Der Palast der Nacht (alt)

  • Shiyas Augen weiteten sich im ersten Augenblick vor Entsetzen. Die Rache einer Gottheit konnte schreckliche Folgen haben - das wusste die Cath'shyrr selbst nur zu gut. Also wandte sie sich sofort Aves zu und griff nach seinem Arm, zog ihn dann zu sich hinunter, um ihm das zuzuflüstern, was Brennan ihr zuvor gesagt hatte. Aus ihren Augen sprach dabei Furcht - das konnte sie nicht verhindern. Der Gedanke, dass Aves ein Fluch oder Schlimmeres treffen könnte, bereitete ihr Angst. Und das hatte noch nicht einmal etwas mit Aves selbst zu tun. Seit ihrer Verbannung hatte die Cath'shyrr großen Respekt vor Göttern und Angst vor deren Flüchen.


    Noch immer hielt Shiya Aves fest. "Wollt Ihr wirklich gehen? Dann... passt auf Euch auf, bitte." Wenn Shiya hätte gehen wollen, so wäre sie nach Brennans Warnung dennoch geblieben. Aber sie wollte ja ohnehin hier bleiben. Auch wenn sie nun mit einem mulmigen Gefühl neben Brennan saß. Ihr war bewusst geworden, dass sie sich hier in Shirashais Reich befand und nichts Falsches tun durfte. Sie würde nie wieder den Zorn einer Gottheit auf sich ziehen.

  • Aves hatte keinen Grund, sich vor der Rache einer Gottheit zu fürchten, denn er hatte nie Bekanntschaft mit so etwas gemacht. Er lauschte dem, was Shiya zu ihm sagte. Dieses Spielchen empfand er irgendwo als lächerlich. Aber er wollte nicht als respektlos oder intolerant gelten.


    Das, was ihn vor allem aufhielt, war der Ausdruck in Shiyas Augen, welchen man durchaus als angstvoll bezeichnen konnte. Wortlos setzte er sich wieder neben sie.


    Bedachte sie mit einem ruhigen Blick aus seinen stahlblauen Augen.
    Dann wandte er den Blick zu Brennan. Bitteschön, er würde der Zeremonie folgen. Zumindest würde er still hier sitzen bleiben.

  • Als Aves sich wieder niederließ, atmete Shiya erleichtert aus. Ihr war gar nicht bewusst gewesen, dass sie die Luft angehalten hatte. Doch nun fiel ihr tatsächlich eine Last von der Seele und sie ließ sich ein wenig zurücksinken während sie Aves Blick erwiderte und ihm leicht zulächelte, dankend zulächelte. Natürlich entging ihr sein trotziger Blick in Brennans Richtung nicht. Sie fragte sich, warum Aves sich wieder gesetzt hatte, wenn es doch den Anschein hatte, dass ihn nicht die Furcht vor Shirashai dazu gebracht hatte. Denn sonst hätte er Brennan gedankt. Hatte er denn keinen Respekt und keine Angst vor Göttern?


    Shiya jedenfalls war dankbar für Brennans Warnung. Auch sie sah ihn nun an, nickte ihm dankbar zu und flüsterte "Danke!", bevor sie sich wieder auf Sharinoe konzentrierte. Denn das konnte sie nun wieder ohne Sorge tun. Einzig die Frage, warum Aves hatte gehen wollen und warum er nun doch blieb beschäftigte sie weiterhin. Shiya beschloss, ihn später danach zu fragen, wenn sich eine Gelegenheit bot.

