort, bis sie völlig außer Atem war. Schreie wurden laut. Versteck dich. Sie spürte, dass sie verfolgt wurde. Sie rettete sich in eine verwilderte Böschung, in den tiefsten Schatten, den sie finden konnte, rang nach Luft. Ihr Kopf schwirrte. Völlig verdattert bemerkte sie, dass sie den Revolver noch immer in der Hand hielt. Wie ferngesteuert schob sie ihn wieder hinter den Gürtel.
    Als sie nach einiger Zeit wieder zu Atem gefunden hatte und aus dem Gebüsch kletterte, bemerkte sie, dass sie von Kopf bis Fuß in Schweiß gebadet war und überall Blätter an ihr klebten. Und, dass direkt vor ihr eine Stadtwache mit einer Hellebarde stand, die wie zufällig direkt auf ihre Brust gerichtet war. Ihre Miene entgleiste und zeigte ein Abbild schierer Verzweiflung.
    "Vorsichtig jetzt.", sagte der ältere Mann bedächtig und setzte die Hellebarde auf, sodass die Spitze den Stoff ihrer Kleidung durchdrang. Uera konnte sie auf der Haut spüren. Er würde sie hier und jetzt abstechen, da war sie sich sicher. Sie hatte verloren. Vor lauter Zorn traten ihr Tränen in die Augen. "Leg die Waffe auf den Boden, Schätzchen. Ganz langsam."



    Man hatte sie verurteilt, doch weder hatte man sie richtig angehört, noch hatte man geprüft, ob die Pistole überhaupt diejenige war, mit welcher geschossen wurde. Nicht, dass sie eine Chance gehabt hätte, freigesprochen zu werden … aber dass die gestohlenen Wertgegenstände eindeutig dem Sammler zugeordnet werden konnten, hatte man dankbar als überführendes Indiz angenommen und Uera eingebuchtet.
    Grimmig sah sie auf ihre Hände hinab, ballte sie zu Fäusten. Dieser Tag vor exakt 465 Tagen kam ihr so fern und surreal vor, dass es ihr an manchmal schwerfiel, ihrer Erinnerung Glauben zu schenken. Es war dumm von ihr gewesen, zu schießen. Sie hätte ihn gleich zu Beginn aus dem Weg räumen sollen, schloss sie ein weiteres Mal und wandte sich dann mit einem brütendem Ausdruck dem Brei zu, den sie noch zu essen hatte.
    Nicht mehr lange. Bald würde sie dieses Loch endlich hinter sich lassen.

  • Betretenes Schweigen war auf dem Kampfplatz in der dunklen Gassenkreuzung eingekehrt, nachdem es endlich vorüber war, nur unterbrochen von dem schmerzerfüllten Wimmern eines Mannes, bei dem zwei seiner Kameraden knieten und versuchten, die starke Blutung seines Unterschenkels zu stoppen, den Khoors Zähne zerfleischt hatten. Der Unvorsichtige hatte sich bei seiner Annäherung zu sehr auf das behindernde Netz verlassen. Aber wer rechnete schon damit, dass ein Gefangener um sich beissen würde, wie ein irrsinniges Tier und fast ebensolche Reißzähne sein eigen nannte. Ein Hauptmann in mittlerem Alter bedeutete zweien seiner Leute, die Lanzen bereit zu halten, bevor er berherzt zu dem reglosen Körper hintrat und diesen von den Überresten des Netztes befreite. Kopfschüttelnd betrachtete er die zerfetzten Maschen. "Draht!", war sein leiser Befehl und unverzüglich stürzte ein weiterer Mann zur Kutsche hin, um das Verlangte herbei zu schaffen. Sorgfältig fesselte der Hauptmann Arme und Beine des Bewußtlosen. Nach der Verrichtung bemerkte er erstaunt, dass der Mann noch immer neben ihm stand und auf den Gefesselten hinunter starrte. "Alles in Ordnung, Soldat ?", fragte er streng. Der reagierte noch immer nicht, nur sein Arm hing in merkwürdigem Winkel am Körper hinab, Blut tropfte auch das Pflaster und der Kommandant griff danach. Wortlos betrachtete er die zerstörten Sehnen des Unterams, vermutlich stand der Mann so unter Schock, dass er es selbst noch gar nicht registriert hatte, dass er wahrscheinlich zum Krüppel geworden war. Das leise Stöhnen zu seinen Füssen riß den Hauptmann aus seinen Gedanken. "Ins Verließ mit ihm. Schnell! Verhörraum!", ordnete er an und wer nicht verletzt war, beeilte sich, seiner Anordnung Folge zu leisten und den wiedererwachenden Gefangenen in die Kutsche zu bugsieren. Hasserfüllt waren die Augen des Hauptmanns in der Zwischenzeit dem Weg des blassen Mannes mit den schwarzen Augen gefolgt. Zwei Männer schwer verletzt, einer vielleicht nicht mehr zu retten ........... und wofür ? Für die lächerliche weiße Weste eines verwöhnten reichen Knabens, von dem ohnehin jeder wußte, dass er sich mit seinen zweifelhaften Kumpanen des Nachts in den Gassen herum trieb, Leute überfiel, zusammenschlug und Frauen vergewaltigte.
    Vor Bitterkeit bemerkte er erst jetzt, dass die andere Kutsche von der unteren Gasse her herangerumpelt war und in etwas Abstand angehalten hatte. "Ins Hospital!" warf er den beiden zu, die sich um den am Boden Liegenden kümmerten und griff selbst nach dem gesunden Arm des neben ihm stehenden Mannes, der immer noch mit glasigem Blick auf die nun leere Stelle auf dem Straßenpflaster starrte und stütze ihn auf dem Weg zur zweiten Kutsche. "Eilt Euch!" wies er seinen Kutscher an.


