Layias Baumhaus im Wald vor Nir'alenar

  • Wolfsspuren


    Geborgenheit, Wärme, Zuhause. Hätte der Wandler seine Gefühle beschreiben müssen, er hätte wohl eines dieser Wörter verwendet, auch wenn er wusste, dass keines davon allein dem Gerecht werden konnte. Er konnte gar nicht sagen, wann er dies zuletzt gespürt hatte. Die erwiderte Umarmung Layias und ihre Wärme, welche sie teilte, all dies war wohl in dem Moment das einzige was er empfand. Seine Sinne wurden schärfer und doch konnte er den Wald nicht wahrnehmen. Nicht sehen was auch nur einen Meter weiter geschah. Nicht riechen wie der Regen die Neutralität des Waldes zurückbrachte und Reviere verwischte. Einzig und allein Layia war es, die er sah, die er spürte, die er roch, sie, seine einzige Wahrnehmung. Ihr Haar ihr Körper alles duftete nach Blumen, nach Wald, nach Wolf nach so vielem und doch nur nach ihr. Ihre Wärme umgab ihn, drückte die Nässe weg, vertrieb die Kälte. Sekunden, Minuten, Tage, was war schon Zeit, er konnte sie eh nicht mehr feststellen oder gar festhalten, nur Layia hielt er, hielt ihn. Er fühlte sich geborgen und in Sicherheit, fast wie als Kind bei der Familie, und auch wieder nicht, es war anders. Doch die Zeit machte keinen halt und so endete es, doch ein Teil der Wärme blieb.
    Argon erwiderte den Blick, sah die Wolfsseele hinter ihren Augen, den Wald in sich spiegelnd, sah alles was wohl eine Tua’Tanai ausmachte. Und ihre nur ihr selbst inne wohnenden Kraft, aus der er schöpfte. er vermochte nicht darüber zu urteilen was in ihr vorging, oder ob es wirklich er war, der ihr geholfen hatte. Denn sie selbst musste die Kraft aufbringen, sie selbst musste sie kontrollieren, leiten und einsetzen. Dabei vermochte ihr niemand zu helfen, doch dies brauchte auch niemand. In ihr schlummerte so viel mehr, als die Wandlerin an der Oberfläche zeigen konnte, mehr als nur ein Wolf. Doch wusste er nicht, ob sie dies auch selbst sah.
    er blieb ihr einer Erwiderung in diesem Moment schuldig. Zu viel passierte als das er dazu etwas sagen hätte können, in ihr, wie auch in ihm. Diese Wärme die ihm nun inne wohnte, diese Zufriedenheit die sie mit sich brachte. All dies vermochte er nicht einzuordnen. Denn egal wie lang er schon gewanderte war, diese unbekannte Gefühl einer solchen Vertrautheit hatte er bisher nie gekannt. Er hätte sich wohl in ihr verlieren können. Ebenso wie er sich einst fast im Wolf verloren hätte.
    Layias zog durch den Wald ließ Argon willig zu. Er folgte ihr, ohne Worte, schweigend. Er fühlte, wie der kalte Regen sich erneut auf seine Haut legte, doch die Kälte erreichte seine innere Wärme nicht, die er von ihr erhaltne hatte. Langsam weiteten sich auch wieder seine Sinne für alles andere. Er hörte die regenden Trommelschläge, die ihre Schritte durch den Wald begleiteten und einen beschwingten Takt vorgaben. Viele Bewohner des Waldes hatten zuflucht in hohlen Bäumstämmen oder unter Steinen vor dem Regen und dessen Kälte gesucht. Lediglich die Pflanzen schienen über dieses Schauspiel erfreut zu sein.
    Da waren sie, an dem Ort wo alles begonnen hatte, am Lagerfeuer Layias. Ihr Lächeln war äußerst ansteckend und so musste auch er kurz auflachen. Sie hatten damals irgendwie ihre eigenen Fragen und antworten die nicht zusammen passen wollten und doch mehr preisgaben als der erfragte erhoffen durfte. Ja hier hatten sie sich kennen gelernt, hier vor der Glut. Eine Glut die wo von Wasser durchdrungen war, das es fast anzunehmen war, als könnte sie keinem Schaden, als müsste niemand vor ihr Respekt haben. Und doch beäugte Argon die nasse Asche immer noch mit etwas argwohn.
    Ihre Hand löste sich, gab ihn frei. Hier sollten sich wohl ihre Wege wieder trennen. Doch noch ehe Argon überlegt hatte, wohin er nun gehen konnte, reichte sie ihm die Strickleiter. Danke, war seine einzige Antwort. Doch zeigte sie neben der Dankbarkeit über das Angebot auch zeitgleich die Überraschung über eben jenes Angebot. Seit er das Elternhaus verlassne hatte, hatte er in der Natur übernachtet und kein Haus mehr von innen gesehen. Er war sichtlich überrascht aber auch berührt von dem Angebot, denn er empfand so was alles andere als Selbstverständlich. Zügig kletterte er hinauf und blieb dort stehen. Er wollte nichts nass machen, denn noch triefte er. Sein Haar und seine Kleidung waren voll gesogen und tropften nun herab.

  • Sie hatte ihr Haus bisher mit niemandem geteilt, mit niemandem. Es wussten ohnehin nur drei Personen von ihrem Baumhaus ... Argon, Okina und Sicil. Kurz tauchte das Bild des Elfen vor ihrem inneren Auge auf, kurz berührte sie die Erinnerung an ihn und das Gefühl des Verlustes. Wie lange hatte sie ihn schon nicht mehr getroffen ... den ersten, dem sie sich seit Jahren geöffnet hatte, der ihr das Vertrauen zurückgegeben hatte. Das Vertrauen, dass sie nun Argon entgegenbringen konnte.


    Layia kletterte hinter Argon behend die Strickleiter hinauf. Ihre Finger fühlten sich klamm an, sie schmerzten, es wurde Zeit für etwas Wärme, die die eisige Nässe aus den Kleidern und aus den Knochen trieb, die sich unbemerkt von ihr eingeschlichen hatte. Sie fröstelte, erst jetzt, da die Betäubtheit von ihr wich, wurde ihr bewusst, wie kalt es eigentlich war. Oben angekommen lächelte sie Argon steif an, doch ihre Augen strahlten voller innerer Wärme. Sie hatte ihren Wolfsbruder so sehr ins Herz geschlossen, so aufgewühlt sie sich auch innerlich fühlte, sie spürte, dass der Tua'Tanai ihr die Ruhe gab, dieses Chaos zu bändigen. Es würde dauern, vielleicht genau so lange, wie es gedauert hatte ihre Seelensplitter zu trennen ... aber Layia besaß nun die Zuversicht, es schaffen zu können. Noch nie in ihrem Leben hatte sie eine derartige Zuversicht verspürt.
    Der Wind lies das hölzerne Klangspiel klimpern, dass am niedrigen, vorstehenden Giebel des Baumhauses befestigt war.


