Beiträge von Erzähler

    Nicht weit vom Tempel Alarias entfernt, am Rande des Seeviertels, befindet sich das Haus der Stürme, der Tempel Selurians in Nir’alenar. Es ist kein prunkvolles Bauwerk. Die schmucklose, weißgraue Marmorfassade könnte ebenso zu einer der Schulen des Philosophenviertels gehören, wenn man von dem kleinen Wirbelsturm absieht, der über dem Eingangsportal in den Stein gemeißelt worden ist. Starke Säulen tragen den vorderen Teil des Einganges, der in ein quadratisches Gebäude mit offener Mitte führt. Darin liegt ein großer Innenhof, der von Säulengängen gesäumt wird. Allerlei merkwürdige Gerätschaften befinden sich an diesem Ort und glitzern im Licht vielzähliger Lichtkugeln. In diesen findet sich schließlich auch der Grund dafür, dass der Tempel als solcher schmucklos bleibt, denn in ihnen steckt aller Reichtum, den die Priesterschaft angesammelt hat.
    Es sind Instrumente, mit deren Hilfe man das Wetter zu erforschen vermag. Einige davon sind alt und unnütz, seitdem die Insel unter dem Meer liegt. Andere, die offenbar von Gnomenhand entwickelt worden sind, haben sie inzwischen ersetzt. Manches misst die magischen Ströme, die für Wetterturbulenzen verantwortlich sind und ersetzt den Blick in den freien Himmel.
    Für Unbeteiligte muten diese Gerätschaften fremdartig, kompliziert und geheimnisvoll an. Zu jeder Zeit sind die Priester des Selurian in diesem Innenhof tätig, stellen Messungen und Berechnungen an, bevor an jedem Abend die Hohepriesterin, Senaia Uhlan, die Stufen des Tempels hinab schreitet und auf den offenen Platz an seiner Vorderseite die zu erwartende Wetterlage verkündet.
    Zu dieser Zeit versammeln sich stets viele der Bürger Nir‘alenars vor dem Haus der Stürme, um Senaias Vorhersage zu lauschen und sich auf die zu erwartenden Turbulenzen einzustellen. Von hier aus treten ihre Worte schließlich den Weg durch alle Viertel der Stadt an, wo an dem sogenannten Wettersäulen auf magische Weise wiederholt wird, was die Priesterin auf dem Tempelplatz spricht.
    Nur wenige Unbeteiligte dürfen den Innenhof des Tempels betreten. Dies geschieht allein schon, um die empfindlichen Geräte zu schützen. Die meisten Besucher dringen nur bis zu dem Raum vor, in dem der Gottesdienst stattfindet, und verlassen den Tempel auf dem gleichen Weg, auf dem sie gekommen sind.
    Der Altarraum ist mit Abstand der Bereich des Hauses der Stürme, der die meiste Zier aufweist. Die Wände sind aufwendig bemalt worden und zeigen verschiedene Gestalten des Selurian, die man ihn auf Niel‘Anor zuordnet. Viele Orte sind darauf dargestellt, die in irgendeiner Weise mit dem Wettergott in Verbindung gebracht werden. Nicht zuletzt sein eigenes Reich, Vhelaris.
    Ein gläserner Altar bildet das optische Zentrum in diesem Raum. Darin kann man einen weißen Wirbel erkennen, der niemals zum Stillstand kommt. Man nennt ihn den Atem des Gottes, ein heiliges Phänomen, das man allein in seinen Tempeln findet und von dem winzige Teilchen entnommen werden, um die heiligen Symbole des Selurian herzustellen. Ein sanfter Windhauch ist stets in der weitläufigen Halle spürbar und versetzt in Bewegung, was seinen Weg kreuzt und leicht genug dafür ist.
    Das Haus der Stürme beherbergt einige Räumlichkeiten, die reisenden Selurian Priestern zur Verfügung gestellt werden können. Selten sieht man die gleichen Gesichter mehrmals, wenn man von den älteren Individuen absieht, die sich hier zur Ruhe gesetzt haben.
    Auch die Hohepriesterin hat die mittleren Jahre bereits überschritten. Senaia hat ihre Berufung darin gefunden, in Nir‘alenar zu dienen und die Geschicke des Tempels zu leiten. Es ist eine Seltenheit in den von Männern dominierten Reihen der Selurian Priesterschaft und der über Jahre andauernde Kampf um Anerkennung hat sie hart und streng werden lassen. Tiefe Furchen im Gesicht der Menschenfrau erzählen ihre Geschichte und haben ihre einst herbe Schönheit schwinden lassen. Doch letztlich waren ihre Mühen von Erfolg gekrönt. Niemand wagt es heute mehr, einem Befehl der Hohepriesterin zu widersprechen und sich ihrem Willen zu widersetzen.

