Beiträge von Selen Nacin

    Selen bemerkte den skeptischen Blick der Gnomin durchaus, hoffte aber, dass sie ihr genug vertrauen würde, um die Verletzungen in Ruhe verheilen zu lassen. Die Hexe war sich sehr sicher, dass sich nichts entzünden würde und Nyx Körper einfach Zeit brauchte. Die Salben würden ihr übriges tun. Sie setzte sich geschmeidig ans Lagerfeuer und sah gespannt zwischen Zisch und Nyx hin und her, die sich zu einigen versuchten, welche Geschichte sie erzählen wollten. Während Nara es sich auf ihrem Schoß gemütlich machte, begann Selen diese zu kraulen und bedeutete mit der anderen Hand, dass ihre Gäste ruhig beginnen konnten. "Das klingt alles sehr interessant, erzählt ruhig, was ihr mögt!" Ihre Augen leuchteten vor Vorfreude. Sie würde morgen eine neue Geschichte niederschreiben können.

    Selen sah zwischen der Gnomin und dem Halb- Djirin hin und her. "Natürlich mache ich dir noch ein bisschen was, aber ich denke nicht, dass wir nachsehen müssen.", schob sie mit Blick auf Zisch nach. "Ich habe vorhin nachgesehen und die Wunden wurden bereits gut ausgewaschen, sodass sich nichts entzünden kann. Die Kräutermischung, die ich verwendet habe, ist außerdem auch entzündungshemmend und heilend. Keine Sorge, ich kümmere mich um meine Gäste!" Sie grinste beide frech an und drehte sich dann wieder um, um die Beeren zu präparieren. Die Türe ließ sie dieses Mal offen. Während ihre Finger mit den Kräutern hantierten, beschäftigte sich ihr Geist mit den Wortfetzen, die sie zuvor aufgeschnappt hatte. Waren sie am Ende doch von diesem beschädigten Schiff gekommen? Nach draußen rief sie: "Auf eure Geschichten bin ich sowieso schon gespannt! Wenn wir alle unter der Kuppel schlafen, wird es sicher gemütlich am Feuer!" Innerhalb weniger Minuten war die Hexe mit ihrer Arbeit fertig und schritt mit einigen Beeren in der Hand wieder hinaus, welche sie in Nyx Hand kullern ließ. "Teil sie dir gut ein. Immer nur drei auf einmal und nimm die nächsten erst dann, wenn die Wirkung wieder nachgelassen hat." Ihre Stimme wurde bei den Worten ungewohnt streng, doch es war wichtig, mit der Dosis nicht zu spielen. "Ich vermute, wenn diese hier aufgebraucht sind, werden die Schmerzen sowieso erträglicher sein. Und verwechsle die Schmerzfreiheit nicht mit einem geheilten Körper. Gönne ihm auch Ruhe, ansonsten wirst du dich wohl noch länger mit diesen Verletzungen herum schlagen dürfen." Dann wurde ihr Blick wieder weicher. "Wollen wir uns zum Feuer setzen? Mir wurde eine Geschichte versprochen!" In ihren Amethystaugen glitzerte es erwartungsvoll und freudig.

    Nach einer Weile war es immer noch überraschend ruhig draußen und Selen rappelte sich auf. Mit ihrem üblichen, leichtfüßigen Gang schritt die Hexe hinaus in die milde Nachtluft, während Nara ihr schnurrend um die Beine strich. Das Futter hatte ihr scheinbar eine bessere Stimmung verpasst und auch Korax ließ sich Flügel schlagend auf ihrer Schulter nieder, um an ihrem Ohr zu knabbern. In diesem Moment sah sie wohl wirklich wie eine Hexe aus, als ein leichter Wind durch ihr langes, gewelltes Haar fuhr und sie so von dem Wagen schritt. Ihre beiden Gäste hockten voreinander und sprachen scheinbar ruhig miteinander. Selen grinste die beiden breit an. "Na? Wieder alles gut?" Ihre Zähne blitzten in einem freudigen wie freundlichen Lächeln. "Möchtet ihr die Nacht auch hier draußen verbringen? Ansonsten biete ich euch gerne mein Bett an. Ich persönlich kann dieser herrlichen Nachtluft nicht widerstehen.", sagte sie gut gelaunt indem sie tief einatmete.

