Beiträge von Selen Nacin

    Selen sah nachdenklich auf die gefesselten Banditen hinab. Er hatte sie Schwester genannt! Sie konnte nicht verhindern, dass sich ein leichtes Lächeln ihres Gesichts bemächtigte. Doch gleichzeitig machte sie die Art und Weise, wie Nyx und Zisch scheinbar routiniert zusammen arbeiteten, stutzig. Es schien fast so, als hätten beide derartige Situationen schon des öfteren gemeistert. Es war nicht so, dass Selen nicht schon mit Wegelagerern zu tun gehabt hätte, aber zu dem Zeitpunkt war sie alleine unterwegs gewesen und sie hatte sich vor jeder Reise vorbereitet, hatte Zauber auf ihre Armreifen gelegt, um sie im Notfall einsetzen zu können. Dieses Mal war sie überstürzt aufgebrochen und hatte zunächst ihre Magie nicht preisgeben wollen. Ein Fehler, wie sich zeigte. Nun gut, heute Abend würde sie dies nicht übersehen, so viel war klar. Sie bemerkte, dass sie etwas zu lange geschwiegen hatte, denn Zisch hatte bereits den Geldbeutel des Zwergs an sich genommen und beide schienen auf ihre Antwort zu warten. "Nun, Bruderherz..", die betonte das Wort absichtlich, um seine Reaktion darauf zu sehen und beobachtete seine Züge genau. "Ich denke, ich habe schon genau die passende Strafe für diese drei Herren hier..", ihre Augen verrieten keine Regung, doch sie lächelte mit einer Spur Schadenfreude, während sie Panjas Zaumzeug aus dem Wagen holte und es gelassen hin und her schwingen ließ. "Ich sehe nicht ein, weshalb meine liebe Stute wegen euren dummen Einfällen zusätzlich schuften sollte..", erklärte sie ruhig aber bestimmt.

    Selen stellte überrascht fest, dass Zisch den Zwerg bereits mit ihrem Gewehr in Schach hielt, während Nyx vom Dach aus etwas kleines auf den Elfen warf. Sie sah genauer hin. Es war eine Spielkarte! Ihr Kopf fuhr zu ihrem Halbbruder, der vom Dach des Wagens aus sprach, herum. Was war das für eine Magie? Sie musste bei Gelegenheit ihre Mutter fragen. Sie hatte schon von so ziemlich allem gehört, was auf der Insel so vor sich ging. Doch irgendetwas an Nyx' Worten oder auch der Art wie er sprach, gefiel ihr nicht. Sie schnaubte unbeeindruckt, während das Glühen ihrer Augen langsam nachließ und packte den Menschen grob bei den Haaren, um ihn aufzurichten. dann zog sie ihm das Hemd, das er trug aus und schnitt es mit ihrem Dolch in Streifen. Sie rollte den wimmernden Mann auf den Bauch und fesselte seine Hände hinter seinem Rücken, um dann auf den Elfen zuzugehen. Nara schlich mit peitschendem Schwanz hinter ihr her und beäugte die Szenerie mit argwöhnischen Augen. Die Hexe rollte nun auch den Elfen auf den Rücken, musste sich jedoch mit ihrem ganzen Gewicht und ihrem Knie in seinem Kreuz, auf ihn stützen, um ihn unten zu halten, während er wüste Flüche von sich gab. Sobald seine Hände gefesselt waren, drehte sie ihn daher noch einmal um, um ihm einige Stoffstreifen in den Mund zu stopfen und diese dann mit einem weiteren um den Kopf geknotet, zu fixieren. "Sei still, wenn sowieso nichts gescheites aus deinem Mund kommt.", sagte sie schroff und ging auf den Zwerg zu. Ohne noch einmal hinauf zu sehen, erklärte sie: "Ich glaube kaum, dass es nötig sein wird, diese Erbärmlichkeiten hier zu töten." Dabei war sie im Begriff auch den Zwerg zu Fesseln, hatte bereits die übrigen Stoffstreifen in der Hand.