    Der Morgen dämmerte bereits als der Hauptmann sein Pferd durch das Tor in den kasernenartigen Hof lenkte und vor dem Hauptgebäude, an welches sich auch ein Teil der unterirdischen Verliesse anschloß, absass und mit knappen Kopfnicken zu den Wächtern hinein eilte. Er hasste diesen Ort. Und er verabscheute auch die Freiwilligen, die sich für den Dienst an diesem Ort meldeten, auch wenn er wusste, dass in den Zellen genug brutales Gesindel schmorte, dem man nichtmal den Bruchteil einer Sekunde lang den ungeschützten Rücken zukehren durfte. In der Wachstube sassen ein paar Aufseher beisammen. Ihre Köpfe fuhren herum als er eintrat und einer sprach ihn an. "Da habt Ihr einen besonderen Fang gemacht, Hauptmann!" Gröhlende Zustimmung und schmieriges Gelächter begleiteten die Worte und signalisierten die Zustimmung seiner Kumpanen. "Eine Mißgeburt sondergleichen - kein Wunder, dass er verrückt ist. Hat man ja häufiger bei sowas."
    Ein grinsendes Nicken folgte auf den stummen fragenden Blick des Hauptmanns und er setzte seinen Weg ohne Unterbrechung fort in das Verhörzimmer hinein. Welchen Anblick er erwartet hatte, wußte er selber nicht - diesen jedenfalls nicht. Und er begriff unverzüglich, was die Wache gemeint hatte. Sie hatten den Mann entkleidet, zumindest bis auf die Beinkleider - der normale Sicherheitstandard hier. Und er sah tatsächlich aus wie eine bizarre Mischung aus Mensch und Reptil - Schuppen bedeckten seinen Körper, die in allen Farben des Bernsteins schimmerten, sogar sein Gesicht war entstellt. Er war immer noch gefesselt und der Hauptmann ließ sich auf die Knie herab, um die gebräunte Haut an der Innenseite des Oberams zu berühren - nur um festzustellen, ob es auch tatsächlich Haut war. Ein wirklich grauenvoller Anblick - kein Wunder, dass der Kerl sich so verhüllte. Aber - die Gesichtszüge waren trotz der Schuppen menschlich und auch seine Physiognomie schien humanoid zu sein. Die Nase war in jedem Fall gebrochen. Und am Kinn klaffte eine Platzwunde, vermutlich von dem Schlag, der ihn endlich niedergestreckt hatte. Ansonsten schien er unverletzt zu sein sofern nicht noch irgendwelche Knochen gebrochen waren. Etwas misstrauisch beäugte der Hauptmann den Gefangenen. Hatter er sich nicht bereits draussen schon wieder bewegt und leise gestöhnt ? Sein Blick fiel auf die ihm abgenommen Habseligkeiten, die abseits auf einem Tisch lagen. Ein Dolch und ein paar Münzen. Nicht sehr aussagekräftig.
    Unentschlossen erhob er sich wieder. Seine Zeit war knapp bemessen und er sorgte sich um die beiden Verletzten. Was sollte er hier solange der Kerl nicht vernehmungsfähig war ? Oder so tat als ob er es nicht sei.
    Vielleicht würden ein paar Tage Haft ihn ruhiger machen. Und einsichtiger. Ganz sicher war der Hauptmann sich nicht. Ob man überhaupt mit ihm sprechen konnte ? "Ich komme wieder!", sprach er dennoch laut vernehmlich zu der reglosen Gestalt am Boden und verließ das Zimmer.
    "Einbuchten!", befahl er dem Ensemble in der Wachstube knapp. "Und losbinden - ich sehe die Tage noch einmal nach ihm." Mit diesen Worten eilte er hinaus und jagte das Pferd wieder in die Stadt hinein, drängenderen Pflichten entgegen..


    Einen Strick um die Beine gewickelt zerrten drei Mann den Drak'khir die steinerne Treppe hinunter und ein paar Gänge entlang n das Herz des unterirdischen Gewölbes hinein. Vorbei an zahlreichen vergitterten Türen, immer weiter bis an das Ende eines Ganges. Der Vorderste öffnete den Ziehenden die Tür weit genug und während die anderen Khoor in die Zelle hieften, schlug er mit einem Metallstab klirrend gegen die Gitterstäbe der gegenüberliegenden Zelle und zog den Stab schnell hin und her, was ein schrilles Kreischen entstehen ließ. "Bleichbacke!" rief er hämisch grinsend in die Zelle hinein. "Besuch für Dich. Noch ein Monster!" und lachte irre. Die drei anderen lösten den Draht um Khoors Extremitäten und liessen ihn auf dem Boden liegen. "Den wuchte ich nicht noch auf die Pritsche." murmelte einer. "Wozu auch ? Tiere gehören auf den Boden." Sie verliessen die Zelle und einer schlug dem Musizierenden mit der flachen Hand auf den Hinterkopf. "Lass sie in Ruhe." Sein Gesicht presste sich gegen die Stäbe. "Sie war doch braaaaaaaav!", verspottete er die Frau darin. Unter derben Scherzen traten die Männer den Rückweg an.
    Als die Gittertür ins Schloß gefallen und der Schlüssel sich quietschend umgedreht hatte, öffnete Khoor augenblicklich die Augen. Düster war es, feucht und kalt. Fast eine Wohltat. Schritte entfernten sich und er hob den Kopf. Eine weiße Frauengestalt stand in einiger Entfernung, ihre Umrisse waren undeutlich, verzerrt und so sehr der Drak'khir sich auch bemühte - das Bild blieb unscharf und zittrig.
    Ein Geist ....... Khoor schloß die Augen und sein Kopf sackte wieder zurück. Besser, er blieb noch etwas ruhig liegen, anscheinend hatte es ihn doch härter erwischt als er gedacht hatte .....