  • Sharinoe hatte das kurze Zwischenspiel in den Reihen der Gläubigen natürlich bemerkt, obgleich es rein äußerlich schien, als ob sie vollkommen in ihrem Gebet an Shirashai versunken war. Die Augen der Priesterin waren nun geschlossen und ein silbriges Glühen breitete sich um ihren Körper herum aus, das ihre Umgebung mit seinem Strahlen erhellte. Eine bekannte Regung in ihrem Geist zauberte ein verzücktes Lächeln auf ihre Lippen und sie breitete die Arme erneut weit aus, um die Göttin zu empfangen, die ihren Körper in Besitz nahm. Es war in der Tat eine besondere Nacht - Shirashai würde unter ihren Kindern weilen und sich höchst persönlich ihren Wünschen widmen.
    Die machtvolle Präsenz der Göttin floß derweil durch den Palast der Nacht wie süßer Honig und erfasste die andächtig schweigende Menge, die jetzt leise Äußerungen des Erstaunens vernehmen ließ. Schließlich öffneten sich die Augen der Hohepriesterin wieder, deren silbrige Färbung nun allerdings so dunkel wie die Nacht zu sein schien und kein Wesen Niel'Anors hätte es in diesem Augenblick vermocht, ihre Schönheit zu übertreffen.
    Eilig kamen einige andere Priester aus der Dunkelheit des Tempels gehuscht, um einen silbernen, mit Onyxen besetzten Thron zu bringen, auf dem sich die Göttin anmutig nieder sinken ließ. Ihre Augen wanderten über die Gläubigen, von denen sich nun nicht wenige auf den Boden knieten, um der Göttin zu huldigen. Für einen kurzen Moment verweilten sie auf Aves und ein schiefes Lächeln umspielte ihre Lippen, bevor sie sich wieder von ihm abwandte.

  • Die Veränderung der Atmosphäre war deutlich zu spüren, und Aves beobachtete, wie die Göttin in die Hohepriesterin einfuhr.


    Seine Augen verengten sich kurz und dann wanderte sein Blick umher. Die Menge kniete, starrte gebannt die Göttin an. In der Tat war diese Gestalt wunderschön, und Aves' Blick ruhte eine zeitlang auf ihr. Im nächsten Augenblick trafen sich ihre Blicke, denn die Göttin bedachte ihn mit einem schiefen Lächeln, das kaum zu deuten war. Wie hieß diese Göttin noch einmal? Er hatte den Namen heute schon mehrmals gehört, doch konnte er ihn sich einfach nicht merken. Im nächsten Moment wandte sie den Blick wieder ab.


    Er lehnte sich zurück und beobachtete weiterhin die Situation. Er fühlte sich hier nicht besonders wohl. Aves wandte den Kopf zu Shiya. Sie schien dies hier zu mögen. Zu bewundern. Er sprach kein Wort mehr, doch ließ er seinen Blick einen Moment auf ihr ruhen. Es ließ sich absolut überhaupt nichts daraus lesen.

  • Die Leute in der Halle wandten ihre Köpfe ausnahmslos in Richtung Altar, die Anwesenheit der Göttin funktionierte wie ein Magnet für Blicke und Aufmerksamkeit. Einige der bekutteten Gestallten im Kichenschiff nahmen ihre kapuze ab, nicht mehr darauf achtend, dass sie vielleicht lieber verhült hätten bleiben sollen. Die Manner und Frauen hatten nur noch Augen für das gefäß dr Göttin, das von innen heraus zu strahlen schien. Vier oder fünf der Besucher hatten, trotz ihrer Stimmung und verzückung die Kapuzen auf den Köpfen behalten, weil sie sich einen Rest von logischem Denken bewahren konnten. Einer begann zu weinen, wahrscheinlich war er das erste Mal im Tempel und hatte die Präsenz der Göttin nie gespürt. Und ein ganz besonderer Nachtelf unter einer Kapuze musste aufpassen sich nicht zu übergeben, weil in dem Moment ihrer Offenbarung alles auf ihn einstürmte, das Gefühl der Hilflosigkeit, dass er hatte, als er ihre Marionette war, der unbändige Hass, der seinem Volk angeboren schien und der bei ihm noch verstärkt wurde durch die letzten Ereignisse die sich in Verbindung mit der Göttin zugetragen hatten. Sicil wußte, dass er einen klaren Kopf behalten musste, dass er auf der Hut sein musste, er war in Feindesland und das Ziel seines hasses hatte sich gerade gezeigt. Außerdem wußte er im inneren, dass er vielleicht irgendwann selbst der Grund dazu gewesen wäre, das Elaiya ihn verlies, doch soweit war es nicht gekommen, sie hatten sich gerade arangiert und nun war sie weg, verjagt von der Entität, die ihm die Sonne verwehrte. Er stand auf und ging langsamen gemächlichen Schrittes Richtung Altar. Er würde sein Zeichen setzen...

    '...by the pricking of my thumbs, something wicked this way comes...'
    William Shakespeare, Macbeth (IV, i, 44-45)
    "Life is Honour. It Ends when Honour Ends"
    Akinwande Oluwole Soyinka, Death and the King's Horseman
    Initiative für mehr :hug:

  • Wohlwollend nahm Brennan zur Kenntnis, dass Aves sich wieder setzte. Er lächelte - wäre es doch einem Frevel gleich gekommen, wenn der Fremde einfach so gegangen wäre.


