Traum und Wirklichkeit

  • Ascan schloss die Augen, als die Küsse der Nymphe über seine Wange wehten und sehnte ihren zarten Mund bereits herbei, als sie diesen kurz darauf auf seinen legte. Mit leichten Sinnen nahm er ihre Erklärung hin und die dunklen Gedanken verflogen, um milderen zu weichen. Er hatte niemals jemanden gekannt, der wertvoll genug für ihn gewesen wäre, um sein Scheiden zu bedauern. Nicht einmal bei Selcaria war er sich sicher, ob er trauern würde... ganz anders bei Kyleja. Ihren Tod miterleben zu müssen...


    Der schiere Gedanke war so unerträglich, dass sein Kuss fester und drängender wurde. Er brachte sie schon dadurch in Gefahr, dass er sich mit ihr zeigte. Nir'alenar war nicht sicher für sie... nicht in seiner Nähe. „Wie gut kannst du mit den Dolchen umgehen?“, fragte Ascan etwas atemlos, als er seine Lippen von ihren löste. Entschlossen fasste der Geflügelte ihre Schultern und hob ihre schlanke Gestalt an, um ihr ernst und direkt in die tiefblauen Augen schauen zu können. „Sie haben deiner Schwester gehört, hast du gesagt. Ich hoffe, sie sind mehr als nur ein abschreckendes Familienerbstück...“

  • Als der Kuss drängender wurde, schloss auch die Nymphe ihre Augen. Es war noch immer ein schönes, warmes Gefühl den Geflügelten zu küssen. Anders als bei manch anderen Männern, bei denen ihr die Lust bereits nach wenigen Stunden vergangen war. Doch als der Geflügelte seine Lippen von den ihren löste, schlug sie die dunkelblauen Iriden wieder auf.
    Sein Gesicht wirkte ernst und seine Worte ergaben für die Schwarzhaarige zunächst kaum einen Sinn. Verwirrung lag auf ihrem Gesicht. Warum wollte er sowas von ihr wissen?
    „Ich kämpfe bereits seit ich klein bin mit Dolchen, mit dem Bogen kann ich jedoch auch umgehen. Die Dolche von meiner Schwester waren immer etwas Besonderes für mich und als ich meine Heimat verliess hat Ika mir ihre Dolche zum Abschied geschenkt“, erklärte sie und neigte den Kopf zur Seite.
    „Warum fragst du?“, fragte sie nun ihrerseits. Es war nichts Neues für sie, das sie ihre Fähigkeiten unter Beweis stellen musste. Bereits ganz zu Anfang ihrer Reise hatte sie Khoor, dem Krieger den sie in Miriador kennen gelernt hatte ihre Fähigkeiten erst in einem Kampf beweisen können als sie von einem Rudel Wölfe überfallen worden waren.

  • Sie vertraute in ihre Fähigkeiten. Das war gut. Ascan nickte, doch noch immer war seine Mimik ernst. „Zeig es mir später. Besonders deinen Umgang mit dem Bogen. Es kann passieren, dass du dazu gezwungen sein wirst, aus einem Sturzflug heraus zu schießen.“


    Ascan ließ Kyleja wieder sinken und löste seine Rechte von ihr, um mit dem Daumen zur Bettseite zu weisen, wo er seine Kleidung vermutete. „Ich verwende für den Fernkampf meinen Revolver. Sechs Schuss, bevor ich nachladen muss. Sollte ich einmal zum Nahkampf gezwungen sein, kenne ich die nötigsten Handgriffe mit dem Dolch, auch wenn meine Zauberstimme dann meine beste Waffe ist.“ Er zögerte kurz und seine Stimme klang rauer, als er weitersprach und dabei dem Blick der Nymphe auswich. „Ich habe eine... dunkle Vergangenheit in dieser Stadt, Ky. Durch meine Rückkehr vor wenigen Tagen sind gefährliche Dinge ins Rollen geraten... mein Name ist gefürchtet und von meinem Ruf fange ich gar nicht erst an. Ich habe viele Feinde, aber auch Verbündete, die ich dir nicht wünsche.“
    Die Stimme des Syreniae wurde um ein gutes Stück dunkler und nun bohrte sich sein Blick tief in den der schönen Nymphe. „Niemand darf erfahren, dass du mir etwas bedeutest“, beschwor er sie.