  • Das Geräusch eines schweren, weichen Gegenstandes, der schleifend über den Steinboden gezogen wurde, ließ Uera von ihrer Schüssel aufsehen. Ihr Blick ging zu den Gitterstäben. Was sich zunächst nach einem riesigen Zementsack anhörte, den die drei Männer hinter sich her zerrten, entpuppte sich als ein erstaunlich großer, muskulöser, aus irgendwelchen Gründen seltsam wirkender Körper. Ihre Augen leuchteten aus dem Dunkel der hintersten Ecke der Zelle den Männern entgegen, die den Leib eines neuen Insassen in seine Zelle hievten. Direkt gegenüber. Stumm fluchend erhob sich von ihrer Pritsche, blieb jedoch zurück. Nicht schon wieder. Sie hatte keine Lust auf einen neuen Zellennachbarn.
    Das metallische Klirren und Kreischen der Stange an ihrem Gitter tat in ihren Ohren weh, ließ eine steile Falte zwischen ihren Augen entstehen, doch sie bemühte sich, nicht all zu gequält zu wirken. Stumm fasste sie den Mann in ihren starren, stahlgrauen Blick. Es bereitete diesen Leuten so unvergleichlich viel Freude, sie zu schikanieren.
    Bleichbacke! Unbemerkt trat ein feindseliges Funkeln in ihre Augen, als er das Wort an sie richtete. Besuch für Dich. Noch ein Monster! Ueras Hand verkrampfte sich ohne ihr Zutun um die hölzerne Schüssel und den darin befindlichen Löffel und vor ihrem inneren Auge entstanden lebhafte Bilder davon, wie sie der Trockenhaut den ungenießbaren Brei eintrichtern würde und ihm dabei zusehen würde, wie er jämmerlich daran erstickte. Braaaaaaaav … brav aufessen!


    Äußerlich wirkte die Yassalar so gleichgültig als hätte sie die Worte nicht gehört und tatsächlich vernahm sie statt der derben, schon tausende Male gehörten Witze nur ein undefiniertes Murmeln, ohne darin die Konturen einzelner Worte zu erfassen.
    Als sich die Männer entfernt hatten, trat sie schließlich näher an das Gitter, sah mit eisiger Miene hinüber in die andere Zelle. Tatsächlich, der Kerl, der dort drüben am Boden lag, erinnerte auch sie an ein Tier. Uera konnte ovale, schillernde Schuppen an seinem Leib ausmachen. Anders als ihre Schuppen. Die eigenen, schwarzen und silbernen Schuppen waren fein, fast unsichtbar, glatt in die eine Richtung und rau wie Schleifpapier in die andere. Die des fremden Geschöpfes dort drüben wirkten glatt und kalt wie Schlangenleder. Plötzlich hob es den Kopf, sah sie an und Uera wurde schlagartig ein wenig übel.
    Unsicher, ob es an den zuvor mühevoll heruntergewürgten Breiklumpen oder an dem seltsam gestalteten Kopf lag, konnte sie sich nicht entscheiden, ob sie wegsehen oder phasziniert starren wollte. Eine morbide Neugier heftete ihren Blick auf das Gesicht, machten es unmöglich ihn abzuwenden. War seine Nase gebrochen, oder sah sie immer so aus? Und was hatte es für Auswüchse an seinem Schädel? Es sah aus wie ... Knochen?
    Die goldbraunen, geschlitzten Augen des … Wesens … schlossen sich wieder und der Kopf sackte zurück auf den Boden. Dankbar darüber, dass es vorerst nicht sprach, blieb Uera in der Nähe des Gitters, lehnte sich an die Mauer und aß weiter, ließ ihren Blick unverhohlen über die am Boden liegendene Gestalt gleiten. Mit einem derart ... ungewöhnlichen Zellennachbarn hatte sie nicht gerechnet, es versprach doch interessant zu werden und sie nahm die stillen Flüche zurück.
    Was in aller Götter Namen hatten sie da nur gefunden? Und vor allem wo? Vielleicht sollte sie einfach fragen … wenn es denn sprechen konnte ... und wenn es wieder ganz bei Bewusstsein war.

  • Khoor's Geist war zunächst tatsächlich wieder in die Bewusstlosigkeit hinüber geglitten. Immer wieder tauchte er für Augenblicke daraus hervor, fand aber keinen Halt im Erwachen, immerzu schien es in ihm zu vibrieren, aber ...... Vielleicht war die Anstrengung zu groß gewesen, in dem grell erleuchteten Zimmer, in dem er zunächst zu sich gekommen war, wach zu bleiben und zu erfahren, was überhaupt mit ihm geschehen war, geschehen sollte. Vielleicht hatte es auch zuviel Kraft gekostet, regungslos zu ertragen, wie sie ihm sein Tuch herab gezogen hatten, die Kleider vom Leib geschnitten hatten. Eine Schmach, die fast schwerer zu ertragen war als die Gefangennahme selbst. Behandelt, wie ein ehrloser Hochverräter, wie Abschaum. Ein Mann, der zurück kommen würde. Vielleicht hatte auch die Treppe ihm den Rest gegeben, denn irgendwann hatte er den Kopf einfach nicht mehr halten können auf dem Weg hinab.
    Zerrissene Bilder und Wortfetzen zogen an ihm vorbei. Überwältigender Zorn. Und pechschwarze Augen. So mächtig. Aber ..... auch Angst ? Oder war es die Angst inmitten der Schreie gewesen ? Schreiende Männer und Schläge. Unendlich viele Schläge. Und warmes süßes Blut in seinem Mund. Viel Blut. Und immerzu diese Schreie.... und dieser vibrierende Wut in sich, die alles in eine blutrote Wolke getaucht hatte. Würde das Vibrieren denn nie aufhören ?