    Selen hörte einen Schuss durch den Wald hallen und sah aus dem Augenwinkel, wie der Elf zusammen zuckte, vielleicht sogar umfiel, das konnte sie nicht genau sagen, denn vor ihr hatte sich mit einem Mal der Mensch aufgebaut. "So, du abartige Tochter einer Hure!", spuckte er förmlich heraus. "Dafür wirst du bluten!" sein linker Arm schien ernsthaft verletzt doch die Hand, in der er den Säbel hielt, war unverletzt und stark. Selen hob ihren Dolch an. Was nun? Doch seine Worte ließen ihre Augen heller glühen. Normalerweise gab sie wenig auf die Beleidigungen ihr gegenüber, doch zum einen wurde bereits ihre Familie angegriffen, zum anderen schimpfte dieser Bastard auch auf ihre Mutter. Ihre Augenbrauen zogen sich zu einem düsteren V zusammen und sie schoss nach vorne, nutzte seine ungeschützte, linke Seite und stach noch einmal zu, diesmal in den Oberarm, doch der Mann drehte sich um und hielt ihr den Säbel, mit dem er eine deutlich höhere Reichweite hatte, an den Hals. Sie erstarrte, wagte sich für einen Moment nicht zu bewegen, den Dolch noch immer in der Hand, dessen Spitze in seinem Arm steckte. In diesem Moment stürzte sich, wie ein weißer Blitz, Nara auf das Hass-verzerrte Gesicht und zerkratzte und zerbiss die Haut, stach auch auf die Augen mit spitzen Krallen ein und brachte sich in Lebensgefahr, da der Mann noch immer den Säbel in der Hand hielt. Selen zog den Dolch heraus und fuhr ihm in einer schneidenden Bewegung über die Hand mit der Waffe. Schreiend ließ er den Säbel fallen und kippte hintüber, bei dem Versuch, sich rückwärts zu entfernen. Sein Zeigefinger war bis auf den Knochen durchtrennt und auch die anderen Finger darunter wiesen tiefe Schnittwunden auf. Die Hexe aber hob ihre Katze von seinem Gesicht und überprüfte, ob sie unverletzt war, um sich dann umzusehen, was aus den anderen beiden geworden war.

    Die drei Banditen schienen von der Ruhe, die die Hexe ausstrahlte etwas irritiert, doch ließen sie sich von ihrem Vorhaben nicht abbringen. Mit einem hässlichen Lachen erwiederte der Elf: "Es ist nicht so, dass du eine Wahl hättest!" Sie kamen näher, wobei der Mensch sie am Arm packen wollte. Grundsätzlich war ihr das relativ egal, doch sie sah aus dem Augenwinkel, wie der Zwerg nach der Tür griff. Ein gefährlicher Ausdruck schlich sich auf Selens Züge und von einem Moment auf den anderen war das grüne Glühen da. Sie fuhr herum, ihre Hand hatte sich bereits unbemerkt um den Griff des Dolches geschlungen und sie rammte die Klinge dem Menschen in den Arm, wobei dieser mit seinem Säbel ausholte und ihr einen Schnitt in die Schulter verpasste, bevor er selbst vom Schmerz abgelenkt wurde. Sie achtete nicht darauf, auch nicht auf die warme Flüssigkeit, die ihren Arm hinunter lief und war in zwei Schritten bei dem Zwerg, den sie unsanft zur Seite stieß. um ihm den Dolch unter die Nase zu halten. "Finger weg!", fauchte sie ungehalten. Dort drin saß ihre Familie und beide waren verletzt beziehungsweise angeschlagen. Der Zwerg machte einen Schritt zurück, doch auch ihm sah man nun die Wut an. "Das Püppchen wird wohl frech?", kam es von dem Elfen und ein grausames Lächeln legte sich auf seine Züge. "Wir sollten ihr Manieren beibringen.." Mit der freien Hand griff Selen in ihre Rocktasche, während sie sich zu dem Anführer umdrehte. "Unterschätz mich nicht.", sagte sie nur kalt, um dann einige Worte zu murmeln. Zu dumm, dass sie ihren Zauber auf den Armreifen nicht erneuert hatte.. Nun, es half nichts, vielleicht ließen sie sich ja verschrecken. Sie griff mit zwei Fingern der Dolch-Hand in ihre andere Tasche und wich einige Schritte vor dem Zwerg zurück, um den Zauber rechtzeitig vollenden zu können, wobei sie mit dem Rücken an den Wagen stieß. Sie schlug die Hände zusammen und spürte, wie die Magie aus ihr heraus floss und gen Himmel strebte. Innerhalb von Sekunden bildete sich ein Gewittersturm, der sich auf die drei Angreifer ergoss und Blitze schlugen unweit ihres Standortes ein. Selen stand halb unter dem Vordach des Wagens, doch auch sie wurde innerhalb von kürzester Zeit durchnässt. Auch wenn es sie nicht vertrieb, so wurde ihnen zumindest ein wenig die Sicht genommen, dachte sie bei sich und hielt ihren Dolch wieder fester.
    In dem Moment in dem Selens Augen draußen zu glühen begannen, stellte sich drinnen drohend Nara in der Mitte des Wagens auf, das Fell gesträubt, der Schwanz steil nach oben gestellt und mit angelegten Ohren und dem eiskalten Blick scheinbar durch die Tür gerichtet, gab sie fast etwas wie ein Knurren von sich.