    Sie streckte die Hand nach Argons Gesicht aus und wischte ihm sacht ein paar Regentropfen von der Stirn, die aus seinem Haar tropften. Seine Kleider waren wie ihre triefend nass, auch ihre Haare, zusammengebunden in ihrem Nacken, klebten in nassen Strähnen auf ihrem Rücken.
    Die Wandlerin trat vor, öffnete die vor Feuchtigkeit verquollene Tür ihres Heims und entließ damit ein wenig der harzig riechenden Luft von innen. Kurz war sie darin verschwunden, man hörte es hölzern klappern, zwei nasse Stiefel auf den Boden fallen. Sie kam zurück an die Tür, ihre Blicke trafen sich, sie drückte Argon eine fleckige, grobe Decke an die Brust. "Hier ... komm rein und schließe die Tür fest hinter dir, sie klemmt ein wenig.", sagte sie leise und lächelte dem Wolfsbruder zu.
    Kaum war sie wieder im inneren ihres Hauses, zog sie ihre wollene Tunika aus, darunter nur ein feucht an ihrem Körper klebendes, ihre blassen Oberschenkel halb bedeckendes, helles Hemd. Die nassen Hosen zog sie ebenfalls aus, keinen Gedanken daran verschwendend, sich vor Argon zu entblößen. Sie schämte sich nicht vor ihm. Dann wickelte sie sich in eine ähnlich fleckige und grobe Decke ein, wie Argon, lies sich vor der einer vollgestopften Holzkiste nieder und begann darin zu wühlen, als würde sie etwas suchen. Das Haus bestand aus einem einzigen Raum, alles war klein und beengt, in eine kleine Nische war ihre Schlafstätte gedrückt, auf dem ein zerwühltes Knäuel aus Decken lag, kaum groß genug um sich darauf auszustrecken. Layia schlief ohnehin zusammengerollt und sich selbst umarmend. Es war kalt.
    Ein kleiner Tisch und ein schiefer Hocker drängten sich an die einzige freie Wand, es hingen trocknende Kräuterbüschel von der Decke unter denen man sich wegducken musste und zwischen denen sich hier und da Spinnenweben spannten. Es standen Kisten überall herum, aus losen Brettern zusammengenagelt, eine Truhe fand unter dem Tisch ihren Platz. Es roch so sehr nach ihren hölzernen Möbeln, ein wenig muffig, man hörte das Geräusch des prasselnden Regens auf dem mit dichten Reisig gedeckten Dach. Irgendwo tropfte es von demselben in eine blecherne Schüssel. Der Wind lies das Klangspiel weiterhin hölzern klimpern, doch in ihrem Haus war vom Wind nichts zu spüren, sie hatte die Wände sorgsam abgedichtet.


    Endlich hatte sie die blecherne Dose gefunden, die sie gesucht hatte. Das kalte Metall schmiegte sich in ihre Hand, sie stand auf, raffte die Decke um sich herum und lächelte in sich hinein. "Du kennst Feuerkümmel, Argon?"

    Er setzte sich. Ich setzte mich neben ihn. Und nach einem Schweigen sagte er noch: »Die Sterne sind schön, weil sie an eine Blume erinnern, die man nicht sieht ...« Ich antwortete: »Gewiß«, und betrachtete schweigend die Falten des Sandes unter dem Monde. - Antoine de Saint Exupéry, »Der kleine Prinz«

  • Argon stand da lauschte. Er lauschte dem hölzernem Windspiel, welches den Wind mit den Klängen des Waldes mischte. Es war der Wald, welcher die Klänge lieferte, doch nur mit humanoider Hilfe konnten sie zu diesem Spiel der Klänge zusammen geführt werden. Es schien die Melodie der Harmonie zwischen Wald und Tua’Tanai, welche durch den Wind erst zur endgültigen Reife sich erhob. Eine weile lauschte der Wandler diesen Tönen, doch nicht lange, galt diesem seine Konzentration. Als Layia oben stand wandte er seine Sinne wieder ihr zu.
    Ihre Berührung war warm und voller Zuversicht. Für einen Moment wurde ihre Hand von der Seinen umfasst und gehalten. Doch der Moment verstrich und der Wandler gab ihre Hand wieder frei. Er konnte nicht sagen was in ihm vorging, doch hier fühlte er sich wohl. Er fühlte sich geborgen, seit so vielen Jahren der Wanderschaft. Okina gab ihm all die Jahre zwar Sicherheit, was er ihr auch hoch anrechnete, doch keine endgültiges Zuhause. Auch dies war nicht sein Zuhause doch er konnte es sich vorstellen dass es wohl so sein musste, oder gar werden konnte.
    Layia ging vor, hinein. Er wartete noch. Es war ihr Heim, sie würde schon sagen, wann er rein kommen dürfte und wie sich verhalten sollte. Er sandte ihr nur ein Lächeln hinterher. Als bald gab sie ihm eine wärmende Decke zur Hand und bat ihn rein. Es war schön hier, holzig, natürlich, friedlich. Argon konnte selbst hier noch den Wald riechen, ihn spüren. Es war warm. Er hörte die Tropfen auf das Dach fallen, sie gaben eine neue Melodie, welche sich mit dem Windspiel zu einer neuen Symphonie verband. Argon schloss die Tür, mit etwas mehr druck, so wie ihm Layia geheißen hatte.
    Das sollte reichen um die Kälte draußen zu halten.
    Auch Argon fing an seine Sachen abzulegen. Das Hemd, es triefte er musste es ablegen wollte er sich nicht erkälten. Die Wolldecke um Schultern und Rücken geschwungen drehte er sich kurz um um einen Platz für das Hemd zu finden, er legte es vor die Tür auf den Boden, da sollte es niemanden stören. Dabei fiel auch sein Blick auf Layia, welche ihre Hose auszog. Ihren langen kräftigen und doch schlanken Beine fesselten seinen Blick und es dauerte einige Sekunden ehe Argon ihn los reißen konnte. Nacktheit war für ihn nichts fremdes und sie war weis Gott nicht die erste deren freies Bein er erblickte. Doch musste er auch gestehen dass die meisten die er gesehen hatte Wölfinnen gehörten. Er sah nichts fremdes und nichts ungewöhnliches und doch war er gebannt. Im Wald waren freie Beine wirklich nichts ungewöhnliches, ehr alltägliches und doch. Hier war es anders. Anders als sonst. Argon merkte wie er beim ablegen der eigenen nassen Kleidung immer wieder zu ihr Blickte und wie seine Blicke der blassen Haut nach zu jagen schienen. Er war fast schon sauer auf sich selbst, wieso hatte er seine Augen nicht unter Kontrolle, wieso gehorchten ihm seine Sinne nicht? Dem Wolf schien das alles wenig zu stören, doch dem Humanoiden schoss das Blut in den Kopf und ließ ihn erröten. Nun nach dem der Regen dass Dunkle seiner Haut hatte weggewaschen, war diese Röte auch noch besonders gut zu sehen. Es schien ihm, als sei sein eigener Körper ihm fremd geworden und wollte nun einfach nicht mehr auf ihn hören.
    Sie war schön. Seine Blicke verfolgten sie weiter während sie etwas zu suchen schien. Selbst in der Decke eingemurmelt schien er erpicht darauf sich jeden Millimeter ihrer Haut und ihres Körper einprägen zu wollen. Auch Okina war schön, doch da hatte er diese Probleme mit seinen Augen nie. Sie war für ihn schön, wie man wohl seine Schwester schön finden konnte, doch Layia war schön, wie es die Tua’Tanai und andere Völker in Lieder besangen. Eine Schönheit die einen nicht los ließ. Die Schönheit einer Frau.
    Layia stand erneut vor ihm und seine Augen wanderten hoch zu ihren Schultern, ihrem Hals, ihren Lippen. Er sah sie sich Bewegen und der Gedanke, dass sie was gesagt, durchdrang ihn wie ein Schlag und schien ihn aus einer Art Trance gerissen zu haben. Er schloss kurz die Augen in der Hoffnung die Kontrolle wieder zu haben und blickte sie danach mit dafür um so größeren an. Was war gesagt worden? Feuer… Kümmel...?... Ähm ...was soll das sein? Feuer klingt nicht so gut.
    Seine Gedanken rasten und schienen sich doch nicht endgültig zu formen. Wie ein Vogelschwarm schossen alle zeitgleich durch seinen Kopf ohne dass er auch nur einen genau fassen konnte. Was war los mit ihm? Die Röte stand immer noch in seinem Gesicht. Und wenn dies überhaupt noch möglich war, so kam sogar noch mehr hinzu.