    Irgendetwas an dem Ton, den Zisch neben ihr anschlug, riss Selen wieder aus ihren Gedanken. Sie warf einen Blick zu dem Paar und stellte fest, dass eine gewisse Spannung in der Luft lag. Sie räusperte sich mit einem Schmunzeln und richtete sich auf. "Ich sehe mal nach Panja und den beiden Chaoten im Wagen.", sagte sie fast schon beiläufig und erhob sich, um den beiden etwas mehr Raum zu geben. Sie vermutete, dass sich hier ein Streit oder zumindest eine Auseinandersetzung anbahnte, wobei die Hexe in diesem Fall vermutlich im Weg wäre. Ein solcher Streit war oftmals heilsam, wie sie von ihrer Familie wusste. Hinterher war die Beziehung oftmals umso enger. Mit leichten, tänzelnden Schritten bewegte sie sich zu Panja, die unweit vom Wagen graste. Selen strich ihr sanft über den Hals und lehnte sich an das Tier, welches nur kurz mit den Ohren zuckte und weiter fraß. Nach einigen Momenten ging sie in den Wagen und angelte nach noch einigen Streifen Trockenfleisch, die sie an Nara und Korax verfütterte. Und richtig, beide hatten bereits Hunger und stürzten sich freudig auf ihre Mahlzeit. Selen setzte sich neben sie und kraulte Nara geistesabwesend hinter den Ohren, während sie den beiden beim fressen zusah. Sie würde sich jetzt eine Weile zurückhalten. Schließlich hätten die beiden da draußen scheinbar etwas auszudiskutieren. Sie würde erst später wieder hinaus gehen, um nach langer Zeit wieder eine Nacht im Freien zu verbringen. Heute war es wirklich angenehm mild und wie geschaffen für eine solche Nacht, wie sie fand.

    Selen sah erst auf, als sich Schritte näherten. Scheinbar war Nyx aufgewacht. Sie bemerkte, dass er sich wieder deutlich vorsichtiger bewegte. Das Schmerzmittel wirkte scheinbar nicht mehr. Aber in jedem Fall hatte ihm die Erholung gut getan, da war sich die Hexe sicher. Sie lächelte Nyx begrüßend zu und schaute dann wieder den Wolken nach, wollte Zisch und ihm nicht in die Quere kommen. "Freut mich, dass es seine Wirkung nicht verfehlt hat.", erwiederte sie mit einem zufriedenen Ausdruck, ohne die Augen von der Kuppel abzuwenden, sie vertiefte sich in ihre Erinnerungen, um dem Paar die Möglichkeit zu geben, sich auszusprechen. Sie dachte zurück an die Wagenkaravane und die abendlichen Lagerfeuer zurück, an die schnellen Trommelschläge und flinke Füße, die zu diesen tanzten. Fast glaubte sie, die wehenden Röcke der Dheoran-Frauen in den Wolken über ihnen zu erkennen, was ihr ein fast wehmütiges Lächeln entlockte.

    Selen musste grinsen, als Zisch zunächst wehement abstritt, dass sie stur sei, ganz im Gegensatz zu Nyx. "Wenn du das sagst.", erklärte die Hexe ruhig und beobachtete weiterhin die vorbeiziehenden Wolken. "Aber es ist wirklich gut, dass er sich jetzt einmal ausruht. Manchmal braucht der Körper einfach eine Pause, auch wenn der Geist noch so sehr etwas anderes will. Bei den nächsten Worten der Gnomin dachte Selen an ihre bisherigen Reisen zurück und musste ihr zustimmen. "Das ist es allerdings.", bestätigte sie mit einem leicht verträumten Unterton. "Ich habe einige getroffen, die sagten, ihnen würde dann ihre Heimat fehlen, allerdings vergessen sie, dass ich meine Heimat eigentlich die ganze Zeit über mit mir nehme. Mein Wagen und meine tierischen Begleiter sind meine Heimat. Und die Heimat, in der ich aufgewachsen bin, war die Wagenkolonne meiner Mutter. Ich kenne nichts anderes als die Reisen. Ich habe mich eher unwohl gefühlt als..", sie hielt für einen Moment inne, unsicher, wie sie es formulieren sollte, ohne über ihren Vater sprechen zu müssen. "... als ich einige Jahre an einem Ort verbringen musste." Dann kam Zisch wieder auf die Sturheit zu sprechen und ging diesmal auf die Vorteile zu sprechen. Auch dies entlockte Selen ein Lächeln. "Ich denke, viele Eigenschaften haben einen Vorteil, aber auch ihre Nachteile, wie fast alles im Leben."