  • Als er darüber sprach, dass sie ihm ihre Fähigkeiten im Umgang mit ihren Waffen zeigen sollte, musste Kyleja trotz des noch immer ernsten Gesichts des Geflügelten schmunzeln.
    „Du willst dich also mit mir duellieren?“, fragte sie keck und zwinkerte. Sie wurde jedoch schnell wieder ernst als er weiter sprach. Die Schwarzhaarige nickte, dass er mit dem Revolver umging wusste sie bereits. Mit einem leichten Schaudern erinnerte sie sich an das beinahe Blutbad im Tempel Emulars.
    Nachdenklich blickte sie auf seine Lippen. Ja, seine Zauberstimme war mit Sicherheit eine sehr gute Waffe, egal in welcher Hinsicht.


    Aufmerksam betrachtete sie sein Gesicht. Er mied den Blickkontakt zu ihr, während er von seiner Vergangenheit und seinem Ruf sprach. Jetzt wurde ihr gänzlich bewusst, dass sie hier tatsächlich den Mann vor sich hatte, von welchem ihr der Wanderer bereits erzählt hatte. Das hier war tatsächlich der Rabe aus der Nir’alenarer Unterwelt. Dass sie ausgerechnet ihm an ihrem zweiten Tag in der Stadt schon über den Weg gelaufen war, glich einem Wunder.
    „Der Rabe…“, murmelte sie und nickte langsam. Es war keine grosse Überraschung, wenn er sagte, dass er viele Feinde hätte. Und auch die engsten Verbündeten konnten für jemand anderen als einen selber schnell gefährlich werden.
    Langsam führte sie einen Finger zu ihren Lippen. Eine Geste die andeuten sollte, dass diese versiegelt waren.
    „Ich kann Dinge für mich behalten, Ascan“, versprach sie und sah ihm tief in die Augen.
    Für einen Moment schwieg sie und betrachtete den Raben. Was hatte er in seiner Vergangenheit getan um eine solch berüchtigte Gestalt in dieser Stadt zu werden?

  • Sowohl ihr freches Lächeln als auch die Geste, mit der sie nun ihren Finger an die Lippen legte, wirkten so unbedarft, dass ein harter Zug um Ascans Mund entstand. Sie hatte die Tragweite seiner Worte noch nicht verstanden. Unwirsch fasste er ihr Handgelenk und zog ihren Finger hinab. „Das ist kein Spiel, Ky! Es geht nicht darum, ob du etwas sagst.“
    Als ihm auffiel wie hart seine Stimme geworden war, verzog er bedauernd die Lippen, zögerte kurz und legte seine Hände dann sanft an die Wangen seiner jungen Nymphe. Diese Seite an ihm sollte sie nicht erleben.


    Kurz darauf klangen die Worte des weißhaarigen Syreniae wieder so ruhig und sanft, als gäbe es nichts, das ihn aufbringen könnte. „Wie lange hältst du dich schon in Nir'alenar auf, Kyleja? Hast du Bekannte hier oder sogar Familie? Wo wohnst du und gibt es Plätze in der Stadt, die du oft besuchst?“ Forschend sah er die Schwarzhaarige an und die Schönheit ihrer zarten Gesichtszüge ließ ihn seine Sorge fast vergessen. „Es wird nicht unbemerkt bleiben, dass du fortan an meiner Seite bist. Sie werden jeden Hauch einer Information über dich einfangen. Ich muss sicher gehen, dass sie dir nicht schaden können.“


    Aber konnte er das überhaupt? Es war eine dunkle Ahnung, die ihn befiel, je länger er darüber nachdachte. Womöglich würde er niemals Ruhe finden, solange er sie in dieser Stadt wusste; solange der Name des Raben auf dem Nachtmarkt kursierte; und solange Sel noch über Macht verfügte...

