Beiträge von Tamar

    „Eine Umarmung…“ Ein dunkles Schmunzeln huschte über Tamars Lippen. „Nein, so anspruchsvoll bin ich nicht. Mir hätte eine schlichte Verabschiedung vollauf genügt.“
    Sie zwinkerte lächelnd. Dann dachte sie einen Augenblick lang über sein Angebot, seinen Namen preiszugeben, nach, und spielte dabei gedankenversunken mit dem Ring an ihrem Finger. Sie wollte gerade antworten, da fuhr die Verkäuferin ihren Gesprächspartner an.


    Ihr Kopf wandte sich beinahe automatisch der Frau zu. Tamar sah sie verblüfft an. Man musste annehmen, dass es die Unhöflichkeit der soeben gehörten Worte war, welche sie dazu verleitete, beinahe mit offenem Mund die Frau anzustarren. In Wirklichkeit war die Tochter eines Händlers erstaunt über derart kontraproduktive Verkaufsstrategien. Sie musterte die Frau gering schätzend. Leise atmete sie einmal tief ein und aus, bevor sie das Wort erhob.


    „Entschuldigt bitte, aber Ihr unterbrecht unser Gespräch.“ Meinte sie sehr bestimmend und wandte sich dann wieder Ascan zu. „Wo waren wir? Achja, Ihr wolltet mir Eur…“
    Sie kam nicht dazu, ihren Satz zu beenden. Die Verkäuferin sprach sie an, nachdem sie sich von der höflichen Abfuhr erholt hatte.
    „Dann solltet Ihr Euer Gespräch andernorts fortsetzen, um Platz für andere…“ Und bei den nächsten Worten sah sie ganz eindeutig die Hand an, welche Ascan auf dem Verkaufstisch platziert hatte. „Ehrliche Kunden zu machen.“


    Im Bruchteil einer Sekunde hatte sich Tamar der Frau zugewendet. Es war unübersehbar, dass ein kalter Zorn in ihr aufstieg, als sie die Verkäuferin mit ihrem Blick geradezu an die Rückwand des Standes presste. Selbst Ascan musste auffallen, dass sie sich schlagartig verändert hatte. Etwas Grausames lag in ihrem Blick. Mit einem Mal war die Stille bis zum Zerreißen angespannt, und obwohl neben ihnen das bunte Markttreiben weiterging, so hätte man hier eine Stecknadel fallen hören. Die Verkäuferin schluckte.


    Tamars Stimme war kalt und herablassend, als sie die Stille wie eine Klinge durchschnitt. „Ihr solltet lieber dankbar sein, dass sich jemand für Euren Plunder hier interessiert, anstatt infame Unterstellungen herumzuschreien, alte Schachtel.“ Jedes ihrer Worte war klar und Hart wie ein Messerschnitt. „Ich unterhalte mich mit wem ich will und wo ich will. Und ich schwöre Euch, wenn Ihr noch einmal mich oder meinen Freund hier der Unehrlichkeit bezichtigt, dann werdet Ihr das bitter bereuen. Habe ich mich klar ausgedrückt?“


    Die Verkäuferin nickte stumm. Sie schien tatsächlich Angst bekommen zu haben. Auch Tamar nickte, und obwohl sie ihrem Ärger Luft gemacht hatte, leuchteten ihre Augen immer noch gefährlich dunkel. Sie wandte sich wieder Ascan zu. „Kommt, wir gehen.“ Forderte sie ihn energisch, jedoch ohne den boshaften Unterton in der Stimme, auf.

    Sie schwieg einen kleinen Augenblick länger, als es höflich gewesen wäre, ohne dabei ihre Augen von ihm abzuwenden. Es lag ein unbestimmtes Interesse in ihnen, als sie langsam über sein Gesicht glitten. Scharf sog sie die Luft ein, bevor sie antwortete.


