Beiträge von Uera

    Joog, der ahnungslose Wächter, entließ Uera zögerlich aus ihrer Zelle. Kaum war sie weit genug herausgetreten, packte er die Handfesseln in ihrem Rücken und führte sie damit ab, wie man einen Hund an der Leine führte. Tief im Inneren der Yassalar brodelte der Hass und die Vorfreude auf die baldige Rache, doch sie ließ sich nichts anmerken. Sie durchquerten die Halle der Käfige, verließen sie durch eine südlich gelegene Tür, welche zu den von einander abgetrennten Räumlichkeiten führte, durch die Uera zu fliehen gedachte.
    Der erste Raum diente der Vorbereitung der Kämpfer. In den zwei anschließenden Räumen hielten sich Wachen auf, dort standen Bänke und Tische und ein rußendes Feuer brannte in einem Kamin. Daran schloss sich schließlich die relativ großzügig bemessene Waffenkammer an, die bis an die Decke mit allerlei Waffen, Rüstungsteilen, Schilden, Wurfnetzen und Stricken, Ketten und allen erdenklichen Utensilien gefüllt war, die auch nur entfernt von Nutzen in der Arena sein könnten.
    Uera hatte einen gewissen Überblick über diese Örtlichkeit, doch was jenseits der Waffenkammer lag, wusste sie nicht. Das feuchte Mauerwerk des alten Außenposten war an vielen Stellen schon so geschwächt, dass sich niemand mehr hineinwagte. Womöglich lag alles hinter der Waffenkammer in Schutt und Asche … vielleicht boten die Trümmer aber auch noch einen Ausweg. Darauf lief es hinaus. Diese Ungewissheit war die einzige Schwachstelle ihres Planes.



    Wehrlos lies sie sich durch die Türe in das Wartezimmer der Wachen schieben und spürte augenblicklich, wie sich sechs Augenpaare auf sie richteten, die an ihr kleben blieben wie nasser Stoff. Vier davon gehörten zu schweigenden, stumpfsinnig vor sich hinstarrenden Gehilfen, die anderen beiden waren Wächter. Während sich einer der Wachmänner wieder einem Loch im Mauerwerk zuwandte und hinaus in die Arena spähte, schien der andere nicht besonders erfreut über Joogs Eigeninitiative zu sein.
    „Heh, was fällt dir ein?“, wurde ihr nichtsahnender Handlanger angefahren und Endald, der Joog um mindestens einen Kopf überragte, kam ihnen mit seinem faulen Grinsen bedrohlich nahe. Er musterte die eisern schweigende Uera von Kopf bis Fuß und verschränkte die Arme vor der Brust. „Die ist doch noch gar nicht dran.“
    „Ich, äh … “, krächzte Joog. Die Yassalar begann den Angstschweiß zu riechen, der sich in glitzernden Perlen auf seiner Stirn sammelte. Reiß dich zusammen, Trottel! „Ich dachte, ich … äh ... bringe sie schon mal rein. Damit es nachher schneller geht.“
    „Ach so ist das! Sag das doch gleich!“ Endald lachte und legte lässig eine seiner tellergroßen Hände auf der Schulter seines Gegenübers ab. Dann stieß er den kleineren Mann beiseite, packte stattdessen Uera grob an den Schulter und zog sie daran in Richtung der Waffenkammer. „Du hast doch nicht ernsthaft geglaubt, ich überlass' dir den ganzen Spaß alleine?“
    Mit einem Fingerschnippen forderte er zwei der Gehilfen dazu auf, ihnen in den Vorbereitungsraum zu folgen.
    In Ueras Kopf überschlugen sich die Gedanken. Verdammt. Endald - und die beiden anderen Kerle - würde sie nicht so einfach überwältigen können wie Joog. Endald war wesentlich gefährlicher, stärker und vor allem … intelligenter, auch wenn es ihr schwerfiel, dieses Attribut auf einen Menschen anzuwenden. Vor allem vertraute er der weißen Frau kein Stück.
    Uera mimte die Schicksalsergebene, doch sobald sie die anderen Männer hinter sich gelassen hatten, suchte sie Blickkontakt zu dem Wächter. Ihr Gangbild wurde eine Spur weicher, sie bot der schweren Hand auf ihrer schmalen Schulter keinen Gegendruck und es mochte wie ein Zufall wirken, doch sie stolperte ein wenig und stieß dabei mit der Hüfte an den Hünen, der leicht verwirrt zu ihr hinabsah. Dann brummte er etwas unverständliches, räusperte er sich.
    „Das übliche Zeug?“
    Die Yassalar nickte, ohne den Blick aus seinen braunen Augen loszulassen und ein feines Lächeln umspielte ihren Mundwinkel. Der Mann drehte sich ohne eine besondere Regung um und ließ Uera alleine mit den zwei Stummen im Vorbereitungsraum zurück.
    Ihr Gesicht verfinsterte sich abrupt, ihre Kehle schnürte sich zu und ihre Knie wollten weich werden. Ein Versuch. Nur ein Versuch. Dann stirbst du. Es überraschte sie selbst, doch statt Furcht, stieg das Gefühl von Gleichgültigkeit in ihr auf. Und wenn schon. Sie würde möglichst viele von ihnen mit sich in den Tod reißen. Dieser Gedanke spendete ihr tatsächlich einen gewissen Trost. Möge Zil'lails Auge heute gnädig auf sie gerichtet sein.



    Endald war zurückgekehrt, und Uera begrüßte ihn mit einem schmeichlerischen Lächeln. Er legte das Rüstzeug bereit und bedeutete Uera sich herumzudrehen. Das Schloss, welches die Handfesseln zusammenhielt öffnete sich und das Metall fiel scheppernd zu Boden. Ruhig erwartete Uera, dass er ihr half, die Rüstsachen anzulegen. Wer nicht kooperierte, wurde ganz einfach ohne Rüstung hinausgeschickt. Niemand, der seine Sinne halbwegs beisammen hatte, würde sich an diesem Punkt widersetzen.
    „Auf wen hast Du gewettet?“, fragte sie unschuldig, während sie in das lederne Oberteil ihrer Rüstung schlüpfte, die sie selbst vor einiger Zeit einer Söldnerin gestohlen hatte. Es war das einzige Teil in der ganzen Sammlung, das ihr passte.
    Nachdem sie einige Atemzüge gezählt hatte, sah Uera ein, dass er nicht antworten wollte. „Doch nicht etwa auf die Echse?“, hakte sie nach und sie sah ihm an, dass er nicht damit gerechnet hatte, dass Uera über den Ablauf des Abends Bescheid wusste.
    „Doch. Und ich hoff' er poliert dir den Hintern.“, lachte Endald und Ueras Herz gefror zu einem Klumpen Eis.

    Mit betont uninteressierten Seitenblicken verfolgte Uera das Geschehen, doch kaum war die Tür hinter Khoor und den Wachen ins Schloss gefallen, so wurde ihr Blick starr und die gefesselten Hände kneteten einander so kräftig, das die Knöchel knackten. Was hast du dir gedacht … diese Echse hat keinerlei Kenntnis über diesen Ort! Vollkommen ahnungs- und orientierungslos!
    Stolpernd setzte ihr Herz einen Schlag aus, bevor es erneut zu rasen begann und ihre kurzen Atemzüge kaum mehr die Lungenflügel füllten. Panik jagte ihr einen kalten Schauer den Rücken hinauf.
    Atme, verdammt nochmal! Von ihm werden sie es am wenigsten erwarten. Für alle anderen ist es ein Tag wie jeder andere auch. Sie ahnen nichts, rein gar nichts. Ruhig …
    Uera schloss die grauen Augen für einen langen Moment, atemete ruhig und tief, versuchte sich Bilder in den Kopf zu rufen, die ihr das Gefühl von Macht gaben, bis sie einen Punkt erreichte, an dem auf ihrem bleichen Gesicht ein feines, aber gewinnendes Lächeln erschien.


    Langsam strich ihr Blick durch den dunklen Raum und musterte die gekrümmten Gestalten in den Käfigen um sie herum, der Lichtmangel kümmerte ihre Yassalaraugen nicht. Keiner der Gefangenen sah auf, keiner nahm mehr von der Welt war als den schmutzigen Boden vor ihren Füßen. Erbärmliches Gesindel. Dieser war ihr 456. Tag in den Kerkern und noch immer wusste sie ihren Willen ungebrochen … all diese debilen Trockenhäute … es hatte kaum Wochen gedauert und ihre trockenen Hirne waren eines jeden klaren Gedankens beraubt. Aber die Hoffnungslosigkeit im Anblick der traurigen Geschöpfe um sie herum, bekräftigte sie nur noch mehr und jedes gequälte Luftholen, das sie hören konnte, ließ ihren eigenen Atem umso tiefer werden.
    Niemand beachtete Uera, ein jeder war mit seinem eigenen Leid beschäftigt oder hatte sich von seinem Posten verdrückt, um aus den leeren Fensteröffnungen der Nebenräume das Spektakel zu beobachten. Alleine ein Wachmann starrte stumpfsinnig in den Raum, leicht nervös mit seinem Kinnbart spielend und eine kleine Pfeife rauchend, aus der es nach schlecht verbrennendem, muffigem Schattenkraut stank.
    Ein Rümpfen der Nase unterdrückend, suchte Uera zielstrebig den Blick des Menschen und kaum hatte sie ihn gefangen, beförderte sie das entzückendste Lächeln zutage, das sie beherrschte. Er war ihr bekannt - wie jeder, der nicht gerade zum ersten Mal hier war. Sie hätte ihn herangewunken, doch sie war gefesselt, und so blieb ihr nur ein Augenzwinkern, dass der Mensch im Halbdunkel des Raums vielleicht nicht einmal sehen konnte.
    Und doch … kaum hatte sie den Köder ausgeworfen, hatte ihre Beute schon angebissen und sich dabei fast an seinem Tabakrauch verschluckt.


