Beiträge von Asharai

    Asharai schnaubte und richtete sich gerade auf. Nichts an ihr offenbarte Angst und tatsächlich fürchtete sie wenig. Sie hatte zu viel gesehen, zu viel erlebt, um sich von einem Fluch und einer tragischen Geschichte einschüchtern zu lassen. Wer mit Geistern verkehrte, hatte seine Berufswahl verfehlt, wenn er seine Hosen durchnässte, sobald der Tod ins Spiel kam.


    "Niemand würde mich beauftragen, wenn ich mich in Klatsch erginge. Da Ihr meine Vertrauenswürdigkeit ohne Zweifel überprüft habt, solltet Ihr das bereits wissen, sonst würdet Ihr jetzt nicht vor mir stehen", gab sie bissig zurück.


    Ein Fluch also. Und eine Göttin. Nichts, was einen Bewohner Beleriars auch nur entfernt in Erstaunen versetzen würde. Sie hätte mühelos auf die betreffende Göttin wetten und einen saftigen Gewinn einstreichen können. Wahrscheinlich wäre es einfacher, als des Nachts Geister aufzuscheuchen und im Morast der Adelshäuser umherzustiefeln.


    Ihre Haltung veränderte sich. Sie wurde geschäftsmäßiger, ihre Miene glatter und ausdrucksloser als zuvor. "Also. Fragt", forderte sie ihren bleichen Besucher auf. "Anderenfalls kann ich Euch kaum eine Antwort gewähren."

    Sonnenlicht aus dem Weg gehen … das tat lichtscheues Gesindel meist. Asharai unterdrückte ein Schnauben und legte die Hände gespreizt auf ihre Ladentheke.„Und lasst mich raten. Ihr verbergt Euer Gesicht, weil die Sonne in der Nacht so hell scheint, dass Ihr ihre Strahlen fürchten müsst? Oder ist es der Mond, der unter der Kuppel zu hell brennt und Euch zu Asche zerfallen lassen könnte?“


    Noch immer hatte sie ihren Ärger nicht abgelegt, doch es war kaum verwunderlich, wenn man bedachte, dass sie kaum eine seiner Beteuerungen glauben konnte. Man fand die Gewohnheiten eines anderen selten ohne Beobachtung heraus. Ein praktisches Missverständnis, gewiss.


    „Also? Wie kann ich Eure Neugier befriedigen und Euer Anliegen erfüllen, Fremder? Geisterjagd? Ein Kraut, das Schatten über Euch wirft? Die Befragung einer ruhelosen Seele, die Euch Reichtum einbringen wird?“


    Fern von den Dingen, die Ihr ohnehin bereits in Erfahrung gebracht habt.


    Asharais Fingerspitzen pochten auf das Holz. Ein leiser Takt, Ungeduld, die sich auf ihre Miene widerspiegelte.

    Nächtliche Ausflüge ...


    Asharais Braue wanderte beinahe gegen ihren Willen in die Höhe, als der Fremde zu sprechen begann und sie begab sich nicht zurück in die Tiefe. Ihre Erheiterung verflog. »Mir scheint, Ihr seid bestens über meine Gewohnheiten im Bilde«, sagte sie mit einem kühlen Unterton, während sie sich hinter die Theke begab. »Aber ich schätze es nicht, wenn man mich beobachtet. Lasst Euch gesagt sein, dass es nicht der beste Weg ist, mit mir Geschäfte zu machen.«


    Und natürlich bedurfte fast jeder, der sie aufsuchte, einer Person mit besonderen Fähigkeiten. Sie verbiss sich den giftigen Kommentar, der auf ihrer Zunge brannte und hielt ihre Miene glatt. Zuweilen erkor es so mancher Adelige zu seinem Zeitvertreib, sie beobachten zu lassen, bevor er sie um ihre Dienste ersuchte, um ihre Fähigkeiten zu überprüfen. Und jedes Mal musste sie sich die Mühe machen, ihre Beobachter davon zu überzeugen, dass es nicht der gesündeste Weg war, sich ihr zu nähern. Es war nicht neu, doch es verärgerte sie jedes Mal über alle Maßen.


