„Regeln?“ fragte Nim skeptisch nach und zog eine Augenbraue hoch. „Meinst du §655: Dem Soldaten ist es nicht gestattet in Form eines kleinen Vogels sich in eine Situation zu begeben, aus der er wohlmöglich alleine nicht mehr heraus kommt?“
Es sollte die Cath’Shyrr ein bisschen in ihrer Sorge foppen und vielleicht auch daraus reißen, aber gleichzeitig merkte der Elf, dass es ihm nicht viel anders ging. Es zeriss ihn förmlich vor Anspannung und er betete dafür, dass der Mauersegler da jetzt endlich wieder herauskommen würde.
Sie konnten ihm nicht helfen, wenn er dort in ernsthafte Gefahr geraten würde. Erstens waren sie nicht schnell genug und zweitens gab es tatsächlich sowas wie eine Regel. Man gefährdete nicht die ganze Mission um einen Mann zu retten.. nicht wenn das Risiko so unkalkulierbar war.
Er traute sich gar nicht, dem Spektakel um das gefangene Einhorn seine Aufmerksamkeit zu schenken. Was, wenn ihm dadurch entging, was gerade im Haus mit Owatu geschehen mochte?
Was hatte das zu bedeuten? Fragte sich der Mauersegler, während er auf dem Pergament weiter nach unten ging und kleine Fußabdrücke in der noch nicht ganz trockenen Tinte hinterließ.
Schritte wurden vor der Tür laut und erschrocken, fast schon ein bisschen panisch schlug der Mauersegler mit den Flügeln, wobei die Flügelenden auf die Tinte trafen und noch ein bisschen mehr die Buchstaben verwischten.
Die Türklinke ging nach unten und der Segler ließ sich nur noch vom Tisch auf den Boden fallen. Um Höhe zu gewinnen und aus dem Fenster zu schlüpfen war keine Zeit mehr.
Mit schnellem Atem und rauschendem Blut durch die Adern, quetschte er sich zwischen die beiden Bücherstapel, die auf dem Boden standen. Hoffentlich bemerkte ihn hier niemand.
Die Schritte gelangten in den Raum und Owatu hielt für kurze Zeit den Atem an, als würde das irgendwie helfen unentdeckt zu bleiben.
„Schick zwei Späher aus. Ich merke, dass die beiden Greifenreiter, der Elf und der Tua in der Nähe sind. Ich will wissen, wie viele sie dabei haben. Aber sag den anderen nichts. Die Männer geraten sonst nur wieder in panik vor den Viechern! Dabei haben wir doch das Beste beispeil, dass…Ahhhhh, was ist denn nun schon wieder!“
Die Stimme der Hexe – sie hatte sich tief in Owatus Gedächtnis gebrannt – ließ dem Tua’Tanai das Blut in den Adern gefrieren. Und ihre Worte ließen ihn noch mehr die Luft anhalten, auch wenn es schon in der Lunge brannte. Sie wusste, dass sie hier waren? Sie konnte sie Fühlen, oder was? Sie wusste, dass er unter ihrem Tisch saß?
Erst als die Schritte kurz vor dem Tisch eine rasche Wendung Richtung Fenster machte und die Stimme der Frau leicht hysterisch wurde konnte Owatu die Hexe auch sehen. Seine Entdeckung stand jederzeit bevor. Und er wäre ihr einfach ausgeliefert.
Sie konnte ihn einfach so zerdrücken. Oder den Hals umdrehn.. oder..
Sollte er sich vielleicht zurück verwandeln? Hatte er ihr dann mehr entgegen zu setzen?
Nicht ohne das Amulett, oder?
Aber Kräftemäßig schon.
Seine Gedanken rasten und wurden immer mehr von Panik angefeuert.
Er musste was tun.
Er musste hier raus!
Weg… einfach Weg!
Die Tür knallte zu.
Stille.
War sie Weg?
Irgendeinen Teil hatte er nicht mitbekommen.
Eine ganze Weile lauschte er in die Stille hinein.
Konnte er ein Atmen ausmachen? Vielleicht lauerte sie ja auf ihn? Konnte er sich hervorvagen?
Was, wenn er sich dann der Hexe präsentierte und besser versteckt geblieben wäre?
Aber das hier war kein gutes Versteck.
Er musste hier weg.
Wenn er sich hervortraute aus dem schützenden Bücherstapel.
Dann hatte er ein bisschen Zeit, oder? Ein bisschen Zeit, bis sie ihn entdeckte. In der Zeit musste er an höhe gewinnen und dann zu Fenster herausschießen.
Sie war doch Weg!
Sie musste Weg sein.
Mit bis zum Hals pochendem Herzen, fast schon zu viel für den kleinen Vogel, kroch er aus seiner Höhle hervor. Schlug panisch mit den Flügeln, die immer wieder auf den Boden aufkamen, bis er genug Kraft aufbrachte um Luft unter die Schwingen zu bekommen.
Egal, ob die Muskeln schmerzten und rebelierten. Weiterschlagen.
Unter dem Tisch hervorkommend, nicht umsehend, direkt auf das gekippte Fenster zu.
Wie ein geölter schwarzer Blitz schoss der Segler aus dem Haus heraus und auf den Wald zu. Nicht zurückblickend und einfach nur noch Schutz bei den Kameraden und den Greifen suchend machte er keine aufwändigen Flugmanöver mehr. Sandte nur noch im Landen Tameqa das, was er in dem Haus gesehen und gehört hatte. Er wusste, dass er ertsmal wieder zu Atem kommen musste, denn auf dem Boden kauernd, verwandelte er sich wieder zurück und drehte sich nur noch schwer Amtend auf den Rücken, bis langsam aber sicher die Erkenntnis ihn durchflutete, dass er das Geschafft hatte und die Angst von dem darauffolgenden Hochgefühl hinweg gespült wurde.