  • Der harte Gesichtsausdruck des Raben liess die Nymphe die Stirn in Falten legen. Als er dann auch noch ihr Handgelenk unsanft umfasst und hinunter drückte, bildete sich ein ärgerlicher Ausdruck auf ihrem Gesicht. In den süsslichen Duft der normalerweise stetig von ihrer Haut ausging, mischte sich eine leichte Note von beissendem Pfeffer. Auch der bedauernde Ausdruck, der beinahe sofort nachdem er sich der Schärfe seiner Worte bewusst geworden war auf sein Gesicht getreten war, konnte an ihren Worten nichts mehr ändern.
    „Ich bin kein kleines Mädchen mehr Ascan. Ich verstehe die Gefahren von denen du sprichst und ich bin sehr wohl in der Lage mich zu verteidigen! Deswegen muss ich allerdings nicht bitterernst damit umgehen“, machte sie ihrem Unmut Luft. Die Worte auszusprechen tat gut und nach einigen tiefen Atemzügen hatte sie sich genug beruhigt um auf die Fragen des Syreniae zu antworten.


    „Ich bin erst vor wenigen Tagen hier angekommen. Ich kenne hier niemanden ausser dir, von dem Vogelhändler und dem Besitzer des Stalles in welchem mein Pferd untergebracht ist kenne ich gerade mal die Namen. Ich wohne im Händlerviertel und bisher habe ich keinen anderen Ort als diese Wohnung mehrmals besucht.“ Noch immer konnte man in ihrer Stimme den leichten Unwillen und einen trotzigen Unterton hören.
    Dieser verrauchte jedoch mit den nächsten Worten des Weisshaarigen. Beruhigend legte sich ihre Hand auf seinen Unterarm.
    „Über mich hier in Nir’alenar Informationen zu finden wird auch für den Besten Spion schwer werden, niemand kennt hier mehr als meinen Namen von mir. Und alles womit man mir noch schaden könnte – abgesehen davon mich direkt anzugreifen – befindet sich weit weg im Wald von Arvonar.“ Kurz betrachtete sie den Geflügelten nachdenklich.
    „Und das Einzige, was mir hier in Nir’alenar wichtig ist, behalte ich schon gut genug im Auge“, meinte sie und senkte ihren Blick tief und bedeutsam in die Augen Ascans.

  • Erleichterung spiegelte sich auf den Gesichtszügen des Syreniae. Dass Kyleja fremd in der Stadt war, würde alles einfacher machen. Ein Nachhall des beißenden Pfeffergeruchs kribbelte noch seiner Nase und kurz kniff Ascan die Augen zusammen, um den Niesreiz niederzuringen. Es musste mit ihrem Ärger zu tun haben... wenigstens kein Geruch, der ihm schnell entgehen konnte. Mit neuem Interesse hörte er, woher Kyleja stammte und setzte gedanklich einen weiteren Teil des Puzzles zusammen. Der sattgrüne Wald aus ihrem gemeinsamen Traum erschien vor seinem inneren Auge. Auch sie war an Klippen aufgewachsen und vertraut mit den Stürmen und dem Klang der See.


    Seine Gedanken kehrten gerade zurück, da sprach sie ihren letzten Satz, wobei ihr eindringlicher Blick tief in Ascans tauchte. Die Bedeutung ihrer Worte brachte eine unbekannte Saite in ihm zum Schwingen, deren Klang wärmer war als jeder ihm bekannte. Seine Überlegungen verloren sich, während er noch versuchte, zu begreifen, was es genau war, das in ihm vorging.