    Kirealas Wacht ist zwar nur der zweitgrößte Tempel der Kireala auf Beleriar, doch es ist mit Abstand der prächtigste. Am Rande eines Wäldchens nahe den Toren Nir‘alenars gelegen, mag sein Standort zunächst irritieren. Bedenkt man jedoch, wie viele wohlhabende Bauern in der Umgebung leben, wird das Bild klarer.
    Die Priesterschaft von Kirealas Wacht erfreut sich stetiger Opfergaben, die es erlauben, einen Tempel dieser Größe angemessen auszustatten. Das Bauwerk, das komplett aus Holz besteht, ist wahrhaft ein außergewöhnlicher Anblick. Die Fassade ist über und über mit kunstvoll geschnitzten Blättern versehen, die man in allen Schattierungen der Farbe Grün ausgemalt hat. Efeu rankt sich daran empor und vermischt sich mit den geschnitzten Blättern zu einer Einheit. Säulen, die ebenfalls überwuchert sind, rahmen das Eingangsportal, das schließlich ins Innere führt und den Blick auf den großzügigen Altarraum freigibt, in dem der Altar von lebendigen Pflanzen umgeben wird, die aus dem naturbelassenen Boden wachsen. Dahinter erstreckt sich ein kleiner Wald aus dichten Bäumen unter einem offenen Dach. Ihr Duft erfüllt jeden Winkel des Tempels und lässt die täuschend echte Illusion zu, sich in der Tat in freier Natur zu befinden. Es ist ein erstaunliches Phänomen, das nur durch Kirealas Segen möglich sein kann. Sogar Vögel und kleine Nagetiere haben sich hier eingenistet und erfüllen den Ort mit Leben.
    All diese Pracht ist den Anhängern Kirealas aus anderen Teilen der Insel ein Dorn im Auge. Sie beschuldigen den Hohepriester, Saran Daronis, der Eitelkeit und der Anhäufung von Profit, werfen ihm vor, von der nahen Stadt verdorben zu sein und Kirealas Willen zu missachten.
    Saran, der aus einer niederen Adelsfamilie stammt, stört sich daran indes recht wenig. Er sieht Kirealas Wacht als ein Bollwerk gegen zu weitreichenden Fortschritt und hält seine Arbeit für unerlässlich. Für ihn ist es die Art der Kontrolle, die ständige Wache über das Geschehen in der Stadt, die sicherstellt, dass die Natur durch Nir’alenar nicht allzu sehr zu leiden hat.
    Der Rat von Nir‘alenar kann ein leidvolles Lied davon singen, denn Sarans oftmals unrealistische Forderungen sind nicht selten Gegenstand der Ratssitzungen und der wachsame und gestrenge Priester lässt es sich nicht nehmen, selbst zu so mancher Sitzung zu erscheinen, um seine Klagen vorzubringen und Entscheidungen zu überwachen. Es ist keine Frage, dass er kein sonderlich gerngesehener Gast ist.
    Fern von all diesen Querelen hat der Tempel jedoch auch im Inneren mit Unruhen zu kämpfen. Denn im Außenbereich des Bauwerkes befindet sich ein kleiner Schrein, der Shevaré geweiht ist. Die dort tätige Hohepriesterin, Vhelai, ist eine Tua‘Tanai von wildem Temperament, deren Ansichten oft mit denen Sarans kollidieren. Zu seinem Leidwesen ist er machtlos dagegen, denn er kann schlecht die Priesterschaft von Kirealas geliebter Tochter aus seinem Tempel verbannen, ohne die Göttin zu erzürnen.

    Vergleicht man ihn mit den prunkvollen Tempeln im Palastviertel, so ist Alarias Tempel beinahe bescheiden. Bereits der Standort des schlichten, meerschaumfarbenen Marmorgebäudes ist ungewöhnlich. Nahe des Hafens gelegen, inmitten einfacher Häuser, wäre dies kaum der Platz, an dem man in Nir‘alenar einen Tempel vermuten würde. Ein wenig erhöht liegt er auf einem kleinen Hügel. Seine Lage gewährt einen freien Blick auf das Meer, das jenseits der Kuppel liegt. In früheren Zeiten konnte man von hier aus die unendliche Weile des Ozeans überblicken, heute beschränkt sich die Sicht auf das, was darunter liegt.
    Es ist ein kleiner Tempel. Erst nach dem Untergang sind Türme angebaut worden, um mehr Platz zu schaffen, denn es sind nicht mehr nur allein die Seeleute, die Alarias Segen suchen. Mittlerweile interessieren sich zunehmend auch die Bewohner der Stadt dafür, die Göttin des Meeres milde zu stimmen. Es sind jene, die der Kuppel wenig Vertrauen schenken, auch viele Halb-Meereswesen, die den Weg in das Herz des Ozeans finden.
    Seither ist man bemüht, den Tempel ansprechender zu gestalten. Bildhauer haben die Fassade mit Reliefs verziert, die Elemente des Meeres darstellen, und in die alten Muschelreliefs sind große blaue Perlen eingesetzt worden. Einige dieser Muscheln hat man auf magische Weise zu Lichtern umfunktioniert, die dem Bauwerk einen bläulichen Schein verleihen, die seine Umgebung der Unterwasserwelt gleichen lassen.
    Im Inneren hat man an den Wänden runde Wasserbecken geschaffen und Schalen angelegt, aus denen das kühle Nass stetig in die Becken fließt. Ein sanftes Plätschern begleitet den Weg zu beiden Seiten bis zu dem Altarraum mit der großen Muschel Alarias und dem geweihten Ritualwasser.
    Die Anzahl der weißen Bänke ist aufgestockt worden, um der steigenden Zahl der Besucher gerecht zu werden. Natürlich erfreut dies die kleine Priesterschar der Alaria ungemein, die sich um das Herz des Ozeans kümmert, und lässt ihre Bedeutung wachsen.
    Der Tritonenmischling Anaru Marendas nimmt die Position von Alarias Hohepriester ein. Er ist ein ruhiges Individuum, das man oftmals aufgrund seines weisen Rates aufsucht. Anaru ist in Nir'alenar geboren und hält sich der Heimat der Tritonen und seines Vaters fern, die ihn niemals willkommen geheißen hat. Für lange Zeit war er auf der Suche nach einem Heim und seiner Identität, bis er seine Berufung und seinen Frieden im Dienst Alarias gefunden hat. Und dieser folgt er mit aller Leidenschaft.