  • Das schummerige Licht ihres Baumhauses spiegelte sich auf Argons Augengrund, wie auch auf ihrem. Sie konnte das Dunkel mit ihren Augen durchdringen, brauchte keine Lichtquelle, die es ihr erhellte. Es war verblüffend schön, dass es Argon genau so ging.
    Die Decke war etwas kratzig, aber sie war warm und nahm die Feuchtigkeit von ihrer Haut und so hielt sie den Stoff fest um sich geschlossen. Kurz strich ihr Blick über den staubigen Boden, auf dem in der Nähe des Tisches Holzspäne verstreut lag. Auf dem Tisch ruhte ein kleines Schnitzmesser neben einigen grob geformte Holzperlen, es wirkte, als hätte sie erst gerade im Moment die Arbeit niedergelegt.


    Layia spürte Argons tastenden Blick, natürlich spürte sie ihn ... und es war ihr angenehm, sie lächelte. Kaum jemandens Anwesenheit hatte sie bislang so beruhigt und so entspannt, so sehr, dass sie fast vergaß, dass sie nicht alleine mit sich war. Es war ein Gefühl, das sie selten erfahren hatte, das sie nur als blasser Schatten aus ihrer Kindheit kannte ... als Erinnerung an ihre Mutter und ihr Zuhause zwischen den Bäumen ... in Arvonar, dem Land, in dem sie aufwuchs.
    Eigentlich konnte sie keine Gelegenheit nennen, zu der sie sich so zuhause gefühlt hätte, so vertraut, als würde hinter der Türe nicht Beleriar und Nir'alenar liegen, sondern sich die endlosen Wälder ihrer Heimat erstrecken. Sie spürte ein warmes Kribbeln in ihrer Kehle, ein wohliges Brummen wollte ihrer wölfischen Kehle entweichen. Es war Argon. Es war seine Art, seine Persönlichkeit ... diese Zärtlichkeit mit der er ihr helfen wollte - mit der er ihr half. Es war ihre Ähnlichkeit und ihre Verschiedenheit zugleich, die sie einander so nahe brachten.
    Ein großer Teil von ihr hieß diese Gefühle willkommen, wie man die Wärme eines Pelzes willkommen hieß, wenn einem der kalte Wind bissig um die Ohren fegt. Doch im Gewühl ihrer Gedanken schwangen Erinnerungen an ihre Vergangenheit mit, die verhinderten, dass sie sich ganz darauf einlassen konnten. Noch immer stand etwas in ihr im Weg ... noch immer konnte sie nicht vergessen, wie ihre Vertrautheit zerbrochen war ... noch immer nicht sehen, dass Sicil und Argon sie wieder zusammengesetzt hatten. Besonders Argon ... der ihr geholfen hatte, sich mit ihrem Wolf zu vereinigen, wenn das auch ins Chaos geführt hatte. Sie wollte Argon vertrauen ... erwidern, was er für sie getan hatte.


    Sie konnte fast spüren, wie seine Gedanken rasten, er war nicht wirklich bei der Sache gewesen, als sie gesprochen hatte, er war abgelenkt und sein gerötetes Gesicht, dass sie trotz der Dunkelheit sehen konnte, verriet ihr wovon. Der Regen hatte Argons Haut reingewaschen, lies sie heller erscheinen als zuvor, doch nicht so hell wie Layias Haut leuchtete. Argon hatte die Haut eines Tua'Tanai, harmonierend mit dem Kupfer seiner Haare. Sie dagegen, hatte die blasse Haut ihres elfischen Vaters geerbt, genau wie die spitzen Ohren, die sich unter ihrem nassen Haar deutlicher abzeichneten als sonst. Ihre Pupillen waren weit, die Iris tiefgrün, sie sah Argon unverwandt in die Augen, versuchte in ihnen zu lesen.


    "Ist dir noch kalt?", fragte sie lächelnd und hob die Schatulle hoch, damit er einen Blick hineinwerfen konnte. "Keine Sorge. Es sind harmlose Pflanzensamen, die die Kälte aus den Knochen vertreiben, wenn du sie kaust. Probier sie nur, wenn du magst."

    Er setzte sich. Ich setzte mich neben ihn. Und nach einem Schweigen sagte er noch: »Die Sterne sind schön, weil sie an eine Blume erinnern, die man nicht sieht ...« Ich antwortete: »Gewiß«, und betrachtete schweigend die Falten des Sandes unter dem Monde. - Antoine de Saint Exupéry, »Der kleine Prinz«

  • Die Dunkelheit hatte sich über alles gelegt und doch war sie für die beiden Wandler fern. Sie sahen das was wohl den meisten verwehrt blieb im Dunkeln und Argon sah sie. Ihre fast makellose helle Haut. Sie war eine Tua’Tanani, wie er. Sie war ein Wolf, wie er. Und sie war doch so viel mehr als er. So viel mehr als er bisher erleben durfte. Es schien ihm als würde sie ihm selbst verdeutlichen was er war, was es bedeutet mit seinem Wolf zu kämpfen. Was es für ihn bedeutet hatte. Er wollte ihr helfen, für sie da sein und …noch mehr. Argon wusste nicht ganz was in ihm vorging, er konnte weder seine Gefühle noch seine Gedanken schlüssig ordnen. Und doch sah er sie unvermindert an, ihre Augen und in denen er sich verlor, ihr Lächeln nach dem er sich sehnte. Selbst der Wolf in ihm wurde unruhig, doch es war nicht die Ruhelosigkeit, die es sonst war, sondern viel mehr schien er ihm zu etwas drängen zu wollen. Doch zu was. Inzwischen hatte er zwar gelernt mit seinem Wolf zu leben, doch dieses Verhalten war neu. Doch hier entschied nicht der Wolf, er war da, Layia war da.
    Sie hatte seine Blicke mitbekommen. Er wusste dass sie bemerkte was in ihm los war. Und doch reagierte sie nicht anders, sie wich nicht, sie machte ihm keine Vorwürfe, sie schien es sogar zu verstehen. War sie nun dran zu erklären. Er hatte ihr den Wolf näher gebracht, brachte sie ihm nun das Humanoide näher. Argon lächelte kurz auf bei diesem Gedanken, nicht wegen der Folgen oder sonst welcher Erklärungen. Sondern ehr, weil er jahrelang versucht hatte Humanoid zu sein und nun Erklärung dessen bedurfte und vor allem, weil nun sie ihn ergänzte. Als wenn jeder dem anderen Half einen Teil von sich selbst zu verstehen. Als wenn jeder den anderen komplettierte. Welch göttliche Fügung mochte wohl dahinter Stecken, dass sich eben die Zwei Gegensätze begegneten, die sich doch so ähnlich waren, dass sie einander verstanden und auch helfen konnten.
    Argon ergriff ihre Hand, als er sich etwas zum probieren aus der Dose nehmen wollte. Er vertraute ihr, wieso auch nicht. Die Decke wärmte sein Äußeres, seine Haut, die Berührung ihrer Hand wärmte sein Innerstes, ihn Anblick schien noch tiefer zu gehen.
    Argon nahm einen dieser Samen und fing an zu kauen. Er hatte leichte Mühe damit, da seine Wolfsgestallt ihm die Zähne eines Fleischfresser gegeben hatte und er so wenig Kaufläche fand um die Samen zu zermahlen. Stattdessen schienen sie immer weiter gespalten zu werden. Doch er merkte was sie meinte. Es hatte einen leicht scharfen Geschmack, jedoch nicht so sehr, dass er in Tränen ausbrach und doch wurde es warm im Mund. Nach dem er Geschluckt hatte, merkte er wie die Wärme seinen Hals hinunter glitt, über die Brust in seinen Bauch und von dort aus sich weiter ausbreitete.
    Er war sich nicht ganz sicher ob er nun seine Augen unter Kontrolle hatte und bewusste sie anblickte, und die Blicke schweifen ließ, oder ob die Augen nun seine Gedanken kontrollierten und ihm vorgaukelten, dass alles sei gewollt. Doch wen interessierte es noch, wer die Kontrolle hatte, es war schön, sie war schön. Seine Augen wanderten von Dose ausgehend an ihrer anziehend blassen Haut entlang. Es schien von ihr ein Leuchten auszugehen. Ein wärmendes vertrautes Leuchten. Ihre Arme wirkten graziös und zugleich auch kraftvoll. Sein Blick schweifte weiter. Die Engumschlungene Decke konnte ihre weibliche Schönheit kaum verbergen und Argon wusste nicht ob die Wärme in ihm wirklich noch von dem Feuerkümmel herrührte. Ihr Langer Hals schien die Sehnsucht zu ihrem Gesicht noch zu erhöhen. Die nassen Haare schmiegten sich an ihre Wangen. Ihre spitzen Ohren schienen herauszustechen und doch zuglich den vertrauten Wolf noch mehr zu betonen. Ihre Augen so grün wie der Wald spiegelten die ganze Schönheit der Natur wieder. In ihnen schlummerten die Seelen Layias. Eine Güte sah zu ihm zurück, wie er sie noch nie erlebt hatte. Über die Kleine Nase gelangten seine Augen zu ihrem Mund, der eben noch freundliche Worte ausgesprochen hatte und dessen rötliche Lippen die Dunkelheit nicht im geringsten schmälern konnten.
    Es spielte zwar keine Rolle mehr, aber es waren wohl die Augen die die Kontrolle hatten. Denn die folgende Berührung begriff er erst, als sie stattfand. Er lehnte sich zu ihr vor. Keine Gedanken verwirrten ihn mehr, er dachte rein gar nichts. Er genoss nur weiter ihren Anblick, ihre Augen, ihre Schönheit, während er ihr näher kam.
    Und sie küsste.