    Sich von der Mauer loslösend, an die er sich noch eben lässig gelehnt hatte, strich er um die Käfige herum auf Uera zu, in deren Augen das Fackellicht gefährlich zu tanzen schien. Er hatte nur ein schmutzig wirkendes Grinsen für sie übrig, doch Uera trat näher an das Gitter heran, dass sie voneinander trennte und bemühte ihren Ekel mit aller Macht zu verbergen.
    „Na … Joog?“, fragte sie, sich dessen bewusst, dass es ihm schmeicheln musste, dass sie seinen Namen behalten hatte. Sein Name war stets der erste, der genannt wurde, wenn es um illegale Wetten in der Arena ging, also war es nicht schwer, sich eben diesen Namen zu merken. „Wie laufen die Geschäfte?“
    Uera tat, als würde sie aufmerksam zuhören, als er von seinen abgeschlossenen Wetten zu prahlen begann, doch alles was Uera wollte, war seine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und dieses Spiel hatte sie bereits gewonnen. Sie fragte ihn, auf wen das meiste Geld gesetzt worden war und jede ihrer Annahmen über den Ablauf des Abends wurde bestätigt.
    Ein Kampf zwischen Khoor und ihr war die stolz angepriesene Hauptattraktion. Scheinbar spekulierten so einige darauf, dass sich der Echsenmann auf Ueras Augenhöhe befand, wenn nicht sogar, dass er ihr überlegen war, und so gab es viel Geld zu gewinnen … oder zu verlieren. Aber natürlich hatte Joog auf sie gesetzt - etwas anderes hatte sie auch nicht von ihm erwartet – und er war froher Dinge, dass die Geschäfte gut für ihn ausgehen würden.


    "Hör mal, Joog … was hältst du von einer Abmachung? Nur zwischen dir und mir.", flüsterte sie und lockte den Wachmann damit noch ein Stück näher heran, der mit einem Mal ganz Ohr war. "Ich hätte eine Bitte an dich ... wenn Du mir diesen Gefallen tust, hast Du etwas gut bei mir …" Sein Grinsen wurde eine Spur breiter. "Du weißt doch, dass ich immer diese zwei Dolche benutze … ja?" Nicken. "Du weißt auch, dass ich sie gerne sehr scharf weiß …" Erneutes Nicken.
    "Nun ... wenn du mich in die Waffenkammer bringst und mich diese Dolche vor dem Kampf schärfen lässt – dann verspreche ich dir, den Neuen Scheibchen für Scheibchen für dich zu häuten …" Ein unsicheres Flackern erschien in den Augen des Mannes, wo zuvor noch blanke Gier stand, doch in seinen dunklen Pupillen spiegelte sich auch Begierde.
    "Das … das kann ich nicht machen. Ich … kann sie aber für dich schärfen lassen! Aber - "


    "Komm schon, Joog … ", flüsterte Uera und vollführte einen vertraulichen Augenaufschlag. "… ich will es selbst tun. Und wenn du mir diesen einen, kleinen Gefallen tust … nur dieses eine Mal … dann erfülle ich dir einen Wunsch." Die Vorsicht des Wachmannes kämpfte einen kurzen und aussichtlosen Kampf mit seinen Trieben. "Was auch immer du dir wünscht, Joog … und Swalmor wird es nie erfahren … "


    Das Schloss ihres Käfigs öffnete sich leise klickend.

    So war es. Sie, ein Wesen des Wassers, wollte mit Feuer seine Freiheit erkämpfen. Wenn er nur geahnt hätte, wie viel dieses Meeresgeschöpf mit dem Feuer verband, dass sie es ihrem Willen beugte und es benutzte, hätte er wohl Bauklötze gestaunt. So allerdings – so gab es ihrer Verzweiflung einen besonderen Ausdruck. Feuer. Was für ein drastisches Mittel für ein Wesen des Wassers ...
    Uera wusste, dass sie ihn hatte. Er hatte begriffen, was sie war, nahm ihr den Schmerz, den sie lediglich zu einem gewissen Teil spielen musste, eifrig ab und er gab ihr tatsächlich noch mehr Versprechen. Erstaunlich. 'Was ich tun kann, damit ihr wieder in Eurem Element und bei Eurem Volk leben könnt, will ich tun', hatte er gesagt und es schmerzte förmlich, diese Worte zu hören und sich nicht anmerken zu lassen, wie lächerlich sie doch in ihren Ohren klangen. Es fühlte sich an, als würde sich ihr Innerstes nach außen kehren, doch sie zwang sich ein schwaches Lächeln auf die Lippen, das entfernt dankbar wirkte. Es gibt nichts, dass du zu letzterem beitragen könntest., ergänzte sie in Gedanken und war mehr als erleichtert, als Khoínoor dazu überging, taktische Überlegungen anzustellen und sie einen Moment fand um aufzuatmen.


    Als der Schuppenmensch seine Gedanken ausgesprochen hatte, zeigte jedoch auch ihr Gesicht offenkundig Überraschung und die grauen Augen unter den hellen, hochgezogenen Brauen waren geweitet. Nach einem gründlichen, wachsamen Blick in Richtung der Pforte der Arena räusperte sich die junge Yassalar und rückte wieder ein wenig näher an ihren … Komplizen heran.
    "Du kannst Gedanken lesen.", wisperte sie und legte einen argwöhnischen Blick auf, musterte ihn kurz abschätzend. "Es gibt Fackeln in Halterungen an den Wänden … du musst dich nicht mal strecken um an sie heran zu reichen. Die Stoffe … wirst du selbst entdecken."
    Uera rollte die Schultern und streckte sich ein wenig, ehe sie die Stimme noch weiter senkte und mit zu Schlitzen verengten Augen zu dem Geschuppten hinüber spähte. "Und wenn ich nach Waffenöl verlange um dir die Kehle besser aufschlitzen zu können … werden sie mir mit Sicherheit welches geben."
    Wie auf ein geheimes Kommando hin begann die Menge außerhalb der Mauern zu toben und in ekstatisches Gebrüll zu verfallen, das nach dem Tod eines Kämpfers verlangte. Es war ein guter Tag.

    "Gut.", sagte sie und machte einen Schritt zur Seite, soweit ihr Käfig es erlaubte, um eine gewisse Distanz zwischen sich und Khoor zu bekommen und den Zugang zur Arena besser im Blick zu haben. Die Wachen führten bereits die ersten traurigen Gestalten hinein und verriegelten die Türe sorgsam hinter ihnen.
    Das Jubeln und Klatschen, welches daraufhin durch die löchrigen Mauern zu ihnen herein drang, brach sich hundertfach an den Gitterstäben, den lose herumliegenden Mauersteinen, den bemoosten Wänden und erhielt dadurch eine verzerrte, geradezu unheimliche Qualität. Nichts, was Uera neu gewesen wäre, doch ihre überreizten Sinne arbeiteten auf Hochtouren und so fühlte sie deutlich, wie sich ihr Puls beschleunigte. Dem Klang nach zu urteilen war die Arena gut besucht und die Zuschauer schienen bereits vom ersten Kampf begeistert zu sein.


    Als Khoor sie erneut ansprach, blickte sie zurück zu ihm. Trockenhäute? Ein kleines Zucken ihrer Mundwinkel gab Ueras Gesicht einen zynischen Ausdruck, der angesichts der Situation unangemessen wirkte, aber genau so zu ihrem Gesicht gehörte wie die stumpfgrauen Augen, die den Echsenmann fixierten. Er hatte es bemerkt. Schlaues Schuppentier. Lass mich erklären.
    "Trockenhäute.", bestätigte sie mit leiser Stimme, nickte ein wenig und ihr Lächeln wurde sogar noch etwas breiter, ehe es verblasste. "Mein Name für jene, die im trockenen Staub sonnenverbrannter Städte leben." Ihr schmerzliches Lächeln machte einem verbitterten Gesichtsausdruck Platz. "Wer jedoch andere Elemente seine Heimat nennt, ist in ihren Augen nicht mehr als eine Attraktion, eine Monstrosität..." … so wie du auch, was auch immer du sein magst.
    Ihre hinter ihrem Rücken gefesselten Hände machten es ihr unmöglich, ihm die yassalarischen Schuppen auf ihren Armen oder die Ansätze der Schwimmhäute zwischen den Fingern zu zeigen, doch ein letztes Merkmal blieb noch und es musste genügen.
    Mit einer Kopfbewegung warf sie ihr Haar über die Schulter in den Nacken, drehte Khoor die Seite ihres Halses zu und trotz des Zwielichts musste er die zarten Linien ihrer Kiemen erahnen können, als sie diese leise rauschen ließ.
    "Sie haben mich dem Ozean gestohlen … verstehst du? Ich gehöre nicht hierher.", sagte sie mit gefasster Stimme, ehe ihr Blick von ihm abfiel und stattdessen für einen Atemzug den Schmutz zu ihren Füßen betrachtete. Eine gelungene Darstellung, wie sie fand.
    Was auch immer sie in seinen Augen zuvor gewesen sein mochte, vielleicht einfach nur die Verbrecherin, die sie wirklich war – nun hatte sie ihm einen Grund dafür geliefert, Empathie für sie zu empfinden. Er hatte ihr ein Wort gegeben, doch ein Wort war nur ein Wort. Warum nicht auch die Mitleidskarte ausspielen? Grell klangen die ersten Schreie aus der Arena, doch in ihrem Innersten lächelte Uera zufrieden in sich hinein.


