Erinnerungen der Gegenwart

  • Als er zurückkehrte, schmeichelnde Worte zu ihr sprach, erfuhr ihre Stimmung sehr wohl einen kleinen Aufschwung, jedoch konnte sie die Absicht dahinter nicht erkennen. Vielleicht gab es auch keine besondere und sie sah nur Geister, wo für jeden anderen keine waren. Ihre Gedanken eilten ihr voraus, flink und unsichtbar, hatten sie fliegen gelernt, ohne dass sie etwas davon gemerkt hatte. Jetzt gab es jedenfalls kein Zurück mehr, das stand fest.


    Die Bewegung durchfuhr sie beinahe wie ein zuckender Blitz, obwohl es nicht sie war, die Ascan berührte. Wie hypnotisiert - vom Blick einer Schlange? - verfolgte sie, wie die Hand seine Kapuze streifte, irgendetwas damit beabsichtigte, und es dann doch unbeendet ließ. Dinge sollten zu Ende gebracht werden, egal, um welche es sich handelte. Anscheinend war ihr Gegenüber anderer Meinung, doch was ging sie das schon an ... Schließlich war da ganz deutlich wieder eine Mauer aufgetaucht, durch die man zwar hindurchsehen, aber nicht besonders gut fühlen konnte. Nur was für andere bestimmt war, drang auch hindurch. Wollte sie das? "Wenn Ihr schon zwischen verschiedenen Anreden schwankt, können wir uns doch auch einigen. Ich und ... du?", sagte sie fragend, probierte den Klang des Wortes im Zusammenhang mit seiner Gestalt. Sie hätte sich sein Gesicht eingeprägt, wenn nicht ...


    Dann folgte ihr Blick dem seinen, wanderte neugierig die Straße hinauf, und blieb auf lichtem, einladendem Grün liegen. Ja, sie liebte die Natur, und wo sie sich auch befand, wurde sie vom pulsierenden Leben angezogen. Der Ort rief sie, und sie verspürte das Verlangen, dem Drängen nachzugeben.

  • Ascan schwieg vielleicht einen Augenblick länger, als höflich gewesen wäre. Durfte er überhaupt zustimmen? Das Vertrauen, das sie in sich trug, war vielleicht zu alt…. die Erinnerung an damals… an ihn zu verklärt…
    Er war sich nicht sicher… ein Zögern, das ihm, als es ihm bewusst wurde, einen Schauer durch die Adern jagte.
    Würde das denn nie aufhören?

    „Gern“, nickte er und merkte, wie sich seine Haltung ebenfalls etwas entspannte. Das Grün schimmerte noch immer verheißungsvoll am Ende der Straße und ihm war nicht entgangen, dass Losifas Blick seinem dorthin gefolgt war.
    „Es ist sicher schön dort…“, sprach er etwas ruhiger und betrachtete sie noch einmal mit einem unsichtbaren Lächeln. „Du kannst mich begleiten… natürlich nur… wenn du möchtest.“


    Es verspräche eine angenehme Gesellschaft zu werden, auch wenn Ascan nicht wirklich hoffen konnte, dass sie zustimmen würde. In einer Stadt wie dieser arbeiten und leben zu können; setzte so etwas nicht voraus, nur eine geringe Sehnsucht nach den Schönheiten der Natur zu verspüren?


    Das Blut der Sylphen fand keinen Raum zwischen den endlosen Grenzen der Städte. So viele Seelen eingepfercht, gelenkt von künstlich gezogenen Mauern…
    Was für ein rätselhaftes Glück existierte hier für diese Städter - die diesem Irrgarten doch nicht einmal in die Luft entfliehen konnten?