    Das rabenschwarze Haar seiner Nymphe nach hinten streichend, ließ er zu, dass dieser neue Klang durch jede Faser seines Körpers drang. Er wollte ihn bewahren und öfter spüren. So oft es möglich war. „Der Wald von Arvonar...“, begann er mit einem warmen Lächeln. „Ich war bereits dort vor einigen Jahren. Die Weite des Waldes erscheint endlos, selbst wenn man darüber hinwegfliegt. In Lianar saß ich auf dem Dach eines Windgleiters, die dort zwischen den magischen Lichtern schweben, und in Feyor badete ich...“, flüchtig huschte ein freches Lächeln über seine Lippen. „... ganz allein in Liarils Segen.“

  • Mit einem verträumten Ausdruck in den Augen lauschte die Nymphe den Worten des Syreniae. Vor ihrem inneren Auge tauchte ebenfalls die wunderschöne Stadt Feyor auf. Sie war ebenfalls bereits dort gewesen. Nach Miriador war dies ihre zweite Anlaufstelle gewesen.
    Ein ironisches Lächeln umspielte ihre Lippen als sie Ascan ansah.
    „Gewiss warst du ganz alleine.“ Sie zwinkerte ihm schelmisch zu und die Ironie troff auf eine liebevolle Art von ihren Worten. Man musste keine Nymphe sein um den stattlichen Weisshaarigen anziehend zu finden.
    „Lianar und Feyor liegen in Ni’Farea. Ich aber stamme aus Yarsai, wo ich in der Umgebung eines Dorfes aufwuchs, welches ungefähr in der Mitte zwischen dem Meer und Miriador liegt“, erklärte sie und ein sehnsüchtiges Lächeln zierte ihre vollen Lippen als sie an ihre Heimat dachte. Das hübsche Herrenhaus auf der immergrünen Lichtung kam ihr in den Sinn. Die Bäume durch die der Wind rauschte und der Geruch nach Laub.
    „Du hast den Teil des Waldes in dem ich aufwuchs im Traum gesehen…“, meinte sie um die Gedanken an ihre Heimat zu vertreiben. Sie würde nur traurig werden wenn sie zu lange an ihr Zuhause dachte. Und das wollte sie gerade nicht. Lieber genoss sie den gemeinsamen Moment mit dem Geflügelten.

  • Als sie ihn amüsiert aufzog, wurde Ascans Lächeln eine Spur breiter, doch er verkniff sich wohlweislich jeden weiteren Kommentar. Die stille Bewunderung, die er in Kylejas hübschen Augen schimmern sah, war betörender als jede Erinnerung. Schon allein durch sie wurde jeder Ort zu seinem ganz persönlichen Himmel. Bei der Beschreibung ihrer Heimat wirkte die Nymphe wie entrückt und Ascan atmete erleichtert auf. Sie konnte glücklich zurückblicken und das hieß, dass Malums Tod nur ein dunkler Fleck in einem ansonsten strahlenden Gesamtbild war. Die Zeit würde diesen Makel bald verblassen lassen.


    Seine Finger strichen ihre Schulter entlang und ihre schön geschwungene Seite hinab, wo er eine ihrer Haarsträhnen aufnahm und versonnen um seinen Finger wickelte. Wenn alles erledigt war, würde er Nir'alenar mit ihr verlassen und gemeinsam würden sie neue Erinnerungen erschaffen, die ebenso farbenfroh und unbeschwert sein würden wie die, die sie aus ihrer Heimat mitgebracht hatte.

    So war es ein anderer Gedanke, der sich ihm aufdrängte. „Also war es dein Dorf, deine Familie, die du vor... den Flammen bewahren wolltest, nicht wahr?“ Nur kurz zögerte er, bevor er das Unheil ansprach, das sein Alptraum über den Wald ihrer Heimat gebracht hatte. An die Panik in ihren Augen würde er sich noch lange erinnern. Sie war zu rein für die Schatten, die er in sich trug, und er würde alles dafür tun, dass sie nie wieder einen solchen Blick in seine Abgründe würde werfen müssen.