    "Wie auch immer. Dort drinnen gibt es Fackeln. Stoff, der Feuer fangen kann.", wisperte sie ihm zu und beobachtete genauestens die Regungen in den goldenen Augen des Mannes.

    Mit einem groben Stoß zwischen die Schulterblätter, warf man die Yassalar in ihren Käfig, doch sie stolperte nicht. Sie feuerte lediglich einen tödlichen Blick in die Richtung des stumpfsinnig wirkenden Wachmannes ab und sparte sich die Worte, die ohnehin an ihm abgeprallt wären. Als dieser verschwand und sie, weiterhin gefesselt, zurückließ, bemerkte Uera, dass der Echsenmann nahe an die Gitter zwischen ihnen getreten war. Aus der Nähe wirkte er noch viel größer, kräftiger und bedrohlicher als zuvor und Uera kam sich neben ihm geradezu winzig vor.
    Der Wind heulte kalt und feucht durch die im Gemäuer der alten Festung klaffenden Öffnungen und brachte die eisige Luft bis hier hinab in ihre Käfige. Das unstete Licht der Fackeln tauchte ihre Umgebung immer wieder in einen Hauch von Farbe und zum ersten Mal fiel Uera auf, wie sehr die Schuppen auf dem Oberkörper ihres Mitstreiters mit ihrem Leuchten an Edelsteine erinnerten. Er würde ihr verraten müssen, was er für ein eigenartiges Wesen war, sollten sie diesen Abend überleben und tatsächlich freikommen.
    Seine Fragen verklangen zunächst ohne einen Antwort zu erhalten. Da er ihrem Blick auswich, stellte sie zunächst sicher, dass die anderen Gefangen in ihrer unmittelbaren Nähe nicht zuhören konnten und unternahm dann ebenfalls keine Versuche, einen Blickkontakt zu ihm aufzubauen, starrte stattdessen der selben Pforte entgegen, die auch Khoor fixiert hielt.
    "Lass dir nichts anmerken. Mein Plan ist perfekt.", zischte Uera zurück, vollkommen von sich selbst überzeugt und ihre Augen verengten sich ein wenig. Sie war ein Risiko eingegangen, diesen Fremden in ihre Pläne einzuweihen, doch noch hatte sie nicht alles verraten. "Nur bin ich nicht davon ausgegangen, einen Mitstreiter dabei zu haben."


    Uera versuchte tief und konzentriert zu atmen um ihren Geist auf die bevorstehende Aufgabe vorzubereiten. Metallisch klapperten die engen Handfesseln, als sie ihre Hände etwas lockerte. Sie hatte lange auf diesen Augenblick gewartet. Oft genug war sie in diesen Käfigen gesessen und oft genug war sie nach den Kämpfen in ihre Zelle zurückgekehrt. Heute sollte es vorbei sein. Heute war der Tag ihrer Rache gekommen. Wieder kaute sie auf ihrer Unterlippe, doch dies war das einzige sichtbare Anzeichen ihrer Nervosität.
    "Wir haben Zeit, bevor sie einen von uns rausholen.", erklärte sie im Flüsterton und warf nun doch einen kleinen Seitenblick zu ihm hinüber. Sie waren mit Sicherheit eine der Hauptattraktionen des heutigen Abends und die sparte man sich für gewöhnlich bis zum Schluss auf. "Oder uns beide. Gleichzeitig, nacheinander, ich weiß es nicht. In jedem Fall machst du gute Miene zu bösem Spiel und tust, was sie dir sagen. Sie dürfen nichts bemerken, bis der richtige Moment gekommen ist."
    Leise ging sie einen Schritt auf Khoínoor zu, bis sie so nahe aneinander standen, dass Uera mit ihrem feinen Gehör fast das Schlagen seines Herzens vernehmen konnte, dass den hünenhaften Körper mit Blut versorgte. Sie hasste diese Nähe, doch das kühle Metall des Käfigs trennte sie zuverlässig.
    "Die Schwachstelle dieser Arena sind ihre Besucher. Die Mauern selbst sind unüberwindbar, doch der Geist der Trockenhäute ist so schnell in Panik versetzt ..."

    Wartend sah Uera zu, wie sie mit Khoínoor verfuhren. Die Männer fesselten den Geschuppten sehr gründlich und nahmen sich genügend Zeit dafür, eine jede Schelle und einen jeden Knoten zu überprüfen. Klug von ihnen. Zwar wehrte er sich nicht, doch in den goldenen Augen des Gefangenen loderte tiefste Wut, bei deren Anblick Ueras Haare im Nacken zu Berge standen und sich eine unangenehme Spannung in ihre Muskeln schlich. Zum ersten Mal seit seiner Ankunft wurde ihr bewusst, wie bedrohlich der Hüne wirklich war. Mit genügend Zorn beseelt musste er zu allem in der Lage sein und Ueras ungleich kleinerer, geradezu zerbrechlich wirkender Körper wäre ein Spielball in seinen Händen. Mit den großen Händen würde er ihr mühelos den Kopf von den Schultern reißen können … doch ... hatte er ihr nicht sein Wort gegeben? Uera schnaubte leise ob dieser Gedanken.
    Ein Wort. Nichts weiter.


    Er sah nicht einen Augenblick zu ihr hinüber, als die Männer ihn an ihr vorbei führten und Uera schluckte um das trockene Gefühl in ihrer Kehle zu vertreiben. Mit wenigen Schritten Abstand zu Khoínoor wurde auch sie abgeführt, durch die selben Gänge wie immer, tiefer und tiefer in den Untergrund unter dem uralten Verlies, durch Tunnel, die sich schon weit vor der Errichtung des Gefängnisses durch den Fels gefressen hatten. Die Dunkelheit störte die Yassalar kaum, denn ihre Augen sahen im Dunkeln eben so scharf wie im Hellen und die Farben, für deren Wahrnehmung es Licht gebraucht hätte, waren hier unten ohnehin nicht sehenswert.
    Kühl und feucht war es, eine Wohltat, doch die Luft schmeckte schlecht, nach Moder und Krankheit … und nach Blut. Der Blick der Yassalar klebte am Boden vor ihren Füßen, kletterte höchstens an der hünenhaften Gestalt des Echsenmannes empor, der mit kleinen Schritten vor ihr herlief. Die Wachen sprachen nicht, wie sie es gewohnt war und so war es alleine das leise Stöhnen und schmerzerfüllte Seufzen der Gefolterten, das sie beide hörten. Im Gegensatz zu Khoínoor musste sie nicht mehr hinsehen, um zu wissen, was in den Nischen im Fels geschah.


    Ihre Reise dauerte eine lange Zeit, in der sie viele Abzweigungen nahmen und scheinbar kaum voran kamen, doch Uera hatte sich die Abfolge der Abbiegungen schon vor langem eingeprägt und sie hätte den Weg ohne Zweifel selbst gefunden.
    Schließlich blieb der Tross vor einer schweren Holztür stehen und einer der Männer holte den größten Schlüssel an seinem Bund hervor um sie zu entriegeln. Quietschend tat sich die schwere Türe auf, doch dahinter führte kein weiterer Tunnel noch tiefer in den Untergrund, sondern es wandte sich eine ausgetretene Steintreppe in die Höhe und dort wo sie hin führte, drang flackerndes Fackellicht hinab zu ihnen. Sie waren angekommen.


    Uera und Khoor wurden unsanft die Treppe hinaufgezerrt und kaum waren sie am oberen Treppenabsatz angekommen, durch die nächste Türe gestoßen. Sie befanden sich in einem hohen Raum, einst wohl ein Saal für Verhandlungen und Absprachen, der jedoch mit raumhohen Käfigen gefüllt worden war, die zweifelsohne einmal einem anderen Zweck gedient hatten.
    Früher, in den Zeiten, in denen diese Gemäuer noch eine beeindruckende Festung darstellten, wären hier vermutlich Hunde gehalten worden, jetzt waren bereits einige der Gefangenen dort hingebracht worden und brüteten schweigend in ihren Käfigen. Man wies jedem seinen Käfig zu und Uera atmete unmerklich auf, als sie feststellte, dass sie und der Hüne benachbart waren. Vielleicht würde ihr noch Zeit für zwei, drei erklärende Sätze bleiben?