    „In der Tat.“ Tamar legte den Ring aus der Hand, den sie bis eben gehalten hatte, und ging einen Schritt auf ihn zu. „Ich ging allerdings nicht davon aus, Euch noch einmal zu begegnen. Das letzte Mal, als wir uns sahen… habt Ihr mich doch recht abrupt stehen lassen.“


    Schwang Vorwurf in ihrer Stimme mit? Nein, einem Fremden war ein solches Verhalten, wie er es zuvor an den Tag gelegt hatte, nicht vorzuwerfen. Zudem waren ihre Augen, die auf den ersten Blick fast schwarz schienen, frei von jeden Vorwürfen. Nein, vielleicht wollte sie ihn einfach nur aus der Reserve locken… Sie lehnte sich leicht gegen den mittleren Stützpfeiler des Verkaufsstands. Es sah aus, als wolle sie noch etwas sagen- etwas Freundlicheres, ihrem Blick nach zu urteilen. Doch bevor ein Laut ihre Kehle verlies, schloss Tamar diese wieder. Sie würde seine Reaktion abwarten.

    Ein prüfender Blick, der die kennerischen, schnellen Finger begleitete, durch die schon so viele Schmuckstücke gegangen waren. Die dunklen Augen begutachteten das ihnen Dargebotene nüchtern und distanziert, bis sie den kleinen grünen Stein entdeckten, der als Schlangenauge in den Ring eingelassen war. Ein fasziniertes Funkeln mischte sich in den Blick, erwiderte den Glanz des kleinen Edelsteins. Für einen Moment schien es, als schwebe etwas in der Luft, als fände so etwas wie ein Gespräch zwischen dem Stein und ihren Augen statt.


    Dann, ganz plötzlich, blinzelte sie. Etwas schien sie erschreckt zu haben. Behutsam, aber dennoch sehr bestimmend legte sie den Stein wieder an seinen Platz. Für einige Augenblicke schien ihre bis dahin so ruhige, beinahe stoische Art einer inneren Hektik gewichen, die ihre Augen hastig über die Auslage trieb, ohne dass diese wirklich wahrnahmen, was sie sahen. Der Ausschnitt ihres Kleides verriet, dass ihr der Atem schwer in der Brust ging. Man konnte meinen, sie habe einen Geist gesehen.


    „Alles in Ordnung?“ fragte die Verkäuferin, der Tamars seltsame Reaktion nicht entgangen war. Sie wirkte allerdings weniger von ehrlichem Interesse getrieben als von dem Wunsch, den Ring zu verkaufen. Die junge Frau im roten Kleid sah zu ihr auf und nickte. „Ja, ich habe nur an etwas gedacht. Alles in Ordnung.“
    Die Verkäuferin nickte. „Ahja. Und, gefällt Euch der Ring?“
    „Er ist durchaus hübsch.“ Gab Tamar zu und nahm ihn wieder in die Hand. „Allerdings weiß ich nicht recht, ob ich Verwendung dafür habe.“


    Sie sah sich nachdenklich ein wenig um, sah von der Auslage vor ihr zum nächsten Stand, auf die Straße, über den staubigen Boden… bis ihr Blick an einer dunklen Gestalt haften blieb. Stück um Stück kletterte er den Mantel hinauf, bis er auf Augenhöhe innehielt. Tamars Augenbrauen zogen sich nachdenklich zusammen, aber nur für den Bruchteil eines Augenblicks. Als sie ihn erkannte, legte sich ein leichtes Schmunzeln auf ihre Lippen.

    Folgende Unterhaltung durfte ich neulich während einer Zugfahrt mithören und ich wollte euch daran teilhaben lassen ;)


    (zwei junge Männer, etwa Anfang bis Mitte Zwanzig, sitzen in einem Vierer in der Regionalbahn. Wir wollen sie schlicht A und B nennen. Zum besseren Verständnis ist der gesamte Dialog aus dem Badischen übersetzt. Das Gespräch dreht sich zunächst um die Freundin von B.)