  • Ihre Augen hatten sich geschlossen. Layias Kopf brauchte lange, bis er verstanden hatte, was vor sich ging, doch ihr Herz war schnell, es schlug spürbar hastig, stolperte kurz, ein zuckender Schmerz huschte durch ihre Brust.
    Argon hatte sie geküsst.


    Ihre Lippen fühlten sich warm an, Layia legte langsam einen Finger an ihre Lippen und bemerkte, wie kühl er sich an ihnen anfühlte. Sie trug ein weites Lächeln auf ihnen. In ihren Augenwinkeln sammelten sich kleine Tränen, die ihre Wimpern befeuchteten.
    Inmitten all der Gefühle, zwischen Euphorie und Gerührtheit, zwischen Glück und Erlöstheit ... irgendwo dort fand Layia Trost, fühlte Geborgenheit, Vertrautheit. Wie die Luft in sommerlicher Hitze flirrte, so waren auch ihre Gefühle zerstreut und trotzdem schwebte über allem eine wohlige Ruhe.


    In der Dunkelheit, die keine Dunkelheit war, öffnete sie ihre Augen und sah Argon an, ohne Worte zu haben, die sie hätte sprechen können. Stattdessen schloss sie die metallene Dose, die sie noch immer in ihren Händen hielt, warf sie zu all dem anderen Kram in die Kiste, wo sie scheppernd zum Liegen kam. Dann überwand sie die wenige Distanz zwischen Argon und ihr mit einem kleinen Schritt, schmiegte sich weich an ihn, legte ihren Kopf auf die Schulter des Wandlers, schlag ihre Arme um seinen Oberkörper, die wollene Decke öffnend.


    Sie alle waren Opfer, Opfer ihrer eigenen Fremdartigkeit, Opfer der Zeit, der Umstände. Und sie waren verbunden ... durch dies und durch noch viel mehr. Sie teilten so viele Gemeinsamkeiten, ihre Eigenartigkeiten ergänzten einander, schreckten den jeweils anderen nicht, wie es sonst der Fall war mit anderen Leuten, die ihnen begegneten. Sie fühlte eine besondere Art von Nähe zu Argon, eine andere, als sie jemals zu irgendjemandem empfunden hatte. Sie fühlte sich auf eine diffuse Art und Weise angezogen von ihm, sie wollte keinen Bruchteil dieser Nähe jemals wieder missen. Es war ein unbestimmtes Gefühl, aber es war stark.


    Layias Augen schlossen sich wieder, eine kleine Träne tropfte auf Argons Schulter, ihre Lippen nahmen sie mit einem Kuss auf.
    "Danke.", wisperte sie, leise wie das Rascheln des Laubes draußen über dem Dach des Baumhauses, leiser als das dumpfe Klappern des Windspiels vor der Tür, leiser als ihrer beider Herzschlag, der laut war in ihren Ohren.

    Er setzte sich. Ich setzte mich neben ihn. Und nach einem Schweigen sagte er noch: »Die Sterne sind schön, weil sie an eine Blume erinnern, die man nicht sieht ...« Ich antwortete: »Gewiß«, und betrachtete schweigend die Falten des Sandes unter dem Monde. - Antoine de Saint Exupéry, »Der kleine Prinz«