    Selen warf einen kurzen Blick neben sich, als Zisch sich ebenfalls ins Gras sinken ließ, um nach oben zu schauen. "Naja, ich war schon an vielen Orten und es stimmt schon, dass die Leute mitunter sehr ähnliche Verhaltensweisen an den Tag legen. Aber dann.. gibt es immer wieder Ausnahmen, und die machen es wirklich spannend, die Welt zu bereisen. Ihr zwei zum Beispiel. Zwei solche Sturköpfe trifft man selten!", sagte sie halb im Scherz und zwinkerte Zisch schelmisch zu. "Jedenfalls sind es die Geschichten solcher Leute, die mich interessieren, denn da gleicht keine der anderen. Meine Mutter ist schon über einhundert Jahre auf dieser Insel unterwegs und noch immer findet sie neue Erzählungen, die sie überraschen, zum Lachen und zum Weinen bringen. Dafür bin auch ich unterwegs. Neues zu entdecken, neue Menschen, neue Freunde kennen zu lernen..", ihr Blick wanderte wieder über das Kuppeldach. "Was könnte es schöneres geben?", ein verträumtes Lächeln hatte sich auf ihre Lippen gelegt. Zisch sprach von Veränderungen und Selen dachte zurück an ihr eigenes Leben. "Ja, allerdings... Aber das Leben besteht nun einmal aus Veränderungen. Sie müssen uns nicht immer gefallen.." in Gedanken war sie bei dem Tag, an dem ihre Mutter hinter das Geheimnis des Vaters gekommen war. Von jetzt auf gleich war er völlig anders mit ihr umgegangen. "Aber letztendlich können wir nur das Beste aus allem machen. Und solange wir uns auf jemanden verlassen können, den wir lieben, schaffen wir das auch." Ihre Stimme wurde wieder fester.

    Selen lehnte sich mit lachenden Augen und einem weiteren Stück Kuchen in der Hand zurück. "Das ist es allerdings!", antwortete sie auf Zischs letzte Bemerkung und kaute weiterhin genüsslich, während ihr Blick nach oben wanderte. Einige vereinzelte Wolken zogen vorbei, die sich gegen die dunkle Kuppel hell abzeichneten. Wenn man genau hinschaute, konnte man sogar eine Art Wirbeln des Wassers über ihnen ausmachen. Vielleicht bildete sich die Hexe das auch nur ein... aber es war wunderschön. Sie atmete die kühle Nachtluft tief ein und lehnte sich an das Holz hinter sich. "Ist das alles nicht herrlich?", sagte sie etwas verträumt, während sich eine merkwürdige Stimmung ihrer bemächtigte. Fast schon melankolisch, aber nicht ganz so trübsinnig. Ihre amethystfarbenen Augen sahen den Wolken nach und verloren sich dann in den Tiefen des Meeres, das die Kuppel zurück hielt. "Hier unten gibt es so viele Geschichten.. Wieviele mehr mag es wohl außerhalb der Kuppel geben..?" Natürlich war es müßig, darüber nachzudenken, da keiner von ihnen die Kuppel je würde verlassen können, doch Selens Gedanken schwiffen ab und sie fühlte sich zurückversetzt an die Lagerfeuer ihrer Kindheit, an denen alte Geschichten vorgetragen worden waren, die keiner von ihnen erlebt hatte. Ein tiefer Seufzer entrang sich ihrer Kehle und sie verputzte den letzten Bissen des Kuchens ihn ihrer Hand, bevor sie die Hände hinter dem Kopf verschränkte.