    A: Ja, und wann wird geheiratet?
    B: (grinst verlegen)
    A: Und Kinder? (beide schweigen betreten) Naja, doch frühestens in drei Jahren, oder? In zwei Jahren ist das Studium vorbei und dann musst du erstmal ein Jahr lang Kohle scheffeln.
    B: Ja genau. In drei Jahren frühestens. (Pause) Meine Freundin ist ja total kindervernarrt.
    A: Echt?
    B: Ja… Die hätte am liebsten jetzt schon zwei.
    A: Oh.
    B: Ja. (Pause) Na, da ist sie bei mir total an den Falschen geraten! (grinst)
    A: Wieso?
    B: Na weil ich keine Kinder will! … jedenfalls nicht so früh.
    A: Hm. Hm.
    B: Aber ich hab wohl genug Vorteile! (lacht)
    A: (schaut ihn verständnislos an)
    B: Na ich hab so viele Vorteile, dass sie mich trotz des Nachteils nicht verlässt. Verstehst du? Ich habe eben so viele Vorteile! (lacht)
    A: Und das ist ein Nachteil?! (verständnisloses Gesicht)
    B: Nein! Dass ich keine Kinder will ist einer… Jedenfalls wird sie das so sehen.
    A: Achso.
    B: Genau. Aber ich tu ja sonst viel für sie.
    A: (lacht) Du sagst „Essen ist auf dem Tisch, wenn ich heimkomme“?
    B: (lacht mit) Ja! Aber das macht sie ja von alleine.
    A: Ja, meine auch.
    B: Und… bügelst du deine Hemden auch selber?
    A: Klar! Meine Freundin hasst Bügeln sowieso total.
    B: Äh… heißt das du bügelst auch ihre Sachen?
    A: Ja… (denkt nach) Sowieso tu ich viel mehr im Haushalt als sie. Ich putze immer. Und eigentlich putz ich jeden Tag irgendwas.
    B: Im Ernst?!
    A: (verlegen) Ja, ich hab so eine Art Putzfimmel. Ich hasse es, wenn nach dem Frühstück Krümel auf dem Boden liegen, da hol ich den Staubsauger. Und an den Wochenenden putze ich sowieso einmal alles.
    B: Und deine Freundin?
    A: (lacht) Die macht alles dreckig! Manchmal kann ich das so überhaupt nicht haben. Sie steht oft zu spät auf, dann fährt überall ihr Make-up rum und Klamotten, sowieso liegt überall was rum.
    B: Ja ja.
    A: (eifrig) Und dann zieht sie immer die Füße so hoch auf die Couch!! Das gibt doch Streifen!
    B: (entsetzt) Wie, mit Schuhen?!
    A: Nein, mit so… Haussocken. Aber die werden ja auch dreckig wenn man damit überall im Haus herumläuft. Und das gibt braune Streifen an der Kante. Dabei ist das Sofa so schön mangofarben!
    B: Oh, du meinst das neue?
    A: Ja genau. Aber ich sag nichts zu ihr. Sonst heißt es gleich „Ja aber ich will so sitzen, das ist bequem und basta“.
    B: Oh ja…
    A: Und dann die Kaninchen, wenn die rumhüpfen schmeißen die dauernd Stroh aus den Käfigen!
    B: Wie viele habt ihr noch mal?
    A: Zwei.
    B: Werden die dann auch mal gegessen? (grinst)
    A: (empört) Ha nein! Das geht ja nicht! Nein! Das… das sind doch Kaninchen! Da ist doch nichts dran!
    B: (etwas enttäuscht) Ach so…
    A: Ihre Mutter, die hat solche Feldhasen in der Scheune. Die sind viel größer. Die werden mal gegessen.
    B: Ah gut.
    A: Die haben grad Junge. Fünf kleine Hoppler.
    B: Und?
    A: Was und?
    B: Süß, oder?
    A: Total süß!
    (Betretenes Schweigen)
    A: Ich fürchte ja, meine Freundin will unsere auch irgendwann zusammen tun. Wir haben ja eine Häsin und einen Rammler.
    B: Wie, die sind nicht zusammen?
    A: Natürlich nicht! Getrennte Käfige! Die würden ja sonst dauernd Kinder machen! Solange es meine Wohnung ist, gibt es so was nicht! Was sollten wir dann mit den Viechern machen? Hm, weggeben wohl…
    B: Essen! Ihr könntet die Kinder essen!
    A: (lacht) Aber das gäbe Ärger!
    B: In so einer schönen Rotweinsoße… du kannst ihr ja erst danach sagen, was es war.
    (Beide lachen, erheben sich dabei und gehen Richtung Ausgang)
    A: Aber das würde nicht klappen, denn meine Freundin kocht ja immer!
    B: Stimmt ja. Bei mir auch. (denkt nach) Aber ich tu nicht so viel im Haushalt. Das hab ich aber noch von zuhause, da macht ja auch alles meine Mutter. Ich akzeptiere das ja auch und so…
    A: Hm-hm.
    B: Naja, ich tue eben andere Sachen für meine Freundin.
    A: Du gehst nicht fremd?
    B: Genau!
    (Beide lachen und gehen.)