    Es war ein schöner Sommertag unter der Kuppel. Über den Wellen musste die Sonne strahlen, denn sie war stark genug, um Nir’alenar in ein helles, warmes Licht zu hüllen, das die Bewohner der Stadt zum Schwitzen brachte.
    Das Palastviertel war so lebendig, wie man es nur dann erlebte, wenn ein großes Ereignis vor der Tür stand. Wesen aus allen Schichten und aus allen Teilen der Insel waren zusammengekommen, um die große Parade der Sternengarde zu erleben, die eine Woche voller Abwechslung und Aufregung verhieß. Die besten Fechter waren nach Nir’alenar gekommen, um an den berühmten Wettkämpfen teilzunehmen, die die Halle des Schwertes in jedem Jahr ausrichtete und die Nir’alenar tagelang in Atem halten würden.
    Der Adel hatte sich die besten Plätze reserviert. Damen in juwelengleich funkelnden Kleidern und ebenso herausgeputzte Herren besetzten Balkone und Terrassen an den Regierungsgebäuden und überblickten von dort aus das Geschehen. Manch einer von ihnen brachte die versammelte Menge zum Flüstern, bewegte sie zum Austausch von allerlei Gerüchten, die zurzeit in der Stadt die Runde machten.
    Überall am Rand der breiten Alleen des Viertels hatten Händler ihre bunten Stände errichtet. Es duftete nach Speisen aller Art, laute Rufe schollen durch die Straßen, um die Aufmerksamkeit auf Andenken oder ähnlich unnützen Tand zu lenken und die Händler wetteiferten miteinander, um ihre Waren anzupreisen und ein gutes Geschäft zu machen.
    Musik erklang an einigen Ecken, Schausteller zeigten ihr Können, ab und an rannte ein Dieb von der Wache verfolgt durch die Menge der Zuschauer und brachte unterwegs jene zu Fall, die in seinem Weg standen.
    Die Luft war von Spannung erfüllt, von Gelächter und Euphorie, die das ehrwürdige und normalerweise von erhabener Ruhe erfüllte Stadtviertel erbeben ließ. Hier und da wurden Wetten auf den Ausgang der bald beginnenden Kämpfe abgeschlossen und einige junge Mädchen zupften nervös an ihren schönsten Kleidern oder ihrem frisch frisierten Haar, die Wangen vor Aufregung gerötet, denn bald würden die schmucken Recken der Elitegarde durch die Straßen ziehen.
    Und tatsächlich, schon erklang laute Musik aus der Richtung der Kasernen und die Menge strebte auseinander, um die Straße freizumachen. Alle stellten sich erwartungsvoll an ihrem Rand auf und reckten die Hälse, ein kurzes Gerangel um die besten Plätze entbrannte und schon bald kamen die ersten blauen Röcke in Sicht.
    Gefiederte Hüte wippten auf den Köpfen der Sternengarde, die Rapiere waren blank poliert und ihre Knäufe blitzen im Licht. Jubel erscholl aus Tausenden Kehlen, während die Mitglieder der Garde im militärischen Gleichschritt voranstrebten. Doch bei aller Strenge blieb stets genug Zeit, dem einen oder anderen besonders hübschen Mädchen ein Zwinkern oder ein charmantes Lächeln zu schenken.

    Magie! Jemand setzte Magie ein, um ihn zu ärgern! Gerade wollte sich der Wachmann ungehalten nach der Quelle dieser unverschämten Störung umsehen, als der Adelige aus der Menge der Zuschauer trat und ihn ansprach. Plötzlich versteifte er sich, als er die kalten Münzen in seiner Handfläche fühlte.
    Er zögerte, nicht sicher, was er tun sollte. Kurz kämpfte er mit sich, fühlte sich auf den Arm genommen. Denn warum rief er ihn, wenn er dann doch wieder verschwinden sollte? Und die Hellhaarige schien ihm jetzt ebenfalls durch die Lappen zu gehen.
    Dann gewannen seine über die Jahre geschulten Instinkte die Oberhand. Der Adelige, der ihn gerufen hatte, machte ihm deutlich, dass es an der Zeit war, zu gehen. Also würde er gehorchen. Er war niemand, der sich mit jenen anlegte, die über ihm standen. Und eine lobende Erwähnung in Aussicht zu haben, war etwas, das ihn seinen Stolz schlucken ließ.


    "Offenbar liegt hier eine Verwechslung vor. Aber ich werde Euch im Auge behalten. Besorgt Euch eine Genehmigung, bevor Ihr zum nächsten Mal hier aufkreuzt."


    Der letzte Teil seines Satzes war ein leises Knurren. Dann drehte er sich um und machte sich auf den Weg zurück zur Wachstube. Die Münzen glitten dabei in seine Tasche. Sie würden ihm einen hübschen, freien Tag bescheren.


    Erst, nachdem er schon beinahe in seiner Wachstube angekommen war, kam ihm zu Bewusstsein, dass ihn der Adelige nie nach seinem Namen gefragt hatte.

    Der Wachmann war so in seine Aufgabe vertieft, dass er die Feenelfe überhaupt nicht beachtete. Seine Aufmerksamkeit war von der hellhaarigen Schönheit gefesselt, die mit diesem Satz in greifbare Nähe gerückt war. Eine Feenelfe fiel nicht unbedingt in sein Beuteschema. Diese Frau … nun, das war etwas ganz anderes.


    Sein Grinsen wirkte schmierig und enthielt eine sichtbar lüsterne Komponente. Allein diese lästigen Schmetterlinge fielen ihm mittlerweile gewaltig auf die Nerven. Die aufdringlichen Kreaturen ruinierten den Augenblick. Eine weitere ungeduldige Geste, um sie beiseite zu wischen, folgte. Diesmal überaus ungehalten.


    „Dann muss ich Euch bitten, mir auf die Wache zu folgen. Es muss Euch doch bewusst gewesen sein, dass Ihr eine Genehmigung benötigt, wenn Ihr hier auftreten wollt. Ich befürchte, dass wir ein solches Verhalten nicht ungestraft durchgehen lassen können.“

    Der Wachmann reagierte kaum auf das, was um ihn herum vor sich ging. Sein Blick war allein auf die Cath’shyrr konzentriert, die nun eindeutig schuldbewusst vor ihm stand. Unverhohlen Lüstern musterte er die hellhaarige Frau und baute sich in all seiner Pracht mit in die Seite gestemmten Armen vor ihr auf. Den Schmetterling wischte er mit einer knappen Geste beiseite.


    „Eure Genehmigung für diesen Auftritt bitte, gute Frau. Mir ist zu Ohren gekommen, dass Euer Auftritt ohne Erlaubnis erfolgt.“


    Seine strenge Miene und der grimmige Unterton in seiner Stimme wurde ein wenig davon beeinträchtigt, dass der Schmetterling nicht so einfach aufzugeben schien. Irritiert wischte er ihn erneut beiseite.

    Der Wachmann richtete sich noch ein wenig weiter auf und seine vor Stolz geschwellte Brust wölbte sich nach hinten. Es war deutlich erkennbar, dass ihm das Lob des Adeligen gefiel und ein selbstgefälliges Grinsen machte sich auf seinem groben Gesicht breit.


    Seine Augen zu Schlitzen zusammengekniffen, ließ er den Blick über den Marktplatz schweifen, bis er die Frauen entdeckt hatte, die den Unmut des Herrn erregt hatten. Und siehe da, eine von ihnen steckte sich gerade einen großen Beutel ein. Ohne Zweifel die Gabe eines Freiers, den sie nach ihrer Darbietung aufsuchen würde. Dass dies alles unter den Augen der Stadtwache geschah, machte die Tat noch unglaublicher.


    Er schenkte dem Adeligen ein letztes Nicken und straffte seine breiten Schultern.