    In den Augen der bleichen Yassalar erschien ein überraschter Ausdruck. Dafür, dass ihr geschuppter Freund Swalmor nur so kurz gesehen hatte, und vermutlich kaum ein Wort gefallen war, war seine Beschreibung erstaunlich zutreffend. Ueras Augen verengten sich ein wenig und sie lauschte skeptisch den Ausführungen Khoínoors. Sie verstand zwar nicht viel von Magie, doch Swalmor – ein Magier? Diese Theorie erschien ihr zwar nicht abwegig … aber es überzeugte sie auch nicht sonderlich. Woher nahm er diese Idee?
    Bitter und ernst klang die Stimme des Echsenmannes und sein bernsteingelber Blick suchte eindringlich nach ihrem. Schnellstmöglich hier raus? Wer hätte das gedacht … Uera war versucht zu lachen, doch der steinerne Ausdruck im Gesicht ihres Gegenübers behagte ihr nicht und sie wollte es sich mit ihrem neuen „Verbündeten“ nicht mehr verderben, besonders nicht jetzt, da er offenbar die Dringlichkeit seiner Lage realisiert hatte. So verzog sich ihr Mund lediglich zu einem schiefen Lächeln, sie nickte und ihre Lippen wollten sich zu einer Antwort teilen, bevor sie jäh von einem rumpelnden Geräusch unterbrochen wurde.


    Die Tür zu Khoors rechter Seite öffnete sich erneut und herein traten jene traurigen sechs Gestalten, die sie abführen sollten. Die Aufmerksamkeit der großen, breitschultrigen Männer richtete sich sogleich auf die weiße Yassalar und den Schuppenmenschen und sie bewegten sich wortlos auf die Zellen zu. Die Männer trugen die Kleidung der Wachen, grau und abgetragen, doch anders als bei den anderen, war in ihren grausamen Gesichtern kaum ein Ausdruck ablesbar. Kein süffisantes, schmutziges Grinsen, kein Hohn, kein nichts. Die Männer sprachen kein Wort. An der Hüfte eines jeden hing ein zerschrammter hölzerner Schlagstock, welche allesamt den Eindruck vermittelten, dass sie mit dessen Einsatz nicht sparten.
    Einer schleppte einen schweren Sack voller metallisch klappernder Gegenstände mit herein, was die Brauen der Yassalar erstaunt nach oben wandern ließ. Sie mussten ein wahres Arsenal an verschiedenen Fesseln und Ketten zusammengetragen haben.


    Uera kannte den Ablauf und so kehrte sie den Gitterstäben wortlos den Rücken zu, nicht ohne einen letzten, aufleuchtenden Blick zu Khoor hinüber zu werfen. Sie hatte ihm keine Antwort mehr geben können, doch sie legte ihre ganze Überzeugung in diesen letzten Blick und hoffte, dass er verstand. Schweigend legte sie ihre Hände hinter dem Rücken ineinander, sodass sie auf der Höhe ihrer Taille in der Luft schwebten und wartete geduldig darauf, dass man ihr die einfachen, aber massiven Handschellen anlegte. Längst vergangen waren die Zeiten, in denen sie sich gegen diesen Vorgang gewehrt hatte.
    Das Schloss ihrer Zellentür gab rasselnd dem Schlüssel nach und mit einem durchdringen Kreischen bewegte sich die Türe sich in ihren Scharnieren. Ein Schaudern durchwanderte ihr Innerstes und ein kalter Schmerz bohrte sich in ihre Magengegend. Ihrer gleichgültigen Miene war es nicht anszusehen, doch das Herz schlug ihr bis zum Hals und sie spürte, wie ihre Hände vor Nervosität kalt und feucht wurden. Vielleicht war dies das letzte Mal, dass sie dieses Geräusch vernahm?
    Bald lastete das Metall kalt und schwer an ihren Handgelenken, doch es war die einzige Fessel, die man ihr anlegte. Sie konnte nicht sehen, wie sie mit Khoor verfuhren, doch sie konnte anhand der Geräuschkulisse mutmaßen, dass sie sich bei der Fesselung des kräftigen Mannes deutlich mehr Mühe gaben und als sie den Ruck spürte, mit dem ihr bedeutet wurde, sich herumzudrehen, sah sie, dass sich tatsächlich vier der sechs Männer um ihn geschart hatten.

    Aufmerksam und ungerührt hatte sie auf Khoínoors Frage gewartet, doch als er dann den Oberbefehlshaber erwähnte, wich auch noch der letzte Rest Farbe aus ihrem Gesicht.
    Hatte sie das eben richtig verstanden? Sprach er von ihm? Gerade er war bei seiner Gefangennahme zugegen gewesen?
    Die dunklen Augen der Yassalar weiteten sich ein wenig und in ihnen lag ein Schimmer, der davon kündete, dass sie verstand, was das bedeutete. Ueras Blick ging starr hinüber in die andere Zelle, maß den geschuppten Mann dort drüben mit der selben Eindringlichkeit, mit welcher er sich ihr zuwendete. Dieser Echsenmann hatte die Aufmerksamkeit des obersten Befehlshabers der Stadtwache erregt und nun fiel es Uera wie Schuppen von den Augen … warum war sie nicht von alleine darauf gekommen? Es mochte gut sein, dass er völlig zu Unrecht hier gelandet war, womöglich nicht einmal ansatzweise etwas verbrochen hatte … denn er sprach von niemandem anderen als … "Rhasstin Swalmor."


    Sie hatte den Namen nur mit Mühe über die Lippen gebracht, und als wollten sich schließlich auch noch ihre Stimmbänder gegen dessen Aussprache wehren, klang er krächzend aus ihrem Mund. Ohne, dass sie sich dagegen wehren konnte, erschien vor ihrem inneren Auge das knochige, wachsweiße Gesicht mit den abgrundtief schwarzen Augen, welches zu diesem Namen gehörte, und ein eisiger Schauer lief ihr Rückgrat hinab.
    Mit einem bleichen Gesicht leergefegt von jeder Emotion schwieg sie ein, zwei Atemzüge, dann leckte ihre Zunge nervös über ihre trockenen Lippen und sie fuhr fort. "Oh ja … ich kann dir mehr über ihn erzählen."


    "Du wirst ihn heute garantiert sehen, wenn du in die Arena gehst. Er ist immer dort. Es scheint ihm dort zu gefallen.", erklärte sie und ein zynisches Lächeln zog kurz an ihren Mundwinkeln. Das sonst so ausdruckslose Maskengesicht dieses Mannes sprach jedes Mal Bände, sobald die Kämpfe begannen und in den vielen Monaten, die Uera hier verbracht hatte, war er der einzige, der keinen einzigen ihrer Kämpfe verpasst hatte.
    Es war Uera nicht gänzlich unverständlich, denn auch sie wusste sich an Gewalt zu ergötzen, konnte sich an der Angst laben, die in den Blicken ihrer Kontrahenten aufloderte, wenn sie begriffen, mit wem sie es zu tun hatten. Sie liebte den süßen Rausch, der sie überwältigte, sobald das erste Blut floss, wusste sich darin zu verlieren und ging davon gestärkt aus jeden Kampf hervor. Doch Swalmor war ein Mann seltsamer Interessen und Uera war sich so gut wie sicher, dass es etwas gab, das ganz und gar nicht mit ihm stimmte und was über die offensichtliche Verstrickung in die Geschehnisse der Arena hinausging. Seine unnatürliche Aura lehrte viele das fürchten und Uera konnte sich dieser Furcht ebenfalls nicht völlig verschließen. Jeder seiner eigenartigen Besuche hinterließ sie ausgelaugt, fahrig und gereizt, auch wenn er sie niemals anrührte. Um genau zu sein ... niemand an diesem Ort hatte es jemals gewagt, sie in irgendeiner Form anzurühren - auch wenn es sicher genug derer gab, die es gerne getan hätten - und es hatte nicht lange gedauert, bis sie begriffen hatte, unter wessen Schutz sie stand.


    "Manche Gefangene gefallen ihm besonders … denen macht er gelegentlich Geschenke."
    Ein schwaches Nicken mit ihrem Kopf deutete auf den Holzkübel mit Wasser, der unweit ihrer schlanken Gestalt auf dem Boden stand. Dann kehrte ihr Blick ruckartig zu Khoínoor zurück und das Grau ihrer Augen war dunkel und klar. "Er wird dich genau beobachten. Er gibt Acht auf die ... Schmuckstücke seiner Sammlung." Und du bist nur ein weiteres von ihnen.

    Uera hörte interessiert zu, rätselte jedoch insgeheim auch ein wenig über den spottenden Blick, den er ihr zugeworfen hatte. Klein und wendig hatte er sie genannt … und lag mit seiner Einschätzung goldrichtig, doch über die Erwähnung des Streitkolbens hätte sie trotzdem fast gelacht. Er würde ihr niemals nahe genug kommen, um ihn einsetzen zu können, es sei denn er war bereit den Kolben zu nach ihr zu werfen.
    Sie verbiss sich den Spott und ließ ihn aussprechen, stellte zufrieden fest, dass er offenbar mit vielen Waffentypen und Gegnern Erfahrung hatte. Sie hatte gewusst, dass er ein Krieger war. Vom ersten Moment an. Es sprach aus jeder Bewegung der beeindruckenden Muskelstränge und der harten Züge, aus den kräftigen Händen, aus dem ruckartigen, entschlossenen Nicken. Was für ein Glücksfang.