    Er war ziemlich dick, das musste man trotz Höflichkeit zugeben, und die Kleidung, die er trug, konnte das nur schwerlich verbergen. Hinzu kam sein pausbäckiges Gesicht, das rot angelaufen war und ihn nun wie eine rote Kugel aussehen ließ. Der dicke Künstler, der auf dem Stand vor sich kleine hölzerne Figuren ausgebreitet hatte, regte sich gerade lautstark auf. Wenn man genauer zuhörte konnte man erahnen, dass seine Frau, eine blasse Gestalt, wohl einige seiner Kunststücke nicht nach seinen Wünschen angeordnet hatte. Er zeterte und schimpfte, so dass man es über die halbe Straße hören konnte.


    Seine Schimpftiraden brachen erst ab, als sich eine Kundin seinem Stand näherte. Sofort wurde er sehr geschäftig und ereiferte sich über seine kleinen Kunstwerke, während man die Kundin nur nicken sah. Sie trug ein langes, rotes Kleid, das den einen oder anderen Beobachter an die Farbe erinnerte, die bis vor kurzem noch das Gesicht des dicken Künstlers geziert hatte. Ihre dunklen Augen flogen über das, was der dicke Mann anbot, dann, mitten im Satz, sah sie ihn an, schüttelte lächelnd den Kopf und drehte sich um.


    Mit einem amüsierten Schmunzeln auf den Lippen schlenderte Tamar weiter über den Markt und sah sich dabei sehr interessiert um. Sie blieb an einem Stand hängen, an dem eine leicht schrullige Frau selbst gefertigten Schmuck anpries. Ihre Augen glitten schnell über das Sortiment, als suche sie etwas Bestimmtes. Der geschulte Blick blieb an einem silbernen Ring hängen, der die Form einer sich windenden Schlange hatte. Tamar trat interessiert nähert.

    Jede seine Bewegungen wurde von ihr beinahe argwöhnisch beobachtet. Nun aber sah sie kurz hinüber zum Geschehen auf der Straße. Ihr Blick wirkte starr, als nähme sie gar nicht wirklich wahr, was ihre Augen sahen. Dann, recht plötzlich, wandte sie sich Ascan wieder zu.


    "Ihr seid mein Kunde, gleich wie Ihr Euch benehmt. Wärd Ihr grob unverschämt geworden, hätte ich mich vielleicht gezwungen gesehen, Euch rauszuwerfen, aber da Ihr von alleine gegangen seid, sind wir über diesen Punkt längst hinaus."


    Tamars Blick richtete sich auf den Apfel, den er aufgehoben hatte, dann glitt er langsam über die gesamte Gestalt. Ihre Gedanken in diesem Moment zu kennen wäre sicherlich nicht uninteressant gewesen, doch sie zog es vor, diese für sich zu behalten.


    "Falls ich dennoch irgendetwas für Euch tun kann, zögert nich, es mich wissen zu lassen." fügte sie dann mit ungewohnt freundlich-samtiger Stimme hinzu.

    "Messer?" Tamar zog eine Augenbraue hoch. "Ich nehme einfach zu Euren Gunsten an, dass Ihr Euch nicht viel unter Menschen aufhaltet, andernfalls müsste ich Euch Eure wiederholte Unhöflichkeit übelnehmen. Derartige Unterstellungen in aller Öffentlichkeit..."


    Sie schüttelte den Kopf über sein Verhalten, aber entgegen der üblich menschlichen Logik nahm sie ihm nicht etwa zornig das Buch weg- Tamar ließ den Fremden gewähren. Ebenso seltsam mutete es an, dass sie das Tohuwabohu auf der Straße nur eines müden Blickes würdigte. Sie schien ihn nicht aus den Augen lassen zu wollen, aus dem einen oder anderen Grund...