    Überrascht hielt Selen den Wagen an. Sie fuhren schon seit einer Weile zwischen Bäumen hindurch und nun lag ein eben solcher quer über der Straße. Es würde schwierig werden, ihn beiseite zu räumen, wenn auch nicht unmöglich. Trotz allem würde es eine Weile dauern und die Hexe würde Panja abspannen müssen. Noch unschlüssig kletterte sie durch das Fenster und sah sich um. War es Zufall oder Absicht, dass die Straße blockiert wurde? Es dauerte nicht lange, da wurden ihre Befürchtungen bestätigt. "Her mit den Wertsachen!", erklang eine unangenehm nasale Stimme hinter ihr. Selen drehte sich um. Ein Nachtelf, ein Mensch und ein Zwerg, alle drei mit Klingen bewaffnet, hatten sich hinter dem Wagen postiert. "Wenn wir mit unserer Bezahlung zufrieden sind, könnt ihr vielleicht weiter fahren!", setzte der Zwerg mit einer rauhen, hämischen Stimme nach und grinste böse. Gelassen wie immer schritt Selen die Stufen von ihrem Kutschbock hinunter und ging dann, betont ruhig um den Wagen herum, um sich vor der Tür zu postieren. Ihre Fußkettchen klirrten bei jedem Schritt. "Ich fürchte, ich habe nichts zu verschenken.", erklärte sie, als habe sie es nicht mit Wegelagerern sondern mit Freunden zu tun, denen sie kein Mitbringsel besorgt hatte. Ihre Augen ruhten ohne ein Fünkchen Angst zu verraten auf dem ersten Sprecher, der der Anführerzu sein schien. Zumindest war sie nicht gänzlich unbewaffnet. Wie immer war in den Falten ihres weiten Rockes ihr Dolch versteckt und sie wusste auch noch, was sich in ihren Taschen verbarg. So oder so würde sie sie verscheuchen. Sie würden in keinem Fall dazu kommen, ihrer Familie drinnen zu schaden, so viel stand fest.

    Selen schüttelte mit lächelnden Augen den Kopf. "Wie du meinst..", sagte sie leichthin und erhob sich, um ihre Mittel etwas besser zu verstauen. Dabei griff sie nach einem kleinen Fläschchen, kleiner noch als ihr kleiner Finger. Mit einem Schmunzeln warf sie das Fläschchen mit der gelblichen Flüssigkeit darin Zisch auf den Schoß, bevor sie sich wieder nach vorne setzte. "Sollte dir noch übel werden, trink das, bevor es dir hoch kommt, dann brauchst du keinen Eimer mehr!" Damit setzte sie sich wieder an ihr Fenster, um Panja wieder anzutreiben. Die Fahrt würde noch lang werden, jetzt da die beiden da hinten wohl für eine Weile außer Gefecht gesetzt worden waren, kämen wohl auch erst mal keine Gespräche in Frage. Die Hexe ließ ihre Gedanken schweifen. Sie erinnerte sich noch gut daran, wie sie selbst, noch als junges Mädchen, unbedarft an die Sachen ihrer Mutter gegangen war, und hier und da und dort etwas probiert hatte, das interessant aussah. Ihre Mutter hatte sie glücklicherweise bald gefunden, denn sie war bereits bewusstlos auf dem Boden gelegen. Sie schüttelte den Kopf. Gut, dass es hier nur das Betäubungsmittel gewesen war..