    Die grauen Augen der weißen Yassalar leuchteten auf, als er sich an den Kopf tippte und vom Geist als wichtigste Waffe sprach. Sieh an, er teilt bereits Lebensweisheiten mit uns!, dachte sie halb amüsiert, doch gleichzeitig zog sich in ihrem Inneren etwas krampfartig zusammen und das Lächeln, das in ihrem Gesicht erscheinen wollte, erstarrte, noch bevor es Gestalt annehmen konnte. Uera musste wegsehen, den Kontakt zu diesen starren, goldenen Augen unterbrechen, sah stattdessen auf den Boden zwischen ihren Zellen, doch ihr Blick ging durch das Gestein hindurch, weit in die Leere.
    Sie schwieg, denn es brodelte dunkel in ihr. Seine Worte hatten einen wunden Punkt getroffen, hatten sie erneut an den schwarzen Tag erinnert, an dem Uera eben diese Waffe den Dienst versagt hatte. Ungeduld, Unerfahrenheit … Panik. Jede Waffe der Welt hätte ihr in diesem Moment nicht mehr genutzt, als ihre bloßen Hände. Niemals wieder würde das geschehen, das hatte sie sich geschworen und eine kalte Strenge trat in ihren unfokussierten Blick.
    Es vergingen einige Augenblicke, bevor Uera realisierte, dass der Echsenmann verstummt war und keine Anstalten machte, weiterzusprechen. Sie sah rasch auf, doch nichts in ihren stumpfgrauen Augen erzählte ihm von ihren Gedanken.


    Einer ihrer weißen Zeigefinger hob sich und sie tippte sich selbst leicht gegen die Schläfe. "Halte diese Waffe scharf und einsatzbereit.", sagte sie mit ein Nachdruck und in der Atemstille zwischen ihren Sätzen ergänzten sich ihre Worte um eine unausgesprochene Warnung. Denn vielleicht werden sie dir keine Waffen geben. Vielleicht werden sie dich gegen wilde Tiere kämpfen lassen. Und womöglich … wirst du mir gegenüberstehen.
    Es würde sich bald zeigen, aus welchem Stoff er gemacht war.


    "Uns bleibt noch Zeit für eine letzte Frage ... Krieger.", sagte sie trocken und tatsächlich erwartete sie jeden Moment die Leute, die sie abführen und dorthin bringen würden, wo sich ihr Schicksal eines Tages - vielleicht sogar heute noch - entscheiden würde. "Du bist dran."

    Er dachte offenbar nicht all zu lange über ihren Vorschlag nach. Sein Nicken löste die Anspannung ein wenig, die sich in Uera aufgebaut hatte, doch statt einem zufriedenen Lächeln trat eine kalte, entschlossene Härte in ihre Augen. Gut. Sehr gut.
    Die Frage, die er zu ihr hinüber zischelte, ließ ihren Verstand rasen und brannte in ihren Ohren. Ja … was musste er wissen? Er konnte ihr nur von Nutzen sein, wenn er wusste, was er zu tun hatte … doch wie konnte sie sichergehen, dass er es auch tun würde? Sie vertraute der Echse nicht, kein Stück, genauso wenig wie jedem anderen Trockenen in diesen Gemäuern. Sie wusste nicht, wieviel Tücke hinter der verknöcherten Stirn dieses Mannes lauerte. Es würde die einfachste Option sein, ihm diese schwierigen Überlegungen abzunehmen und die Ausweglosigkeit für ihn entscheiden zu lassen. Er wollte hier heraus - sie hatte den Plan. So einfach war das.


    Uera hob eine ihrer Hände, legte sich den Zeigefinger auf die blutleeren Lippen und bedeutete ihm damit, darüber zu schweigen. Gleichzeitig schüttelte sie sacht den Kopf, sodass ihr Haar wieder an seinen Platz hinter ihren Schultern fand. Sie würde ihre Pläne nicht hier und jetzt vor ihm offenbaren können, es war viel zu riskant.
    Selbst wenn sie dem Gehör nach mittlerweile sicher war, dass die Wachen bereits in den nächsten Trakt weitergegangen waren und außer dem penetranten Geruch nach Eintopf nichts mehr von ihrer Anwesenheit kündete. Selbst, wenn die einzigen, die ihr Gespräch momentan mithören würden, die halbwahnsinnigen Gefangenen waren, die weiter flurabwärts ihr Dasein fristeten.
    "Später.", formten ihre Lippen und nur ein sachter Atemhauch machte ein gesprochenes Wort daraus. Sie ließ unklar, wann dieses 'später' sein mochte ... denn selbst wenn sie ehrlich war, konnte sie nicht wissen, wie viel Zeit ihr für erklärende Worte bleiben würde.


    "Ich bin an der Reihe. Meine Frage.", sagte sie möglichst belanglos, doch ihr noch immer angespannte Gesichtsausdruck und der steinerner Blick verriet ihr falsches Spiel. „Du bist also an Waffen interessiert … welche ist die Waffe deiner Wahl?“
    Mit welcher Waffe bist du mir am meisten von Nutzen, Schuppengesicht?

    Als die Wachmänner johlend weitergegangen waren und sich den wenigen anderen Gefangen in diesem Gang zuwendeten, näherte sich Uera wieder den Gitterstäben, trat nahe an sie heran und fixierte den Echsenmenschen namens Khoínoor mit dem selben festen, ungerührten Ausdruck wie zuvor. Lauernd und unangenehm kalt entgegnete er ihren Blick mit reptilienartigem Starren.
    Wieso?, fragte er und Uera war versucht mit den Augen zu rollen. Hatte er es denn noch nicht begriffen? Hatte sie seine mentale Leistungsfähigkeit so unterschätzt? Der Blick der Yassalar flackerte kurz nach rechts, doch sie sah nichts mehr von den Wachen und ihre Stimmen entfernten sich bereits immer weiter.
    "Es ist die einzige Möglichkeit.", flüsterte sie und ihr Zellennachbar musste die Worte mehr von ihren Lippen ablesen, als sie hören zu können. Er hatte doch verstanden, wofür ... oder?


    Ueras Herzschlag beschleunigte sich spürbar und sie fühlte eine gewaltige Nervosität heranrollen, wie ein Unwetter, das sich mit knisternder Spannung in der Luft ankündigte. Sie atmete tief ein, legte den Kopf dazu in den Nacken, als bräuchte sie den Anblick der steinernen Decken über sich um klare Gedanken fassen zu können.
    Was tust du da?, erscholl es hinter ihrer Stirn und als sie zurücksah zu ihrem Gegenüber, war ein kleiner Funken Zweifel in ihre leicht verengten, grauen Augen getreten. Es war Irrsinn. Wenn sie ihn in ihren Plan integrieren wollte, musste sie wissen, wie sie ihn benutzen konnte. Ob er gewillt war, ihr zu trauen und ihrem Wort Gehorsam zu leisten. Sie würden sich keine Patzer erlauben können. Gleichzeitig blieb ihnen kaum Möglichkeit zur Absprache und Uera wünschte sich nichts mehr, als etwas mehr Zeit - doch gerade jetzt, wo sie den Geschuppten noch nicht kannten, ihn noch nicht einschätzen konnten, schien ihr ein Versuch erfolgversprechend.


    Es vergingen einige Momente, in denen sie nur nachdenklich schwieg, völlig unbewegt dastand, doch dann setzte sich ihr Körper wieder in Bewegung. Sie zeigte mit ausgestrecktem Zeigefinger auf ihn, dann auf ihre eigene Brust, verhakte schließlich die Daumen ineinander und bewegte ihre Handflächen wie schlagende Flügel eines Vogels, der sich in die Lüfte erhob. Die Geste war unmissverständlich. Du – ich – gemeinsame Flucht. Ihre Brauen zogen sich ein wenig zusammen, fragend, unentschieden während in ihren dunklen, geweiteten Pupillen ein erwartungsvoller Glanz lag.

    Uera ging nicht auf die spottenden Worte der Wachen ein. Statt deren Hohn, schwangen die grimmigen Worte des Echsenmannes in ihren Ohren nach. 'Ich töte niemanden.'
    Dein Fehler., antwortete sie in Gedanken, doch ihre Lippen blieben unbewegt und wurden so fest aufeinander gepresst, dass sie zu zwei weißen Strichen verblassten. Aber wenn 'niemanden' mich beinhaltet …


    Auf der Pritsche sitzend hörte sie die Worte der Wachen und auch die durchdringende Stimme der Echse, doch sie konnte weder sie noch den Gefangenen sehen, da ihr dieses nervtötende Ekel mit seinem schmierigen Grinsen das Blickfeld versperrte. Was sie jedoch hörte, beschleunigte ihren Herzschlag und ließ ihren Blick ein wenig wachsamer werden. Verstand sie die Männer richtig? Wollten sie den Neuankömmling schon heute antreten lassen?
    Thalanos. Dieser Name klang, als hätte sie ihn schon einmal gehört, doch sie konnte dem Namen kein Gesicht zuordnen und bezweifelte, schon einmal näher mit ihm zu tun gehabt zu haben. Aber sollte diese Wache recht behalten, so würde dieser Mann nicht all zu bald kommen um ihren schuppigen Zellennachbarn zu verhören … Uera zog unterbewusst ihre Unterlippe zwischen die Zähne, kaute angestrengt darauf herum. Ihre Hände hatten sich in die Strohmatratze verkrallt und ihr linkes Bein wippte nervös.
    Uera witterte die Gunst der Stunde, doch in ihr war so viel Zweifel und Unruhe, dass ihre Gedanken nur so durcheinander stoben und sie kaum klar denken konnte. Alleine einer Sache war sie sich sicher: Wenn er heute in die Arena ging … musste Uera sicherstellen, dass sie dabei war. Sie hatte nur einen Versuch. Einen einzigen. Und der musste gelingen, sonst würde sie noch heute ihren letzten Atemzug tun. Vielleicht war heute der Tag, auf den sie so lange gewartet hatte. Vielleicht nicht.