  • Welch eine Zwiespältigkeit, was für Gefühle. Argon wusste wirklich nicht wo ihm grade der Kopf stand, oder sein Bauch hinwollte, oder überhaupt, alles erschein ihm fremd und doch so gleich so natürlich, so… als müsste es so sein,… als gäbe es nichts anderes. Nun es gab auch in diesem Moment nichts anderes. Hätte man ihn gefragt, wo er sei, was er dort tue oder wo er hin wollte und ob es noch regnete, wäre auf all dies nur 'Layia' seine Antwort gewesen. Sie war das Zentrum worum sich seine Gedanken in diesem Moment drehten. Und doch drehte sich jeder etwas anders und wollte etwas anderes. Ein Gedanke wollte ihn jaulen und hüpfen und tanzen lassen, ein anderer wiederum hätte ihn wohl einfach zusammensacken und alles in Ruhe und Friedlichkeit genießen lassen. Und auch war da irgendwo einer, der einfach nur froh war, dass sie ihn nicht für unverschämt hielt und eine Ohrfeige gegeben hatte. Ein wenig verwunderte ihm, dass er überhaupt damit gerechnet hatte, schließlich hatte er ja nicht einmal damit gerechnet so etwas zu tun. Und all diese Gedanken waren nur ein Sekundenbruchteil in seinem Kopf und dann auch schon wieder fort. All dies überkam ihn irgendwie unerwartet, doch aufgrund der Menge der Gedanken war er kaum in der Lage sich für einen zu entscheiden, weshalb er einfach nur bei ihr blieb, sich nicht weiter rührte und seine Augen auf sie gerichtet ließ. Die Gedanken verstummten mehr und mehr, dafür machte sich genauso mehr und mehr ein Lächeln in seinem Gesicht breit, wo her dass nun wieder kam, konnte er nicht sagen. Mit alldem hatte sein Verstand wohl wenig zu tun, sein Bewusstsein konzentrierte sich daher nur noch auf eines, auf Layia. Selbst das Scheppern der Dose, war ihm entgangen, er hätte sich in diesem Moment wohl auch nicht mehr an eine Dose erinnert. Kein Mux verließ seine Lippen, er hätte auch keinen gewusst um dies zu beschreiben. Er erwiderte nur noch ihre Umarmung, legte seine Arme um ihren Körper, genoss ihre Wärme, ihre Zartheit, ihre Geschmeidigkeit, ihre… er genoss sie mit allen Sinnen.
    Ein wärmendes etwas bereitete sich in ihm aus, es war wohl Geborgenheit, etwas, was er schon lange nicht mehr so intensiv gespürt hatte. Doch es war bei weitem nicht so warm, wie ihre Haut. Sie fühlte sich fast schon ...heiß an. Einwenig begann Argon an seinen Sinnen zu zweifeln, doch es spielte wohl auch keine Rolle, so lange er sie nur halten durfte.
    Sein Kopf lehnte an ihrem, er roch ihre Haare. Sie rochen nach Eichenblättern, nach Nüssen und einfach nur nach Wald, nach Heimat. Seine rechte Hand durchstreifte ihre Haare. Seine Decke hatte sich gelockert, sie rutschte, und doch merkte er dies nicht, er merkte nur sie dafür umso deutlicher, dort wo ihre Haut sich traf und doch wurde ihm nur wärmer. Den Verlust der Decke bekam er nicht mit.
    Etwas Feuchtes lag auf seiner Schulter, ronn herunter, bevor es von Layias Lippen gestoppt wurde. Nur ihr gehauchtes Danke durchdrang den verworrenen Weg in sein Inneres. Nichts außer ihrer lieblichen Stimme wurde noch empfangen. Ihr gehörten all seine Sinne, ihr gehörte er.
    Langsam löste er sich von ihr, doch ging er nicht weit, nur so weit, dass er ihr ins Gesicht sehen konnte. Ihre Körper blieben an einander. Die Umarmung der linken Hand ließ nur etwas locker. Seine rechte Hand lag weiter auf ihrem Gesicht, ihrer Wange, verworren mit ihrem Haar. Etwas Feuchtes ronn seine Wange hinab. Er nahm die Rechte von ihrem Gesicht und griff sich selbst an die Wange. Eine Träne zerrieb zwischen Finger und Daumen. Auch seine Augen waren feucht, doch warum? War es nicht all dies, was er immer gesucht hatte, all diese Geborgenheit, Vertrautheit, … diese Sehnsucht die sich nun zu erfüllen schien… die Heimat, …Layia.
    Ein Lächeln lag auf seinem Gesicht, denn im Moment gab es nur einen Gedanken in seinem Kopf, nur eine Antwort, Ja. Nie mehr,.. Nie mehr dich los lassen müssen. Erklang es genauso leise wie sie zuvor. Ehe die Rechte erneut ihren Hals entlang wanderte. Seine Worte waren wohl nicht grade das Lyrischste, was er je gesagt hatte, doch dem Wirr Warr in seinem Kopf geschuldet, hatte er immerhin überhaupt ein paar Worte gefunden, die er äußern konnte.

  • Layias Gedanken stolperten durch ihren Kopf, halb angedacht, halb schon wieder vergessen huschten ihre Fragmente wie Geister an ihr vorbei. Ein kleiner Zweifel meldete sich an, pochte leise und tückisch an die Tür, fragte, ob sie genug vertrauen würde. Ob sie Argon gut tun würde und ihn nicht berauben würde, mit verwirrter Spaltseeligkeit, die so viel Kraft forderte, Kraft, die sie selbst nicht besaß. Sie hörte nicht auf den Zweifel, dennoch riss die Wohligkeit, die sie zart wie eine Spinnwebe umhüllt hatte, zeigte die Kühle, die sich außerhalb dieser Umarmung befand. Die Kälte einer Welt, die durcheinander war wie Layias Kopf. Das Durcheinander in das sich Argon begeben hatte, in das Layia ihn geführt hatte ... wusste er, was er tat?
    Layia kannte die Antwort.


    Wie konnte er wissen, wenn sie selbst nicht wusste, wohin es führen würde? Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie wieder der Traurigkeit anheim fallen würde, sich wieder sehnen würde, zurück auf die Reise ... zurück auf die Straße, zurück zu den Tagen in denen nichts zählte, als einen Fuß vor den anderen zu setzen und einen trockenen Schlafplatz zu finden. Den Griff hart und fest an ihrem Wanderstab, den Blick auf einen stets vor ihr fliehenden Horizont gerichtet ... oder war sie etwa angekommen? War dies der Ort, an dem sie bleiben wollte? War Argon ein Anker in ihrem Leben, der sie lange genug an diesem Ort hielt, damit sie endlich Wurzeln schlagen konnte?
    Vielleicht war es das letze Mal, dass die Melancholie sie beschlich, dass sie bittersüße Tränen weinen musste und dass es sie fortsehnte. Sie wusste nicht, ob sie ohne dieses Sehnen leben konnte. Sonst gedachte sie nichts als endgültig in ihrem Leben ... und nun?
    Die Verbindung, die sie zu ihm spürte war so tief, es war ein so festes Band, das sie zu ihm geknüpft hatte, dass sie wusste, dass es nicht mehr zerrissen werden konnte. Nicht, ohne das Herz des jeweils anderen auch zu zerreißen. Sie wusste, dass das nicht geschehen durfte.


    Durch den Schleier der Freudentränen, die ihr in den Augen standen, sah sie auch an Argons Gesicht Tränen herabrinnen.
    Seine Worte klangen warm in ihren Ohren, sie wollte das selbe erwidern, doch fand sie im Gewirr ihrer Gedanken keinen Halt, keine Worte und keine Kraft, etwas zu sagen. Stattdessen löste sie sich ganz aus der Umarmung, neigte ihr Gesicht Argon zu und gab ihm einen verschwindend sanften Kuss auf die Lippen.


    "Ich bin froh, dass du da bist, Argon. Du machst mich ganz.", sagte sie schließlich, zog zitternd Luft ein, ihr Blick flackerte zum Boden. Dann traf er wieder Argons Blick und sie seufzte lächelnd. Sie hob seine Decke, die ihm von den Schultern geglitten war, auf und warf sie ihm wieder um. "Du erkältest dich.", flüsterte sie lächelnd und bedachte Argon mit einem liebevollen Blick. Er war wie ein lang verlorener Freund, wie ein lange gesuchtes, fehlendes Teil ... es fühlte sich gut an, ihn so nah zu wissen. Es fühlte sich komplett an. Sie und Argon, sie und der Wolf ... dennoch, dieses Ganz-sein fühlte sich ungewohnt an.

    Er setzte sich. Ich setzte mich neben ihn. Und nach einem Schweigen sagte er noch: »Die Sterne sind schön, weil sie an eine Blume erinnern, die man nicht sieht ...« Ich antwortete: »Gewiß«, und betrachtete schweigend die Falten des Sandes unter dem Monde. - Antoine de Saint Exupéry, »Der kleine Prinz«