    Irgendwann konnte er den dumpf pochenden Schmerz im Gesicht nicht mehr ignorieren und machte es als den wahren Grund für dieses Vibrieren aus. Dennoch blieb er mit geschlossenen Augen liegen und machte eine Bestandsaufname seines Körpers. Füße, Beine, Unterkörper, Arme Finger - alles sprach an auf den Appell seines Verstands. Alles noch da und funktionstauglich. Sogar der leichte Schmerz war erträglich, der natürliche bernsteinfarbene Schutz hatte ihn - mal wieder - vor übleren Folgen bewahrt. Es war immer noch kalt und klamm um ihn herum, aber das war eher etwas Bekanntes, Vertrautes. In der Tiefe der Erde gab es diese Orte auch - man mußte sehr viel weiter hinab, bevor Wärme aus der Tiefe zu spüren war. Aber er roch fast nichts. Etwas gereizt wandte er seine Aufmerksamkeit dem Versager zu. Die leise Bewegung im Gesicht ließ ihn vor Schmerz leise zischen und er öffnete den Mund. Der Geruch von Ausscheidungen und ungewaschenen Körpern drang unvermittelt auf ihn ein und Khoor schloß den Mund augenblicklich wieder. Widerlich ! Langsam hob er den linken Arm, bewegte alle fünf Finger dabei und erinnerte sich, dass auch die Handschuhe ...... er würde vorsichtig sein müssen. Behutsam tastete er über den schuppigen Nasenansatz und tiefer, bis er an den Knick kam, der vorher nicht dagewesen war. Grimmig setzte er je zwei Finger rechts und links an, darauf bedacht, nicht die Klauen ins Fleisch zu drücken - und ruckte den Rest der Nase in seine ursprüngliche Position zurück. Der Schmerz eplodierte grell und übermächtig hinter seiner Stirn und seinen Augen und ein grimmiger Wutschrei brach aus seinem Brustkorb hervor. Der Geschmack und der Geruch von warmen Blut waren erneut überdeutlich in seinem Mund, der Arm fiel unbeachtet wieder neben seinen Körper und für einen Moment taumelte Khoor abermals an dem schmalen Grat entlang, der zwischen Bewußtsein und Ohnmacht stand. Es erschien dem Drak'khir wie eine Ewigkeit, bis der Schmerz abflaute und nur noch ein dumpfes Pochen zurückließ. Kopfschmerz. Khoor begrüßte ihn fast wie einen alten Vertrauten, denn diese Stadt schien es ohne ihn nicht zu geben. Langsam winkelte er die Ellbogen an, um sich aufzurichten und öffnete nun auch die Augen. Dunkel war es und seine Pupillen brauchten etwas länger als sonst, um sich den eigentlich vertrauten Lichtverhältnissen anzupassen. Wo war der Geist, den er gesehen hatte, kurz bevor ..... ? Khoor's Blick ging geradeaus. Gitterstäbe vor ihm. Und dahinter gleich noch einmal. Und dort im Dämmerlicht hockte tatsächlich eine ungewöhnlich helle Gestalt. Kein Geist - Khoor begriff, dass sein halb bewusstloser Verstand nicht mehr in der Lage gewesen war, die Gitter zu erkennen und deshalb der verzerrten unscharfen Illusion erlegen war, der Körper sei durchscheinend gewesen an manchen Stellen. Auf der einen Seite waren ebenfalls Eisenstäbe, ohne weitere Zelle daneben - zur anderen Seite wurde sein Blick durch eine Felswand begrenzt.


    Ein Käfig ! Sie hatten ihn tatsächlich wie einen Wahnsinnigen oder Ehrlosen in einen Käfig gesperrt. Khoor's Arme begannen zu zittern vor Groll. In den sechs Monaten an der Oberfläche hatte er gehört, dass es Orte gab, wo Verbrecher eingesperrt wurden - sie passten zu seinem Bild von den Oberflächlern. Aber selbst darin zu sein....... Es war die größte Beleidigung, die diese verhasste Oberfläche ihm hatte antun können. Khoor verspürte den brennenden Wunsch, diesen ganzen Schandfleck von Stadt in Schutt und Asche zu legen - und selbst das war nicht annähernd Genugtuung genug. Wenn er die Zeit hätte........ Zeit .... Zeit .........er hatte keine Zeit. Er musste...........
    Es war der Gedanke an seine Heimat, seine Aufgabe, sein Volk, das auf ihn zählte, der es tatsächlich schaffte, die Wut zurück zu drängen. Er musste hier heraus!
    Außer der weißen Gestalt gegenüber war keine andere Person zu sehen und Khoor sah wieder zu ihr hin. Sie starrte zurück. Ohne den Blick von ihr abzuwenden, drückte Khoor sich eine sitzende Position hinauf. Hier und da protestierte sein Körper unter leisem Schmerz, aber gerade war er willkommen. Er hielt ihn wach und seine Sinne im Hier und Jetzt als es ihn leicht schwindelte.
    Im stummen Duell ihrer Blicke erkannte Khoor jetzt mehr Einzelheiten seines Gegenübers. Sie schien weiblich zu sein. Ihre halblangen silbrigen Haare und auch ihre Kleidung wirkten angesichts dieses Ortes unerwartet sauber, aber das hervorstechenste Merkmal an ihr war diese ungewöhnliche blasse, fast weiße Haut. Was für einer Art mochte diese Oberflächlerin angehören ? Khoor straffte sich sich im Sitzen ohne den Blick von der weißen Gestalt abzuwenden. "Mein Name ist Khoínoor Charad dek l'Bryre." erklang seine tiefe sonore Stimme durch das Gewölbe, auch wenn sie durch seinen staubtrockenen Hals und das viele Blut im Mund von ihrer Klangfarbe einbüßte. "Erweist Ihr mir die Ehre eines Gesprächs ?" Egal, was diese Oberfläche ihm anzutun gedachte, niemals - NIEMALS ! - würde es ihr gelingen, dass ein Drak'khir seinen Kodex vergaß.