    „Seid unbesorgt, ich kümmere mich um das schamlose Weibsstück.“


    Dann stapfte er entschlossen von dannen und näherte sich der Frau, die nichts von der drohenden Gefahr zu ahnen schien. Aus der Nähe betrachtet war sie hübsch, schön sogar. Ein Jammer, dass sie ihren Körper ausgerechnet hier verkaufte. Allerdings würde sich vielleicht eine Gelegenheit ergeben, die ihr Dankbarkeit abverlangte.
    Mit einem Räuspern tippte er auf ihre Schulter und setzte sein strengstes Gesicht auf, wenngleich man über die Wirkung der Grimasse hätte streiten können.

    Eine zarte Röte überzog das Gesicht des grobknochigen Wachmanns und ein Blick auf den gut gekleideten Mann, der vor seiner Nase stand, ließ ihn Haltung annehmen. Zwar war er weder der fleißigste noch der klügste Wachmann, doch er wusste, dass man solcherlei besser vor jenen verbarg, die eindeutig nach Reichtum und Wichtigkeit rochen. Es war besser, in solchen Fällen engagiert zu wirken.


    Etwas verwirrt lauschte er dem Redeschwall, nicht ganz in der Lage, den Gedankengängen des Mannes zu folgen, der vor ihm stand und Imbiss und Arbeit in Einklang zu bringen. Aber es war gleichgültig. Die für ihn interessanten Informationen konnte er trotzdem herausfiltern. Bettelei. Tänzerinnen. Und ein Mann, der wichtig wirkte und der diese Frauen überprüft haben wollte. Man tat, was wichtige Männer verlangten. Ansonsten bedeutete dies schnell Schwierigkeiten.


    Nein, der Wachmann mochte keine Bettler. Sie machten ihm das Leben schwer und sorgten dafür, dass er seinen Pflichten nachkommen musste. Aber jemandem einen Gefallen erweisen, der vielleicht etwas zu melden hatte in dieser Stadt. Nun, das waren Aussichten, die ihm vielleicht dabei hilfreich sein konnten, eine bessere Position zu erlangen und den Dienst auf dem Marktplatz mit all diesen lästigen Personen hinter sich zu lassen.
    Ein verschlagener Ausdruck trat auf sein Gesicht und seine Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. Er wagte es zwar nicht, in das Lachen des anderen einzustimmen, aber dennoch …


    „Da habt Ihr Recht, mein Herr. Wenn das Bettlerpack keine Genehmigung besitzt, dann muss es den Marktplatz unverzüglich verlassen. Und Huren wollen wir hier nicht haben.„


    Ein eifriges Nicken, ein auffordernder Blick, der darum bat, dass ihm die Richtung gewiesen werden sollte.

    Das große, offene Bauwerk steht noch nicht lange im Künstlerviertel. Ganz in der Nähe des Opernhauses erhebt es sich. Ein wenig unscheinbar zwischen den alten Gebäuden, die schon seit Jahrhunderten bestehen.
    Tritt man jedoch durch das hölzerne Portal, so gelangt man in eine andere Welt. Eine große Bühne erhebt sich dort, umgeben von den Zuschauerrängen, die sich im Kreis um sie herum winden.
    Kein Dach behindert den Blick hinauf in die unendlichen Weiten des Ozeans und der großzügig bemessene Innenraum bietet genügend Platz für alle Besucher, die es sich nicht leisten können, die Vorstellungen von den Rängen aus zu verfolgen. Das Seestern Theater ist wohl einer der wenigen Orte, an denen das einfache Volk auf den Adel trifft, um einer gemeinsamen Zerstreuung beizuwohnen.
    Bei Tage proben die Schauspieler für das Stück, das am Abend aufgeführt werden soll. Kostümierte Gestalten gehen aus und ein und Handwerker arbeiten emsig daran, die Kulissen zu errichten. Spektakuläre Effekte werden getestet, um das Spiel zu bereichern und die Zuschauer zu erstaunen. Manche entstehen durch fähige Gnomenhände, andere durch Magie.
    Eine Atmosphäre voller Energie erfüllt das Theater zu jeder Zeit. Rege Diskussionen und heroische Monologe erklingen, die Musiker spielen auf, um die Melodien für die abendliche Darbietung einzustudieren und gelegentlich hört man sogar Gesang.
    Das Seestern Theater wurde erst vor zwei Jahren fertiggestellt. Finanziert wurde es von Jeladia Onovor, einer adeligen Witwe, die ein sehr großes Interesse am Theater hegt. Böse Zungen behaupten jedoch, dass ihr mehr an Artemius Saskolar gelegen ist, dessen Ruhm gleichermaßen die Massen anzieht, wie er auch durch das Seestern Theater gemehrt wird. Artemius ist eindeutig der Mittelpunkt des Geschehens, das strahlende Zentrum, dessen Bekanntheit dafür gesorgt hat, dass das Seestern Theater schnell zum wichtigsten Schauspielhaus der Stadt avanciert ist.
    Allerdings sieht man dieses Geschehen im Silberrosen Theater nicht gern, war Artemius doch zuvor für dieses weitaus ältere Traditionshaus tätig. Dieses beschäftigt nun seinen größten Konkurrenten, den Syrenia Solanir Dakaros, einen aufstrebenden Dramatiker, dessen Stücke mittlerweile Allenortes für Aufsehen sorgen.
    Doch nicht nur Artemius Saskolar hat mit unliebsamer Konkurrenz zu kämpfen. Auch die Schauspieler wetteifern um die besten Rollen und möchten die Position desjenigen einnehmen, dessen Name das Publikum in Scharen anzieht. Für den Augenblick beansprucht der Schattenelf Delonir Artelas diese Stelle, der insbesondere die Aufmerksamkeit vieler junger Frauen auf sich zieht.
    Zwar verfügt er nur über ein eher mäßiges Talent, doch dies macht er mit seinem Äußeren und einer anziehenden Ausstrahlung wieder wett. Sollte jedoch bekannt werden, dass Delonir eine Liebschaft mit der jungen Menschenfrau Avinira Halan pflegt, könnte sein Stern rasch wieder verblassen. Sehr zur Freude seiner erbitterten Rivalen.