    Selen setzte sich zu der Gnomin und nahm sich dankend einen kleinen Kuchen. Zu etwas Süßem hatte sie noch nie nein sagen können. Genüsslich kauend besah sie sich nun den Steckbrief, den Zisch hochhielt und den sie selbst schon von einer Wache erhalten hatte. Mit einem Unergründlichen Blick sah sie die Gnomin an, beantwortete aber ihre Frage. "Also eine wirkliche Geschichte habe ich nicht zu hören bekommen, aber tatsächlich kursieren allerlei Gerüchte. Die meißten stimmen darin überein, dass diese Frau wohl die Tochter eines Adligen, ich glaube sein Name ist Arndell Varin, ein Lord oder so, verletzt haben soll. Was genau vorgefallen ist, darin sind sich die Leute recht uneins, die einen sagen, die Kleine sei fast gestorben, die anderen sprechen nur von einer geringen Verletzung. Ich vermute irgendwo in der Mitte liegt die Wahrheit. Jedenfalls soll diese Dame mit ihrer Windmagie auf sie losgegangen sein oder etwas ähnliches. Ich weiß nicht, ob da etwas dran ist, bei Gerüchten kann man das nie genau sagen.", nachdenklich starrte Selen in die Flammen. "Diese Keona Saldari soll jedenfalls in der Flugschule ihrer Familie gearbeitet haben und unter ihrer Aufsicht ist dann dieser Vorfall oder was auch immer passiert. Kurz darauf ist sie verschwunden und keiner scheint zu wissen wohin, wobei die Wache mir sagte, sie hätten einen Händler im Verdacht gehabt, der mit seinem Wolkenschiff vor Anker lag. Er sagte, er sei selbst bei der Durchsuchung dabei gewesen, aber sie hätten die Flüchtige nicht finden können." Selen erinnerte sich nur zu gut an den Grimm den sie in den Augen der Wache gesehen hatte und sie hatte den Ausdruck ganz und gar nicht gemocht. Geistesabwesend griff sie zu einer der Pasteten und erzählte dann erst weiter: "Die Flugschule wurde Geschlossen und der Familie wird wohl ziemlich Druck gemacht, soweit ich erfahren habe. Sie scheinen sogar einen Angehörigen dieser Frau gefangen zu halten.. Ich weiß nicht recht, was ich von der ganzen Sache halten soll, aber ich würde nur zu gerne die Geschichte von dieser Keona selbst hören.", schloss die Hexe und sah mit freudig funkelnden Augen zu Zisch hinüber, während sie sich auch einen der Windbeutel in den Mund schob. "Sag mal, das ist wirklich köstlich! Hast du das alles gekocht und gebacken?", fragte Selen und leckte sich genießend die Lippen.

    Selen Schaute hinunter zu Zisch, die sie fragte, wie sie helfen könnte. Mit einem leichtfüßigen Sprung landete sie auf dem Boden und reichte der Gnomin das Trockenfleisch. "Das ist wirklich sehr lieb, dass ihr euren Proviant mit mir teilt! Ich habe das hier anzubieten und noch einige Beeren und andere Waldfrüchte. Möchtest du das schon mal nach draußen tragen? Ich finde ein Mahl am Feuer immer angenehmer.", erklärte sie und griff sich eine Schüssel von ihrem Schreibtisch, die sie rasch mit allerlei Beeren und Nüssen und dergleichen füllte, um auch diese Zisch zu geben. "Ich würde uns solange etwas passendes suchen, um es sich bequem zu machen." Damit verschwand mit einem Lächeln und leuchtenden Augen. Zwar wusste sie, dass dies nicht für andere Völker galt, doch für sie war es eine wichtige Geste, das Feuer und das Essen miteinander zu teilen. Fast vermisste sie nun die Trommeln und Gesänge ihrer Familie und die Geschichten, die immer erzählt worden waren. Doch sie hatte sich bewusst für eine eigene Route entschieden.
    Sie fand schließlich zwischen den angrenzenden Bäumen einen großen, schweren Ast, den sie mühsam zum Feuer schleppte. Er bot genug Fläche, um sich beqem anzulehnen und sie mochte das Gefühl des von Wind und Wetter glatt geschmirgelten Holzes.

    Selen warf einen kurzen Blick über die Schulter, als sie eine Bewegung im Augenwinkel sah. Zisch setzte sich zu ihrem Partner und strich ihm zärtlich die Haare aus dem Gesicht. Selen schaute wieder auf die Straße, wollte diesen Moment der beiden nicht stören. Die weitere Fahrt verlief relativ Ereignislos. Selen konzentrierte sich auf Panja und auf Nara, die es sich irgendwann wieder auf ihrem Schoß gemütlich gemacht hatte und eingeschlafen war. Korax gab im Schlaf eine Art krächzendes Schnarchen von sich.