  • Mit jedem Moment fühlte sie die Gegenwart der Natur stärker, war sich der Präsenz dieses kleinen Parkes übermächtig bewusst. Sie staunte, dass ein so kleines Stückchen Grün so eine starke Anziehung auf sie ausüben konnte - selbst in einer Stadt, wo es typischerweise überhaupt kein Grün gab. Nun ja, in großen Städten brauchte man das wohl als Ausgleich. Schließlich war jedes Wesen ein Teil der Natur und als solches mit ihr verbunden. Manche mehr und manche weniger. Tiere stärker als Menschen. Schlangen, Vögel, Katzen, Mäuse und Wölfe ... sie alle mussten früher oder später ihren Ursprung anerkennen und im Einklang damit leben.


    Erstaunt lachte sie auf und es tönte hell über die Straße. "Wie könnte ich, eine Tua'Tanai, nicht wollen? Das Grün, wie klein es auch ist, ist unsere Heimat", erklärte sie. Für sie war es unbegreiflich, dass jemand das in Frage stellen konnte. Doch schnell fasste sie sich wieder, schließlich hatte er nicht wissen können, dass sie kein dem Boden entflohener Stadtmensch war.


    "Wollen wir gehen?", fragte sie. Jetzt, mit vollem Bauch und ohne direkte Bedürfnisse, konnte sie sich ganz dem Mann widmen, dem sie heute so unerwartet begegnet war. Dem Mann, der sie vor siebenundzwanzig Jahren auf der Straße gefunden hatte. Sich an sein abruptes Verschwinden erinnernd fragte sie sich nachdenklich, was ihn wohl fortgezogen hatte. Konnte sie es erfahren? Wenn sie ... was tat?


    Die Zeit würde es letztendlich zeigen. Losifa übte sich schon lange in Geduld.

  • „Na dann“, nickte der Sylph erfreut. Sie war eine Tua’Tanai?
    Auf dem Weg zum Park beobachtete er sie seitlich aus dem Schatten der Kapuze heraus.


    Als er immer sicherer wurde, ihr Patentier bestimmen zu können, betraten sie den Parkweg, der unter einem erstaunlich dichten Blätterdach hindurchführte. Ascans Aufmerksamkeit wurde abgelenkt. Blätterrauschen schwang durch die Luft, vermischt mit einem vertrauten Geruch nach Erde und Waldschatten. Er schöpfte tief Luft, als könne er erst hier wieder richtig atmen, und vermied einen letzten Blick über die Schulter, wo die trockenen Häuserfassaden hinter ihnen zurückfielen.


    Obwohl die Stille erholsam war und kaum Leute ihnen entgegenkamen, machte er sich bald Gedanken, wie er ein neues Gespräch mit seiner Begleiterin beginnen konnte. Falls sie überhaupt reden wollte…
    „Du wohnst jetzt also hier in Nir’alenar… ganz allein? “


    Er schloss den Mund rasch wieder und blickte geradeaus. Das ging ihn nichts an.

  • Sobald sie Straße und Häuser hinter sich gelassen hatten, war es Losifa, als könnte sie freier atmen. Die Luft strömte frisch und klar auf sie ein, durchsetzt vom herrlichen Duft der Bäume und des Grases ... hier fühlte sie sich schon viel wohler, seit sie in der Stadt war. Vielleicht sollte sie öfter hierher kommen - genau das war es, das sie brauchte, um hier angenehmer leben zu können. Auch merkte sie, dass ihre Bewegungen wie von selbst freier und geschmeidiger wurden und sich etwas von der Steifheit in ihrem Körper löste.


    Kurz darauf begrüßte sie den Klang seiner Stimme. Ach ja, Ascan war auch noch da ... jetzt, wo sie sich wohl fühlte, wurde sie noch neugieriger - hielt sich allerdings zur Zurückhaltung an. Sie konnte sich doch nicht jedem so an den Hals werfen. Also beantwortete sie erst einmal seine Frage.


    "Hin und wieder bin ich gerne Einzelgängerin. Und von meinen Freunden im Wald wollte niemand mitkommen - verständlich. Aber glaube nicht, dass ich mich nicht wehren könnte, wenn es nach Gefahr riecht." Genau genommen wusste sie selbst nicht, was sie da sagte. Die Worte strömten einfach aus ihr heraus und wenn das so war, würden sie ihr doch bestimmt nicht selbst schaden.