    Es ist ein recht altes Gebäude, dort oben im Künstlerviertel. Hohe Säulen erheben sich vor jedem Besucher, der über den großzügigen Opernplatz schreitet. Eine Treppe führt zwischen ihnen empor durch weite Portale in das Innere des Bauwerks, das an das alte Nir’alenar aus den glanzvollen Tagen des Fanur Mondlied erinnert.
    Bis zum Untergang Beleriars beheimatete das Bauwerk die Akademie der Künste und tatsächlich rufen Fresken und Statuen noch den ursprünglichen Zweck in das Gedächtnis zurück, für den diese weitläufigen Hallen einst erbaut worden sind. Als die Akademie der Künste in das größere, neue Gebäude zog, standen diese ehrwürdigen Räumlichkeiten für lange Zeit leer, bis der ehemalige Tenor der Oper von Shay’vinyar beschloss, dass es an der Zeit war, ein wenig Glanz nach Nir’alenar zu bringen. Die Tatsache, dass der exzentrische Cath’shyrr nach einer aufsehenerregenden Karriere durch einen jüngeren Konkurrenten ersetzt worden war, spielte dabei wohl ebenfalls eine gewisse Rolle.
    Cadir Vendoris scheut jedenfalls keine Mühen, die Oper von Nir’alenar zur größten der Insel zu machen und sich für die erlittene Schmach zu rächen. Tatsächlich begnügt er sich damit, das größte verfügbare Talent zu rekrutieren, um dieses Ziel zu erreichen und nimmt eine Rolle im Hintergrund ein, in der er vollkommen aufgeht.
    Die Oper von Nir’alenar ist in der Tat die reine Pracht. Das Innere des Opernhauses strahlt vor Gold, Samt und Seide. Private Logen gewähren einen ungestörten Blick auf die Darbietungen und bieten Möglichkeiten für verschwiegene Treffen.
    Die Fürstenfamilie besitzt eine eigene Loge, die stets für sie reserviert bleibt, wenngleich sich Aranil Falkenauge selbst beinahe niemals selbst einfindet, man seine Gemahlin jedoch umso häufiger antreffen kann. Nahezu jede Adelsfamilie, die etwas auf sich hält, kehrt regelmäßig in der Oper ein und erwartet es, ebenfalls eine eigene Loge vorzufinden. Es ist ein Ort zum Sehen und gesehen werden, ein Umschlagplatz für Informationen und Geschäfte, die sich keineswegs mit den Künsten befassen.
    An den Abenden fahren unzählige teure Kutschen zur Oper hinauf und edel gekleidete Individuen, die vor Juwelen und prächtigen Stoffen glitzern und leuchten, treten den Weg in die Welt der Musik an. Hier tummeln sich jederzeit viele Persönlichkeiten Nir’alenars und so mancher reist gar aus einer anderen Stadt an, um der reinen Stimme der jungen Talina Davonar zu lauschen, einer Nymphe, die momentan der strahlende Stern der Oper und Cadirs ganzer Stolz ist.
    Tatsächlich könnte sein Werk kaum vollkommener sein und sein Triumph unendlich, wäre da nicht die unschöne Kleinigkeit, die ihm des Nachts seinen wohlverdienten Schlaf raubt. Melancholische Orgelklänge, die durch die Gänge schweben. Eine männliche Stimme, die aus den Tiefen der Oper klingt, ein geisterhaftes Wesen, das Vorstellungen mit seinem Gesang stört und den Cath’shyrr beinahe in den Wahnsinn treibt.
    Bisher sind alle Versuche fehlgeschlagen, die schlanke, dunkle Gestalt zu fassen. Der geheimnisvolle Sänger ist nicht greifbar. Er scheint die Oper in allen Einzelheiten zu kennen, jeden Gang, jede Tür, jede Wand, die ein Geheimnis birgt. Und doch weiß niemand, wer dieses Wesen sein mag. Ob es ein unglücklicher Geist ist, der keine Ruhe findet oder aber ein Wesen aus Fleisch und Blut.
    Langsam wird dieser dunkle Fremde zu einer eigenen Legende, über die die Angestellten ebenso aufgeregt flüstern, wie sie sich davor fürchten.

    Die schwarze Katze ist der liebste Treffpunkt vieler düsterer Gesellen, die sich in Nir'alenar herumtreiben. Sie kommen in dieser alten Hafenkneipe häufig zusammen, um ihre Geschäfte bei einigen kräftigen Spirituosen zu besprechen oder neue Pläne zu schmieden.
    Man neigt dazu, in der Katze nicht zu genau hinzuschauen, wenn die eigenen Interessen nicht gefährdet sind. Jeder Besucher kann sich sicher sein, dass er sich in Ruhe seinen Geschäften widmen kann. Zahlreiche verborgene Nischen und einige Räume, die man für private Unterredungen mieten kann, tragen Sorge dafür, dass derjenige, der die harten Goldmünzen auf den Tisch legt, ungestört bleibt. Schließlich sind in der Schwarzen Katze einige bestens ausgebildete und überaus kräftige Gesellen beschäftigt, die notfalls mit Gewalt durchsetzen, was Worte nicht zu bewerkstelligen vermögen.
    Wer einen Schläger oder andere zwielichtige Gestalten sucht, um schmutzige Arbeit zu erledigen, ist hier an der richtigen Stelle. Er sollte dieses Etablissement jedoch auf keinen Fall zu gut gekleidet betreten, wenn er sich auch nach seinem Besuch noch einer guten Gesundheit erfreuen möchte.
    Die Hafenkneipe wird von der äußerst resoluten Wirtin Essandra geführt, die ein wahrer Quell der niemals endenden Information ist, und sich äußerst effektiv zur Wehr zu setzen versteht, wenn ihr ein Gast unerwünschte Avancen macht. Essandras Seele ist nicht umsonst so schwarz wie ihr langes, glattes Haar und sie kennt einige Techniken, die unerträgliche Schmerzen verursachen, ohne sie auch nur im geringsten außer Atem zu bringen.
    Normalerweise geht es in der Katze recht rau zu und der Alkohol fließt häufig in Strömen, bevor es zu einer der beliebten Schlägereien kommt, die für Abwechslung sorgen. Das Innere dieses Ortes spricht dabei für sich – die Tische und Stühle sind aus sehr hartem Holz gefertigt, das hier und da eine breite Kerbe aufweist und mit Kratzern übersät ist. Nichts in der Schwarzen Katze wirkt teuer oder edel.
    Schon von außen ist die Spelunke keineswegs einladend. Windschief, von bröckelndem Putz und gesplittertem Fensterglas geziert, macht sie deutlich, dass man sich nur hereinwagen sollte, wenn man sich zu verteidigen vermag. Dazu braucht es nicht einmal mehr das alte Holzschild, auf dem eine lauernde Katze die Gäste aus misstrauischen Augen beobachtet.