  • Für eine lange Zeit tat sie nichts, als ihn zu beobachten und mechanisch ihre Schüssel leer zu essen. Ihre ausgehungerten Sinne stürzten sich geradezu auf dieses neue Objekt und selbst als sie die Schüssel geleert hatte, blieb sie stehen und starrte ihn weiter untätig an. Es gab nichts zu tun.
    Zwischen diesen Mauern und Gittern wurde jeder neue Tag zu einer immer blasser werdenden Kopie des vorhergehenden. Nach kurzer Zeit hatten sich die Sinne schon an den wenigen Eindrücken sattgespürt und lechzten nach mehr, nach etwas neuem, dass sie verarbeiten durften. Bald begannen sie damit, sich selbst zu beschäftigen. Von den rauen Steinen schienen Gesichter hinabzusehen, jede Kerbe wurde ein hämisch verzogener Mund, jedes Loch ein starrendes Auge, das sich niemals schloss.
    Innerhalb weniger Wochen begann das Hirn damit, Situationen zu kreieren, die niemals stattgefunden hatten, noch jemals stattfinden würden. Ereignisse verschiedener Tage verschmolzen nahtlos miteinander, vernichteten alles, was von einem Zeitgefühl noch geblieben war. Der Wahnsinn klopfte leise an und nahezu jeder riss ihm weit die Tore auf.
    Was sich zunächst als lästige, aber halbwegs erträgliche Langeweile ankündigte, wurde bald jedem hier zur unerträglichen Qual, trieb so manchen dazu, rastlos auf und ab zu gehen, unaufhörlich, unermüdlich, stumpfsinnig in ihren Zellen umherzuwandern wie gefangene Tiere.
    Und nichts anderes sind sie., dachte Uera und widmete dem Echsenmann einen letzten Blick, bevor sie sich auf den Boden setzte und den leeren Blick an die Wand richtete. Und sie nannten Uera ein Tier? Weil sie sich nicht beugen ließ?
    Ihr eigener Geist hatte ähnliche Spiele mit ihr treiben wollen, doch sie hatte ihn schon oft genug in ihrem Leben dabei beobachtet, kannte ihn gut genug um sich mühelos über seine Tricks hinwegzusetzen. Uera hatte schon vor Jahren gelernt, ihre Empfindungen in die Falle zu locken, sie einzukapseln, tief in sich zu vergraben und sich stattdessen an Mustern festzuhalten, die unverrückbar waren. Tief in diese Teilnahmslosigkeit versunken, ließen sich mit einem Mal Dinge ertragen, die zuvor unerträglich schienen. Es war eine List, eine Technik, die nur wenige hier zu beherrschen schienen.
    Routinierte Abläufe gaben ihr Halt in der Leere. Dinge, wie die Rekapitulation von Fakten, die sie als richtig kannte und das Erinnern an möglichst viele Details, an das, was sie hier her gebracht hatte, beschäftigte ihren Kopf.
    Liegestützen, Rumpfbeugen, Klimmzüge, Schattenboxen … all das beschäftigte ihren Körper, sorgte dafür, dass sie bei Kräften blieb und zumindest ein paar Stunden in jeder Nacht schlafen konnte. Und dann waren da natürlich noch die nächtlichen Kämpfe, tief in den Innereien des Verlieses, verborgen vor der Außenwelt doch rege besucht von deren Wesen.


    Der plötzliche Aufschrei der Echse jagte einen Schrecken durch Ueras Glieder, ließ ihre Kopfhaut prickeln, als hätte ihr jemand kaltes Wasser über den Kopf geschüttet. Ihre Augen hefteten sich wieder auf ihn. Sie beobachtete stumm, wie er sich in eine sitzende Position quälte, wie sich die Pupillen der Schlangenaugen einstellten und schließlich scharfstellten. Ihre Blicke begegneten sich, fochten einen stillen Kampf, doch es löste keinerlei Regung in Ueras Gesicht aus. Dann sprach es ... er ... sie an.
    Ein Funke erschien in den ungläubigen, grauen Augen der jungen Frau. Einen Sekundenbruchteil später brach sie prustend in schallendes Gelächter aus. Kühl reflektierten die Steinwände das überzeichnet wirkende Geräusch, ließen es fast schon unheimlich klingen, verstörend. Sie konnte einfach nicht anders, die Situation war viel zu komisch um wahr zu sein und für einen Moment zweifelte sie ernsthaft ihren Geisteszustand an.
    Es fiel ihr schwer sich wieder zu sammeln und als sie schließlich wieder einigermaßen atmen konnte und ihr Lachen endlich verklungen war, musste sie sich eine Träne aus dem Augenwinkel streichen.
    "Welch eine Ehre!", antwortete sie heiser, hüstelte noch ein kleines Lachen hinterher, setzte dann aber eine gefasste Miene auf und ihr Blick und ihre Stimme wurden schlagartig kalt. Hoffentlich bedeuteten seine Worte nicht, dass er zur redseligen Sorte der Trockenen zählte. "Wenn du etwas wichtiges zu sagen hast, raus damit."

  • Die Worte hatten seinen Mund kaum verlassen, da blitzte es in den grauen Augen der blassen Gestalt auf. Khoor's Kopf war von den Schlägen, besonders von den beiden, die für die gebrochene Nase und die Platzwunde gesorgt hatten, noch etwas in Mitleidenschaft gezogen, Sehen und Begreifen bedurften etwas mehr Zeit als sonst. Der Sekundenbruchteil genügte nicht, um sich ernsthaft der Frage zu widmen, ob dort tatsächlich Unglauben im Blick der Frau gegenüber gestanden hatte, denn unmittelbar darauf brach sie in ein überlautes Lachen aus, welches schrill und kreischend von den Wänden zurückgeworfen wurde, sich dort vermehrte und in einem sich überschlagendem Crescendo über Khoor ergoß. Bei dem irrsinnigen Geräusch gruben die Zähne des Drak'khir's sich vor aufschäumender Wut so fest aufeinander, dass er seine eigenen Kiefer laut und vernehmlich knacken zu hören glaubte. Doch es dauerte nur einen Augenblick an, dann veränderte sich sein zornverzerrtes Gesicht und eine absonderliche Mischung von leichter Abscheu gepaart mit Mitgefühl stand auf seinen Zügen, mit denen er den Ausbruch der Frau beobachtete. Vielleicht war diese blasse Frau eine dieser Wahnsinnigen, die in solche Käfige gesperrt wurden ...... ?
    Die schlagartige Veränderung ihres Gebarens vertiefte diesen Gedanken eher als dass ihre urplötzlich eisig wirkende Stimme und der erneut kalte Blick Khoor an einen Irrtum glauben ließen. Auch wenn ihre Worte zumindest Sinn ergaben. Stumm musterte er die Frau weiterhin. Wie lange mochten sie sie schon hier eingesperrt haben ? Konnte man überhaupt noch vernünftig mit ihr reden ? Hatte man es je gekonnt ? Khoor sinnierte kurz darüber nach, ob er es wohl bewerkstelligen könnte, auf die Füße zu kommen, schnaubte dann vor Ärger laut und vernehmlich aus und nahm das Wagnis in Angriff. Zwar taumelte er etwas nach vorn, nachdem er sich - zugegebenermassen etwas mühselig - in die Höhe geschraubt hatte, aber das Gitter war nicht weit entfernt und so umklammerte er dessen Stäbe vorsichtshalber mit den Händen nach Halt. Nur kurz hatte er dabei den Blickkontakt zu der anderen Insassin unterbrochen. "Seid Ihr noch Herrin über Euren Verstand ?", fragte er mit vollkommen ausdrucksloser Stimme. Das einzige Geschöpf in Sichtweite - was, wenn ausgerechnet es verrückt war ?