    Ihre innere Anspannung ließ sich nicht länger beherrschen und sie sprang geradezu von ihrem Sitzplatz auf, wandte sich dem Trockenen zu, der immer noch an den Gitterstäben ihrer Zelle hing. Ueras angestrengtes Gesicht zeigte kaum eine Regung, doch die schmalen Lippen teilten sich schließlich doch zu ein paar trockenen Worten.
    "Ich gehe in die Arena.", sagte sie, wissend, dass sie in diesem Moment den Herzenwunsch des Wachmanns, der nahe an ihrer Zelle verblieb, erfüllte und dies an seinem verdorbenen Gesichtsausdruck ablesen konnte. Ihr Blick ging jedoch an ihm vorbei, über den Gang und fand schließlich die goldenen Augen des Echsenmannes. Bedeutungsvoll hielt sie den Blickkontakt für einige Sekunden, wobei im Grau ihrer Augen ein leichter, violetter Schimmer erschien, der nach einem Blinzeln jedoch wieder verschwunden war. Nutze deine Chance, Eidechse.

    Aufmerksam lauschte Uera seinem Namen und prägte sich seinen seltsamen Klang ein, der sie an keinen bestimmten Ort und keine Sprache erinnerte, die sie jemals vernommen hatte. Zähneknirschend nahm sie zur Kenntnis, dass er keinesfalls in der selben Situation war wie sie. Sie wurde von niemanden an der Oberfläche vermisst, höchstens wegen irgendeines Verbrechens gesucht, doch auch das schien keinen dazu zu motivieren, in den Verließen Caraskas nach der Diebin zu suchen. Verständlich, wie Uera fand.
    Und dass es mehr ihrer Sorte gab ... hielt Uera für mehr als unwahrscheinlich. Sie musste der schlechteste Scherz des Schicksal sein, den die Welt jemals gesehen hatte. Ein missgestaltetes Wesen aus dem Meer, von den ihren verstoßen, an Land gebracht und von den Trockenen ebenso verstoßen … in einer Gefängiszelle so weit vom Meer entfernt, dass es Uera unmöglich war, seine Witterung aufzunehmen.


    Sian'darai. Nicht mehr als eine Ansammlung staubiger Ruinen, wenn sie den Geschichten über diese verfallene Stadt glauben durfte. Nördlich von hier gelegen, lag Sian'darai nicht weit von Caraska entfernt, doch es galt das Gebirgsmassiv der Wolkenspitzen zu überwinden, eine sehr beschwerliche Reise. Was hatte ihn in diese Geisterstadt gebracht? Er hatte Waffen dort verloren … und wollte sich in Caraska neue besorgen? Neugier stieg in der Yassalar auf und ihre Brauen zogen sich skeptisch zusammen, doch drängte sie weitere Fragen in diese Richtung zurück.
    Khoínoor Charad dek l'Bryre … musste trotz allem fern seiner Heimat sein und damit mochte auch seine Chance, durch die seine Leute freigekauft zu werden, in unerreichbarer Ferne liegen. Und er schien so wütend und entschlossen, dass er auch kaum darauf warten würde …


    "Das siehst du früh genug mit eigenen Augen.", begann sie und ein leichtes Lächeln zeigte sich auf ihren blassen Lippen, während ihre grauen Augen im Dunkel der Zelle leise glommen. Sie hatte sein Interesse geweckt. "Was dich erwartet hängt davon ab, zu was du in der Lage bist und zu was nicht."
    Uera erinnerte sich an den Tag, an dem sie die Arena zum ersten Mal gesehen hatte. Niemand hatte sie zuvor gewarnt, hatte ihr verraten, was dort geschah, doch das Konzept hinter den Kämpfen war so selbsterklärend, dass sie es bald verstanden hatte. Sie traute ihrem Gegenüber zu, dass er es selbst begriff, wenn er es sah, doch womöglich war es eine weise Entscheidung, es ihm zu erklären, bevor sie sich gegenüberstanden.
    "Es ist ein Spiel.", grinste sie hinter ihren Haarsträhnen hervor. "Du trittst gegen einen anderen Gefangenen an. Es gibt wenige Regeln. Aber sieh zu, dass den Trock- … den Leuten gefällt was sie sehen. Töte deinen Gegner und sie werden enttäuscht sein. Sie entscheiden, nicht du. Wenn du dich gut anstellst, wirst du belohnt. Wenn du versagst ..."
    Ihr Schweigen blieb ein Schweigen und sie führte ihren Satz nicht zu Ende. Stattdessen blickte sie stumm auf den Lichtstrahl herab, der sich an ihre Gestalt herangestastet hatte und damit begann, dass Mauerwerk hinaufzuklettern. Es war an der Zeit. Sie trat durch das geradezu blendend helle Licht, ihre Haut und ihre Haare leuchteten für einen Moment auf, ehe sie sich auf ihrer Pritsche niederließ und in tiefes Schweigen verfiel.


    Nach wenigen Augenblicken trat jemand die Türe links der Zelle des Echsenmannes auf und mit den Männern trat der entsetzliche Geruch des dickflüssigen Eintopfes in den Raum, den sie in einem Kessel hereintrugen.
    "Letzte Chance!", verkündete einer von ihnen, laut genug, dass es der gesamte Trakt hören musste, wandte sich als erstes der Echse zu und fuchtelte mit dem hölzernen Schöpflöffel vor dessen Gesicht herum. "Schuppengesicht! Wenn du was essen willst, musst du dafür arbeiten.", rief er, viel zu laut angesichts des geringen Abstands zwischen ihnen. Eine hölzerne Schüssel wurde gefüllt und der Sprecher fächelte dem Gefangenen den Dampf zu. Ein paar der anderen hüstelten ein Lachen. "Riecht fein, oder? Appetit? Dann geht es später für dich eine Etage nach unten ... in die Arena zu den anderen Viechern."

    Die geweiteten Echsenaugen hatten etwas unheimliches an sich und erst jetzt, wo er sie so groß und golden ansah, bemerkte sie, dass er nicht so oft blinzelte, wie es eigentlich nötig gewesen wäre. Sein Kopf bewegte sich ruckartig und doch fließend, gerade wie der einer Eidechse. Was war er nur für ein seltsames Geschöpf? Uera war nicht gerade in einem Umfeld aufgewachsen, in dem man als Kind viele Märchen erzählt bekam … doch gerade aus einem solchen schien der Geschuppte entsprungen zu sein. Vielleicht gab es auf Beleriar noch mehr wie ihn? Sie begann zu befürchten, dass es doch jemanden in der Außenwelt gab, der ihn hier herausholen würde.
    Ueras Lippen zuckten und formten einen etwas säuerlichen Ausdruck, auch wenn sie glaubte, dass er ihre Warnung verstanden hatte. Es war ein Anfang. Er schien zu verstehen, dass es hier nicht darauf ankam, ob man frei von Schuld war. Frei kam hier nur derjenige, der selbst genug Geld hatte, oder der, an dessen Freikommen genügend Interesse von den richtigen Leuten bestand.
    Auf seine Nachfrage nickte sie leicht, fragte sich jedoch im selben Moment, was noch alles hinter seiner Stirn vorging. Sie hätte viel dafür gegeben, genau jetzt in seinen Kopf blicken zu können und zu sehen, wie das Echsenhirn darin auf eine Lösung hinarbeitete. Vor dieser Türe befand sich nur ein karger Innenhof, in dessen Ecken Unkraut wucherte und über dessen hohe Mauern nur wenige Sonnenstrahlen klettern konnten. Manchmal zerrten sie jemanden dort hinaus, wenn er Probleme machte … mit Vorliebe nachts und noch lieber, wenn es regnete. Uera schüttelte den Gedanken energisch ab.


    "Meine Fragen.", begann sie und trat ein wenig von ihrem Gitter zurück um dahinter auf und ab gehen zu können.Weich federte ihr Gang und sie spürte, wie die letzte Steifigkeit aus ihrer Muskulatur verschwand. Sie ließ ihn warten, doch dann blieb sie unvermittelt stehen, drehte ruckartig den Kopf, um ihm ins Gesicht sehen zu können. Ja, warum nicht einfach fragen?
    "Du bist fremd hier. Du kannst mir nichts von oben erzählen … richtig?", fragte sie und ihre Stimme war eine Spur lauter geworden, blieb jedoch weiterhin gesenkt. Sie lauerte auf eine stumme Antwort auf diese Frage in seinem eigenartigen Gesicht. Dann glitt ihr Blick ein weiteres Mal über seine nicht unbeeindruckende Statur, wanderte zurück zu seinem Gesicht und blieb dort mit einem anerkennenden Ausdruck hängen. Etwas sagte ihr, dass diese Muskeln nicht zur Dekoration gedacht waren.