  • Das breite Lächeln stand im direkten Gegensatz zum Schweigen des Syreniae, doch Kyleja verbiss es sich, ihn noch weiter zu necken. Es war nicht wichtig mit wem er damals seine Zeit verbracht hatte. Nun stand er unter ihrem Bann und würde ihr gehören solange sie es wollte, das musste reichen.
    Ihre Blicke folgten seiner Hand, als diese an ihrer Seite hinab wanderte und begann mit ihrem Haar zu spielen. Eine leichte, wohlige Gänsehaut überzog ihren Körper. Solche liebevollen Berührungen hatte sie schon lange nicht mehr genossen. Es erinnerte sie daran, wie ihre Schwester ihr früher das Haar gebürstet hatte, solange bis es wie schwarze Seide über ihren Rücken geflossen war.


    Als Ascan nun den Traum ansprach, huschte ein Schatten über das Gesicht der Nymphe. Der Anblick ihrer Heimat, die in Flammen stand, war etwas, dass sie unter keinen Umständen real erleben wollte.
    „Meine Schwester und meine Mutter – ja“, stimmte sie ihm zu und hob ihren Blick in seine Augen. Wenn er schon die Flammen ansprach…
    „Dieses… Ding, das dort aufgetaucht ist, du sagtest Er würde öfter in deinen Träumen auftauchen?“ Bewusst liess sie ihren Satz wie eine Frage klingen. Nun hatte sie ihm so viele Dinge über sich verraten, jetzt war es an der Zeit, dass Ascan selbst redete.

  • Seine Handbewegung stockte. Widerwille blitzte in Ascans stahlgrauen Augen auf und ein kurzer Ruck fuhr durch seine Schwingen, ehe er tief seufzte und sich darauf konzentrierte, seine Muskeln wieder zu entspannen. „Ja... seit ich mich erinnern kann“, nickte er langsam. „Aber ich bin sicher, ich werde nun mit ihm fertig.“ Dankbar lag sein Blick auf Kyleja und sein Lächeln wirkte ungetrübt. „Was ich allein dir zu verdanken habe, Täubchen.“


    Nicht nur reine Dankbarkeit brachte ihn nach seinen Worten dazu, das Kinn seiner Nymphe zu heben und ihr einen langen Kuss zu geben. Es war die sanfteste Art und Weise, ihre Lippen zu versiegeln und er legte viel Geschick hinein, um sie auf andere Gedanken zu bringen. Seine linke Hand liebkoste sie dabei auf andere Weise, während er sehr genau darauf achtete, ob sich ihr süßlicher Duft in der Zwischenzeit veränderte.


    Warm fuhr ein Lufthauch durchs offene Fenster herein und trug die friedlichen Geräusche des Gartens mit sich. Fast konnte man vergessen, dass sie ein riskantes Spiel wagten, indem sie sich hier unerlaubt vergnügten, doch gerade das machte es auch umso reizvoller...

  • Anspannung liess den Körper des Geflügelten steif werden und seine Schwingen kurz erzittern. Aufmerksam beobachtete die Nymphe das Muskelspiel, welches sich unter der Haut des Weisshaarigen deutlich abzeichnete. Mit einem tiefen Seufzen seinerseits, lockerte sich seine verkrampfte Haltung.
    „Dabei habe ich dich nur an deine eigenen Flügel erinnert“, lächelte die Schwarzhaarige und nickte leicht in Richtung der beindruckenden Schwingen, welche ihre erhabene Grösse auch jetzt, im angelegten Zustand, erahnen liessen.
    Gerade wollte sie die Lippen öffnen um eine weitere Frage zu stellen, da hob sich die Hand des Syreniae.