    Als wäre ich eine Zuchtstute, die man zuerst auf ihr perfektes Gebiss überprüft, bevor man sie zu einem Hengst führt. Arrogantes Pack.


    Ärger. Er hinterließ spitze Pfeile in ihrem Mund und sie bemühte sich, sie nicht in voller Stärke auf das Ziel schnellen zu lassen, das vor ihr stand. Stattdessen schob sie die Kräutersäckchen beiseite, die ihr im Weg standen. Die Bewegung ein wenig zu abgehackt und unwirsch. »Und wenn Ihr befürchtet, mich nicht zu erwischen - mein Laden ist bei Tage geöffnet. Ihr seid nicht gezwungen, in der Nacht an meiner Tür zu läuten. Oder verfolgt Euch ein ruheloser Geist, der Euch dazu anhält, nur in der Dunkelheit auszugehen?« Spott. Sie verbarg ihn nicht.

    Wer sein Gesicht verbirgt, ist entweder so hässlich, dass ein Blick genügt, um einen unschuldigen Beobachter zu Stein erstarren zu lassen. Oder er bringt Ärger. In jedem Fall ist es besser, ihm aus dem Weg zu gehen.


    Davadri Tallinday besaß viele Weisheiten, die sie an ihre Enkeltöchter weitergegeben hatte und diese war nur die eine, die Asharai durch den Kopf ging, während sie seufzend ihren Degen umschnallte. Kundschaft zu später Stunde bedeutete selten etwas Gutes. Wer Rechtschaffenes im Sinn hatte, mied gemeinhin nicht das Tageslicht. Also gab es nur zwei Möglichkeiten: Ihr Besucher war an dunklen Dingen interessiert - oder er war ein tölpelhafter Adeliger, der hinter seinem Auftritt eine peinliche Familiengeschichte zu verbergen trachtete, bei deren Beseitigung er Hilfe benötigte. Ruhelose Geister waren selten etwas, das man mit Stolz präsentierte. Was auch immer zutreffen mochte - Großmutter würde recht behalten. Wie sie es immer tat.


    Asharai spähte noch einmal durch das Rohr, das von der Villa Tallinday aus einen Blick ins Innere des Ladens gewährte. Dann zog sie den ledernen Gehrock über ihre Bluse und strich sich das Haar aus dem Gesicht.
    Nun, zumindest hatte er seinen Gesichtsschutz abgelegt. Wahrscheinlich sollte sie dankbar dafür sein, dass es zumindest keine der albernen Masken war, die der Adel so sehr liebte. Sie seufzte und bewegte sich durch den Flur, die alte Treppe hinab, die über eine geheime Tür in den Laden führte.
    Ihre Schritte waren auf dem dicken Teppich so leise, dass sie nicht zu hören waren, als sie schließlich ins Innere des Geschäftes trat und den dunklen Vorhang zurückschob. Sie wusste, dass sie ein heller Schemen gegen die Dunkelheit war, gleich einem Geist, der aus dem Nichts erschienen war.


    "Ihr wählt eine späte Stunde für Eure Geschäfte, Fremder", sagte sie. Ihre dunkle Stimme undeutbar, gleichermaßen streng wie von einem Funken Erheiterung erfüllt.