    "Es tut mir leid, wenn meine Waren Euren hohen Standards nicht genügen können." meinte sie dann und ein gewisser Hauch Ironie lag auf ihrer Stimme. "Normalerweise würde ich Euch noch einige andere Bücher zeigen, aber da es Euch in meinem Laden nicht zu behagen scheint, bin ich in dieser Hinsicht, fürchte ich, machtlos."

    Für einen Moment stand sie reaktionslos da, nachdem er geantwortet hatte. Sie blinzelte. Dann zog sie mit der freien Hand das Buch unter ihrem Arm hervor und hielt es ihm langsam entgegen.
    Tamar sah ihn direkt und wesentlich kritischer als zuvor an. Sie schien ein gewisses Unbehagen dabei zu empfinden, mit kostbarer Ware vor ihrem Haus herumzustehen, noch dazu mit einem Fremden, dessen Aufmachung nicht gerade die vertrauenswürdigste war. Auch Ascan musste dieses Unbehagen auffallen, so wie sie ihn ansah.
    Kurz bevor das Buch seine Hand berührte, hielt sie inne. Nein, wenn er es sehen wollte, dann musste er es sich schon selbst holen. Ihr Blick wirkte nun ein wenig herausfordernd, so als wolle sie testen, ob er ihr Vertrauen verdient hatte.

    Ein wenig verdutzt sah sie ihm nach. Auch nach so vielen Jahren in diesem Beruf konnte einem immer wieder Neues passieren! Tamar verzog das Gesicht und zuckte mit den Schultern. Sie sah das Buch an, von dem er gesprochen hatte, und wollte danach greifen. Plötzlich hielt sie inne, drehte sich um und ging schnurstracks zum Tresen. Aus einer Schublade holte sie etwas heraus, das in ihrer Kleidung verschwand. Dann ging sie zur Vitrine und nahm das Buch an sich.


    Tamar schob die Hautür auf und sah sich nach dem Fremden um. Das Buch hatte sie an ihre linke Körperseite gepresst und hielt es mit dem Arm fest. Sie ging zu ihm hin. Für einen Moment schien sie zu zögern, dann aber streckte sie vorsichtig ihre rechte Hand nach ihm aus und legte sie sanft auf seine Schulter. "Alles in Ordnung?" fragte sie ernst.

    Diese Melodie, diese einfache kleine Melodie, die aus nur wenigen Tönen bestand und ein wenig blechern aus der Spieluhr gekommen war, hatte die Stimmung verändert, das war sofort zu spüren. Vielleicht lag es daran, dass sie einem Schlaflied nachempfunden zu sein schien, aber es war ruhig, beinahe friedlich geworden.


    "Ich dachte, es gefällt Euch vielleicht. Ihr wirktet gerade... so angenehm verloren in Euren Gedanken. Ich fand einfach, dass diese Melodie zum Augenblick passte." erklärte sie mit gedämpfter Stimme. "Außerdem mag ich dieses Liedchen selbst sehr gerne. Diese kleine Spieluhr ist noch nicht lange in meinem Besitz, aber sie erinnert mich an etwas, das ich früher einmal besessen habe, vor langer Zeit..." Sie blinzelte ein paar Mal und räusperte sich dann leise. "Entschuldigt, ich schweife ab. Und ich wollte Euch ganz sicher nicht beim lesen stören."


    Mit diesen Worten setzte sie ein versöhnliches Lächeln auf und ihre schlanken Finger zogen die Spieluhr erneut auf.

    Ohne ein Wort ließ sie ihn gehen, ließ ihn sich umsehen. Er konnte, nun, da er ihr den Rücken zugewendet hatte, nicht mehr sehen, was sie tat- wohl aber hören.
    Ihre Kleidung raschelte, als sie sich bewegte, und ihre Schritte ließen den alten Dielenboden knarren. Sie ging quer durch den halben Raum zum Tresen und kramte dort für einige Augenblicke leise herum. Dann näherte sie sich ihrem Kunden wieder, aber ohne jegliche Hast und auf eine geschmeidige Art und Weise, die eine gewisse Körperbeherrschung preisgab.