    Brennan geriet nicht derart in Verzückung wie einige der anderen Anwesen - wenn man die Göttin schon vor sich stehen hatte, ja, sie berühren durfte, waren diese Rituale zwar immernoch beeindruckend, aber hatten nicht mehr die Wirkung auf einen, wie zuvor. Ein Lächeln stahl sich auf Brennans Lippen, als er daran dachte, wie ihn Shirashai zum letzten Mal besucht hatte...


    Als Sharinoe sich gesetzt hatte, wagte Brennan es, Shiya anzusprechen. "Die hohe Priesterin wird jetzt einige Auserwählte aus der Gemeinde zu sich holen und sie nach ihren Wünschen und Hoffnungen befragen. Und wenn Shirashai es möchte, so wird sie auch einige erfüllen." Brennan flüsterte nur und sein Blick war weiterhin nach vorne gerichtet. Zumindest so weit es ging - denn plötzlich wurde ihm der Blick durch einen in schwarz gehüllten Jünger versperrt.

  • Shiya hatte nur Augen für die Priesterin und bemerkte Aves' Blick nicht. Sie hatte gedacht, dass das bisher Geschehene nicht weiter übertroffen werden könnte, aber sie hatte sich geirrt. Die Präsenz der Göttin war deutlich zu spüren und Shiya genoss dieses Gefühl, konnte den Blick nicht von ihr abwenden.


    Erst nach ein paar Augenblicken, als Brennan sie ansprach, wandte sie ihm den Kopf zu. Wünsche und Hoffnungen? "Aber sicherlich wird sie nur treu ergebene Jünger auswählen?!" Und was sollte sie sich schon wünschen, was Shirashai ihr erfüllen könnte? Sie an die Oberfläche zurückbringen? Aber warum darüber nachdenken? Shiya würde bestimmt nicht auserwählt werden... Also sah sie wieder aufmerksam nach vorne, bis auch sie den Jünger entdeckte, der zielstrebig auf die Göttin zuging. Ob er einen Wunsch äußern wollte? Neugierig beobachtete die Cath'shyrr, was nun folgen wird.

  • Sicil hatte die Hände unter der nachtschwarzen Kutte verborgen und ging langsam damit er nicht zu sehr auffallen würde. Er bahnte sich weiterhin einen Weg direkt auf den Avatar seiner dunklen 'Mutter' hin. Er war nah, sollte er jetzt schon enthüllen, was die Kutte vor den Anwesenden verbarg, solte er sich demaskieren, oder lieber noch weiter die scheinbare Sicherheit der Kutte ausnutzen? er entschied sich für die Kutte um noch weiter an sie heranzukommen, sie in Reichweite zu bekommen. So ging er noch ein paar Schritte und zog beim Gehen ein kleines Messer aus einer Scheide am Unterarm...

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  • "Sie wählt die aus, die sie für würdig hält." Antwortete Brennan auf Shiyas Frage und blickte weiter nach vorne. "Manchmal ist der emsigste Jünger nicht auch der würdigste. Shirashai hat da ihre ganz eigenen Vorlieben."


    Flüsterte er der hübschen Cath'Shyrr zu. Mit einem Stirnrunzeln nahm der den Mann in der Kutte wahr, der sich unbeirrlich auf Sharinoe zubewegte.


    "Der da allerdings" redete er weiter mit Shiya "kommt mir ein wenig seltsam vor.."

  • Shiya horchte auf. Ein kleines Fünkchen Hoffnung wagte es sich auszubreiten - aber die Cath'shyrr unterdrückte dieses aufkeimende Gefühl sofort. Es blieb schließlich noch immer ein Zweifel, der Zweifel, ob sie überhaupt an die Oberfläche zurückkehren wollte. Das Schicksal hatte sie hierher geführt, also musste es auf dieser verfluchten Insel auch eine Aufgabe für sie geben. Oder? Sie würde es schon herausfinden und bis dahin würde sie hier in der Stadt ihr Glück versuchen. Die Cath'shyrr nickte - mehr um sich selbst zu bestätigen als um Brennan zu zeigen, dass sie ihm zugehört hatte.


