Khoor zügelte seinen Braunen in ruhigen Schritt. Ein langer Weg lag seit Essyr hinter ihnen und auch wenn es nicht mehr weit sein konnte, bis zu dieser geheimnisvollen versunkenen Stadt der Geister - der brave Gefährte musste ihm womöglich noch lange dienen und deshalb würde er mit seinen Kräften haushalten. Knapp vier Wochen bewegte er sich nun auf der Oberfläche Beleriars. Feindselig war seine Einstellung ihr gegenüber bei seinem Aufbruch gewesen, aber in Essyr war zum Allerersten Mal der verwirrende, völlig ausgeschlossene Gedanke aus der Tiefe seines Geistes empor gestiegen, dass sie womöglich nicht nur schlecht und verabscheuungswürdig war. Essyr war vielleicht kein schöner Anblick gewesen - gefährliche finsere Ecken und Gestalten gab es zu Hauf - doch es hatte auch aufgeschlossene Freigeistigkeit gegeben. Und der Jahrmarkt war der erste Ort auf seiner Reise gewesen, wo Khoor es gewagt hatte, unter den Augen anderer Leute die Kapuze herab zu ziehen und sogar das um seine Augenpartie und Nasenrücken gebundene Tuch zu entfernen, die ansonsten sein Gesicht bedeckten und seine Volkszugehörigkeit verschleierten. EIN Ort unter Hunderten, erinnerte er sich zornig. Das war NICHTS ! und schroff wischte er diesen irrsinnigen Gedanken erneut beiseite.
Am Wegesrand erregte etwas seine Aufmerksamkeit. Fast hätte er die vom Wald völlig überwucherte und verwitterte Steinplatte übersehen, die sich dort drüben fast unsichtbar ihrer Umgebung angepasst hatte. Oder von ihr verschluckt worden war ? Er verhielt den mächtigen Hengst und sah genauer hin. War das Moos ? Oder doch Schriftzeichen. Khoor stieg vom Pferd, lockerte Sattelgurt und Zaumzeug und klopfte dem Tier kräftig vor die Brust.
"Pause" teilte er ihm mit. Ob hier oder nach einer weiteren Meile spielte ohnehin keine Rolle. Der Braune schüttelte sich und schritt gemächlich hinüber zur anderen Seite des Weges, um sich dort etwas abseits von ihm etwas Fressbares zu suchen.
Khoor ging hinüber zu der Steinplatte und ging davor in die Knie. Sie war in der Tat leicht zu übersehen, sogar wenn man so nah davor kniete, wie Khoor es gerade tat - so aber nahm er ein Messer und begann, sie vorsichtig von Ranken und Moos zu befreien. Er hatte sich nicht getäuscht. Dunkle Schriftzeichen traten unter der dicken Schicht aus Gewächsen ans Tageslicht - dämmriges, düsteres Tageslicht, denn die Äste und Blätter der hohen Bäume bildeten ein fast undurchdringliches grünes Dach über diesem Wald und der Abend zog bereits herauf. Schriftzeichen, das war eindeutig. Einige Lücken wiesen sie auf - vielleicht fortgewischt vom Regen, der Zeit oder aufgelöst durch die Wurzeln der Moosflechten. Aber auch die verbliebenen sagten dem Drak'khir nichts. Eine Sprache, die er noch nie in seinem Leben geschrieben gesehen hatte.
Nachdenklich erhob sich Khoor wieder und trat zurück auf den Weg - Augen und Gedanken verweilten noch bei der unbekannten Schrift. Was mochte die Tafel dem Reisenden einst gesagt haben wollen ?