    Der Lichtkegel war schon fast verschwunden, als die Hexe einen geeigneten Rastplatz, umgeben von einer Baumgruppe ansteuerte. Sie gab Panja das Zeichen, anzuhalten und kletterte dann durch das Fenster hinaus, nachdem sie Nara vorsichtig neben sich auf dem Bock abgesetzt hatte. Mit ihren üblichen, geschickten Handgriffen machte sie ihre Stute von dem Wagen los und ließ sie auf der Grasfläche grasen. Dann stellte sie ihren Feuerkorb auf, den sie seitlich an ihrem Wagen befestigt hatte und sammelte einige Äste und weiteres Gehölz zusammen, um alles in ihrem Feuerkorb zu entzünden. Dann ging sie wieder hinein und sah nach ihren Gästen und nahm dann ihren Stuhl zur Hand, um sich darauf zu stellen. Sie angelte nach dem Griff der Falltüre, die gut zwischen den Tüchern an der Decke versteckt wurde. Die Falltüre kam ihr entgegen und eine Holzleiter rutschte ihr halb entgegen. Sie zog sich auf die erste Stufe hinauf, um etwas Trockenfleisch herunter zu holen.

    Bei der Vorstellung eines Kindes, das alleine zurecht kommen musste, glomm es in Selens Augen kurz giftgrün auf, bevor sie sich wieder sammelte. "Das sollten sie wirklich.", bekräftigte sie mit einer gewissen Anspannung in der Stimme. Sie verstand einfach nicht, wieso jemand nicht für das eigene Kind sorgen wollte, sie verstand nicht, wieso ihr Vater sich so verhalten hatte. Zischs weitere Worte holten sie wieder aus ihrer Starre und sie hörte aufmerksam zu, musste wiederum schmunzeln, als die Gnomin sich beinahe verplapperte. Natürlich machte sie sich Sorgen, das war ihr deutlich anzumerken, doch wenn sie es nicht zugeben wollte, würde Selen sie nicht drängen. Sie spürte ihren Blick auf sich und reagierte mit ihrer üblichen, gelassenen Art. Es gab nicht vieles, das sie aufbrachte und diese Situation gehörte sicherlich nicht dazu. Nach einer Weile erwiederte sie den Blick von Zisch mit einem Ruhigen und stetigem aber nicht weniger freundlichen Ausdruck. Nicht viel später wurde sie nach der Länge der Reise gefragt und sie überschlug die Entfernung. "Ich vermute, nur einige wenige Tage. Vielleicht drei. Mein Wagen mag nicht so schnell sein, wie ein Luftschiff, aber er ist zuverlässig." Mit ein wenig durchschimmerndem Stolz tätschelte sie das Holz des Fensterrahmens vor dem sie saß. "Ich habe darin schon halb Beleriar befahren!", verkündete sie strahlend und deutete dann nach vorne zu ihrer Stute. "Und die brave Panja hat uns geduldig überall hin gebracht. Sie ist wirklich ein tolles Mädchen.", sie sprach nun auch in Richtung des Pferdes, hoffte, dass diese das Lob wahr nahm. Schließlich war sie wirklich froh um das treue und sanftmütige Tier.