    Dann glitt ihr Blick erneut zu dem verhüllten Jünger. "Diesem Jünger fehlt es offensichtlich an Respekt", stellte sie leise fest, ein leichtes Fauchen untermalte dabei ihre Worte. "In unseren Tempeln hätte es niemand gewagt ohne Aufforderung nach vorne zu treten. Oder ist das hier so üblich?"


    In unseren Tempeln? Shiya hätte sich am liebsten auf die Zunge gebissen. Nicht nur, dass sie Yana'yria nicht mehr traute und wohl nie mehr zu ihr beten würde. Nein, sie befand sich in einem Tempel der Shirashai. Dem scharfen Verstand der Cath'shyrr war natürlich nicht entgangen, dass Brennan sie mit einem Hintergedanken hierher geführt hatte. Das hätte schließlich jeder Dorftrottel gemerkt. Und jetzt redete sie hier von einem anderen Tempel, einer anderen Gottheit. Shiya konnte nur hoffen, dass Brennan ihren Worten nicht allzu genau gelauscht hatte - oder nicht die gleichen Gedanken hatte wie sie.

  • "Nein.." Sprach Brennan und kratzte sich an der Schläfe. "Normalerweise ist das hier nicht üblich. Diese Gestalt ist.. seltsam." Brennan beschloss ihn weiterhin im Auge zu behalten.


    Auf Shiyas "unsere Tempel" ging der Vogelhändler nicht weiter ein. Er hatte es registriert - jedoch hatte ein jeder seine Götter und er verurteilte das kaum. Die Herausforderung daran war es ja eigentlich andere Wesen von der Schönheit Shirashais zu überzeugen und nicht sie wegen eines anderen Glaubens zu verurteilen.

  • Die wenigsten, die in dieser Nacht in den Tempel der Shirashai gekommen waren, mochten bei dem Anblick der Gestalt, die von einer Kapuze verdeckt wurde, etwas Böses ahnen oder ihr überhaupt eine Bedeutung beimessen. Trotzdem erhoben sich einige murmelnde Stimmen, als sie so zielstrebig nach vorne schritt - es kam beinahe einer Respektlosigkeit gleich, sich Shirashai ohne ihre Aufforderung zu nähern. Doch die Göttin blieb erstaunlich ruhig, lächelte gar auf eine ironisch anmutende Art und Weise - denn dieses Wesen mochte seine Gestalt vor den Sterblichen verbergen - doch vor Shirashai vermochte sie es nicht. Als das Messer aus der Scheide glitt, vertiefte sich dieses Lächeln noch ein wenig mehr und die nachtfarbenen Augen fixierten den Nachtelfen, der sich darunter verbarg.
    Shirashais Stimme war dunkel und verführerisch, aber dennoch von Macht durchströmt, als sich ihre Lippen endlich teilten, um das Wort an ihn zu richten.


    "Sei mit willkommen in meinem Haus, Sicil i Undómê. Welcher Herzenswunsch mag es wohl sein, der Dich zu mir geführt hat? Wünschst Du das Licht des Tages zu sehen? Deine Liebste zurück zu gewinnen? Oder ist es mein Tod, den Du Dir ersehnst?"


    Bei den letzten Worten drang ein leises Lachen aus der Kehle der Göttin und in ihren unergründlichen Augen glitzerte ein Funken der Belustigung.

  • Sicil blieb weder stehen, noch verlangsamte er seinen Schritt. Er warf mit einer kurzen Handbewegung die Kapuze von seinem Gesicht und sah die Göttin, besser ihren Avatar spöttisch und dich voller Hass an.


    "Wenn ihr mich so fragt, 'Mutter'" Sicil spie das Wort fast aus, obgleich er wußte, dass er nur in ihre Hände spielte, "Dann wünsche ich alle drei Dinge. Doch meine leibliche Mutter hat mir Manieren beigebracht, die euch auch gut zu Gesichte stehen würden. Eines nach dem anderen. Ich will Elaiya wiederhaben! Und ich denke unter der Sonne zu wandeln ist ein Wunsch der mir nicht erfüllt wird und den Gefallen zu sterben werdet ihr mir auch nicht tun."


    Sicil war nun fast auf Armeslänge an sie herangekommen und verlangsamte seine Schritte. Dann streckte er die Hand aus, umfasste die Klinge und zog sie ohne eine Miene zu verziehen heraus. Sein Blut tropfte auf den Boden des Tempels.


    "Bei meinem Blute, ich schwöre mit Freuden an letzterem Punkt zu arbeiten."