    War es nicht Brauch so: Frage und Gegenfrage? "Was führt dich denn hierher? Du siehst nicht aus wie jemand, der hier in der Nähe wohnt."



    (Sry, war lange weg ... aber jetzt wieder da. :) )

  • Ascan lächelte bitter.
    Die Bäume lichteten sich zu seiner Seite, gaben den Blick frei auf einen kleinen, dunkelgrünen Teich. Libellen schwirrten um die weißen Seerosen.


    „Ich warte… auf jemanden“, antwortete er, sodass es fast wie ein dunkles Seufzen klang.


    Wie vor hundert Jahren vergessen, stand eine alte Bank dem Teich gegenüber. Lichtflecken tanzten auf dem morschen Holz, ließen die Flügel der Libellen aufblitzen, wo immer sich die surrenden Insekten durch sie hindurch bewegten. Die Bäume schlossen einen grünen, undurchdringlichen Kranz um diesen friedvollen Ort. Ascan lauschte auf seinen eigenen ruhigen Herzschlag. Waren sie hier… überhaupt noch in Nir’alenar?


    „Und ich werde bald nach etwas schicken… das ich nicht haben will.“


    Ein Glucksen erklang vom Teich. Einer der Fische hatte nach dem Schatten einer Libelle geschnappt. Nun zog er sich enttäuscht ins tiefe Grün unter der Wasseroberfläche zurück, während der Blick des Sylphen seinem stromlinienförmigen Leib folgte, bis nichts mehr davon zu sehen war.
    „Wie sehe ich denn aus?“ fragte er danach ruhig und wandte sowohl seinen Körper als auch seine Aufmerksamkeit wieder gänzlich Losifa zu.


    (...willkommen zurück [Blockierte Grafik: http://i273.photobucket.com/albums/jj215/Venom-San/Happy-wei-Finish-1.gif])

  • Täuschte sie sich, oder wurden seine Schritte plötzlich schwer, neigte sich sein Rücken? Die Worte klangen bitter, voller Erinnerungen und ... Erwartungen?


    Der Ort bezauberte auch sie. Sorglos lief sie hinunter zum klaren Teich, in dem sich das leuchtende Grün der Bäume spiegelte, tauchte Finger ins Nasse und fuhr sich damit übers Gesicht. Obwohl selbst Landwesen, liebte sie doch den Anblick des Wassers. Und die Fische mit ihren glänzenden Leibern, so widerstandslos, wie man nur sein konnte ... warum kam ihr dieser Gedanke nur so bekannt vor?


    "Es klingt, als wärst du unglücklich", stellte sie ernst fest und wandte sich Ascan wieder zu. Der Mann ohne Gesicht. Von Augenblick zu Augenblick störte es sie mehr, als wäre da etwas, das sie nicht sehen sollte, als wäre sie zu jung dafür. Wie alt war er wohl? "Du willst wissen, wie du aussiehst? Tut mir leid, das kann ich aber nicht beurteilen ..." Vorsichtig wagte sie sich heran und zupfte leicht am Ende der schwarzen Kapuze - nur, damit er wusste, auf was sie anspielte.

  • „Du hast wohl Recht.“ Ruhig nahm er ihre Hand, die seine Kapuze berührt hatte. Doch anstatt diese hinab zu ziehen, hielt Ascan sie noch eine Weile auf Höhe des schwarzen Stoffes.
    Was hoffte er? Es würde ihr kein Glück bringen, sein Gesicht zu kennen. Was er ihr damals Gutes getan hatte, sollte er nun nicht durch einen Fehler zunichte machen. Wenn sie ihn doch nur nicht so… an seine Einsamkeit erinnern würde…


    „Unglücklich…? An den Umständen gemessen, bin ich glücklicher als ich sein dürfte.“ Er hätte ihre Hand noch länger gehalten, doch es begann, Bedeutung zu entwickeln, was er zu ihrem Wohl nicht zulassen konnte. Etwas war da. Eine seltsame Verantwortung für dieses Mädchen aus seinen wiedergekehrten Erinnerungen. Sie war vertraut. Falls man von Vertrauen sprechen konnte. Zumindest… war sie ihm nicht so fremd, wie alles andere auf seinen Wegen.