    Selen sah zufrieden zu dem jungen Paar hinunter. Zisch war in guten Händen und die Betäubung würde auch bald wieder nachlassen. "Ich muss zugeben, dass ich nicht unbedingt auf Besuch eingestellt bin, aber.. Ich glaube, es ist das Beste, wenn ihr einfach.. etwas vorsichtiger mit meinen Mitteln umgeht und ich sie in Zukunft etwas besser verräume. Einverstanden?" Selen lächelte die beiden Aufmunternd an. Dann nahm ihr Ausdruck fast etwas sorgenvolles an, während sie sich vor Zisch kniete, die doch recht blass wirkte. "Alles in Ordnung? Wie fühlst du dich? Ist dir vielleicht übel?", fragte sie leise. Derartiges könnte durchaus von dem durcheinander geratenen Kreislauf kommen. In diesem Moment strich Nara um Selen herum und sah Zisch aber auch Nyx mit intensivem Blick an. Nach einigen Sekunden ging sie mit lautstarkem Schnurren auf sie zu und rollte sich in der Mulde zwischen den Beiden zusammen. Selen entkam ein Lachen. "Wie es aussieht, möchte euch da jemand gesund kuscheln. Sollte es euch unangenehm sein, sagt einfach Bescheid." Damit kraulte sie kurz die Katze zwischen den Ohren und überließ sie dann ihren auserkorenen Patienten.

    Nicht ganz unfreiwillig spitzte Selen die Ohren. Was redeten ihre beiden Gäste da hinten über Schiffe, Kanonen und Nachrichten? In ihrem Kopf wirbelte es, während sie überlegte, ob es eher um das beschädigte Luftschiff im Hafen hinter ihnen oder vielleicht um das Schiff, auf das diese junge Frau von dem Steckbrief, nach der Zisch zuvor gefragt hatte, ging. Beides war möglich, doch Selen tippte momentan eher auf den Steckbrief. Schießlich würden sich die beiden kaum von einem Schiff weg bewegen, dem sie eine Nachricht überbringen sollten.. Es sei denn.. Ein leises Klirren sorgte dafür, dass sich die Hexe geistesabwesend umdrehte. Sie sah gerade noch, wie die Gnomin mit einer fahrigen Handbewegung ein Fläschchen, das besser zu geblieben wäre, um stieß. Selen erstarrte einige Momente. Zu lange, wie ihr klar wurde, denn die junge Frau verteilte das Pulver, das sich an ihrer Hand angesammelt hatte, nun scheinbar auch in ihrem Gesicht. Selen hielt etwas ruckartig den Wagen an und sprang auf. Gerade noch rechtzeitig langte sie bei Zisch an, die bereits taumelte. An Nyx gewandt sagte sie fast schon in befehlendem, aber für sie typisch, relativ ruhigem Ton: "Hinter dem Vorhang ist eine Waschschüssel und ein Handtuch." Sie hielt die Hand der jungen Frau fest, damit sie das Mittel nicht noch weiter verteilte, während sie sie vorsichtig hinsetzte und gegen sich lehnte. Sie spürte bereits, wie die Muskeln erschlafften. Hoffentlich hatte sie es nicht eingeatmet. Aber das Pulver klebte nur an Stirn und Wange, also kein allzu großes Risiko, wie sie erleichtert feststellte. Mit dem Tuch, das sie in das Wasser tauchte, wischte sie Zisch vorsichtig und umsichtig das Betäubungsmittel von der Haut. Die Hälfte ihres Gesichts war erschlafft, genauso wie ihre Hand und ein Teil des Arms. Vermutlich hatte sie auch Kreislaufprobleme bekommen, was eine häufige Nebenwirkung, besonders bei großflächigerem Einsatz des Mittels, war.
    Selen schüttelte den Kopf. "Ihr wisst beide, dass ihr im Wagen einer Hexe mitfahrt und meint nicht, dass es vielleicht ratsam wäre, sich von unbekannten Mitteln fern zu halten?" Ein leichtes Schmunzeln glitt über ihr Gesicht. "Das hier ist ein Betäubungsmittel, seine Wirkung wird in spätestens 3 Stunden wieder nachlassen. Aber wenn du es eingeatmet oder ins Blut bekommen hättest..." Sie bemerkte Nyx Blick und schob noch erklärend nach: "Es wird bei schmerzhaften Eingriffen oder ähnlichem verwendet, der Patient spürt in der Zeit an der behandelten Stelle keinen Schmerz und die Muskeln sind so entspannt, dass man gut arbeiten kann. Und nun hilf mir, ich glaube, ihr setzt euch am besten beide ein paar Minuten hin." Sie holte eine Decke hervor und breitete sie aus, da die beiden ja zuvor schon die Nutzung ihres Bettes abgelehnt zu haben schienen. Auf diese Weise konnten sie zumindest etwas bequemer sitzen.

