Der Assassine verzog keine Miene als Sprungbart mit dem Brief auf ihn deutete. Wäre er kein Valisar gewesen, hätte er sich womöglich geschmeichelt gefühlt, dass Pottler es bereits als besiegelungswürdigen Handel ansah, wenn Canvele versprach für diese eine Nacht nicht gegen ihn zu handeln – aber so nahm er dies schlicht zur Kenntnis. Immerhin lebte sein Geschäft nicht zuletzt auch davon, dass sein Wort etwas galt und zumindest in Sprungbart's Bild von ihm war dies anscheinend der Fall. Stumm verfolgte er den Abgang der Zwergin, um seine ungeteilte Aufmerksamkeit dann dem Satyr zuzuwenden. In seiner Erinnerung suchte er nach den Namen, die Sprungbart von sich gab. Die graue Schlange, Bran Boréas - der Rabe …......
Gift und Rauschgift waren nicht Daerid's Geschäftszweig und er interessierte sich auch nicht im
Mindestens dafür – viel zu auffällig. Ein Giftanschlag war eine höchst unsichere Methode und das Gift selbst trug immer auch die Handschrift seines Erzeugers und somit den potentiellen Verrat in
sich. Aber der Nachtmarkt war ein ewig flüsternder Moloch, der Gerüchte ebenso wie Wahrheiten immerwährend ausspie, wie ein von Pottlers Kreationen im Endstadium Abhängiger die Brocken seines eigenen Magens. Für jeden, der hier unten Augen und Ohren offen halten musste, war es praktisch unmöglich, nicht irgendwann und irgendwo einen Brocken davon abzukommen – und letztendlich wühlten sie wohl alle in denselben unappetitlichen Brocken herum. Daerid hatte mit dem Raben keinerlei Verknüpfungen – und dann hatte dieser sich nicht in nennenswertem Stil mit Auftragsmorden befasst, soviel war sicher. Punkt für Sprungbart, wie Daerid geschäftsmäßig resümierte.
Aber … da waren auch Flüstereien über dessen Beseitigung gewesen, wenn er sich recht erinnerte ...... Verrat, Untreue, Aufbegehren...... Gewissen ? Die Todsünden hier in den Tiefen unter Nir'alenar, wo die Dunkelheit Freund und Feind zugleich war. Nur dort oben – dort konnte man auf Gnade und Vergebung hoffen, von seinem Gott, seinem Geschäftspartner, seinem Herrn, seinem Ehepartner. Hier unten ? Niemals ! Diese Blöße konnte sich in der dunklen Welt niemand geben. Niemand, der an der Macht und am Leben bleiben wollte.
Die graue Schlange hatte einen Namen auf dem Nachtmarkt. Und wenn dieser Rabe seiner von ihr angeordneten Beseitigung tatsächlich entgangen war – dann war er auch über seine Rasse hinaus
keinesfalls jemand, den man unterschätzen durfte.
Ein Syreniae....... gehört hatte Daerid von ihnen. Natürlich.
Begegnet war er noch keinem. Insofern war es ihm nicht möglich, einzuschätzen, inwieweit das, was man über ihre beeindruckenden Beeinflussungsfähigkeiten munkelte, auch tatsächlich der Wahrheit entsprach. Und Sprungbart wollte etwas von ihm. Was an den Worten des Satyr war Manipulation ? Und was entsprach den Tatsachen ? Weder hier unten, in der Schwärze unter der Stadt, noch oben im Licht sah man viele Angehörige dieses geflügelten Volkes. Vielleicht eine Parallele zu seinem eigenen Volk. Die Voraussetzungen für eine Karriere in der Finsternis waren nahezu perfekt - aber vielleicht lag es grundsätzlich nicht in der Natur eines Syreniae - eben so wenig wie in der eines Valisar - sich ihrer natürlichen Gegebenheiten für das, was von fühlenden Personen gemeinhin als niedere Zwecke bezeichnet wurde, zu bedienen.
Der Assassine beschloss, diese Möglichkeit im Hinterkopf zu behalten, dass es sich auch bei diesem Geflügelten so verhalten könnte. Nur könnte – denn, immerhin – IHN selbst gab es schließlich auch hier unten. Der Rabe war also Pottlers Vorgänger gewesen. Sicher, dann war Sprungbart für ihn ein denkbarer Weg, der zur Grauen Schlange führen konnte. Und Sprungbart's Angst wurde nachvollziehbarer. Selbst wenn der Syreniae nicht so skrupellos sein sollte wie Pottler ihn darstellte - die Graue Schlange hatte schon mehr als einmal bewiesen, dass es lebensgefährlich war, ihr Missfallen zu erregen. So oder so, Daerid glaubte, Pottlers Zwickmühle zu verstehen.
Nun – wie auch immer sich das Ergebnis dieser Nacht darstellen würde, es war eine Möglichkeit, eine Begegnung mit mit Syreniae praktisch unter klinischen Bedingungen ablaufen zu lassen.
Lautlos stieß der Assassine sich von der Wand ab, bewegte sich geschmeidig zum Schreibtisch hinüber und starrte auf die Tischplatte hinunter. Ungerührt holte er zwei seiner präparierten Tücher aus seinem Umhang hervor und begann, mit einem von ihnen akribisch die Ecke der Tischplatte vor ihm zu säubern. Dann erst bediente er sich seines kleinen Skalpells und ebenso virtuos, wie er noch vor wenigen Stunden damit eine Zunge zwischen rot geschminkten Lippen entfernt hatte, schnitt er nun zwei akkurate hauchdünne Streifen von dem anderen Tuch hinunter und verstaute Skalpell und Tuchrest wieder in seinem Umhang. "Du solltest ihn hier drin erwarten, wo er seine Flügel nicht wirklich gebrauchen können wird und seine Bewegungsfähigkeit diesbezüglich eingeschränkt ist. Am Schreibtisch, damit Du in Deckung gehen kannst, wenn nötig. Und platziere den Tisch so, dass jeder Eintretende sich zwischen uns befindet, ob er will oder nicht." Der Valisar hob den Kopf, wandte ihn Sprungbart zu und musterte ihn aus gleichgültigen, unter Kapuze so eben noch zu erkennden, Augen. "Und William, wenn Dir Dein Leben lieb ist, reiß Dich zusammen und wiederhole deutlich jedes wichtige Wort, das er zu Dir spricht. Warst Du an seiner .......... Absetzung .................... beteiligt ?“ Sorgsam faltete Canvele einen der Streifen etwas zusammen, steckte ihn in den Mund und begann, nahezu unsichtbar darauf herum zu kauen.