  • Er war nackt. Sie konnte alles sehen. Doch es machte ihm nichts aus. Sie war die erste die alles sah. Selbst Okina hatte er nie sehen Lassen, nie diese Blöße, seines Inneren. Seine Gefühle lagen offen, sein Verstand verschloss sich nicht mehr, Nichts wurde verborgen. Alles in ihm lag offen, für sie.
    Es war instinktiv, es war gewollt, es war sein Verstand, sein Gefühl, es war alles in ihm, selbst sein Wolf. Alles wollte nur eines, Layia. Es schien als hätte er nie richtig gesehen, oder gerochen, oder gefühlt oder ... und nun war es Layia, ihre Augen die er sah, ihr Haar das er roch, ihre Haut dessen Wärme er spürte. Argon dachte und doch tat er es nicht, und doch so viel und zu gleich das Selbe, hundert Gedanken wie einer und alles nur Layia.
    Ewig hatte er einen Ort gesucht um zu finden, dass es keinen Ort bedurfte, ewig hatte er an Orten festgemacht, was doch am Ende Personen waren. Lange Zeit war er unsicher durch die Wälder gestreift und hatte dann Okinas Sicherheit gefunden. Mit ihrer Sicherheit war er weiter gestreift und hatte nun das Wohlsein Layias gefunden. Er fühlte sich wohl bei ihr, in ihren Armen, in ihren Berührungen, in Blicken, ihren Worten.
    Ihre Worte gaben ihm eine Kraft, von der er nie gedacht hätte sie je zu erfahren. Er freute sich sichtlich über sie, über das, was er auch ihr zu bedeuten schien. Über ihre Sorge. Keine Träne lag auf seinem Gesicht, und doch glänzten die Augen voll Freude. Alles überkam ihm, er kontrollierte es nicht, und doch war es so, wie er es wollte. Als wäre alles so, wie es sein sollte, wie es schon immer war, ganz natürlich, gesteuert unkontrollierbar.
    Die Kälte zog an ihm. Layia hatte losgelassen. Seine Augen hafteten an ihr, genauso wie sein Verstand, seine Sinne, sein Verlangen. Sorgsam legte sie die Decke um ihn, sprach mit ihm. Öffnete ihm die Augen, für das was er nicht sehen konnte. Ihm war Kalt. Die Decke lag auf seinen Schultern. Sie wärmte nicht. Sein Verstand raste in einer nie gekannten Ruhe, die Vielseitigkeit aller Gedanken, aller Verlangen wurden so einheitlich wie nie zuvor. Er hatte gefunden, was er nie gesucht hatte, gesucht, was er nie hätte finden müssen und so doch alles, was er nie gewusst hatte zu wollen.
    Mir ist kalt. Die Decke, ich brauche sie nicht... Sie hält mich nicht warm, das tat sie nie. … Eine kurzes schweigen trat, eine Stille in der die Gedanken sich erneut formten und ohne weiteres ausgesprochen wurden, in dem Moment seiner Klarheit. Du warst es, immer nur du. Du wärmtest mich, du nährtest mich. Nur du… Mehr brauchte ich nicht, nur dich. Deine Berührungen wärmten mich. Er ging einen kleinen Schritt auf sie zu. Deine Blicke führten mich… seine linke Hand streichelte ihr Haar. Deine Worte nährten mich. Seine rechte Hand ergriff ihre Linke und er kam weiter näher Durch die sehe ich…Durch dich fühle ich… . Erneut berührten sich ihre Körper. Ich weis nicht, was ich zuvor gelebt habe, ein Leben mit Wolf und doch nur ein Halbes mit zwei Seelen. Ein Lächeln huschte über seinen Mund. Es war still in seinem Kopf, kein Wolf, kein Wirr Warr, kein Verlangen. Nur ein Kuss, ein bewusster Kuss, ein gewollter Kuss, ein zärtlicher Kuss auf ihren Lippen ... und die Worte Vielleicht braucht es mehr, als die Einheit innerhalb eines Wandlers... Darf ich bei dir bleiben, dich erfahren, dich unterstützen, mit dir Leben, ein Leben, ein Ganzes, ein ...Unser-Leben?

  • Sie war hier. Er war hier. Er war nackt. Es brauchte einen Moment für Layia, bis sie aus dem süßen Taumel der Berührungen und Worte wieder erwachte, witterte, lauschte, realisierte. Argons Worte schmeckten nach Zuhause, nach Fürsorge... sie rochen nach dem wohligen Gefühl eines Wolfsbaus, erdig, von Wurzeln durchnetzt, kühl, sicher. Er wollte ihr Leben teilen. Sie fühlte ihn nahe, seinen Kuss noch immer auf ihren Lippen, auch wenn er längst schon vorbei war.
    In Jahren, in langen Zeiten hatte sie nie geglaubt, dass soetwas passieren würde. Sie hatte ihr Leben gehasst und genossen, sie hatte es gelebt, weil sie glaubte kein anderes leben zu können, es verflucht und im selben Moment verehrt. Layia konnte nicht behaupten, dass ihr das Leben auf den Straßen sehr fehlte, seit sie in Nir'alenar angekommen war, doch zog es sie oft desnächtens fort, auf Mauern, an den Hafen, an dunkle, einsame Orte der Stadt um ihren Sehnsüchten und der Wehmut Raum zu geben. Sie hatte gelernt, in Jahren hatte sie gelernt einen Weg zu gehen, der ihr am besten entsprach ... und nun sollte sich alles ändern. Sollte es?
    Plötzlich wusste sie nicht, ob sie das wollte. Tränen wanden sich in ihren Augen. Was, wenn es sich gar nicht verändern konnte? Sie konnte ihr Leben so wie es war nicht teilen, nicht, ohne zu verletzen. Sie erinnerte sich an die Vergangenheit, die endlosen Nächte und Tage, die sie alleine verbachte, die Tage, an denen die Tiere und Pflanzen verwilderter Wälder die einzigen waren, die sie bemerkten, die ihr Aufmerksamkeit entgegenbrachten. Eine Erinnerung brachte ihr ein sanftes Beben in ihrem Herzen - wie sie begonnen hatte, ihre Flöte zu spielen, das kühle Silber zuerst an ihre Lippen gelegt hatte ... sie hatte gelernt, alles in die Töne zu legen, mit ihenn zu spielen, sich mit ihnen zu unterhalten, wie andere es mit ihren Freunden taten. Noch vor nicht all zu langer Zeit, kannte sie keine Freunde. Dann kam Sicil ... es kam die kleine Kea ... es kamen Personen, die in ihr Leben traten und keine Wunden rissen. Im Gegenteil, völlig ohne Vorbehalte hatten sie ihr Leben ein Stück weit begleitet und vielleicht sogar versucht klaffende Wunden zu schließen, Narben zu sehen, Trost zu spenden von dem sie nicht wusste, dass sie ihn benötigt hatte. Und schließlich Argon. Wie ein Bruder, ein längst verloren geglaubter Bruder. Wie schon lange nicht mehr fühlte sie sich zuhause, vielleicht das erste mal, seit sie ihr Zuhause verlassen hatte. Er hatte ihr den Wolf gezeigt, er hatte ihr gezeigt, dass es möglich war ... das man vereinen konnte, was sie sorgsam voneinander getrennt hatte. Mit ihm kam ihre Heimat zurück in ihr Leben, ihre Herkunft, ihre Mutter. Layia hatte es gewagt, wissend, dass Argon da war. Sie hatte ein Quäntchen Kraft und Selbstvertrauen in ihm gefunden, dass ihr immer gefehlt hatte, um ihrem Wolf zu begegnen.
    Argon umarmend wanderten ihre Hände auf seine nackten Schultern, sie presste ihn nahe an sich, alles spürend, alles wollen und doch zweifelnd.
    "Wenn es das ist, was du möchtest, Argon ... dann darfst du. Ja.", sagte sie und ihre Stimme klang belegt. "Doch das wird dich nicht vor Schmerzen schützen ... es wird vielleicht noch viel mehr schmerzen, als alleine durch ein gespaltenes Wandlerleben zu gehen. Heilsamer Schmerz. Wenn du das willst ... bitte ich dich, bleibe bei mir."