    Als er ihr Kinn sanft umfasste und seine Lippen sich warm und weich auf ihre legten, verblasste der Gedanke an ihre nächste Frage schlagartig. Viel zu betörend war die Art, mit der er sie küsste und viel zu verführerisch waren seine warmen Finger auf ihrer prickelnden Haut.
    Ihre rechte Hand legte sich um den Nacken des Geflügelten, zog seinen Kopf dichter, verlangender zu ihr herunter, während sich ihre Finger tief in das weiche Haar gruben.
    Der zarte Duft nach Schokolade kehrte mit einer Feinheit in den Raum zurück, die nicht einmal der Nymphe selbst sofort auffiel.
    Die Situation bot sich aber auch geradezu an. Und wäre es nach Kyleja gegangen hätte sie ihren gemeinsamen Höhenflug gerne wiederholt, doch der warme Lufthauch und die Geräusche die aus dem Garten nach oben und durch das Fenster in den Raum drangen, brachten ihre Gedanken wieder dahin zurück wo sie hinwollte. Mit einem bedauernden Lächeln löste sie sich von dem Geflügelten.
    „Mir scheint du versuchst mich davon abzubringen dir Fragen zu stellen“, grinste sie und blinzelte Ascan verschwörerisch an.


    Schnell wurde sie jedoch ernster, auch wenn das Lächeln auf ihren Lippen blieb.
    „Du hattest im Traum diesen Beutel dabei. Was meintest du als du gesagt hast, du wirst ihn eh nicht los?“, fragte sie und neigte leicht den Kopf. Ihre Finger ruhten noch immer im Nacken des Weisshaarigen und zeichneten mit langsamen, zarten Bewegungen komplizierte Muster auf dessen Haut.

  • Ertappt lächelnd, konnte Ascan seine Gesichtszüge gerade noch davon abhalten, bei ihrer Frage zu entgleisen, dennoch zuckte es verräterisch in seiner Wange. Dass seine Pupillen sich zusammenzogen und seinen Blick dadurch stechender machten, konnte er indes nicht verhindern. Unter keinen Umständen durfte Kyleja von Selcaria oder seinem Auftrag erfahren.


    Während der Syrenia seinen Oberkörper auf die Ellenbogen stützte, rannen Kylejas zärtliche Berührungen über seinen Nacken und ließen seine Anspannung schwinden. Dadurch wurde es derweil leider nicht leichter, ihrem fragenden Blick standzuhalten. „Nun... ich meinte damit, dass es sinnlos ist, etwas im Traum verlieren zu wollen. Spätestens beim Aufwachen besitzt man es wieder“, antwortete er so diplomatisch wie möglich und seine Mimik entspannte sich. Einerseits, um den Argwohn seiner neugierigen Nymphe zu zerstreuen, andererseits, weil ihr Streicheln ihn tatsächlich wohltuend beruhigte. „Auch, wenn es real gewirkt hat... es war nur ein Traum. Du hättest mein junges Ich mit deinen Dolchen erstechen können... und doch wäre ich unbeschadet aufgewacht“, murmelte er und senkte die Lider halb.


    Vielleicht würde sie ihn nun nicht mehr danach fragen. In wenigen Tagen würde all das vorbei sein und weder seine Vergangenheit als Rabe, noch Selcaria würden länger Einfluss auf sein weiteres Schicksal haben. Er wäre frei... endlich frei, um... Ascans Stirn kräuselte sich, doch es half nicht. Der Gedanke war ihm entschlüpft, noch bevor er sich darauf besinnen konnte... dabei war er ihm gerade noch so klar erschienen.

  • Das ertappte Lächeln bestätigte die Nymphe darin, dass sie mit ihrer Frage voll ins Schwarze getroffen hatte. Der stechende Blick und das Zucken seiner Gesichtszüge verrieten den Weisshaarigen, obwohl er um seine Mimik bemüht schien.
    Die mehr als diplomatische, sehr allgemein gehaltene Antwort amüsierte die Nymphe. Diese Unterhaltung begann sie an eine ähnliche Unterhaltung zu erinnern, welche sie vor ihrer Ankunft in Nir’alenar geführt hatte.
    „Mir schien es, als wäre es dir lieb gewesen den Inhalt des Beutels auch beim Aufwachen verschwunden zu wissen…?“, fragte sie daher sanft aber dennoch entschlossen weiter. Schon im Tempel hatte er sich um ihre Fragen herumgeredet. Nun würde er ihr nicht so leicht davon kommen.
    Die nachdenklichen Falten, die sich auf seiner ebenmässigen Stirn gebildet hatten, strich sie sanft mit der Spitze ihres Fingers glatt. Er sollte sich nicht allzu viele Gedanken machen.