    Der Laden lag verlassen da. Kein Lichtschein drang durch die dichten Vorhänge, die den Blick ins Innere verwehrten. Niemand regte sich auf das Läuten der Glocke hin und Herzschläge vergingen in Stille, ehe ein lautes Knarren andeutete, dass die Tür schwerfällig nach innen glitt. Das Holz gab den Blick auf das Innere des Ladens frei, beleuchtet von einer einsamen Kerze. Auf die schlichte Theke, auf der Tiegel und Säckchen auf den nächsten Tag warteten. Die Schubladen und Regale, auf denen unzählige Gläser glitzerten. Es roch nach getrockneten Kräutern und Blüten, nach Scheußlichem und Harmlosem, Bekanntem und Fremden.
    Ein Luftzug brachte das Kerzenlicht zum Flackern und bewegte die Spinnweben, die von der Decke hingen. Ein leises Rascheln, ein letztes winziges Seufzen und er wehte zur Tür hinaus.
    Doch niemand hatte sie geöffnet.
    Asharais Laden war leer.
    Ein leises Krächzen erklang und ein Rabe flog in der Dunkelheit auf, über den Kopf des Besuchers hinweg, auf die Straßen der Stadt hinaus.

    Es ist ein kleines, windschiefes Haus am Rande des Seeviertels. Ein altes, mittlerweile verblasstes Holzschild weist in verschlungenen Buchstaben auf die Besitzerin des Hauses und ihr Geschäft hin – Asharai Tallinday, Tränke, Tee und Salben. Darunter ein schlichtes „Geisterfinderin“.
    Doch wer hier vorübergeht, schlägt eilig ein Zeichen zur Vertreibung böser Mächte, wenn der Wind die alten Holzläden zum Knarren bringt und es ist nicht zu übersehen, mit welchem Unwohlsein man dem Gebäude und seiner Besitzerin begegnet, die man im Bunde mit finsteren Mächten wähnt. Die Blicke sind vielsagend und die geflüsterten Worte ergänzen die Gesten – Hexe. So bezeichnet man Asharai hinter ihrem Rücken und wer es ihr in das blasse Gesicht sagt, kann damit rechnen, dass sich ihre Mundwinkel zu einem schiefen Lächeln verziehen. Asharai genießt ihren zwielichtigen Ruf scheinbar, unternimmt nichts, um die Gerüchte, die sich um ihre Person ranken, zu entkräften.
    Dabei tut sie offenbar recht wenig, was Anlass zu ihrer Existenz geben könnte, verkauft allerlei Tränke und Salben, die recht unterschiedliche Wirkungsweisen besitzen. Mittel gegen Warzen und Wunden, vielleicht einen Trank, der süße Träume bringt und den Schlaf anregt. Es sind keine magischen Gebräue, keine Zaubermittel – reine Kräutermischungen, die keinen Anlass zum Misstrauen geben.
    Und doch wagen sich nur wenige in das Innere des Geschäfts, das mit allerlei Seltsamkeiten vollgestopft ist und das stets den Geruch der Tinkturen und der Kräuter verströmt.
    Es ist immer ein wenig dunkel in Asharais Laden. Kerzenlicht glimmt auf gläsernen Phiolen und irdenen Töpfen, die Fenster sind mit Stoffen verhängt, die nur wenig Tageslicht in ihr Haus lassen und Spinnweben und Staub schmücken die langen Regale, die sich an den Wänden entlang ziehen.
    Doch es ist nicht das unheimliche Knarren, das leise Quietschen der Türen, das Besucher aus der Ruhe bringt – es ist Asharais verborgenes Talent, das ihre Augen manchmal leer und abwesend werden lässt, wenn sie ihren Kunden gegenübersteht. Ein Talent, das sie in eine andere Welt führt – denn Asharai kann in die Welt der Geister blicken und mit ihren Bewohnern kommunizieren.

    Asharai trat an den Tisch und legte Rapier und Pistole auf der Oberfläche ab, bevor sie zurücktrat und das Geschehen auf sich wirken ließ. Langsam beschlich sie das Gefühl, sich im falschen Theaterstück zu befinden. Wenn es auf diese Weise weiterging, würden sie nicht die Untoten jagen, sondern einander. Aus irgendeinem Grunde waren es die Streitereien, die das Geschehen dominierten, nicht die bevorstehende Aufgabe. Beinahe konnte man glauben, dass sie nicht in tödlicher Gefahr schwebten, sondern alle zum Spaß hier zusammengekommen waren.