    Überraschung zeichnete sich auf Selens Gesicht ab. "Ihr.. was?" Mit großen Augen schaute sie zuerst auf Zisch, dann ungläubig auf die Straße. Sie wusste natürlich, dass es auch Eltern gab, die ihre Kinder im Stich ließen, doch sie hatte in der Wagenkaravane ihrer Mutter doch immer eine Zuflucht und eine Familie gehabt. Wie mochte es sein, gar nichts über die eigenen Eltern zu wissen? Mit nachdenklichem Gesicht überlegte die Hexe, was man auf so etwas erwiedern könnte. "An den Lagerfeuern der Dheoran seid ihr sicher immer willkommen.", sagte sie dann sanft und fügte mit einem leichten Schmunzeln hinzu: "Allerdings würde ich mir auch dort Lügengeschichten ersparen, sonst geht das nicht gut aus, aber.. eine Karavane würde nie jemanden verstoßen, der nichts unrechtes getan hat und erst reicht kein Kind." Ihre Gedanken drifteten wieder zu ihrem Vater zurück, der genau das eigentlich hatte tun wollen, wenn ihre Mutter ihn nicht gezwungen hätte, für Selen zu sorgen. Die Jahre ihrer Ausbildung waren zwar lehrreich aber nicht unbedingt schön gewesen. Dennoch wusste sie, dass ihre Familie immer für sie da wäre. Als Zisch dann erklärte, sie seien ungewöhnlich als Paar, sah Selen wieder auf. "Nicht ungewöhnlicher als andere auch. Mein Volk kennt viele Geschichten und so manche handelt von Paaren, die weit ungewöhnlicher sind. Die Lieblingsgeschichte meiner Mutter handelt zum Beispiel von einer Nixe, die sich in einen Zwerg verliebte." Die Hexe kicherte ein wenig. "Eine solche Verbindung bringt wahrlich einige Schwierigkeiten mit sich! Aber wenn beide sich genügend anstrengen, funktioniert es auch. Und bei euch beiden sehe ich diesbezüglich keine Probleme." Aus dem Augenwinkel nahm sie ein leichtes erröten wahr und musste Schmunzeln. "Die Liebe findet manchmal sehr eigenartige Wege, aber sie findet sie. Wenn ihr beide gewillt seid, stetig an der Beziehung zu arbeiten, werdet ihr eine sehr lange Zeit miteinander verbringen, vielleicht für immer." Offen und herzlich lächelte sie die Gnomin an, musste sich dann jedoch wieder auf die Straße konzentrieren, da ein großer Stein mitten auf dem Weg lag. Zisch erkundigte sich unterdessen nach den Nebenwirkungen des Schmerzmittels. "Das Schmerzmittel an sich macht einfach etwas müde.", erklärte sie beruhigend. "Ich vermute, dass dein Partner da hinten sich in letzter Zeit etwas übernommen hat und sein Körper sich jetzt einfach holt, was ihm zusteht, da er die Möglichkeit hat, und das ist schlicht Ruhe. Wenn er genügend Ruhe hatte, wird er erholter wieder aufwachen, würde ich meinen. Mach dir keine Sorgen, das Schlafen macht es dem Körper auch leichter, zu heilen, da er sich nur darauf zu fokussieren braucht." Sie warf noch einen kurzen Blick nach hinten und dann wieder auf Zisch, mit einem beruhigenden Ausdruck in den Augen. "Ich bin sicher, er ist bald wieder wach, dann könnt ihr euch streiten und wieder vertragen und alles ist gut." Ein Lächeln umspielte ihre Lippen, als sie an eine ihrer Cousinen dachte, bei der es immer so hin und her ging mit ihrem Mann, seit sie einen eigenen Wagen hatten.

    Verständnisvoll hörte Selen der anderen Frau zu, versuchte zu ergründen, was genau geschehen war, das sie so verärgert hatte, hoffte, dass die Beziehung zwischen den beiden keinen Schaden nahm, denn irgendwie war ihr das Pärchen nach der kurzen Zeit schon recht sympatisch geworden, vielleicht sogar ans Herz gewachsen. Doch als die Gnomin erwähnte, dass auch Nyx Djirin-Blut in sich trug, stockte sie. In ihrem Kopf stellten sich zwei Gesichter gegenüber und ihr wurde klar, wie ähnlich sich beide waren, auch wenn das eine nichts von der Bösartigkeit des anderen hatte. Dennoch war die Ähnlichkeit nicht abzustreiten. Wie hatte sie das übersehen können? Ihr Kopf fuhr herum. "Was weißt du über seinen Vater?", entfuhr es ihr doch sie riss sich kurz darauf am Riemen. "Tut mir leid, wenn ich unhöflich bin.. Du musst nicht darauf antworten..", schob sie hastig aber zunehmend nachdenklich nach. "Ich.. uhm.. Hoffe doch, das alles renkt sich wieder ein. Es wäre schade, wenn ihr beide nicht mehr zusammen wärt. Ihr gebt ein zu schönes Paar ab.", sagte sie mit einem ehrlichen Lächeln. "Und ich denke, es ist normal, wenn man sich gegenseitig zuweilen aufregt oder nervt. Solange man sich hinterher wieder vertragen und einigen kann, ist das nicht weiter schlimm. In meiner Familie wird öfter gestritten, aber deswegen sind die Beziehungen auch nicht unglücklich. Sagen wir.. leidenschaftlicher. Und das ist schließlich nichts schlechtes, nicht wahr?" Sie zwinkerte Zisch freundlich aber mit einem leicht schelmischen Ausdruck zu.