    "Aber verrate mir etwas … ich kann mich nicht daran erinnern, in Caraska oder an irgendeinem anderen Ort jemals jemanden wie dich gesehen zu haben. Wenn du mir nicht verrätst was du bist, sag mir wenigstens eins: gibt es mehr von deiner Sorte? Wartet man oben auf dich? Und wie war der Name nochmal … Kho – wie?"
    Sie zog die Brauen hoch, starrte ihn mit erwartungsvoller Miene an und wartete geduldig darauf, dass er den Namen für sie vervollständigte. Caraska war nicht nur ein Ort, an dem zügellosen Süchten nachgegangen wurde, sondern auch der Ort, an dem sich die besten Schmiede in ganz Beleriar einen Namen gemacht hatten. Es gab viele Durchreisende und Besucher aus fremden Gegenden. Vielleicht hatte sie seinen Namen ja doch schon einmal gehört?

    Ohne den Kopf zu drehen, warf sie einen skeptischen Blick auf den Geschuppten. Sein Wort, sein Leben? Die Dunkelheit in seiner Stimme und die mühsam zurückgehaltene, kochende Wut darin ließ Ueras Kopfhaut unangenehm prickeln. Etwas in dem sonoren Vibrieren dieser Stimme machte der Yassalar klar, dass es sein voller Ernst war, so sehr sie sich anstrengte, den Worten keinen Glauben zu schenken. Wenn ihm ein Versprechen so viel wert war, würde er es ihr sicherlich nicht mit Leichtigkeit geben. Doch wenn es erst ausgesprochen war ...
    Ein funkelndes Lächeln ließ ihre Eckzähne aufleuchten, doch es verblasste zunehmend, sobald er damit begonnen hatte, langsam und mühsam weiterzusprechen und eine Frage nach der nächsten in den Raum stellte. Am Ende war nichts mehr davon zu sehen und sein erwartungsvoller, sie musternder Blick glitt spurlos an ihren eisigen Zügen ab.


    Die Beschreibung des Raumes, die er ihr gab erinnerte sie blass an etwas. Ein wuchtiger Schreibtisch, ein offenes Feuer … es klang ein wenig nach dem Raum, in dem man sie damals 'verhört' hatte, in dem ihre Taschen geleert und ihr sämtliche brauchbaren Gegenstände abgenommen worden waren. Inklusive ihrer mühevoll zusammengeklauten Kleidung, was sie noch immer manchmal mit den Zähnen knirschen ließ. Das einfache Leinenhemd, das sie nun trug, mit seinen zerfransten Kanten und die Hose mit den viel zu kurzen Hosenbeinen, besaßen dagegen eine unangenehme Rauheit, die sich an ihren schwarzen Schuppen rieb.
    Uera beobachtete ihn genau, während ihre bleichen Hände in einer lockeren Faust aneinander rieben, von angestrengten Überlegungen berichteten. Wenn er noch nicht verurteilt war, noch nicht entschieden war, wie lange er bleiben würde … blieb ihr vielleicht nicht viel Zeit! Sie brachte ihr Gesicht nahe an die Gitter, spähte den Gang hinab. Nach einem kurzen Lauschen erhob sie sich geräuschlos und schnell, presste ihren schlanken Körper so nahe an die Gitterstäbe, wie es ihr möglich war. Sogar ihre weiße Wange war an die kühlen Metallstreben geschmiegt.
    "Ich habe keine Ahnung von wem du sprichst … aber wenn sie sagen, sie kommen wieder, tun sie das. Früher oder später.", wisperte sie, hoffend, dass er gute Ohren hatte. Uera pausierte und bewegte sich unbehaglich, warf einen weiteren achtsamen, flüchtigen Blick nach rechts, wo sie noch immer keine verdächtigen Geräusche vernahm. Aber man konnte nie wissen. Ueras helle, feine Brauen waren über den schmutzgrauen Augen fest zusammengezogen und zwischen ihnen formte sich eine steile Falte.
    "Pass gut auf.", zischte sie und blickte tief und mit Nachdruck in die beunruhigend starren Goldaugen ihres Gegenübers. "Ich weiß nicht, wer du bist und warum du hier bist. Aber wenn du auch nur einen Funken Verstand in deinem Schädel hast, dann sieh zu, dass du hier rauskommst. Bevor dieser Mann wiederkommt und deine letzte Chance zunichte macht."
    Ihre Hände schlossen sich fester um die Eisenstäbe und auch ihre Knöchel traten nun weiß hervor, als sie fortfuhr, ihn nicht für einen Moment aus den Augen lassend. Sie holte Luft für die kommenden Worte, die über vieles entscheiden würden. Ob er von selbst darauf kommen würde? Mal sehen, wie viel Grips in diesem trockenen Echsenhirn steckte.
    "Du musst wissen, diese Türen öffnen sich nur zu wenigen Anlässen. Wenn sie dich reinbringen … und wenn sie eines Tages deinen toten Körper wieder rausziehen.", flüsterte sie und ihre klaren Worte waren rasch verklungen. Das Grau ihrer Augen begann, immer heller zu leuchten. "Und … wenn sie dich in der Arena kämpfen sehen wollen."

    Sag mal, Klivv, wo ich so dein Charakterdatenblatt lese ... Deine Katze ... auf die passt nicht zufällig diese Beschreibung:


    Auf einer Mauer saß der wohl hässlichste Kater, den Nir'alenar jemals gesehen hatte - fett, mit struppigem roten Fell, einem fehlenden Auge und einem zerfetzten Ohr - und jaulte erbärmlich.


    Dann bin ich der nämlich schon mal begegnet :D

    Für einen kurzen Augenblick bekam Uera das Gefühl, dass sein Blick geradewegs durch sie hindurch ging, als habe er sie gänzlich aus dem Fokus verloren. Unvermittelt erhielten die fremdartigen Augen eine fast schon entsetzte Qualität, fast als sähe er ein Gespenst, dort wo doch nur ihr magerer Körper saß. Uera blinzelte. Er musste ein paar wirklich kräftige Schläge auf den Kopf abbekommen haben.
    Als sein Blick ins Hier und Jetzt zurückkehrte, hatte sich seine Stimmung deutlich verschlechtert. Tonlos und mit knirschenden Zähnen sprach er zu ihr. 'Welche Bedeutung soll das haben? Jetzt bin ich nichts anderes, wie Ihr auch.'
    Falsche Antwort, bedauerte die Yassalar und auch sie war versucht, die Zahnreihen aufeinander zu schlagen und verächtlich zu zischen, doch sie blieb ungerührt sitzen, entgegnete seinen grimmigen Blick mit einem gefährlichen Glanz in den Augen. Du bist nicht wie wir. Nicht in geringster Weise … wir befinden uns lediglich in der selben misslichen Lage, törichte Eidechse.


    Sie ließ ihn zu Ende sprechen, gestattete ihm, sie grollend zu mustern. Er gab sich unbeugsam, sprach mit fester Stimme davon, dass er nicht aufgeben würde, bevor er freikam. Uera gefiel seine Einstellung, doch die Art und Weise in der er sprach, ließ sie hinter ihrer weißen Stirn leise lachen. Irgendwann gab jeder auf und auch sie spürte längst, dass es Zeit wurde, diesen Ort zu verlassen.
    456 Tage hatte sie in diesem Loch ausgeharrt, standgehalten, hatte jede verfügbare Minute dazu genutzt einen minuziös ausgefeilten Plan zu erschaffen, ihn bis ins letzte Detail auszuarbeiten. Sie war vorbereitet. Der richtige Tag würde bald anbrechen. Und dann würde sie triumphieren, zumindest war das der Plan.


    Keine persönlichen Fragen … bildete sich der Schuppenmensch ein, er bestimme die Regeln? Ihr fiel nicht ein, warum sie sich daran halten sollte … wenn ihm Antworten auf seine Fragen wirklich so viel wert waren, würde er schon beikommen. Und sie würde erfahren, was er für ein seltsames Geschöpf war, wenn er es denn selbst wusste.
    Uera begann zu mutmaßen, dass ihr Gegenüber nicht mit den Umgangsformen der unteren Schichten vertraut war, er wirkte so kultiviert als stamme er aus einem der dünnblütigen Adelsgeschlechter der Trockenen. Vielleicht würde ihn bald jemand freikaufen? Für einen privaten Tiergarten vielleicht?
    Gerade wollte sie darüber hämisch auflachen, doch dieser eine, bohrende Gedanke in ihrem Kopf ließ nicht locker, drängte sich auf, zwang sie dazu, ihre Idee erneut zu überdenken und den Spott erneut fallen zu lassen. Seine Hände waren derart fest um die Eisenstangen geschlossen, dass die Fingerknöchel weiß schimmerten. Mit genügend Kraft wäre er sicher ausgestattet ...
    Doch wenn er nichts verraten wollte, würde sie sich selbst zusammenreimen müssen, ob er auch nur einen einzigen weiteren Gedanken in diese Richtung wert war.