    Die schwarze Katze ist der liebste Treffpunkt vieler düsterer Gesellen, die sich in Nir'alenar herumtreiben. Sie kommen in dieser alten Hafenkneipe häufig zusammen, um ihre Geschäfte bei einigen kräftigen Spirituosen zu besprechen oder neue Pläne zu schmieden.
    Man neigt dazu, in der Katze nicht zu genau hinzuschauen, wenn die eigenen Interessen nicht gefährdet sind. Jeder Besucher kann sich sicher sein, dass er sich in Ruhe seinen Geschäften widmen kann. Zahlreiche verborgene Nischen und einige Räume, die man für private Unterredungen mieten kann, tragen Sorge dafür, dass derjenige, der die harten Goldmünzen auf den Tisch legt, ungestört bleibt. Schließlich sind in der Schwarzen Katze einige bestens ausgebildete und überaus kräftige Gesellen beschäftigt, die notfalls mit Gewalt durchsetzen, was Worte nicht zu bewerkstelligen vermögen.
    Wer einen Schläger oder andere zwielichtige Gestalten sucht, um schmutzige Arbeit zu erledigen, ist hier an der richtigen Stelle. Er sollte dieses Etablissement jedoch auf keinen Fall zu gut gekleidet betreten, wenn er sich auch nach seinem Besuch noch einer guten Gesundheit erfreuen möchte.
    Die Hafenkneipe wird von der äußerst resoluten Wirtin Essandra geführt, die ein wahrer Quell der niemals endenden Information ist, und sich äußerst effektiv zur Wehr zu setzen versteht, wenn ihr ein Gast unerwünschte Avancen macht. Essandras Seele ist nicht umsonst so schwarz wie ihr langes, glattes Haar und sie kennt einige Techniken, die unerträgliche Schmerzen verursachen, ohne sie auch nur im geringsten außer Atem zu bringen.
    Normalerweise geht es in der Katze recht rau zu und der Alkohol fließt häufig in Strömen, bevor es zu einer der beliebten Schlägereien kommt, die für Abwechslung sorgen. Das Innere dieses Ortes spricht dabei für sich – die Tische und Stühle sind aus sehr hartem Holz gefertigt, das hier und da eine breite Kerbe aufweist und mit Kratzern übersät ist. Nichts in der Schwarzen Katze wirkt teuer oder edel.
    Schon von außen ist die Spelunke keineswegs einladend. Windschief, von bröckelndem Putz und gesplittertem Fensterglas geziert, macht sie deutlich, dass man sich nur hereinwagen sollte, wenn man sich zu verteidigen vermag. Dazu braucht es nicht einmal mehr das alte Holzschild, auf dem eine lauernde Katze die Gäste aus misstrauischen Augen beobachtet.

    Das Gasthaus Zum Korallenriff ist ein schlicht wirkendes, aber gut gepflegtes Fachwerkgebäude, das am Eingang des Händlerviertels zu finden ist. Schon vor dem Untergang war es für sein gutes Bier bekannt, von dem es heißt, dass es das Beste in der ganzen Stadt sein soll, und somit gab es selten eine Zeit, in der das Gasthaus über mangelnde Besucher zu klagen hatte.
    Über die Jahrhunderte sind viele Abenteurer im Korallenriff eingekehrt und haben ihre Spuren hinterlassen. Abenteuerliche Geschichten haben hinter den weiß getünchten Mauern ihren Anfang genommen und Berühmtheiten haben dem Gasthaus ihren Glanz verliehen. Hier und da erinnert ein Andenken an diese Besuche. Dort haben Krallen tiefe Kratzer im Holz eines Tisches hinterlassen, die davon erzählen, wie der große Magier Sarandos inmitten des Korallenriffs von einer Dämonin zum Kampf herausgefordert worden ist. Ein Stückchen weiter hängt das prachtvolle Schwert des Galadion Sternenhüter an der Wand, eines Elfen, der bei den Kämpfen gegen Deron Arieth das Leben lassen musste. Die Laute von Sivandea Desinor lehnt in einer mit Magie gesicherten Ecke und erinnert an die schöne Zaubersängerin, die einst die Gäste mit ihren Liedern über legendäre Helden und Heldinnen verzückt hat, bevor sie selbst zu einer solchen geworden ist.
    Es gibt vieles zu sehen und unzählige Details erinnern an die Vergangenheit der Stadt, an der das Korallenriff stets einen großen Anteil gehabt hat. Geheime Treffen, dramatische Geschichten, Pläne zu den Aufständen gegen den Priester des Narion - vieles hat in den Mauern des Gasthauses seinen Anfang genommen und nur zu gerne wird davon erzählt, wenn das gemütliche Feuer im Kamin des Korallenriffs flackert und sich die ersten Gäste auf den vom langjährigen Gebrauch polierten Holzbänken niedergelassen haben.
    Fenir Alertin, selbst ein ehemaliger Abenteurer, ist der beleibte, gemütliche Mann, der das Korallenriff vor 25 Jahren übernommen hat und seitdem dafür Sorge trägt, daß es seinen Gästen an nichts fehlt. Nicht selten stellt er sich selbst in die Küche und verwöhnt hungrige Besucher mit seinen deftigen, schlichten aber wohlschmeckenden Gerichten. Zu diesen Gelegenheiten findet sich seine Frau, Delora, an seiner Stelle im Gastraum ein, wo ihr ansteckendes Lachen oftmals selbst den hartnäckigsten Lärm übertönt, wenn sie nicht sogar selbst ein fröhliches Liedchen anstimmt.
    Von Zeit zu Zeit treffen einige bekannte Persönlichkeiten und sogar Mitglieder des Rates in Verkleidung an der gemütlichen Eichenholztheke ein, um sich unter das Volk zu mischen und aus nächster Nähe zu erfahren, was die Bewohner der Stadt bewegt.
    Das Gasthaus verfügt über 20 saubere und ordentlich eingerichtete Zimmer und hat anständige Preise. Hier ist jeder gerne gesehen, gleichgültig welchem Stand er angehört, solange er keinen Ärger in die gute Stube trägt.
    Fenir ist dafür berühmt, dass er neben seinem gewöhnlichen Repertoire gerne Spezialitäten aus fremden Ländern auf den Tisch zaubert. Dabei ist allerdings nicht bekannt, woher er diese bezieht und so ist dies ein Thema, das über die Jahre vielfältig ausgeschmückt worden ist.