    Er setzte sich. Ich setzte mich neben ihn. Und nach einem Schweigen sagte er noch: »Die Sterne sind schön, weil sie an eine Blume erinnern, die man nicht sieht ...« Ich antwortete: »Gewiß«, und betrachtete schweigend die Falten des Sandes unter dem Monde. - Antoine de Saint Exupéry, »Der kleine Prinz«

  • Es pochte. Es rauschte. Ein Sturm zog in seinen Gedanken auf, ohne Form und Inhalt. Auf Layias Worte lauschten seine Ohren und doch verstanden sie nur wenig. Es hallte. Das Blut schoss durch seinen Körper. Sein Herz schlug schneller und schneller, stärker und stärker, als wolle es die Brust verlassen. Pulsierend schoss es durch seine Adern, als könnte jeder weitere Puls das Ganze weiter bewegen. Im Sturm zog eine Wolke auf. Was, wenn sie „Nein“ sagte? Was wenn sie kein „Wir“ wollte? An diese Gedanken wollte Argon lieber nicht denken und doch hatte er Angst. Er war auf sie gebannt, ihre Antwort erhoffend, positive Antwort erhoffend. Doch was wenn sie positiv war, wie würde das Leben dann wohl werden? Zweifel an seinem Wunsch kamen nicht auf, doch wirklich Gedanken hatte er sich auch noch nicht gemacht. Doch fürs Erste, war es ihre Entscheidung. Er würde sie befolgen, egal, wie sie ausfiel. Das Blut rauschte in den Ohren, machte es schwer Worte zu verstehen.
    Tränen verließen ihre Augen. Kein gutes Zeichen? Ihre Umarmung wurde fester. Sein Herz schlug schneller. Wie wohlige Musik erklang ihre Stimme durch das Rauschen hindurch und doch war sie belegt. Nicht voll Hoffnung, nicht voll Mut. Die Worte schienen ihn zu dulden, nicht willkommen zu heißen. Doch vielleicht war dies auch nur der erste Schritt von vielen. Wie hätte er auch erwarten können begeistert willkommen geheißen zu werden. Doch immerhin er durfte bei ihr bleiben, sie durften es gemeinsam versuchen. Und wer weiß, vielleicht würde es halten, stärker werden. Sein Herz hatte sich nun endlich beruhigt. Der Sturm in seinen Gedanken gelegt. Argon atmete tief ein. Ihr Geruch kitzelte seine Nase. Ein Geruch, den er genoss, den er wohl noch länger genießen durfte. Layias Worte, ihre Warnung, halte in seinen Ohren. Schmerzen?! Schmerzen hatte er bereits erlebt, er hatte schmerzen verursacht, er hatte sie geduldet, kennen gelernt. Und doch konnte er sich kaum ausmalen, von welchen Schmerzen sie sprach. Narben hatte die Kindheit gebracht, Blut die Jugend vergossen, nun so sollten es Schmerzen sein. Wenn dies der Weg war, den er beschreiten musste mit ihr zu wandern, so sollte dies sein. Ein neuer Weg, ein unbekannter Weg, doch ein Weg mit Layia. Im Moment vermochte er sich nicht das Geringste auszumalen, welche Schmerzen erlitten werden müssten, wenn er bei ihr war. Der Weg alleine, ohne sie, erschien um ein vielfaches dorniger. Er war dankbar den letzten Weg nicht beschreiten zu müssen. Er erwiderte ihre Umarmung, kräftig. Zog sie genauso fest an sich, wie sie ihn anzog. Sie und den Moment umarmend, auf das er nie vergehen sollte, erklang seine Stimme dankbar und doch zugleich auch schüchtern aufgeregt. Sollte dies doch seine neue Heimat werden können. Danke, dank dir. An deiner Seite wird jeder Schmerz leichter zu ertragen sein. Ein Schmunzeln huschte über seine Lippen. Layia hatte ihn bei sich aufgenommen.
    Er konzentrierte sich ganz auf sie, auf ihren Geruch, auf das Gefühl ihrer Haut. Er wollte sie mit allen Sinnen erfahren. Wäre es möglich gewesen, er hätte sie wohl angeknabbert, nur um ihren Geschmack zu kennen. Den Geschmack der Wandlerin, an deren Seite er von nun an leben wollte.
    Und doch löste sich seine Umarmung wieder und er ging einen schritt zurück. Seine Augen waren auf sie gerichtet. Auf ihr Gesicht, ihren Körper, ihre Seele. Alles wollte er in sich auf nehmen. Sie in diesem Moment ganz sehen, diesen Moment, den er nie wieder vergessen wollte.

  • Es gab Dinge, die man nie vergaß. Genügend davon waren Dinge, von denen man sich wünschte, man hätte sie nie erlebt. Es gab einige Erinnerungen, die Layia am liebsten mit Klauen und Zähne gepackt und in der Luft zerrissen hätte ... doch sie wusste auch, dass sie das nicht konnte und je länger sie versuchte, die Erinnerung zu leugnen desto tiefer brannte sie sich ein. Letzlich waren es doch auch solche Erfahrungen die einen Charakter formten, eine Geschichte schrieben. Ihre eigene Geschichte.
    Unter all den Dingen, die sie niemals würde vergessen können, waren auch eine Hand voll schöne Momente, Momente mit ihrem Vater, mit ihrer Mutter im Wald von Arvonar ... unter dem fleckigen, wirbelden Baumkronenlicht den nach den tausend Düften des Waldes riechenden Wind witternd. Auch dieser Moment sollte ein solcher werden, der nie verblassen würde, und sie würde bestimmt nicht versuchen ihn zu vergessen.


    Es war neu und doch fühlte sie sich erinnert. Es fühlte sich so bekannt an ... dennoch, Layia wusste nicht, was es war, dass in ihr grub und sich wand. Sie glaubte, es sei der Wolf, doch es waren diesmal nicht seine Klauen die ihr Inneres zerwühlten. Woher kannte sie dies nur? Sie horchte in sich hinein, hörte nichts außer dröhnenden, langsamen Herzschlag, einem leisen Atem, ein nahezu lautloses Sirren in den Muskeln. Der Wolf hatte ihr einen Teil seines Körpergefühls gelassen, als er Layia ihre Gestalt zurückgegeben hatte, so stellte sich ihr Nackenhaar, reflektierten die Augen ein nachdenkliches Leuchten, suchten Argons Wolfsblick und fanden grüne Menschenaugen.
    Ihre Mundwinkel zuckten nach oben, als wollten ihre Lippen ein Lächeln formen, spitze Eckzähne zeigen, ein Wort sagen. Doch blieb sie stumm und dachte nach.


    Sie mochte das unsichere, unstete Gefühl in sich nicht, sie mochte nicht, dass es sie schwanken lies, dass es sie dazu zwang, stumm zu stehen. Geduld., sagte sie sich, sagte sie dem Wolf, der interessiert die Ohren stellte und lauschte. Layia sah ihn weiterhin unverwandt an, ihre Brauen formten leicht
    geschwungene Bögen über ihren moosgrünen, reflektierenden Augen in denen
    nichts bestimmtes stand, die erfüllt waren von dem wühlenden,
    ungerichteten Gefühl, das auch in ihrer Brust wohnte.


    "Wir werden es sehen.", sagte sie schließlich, mit einem Schwingen in der Stimme, dass ihr selbst eine Gänsehaut verursachte. Sie wusste, dass sie vor ihm nichts verbergen musste und doch konnte sie nicht anders als zu sein wie immer. "Argon, ich bin müde ... mein Kopf ... ich weiß nicht mehr genau, was ich denke. Ich möchte schlafen."