    Sie seufzte leise und rieb sich die schmerzenden Schläfen, ohne sich in den Konflikt einzumischen. Ihr Gesichtsausdruck war mürrisch und verschlossen. Es war ihr gleichgültig, wer voranging. Wenn es dem Rothaarigen so sehr daran gelegen war, den Helden zu spielen, würde sie ihn keineswegs aufhalten.

    Auch Asharai wirkte ein wenig skeptisch, als sie die Phiole in der Hand des Adeligen sah und sie hoffte inständig, dass er mehr Vernunft besaß, als es den Anschein hatte. Ergeben seufzte sie leise. Es war nicht zu ändern. Sie würde ihm das Gefäß kaum entwinden können und wenn sie es richtig einschätzte, so wollte auch er diesen Ort lebendig verlassen.


    "Ja, ein Segen wäre wohl keine üble Idee, wenn wir dort hinausgehen. Alles, was uns ein wenig helfen kann, wäre von Vorteil. Und dann sollten wir uns den Ostflügel ansehen und Sisala suchen."

    Asharai blickte den Rothaarigen wortlos an und zog eine ihrer weißen Brauen empor. Dann schüttelte sie entschieden den Kopf und wandte ihre Aufmerksamkeit wieder auf den Priester. Sie hatte bereits genügend Adelige erlebt, die äußerst seltsame Verhaltensweisen an den Tag legten. Auch dieser schien keineswegs eine Ausnahme zu sein. Allerdings war es nicht an ihr, ihm diese Allüren auszutreiben. Sie prallten schlicht und einfach an ihr ab - ein nützlicher Nebeneffekt der Tatsache, daß ihr Ruf kein Guter war und sie schon ganz andere Dinge über sich hatte ergehen lassen müssen. Manchmal war es deutlich besser, die unwichtigen Nebensächlichkeiten zu überhören. Und darin war sie eine Meisterin.


    Die Tränen eines unschuldigen Geistes, natürlich. Die Tua'Tanai seufzte leise. Die unschuldigen Geister wuchsen schließlich auf den Bäumen und warteten nur darauf, ihre Tränen zu verschenken. Aber gut, wenn es so sein sollte, dann musste es wohl so sein. Es blieb zu hoffen, daß der Geist unschuldig genug war, nicht zu lügen, wenn er ihren Weg kreuzte.


    "Sagt, Ihr habt nicht zufällig eine Idee, wo man einen solchen Geist finden könnte? Oder erwartet Ihr von uns, daß wir jeden Geist, der uns über den Weg läuft, über den Status seiner Unschuld befragen? Und sollte diese eher körperlicher Natur sein oder rein geistig?"


    Solche Geschichten besaßen immer interessante Schlupflöcher, die man im Allgemeinen besser vorher abklärte. Es hatte viel mit dem gemein, was ihr in ihrem Betätigungsfeld täglich begegnete. Wenngleich sich dieses normalerweise weitaus ungefährlicher gestaltete.

    Plötzlich war sie mit dem Rothaarigen allein und ihre Kundschaft war so hastig aus dem Laden verschwunden, dass man meinen konnte, sie seien einem leibhaftigen Geist begegnet. Die Situation war mitnichten neu für sie, allerdings war es gemeinhin ihre Aura, die Besucher in die Flucht schlug und kein anderer Kunde.


    Noch immer ein wenig unsicher, was denn von ihr erwartet wurde, behielt sie das schiefe Lächeln bei und packte die Situation so an, wie sie wohl an einem anderen Ort einem Geist begegnen würde.


    "Natürlich, ich nehme Euer Geschenk mit Freuden an!"