    Ihre Augen, dunkel und ruhig, sahen ihn an, wie er da kniete und das Buch betrachtete. Etwas Versonnenes kam auf ihre Lippen, ein durchaus liebenswertes, freundliches Lächeln. Sie wollte ihn nicht stören, so gedankenversunken wie er aussah. Ihre Hand glitt über einen Gegenstand auf dem Tisch hinter ihm. Ein leises Geräusch von klickendem Metall wie dem eines kleinen Verschlusses legte sich über die Stille. Dann erhob sich eine sanfte Melodie in den Raum, ohne dabei die Stille auf erschreckende Art zu durchbrechen. Vielmehr wie ein lieblicher Geruch breitete sie sich aus. Es war eine kleine Melodie, die eindeutig von so etwas wie einer Spieluhr kommen musste, die wohl hinter Ascan stand...

    "Es interessiert mich durchaus, mit keinem Wort habe ich das Gegenteil behauptet." erklärte sie nüchtern. Sie sah einen Moment lang auf den Flakon, dann wieder auf den Mann. Sie mustert ihn blinzelnd. Seine letzten Worte hatten ihr zu Denken gegeben.


    "Ich befürchte, Ihr schätzt mich falsch ein, wenn Ihr denkt, ich gäbe nichts auf Euer Wort, nur weil es mir keinen Gewinn einbringt. Ihr scheint ein weitgereister Mann zu sein, sicher habt Ihr vieles auf Euren Reisen erlebt und gesehen, das Euch zu dieser Einschätzung kommen ließ..." Sie hielt kurz inne. "Aber manchmal bedarf es eines zweiten Blickes, eines genaueren Hinsehens, um die Wahrheit zu erkennen." Sie legte ihre Finger auf den Flakon. "So wie Ihr es bei diesem Stück hier getan habt."


    Nun sah sie ihn wieder an, aber anders als zuvor, und auch ihre Stimmlage hatte sich geändert, war auf eine seltsame Art und Weise samtig geworden...

    Erstaunlich ruhig reagierte sie auf seine Ausführungen, wenn man bedenkt, was manch jähzorniger alter Händler dem fremden Mann an den Kopf geworfen hätte. Tamar schmunzelte, aber mehr für sich selbst. Dann sah sie ihn an.


    "Eine interessante Behauptung. Ich darf annehmen, dass Ihr selbst in Corandir gewesen seid und tiefere Einblicke in dieses Kunsthandwerk erhalten habt? Anderfalls könntet Ihr kaum so ruhig hereinspazieren und mich der Lüge bezüglich meiner Waren bezichtigen."


    Ihr Tonfall hatte sich kaum geändert, war wieder ruhig und freundlich, was vielleicht verwirrend sein konnte, da der Inhalt ihrer Worte doch eher feindselig zu sein schien. Oder wollte sie den Fremden nur prüfen? Tamar sah ihn direkt und ruhig an.

    Versuchte er, sie aus der Fassung zu bringen? Tamar dachte für einen Moment darüber nach. Aber zu lange schon hatte sie in diesem Beruf gelebt, war in ihn geboren worden, war in ihm aufgewachsen, hatte ihn geatmet und gespürt. Er würde mehr aufbieten müssen als einen flugs dahingesagten Satz.


    "Ihr seid ein Experte, wie?" Sie schmunzelte. "Ich war bisher stets der Meinung, es sei ein Original. Aber bitte, sollte ich einem Betrüger aufgesessen sein, so klärt mich auf!"


    War das Ironie in ihrer Stimme? Sie sah ihn direkt an, vielleicht schon ein bisschen herausfordernd, ohne dabei aber ihre Rolle als freundliche Verkäuferin zu verlassen.

    Ein dunkler Schatten huschte in Form eines Schmunzelns über ihre Lippen. Doch sie gab sich betont geschäftig.


    "Also, wenn Ihr möchtet, könnt Ihr natürlich alle einmal ausprobieren. Sie sind wirklich wunderbare Einzelstücke! Ihr werdet niemanden in Nir'alenar finden, der diese Düfte sonst besitzt!" erklärte sie und lächelte.