    Selen hatte gerade den Feuerkorb an dem Wagen befestigt, als sich Zisch erhob und etwas schlaftrunken Richtung Wagen ging. Selen machte sich unterdessen daran, Panja zu begrüßen und zu vor den Wagen zu spannen. Die Stute ließ sich alles gutmütig gefallen und schnaubte der Hexe sanft ins Haar. Selen lächelte und kletterte durch das kleine Fenster in den Wagen. Schließlich wollten sie die Reise nutzen, um sich kennen zu lernen. Da wäre es nicht unbedingt hilfreich, wenn Selen die meiste Zeit nicht im Raum wäre. Geduldig wartete sie, bis auch Nyx wieder drin war und die Tür verschlossen war, bevor sie Panja und den Wagen umsichtig von der Lichtung zurück auf die Straße manövrierte. Heute schien es geringfügig kälter zu sein und ein feiner Nebel strich durch die Bäume. Selen fühlte den Strömungen nach, die durch die Luft und den Boden wanderten, aber sie fühlte kein Unbehagen. Der Nebel schien natürlichen Ursprungs zu sein. Beruhigt lehnte sie sich wieder zurück und sah sich um. "Macht es euch ruhig bequem!", sagte sie gut gelaunt, und sah aus dem Augenwinkel, wie Nara, die kurz vor ihr bereits durch das Fenster gehuscht war, bereits ihrer Aufforderung nachkam und sich auf ihrem Kissen nieder ließ.

    Es dauerte nicht lange, da war Selen mit der schnurrenden Nara auf ihrer Brust eingeschlafen. Der Geruch und das Knistern des Feuers und die leisen Geräusche der beiden Schlafenden wiegten sie mit ihrer Vertrautheit in das Reich der Träume. Zu sehr erinnerte sie das alles an früher. Geweckt wurde sie am nächsten Morgen von weißen Samtpfoten, die ihr ins Gesicht stubbsten. Die Lichtsäule war bereits eine Weile am Horizont erschienen und das Feuer niedergebrannt. Mit einer Hand kraulte sie ihre Katze, mit der anderen rieb sie sich etwas verschlafen die Augen. Ein Blick zu Zisch und Nyx verriet ihr, dass die beiden bereits wach waren. Mit einem Gähnen richtete sich die Hexe auf. "Guten Morgen!" Sie fuhr sich mit den Fingern durch die Locken, um einige Grashalme zu entfernen, was in einem leisen Klimpern ihrer Armreife mündete. Dann stand sie, sich streckend auf und griff nach dem Feuerkorb. "Ich nehme an, ihr wollt direkt weiter?", fragte sie, während sie diesen wieder an ihrem Wagen anbrachte.

    Selen konnte ein Grinsen nicht ganz unterdrücken, als sie zwischen den beiden hin und her sah. Sie lachte und sah ihre neu gefundene Familie herzlich an. "Das ist wirklich genau wie an den heimischen Lagerfeuern!" Und mit einem Blick auf Zisch: "Ich würde mich über eine Schwester wie dich freuen." Dann nickte sie wieder etwas ernster. "Ich verstehe, es scheint wirklich ein unglücklicher Moment zu sein. Nun, dann wird das wohl noch warten müssen. Es ist schön, dass wir uns etwas kennen lernen können, aber glaubt nicht, dass ihr um zumindest eine Lagerfeuerrunde mit den anderen herum kommt!", bei den letzten Worten zwinkerte sie den beiden schelmisch zu. "Das hat aber sicher Zeit." Sie beobachtete, wie Zisch etwas unter dem Mantel ihres Partners fuhrwerkte, ging aber nicht darauf ein. Sie hatte das Gefühl, dass ihre Gegenüber sich schon so bedrängt genug fühlten, überrannt von den Neuigkeiten. Also lehnte sie sich wieder zurück und sah entspannt den Wolken nach. Vielleicht würden Nyx und Zisch sich auch entspannen können?