    Selen schüttelte mit einem Schmunzeln den Kopf. Wirklich ein Wunder, dass die beiden noch nicht verheiratet waren, wie sie fand. Sie ging zu ihrer Truhe und holte eine warme Decke, die sie dem nun Schlafenden überwarf. Dann setzte sie sich zu Zisch nach vorne und nahm ihr die Zügel wieder ab, welche sie bis dahin vorbildlich zu führen schien. Als sie einen Blick in das Gesicht der Gnomin warf, wurde recht schnell klar, dass sie zumindest verärgert war. "Was genau stört dich denn?", fragte sie deshalb gewohnt frei heraus. "Ich habe keinerlei romantisches Interesse an deinem Partner, falls dich das beunruhigen sollte. Ich möchte nur ergründen..", sie unterbrach sich, horchte in sich hinein und suchte nach den richtigen Worten. "Irgendwie ist seine Aura anders und das fasziniert mich. Ich bin einfach neugierig." Ihre Gedanken kreisten um diese Thema und versuchten zu fassen zu bekommen, was hier vor sich ging. Schwarze Augen starrten sie an, voller Abneigung und Missgunst und sie schüttelte leicht den Kopf, um sich wieder zu fangen, sah nur gedankenverloren auf die Straße. Das konnte nicht sein.

    Selen nickte zu den Worten der beiden. Das mochte durchaus sein, dennoch verabscheute die Hexe Lügen. "Dann lassen wir es dabei bewenden und einigen uns darauf, dass es fortan keine Lügen mehr gibt.", sagte sie fest und bestimmt, während sie ihre Hände mit einem Tuch reingte. Sie warf einen letzten prüfenden Blick auf die Verletzungen und nickte dann zufrieden. "Du kannst dein Hemd gleich wieder anziehen, aber lass es noch kurz einwirken." Wieder gelassener lauschte sie dann seinen Ausführungen, worüber sie alles nicht sprechen könnten. Es versprach wirklich eine spannende Reise zu werden, aber sie würde nicht nachbohren, auch wenn sie neugierig war. Sie schätzte zwar eine gute Geschichte aber die Menschen dahinter waren wichtiger und wenn es Gründe gab, die verhinderten, dass sie über bestimmte Dinge sprachen, so ließ sich das nicht ändern. Dann lächelte sie breit, als die Schmerzmittel anzuschlagen schienen. Wobei sie nicht damit gerechnet hatte, dass diese so starke Müdigkeit hervorrufen würden, wie es hier den Anschein hatte. Womöglich lag es aber auch nur daran, dass Nyx sich überanstrengt hatte und jetzt wo sein Körper bemerkte, dass er sich ausruhen konnte, forderte er diese Ruhe auch ein. "Möchtest du dich hinlegen?", fragte sie deshalb mit einem Schmunzeln und deutete auf ihr Bett. Es stand außer Frage, dass sie ihren Gästen die komfortablere Schlafmöglichkeit anbot, alles andere wäre unhöflich gewesen.

    Selens Blick ging mit hoch erhobenen Augenbrauen zwischen ihren beiden sten hin und her. Immerhin hatte Nyx die Beeren gehorsam geschluckt, doch die heftige Reaktion, die beide dann zeigten.. ließ sie doch grübeln. Als Nix dann seinen Oberkörper entkleidete, zeigte sich das ganze Ausmaß seiner Verletzungen und ihr wurde deutlich klar, dass sie beide in Bezug auf die Herkunft der Verletzungen nicht unbedingt ehrlich gewesen waren. Vermutlich deshalb hatten beide so reagiert, wollten nicht, dass das aufflog. Selen runzelte leicht ärgerlich die Stirn. Sie möchte Lügen nicht, doch sie würde das hier zunächst auf sich beruhen lassen. Sie studierte mit kritischem Blick die Versorgung ihres Patienten und war zufrieden. Allerdings fiel ihr noch eine Salbe ein, die bei derart starken Prellungen besser half, da sie wesentlich tiefer ging. Selen ging eilig zu ihrem Schränkchen und kramte sie hervor. Dann ging sie vor Nyx in die Hocke und begann damit alle Prellungen damit großzügig zu behandeln. "Ich werde euch nicht fragen, was ihr beide da wirklich getrieben habt, aber wenn ihr in Zukunft etwas nicht sagen wollt, verkneift euch die Lügen und sagt einfach, dass ihr das nicht verraten wollt.", sagte sie etwas verärgert während sie ihrer Arbeit nachging. Ihre Gedanken flogen nun doch zurück zu ihrem Vater und seinen Lügengeschichten und sie schnaubte etwas genervt, da sie eigentlich jegliche Gedanken an diesen Mann vermied. Allerdings brachte dieser Gedanke auch sein Bild in ihr hoch, was zur Folge hatte, dass sie den Mann vor sich nun intensiver musterte. Nein, das konnte nicht sein..