  • Zu seiner vollen Größe aufgerichtet gab der Echsenmann ein imposantes Bild ab, auch wenn er sichtlich angeschlagen war. Er wirkte gleichzeitig massiv und sehnig, was in Ueras Kopf für den Moment nicht zusammenpassen wollte, doch vor allem war er eines: riesig. Er musste sie um viele Köpfe überragen und wahrscheinlich genügte seine Kraft mühelos um sie zu zerquetschen wie einen Käfer. Mit einem weiteren Anflug morbider Phaszination musterte sie die Krallen an den Enden seiner Finger. Die Eisenstäbe wirkten wie Zahnstocher in seinen Händen. Sie dachte an den bevorstehenden Abend und vor ihrem inneren Auge malten sich Bilder davon, wie der Hüne jeden seiner Gegner in den Boden stampfen würde. Machtvoll. Sie wollte dabei zusehen, wenn er es tat und er würde es tun müssen, sollte er noch länger hier sein. Zu schade, dass sie Caraska bald hinter sich lassen würde …


    Seine Worte, in vollem Ernst und doch ohne jeden Ausdruck gesprochen, verhallten bald im Raum, doch die tiefe Stimme hatte einen derart durchdringenden Charakter, dass sie sich wie Sirup anfühlte, der ihre Ohren füllte. Seine höfliche Art zu formulieren sprach nicht unbedingt dafür, dass er aus der Gosse hierher gekommen war. War er etwa aus einem Kuriositätenkabinett entflohen und sein Besitzer würde ihn bald wieder abholen? Wie ein eintflohenes Haustier? Was er auch war, er war niemand, den man zum Feind wollte.
    Ueras Interesse war entflammt, doch die Yassalar ließ sich Zeit mit einer Antwort, kaute auf den Innenseiten ihrer Wangen herum, ließ ihn keinen Moment aus dem Blick. Noch einmal studierte Uera sein eigenartiges Gesicht mit den knochigen Stellen, den Schuppen, den Reptilienaugen. Es wirkte so fremdartig, dass sich Uera einfach nicht entscheiden konnte, ob sie es abstoßend oder interessant finden sollte.
    Noch. Ob sie noch Herrin ihres Verstandes war? Keine unberechtigte Frage, doch auf der anderen Seite ging es ihn nichts an. Überhaupt … warum interessierte ihn das und was wollte er so dringend mit ihr besprechen?
    Genau das war es, was sie an Neuankömmlingen so hasste. Das erste was sie taten, wenn sie ankamen, war, sich an den nächstbesten Gefangenen zu richten und ihm die Ohren mit ihrer tragischen Geschichte voll zu sülzen. Sie stellten zu viele Fragen, wollten zu viel wissen, gaben keine Ruhe.
    Sie erinnerte sich an den besten Zellennachbarn, den sie jemals gehabt hatte. Er war nur unbedeutend kleiner gewesen, als der Echsenmann, genau so massig, doch ungleich gröber. Er hatte nie auch nur ein einziges Wort gesprochen. Später hatte sie erfahren, dass man ihm vor vielen Jahren die Zunge herausgeschnitten hatte. Ein angenehmer Zeitgenosse.


    Die Kühle in ihren Augen wich schlussendlich wieder leichter Belustigung, sie verzog ihre Lippen zu einem hämischen Lächeln, wobei sie unwillkürlich ihre scharfen Reißzähne bleckte.
    "Danke der Nachfrage.", antwortete sie ebenso ausdruckslos wie er gefragt hatte, doch in ihren Augen blitzte Hohn. "Und selbst? Das waren wohl ein paar Schläge zu viel auf den Kopf..."

  • So ausdruckslos seine Stimme gewesen war, so intensiv und wachsam war der Blick, mit dem er die schlanke weiße Frau musterte, damit ihm nicht der leiseste Ausdruck in ihrem Gesicht, in ihren Augen entgehen konnte. Jeder noch so kleine Hinweis darauf, dass in diesem Körper noch ein gesunder Geist steckte, wäre ihm im Moment lieb. War es bestimmt keine Täuschung, dass auch ihr Blick, der an ihm klebte, sein Bild zu einem Eindruck verarbeitete ? Dieser Körper keine leere Hülle war ? Sie schwieg lange. Unangemessen lange, doch Khoor fühlte einen winzigen Hoffnungsschimmer in sich aufsteigen als diese grauen Augen sich wieder in seinen eigenen Blick hinein senkten. Bewegung kam in ihre feingezeichneten blassen Züge, weil sie mit den Zähnen ihre Wangen bearbeitete. Sie dachte nach !
    Khoor umklammerte die Gitterstäbe unwillkürlich ein wenig fester.
    Ihr weißer Körper war außerordentlich schlank, aber die Stellen, die nicht von Kleidung bedeckt waren, verrieten, dass es keine schwächliche Schlankheit war. Trocken zeichneten sich Muskeln und Sehnen unter der hellen Haut ab - sie war durchtrainiert, wahrscheinlich wendig und schnell, denn besonders groß war sie nicht.
    Abermals wechselte der Ausdruck ihres Gesichts und sofort waren alle Sinne des Drak'khir's wieder dorthin gerichtet. War das ein belustigtes Funkeln dort in diesen Augen ? Khoor's eigene Augen weiteten sich ein wenig als die Frau ihre Züge zu einem unechten Lächeln verzog und ihre Lippen dabei einige messerscharfe Zähne entblößten. Augenblicklich schmeckte er den Geschmack von Blut in seinem eigenen Munde wieder stärker und sein Ausdruck wurde ein wenig lauernder. Verrückt oder nicht - diese weiße Gestalt dort drüben war mit Vorsicht zu geniesen, da war er sich sicher. Zu ihren Worten nickte er langsam und schob den Gedanken an Wahnsinn zunächst beiseite. Häme und Bosheit schillerten durch ihre Worte hindurch, aber zumindest war ihm der Rückschluß von seinem Aussehen und seinem Zustand zu dem, was mit ihm geschehen sein mußte, vernünftig genug dafür. "Ja! Und es ist besser für jeden in meiner Nähe, wenn ich Herr über meinen Verstand bleibe.", antwortete Khoor in schlichter aufrichtiger Gewißheit und überging die hämische Bemerkung am Ende.
    Oberflächler .... Und dazu noch unter erschwerten Bedingungen. Wenn sie schon unter gewöhnlichen Verhältnissen weder Anstand noch Ehre hatten, dann waren sie hier wohl erst recht zu schwach dafür, dachte er geringschätzig. "Würde es Euch sehr belästigen, wenn ich einige Fragen zu diesem Ort an Euch richten würde ?"