    Der dicke Vogel schien keine Lust mehr zu haben, auf ihrer Schulter zu sitzen. Er flog davon und landete nach einigen Ehrenrunden in einem Regal neben dem Fremden. Es schien, als sähe er Ascan direkt an. Tamar schmunzelte.


    "Entschuldigt bitte meinen kleinen Freund hier, er ist gerade etwas beleidigt. Wir hatten eben einen Disput, wie Ihr vielleicht gehört habt. Er ist manchmal ein sehr ungezogener Junge, der leider viel zu viel futtert. Das darf ich nicht unterstützen." Sie lächelte wirklich ehrlich, dann sah sie zu dem Vogel. "Denn ich würde ungern sehen, wie ein so guter Freund als Katzenfutter endet. Nicht wahr, mein dicker kleiner Sirah?"


    Der Vogel zwitscherte kurz. Tamar nickte und wandte sich wieder ihrem Kunden zu. "Also, welches möchtet Ihr ausprobieren?"

    Ein geschäftiges Lächeln kam auf ihre Lippen. Sie ging erst einige Schritte auf ihn zu, dann aber drehte sie sich in einer fließenden Bewegung zur Seite, dorthin, wo der Vogel auf der Lampe saß. Er sah sie an und gab wieder einige seiner aufgeregten Pfeiftöne von sich.


    "Einen Moment..." Sie ging zielstrebig zu einem der Regale, dessen oberer Teil Türen mit leicht milchigen Fenstern besaß. Plötzlich tauchte ein silbern blitzender Schlüssel in ihren Fingern auf, ohne dass Ascan hätte erkennen können, woher sie ihn genommen hatte, und sie schloss das Regal auf. Viele bunte und teilweise sehr kunstvolle Flakons kamen zum Vorschein. "Corandir..." hörte er sie murmeln.


    Sie sah sich prüfend um und legte dabei eine Hand an ihr Kinn, die andere an die Hüfte. Nach einem kurzen Moment griff sie beherzt nach einem Fläschchen, drehte sich um und stellte es auf den brusthohen Verkaufstisch, auf dem auch die Lampe mit dem Vogel stand. "Dieses hier zum Beispiel. Und..." Sie drehte sich wieder um. In wenigen geschmeidigen Bewegungen hatte sie bald fünf oder sechs Flakons aufgereiht. Zwei von ihnen wirkten sehr kostbar und aufwändig gearbeitet, während die anderen, obschon nicht minder schön, weniger kunstfertig hergestellt worden waren. "Nehmt dies als Beispiel. Ich habe noch ein paar mehr, falls diese Euch nicht zusagen."


    Wieder lächelte sie freundlich und sah ihn abwartend an. Ein kurzer Blick zu dem Vogel, der sie beinahe pikiert ansah. Sie gab einen ganz leichten Pfiff von sich, da flatterte er von seiner Lampe weg und ließ sich auf ihrer Schulter nieder. Die junge Frau lächelte ihn an. "Braver Junge."

    Nur für einen winzigen, kaum spürbaren Moment war sie von der scheinbaren Unhöflichkeit des Mannes irritiert, aber sie ließ es sich nicht anmerken. Sie zog nur eine der schlanken, braunen Augenbrauen hoch und nickte.


    "Selbstverständlich. Wir haben allerhand Waren aus Corandir; Stoffe, Düfte, Schmuck, was das Herz begehrt." Sie sah sich im Raum um und wandte ihm dann wieder den Blick zu. "Aber da Ihr so direkt fragt, nehme ich an, Ihr sucht etwas Bestimmtes. Sagt nur bescheid und ich werde sofort sehen, was ich für Euch tun kann." Ihre Stimme klang freundlich, sympathisch, aber wenn man genau hinhört, schien es auch so, als kämen ihr diese Worte sehr leicht von den Lippen, wie bereits tausendmal gesagt...