    Selen hob fast schon herausfordernd die Augenbrauen. "Glaub nicht, dass ich wie unser Vater bin. Ich lasse die Familie nicht im Stich und da du dazu gehörst..", sie blickte nun auch Zisch an, ".. und Zisch ja auch schon fast, wie ich das sehe, werde ich euch ganz sicher nicht eurem Schicksal überlassen." Ihre Stimme und ihr Gesicht blieben ruhig, doch ihre Augen funkelten entschlossen und machten klar, dass sie in diesem Punkt nicht mit sich reden ließe. Dann wurde nach kurzem Schweigen ihr Blick sanfter. "Ich verstehe natürlich, dass ihr beide viel durchgemacht habt, ich werde mich bemühen, meine Fragen zurückzuhalten, aber ich kann nicht versprechen, dass mir nicht doch einmal eine entfleucht." Ein spitzbübisches Lächeln hellte das Gesicht der Hexe auf. "Ihr könnt natürlich fragen, was ihr wollt." Dann sah sie wieder Zisch an, die relativ abweisend wirkte. "Nun, wir werden bis zu unserer Ankunft in Chadira sicher noch etwas Zeit haben, uns kennen zu lernen. Und was den Rest der Familie angeht, so wird sich früher oder später etwas ergeben, da bin ich sicher. Die Götter haben uns zusammen geführt, sie werden auch einen Weg finden, die Karavane zu uns zu führen." Dann lächelte sie wieder gelassen und sah Nyx ruhig an. "Also, was möchtest du wissen?"

    Als Selen Schritte hörte, hob sie den Kopf und sah ihren Gästen, nein ihrer Familie entgegen. Es war noch etwas ungewohnt, diesen Gedanken zu formulieren, aber es fühlte sich richtig an. Nyx Aura, die sich jetzt wieder näherte, schien sie förmlich darin bestärken zu wollen. Ein Lächeln legte sich auf ihre Züge. "Na ihr zwei? Alles wieder gut? War vielleicht ein bisschen viel auf einmal, schätze ich." Sie legte den Kopf schief und grinste halb entschuldigend, halb neckend. "Aber ich denke mir immer, bei sowas ist es häufig am besten, es schnell über die Bühne zu bringen. Das ist für den Moment zwar schmerzhaft, aber hinterher hat man es dann geschafft." Nara stubbste schnurrend ihre Hand an und forderte weitere Streicheleinheiten ein, welche sie dann auch bekam. "Ich habe übrigens Korax mit einem Brief zu meiner Mutter geschickt, um rauszubekommen, wo sie und die Karavane gerade ist. Wenn jemand mit Sicherheit sagen kann, ob du zur Familie gehörst, dann sie.", mit einem warmen Lächeln sah sie in Nyx Augen und schob dann nach: "Aber das ist eher Formsache, ich bin sowieso schon davon überzeugt."