    Er öffnete die Handfläche und warf ihr mit einer Handbewegung das auf seiner Hand gesammelte Blut entgegen, dann machte er sich bereit, zu verschwinden, sein Zeichen war gesetzt, vorrerst, jetzt musste er hier herauskommen und weiter planen.

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  • Im flackernden Kerzenlicht sah Brennan Sicils Klinge und fast automatisch sprang der Shirashai-Jünger auf.


    "Verdammt, wenn er Sharinoe etwas tut, bringe ich ihn um." Knurrte der sonst so ruhig wirkenden Vogelhändler. Doch sein Körper entkrampfte sich auch nicht, als er sah, dass Sicil eben nicht die Hohepriesterin angriff, sondern nur sich selbst verletzte.


    Stattdessen sprang Brennan über Shiay hinweg und lief auf Sicil zu. Auch einige andere Anwesenden schienen den Nachtelfen aufhalten zu wollen, doch Brennan war ihm am nächsten.

  • Etwas verdutzt und überrascht verfolgte Shiya das Schauspiel. Als sie die Klinge in der Hand des vermeintlichen Jüngers erblickte, wollte sie intuitiv aufspringen. Doch sie erhob sich nur halb, verharrte dann in dieser Position. Was sollte sie hier schon ausrichten? Und vor allem, warum? Sie war schließlich nur ein Gast. Außerdem gab es hier genügend Anhänger, die nun auf den Nachtelfen zustürmten und Shiya hatte keinerlei Zweifel, dass dieser gegen diese Übermacht nichts würde ausrichten können. Shirashai alleine war wohl fähig, ihn aufzuhalten. Dennoch hielt Shiya ihre Hand nahe bei ihrem Dolch, während sie sich wieder auf die Bank niederließ. Sie lehnte sich jedoch nicht zurück. Stattdessen saß sie angespannt auf der vorderen Hälfte der Bank, jederzeit bereit doch noch aufzuspringen und einzugreifen. Kurz ließ sie ihren Blick von Chavariya zu Aves gleiten. Mit so einer Wendung hatte wohl keiner von ihnen gerechnet. Ob so etwas häufiger geschah?


    Shiya drehte sich ein wenig zu Aves und flüsterte: "Was denkt Ihr darüber?" Dann beobachtete die Cath'shyrr wieder aufrmerksam den Nachtelfen.

  • Die Spritzer des Nachtelfenblutes gelangten noch nicht einmal entfernt in die Nähe der Göttin. Ein Blick aus ihren schwarzen Augen, mehr bedurfte es nicht, um sie in der Luft aufzuhalten und sie erstarren zu lassen, einer kurzen Bewegung ihrer zarten Hand, um die Blutstropfen aufzufangen und sie schließlich auf ihrer Handfläche zu präsentieren. Es waren Rubine daraus geworden, die im silbernen Licht des Tempels verführerisch schimmerten.
    Sicil konnte sich derweil nicht mehr bewegen. Seine Beine schienen zu schwer, um einen Schritt zu machen, die Hände zu kraftlos, um den Dolch weiter festhalten zu können. Doch sein Geist blieb wach, aufnahmefähig. Und seine Zunge war noch immer beweglich.
    Shirashai blickte mit einem leichten Lächeln von dem Nachtelfen zu ihren Jüngern, die herbeigeeilt waren, um ihre Göttin zu schützen. Jeder von ihnen würde für seine Treue belohnt werden, insbesondere jener, der selbst jetzt, als die Gefahr gebannt schien, kaum zu zügeln war. Auch die Katzenfrau war dem Geist der Göttin nicht entgangen und ihre Augen verharrten für einen kurzen Moment auf ihren Zügen.
    Es waren nur Bruchteile von Sekunden vergangen, seitdem Shirashai den Nachtelfen aufgehalten hatte und eine Woge der Beruhigung, von der Göttin selbst ausgelöst, legte sich über die Gläubigen, die zwar wachsam bleiben, sich jedoch zunächst nicht mehr weiter näherten.


    "Blut... Leben... ein faszinierender Aspekt der Sterblichkeit."


    Die Göttin der Nacht hob die Hand, um die darauf schimmernden Rubine scheinbar eingehend zu betrachten.


    "Doch man sollte sein Blut nicht leichtfertig vergießen. Wie schnell kann es in die falschen Hände gelangen und Abhängigkeit bedeuten?"