    Ihr Ton mochte ein wenig zu feierlich sein, etwas zu übertrieben, doch das schien in etwa das zu sein, was er von ihr hören wollte. Im Allgemeinen war es hilfreich, auf diese Weise zu Geistern zu sprechen, die ein bestimmtes Ritual eingehalten sehen wollten. Nun, warum sollte es dann bei einem Adeligen keine ähnliche Wirkung zeigen?


    Neugierig musterte sie ihr Gegenüber, noch immer reichlich im Dunkeln über Sinn und Zweck dieses Geschenks. Allerdings schien er tatsächlich nichts anderes im Sinn zu haben, als der Welt seine Zähne zu präsentieren. Zumindest waren sie sauber. Etwas, das man von Geisterzähnen eher selten behaupten konnte.

    Für einen Augenblick war Asharai zu verblüfft, um Worte zu finden. Sie starrte entgeistert auf die entblößten Zähne des Adeligen und man konnte ihr mühelos ansehen, dass sie nicht wusste, was sie zu diesem besonderen Geschenk sagen sollte. Dann räusperte sie sich leise. Er war nun beileibe nicht der einzig merkwürdige Vertreter seines Standes. Sie hatte bereits weitaus seltsamere Individuen kennengelernt. Wenn es im Hause einer Adelsfamilie spukte, waren zuweilen auch die lebendigen Bewohner nicht ganz bei Verstand.


    Sie entschloss sich dazu, seinem Verhalten zunächst mit Ernsthaftigkeit zu begegnen.


    "Nun ... das ist in der Tat ein höchst ... spezielles Geschenk. Verratet Ihr mir, warum Ihr es ausgerechnet mir übergeben möchtet?"


    Sie versuchte sich an einem schiefen Lächeln und fragte sich ernsthaft, ob er sie veralbern wollte oder schlicht und ergreifend diesen Tag dazu ausersehen hatte, sein Lächeln durch die Stadt zu tragen. Vielleicht war es eine Wette, die ihn dazu zwang. Es kam vor, dass Adelige in dieser Hinsicht seltsamen Arten des Zeitvertreibs nachgingen.

    Das kommt schon noch, Maida. Es ist ja so, daß sich die Gruppe insgesamt noch nicht wirklich zusammengerauft hat und klar, die meisten der Charaktere sehen da erstmal nur zwei sehr exzentrische Adelige.;)
    Aber das macht's ja auch irgendwo amüsant.

    Asharai lächelte, als sie die Bemerkung der hellhaarigen Cath'shyrr vernahm.


    "Ich bin mir nicht sicher, wie es um die Verdauung von Dämonen bestellt ist, aber er wirkt zuweilen ein wenig schwer verdaulich auf mich."


    Es war nur ein leises Wispern und sie biss sich auf die Lippen, um ihre Zunge im Zaum zu halten. Stattdessen wandte sie sich wieder zu dem Priester um und eine kleine Falte zeigte sich auf ihrer Stirn.


    "Aber wie können wir ihn besiegen, wenn selbst ein Priester es nicht vermocht hat? Kennt Ihr seine Schwachstelle? Irgendetwas, das uns weiterhelfen kann?"


    Nein, die Tua'Tanai fragte sich ernsthaft, wie sie eine solche Aufgabe bewältigen sollten. Sie kannte sich mit Geistern aus, aber ein Dämon war ihr bislang nicht begegnet. Und wenn er gar einen Eriadnepriester zu bannen vermochte, war es ihr ein Rätsel, wie einer von ihnen ihn töten sollte. Sie waren beileibe kein sonderlich gut gerüsteter Haufen. Sie unterdrückte ein resigniertes Seufzen.

    Überrascht blickte Asharai auf, als ein neuer Besucher ihren Laden betrat. Sie hatte Mühe, ihr Erstaunen zu verbergen – im Allgemeinen waren Kunden eher spärlich gesät. Ihr Laden gehörte nicht zu den beliebtesten Anlaufstellen in Nir'alenar, denn nur die wenigsten trauten sich, das Geschäft einer "Hexe" zu betreten.