    "Dein Wort? Ein Wort, das … genau was wert ist?", hakte sie nach und schüttelte sachte den Kopf, woraufhin ihr silberne Haarsträhnen ins Gesicht fielen, und führte mit ihrer Hand eine wegwerfende Geste aus. Sie erwartete keine Antwort, denn sie konnte sie sich selbst geben. Uera machte sich keine Illusionen, schon lange nicht mehr. Wenn er wollte, würde sie ihm tausende Worte geben ... und jedes davon ohne zu Zögern brechen.
    Doch wie du mir, so ich dir., dachte sie bei sich und ihr Blick fiel beinahe desinteressiert von ihm ab, als wüsste sie bereits, was als nächstes kommen würde, richtete sich auf den Lichtstrahl in ihrer Zelle. Der längliche Lichtpunkt war näher an sie herangekrochen, berührte mittlerweile fast ihre nackten Füße. Sie zog sie ein wenig näher an sich heran. "Frag deine Fragen.", sagte sie trocken, musterte den schmutzigen Boden um ihre Füße herum. "Wenn sie Bedeutung haben und nicht persönlich sind." Ich werde sehen, ob ich sie wahrheitsgemäß beantworten will.

    Uera hatte das zornige Funkeln in den Echsenaugen gesehen und auch seine beherrschte, ruhige Stimme konnte diesen Eindruck nicht verdrängen. Sie labte sich daran. Irgendwo war ein wunder Punkt getroffen worden, doch die Yassalar konnte nicht wissen, ob es ihre Worte waren, oder schlichtweg der Ärger darüber, hier gelandet zu sein. Es war stets eine der ersten Empfindungen der Gefangenen und stets wurde der Zorn von einer tiefen Verzweiflung abgelöst. Wie lange es bei diesem Exemplar dauern würde? Uera war es nicht möglich, sich dieses Geschöpf weinend vorzustellen, tobend vielleicht, aber gebrochen, entmutigt und verzweifelt? War es dazu überhaupt in der Lage?
    Ihr kam eine Idee, doch wieder ließ sie sich betont viel Zeit um eine Antwort zu geben, sah den Echsenmann abschätzend an und lauschte dabei nach den Geräuschen des Gefängnistraktes. Das Kaminfeuer, an welchem sich die Wächter während ihrer späten Schichten wärmten, war noch nicht entzündet worden und bis auf die paar stupiden, mit der Zeit verstummenden Gefangenen einige Zellen weiter, schien niemand mitzuhören. Gut. Insassen die sich zu gut unterhielten wurden oft versetzt - und sie hatte ihren Spaß noch nicht gehabt.


    "Neuigkeiten von oben. Kein Jammern. Kein Geschrei mehr. Antworten auf meine Fragen.", begann sie mit gesenkter Stimme und es klang wie der Anfang einer nicht enden wollenden Aufzählung. Vor unwesentlicher Zeit, vielleicht erst gestern, musste er noch durch die Straßen Caraskas gelaufen sein, noch haftete ihm ein Hauch der Freiheit an, die sie ihm genommen hatten. Uera hoffte, dass er sich in den richtigen Kreisen herumgetrieben hatte, bevor er eingebuchtet worden war und ein paar interessante Dinge erzählen konnte.
    Sie neigte sich dem Gitter zu, spähte zwischen den Stäben hindurch, verengte ihre stahlgrauen Augen, als könne sie ihn so besser ausmachen. Ihr Blick sprang zwischen den seltsamen Merkmalen seinen Körpers hin und her und ihre Neugierde brandete mächtig gegen die Mauern ihrer Beherrschung. Ein weitere Idee bohrte sich wie eine glühende Klinge durch ihre Gedanken und ließ sie den Spott und Hohn für einen Moment vergessen. Die Ruhe in seinem Gesicht schien völlig unzerstörbar. "Was in aller Welt … bist du?"

    Uera pflichtete seiner Antwort in Gedanken bei, es mochte wirklich besser sein, wenn sich dieser Muskelberg dort drüben halbwegs unter Kontrolle hatte. Und er hatte sich scheinbar recht gut unter Kontrolle. Der Umstand, dass ihre Bemerkung keinen offensichtlichen Ärger in ihm hervorrief, schaffte es jedoch, Unzufriedenheit in ihre Züge zu bringen. Seine gestelzte Frage vertiefte diesen Ausdruck noch mehr. Ob es sie belästigen würde? Er hatte ja keine Ahnung. Uera rollte mit den Augen.
    Was hatte sie auch anderes erwartet? Es waren doch immer die gleichen Fragen, schon hundertfach gehört und hundertfach beantwortet. Warum hielt sie sich überhaupt mit ihm auf? Abgesehen von seinem wahrlich ungewöhnlichen Äußeren, hatte er sich bisher nicht als sonderlich interessant erwiesen. Die sachte Enttäuschung, die sie am Rande verspürte, verblasste jedoch schon bald und machte der gewohnten Gleichgültigkeit Platz.


    "Vielleicht?", knirschte sie, verschränkte ihre Arme und sah nach dem Lichtstreifen in ihrer Zelle. Noch nicht einmal Mittag … die Zeit schien heute nur so zu kriechen. Es mussten noch Stunden sein, bis die Sonnenstrahlen endlich vom schmutzigen Boden der Zelle zur Wand gekrochen sein würden. Staubkörner flirrten im blassen Licht, welches ihre Zelle ein wenig heller machte als die des Geschuppten. Nachdenklich sah sie zu ihm hinüber. Vielleicht würde es doch ein amüsanter Zeitvertreib werden? Vielleicht konnte sie das Echsenhirn ein wenig aus seiner Reserve locken? Zwischen ihnen befanden sich schließlich zwei Reihen Eisenstäbe … es gab also keinen Grund, besonders freundlich zu sein.
    Uera zuckte schließlich mit den Schultern, malte mit einer Hand eine resignierte Geste in die Luft und warf ihm einen fragenden Blick zu. Sie wusste, dass ihm einige Fragen unter den Krallen brennen mussten und sie kannte die Antworten …
    "Kommt stark darauf an, welche Fragen du stellst", fügte sie kalt hinzu und erneut zupfte das falsche Lächeln an ihren Mundwinkeln. Falsch wie Katzengold. "und was ich im Gegenzug dafür erhalte."

    Zu seiner vollen Größe aufgerichtet gab der Echsenmann ein imposantes Bild ab, auch wenn er sichtlich angeschlagen war. Er wirkte gleichzeitig massiv und sehnig, was in Ueras Kopf für den Moment nicht zusammenpassen wollte, doch vor allem war er eines: riesig. Er musste sie um viele Köpfe überragen und wahrscheinlich genügte seine Kraft mühelos um sie zu zerquetschen wie einen Käfer. Mit einem weiteren Anflug morbider Phaszination musterte sie die Krallen an den Enden seiner Finger. Die Eisenstäbe wirkten wie Zahnstocher in seinen Händen. Sie dachte an den bevorstehenden Abend und vor ihrem inneren Auge malten sich Bilder davon, wie der Hüne jeden seiner Gegner in den Boden stampfen würde. Machtvoll. Sie wollte dabei zusehen, wenn er es tat und er würde es tun müssen, sollte er noch länger hier sein. Zu schade, dass sie Caraska bald hinter sich lassen würde …


    Seine Worte, in vollem Ernst und doch ohne jeden Ausdruck gesprochen, verhallten bald im Raum, doch die tiefe Stimme hatte einen derart durchdringenden Charakter, dass sie sich wie Sirup anfühlte, der ihre Ohren füllte. Seine höfliche Art zu formulieren sprach nicht unbedingt dafür, dass er aus der Gosse hierher gekommen war. War er etwa aus einem Kuriositätenkabinett entflohen und sein Besitzer würde ihn bald wieder abholen? Wie ein eintflohenes Haustier? Was er auch war, er war niemand, den man zum Feind wollte.
    Ueras Interesse war entflammt, doch die Yassalar ließ sich Zeit mit einer Antwort, kaute auf den Innenseiten ihrer Wangen herum, ließ ihn keinen Moment aus dem Blick. Noch einmal studierte Uera sein eigenartiges Gesicht mit den knochigen Stellen, den Schuppen, den Reptilienaugen. Es wirkte so fremdartig, dass sich Uera einfach nicht entscheiden konnte, ob sie es abstoßend oder interessant finden sollte.
    Noch. Ob sie noch Herrin ihres Verstandes war? Keine unberechtigte Frage, doch auf der anderen Seite ging es ihn nichts an. Überhaupt … warum interessierte ihn das und was wollte er so dringend mit ihr besprechen?
    Genau das war es, was sie an Neuankömmlingen so hasste. Das erste was sie taten, wenn sie ankamen, war, sich an den nächstbesten Gefangenen zu richten und ihm die Ohren mit ihrer tragischen Geschichte voll zu sülzen. Sie stellten zu viele Fragen, wollten zu viel wissen, gaben keine Ruhe.
    Sie erinnerte sich an den besten Zellennachbarn, den sie jemals gehabt hatte. Er war nur unbedeutend kleiner gewesen, als der Echsenmann, genau so massig, doch ungleich gröber. Er hatte nie auch nur ein einziges Wort gesprochen. Später hatte sie erfahren, dass man ihm vor vielen Jahren die Zunge herausgeschnitten hatte. Ein angenehmer Zeitgenosse.


    Die Kühle in ihren Augen wich schlussendlich wieder leichter Belustigung, sie verzog ihre Lippen zu einem hämischen Lächeln, wobei sie unwillkürlich ihre scharfen Reißzähne bleckte.
    "Danke der Nachfrage.", antwortete sie ebenso ausdruckslos wie er gefragt hatte, doch in ihren Augen blitzte Hohn. "Und selbst? Das waren wohl ein paar Schläge zu viel auf den Kopf..."