Beiträge von Flyn

    Auf dem Weg durch die Stadt hatte Flyn sich gar nicht satt sehen können, an all dem Trubel und Treiben um sie herum. Noch nie hatte sie so viele Wesen auf einem Fleck gesehen! Obwohl die Straßen fast schon überfüllt waren, kamen sie erstaunlich schnell voran - was nicht zuletzt daran liegen mochte, dass die Bewohner einen großen Bogen um die beiden Yassalar machten. Flyn wunderte sich, warum sich auf den Mienen der Stadtbewohner so etwas wie Furcht, oder zumindest Unbehagen abzeichnete, sobald ihre Blicke Darcas und Liah streiften. So schrecklich sahen sie doch nun auch wieder nicht aus. Noch ein Rätsel, dass es zu ergründen galt...


    Als sie schließlich am Hafen angekommen waren, wartete ihr Kontaktmann schon auf sie. Flyn musterte ihn aufmerksam, von Sanyias Schulter aus. Leichtfüßig sprang sie hinab auf den Boden und schlenderte auf den Mann zu. Sie schnüffelte an seinen Stiefeln und an seinem Hosenbein, so wie sie es bei jedem tat, den sie nicht kannte. Der Geruch eines Fremden verriet viel über ihn. Und dieser Mensch bildete da keine Ausnahme. Er hatte den unverkennbaren Geruch der Hintergassen und Spelunken dieser Stadt an sich, eine Mischung aus Hafenluft, schalem Wein und billigem Frauenparfüm. Übertüncht wurde dieser Geruch aber von etwas, das nach Luxus roch, Flyn aber nur schwer zuordnen konnte, da sie noch nie mit wirklich reichen oder adligen Leuten zu tun gehabt hatte. Wie das nun zusammen passen konnte, war Flyn ein Rätsel, da sie noch nie von reichen Kaufleuten oder Adligen gehört hatte, die sich in Hafengassen herumtrieben. Wenn sie an solche Leute dachte, kamen ihr eher die Geschichten ihres Clanhändlers in den Kopf, der von teuren Kleidern und großen Festen erzählt hatte.
    Irgendwie sagte ihr der Geruch dieses Menschen, dass man sich vor diesem Mann in Acht nehmen sollte.

    Saniya war ein wenig überrumpelt von Flyns Tatendrang, erklärte sich aber dazu bereit, ihr zu helfen. Mit dem Marder auf der Schulter ging sie sie Treppe hinunter und gesellte sich zu den anderen.


    Flyn war schon ein wenig aufgeregt, obwohl es für die anderen - besonders für Darcas und Liah - sicherlich nichts Außergewöhnliches war, einen Geschäftspartner zu treffen. Aber für Flyn war alles neu und spannend, denn im Wald hatte man seine Waren einfach getauscht. Geld war dort von recht geringem Wert, da man es weder essen, noch sonst irgendwie nutzen konnte. Sicherlich, es gab einige Tua, die Handelsbeziehungen nach Außerhalb unterhielten, aber die lebten meist bei den größeren Stämmen in der Nähe der Hauptstadt.


    Kaum war Saniya durch die Ladentür getreten, stürmte eine überwältigende Vielfalt von Geräuschen, Gerüchen und Eindrücken auf Flyn ein, die sich gar nicht entscheiden konnte, was sie als erstes betrachten sollte. Etwa den frechen, kleinen Dieb, der gerade einem reichen Patrizier die Taschen ausräumte, ohne dass dieser etwas davon mitbekam? Oder lieber die Schar von durcheinander redenden Frauen, die sich um die Ladenauslagen von einem Geschäft für feines Tuch gescharrt hatten? Wohin Flyn auch blickte, überall schienen die Bewohner dieser Stadt unglaublich geschäftig hin- und herzulaufen, vertieft in ihr Tagewerk oder damit beschäftigt möglichst viele von den kleinen, silbernen Münzen zu verdienen.


    Darcas uns Liah schienen von dem Treiben um sie herum nur wenig beeindruckt. Liah stand lässig gegen die Wand gelehnt und Darcas stand nicht wenig lässig daneben.

    "Als Marder also." Flyn nickte in Darcas' Richtung und verschwand die Treppe hinauf. Oben angekommen stürmte sie in das Zimmer mit den vielen Kleidern hinein und wäre beinahe mit Sanyia zusammengestoßen, die hinter der Tür stand, offenbar gerade im Begriff den Raum wieder zu verlassen. "Oh, tut mir Leid, dass ich dich fast umgerannt habe." sagte Flyn. Anscheinend hatte auch Saniya die Zeit genutzt, um sich neu zu gewanden, denn sie trug nun eine Kleid, dass ihre Körperformen ein wenig mehr betonte und ihr ausgezeichnet stand. "Du siehst ja hübsch aus." sagte Flyn und bestaunte Saniyas neues Outfit. Sie selbst griff zu einem einfachen, braunen Kleid, dass ihr wohl passen würde, wenn es auch ein wenig zu weit und zu lang schien. Die Frau, die einst diese Räume bewohnt hatte, war wohl ein wenig größer als Flyn gewesen. "Sanyia, könntest du mir einen Gefallen tun und das hier mit nach unten nehmen? Darcas glaubt, dass ich besser als Marder mitkommen sollte." Sie wartete ihre Antwort erst gar nicht ab, sonder nahm flugs die Gestalt des Marders an. Flyn wartete auch nicht erst auf Saniyas Erlaubnis, als sie sich am Kleid der Freundin hochhangelte und es sich auf ihrer Schulter bequem machte. Zufrieden zirpend schmiegte sie sich an Sanyias Hals.