    Heute schien ihre Welt jedoch kopfzustehen. Mit mildem Erstaunen sah sie zu dem Rothaarigen, der mühelos die Aufmerksamkeit aller Anwesenden gefesselt hatte. Ein Erstaunen, das sich noch verstärkte, als sie seiner Absicht gewahr wurde. Ein Geschenk? Wer in Liarils Namen überbrachte ihr ein Geschenk?


    Eine feine Falte bildete sich zwischen ihren weißen Brauen und ein mulmiges Gefühl breitete sich in ihrem Inneren aus. Irgendetwas sagte ihr, dass dieses Geschenk nichts war, worauf sie Wert legen würde. Die Ankündigung ließ jedenfalls keine erfreulichen Vermutungen über eine Gnade des Schicksals zu. Sie gehörte nicht zu den Leuten, denen man großzügige Gaben gewährte.


    "Ein ... Geschenk. Aha. Und welcher Art ist Euer Geschenk? Und warum überbringt Ihr es ausgerechnet mir?"


    Die Skepsis stand in das feine Gesicht geschrieben und Asharai bemühte sich nicht, es auf irgendeine Weise zu übertünchen. Ein schmales Lächeln tanzte auf ihren Lippen, während sie den Neuankömmling musterte.

    Die Schwingungen, die Asharai empfing, beruhigten ihre angespannten Sinne. Vielleicht handelte es sich tatsächlich um einen Priester der Eriadne. Zumindest hatte sie nie zuvor eine solche Ausstrahlung an einem Untoten wahrgenommen. Sie beschloss, ihm fürs erste Glauben zu schenken.


    Ein wenig verwundert erfasste sie am Rande die geschäftlichen Verhandlungen zwischen der Gnomin und den Adeligen und sie fragte sich ernsthaft, wie man in solch einem Augenblick an den Erwerb oder den Verkauf eines Gnomengerätes denken konnte. Schließlich wussten sie noch nicht einmal, ob sie den Aufenthalt an diesem Ort überleben würden.


    Innerlich schüttelte die Tua'Tanai den Kopf über so viel Kaltblütigkeit, wandte sich jedoch lieber dem Priester zu, als das Geschehen zu kommentieren. Jedem das seine. Dies war seit jeher ihre Devise und sie hielt sie es auch jetzt. Wenn sie sich mit solcherlei Spielereien von der Wahrheit ablenken wollten, dann sollten sie ihr Spiel fortführen.


    "Sagt, habt Ihr jemals den Versuch unternommen, von diesem Ort zu entkommen? Was hält euch hier gefangen? Ihr seid ein Priester der Eriadne, was kann Euch hier halten? Oder ... wer?"


    Es waren die ersten Fragen, die ihr in den Sinn kamen. Vielleicht fand sich in den Antworten ein Hinweis darauf, wie sie hier herauskommen konnten.

    Asharais Brauen wanderten verwundert empor, als der Priester das Schicksal der beiden Menschen erwähnte, die sie zuvor angetroffen hätten. Doch bevor sie den Mund öffnen konnte, hatte die hellhaarige Cath'shyrr bereits das Wort ergriffen und stellte genau die Frage, die ihr selbst auf der Zunge brannte. Welche Garantie gab es, daß der Priester der Eriadne echt war? Und was hatte es wohl mit diesem Spazierstock auf sich, den sie so dringend hatten suchen sollen? Aber sie hatte nichts übersinnliches spüren können. Allerdings bedeutete dies wenig. Asharais Gabe war launisch.


    Die Tua'Tanai schloss die Augen und konzentrierte sich, versuchte, zu spüren, ob eine Aura von dem Priester ausging, die auf etwas übernatürliches hindeutete. Dabei drehte sie den anderen den Rücken zu, gab vor, das Zimmer genauer zu studieren.