    Das Gasthaus Zum Korallenriff ist ein schlicht wirkendes, aber gut gepflegtes Fachwerkgebäude, das am Eingang des Händlerviertels zu finden ist. Schon vor dem Untergang war es für sein gutes Bier bekannt, von dem es heißt, dass es das Beste in der ganzen Stadt sein soll, und somit gab es selten eine Zeit, in der das Gasthaus über mangelnde Besucher zu klagen hatte.
    Über die Jahrhunderte sind viele Abenteurer im Korallenriff eingekehrt und haben ihre Spuren hinterlassen. Abenteuerliche Geschichten haben hinter den weiß getünchten Mauern ihren Anfang genommen und Berühmtheiten haben dem Gasthaus ihren Glanz verliehen. Hier und da erinnert ein Andenken an diese Besuche. Dort haben Krallen tiefe Kratzer im Holz eines Tisches hinterlassen, die davon erzählen, wie der große Magier Sarandos inmitten des Korallenriffs von einer Dämonin zum Kampf herausgefordert worden ist. Ein Stückchen weiter hängt das prachtvolle Schwert des Galadion Sternenhüter an der Wand, eines Elfen, der bei den Kämpfen gegen Deron Arieth das Leben lassen musste. Die Laute von Sivandea Desinor lehnt in einer mit Magie gesicherten Ecke und erinnert an die schöne Zaubersängerin, die einst die Gäste mit ihren Liedern über legendäre Helden und Heldinnen verzückt hat, bevor sie selbst zu einer solchen geworden ist.
    Es gibt vieles zu sehen und unzählige Details erinnern an die Vergangenheit der Stadt, an der das Korallenriff stets einen großen Anteil gehabt hat. Geheime Treffen, dramatische Geschichten, Pläne zu den Aufständen gegen den Priester des Narion - vieles hat in den Mauern des Gasthauses seinen Anfang genommen und nur zu gerne wird davon erzählt, wenn das gemütliche Feuer im Kamin des Korallenriffs flackert und sich die ersten Gäste auf den vom langjährigen Gebrauch polierten Holzbänken niedergelassen haben.
    Fenir Alertin, selbst ein ehemaliger Abenteurer, ist der beleibte, gemütliche Mann, der das Korallenriff vor 25 Jahren übernommen hat und seitdem dafür Sorge trägt, daß es seinen Gästen an nichts fehlt. Nicht selten stellt er sich selbst in die Küche und verwöhnt hungrige Besucher mit seinen deftigen, schlichten aber wohlschmeckenden Gerichten. Zu diesen Gelegenheiten findet sich seine Frau, Delora, an seiner Stelle im Gastraum ein, wo ihr ansteckendes Lachen oftmals selbst den hartnäckigsten Lärm übertönt, wenn sie nicht sogar selbst ein fröhliches Liedchen anstimmt.
    Von Zeit zu Zeit treffen einige bekannte Persönlichkeiten und sogar Mitglieder des Rates in Verkleidung an der gemütlichen Eichenholztheke ein, um sich unter das Volk zu mischen und aus nächster Nähe zu erfahren, was die Bewohner der Stadt bewegt.
    Das Gasthaus verfügt über 20 saubere und ordentlich eingerichtete Zimmer und hat anständige Preise. Hier ist jeder gerne gesehen, gleichgültig welchem Stand er angehört, solange er keinen Ärger in die gute Stube trägt.
    Fenir ist dafür berühmt, dass er neben seinem gewöhnlichen Repertoire gerne Spezialitäten aus fremden Ländern auf den Tisch zaubert. Dabei ist allerdings nicht bekannt, woher er diese bezieht und so ist dies ein Thema, das über die Jahre vielfältig ausgeschmückt worden ist.

    Und so blieb dem erstaunten Satyrn nichts anderes übrig, als mit staunenden Augen zuzusehen, wie die rothaarige Angehörige seines Volkes aus seiner Reichweite entschwand.
    Und letztlich blieb es allein seinem angeschlagenen Selbstvertrauen anzurechnen, daß er ihr nicht sogleich auf dem Fuße folgte, sondern mit einem verblüfften Kopfschütteln zu seinen Arbeitsräumen trabte, um noch lange über diese Begegnung nachzusinnen.

    Verwirrung spiegelte sich für einen winzigen Augenblick auf Artemius Zügen und eine kleine Falte erschien zwischen den Brauen des Satyrn. Die Existenz von Portalen. Ja, sicherlich gab es Portale in Geschichten und Legenden. Aber so wie die meisten hatte er bisher niemanden zu Gesicht bekommen, der einen dieser legendären Zaubertunnel durchquert hatte und so schien es ihm beinahe unglaublich.
    So wie für den größten Teil der kurzlebigeren Bewohner Beleriars war die Oberwelt für Artemius ein ferner Ort, den er im Grunde nur aus Geschichten kannte. Besaß er eine Sehnsucht nach dem freien Himmel und den Sternen? Nun, er hatte sie niemals mit eigenen Augen gesehen und konnte sich noch nicht einmal vorstellen, wie es dort draußen sein mochte. Die Insel war seine Welt und er war glücklich hier. Eine andere mochte eine sehnsuchtsvolle Komponente und Dramatik in ein Theaterstück oder ein Gedicht bringen, aber darüber hinaus war ihm der Gedanke daran fremd.


    „Tatsächlich? Nicht viele würden es als Glück bezeichnen, unter dieser Kuppel gelandet zu sein. Schließlich gibt es wenige Möglichkeiten, sie wieder zu verlassen. Aber ich hoffe, daß Euch dieser Gedanke nicht betrübt, schließlich ist es unser Gewinn.“


    Ein Lächeln untermalte seine Worte und die Finger ließen von der Geige ab.