    "Ach, Darcas. Glaubst du, es ist günstiger, wenn ich in Tiergestalt mitkomme, oder wenn ich als Mensch auftrete?" wandte sich Flyn an ihren neuen Arbeitgeber. Denn falls sie als Mensch mitkam, würde sie sich wohl doch ein anderes Kleid aus dem Fundus oben aussuchen müssen. Hier schien es noch niemanden zu stören, doch sie konnte sich vorstellen, dass der ominöse Geschäftspartner auch auf das Äußere Darcas' Mitarbeiter achten würde. Und ausgefranste Ärmelreste waren bestimmt nicht das, was man hier unter korrekter Kleidung verstand. Denn so viel hatte Flyn inzwischen begriffen: Kleidung war etwas, worauf die Stadtbewohner viel Zeit und Energie verschwendeten.

    Flyn schaute Liah etwas schräg an. "Die Yassalar bringen sich also gegenseitig um? Nur so aus -- Zeitvertreib?" Sie schüttelte verwirrt den Kopf. Flyn hatte noch nie von Wesen gehört, die sich gegenseitig an die Gurgel sprangen, nur weil es ihnen Spaß machte. Das ging entgegen jeglicher Tua-Logik. Denn die mussten zusammenhalten, um mit den Widrigkeiten der Natur fertig zu werden. "Haben die Yassalar denn keine natürlichen Feinde, gegen die sie gemeinsam arbeiten müssen? Oder warum legt euer Volk es darauf an sich gegenseitig zu dezimieren?"

    Flyn verdrehte genervt die Augen. "Sagt mal, Darcas und Liah, ist es eigentlich so eine Art Volkssport bei den Yassalar, den anderen auf die Palme zu bringen?" Sie hatte noch nie mit Leuten zu tun gehabt, die immer kurz davor waren aufeinander loszugehen.

    Darcas plötzliche Großzügigkeit überraschte Flyn, aber sie nahm das Angebot dankend an. Ein bisschen Geld würde sicher nicht schaden, wenn sie irgendwann einmal einen Weg nach Hause finden sollte.


    Bevor ihre Gedanken wieder in gefährliche Bereiche abzugleiten drohten, wandte sie sich schnell an Darcas. "Danke, ich bleibe gerne hier und helfe im Laden aus. Aber ich fürchte von Waffen verstehe ich so viel wie ein Rotkehlchen vom Ratten fangen. Ich müsste wohl noch einiges lernen..." dabei schielte sie vielsagend zu Liah hinüber. Die kannte sich nämlich in der Tat mit Waffen und allem was dazugehörte aus. Ob sie bereit war, ihr einen Crashkurs in Waffenkunde zu geben? Außerdem würde sie ihr hoffentlich verraten, wo man anständige Kleidung herbekam. Kleider, so hatte Flyn festgestellt, waren alles andere als zum Klettern, Rennen und Arbeiten geeignet. Ständig stolperte man über den Saum oder blieb an Türklingen und Treppengeländern hängen. Warum zieht man so einen Fetzen bloß an? fragte sie sich. Andererseits, Saniya schien wunderbar mit ihrem Kleid auszukommen. Flyn bewunderte ihre Anmut und sie musste zugeben, dass Saniyas Kleid ihr wirklich schmeichelte. Ein kurzer Anflug von Neid beschlich sie. Sie sah aber ein, dass es wenig nütze sich über solche Dinge den Kopf zu zerbrechen. Es war schließlich jeder mit anderen Gaben gesegnet worden. Liah konnte zum Beispiel gut mit Waffen umgehen und war dabei nicht weniger anmutig. Vielleicht schaffe ich das mit dem richtigen Training ja auch, dachte Flyn und sah Liah hoffnungsvoll an.

    Flyn musste bei der Vorstellung von der zierlichen Sanyia, die die kämpferische Yassalar angirff, lachen. Irgendwie wollte das nicht recht zu Sanyia passen. "Ich glaub nicht, dass sie das tut. Aber im Fall der Fälle steh ich dir... Euch natürlich gerne zur Seite." Flyn hatte schon wieder die Höflichkeitsfloskeln durcheinander gebracht. Sie erinnerte sich, dass man sich hier erst das Du anbieten musste. "Liah, Ihr könnt mich ruhig duzen. Ich komm mir sonst so alt und spröde vor." Sie zog eine Grimasse, um ihre worte zu unterstreichen.

    Saniya und Liah waren zur Küchentür hereingekommen, Saniya, weil sie einen Eimer Wasser brauchte und Liah, weil sie die Schmuckstücke verkaufen wollte, die sie im Keller gefunden hatte. Flyn betrachtete die Stücke ein wenig näher, konnte aber nicht verstehen, warum ausgerechnet diese Dinger die Stadtwesen immer wieder zu Auseinandersetzungen veranlassten. Sie fand kein einziges wirklich schön, denn keines von ihnen hatte seine Natürlichkeit bewahrt, sondern war in eine Form gepresst worden, die nicht seiner wahren Natur entsprach. Wie viel hübscher war da doch die kleine Wurzel in Form eines Vogels gewesen, die ihr Vater ihr einmal von einer Jagd mitgebracht hatte. Oder die bunten Federn von Waldvögeln, die ihre Mutter ihr in die Haare geflochten hatte, als sie noch kleiner war. Erneut wollte das Heimweh über sie hereinbrechen, doch sie kämpfte die plötzliche Sehnsucht nach ihrem Wald herunter so gut sie konnte. Um sich abzulenken richtete sie ihre Aufmerksamkeit schnell wieder auf das Gespräch. "Kann ich vielleicht auch mitkommen, Liah? Als Marder falle ich sicher nicht auf, aber ich könnte ein wenig von dir lernen." Hoffnungsvoll sah sie Liah an. Aber erst reichte sie Saniya den Eimer, wegen dem sie eigentllich gekommen war.