    Er setzte sich. Ich setzte mich neben ihn. Und nach einem Schweigen sagte er noch: »Die Sterne sind schön, weil sie an eine Blume erinnern, die man nicht sieht ...« Ich antwortete: »Gewiß«, und betrachtete schweigend die Falten des Sandes unter dem Monde. - Antoine de Saint Exupéry, »Der kleine Prinz«

  • Ruhig stand sie da, fast schon ein wenig melancholisch. Auch wenn Argon es nicht vermochte, ihr auch nur einen Gedanken von ihren Wolfsaugen oder den sich bewegenden Lippen abzulesen, so konnte er doch sehen, wie sie von diesen unbekannten Gedanken beschäftigt wurde. Und doch fingen seine Augen an mehr zu sehen, seine Sinne mehr zu hören. Auch wenn seine Gedanken weiterhin auf sie gerichtet waren, so schien es doch, als würde es nun erstmals wieder etwas anderes geben. Es war ruhig. Erst jetzt merkte er doch wie ruhig. Der Regen hatte aufgehört. Die Trommelschläge auf Dach und Dosen waren fort. Das hölzerne Windspiel hatte sich ebenso beruhigt und schien nur noch ab und zu ein Lebenszeichen von sich zugeben. Die Zeit war vergangen, die Nacht gekommen, und nichts davon hatte Argon mitbekommen. Nicht einmal seinen eigenen Körper. Erst nach dem Layia ihre Müdigkeit angemerkt hatte, merkte auch er, wie schwer seine Glieder waren. Die Nacht war wohl gekommen. Eine neue Nacht, eine Nacht voll neuer Gerüche, dort draußen. Der Regen hatte alle Spuren weggewaschen, nur hier drin, hier hatte er nicht wüten können. Hier drin hatte er nichts verändern können. Hier drin war immer noch ihr Geruch.
    Ein leichtes sanftes nicken deutete ihr, dass sie wohl recht hatte. Die Zeit zum Schlafen war schon längst gekommen und auch seinem Körper verlangte es nach einem Ruheplatz. Dies war ein ungewöhnlicher Ruheplatz, hatte er doch seit Jahren immer nur draußen geschlafen. Sein Blick irrte ein wenig umher. Im Bett sollte sie schlafen, es war wohl auch nicht groß genug für beide. Doch wo konnte er sich nieder legen. Am Ende entschied er es wohl am besten direkt dort zu machen, wo er stand, mitten im Raum. Dort würde er an nichts anecken, nur eventuell den Weg versperren. Doch wenn sie schliefen, würde sie wohl kaum irgendwo hinlaufen wollen. Er legte die Decke auf den Boden und setzte sich darauf. Sein Blick wie auch seine Gedanken hafteten jedoch weiterhin an Layias Augen und ihr selbst. Irgendwie wollten sein verstand und seine Gefühle noch keine Ruhe geben. Sie schienen immer noch Wach und flogen wie Motten um das Licht Layia.
    Schlaf gut, erklang es ruhig und geschafft aus seinem Mund. Es war irgendwie fremd. Er konnte sich kaum noch daran erinnern, wie es war unter einem Dach zu schlafen. So viele Jahre war er nun unter den Kronen der Bäume unterwegs gewesen. Und dann noch Layia. Er schmunzelte kurz, als er sich an die erste Nacht erinnerte. Nun denn, so wirklich viel gab es da gar nicht an Erinnerungen, außer dass sie die gegorenen Früchte eines Baumes verzehrt hatten. Alles was danach kam, war fort. So sollte es heute nicht werden.

  • Der gute Schlaf, den Argon ihr gewünscht hatte, wollte lange Zeit nicht kommen. So lag sie still da, hörte nur ihren eigenen Atem, spürte das gleichmäßige Heben und Senken ihres Brustkorbs. Im Dunkel des Raums konnte sie Argons Umriss klar ausmachen, sie sah ihn eingerollt unter seiner Decke liegen, vermutlich tief und fest schlafend. Er atmete ruhig und gleichmäßig, geräuschlos, sodass sie seine Präsenz nur durch seine gelegentlichen Bewegungen unter der Decke ausmachen konnte. Sie beobachtete ihn schweigend.
    Ihr Kopf fühlte sich zum Bersten voll und doch so leer an. Jede Faser ihres Körpers sehnte sich müde, schwer und träge nach dem Schlaf, der nicht kam und nicht kam und nicht kam. Layia versuchte zu erfassen was es war, dass sie so zerrüttete, welches Gefühl seine kalten Finger durch ihre Brust wühlte und die Wärme raubte, die Argon dorthin gebracht hatte. Waren es Zweifel? Oder ein altes, hartnäckiges Gefühl, dass sich festkrallte und sich wehrte verjagt zu werden?
    Sie wusste nicht, wie lange sie wachgelegen hatte, versuchend, das Durcheinander in ihrem Kopf zu lichten, überlegend, ob sie aufstehen und den nächtlichen Wald nach Rat fragen sollte. Doch schließlich musste sie kurz eingenickt sein, denn als sie erwachte, drangen bereits schwache Lichtstrahlen durch die Schlitze des verquollenen, hölzernen Windladens vor dem einzigen Fenster des Baumhauses, während ihr Kopf im gleichen Takt wie ihr Herz pochte.
    Im schwachen Licht blinzelte sie sich den Schlaf aus den Augen, die sich so trocken anfühlten, als hätte sie lange geweint. Der erste Blick fiel auf Argon, oder besser: er fiel dorthin, wo sie Argon vermutet hatte. Doch dort, wo nachts ihr Wolfsbruder noch gelegen hatte, war nur der Deckenhaufen geblieben. Sie schälte sich aus den eigenen warmen Decken, kroch von der strohgefüllten Matratze in die Kühle, herunter auf den Boden aus abgewetzten Dielen. Argons Geruch drang dicht und intensiv in ihre Nase, von der Decke, die sich noch schlafwarm anfühlte. Wohin war er verschwunden?
    Einige lange Momente saß Layia neben der Decke auf dem Boden, eine Hand darin vergraben, geradeaus blickend, witternd. Schließlich erhob sie sich, schlüpfte in frische, warme Kleider, Wollstrümpfe und Schuhe, steckte ihre silberne Flöte in eine der tiefen Taschen ihres Gewandes, band sich das wirre Haar zusammen und stieß den Windladen auf, der das Zimmer verdunkelt hatte.
    Der stete Regen der vergangenen Nacht hatte sich in den ersten Morgenstunden gelegt, der Wald lag ruhig da, feucht glänzend, leise rauschend, kühl. Sie lehnte sich weit aus dem Fenster, die schmalen, doch kräftigen Hände auf das Fensterbrett gestützt. Mit den Augen ihres Seelentiers sah sie andere Farben, andere Kontraste, die Welt hatte eine andere Art von Tiefe erhalten. Die Wandlerin kannte diese Eindrücke und doch schienen sie ihr intensiv wie nie zuvor. Dampf stieg zwischen den Baumkronen auf zum Himmel, zwei schwarze Vögel zogen vorbei ohne einen Ton von sich zu geben, ein Eichhörnchen saß auf einem Ast und ordnete sich mit flinken Pfötchen den buschigen, roten Schwanz, leises Knacken kündete von einem Reh, dass in der Nähe durch das Unterholz strich. Doch von Argon sah sie nichts und alleine die Luft in ihrem Baumhaus roch nach ihm. Dennoch fand ein Lächeln auf ihre Lippen und ein Lied in ihren Sinn.
    Sie wusste, dass er nicht fern war ... sie spürte, dass sie mit Argon nun jemanden an ihrer Seite hatte, der sie nicht im Stich lassen würde und sie gleichermaßen nicht mit seiner Anwesenheit ersticken würde. Sie machte sich keine Sorgen, im Gegenteil ... sie wusste, das alles nun in Ordnung war.
    Mit jedem Atemzug der kühlen Morgenluft, den sie tief einsog, drang mehr und mehr Klarheit in ihren Kopf und in ihr Gefühl. Etwas neues hatte begonnen und sie war neugierig wie ein junger Welpe, der schwanzwedelnd darauf wartete, was der Tag wohl für ihn bereithalten mochte.

    Er setzte sich. Ich setzte mich neben ihn. Und nach einem Schweigen sagte er noch: »Die Sterne sind schön, weil sie an eine Blume erinnern, die man nicht sieht ...« Ich antwortete: »Gewiß«, und betrachtete schweigend die Falten des Sandes unter dem Monde. - Antoine de Saint Exupéry, »Der kleine Prinz«

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