  • Uera pflichtete seiner Antwort in Gedanken bei, es mochte wirklich besser sein, wenn sich dieser Muskelberg dort drüben halbwegs unter Kontrolle hatte. Und er hatte sich scheinbar recht gut unter Kontrolle. Der Umstand, dass ihre Bemerkung keinen offensichtlichen Ärger in ihm hervorrief, schaffte es jedoch, Unzufriedenheit in ihre Züge zu bringen. Seine gestelzte Frage vertiefte diesen Ausdruck noch mehr. Ob es sie belästigen würde? Er hatte ja keine Ahnung. Uera rollte mit den Augen.
    Was hatte sie auch anderes erwartet? Es waren doch immer die gleichen Fragen, schon hundertfach gehört und hundertfach beantwortet. Warum hielt sie sich überhaupt mit ihm auf? Abgesehen von seinem wahrlich ungewöhnlichen Äußeren, hatte er sich bisher nicht als sonderlich interessant erwiesen. Die sachte Enttäuschung, die sie am Rande verspürte, verblasste jedoch schon bald und machte der gewohnten Gleichgültigkeit Platz.


    "Vielleicht?", knirschte sie, verschränkte ihre Arme und sah nach dem Lichtstreifen in ihrer Zelle. Noch nicht einmal Mittag … die Zeit schien heute nur so zu kriechen. Es mussten noch Stunden sein, bis die Sonnenstrahlen endlich vom schmutzigen Boden der Zelle zur Wand gekrochen sein würden. Staubkörner flirrten im blassen Licht, welches ihre Zelle ein wenig heller machte als die des Geschuppten. Nachdenklich sah sie zu ihm hinüber. Vielleicht würde es doch ein amüsanter Zeitvertreib werden? Vielleicht konnte sie das Echsenhirn ein wenig aus seiner Reserve locken? Zwischen ihnen befanden sich schließlich zwei Reihen Eisenstäbe … es gab also keinen Grund, besonders freundlich zu sein.
    Uera zuckte schließlich mit den Schultern, malte mit einer Hand eine resignierte Geste in die Luft und warf ihm einen fragenden Blick zu. Sie wusste, dass ihm einige Fragen unter den Krallen brennen mussten und sie kannte die Antworten …
    "Kommt stark darauf an, welche Fragen du stellst", fügte sie kalt hinzu und erneut zupfte das falsche Lächeln an ihren Mundwinkeln. Falsch wie Katzengold. "und was ich im Gegenzug dafür erhalte."

  • Seine Antwort hatte scheinbar Unwillen in der Frau hervor gerufen, zumindest erschien ein entsprechender Zug in dem ausdrucksvollen Gesicht. Ein 'Vielleicht' presste sich als Frage zwischen ihren Zähnen hervor, so gedrückt, dass es kaum zu verstehen war und die verschränkten Arme untermalten die abwehrende innere Einstellung der schlanken Gestalt. Um die zu demonstrieren hätte es des Abwenden des Kopfes gar nicht mehr bedurft. Khoor folgte mit den Augen ihrer Blickrichtung. In der Düsternis fiel ihm eine Stelle auf, in der irisierende Partikelchen in der Luft zu schweben schienen, fast als hinge dort eine weitere Stange in der Luft. Nur eben nicht aus Eisen sondern aus einem glitzernden, kaum wahrnehmbaren Licht. Er folgte ihr zur Decke des Gewölbes, konnte die Öffnung, die zweifellos vorhanden sein musste, jedoch von seiner Position aus nicht ausmachen.
    Erneut trafen sich ihre Blicke. Es war dem weißen Gesicht förmlich anzusehen, dass es hinter dieser glatten Stirn arbeitete und ein wenig ließ die Anspannung in dem Drak'khir nach. Man konnte mit ihr sprechen - wenn sie es wollte. Betont gleichgültig und uninteressiert wirkte sie als sie sich mit frostiger Stimme und überzeichnetem Lächeln endlich zu einer Antwort entschlossen hatte.
    'Ich gebe nur, wenn Du gibst' liessen sich ihre Worte auf den Punkt bringen und Khoor's Miene verfinsterte sich ein wenig. 'Was gegeben wird, gibt man zurück' gebot die Ehre. Ein zweiter Gedanke schob sich in seinem Kopf nach vorn. Nicht nur Wahnsinnige wurden in Käfigen gehalten, auch Verbrecher wurden auf der Oberfläche eingesperrt. Mussten eingesperrt werden - die logische Folge in dieser Welt voller Schein und Intrigen, in der schon die überwältigende Mehrzahl der Rechtmäßigen keinen Kodex kannte. Kurz erwog er, wie dringend seine Fragen tatsächlich waren und ob sich einige von ihnen nicht mit der Zeit von selbst beantworten würden. Da war es wieder, dieses Wort ........ Zeit....... Für einen Sekundenbruchteil funkelte blanke Wut in den Augen des Drak'khir auf, doch als er sprach, war wieder Ruhe in seiner Stimme. "Und was betrachtet Ihr als angemessene Gegenleistung für die Beantwortung meiner Fragen ?"