    Seine Hand löste sich von ihrer. „Dann arbeitest du hier in der Stadt, Losifa?“ Seine Freundlichkeit blieb höflich, doch sie war ehrlicher und es fiel ihm nun leichter, sie etwas zu fragen… solange er sich nicht bewusst machte, was er hier tat.

  • Gespannt verharrte sie, ihre Hand in seiner, und wartete. Was hatte er vor? Er schien sich selbst nicht sicher zu sein. Und warum tat sie das alles überhaupt? Nun, weil sie gerade müßig und neugierig war und es sie nach bekannten Gesichtern verlangte - oder welche, die sie zu bekannten machen konnte. Das unermüdliche Verlangen, nicht allein zu sein. Jedes intelligente Wesen suchte im Grunde seinesgleichen, auch wenn man sich als überzeugter Einzelgänger betrachtete. Dieses Wissen nützte ihr allerdings nichts. Sie fühlte sich nur gerechtfertigt und etwas sicherer, wenn sie daran dachte ...


    "Das klingt ebenfalls unglücklich", erwiderte sie auf seine erste Bemerkung. Da war wirklich etwas Seltsames an ihm, etwas, das sie ahnen ließ: Er war nicht ihresgleichen, er stammte aus einem gänzlich anderen Volk mit anderen, ihr unverständlichen Wünschen und Sehnsüchten.


    Wie immer, wenn eine feste, warme Berührung schwand, ließ der Nachhall seines Griffes eine kalte Leere zurück. Was soll's ... daran würde sie sich gewöhnen müssen. Diese Stadt schien angefüllt mit flüchtigen, unbestimmten Berührungen.


    Seine Frage verstand sie nicht, nicht wirklich. War das denn wichtig? "Ja", begann sie unsicher, "aber was hat das damit zu tun?" Eigentlich riet sie damit ins Blaue. Sie würde schon dankbar über jede kleine Offenbarung sein, die sie ein wenig mehr über Ascan wissen lassen ließ.


    Seltsam war sie - sehnte sich danach, beinahe völlig ins Leben anderer Wesen einzutauchen.

  • Ascan schwieg. Er betrachtete Losifa, die ihm noch immer so nahe stand; erforschte ihr Gesicht, die Neugier in ihren Augen.


    „Nichts“, er lächelte und blickte den Parkweg entlang. „Vielleicht wollte ich nur ablenken.“
    Nachdenklich verharrte er auf diese Weise, lauschte den Libellen, die vertrauensvoll näher kamen, je länger sie sich in ihrem Heim aufhielten.
    Sie schien glücklich auf dem Weg, den sie sich errungen hatte. Vielleicht war er tatsächlich einmal gut für sie gewesen... aber es war nicht die Zeit für ein zweites Mal. Er musste sich zurückziehen. Jetzt, solange er noch keinen Abzweig auf ihrem Weg geöffnet hatte.


    Ascan trat vor Losifa zurück. Keine Fragen mehr. Keine Antworten.
    Es war richtig so… denn sie war nicht bedeutungslos. Vielleicht würde sie es verstehen… aber selbst, wenn nicht, würde es nichts an seiner Entscheidung ändern.
    "Leb wohl, Losifa. Es hat mich gefreut, dir noch einmal zu begegnen."


    Die Hand an die Kapuze hebend, wandte er sich um, ehe er sich entschlossenen Schrittes tiefer ins Zentrum des Parks bewegte. Ascan sah sich nicht um und schließlich verdeckten die Bäume den Blick auf den See und Losifa Kiruna so vollkommen, dass nicht das schärfste Sylphenauge sie noch hätte erblicken können.

Jetzt mitmachen!

Sie haben noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registrieren Sie sich kostenlos und nehmen Sie an unserer Community teil!