    Etwas überrascht blinzelte Selen abermals. Sowohl Nyx als auch Zisch reagierten sehr heftig. Was hatten sie nur alles erleiden müssen, dass sie dermaßen emotional wurden, wenn sie auf Familie trafen? "Ich lüge nicht. Ich habe nur eine Geschichte erzählt, was ihr daraus schließt, ist eure Sache. Aber die Geschichte hat sich so zugetragen.", antwortete sie auf die Anschuldigungen in ernstem Ton. Die Hexe blieb ruhig sitzen, als auch Zisch verschwand und tastete gedankenverloren nach Nara, die sich schnurrend an sie schmiegte. Als ihre Gäste weg waren, sah sie Nara an und sprach einige Worte in der alten Sprache, die sie gelernt hatte. Sie wollte nicht aufdringlich sein, doch sie brauchte jetzt etwas. Sie vermittelte ihrer Katze drei klare Bilder. Die Tür des Wagens, die noch immer angelehnt war, ihren Schreibtisch, auf dem ein Pergament und ihre Schreibfeder lagen, und Nara, wie sie Selen diese Dinge übergab. Die Katze maunzte leise und trabte los, ohne einen Laut von sich zu geben. Kurz darauf kam sie mit den benötigten Dingen zurück zu Selen. Diese öffnete das leere Pergament und begann, einen Brief aufzusetzen. Wenn sie tatsächlich einen Bruder hatte, gab es eine Person, die das unbedint wissen musste. Sie bemühte sich, die Gegebenheiten möglichst bündig aber vollständig zu schildern und erklärte auch ihren mittlerweile fast sicheren Verdacht. Dann überreichte sie das Pergament Korax, der auf ihrer Schulter saß. Nochmals sprach sie die alten Worte und übermittelte dem Raben das Bild einer Frau mit violetten Augen und aufbrausendem Temperament, einer Frau, die der Rabe sehr gut kannte. "Sei vorsichtig, Korax.", sagte sie leise, dann flog das Tier los und war bald in der Nacht verschwunden. "Ich glaube, wir sollten unseren Gästen etwas Zeit zum Verdauen geben, was meinst du, Nara?", murmelte Selen und dachte bei sich, dass sie selbst erst einmal damit würde klar kommen müssen, dass sie durch eine Reihe glücklicher Zufälle ihren kleinen halb-Bruder gefunden hatte, von dessen Existenz sie bis vor kurzem noch nicht einmal gewusst hatte. Selen legte sich ins Gras, einen Arm unter den Kopf gelegt, mit der anderen Hand Nara kraulend und schaute hinauf zu den wenigen verbliebenen Wolkenfetzen. "Ich glaube, ich werde mich um die beiden ein wenig kümmern müssen. So wie sie reagiert haben, brauchen sie eindeutig eine Familie und das bin ich ja scheinbar, nicht wahr?", erklärte sie ihrer Katze noch immer in sehr leisem Ton. "Es wird vermutlich nicht einfach, aber die Familie lässt man nicht im Stich.... Ich habe einen kleinen Bruder.. und eine Schwägerin." Ein sanftes Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus. Ja, sie würde für die beiden da sein. Ob es ihnen passte oder nicht. Ein neckendes Blitzen schlich sich in ihren Blick, doch wenig später blieb nur ihr üblicher, ruhiger Ausdruck zurück.