  • Uera hatte das zornige Funkeln in den Echsenaugen gesehen und auch seine beherrschte, ruhige Stimme konnte diesen Eindruck nicht verdrängen. Sie labte sich daran. Irgendwo war ein wunder Punkt getroffen worden, doch die Yassalar konnte nicht wissen, ob es ihre Worte waren, oder schlichtweg der Ärger darüber, hier gelandet zu sein. Es war stets eine der ersten Empfindungen der Gefangenen und stets wurde der Zorn von einer tiefen Verzweiflung abgelöst. Wie lange es bei diesem Exemplar dauern würde? Uera war es nicht möglich, sich dieses Geschöpf weinend vorzustellen, tobend vielleicht, aber gebrochen, entmutigt und verzweifelt? War es dazu überhaupt in der Lage?
    Ihr kam eine Idee, doch wieder ließ sie sich betont viel Zeit um eine Antwort zu geben, sah den Echsenmann abschätzend an und lauschte dabei nach den Geräuschen des Gefängnistraktes. Das Kaminfeuer, an welchem sich die Wächter während ihrer späten Schichten wärmten, war noch nicht entzündet worden und bis auf die paar stupiden, mit der Zeit verstummenden Gefangenen einige Zellen weiter, schien niemand mitzuhören. Gut. Insassen die sich zu gut unterhielten wurden oft versetzt - und sie hatte ihren Spaß noch nicht gehabt.


    "Neuigkeiten von oben. Kein Jammern. Kein Geschrei mehr. Antworten auf meine Fragen.", begann sie mit gesenkter Stimme und es klang wie der Anfang einer nicht enden wollenden Aufzählung. Vor unwesentlicher Zeit, vielleicht erst gestern, musste er noch durch die Straßen Caraskas gelaufen sein, noch haftete ihm ein Hauch der Freiheit an, die sie ihm genommen hatten. Uera hoffte, dass er sich in den richtigen Kreisen herumgetrieben hatte, bevor er eingebuchtet worden war und ein paar interessante Dinge erzählen konnte.
    Sie neigte sich dem Gitter zu, spähte zwischen den Stäben hindurch, verengte ihre stahlgrauen Augen, als könne sie ihn so besser ausmachen. Ihr Blick sprang zwischen den seltsamen Merkmalen seinen Körpers hin und her und ihre Neugierde brandete mächtig gegen die Mauern ihrer Beherrschung. Ein weitere Idee bohrte sich wie eine glühende Klinge durch ihre Gedanken und ließ sie den Spott und Hohn für einen Moment vergessen. Die Ruhe in seinem Gesicht schien völlig unzerstörbar. "Was in aller Welt … bist du?"

  • Die weiße Gestalt bewegte sich fast nicht. Um so erstaunlicher empfand Khoor die Worte, die sie dann sprach. Nicht so sehr, weil es im ersten Moment schien als würde sie einen ganzen Bau von Forderungen aneinder reihen wollen. Die unerwartet leise hastige Stimme war seltsam und Khoor lauschte unwillkürlich intensiv nach einem möglichen Auslöser dafür. Nichts zu hören. Erst als er sich sicher war, dass zunächst keine weiteren Worte kommen würden, blickte er sich nach rechts um und versuchte auch, einen Blick in den linker Hand liegenden Gang zu erhaschen. Nichts.
    Eigenartig.
    Ihre Vorstellungen von der Gegenleistung selbst ................. der Drak'khir betrachtete die Frau mit leisen Zweifeln. Weshalb sollte jemand hier unten jammern und schreien - sofern er keine übermächtigen Schmerzen litt ? Oder wahnsinnig war ? Aber jemand musste dies wohl getan haben - sonst wäre es ihr vermutlich nicht wichtig. Und Neuigkeiten ? Welche Neuigkeiten sollte ein Fremder wie er aus einer vollkommen unbekannten Stadt zu berichten haben ? Antworten auf IHRE Fragen ... das hätte sie einfacher haben können, dachte Khoor verächtlich. Diese Oberflächler könnten so vieles einfacher haben - wenn sie nicht so unglaublich feige wären. Erneut glomm der zornige Funke in seinen Augen auf. 'Sie ist eine Verbrecherin. Was erwartest Du von ihr ?', wisperte es besänftigend in seinem Verstand. Mit heftigem Unwillen verjagte er den Gedanken und seine von Drachenhaut überzogenen Fingerknöchel blassten ein wenig aus, weil der Drak'khir im Auffruhr die Stäbe fester umklammerte. Arkandos selbst hätte es sich nicht niederträchtiger ausdenken können. Der Abschaum der Oberfläche - und er war auch noch auf sie angewiesen.
    Während Khoor's wenig schmeichelhafter Gedanken hatte die Frau ihre Position verändert. Sie war mit ihrem Gesicht näher an das Gitter herangekommen, ihre Augen glitten von oben bis unten über seine Gestalt, Khoor glaubte die Gedanken hinter ihrer Stirn förmlich sehen zu können und fühlte, wie es in ihm zu brodeln begann. Seine Augen bohrten sich in die der blassen Oberflächlerin.
    Die unvermeidliche Frage brach zwischen ihren Lippen hervor - und etwas unheimliches geschah. Die Explosion blieb aus. Mit einer Art morbiden Entsetzens starrte Khorr in das wachsweiße Gesicht vor sich, aus dem pechschwarze Augen zu ihm zurück starrten, er erwartete förmlich, erneut diesen übermächtigen Ansturm von Magie zu fühlen, der erbarmungslos zwang ....
    Die Illusion schwand, Khoor sah wieder ein vergleichsweise zartes Frauengesicht mit grauen Augen. Nicht freundlich gesinnt - aber auch nicht beängstigend. Aber er erinnerte sich wieder an die Minuten vor seiner Gefangennahme. Und empfand die untrügliche Gewißheit, dass dieser andere nicht wissen durfte, was er war. Oder wusste er... ? Nein, da war Überraschung gewesen. Unglauben.
    Sein Blick kehrte aus der Erinnerung zurück zu der Gefangenen. "Welche Bedeutung soll das haben?", fragte er mit tonloser Stimme. "Jetzt bin ich nichts anderes, wie Ihr auch." Seine Zähne knirschten aufeinander. "Jemand, der nicht aufgeben wird, bis er diesen Ort wieder verlassen kann." schloss er grimmig. 'Und je schneller, je besser.'
    "Habe ich Euch richtig verstanden ? Ab sofort Antwort gegen Antwort ?" Er musterte sie mit leisem Groll und umklammerte die Stäbe womöglich noch eine Spur fester. "Keine persönlichen Fragen. Dann soll es so sein. Und für den Rest habt Ihr mein Wort." spie er ihr gereizt entgegen.

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