"So dies denn Eure Ansicht ist, werter Sicil, zeigt sie mir nur, dass Ihr derjenige seid, der nichts versteht. Euch muss nichts leid tun."
Ta'shara stellte ihr Glas auf dem Tisch ab. "Doch bedenkt eines: ich mag der Gefühle selbst nicht fähig sein..." Kurz überlegte sie und blickte dann Sicil erneut in die Augen. "... nicht so, wie ihr sie kennt... doch wer seid IHR mir sagen zu wollen, was ich verstehe und was nicht oder noch besser: was ich jemals zu fühlen im Stande sein werde und was nicht? Glaubt Ihr etwa mich zu kennen? Vermochtet Ihr in den wenigen Minuten, die wir uns unterhielten, einen Blick an jenen Ort in mir zu werfen, an dem Euresgleichen das Herz trägt, dass Ihr Euch erlaubt, was Ihr anderen versagt? Nämlich Euch ein Urteil zu bilden über mich? Sagt mir, was habe ich in Euren Augen verbrochen, dass Ihr urteilt?" Ta'shara lachte leise auf. "Erneut eine Aussage, die Ihr mir gegenüber ungerechtfertigt trefft und es den Menschen damit gleichtut. Etwas, von dem Ihr wünscht, dass es Euch nicht widerfährt!"
Bewusst legte Ta'shara eine gewisse Schärfe in ihre Worte, auch wenn sie keine Entrüstung verspürte. Noch nicht.
"Möglicherweise ist das oftmals negative Auftreten Euch gegenüber gar nicht so sehr in der Tatsache begründet, dass Ihr dem Volke der Nachtelfen angehört, sondern vielmehr darin, dass Ihr genau dieses Verhalten von anderen erwartet, wenn nicht gar provoziert."
Mit diesen Worten ließ Ta'shara ihre Maske fallen und blickte mit eisblauen Augen zu Sicil, musterte ihn unverhohlen. Keine einzige Regung verriet ihre Gedanken, während ihre Blicke wie kaltes Eislicht durch den Raum schossen und den Grund von Sicils Seele zu sezieren schienen. Ihre Stimme klirrte und als eisiger Hauch verließen ihre Worte die schön geschwungenen Lippen.
"Ich bin ein gefühlloses Monster Sicil. Ich fühle kein Mitleid und kein Erbarmen. Nicht mit Euch und auch mit sonst niemandem! Ihr seid ein jämmerliches Wesen, das lieber sich selbst verletzt, anstatt den Schneid aufzubringen, gegen jene vorzugehen, die es verantwortlich macht für sein Schicksal. Ich würde Euch auf der Stelle töten ohne mit der Wimper zu zucken, selbst wenn es mein Leben kosten sollte, würde ich es nur als richtig erachten und..." Ta'shara fixierte weiterhin den Nachtelfen mit den Augen einer Schlange, die eine Maus als Mahlzeit auserkoren hatte. Doch zwang sie sich, die Kälte zurück zu nehmen und Sicil ein Lächeln zukommen zu lassen, um mit sanfterer Stimme fortzufahren. "... und hätte ich nicht längst die Notwendigkeit erkannt, mein Verhalten anzupassen und nach bestimmten Mustern auszurichten. Gut, ich imitiere dieses Verhalten. Aber es hilft mir, den Menschen mit Achtung und Höflichkeit entgegenzutreten, anstatt ihnen beständig vor die Füße zu spucken und sie zu beleidigen. Damit ernte ich in den meisten Fällen Ignoranz, oftmals Neugier, manchmal Höflichkeit, aber seltenst Feindseligkeit." Ihr Blick verriet, dass sie von Sicil ebenfalls mehr Voraussicht erwartet hatte. Aber mitunter verkalkulierte sich sogar eine Valisar. Insbesondere, wenn sie nur zur Hälfte diesem Volk angehörte und noch dazu jung war. "Wenn Ihr mich einen Augenblick entschuldigen wollt?"
Sie nickte Brennan zu und ging in die Küche. Ta'shara brauchte einen Moment für sich alleine. Das Gespräch mit Sicil hinterließ Spuren. Sie hatte sich eben in dem kurzen Moment, in dem sie nicht angestrengt ihr Gesicht wahren und auf ihr Verhalten bedacht sein musste, gut gefühlt. Befreit. Stark. Und sie überlegte, warum sie sich beständig diesem Kodex unterwarf, sich anpasste, sich einschränkte. Warum machte sie sich etwas vor? Warum verbat sie sich, die zu sein, die sie war? Weil du das Monster fürchtest, das in dir ruht!
Ta%u2019shara lächelte, als sie zurück zu den Männern ging. Und ihr Lächeln galt beiden gleichermaßen. Sicil, weil er ihr gezeigt hatte, was sie nicht sein wollte. Und Brennan, weil er ihr gezeigt hatte, was sie vielleicht sein konnte.