    Eine gewisse Anspannung lag in der Luft, wie Selen bemerkte, doch sie ließ sich davon nicht irritieren. Ihre Gedanken rasten, rechneten, überschlugen sich.. Es sprach alles dafür. Nach einigen Momenten des Schweigens seufzte sie. "Ich denke, es ist an der Zeit, dass ich eine Geschichte erzähle. Hört sie euch bitte an und zieht dann eure Schlussfolgerung." Die Hexe machte eine Pause, ordnete ihre Gedanken, suchte nach einem passenden Anfang. Dann atmete sie nochmals tief durch und begann ihre Geschichte: "Es ist etwa 34 Jahre her, dass eine Dheoran namens Asmira, die mit der Wagenkaravane ihrer Familie durch die Lande zog, einen Mann namens Vincent kennen lernte. Es handelte sich um einen Hexenmeister vom Volk der Djirin. Sie verliebten sich, oder zumindest hatte es von ihrer Seite aus den Anschein. Zwei Jahre später brachte sie eine Tochter zur Welt, die sie Selen taufte. Es war eine scheinbar heile Welt in der die drei inmitten der anderen Dheoran lebten. Doch sobald das Kind da war, musste Vincent immer öfter auf wichtige, geschäftliche Reisen. Asmira vertraute ihm und ließ ihn jedes mal wieder ziehen. Als das Kind.. Als ich gerade fünf Jahre alt war, kam er von einem längeren Aufenthalt in Ilassea zurück zu der Karavane, doch er musste feststellen, dass die Dheoran viele Geschichten hören und dass sie auch erfahren hatten, dass er keineswegs geschäftlich auf Reisen gewesen war. Er musste auch feststellen, dass es sehr unklug ist, eine Dheoran zu betrügen. Asmira ließ sich keineswegs von seiner Hexerei einschüchtern und machte ihm klar, dass er sich wenigstens um das gemeinsame Kind zu kümmern hätte, wenn er schon nicht zu treue in der Lage wäre. Er machte sich jedoch wiederum davon, doch Asmira hatte noch einige Haare von ihm und.. sie belegte ihn mit einem Fluch. Solange er lebte würde er keine ruhige Minute mehr haben, nicht eine Sekunde Schlaf bekommen, es sei denn, er sorgte für das Kind, das er zurückließ. Er kam wieder, als ich zehn war, er hatte alles versucht, dem Fluch zu entkommen, aber zu diesem Zeitpunkt hatte er bereits deutlich sein Gesicht gezeichnet. Er nahm mich bei sich auf und unterwies mich in seiner Magie. Er zog die Ausbildung länger hin, als es nötig gewesen wäre, denn er wollte nicht wieder die Folgen des Fluches spüren. Aber ich wollte fort von dort und tat alles, um die Ausbildung zu vollenden. Schließlich fand er einen anderen weg, dem Fluch zu entkommen. Geld. Seither bin ich alleine unterwegs, lebe nach der Art der Dheoran, die ich immer als mein eigentliches Erbe angesehen habe." Selen spürte, dass ihre Augen einen grünen Schimmer angenommen hatten, während sie von Vincent und seinem Betrug gesprochen hatte, doch ansonsten ließ ihr Gesicht nicht vermuten, dass sie aufgebracht war. Als sie geendet hatte, blinzelte sie, um dieses einzige Anzeichen zu verscheuchen, das sie nicht kontrollieren konnte. "Ich war vor 27 Jahren fünf. Und mein Vater ist ein großer Mann mit schwarzem Haar und Schwarzen Augen.", schob sie noch nach und sah Nyx bedeutsam an, hoffte, er würde den gleichen Schluss ziehen, hoffte, sie hätte keine Hirngespinste. Doch in ihrem Kopf verglich sie abermals das Gesicht vor sich, mit dem, das ihr so verhasst war. Die Ähnlichkeit war Erstaunlich, wenn auch dieses jüngere Gesicht so viel freundlicher wirkte, so viel weniger hart und Hasserfüllt.

    Selen verfolgte aufmerksam die Mimik, die sich in Nyx Gesicht abzeichnete und sie spürte, wie es sie traf, dass man diesem jungen Mann so übel mitgespielt hatte, dass er einen solchen Zorn entwickeln konnte. Doch für den Moment verfolgten ihre Gedanken einen anderen Pfad. Hatte ihre Mutter nicht gesagt..? Die Stadt würde passen.. Aber wie war es zeitlich..? Selens Augen schossen einen Moment nachdenklich zum Feuer, bevor sie sich seiner Frage bewusst wurde. "Ich weiß auch nicht.. es ist nur.. ich will nur wissen, ob.." Sie sah ruckartig wieder zurück zu Nyx. "Wie alt bist du?" Ihr war durchaus klar, dass sie seine Frage nicht wirklich beantwortet hatte, doch sie wollte sicher sein, bevor sie etwas von ihrem Verdacht äußerte. Sie musste einfach wissen, ob sie recht hatte. Nötigenfalls würde sie noch jemanden hinzuziehen müssen. Aber wenn sie recht hatte, blieb das sowieso nicht aus.

    Selen hatte die ganze Zeit über still und zuhören dagesessen, mit leuchtenden Augen hatte sie jedes Wort in sich aufgesogen und würde auf diese Art die Geschichte morgen relativ Wortgetreu aufschreiben können. Jedoch arbeiteten ihre Gedanken nun wieder fieberhaft darüber, dass die beiden Waisen waren. Könnte es sein..? Ihr Blick schoss zu Nyx, dessen Aura sie nach wie vor irritierte. "Ich danke euch für diese Geschichte. Ich mag diejenigen mit einem guten Ende am liebsten und das scheint es für euch ja zu geben." Ein neckendes Glänzen in den Augen, sah sie zwischen den beiden hin und her, bevor sie sich wieder auf Nyx fixierte. "Ich hoffe, das ist nicht zu unhöflich, aber.. was kannst du mir über deinen Vater sagen? War er ein Dirjin? Kennst du sein Gesicht? Seinen Namen?" Man sah der Hexe deutlich an, wie sich ein Gedanke Formen wollte, aber das letzte Puzzlestück fehlte noch in dem Bild.