    Mit diesen Worten sah Shirashai auf und musterte den Nachtelfen eingehend, strich beinahe voller Zuneigung über seine schwarze Wange, den Hass aus seinen goldenen Augen vollkommen ignorierend.

  • Sicils Hass stieg noch weiter an, und half ihm dabei in der Nähe der Göttin seinen Kopf nicht zu verlieren und nicht auf ihre Erscheinung hereinzufallen.


    "Na los! Du hast mir schon fast alles genommen was mir wichtig war, nun mach schon was du vorhast."


    Er erhob seine Stimme, damit alle sie hören konnten.


    "Alle, die nicht schon den Einflüsterungen erlegen sind würde ich raten zu verschwinden und nie mehr wieder zu kommen. Von ihr werdet ihr fallen gelassen, wenn ihr nicht mehr nützlich seid. Seht hinter die Fassade des schönen Scheins."


    Aber als er dies sagte, wusste er bereits, dass er die Anwesenden mit seinen Worten nicht erreichen würde. Er sah Sharinoe's strahlende, von der Göttin erfüllte Gestalt an und wartete auf ihre Reaktion, oder auf das Gefühl kalten Stahls von einem ihrer hörigen Jünger.

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  • Diesen Gefallen tat Brennan Sicil nicht. Es war nicht der kalte Stahl, den der Nachtelf an seiner Kehle spürte, sondern Brennans Atem, der langsam über seinen Hals strich.
    Brennan war hinter den Nachtelfen getreten - er berührte ihn nicht, doch sein Körper zeigte weiterhin die Spannung, die der Jünger der Shirashai aufrecht erhielt um Sicil jederzeit packen zu können.


    "Was wagst du?" Zischte Brennan ihm zu. "Störst einen heiligen Ritus wegen deiner Selbstsucht?"
    Brennan erwartete keine Antwort - er wußte, er würde keine bekommen. Sharinoe würde es kaum zulassen, dass dieser Nachtelf noch etwas sagte. Er würde schon seine Strafe bekommen, wenn.. wenn...


    Rubine. Brennans Augen wandten sich von der dunkel schimmernden Haut und der Pochenden Halsschlagader des Nachtelfen ab und hielten den Blick auf Sharinoes Hände gerichtet. Wieder hatte Shirashai ihre Hohepriesterin zu einem Wunder verholfen und aus dem dreckigen Blut dieses Nachtelfen wunderbar funkelnde Steine erschaffen. Und auch wenn Brennan sich nicht für "hörig" hielt, so fühlte er doch eine tiefe Demut, die das Band der Liebe, welche er für seine Göttin empfand, nur noch mehr festigte.

  • Die Augen der Göttin blickten beinahe weich auf Brennan, wohl wissend wie treu er ihr ergeben war. Und Treue, die durch nichts erschüttert werden konnte und die der Belohnung bedurfte. En Lächeln zog über Shirashais vollen, verführerischen Mund, als sie von ihm zu dem Nachtelfen hinüber blickte und endlich erhob sie sich von ihrem Thron und schritt näher zu den Sterblichen. Beinahe sanft strich ihre Hand über die Wange des Nachtelfen, als sie vor ihm für einen Augenblick verharrte und in ihren Augen lag ein Hauch von Traurigkeit, der nicht zu der Göttin der Nacht zu passen schien.


    "Mein armes, verirrtes Kind..."


    Die rauchfarbenen Augen richteten sich auf Brennan und das Lächeln kehrte zurück, wirkte beinahe intim, als ob es von einem geheimen Scherz her rührte, den beide miteinander teilten. Ruhig nahm sie seine Hand und legte die Rubine in seine Handfläche, bevor sie seine Finger darüber schloss.


    "... und ein armes, verirrtes Kind braucht jemanden, der auf es Acht gibt, nicht wahr?"


    Sie wandte sich ab und ließ ihren Blick durch den Altarraum gleiten. Ihre Stimme wurde lauter, verlor die Sanftheit, als sie sich zu einem machtvollen Klang erhob, der durch den ganzen Raum zu schweben schien und die Zuhörer umströmte.


    "Und so soll das Schicksal des Sicil i Undómê von nun an mit dem meines treuen Dieners Brennan Targo verbunden sein - auf daß er wieder auf den rechten Weg geführt werde und in den Armen seiner liebenden Mutter, der ewigen Nacht, Trost findet."

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