Ruhig nahm Eleria die Statue des Nachtelfen entgegen und betrachtete sie für einen Augenblick, strich mit den Fingern über das seltsame Material, das sich kühl anfühlte. Wohl bemerkte sie, daß der Nachtelf die Dinge anders dargestellt hatte, als sie in Wirklichkeit waren und ein leichtes Lächeln spielte erneut um ihre Mundwinkel. Denn obgleich er sich in die Arme des Schattens werfen wollte, so vermochte er es dennoch nicht, seine Existenz in Leben aller Lebewesen zuzulassen.
"Kein Sterblicher kann eine Gottheit töten, Sicil. Und es ist gut, daß wir es nicht vermögen, denn keiner von uns kann die Wege der Göttlichkeit ergründen und wie schnell wäre das Gleichgewicht verletzt? Denn so wie ihr Shirashai töten möchtet für das, was sie ist, so würde ein Anhänger des Schattens nur zu gerne das Licht Eriadnes aus unserem Leben verbannen. Und damit unsere Welt in ein Chaos stürzen."
Mit einem leisen Wort beschwor die Erzmagierin eine kleine Kugel reinen, weißen Lichts, das über ihre Handfläche tanzte und das den Schatten der Büste auf den Boden zu ihren Füßen warf und ein dunkles Abbild ihrer Konturen erschuf.
"Denn seht, ohne Schatten kann es kein Licht geben und ohne Licht keinen Schatten. Beide Elemente müssen existieren und im Gleichgewicht leben, so wie die Nacht den Tag ablösen muss, um uns Ruhe und Erholung zu verschaffen, wenn die Sonne am Tage gar zu heiß brennt. So ist es immer gewesen und so wird es immer sein."
Ein weiteres Wort ließ die Kugel erlöschen und Eleria stellte die Statue auf dem Sims des Kamins ab, bevor sie sich wieder auf dem Sessel niederließ.
"Die Gegensätze aller Elemente bestimmen unser Leben. Die Ruhe der Erde gleicht die Unbeständigkeit des Windes aus und verwurzelt uns auf dem Boden, während die Luft uns die Leichtigkeit gibt und den Atem des Lebens. Wasser löscht die Hitze des Feuers und stillt unseren Durst. Doch wenn das Wasser uns zu ersticken droht, so wird das Feuer uns wärmen und das Wasser vertreiben. Und auch wenn in meinen Augen die Traurigkeit wohnt, so kann es ohne sie doch keine Freude geben.
Ihr könnt nicht das eine aus eurem Leben verbannen, ohne das andere überwiegen zu lassen und das Gleichgewicht zu stören. Und so ist es auch mit dem Licht und der Dunkelheit. Beides muss nebeneinander leben und keines davon darf die Oberhand gewinnen."
Für einen Augenblick schwieg die Erzmagierin und erlaubte es dem Nachtelfen, seine eigenen Gedanken zu verfolgen. Es war nicht schwierig, den Gedanken und die Folgen einer Störung des Gleichgewichtes weiterzuspinnen und sie erlaubte es ihm, selbst darüber nachzudenken, was sein Wunsch zur Folge haben müsste, würde er wirklich erreichen, wonach er strebte.
"Würdet ihr denn wirklich das ewige Licht der Sonne dem Wechsel von Tag und Nacht vorziehen, Sicil? Ihr müsst es zulassen, daß beides in euch lebt, doch ihr dürft keinem davon die Oberhand überlassen oder einen Teil von euch verleugnen. Der Schmerz wird ewig in eurem Herzen leben. Doch so wie euch das Licht der Sonne verweigert ist, so existiert er in jedem von uns auf eine andere Weise. Ihr seid nicht allein mit einer solchen Bürde."