    „Aber Ihr sagt, daß Ihr gerade erst nach Nir’alenar gekommen seid. Was möchtet Ihr sehen? Die Instrumentensammlung ist mit Sicherheit außergewöhnlich, aber wahrscheinlich vermag sie es nicht, Eure Aufmerksamkeit über Stunden zu fesseln.“


    Die Abgeklärtheit, mit der die Satyrfrau ihr Schicksal betrachtete, ließ Artemius vermuten, daß sie nicht gerade erst auf der Insel gelandet war, sondern sich bereits eine Weile hier aufgehalten hatte. Schließlich und endlich würden wohl wenige Lebewesen dazu neigen, aus ihrem Lebensraum gerissen zu werden und sogleich frohen Mutes zu sein.
    Er unterdrückte ein leises Seufzen, als Schwermut ihn erneut überkommen wollte. Sein Auftreten war sparsam, es fehlte an der überschäumenden Lebensfreude, den großen, großspurigen Gesten, die seine Erscheinung sonst zum Strahlen brachten.

    "Dankt mir nicht zu früh, meine Liebe. Mein Vergnügen ist das größere, erlaubt es mir schließlich, Zeit in Gesellschaft einer wunderschönen Dame zu verbringen. Es war nicht ohne Eigennutz, als ich Euch angesprochen habe."


    Artemius zeigte ein charmantes Lächeln, das einen Beobachter in Schmunzeln versetzen würde, war es doch genau das, was man von dem berühmtesten Poeten Nir'alenars gemeinhin erwartete.
    Beiläufig berührte ein Finger das Holz einer schmucken Geige, die nicht von ungefähr an die Formen einer schönen Frau erinnerte, strich kurz über die glatte Oberfläche, bevor er sich wieder zu Vìrinel umwandte.


    "Aber Ihr stammt nicht aus dieser Stadt, habe ich recht? Was führt Euch in das Herz des Juwels von Beleriar?"


    Interessiert musterte er die schlanke, rothaarige Gestalt. Das Äußere ein Satyrn verriet nichts über seine Herkunft. Doch gab es auch wenig Grund, diese unter seinesgleichen zu verbergen

    Nach einer ganzen Weile hielt der Satyr vor einer ausladenden Doppeltür an, deren goldene Verzierungen schon von Weitem durch den hellen Gang zu leuchten schienen. Das Licht aus den hohen, großzügigen Fenstern, das in die weiten Flure fiel, ließ keinen Platz für Dunkelheit. Es schien beinahe, als habe man versucht, jeden kleinsten Fetzen Düsternis zu verbannen – neben dem praktischen Zweck. Denn Kunst erforderte nun einmal eine gute Sicht auf die Dinge.


    Artemius stieß die Tür auf und verneigte sich tief und schwungvoll, um seiner Begleitung zu bedeuten, doch den Raum zu betreten. Licht flutete nach draußen, gemeinsam mit dem Duft nach altem Holz und verborgenen Geheimnissen, wie sie nur ein uraltes Artefakt auszustrahlen vermochte. Und derer gab es hier einige.


    In gläsernen Vitrinen und auf samtenen Kissen ruhten die Schätze einiger der größten Musiker aller Zeiten, legendärer Gestalten, die man nur noch aus alten Erzählungen kannte. Dort stand eine silberne Harfe, von einer Kunstfertigkeit, wie man sie selten zu Gesicht bekam. Dort ruhte eine unscheinbare Laute auf einem blauen Kissen aus Seide. Ein Stückchen weiter eine Flöte aus dunklem Holz. Einige Instrumente wirkten alt. Kaum aufsehenerregend und schlicht. Andere waren mit Juwelen und edlen Metallen besetzt und glitzerten förmlich im Licht.


    Säulen verdeckten Abzweigungen, hinter denen weitere gläserne Gebilde zu glitzern schienen. Nischen bargen ihre Schätze, ein klein wenig vor neugierigen Augen geschützt. Bänke luden zum Verweilen ein, wurden oft von Künstlern genutzt, die die Instrumente für ihre Studien nutzten. Magie schien die Luft zum Vibrieren zu bringen. Sie war so stark, dass man sie beinahe zu schmecken vermochte, wie ein Gewürz, das die Luft erfüllte.


    Der Satyr atmete tief ein und wandte sich dann zu seiner Begleitung um. Ein Grinsen verzog seinen Mund. Er war sich ihrer Blicke wohl bewusst und eine Braue war schelmisch emporgezogen, als er schließlich zum Sprechen ansetzte.


    „Nun, was sagt Ihr? Ist es nicht unglaublich? Riecht Ihr den Duft der Legenden, der über diesem Raum liegt? Ich komme oft hierher, wenngleich ich wenig von Musik verstehe. Aber man sagt, dass der Anblick für jeden Musiker überwältigend sei.“

    Ein Lächeln zeigte sich auf den Lippen des Satyrn, als er die Worte der Rothaarigen vernahm und er bedeutete ihr mit einer schwungvollen, galanten Geste, ihm in das Herz der Halle der Künste zu folgen.


    "Mit Vergnügen, meine Liebe. Ich bin mir sicher, daß Euch die Sammlung gefallen wird. Wir haben einige sagenumwobene Instrumente zu bieten, von denen Ihr sicher schon gehört haben werdet. Zum Beispiel die Flöte des großen Satyrbarden Aledios und die Harfe, mit der die Nymphe Akalaide den König des versunkenen Reichs Kyr bezauberte und die schließlich zu seinem Untergang geführt hat. Ihr werdet staunen, wenn Ihr die Sammlung zu Gesicht bekommt. Ich wage zu behaupten, daß es auf ganz Niel'Anor keine wundervollere gibt."


    Mit diesen Worten ging Artemius mit großen Schritten voran und seine Wangen röteten sich bei der Erzählung von den Wundern, die es in der Akademie zu entdecken gab. Er mochte wenig von Musik verstehen, doch der Satyrnpoet kannte dafür jede Geschichte die sich zu erzählen lohnte und er gab sie nur zu gerne zum Besten, wenn sich eine Gelegenheit ergab oder eine schöne Maid Gefallen daran fand.


    Lange Gänge aus Marmor wanden sich durch den Bauch der Akademie, Treppen erhoben sich grazil empor und führten tiefer in ein der prächtigsten Bauwerke, die das Auge ein Lebewesens jemals hatte erblicken dürfen.
    Beinahe war jede Wand, jedes Geländer ein Kunstwerk für sich. Überall fanden sich Beispiele für das Können der Künstler und zarte Melodien erklangen aus der Ferne und untermalten die Szenerie mit ihrem Zauber.