  • Noch bevor Ascan sich entscheiden konnte, ob er zu einer weiteren Ausrede oder einer blanken Lüge greifen sollte, wurde ihm diese Entscheidung auf unerwartete Weise abgenommen, denn urplötzlich stieß jemand die Zimmertür auf. Der Kopf des Geflügelten ruckte herum und sein Blick fixierte die Bedienstete, die ihrerseits mitten in der Bewegung erstarrt war und das nackte Paar auf dem Bett aus hervorquellenden Augen anstarrte.


    Die Stimmbänder des Syreniae spannten sich schon, da schrillte ein so spitzer Schrei aus der Dienstmagd hervor, dass niemand im gesamten Anwesen es überhören konnte. Schon gar nicht die Wachen. Ascan schluckte hastig die Worte herunter, die ihm auf der Zunge gelegen hatten und sprang aus dem Bett, um nach seiner Hose und seinem Waffengurt zu greifen. „Schnell! Weg hier!“, rief er der Nymphe zu, während er hektisch in die Hose stieg.


    Die Bedienstete hatte auf dem Absatz kehrt gemacht und nun hörte man nur noch ihr Geschrei nach den Wachen. Es konnte sich nur noch um Augenblicke handeln, bevor der bedrohliche Takt von schweren Stiefeln erklingen und das Zimmer von Bewaffneten gestürmt werden würde.

  • Seine Kapuze hatte er eben erst übergeschlagen und mit einem letzten Handgriff wollte Ascan das Amulett Emulars unter dem Stoff der Tunika verbergen, als Kyleja seine Hand packte und ihn mitzog. Das Geräusch von gezogenen Waffen und die zornigen Rufe der Gardisten, sie hätten gefälligst stehen zu bleiben, hallten ihnen nach, noch während sie die Balustrade erreichten. Schon auf dem Weg dorthin hatten sich Ascans Schwingen rauschend entfaltet und ohne im Laufen innezuhalten, griff er unter Kyleja und hob sie auf die Arme. Seinen Fuß auf die Balustrade setzend, stieß er sich ab. Nur haarscharf zischte ein Armbrustbolzen durch die Luft, wo sie eben noch gestanden hatten, da ging es für sie bereits steil abwärts. Die Nymphe festhaltend, winkelte Ascan seine Schwingen zu einer scharfen Rechtswende an. Sein Flügel streifte die Spitze eines Busches in Schwanenform und enthauptete das grüne Tier dabei schlichtweg.


    Wenige Flügelschläge später hatten sie bereits deutlich an Höhe gewonnen, doch noch waren sie nicht sicher. Ohne langsamer zu werden, vergrößerte Ascan den Abstand noch weiter, denn er ahnte, dass der Gardist mit der Armbrust bereits wieder auf sie angelegt hatte. Das Pfeifen des Schusses erklang, doch der Bolzen verlor sich, bevor er dem Syrenia auch nur nahe kam. Sie waren außer Reichweite und damit außer Gefahr.


    Ein dunkles Lachen stieg aus der Brust des Geflügelten auf, während er Kyleja in seinen Armen hielt. Es war ein befreiender Moment, so sorglos wie zu den besten Zeiten in Alaneya, wenn ihm ein Streich geglückt war. Sein Blick suchte den seiner Nymphe, während die Paläste des Viertels sich unter ihnen erstreckten. Der Rausch der gelungenen Flucht ließ die grauen Augen des Raben blitzen und seine Aufmerksamkeit galt dabei ganz der Frau, die seine Freiheit nun mit ihm teilte.

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