    Asharais Gesichtsfarbe war nie besonders gesund zu nennen. Insbesondere dann nicht, wenn man sie nach den Maßstäben ihres Volkes maß. Allerdings hatte die starke Präsenz des Übersinnlichen sie inzwischen nahezu krankhaft weiß werden lassen. So war sie also froh über die Möglichkeit zur Flucht, die sich ihnen hier bot und sie wagte es, für einen Augenblick aufzuatmen und zu hoffen, dass der pochende Schmerz verschwinden würde.


    Es war natürlich gewiss, dass ihre Probleme noch lange nicht gelöst waren. Ein grüßendes Nicken, mehr brachte sie im Augenblick nicht zustande und ja, es mochte gar das erste Mal sein, dass sie ihre Gabe verfluchte. Es war keineswegs angenehm, empfindlich für die Berührung der Zwischenwelt zu sein, wenn man sich an einem solchen Ort befand.


    Das Schließen der Tür quittierte sie mit einer emporgezogenen Braue. Eine Reaktion, die auf ihre überreizten Nerven zurückzuführen war. Es war nichts ungewöhnliches daran – wer würde hier schon seine Tür offenstehen lassen? Die Tua‘Tanai beteiligte sich jedoch nicht an dem aufkommenden Wortwechsel, sondern sah sich ihre Umgebung ein wenig genauer an, ohne dies auf allzu auffällige Art und Weise zu tun.

    Stöhnend fuhr Asharais Hand an ihre Stirn. In diesem Gemäuer musste es vor übernatürlichen Kreaturen wimmeln, anders waren die heftigen Impulse nicht zu erklären, die durch sie hindurchströmten und ihre Schläfen zum Pochen brachten. Mühsam öffnete sie die Augen und sah sich um, nur um von einem Schrei aufgeschreckt zu werden, der durch den Raum gellte.
    Blitzartig fuhr sie zu dessen Quelle herum, sah gerade noch, wie der Neuzugang ein Insekt von der Schulter des Adeligen schnippte.


    „Seid Ihr verrückt geworden, wegen einer solchen Kleinigkeit zu schreien, als ob Euch jemand die Haut abzieht? Auf diese Art und Weise könnt Ihr sicher sein, dass Euch dies früher oder später tatsächlich widerfährt!“


    Der pochende Schmerz ließ die Tua’Tanai ungeduldig werden. Sie war eindeutig gereizt, nein, überreizt von den Dingen, die sich hier abspielten. Eine zimperliche Adelige fehlte dabei gerade noch.
    Da erklang eine neue Stimme. Widerliche Geräusche drangen an ihr Ohr, dann, plötzlich, nichts als Stille. Eine Täuschung? Hatte der alte Mann nicht von einem Eriadne Priester erzählt, der hier leben sollte? Wenn es so war, hoffte sie, dass es tatsächlich nicht mehr als eine Illusion war.


    Sie sah sich um, versuchte zu ergründen, wohin der Gang führte.

    „Ganz reizend … aber man fragt sich, warum er sich überhaupt so unendlich viel Mühe macht.“


    Asharai murmelte die leisen Worte eher zu sich selbst, doch sie stellten keine wirkliche Frage dar. Es war offensichtlich, dass ihr Gastgeber gerne mit seinen Opfern spielte. Es war nicht zu ändern. Sie seufzte und zuckte die Schultern.


    „Nun gut, dann sollten wir uns wohl ansehen, wohin dieser Gang führt. Es hat wohl keinen Sinn, herumzustehen, bis unser lieblicher Gastgeber die Geduld verliert und uns holen kommt.“


    Mit diesen Worten sah sie sich den Gang genauer an, schloss dann die Augen, um vielleicht eine Spur ihres übernatürlichen Gastgebers zu spüren. Wenn er noch in der Nähe war, wäre es gut möglich, dass seine Präsenz noch in der Luft lag.