Für einen kurzen, flachen Atemzug schien Ascan in der Luft zu stehen, auf dem höchsten Punkt einer Parabel zu verharren und Silene wurde sich bewusst, in welch erstaunlicher Höhe sie sich befanden. Der Blick der Valisar wurde erneut nach unten gezogen, wo sich Nir'alenar weit unter ihnen entfaltete wie eine riesenhafte Karte. Das steile Mittagslicht ließ kaum Raum für Schatten in der Stadt unter ihnen, ließ sie seltsam surreal wirken und die Häuser klein wie Spielzeug erscheinen. Noch nie in ihrem Leben hatte sie ein Luftschiff von oben betrachten können, stellte sie fest und beobachtete das Gefährt, wie es lautlos wie eine Wolke dahinzog. Wie insignifikant und winzig alles erschien, wie kristallklar war die Luft, welche der Seherin einen weiten Ausblick gewährte, weit hinaus bis hinter die Stadtmauern.
Es mochte die Valisar völlig kalt lassen, doch sie erkannte die Schönheit in diesem Anblick und vielleicht konnte man sogar von einer kühlen Art von Faszination sprechen, auch wenn sie ihr nicht den Atem raubte. Ebenso, wie sie den Flug nicht genoss und das Gefühl zu fliegen sie nicht berauschte, aber sie dennoch die Besonderheit dieser Erfahrung anerkennen konnte.
Sie wusste, dass der Geflügelte keinerlei Interesse daran hatte, sie fallen zu lassen, doch die Vorstellung drängte sich ihr unweigerlich auf, verdeutlichte ihr erbarmungslos, was geschehen würde, wenn sie aus dieser Höhe stürzen würde … wie sie auf dem Pflaster zerschellen würde wie eine Porzellanfigur. Die Bilder ließen sie zwar kalt, doch sie spürte eine deutliche Aversion gegen sie.
Kaum hatte Ascan zu Ende gesprochen, begriff Silene, dass sie den Aufstieg hinter sich gebracht hatten und den höchsten Punkt ihrer kurzen gemeinsamen Flugreise überschritten hatten. Doch auch wenn sie sich vorstellen konnte, was als nächstes geschah, so konnte sie nicht verhindern, dass sich angesichts des plötzliche Sturzes ihre Augen reflexartig verschlossen und sich die Schlinge ihrer Arme um Ascans Hals etwas zuzog.
Der Sturzflug wandelte sich ein ein Gleiten, doch noch immer warf sich ihnen der Wind mit unbeschreiblicher Kraft entgegen, zerrte an den flatternden Stoffen ihrer Umhänge, presste ihre Körper aneinander und trug die Worte des Syrenia im selben Moment fort, in dem er sie ausgesprochen hatte. Silene zwang ihre Lider, sich ein Stück weit zu öffnen, damit sie sehen konnte, wo sie sich befanden und sie ihm eine akkurate Antwort geben konnte.
Er behielt recht, es fiel Silene schwer zu atmen, wollte der Wind ihr doch die Atemluft sofort wieder nehmen und so blieb ihr nichts anderes übrig, als den Kopf so weit zu drehen, dass sie gegen ihren eigenen Arm und Ascans Schulter atmen konnte, woraufhin der reißende Wind ihr Haar wild durcheinanderwarf.
"Es ist das weiße, yelindea'sche Haus mit den grauen Dachschindeln.", sprach sie mit scharfer Stimme und spürte, wie der Wind auch ihr die Worte von den Lippen stahl und sie zu einem mühsamen, deutlich hörbaren Einatmen zwang. Ihr Haus war eindeutig zu erkennen. Er konnte es nicht übersehen und vor allem, er würde es nicht überhören können, denn die verwirbelte Luft würde ihnen bald erste Klangfetzen zutragen. Aus dem Winkeln ihrer verengten Augen warf sie einen Blick auf das ihnen mit rasender Geschwindigkeit näher kommende Künstelviertel.
"Ihr werdet hören, wenn Ihr richtig seid."