    Eine Tür in eine andere Welt? Nur ein altes Stück Holz, und doch verbindet es völlig unterschiedliche Dinge, führt von der lauten, staubigen, hektischen Straße hinein in einen Raum, der gerade durch den Unterschied angenehm ruhig wirkt. Ein feiner Geruch nach neuen Stoffen und Frühlingsblüten liegt in der Luft. Gelbe Vorhänge hüllen den Raum in ein warmes Licht. Es dauert einen Moment, bis die Augen sich daran gewöhnen.


    Nun offenbart sich ein Raum von viereckigem Grundriss, an allen Seiten zugestellt mit Regalen und Vitrinen, die ihrerseits zwar vollgestopft, aber nicht unordentlich aussehen. Auch in der Mitte des Raumes ist allerhand Plunder ausgestellt nebst zwei äußerst bequem aussehenden Sesseln. Vor der Tür am anderen Ende des Raumes steht ein breiter Tresen.


    "Nein, mein Lieber, ich habe es dir tausendmal gesagt." Eine warme Stimme durchbricht die Ruhe des Raumes. Sie dringt durch die halboffene Tür am anderen Ende. Eindeutig gehört sie einer Frau. "Es ist mir egal, dass du nicht auf mich hören willst, aber erwarte nicht, dass ich mich noch einmal wiederhole!" Die Stimme klingt energisch, sehr bestimmend, ohne dabei aber böse zu werden. Dann rumpelt etwas laut.


    Mit aufgeregtem Gezwitscher schießt ein heller Federklumpen durch die Tür und saust einmal durch den Raum, bevor er sich auf einer antik aussehenden Lampe niederlässt. Es ist ein Vogel, ein rot-gelber Singvogel, der zugegebenermaßen ein wenig dick zu sein scheint. Er gibt noch einige Pfiffe von sich, bevor die Tür ganz aufgestoßen wird.


    "Schmoll soviel du willst, es gibt heute kein Fut... oh." Eine junge Frau steht im Türrahmen. Ihre Worte waren abgebrochen, als sie den Besucher bemerkt hatte. Kaum einen winzigen Augenblick braucht es, bis ihre Überraschung verflogen ist und sie ein geschäftiges Lächeln aufsetzt. Sie geht einige Schritte in den Raum hinein. "Einen schönen guten Tag! Entschuldigt, ich habe Euch gar nicht hereinkommen hören. Kann ich Euch irgendwie behilflich sein?" Sie sieht den Fremden freundlich und ruhig an, während der kleine Vogel einige beleidigt klingende Töne von sich gibt.

    Es war vielleicht eine halbe Stunde später, noch mitten am Tag, aber durchaus zu einer Zeit, in der manch einer eine wohlverdiente Mittagspause einlegte, als Jungunternehmerin Tamar Yalin das Gasthaus betrat. Ab und zu hatte man sie hier schon gesehen, meist zur selben Zeit, wenn sie sich eine kleine Auszeit von der Arbeit in Form eines schönen Getränks gönnte. Manchmal erwies sie sich dabei als sehr unterhaltsame Gesprächspartnerin, aber es kam auch schon vor, dass sie einfach nur still ihr Getränk leerte und ging. An diesem Tag aber schien sie eher gesprächig zu sein, zierte doch ein Schmunzeln ihre Lippen. Ihre Kleidung war- wie so oft- schlicht, ohne dabei minderwertig zu wirken. Auffallen war wohl nicht das Ziel, das sie mit ihrem Auftreten verfolgte.
    Mit einem Nicken grüßte sie die Anwesenden und ging dann schnurstracks zum Tresen. Sie wartete ruhig ab, bis die Wirtin zu ihr kam, um auch diese erst freundlich zu grüßen, bevor sie sich etwas zu Trinken bestellte. Dann sah sich Tamar im Raum um, ob vielleicht ein bekanntes oder wenigstens ein interessantes Gesicht dabei war. Gegen einen kleinen Plausch in der Mittagspause hatte sie offenbar nichts einzuwenden, im Gegenteil, wie langweilig erschien ihr an diesem Tag die Vorstellung, einfach nur still am Tresen etwas in sich hineinzuschütten. Ihr Blick streifte auch die Feenelfe. Sie lächelte ein wenig, doch schien sie erst auf ihr Getränk warten zu wollen, bevor sie sich einen Gesprächspartner suchte.