Vorurteile sterben ganz langsam, und man kann nie sicher sein, daß sie wirklich tot sind
(Jules Romains)
In dieser Nacht hatte sie sich in die Obhut ihres Stolzes begeben und es hätte niemals geschehen können, hätte sie auf ihre innere Stimme gehört, sich auf ihren Verstand verlassen; so war sie jetzt Opfer dessen geworden, was sich ihrer bemächtigt hatte. Ihr Herz schlug in stiller Gewalt gegen die Rippen.
Gewand sprang diejenige, die eher den Schatten glich, lautlos von einem zum anderen, und während sie vergebens hoffte, dass ihre schwarze Haut sie schützte, verrieten sie ihre silbernen Haare, jede Strähne schien mit Blei erschwert, wie die silbernen Schuppen, die ihren Leib umflossen. Alles an ihr war aus flüssigem Silber, reflektierend und klar auf Schwarz, wie aus Stein geformt und ebenso hart fühlte die Yassalar sich. Selbst ihre Augen hatten das tiefe Grau des Sturmes angenommen.
Alle ihre Sinne schwammen in Alarmbereitschaft, nahmen alle Geräusche und Bewegungen wahr, soweit sie es ihr an Land ermöglichten, gleichzeitig wusste Zarasshin, es würde nicht genügen. Zu oft glaubte sie, an einer der dunklen Biegungen überrascht zu werden, immerhin, es schien ein verwaister Bezirk zu sein. Geduld mit sich selbst, welkte in dieser Flucht hilflos dahin, so traf sie instinktive Entscheidungen für die Wahl der Straßen, denen sie folgen wollte.
Sie prallte gegen eine Mauer und lauschte, fuhr herum, als sie Schritte vernahm, doch da war nichts, was sie zum Weiterhasten veranlasste. Der Rausch ließ sie die Zähne zeigen, es war ihr Lächeln. Eine neue Erfahrung Gejagte zu sein, nicht in der Spur zu tauchen, sondern die Fährte vorgeben. Zarasshin war es gewohnt Mittelpunkt der Angst zu sein, die Angst anderer stand ihr zu und so fühlte sie selbst jetzt nichts als Befriedigung. War es nicht Furcht, die der Kleinmut hervorbrachte, um dieses Wagnis einer Jagd auf eine Yassalar zu wagen? Ihr Volk war im Krieg, der weite Wellen zog, doch wenn sie sich rasch innerhalb der Kreise bewegte, würde sie, Zarasshin Asdis, aus dieser Tollkühnheit einiges herausschlagen.
Ach, könnte sie doch nur den Ozean, der ein dunkler Spiegel des nächtlichen Himmels war, erreichen! Aber sie war zu Umwegen gezwungen, mit kaum etwas am Leib, seidenes Tuch um die Hüften, die breiten Schwertriemen verdeckten die Brust. Leichtsinn! grölte die innere Schwester.
Weite Schritte, nahezu lautlos, trugen sie die Straße hinunter. Ihre Sohlen wurden so leise gesetzt, wie sie es auf den Steinen vermochte, obwohl sie selbst kaum noch etwas zu hören im Stande war, denn ihr Herz wollte ihr aus den Schläfen, wie aus den Ohren springen, lechzte nach Nässe. Zarasshin brodelte wie kochendes Wasser, was ihrem Herzschlag in nichts nachstand, sie konnte kaum an sich halten vor Rage. Aber sie lief weiter, zwang ihre Beine zu rennen, was gleichermaßen ihren Stolz wie ihre Glieder schmerzte. Es war frühe Nacht, erwärmte Gerüche, lauernde Möglichkeiten, an deren Schwelle sie sich entlang bewegte, bedauerlicherweise nicht schwimmend.
Ein paar von ihren Verfolgern hatte sie schon zu Gesicht bekommen, möglich wurden es immer mehr, da nichts dagegen sprach, dass sich der Meute weitere angeschlossen hatten. Kleine Gruppen jagten schneller, mahnte sie sich selbst, so würde es ihre Entscheidung als Anführer sein.
Kurz vor dem Ende der Straße, ließ Zarasshin sich aus dem nächsten dunklen Fleck fallen, doch bevor sie den nächsten Winkel erreichen konnte, prallte etwas gegen sie, reflexartig spannte sie ihre Handfläche und rammte sie dem Angreifer in das Gesicht, während sie auch schon von hinten gepackt wurde. Mit aller Kraft drehte sie sich aus dem Griff, ließ während der Drehung den Ellenbogen nach hinten stoßen ... Rufe ... Schritte ... es waren zu viele! Ernüchternd stellte sie fest, dass sie nicht lebensmüde genug empfand. Also besann sie sich und hetzte weiter, prüfte mit ihrem Geruch den Wind, das Salz, suchte nach einem Versteck ... es gab keines. Eine Seitengasse, endlos lang ... Kopfsteinpflaster, mit eng stehender Häuserflucht. Sie stützte eine Hand an kalten Stein und sah über die Schulter in die Richtung, die sie hierher geleitet hatte, dorthin, woran die Yassalar keine Erinnerung hatte je entlang gelaufen zu sein. Erschöpft sah sie aus, doch der Anblick narrte das Auge. Gedrängter Zorn schlug mit ihren Fäusten an das Haus. Das Wissen glitt warm, wie ihr Blut, als Gedanke in ihren Kopf:
Labyrinthische Gassen, die das Licht nicht mehr erreichten, waren zu einer Falle geworden ...