Im Reich Minarils

  • Wie gut ihr dieser zornige Ausdruck stand... Nein! Verdammt, es konnte unmöglich sein, dass er jetzt darüber nachdachte! Ärgerlich verscheuchte Ascan die alberne Schwärmerei und verwünschte den Bann, der diesen sentimentalen Unsinn durch seinen Kopf wirbeln ließ. Sein verbissenes Kopfschütteln lenkte ihn davon ab, dass etwas im Blick der Nymphe aufklarte. Auf diese Weise schlug ihm das Herz kraftvoll bis zum Hals als sie ihm unvermittelt wieder nahe kam. Seine Sorge, sie könnte sich ins Feuer stürzen, entwich mit einem tiefen Seufzen seiner Brust. Nichts deutete mehr auf die Angst hin, unter der sie eben noch gelitten hatte.
    Sein Griff um die Schultern der Nymphe lockerte sich augenblicklich, so sehr bis er kaum mehr als eine schützende Geste bildete. Noch einmal schaute sie zu der Feuersbrunst, die sich rotglühend zwischen den dunklen Stämmen ausgebreitet hatte und Ascan tat es ihr gleich. Das lodernde Gehölz und der schwarze Rauch verwehrten den tieferen Blick in den Wald. Bald würde das Feuer seinen Höhepunkt erreicht haben. Es konnte nicht mehr lange dauern...


    Die Brücke bei Eleria Anuriels Turm war ihm vertraut, sodass er zustimmend nickte. Der Erleichterung darüber, dass er sie finden würde, folgte kurz darauf Schwermut und seine Mimik wirkte gequält als sein Gesicht sich wieder der Nymphe zuwandte. "Es tut mir leid. Ich will nicht, dass du gehst, das musst du mir glauben, aber..." Wieder war es das Unsichtbare hinter den Flammen, das seinen Blick geradezu magisch anzog. "Dieses Feuer ist nur das erste Anzeichen. Es bricht immer überraschend aus... und schnell... manchmal brennt Uleya, manchmal Sels Labor oder der Raum, in dem ich gerade schlafe..." Die Tropfen, die ihm über den Nacken rannen, lösten ein kaltes Brennen in seinen Flügeln aus. Seine Stimme stockte. Rasch riss er sich vom gleißenden Flammenmeer los und fasste Kyleja ins Auge. "Ich will nicht, dass du noch hier bist, wenn er erscheint", gestand er ihr mit großer Überwindung. "Es ist nichts, das man aufhalten kann... und ich weiß nicht.... Du musst versuchen, aufzuwachen! Jetzt!" Doch wie sollte sie das? Er konnte es ja nicht mal selbst...
    Verzweifelt nach einer Lösung suchend, wanderte Ascans Blick umher und richtete sich schließlich auf die Klippe. Stählerne Härte entstand in seinen Zügen und strahlte bis in seine Finger, die Kylejas Schultern mit Mal wieder entschlossener umspannten. Sie würde es ihm verzeihen... ein kurzer Schock und sie wäre in Sicherheit. Es musste so sein...

  • Endlich lockerte sich der Griff des Syreniae und Kyleja rollte ein wenig die verspannten Schultern. Als sie jedoch sein gequältes Gesicht sah, hielt sie in der Bewegung inne. Gebannt blickte sie ihn an und lauschte seinen erklärenden Worten.
    Mit den Dingen die er ihr nannte konnte sie ebenso wenig anfangen wie mit „ihm“. Doch sie sah Ascan an, dass er vor dem was in seinem Träumen geschah grosse Angst zu haben schien, welche sich jetzt noch vergrösserte, da er versuchte sie zu schützen. Wovor auch immer.
    Sein Drängen wurde immer stärker und die Nymphe liess noch einmal ihren Blick über das Feuer wandern.
    „Was bedeutet das, „er“ erscheint? Ich werde dich bestimmt nicht alleine lassen… du leidest darunter, lass mich dir helfen“, bat sie und betrachtete sein überlegendes Gesicht. Es schien als suchte er fieberhaft nach einer Möglichkeit sie aus diesem Traum zu bringen.


    Als der Griff um ihre Schultern wieder härter wurde, folgte sie dem Blick des Syreniae. Er schaute entschlossen auf die Klippen. Er wollte doch nicht …?
    Kalter Schweiss brach auf dem Körper der Nymphe aus und sie verfiel erneut in heftiges Zittern. Sie konnte unmöglich über diese Klippen springen, nicht nach dem was damals vorgefallen war.
    Plötzlich schien es ihr, als würde sie Hände sehen die sich an der Klippe festklammerten, doch schon nach wenigen Sekunden rutschten die Finger ab und in ihrem Kopf gellte der Schrei eines Mannes.
    Sie wusste wie das Meer gerade aussah. Der weisse Schaum, wie er sich langsam rot färbte während die Wellen über dem leblosen Körper zusammenschlugen und ihn für immer in die Tiefe sogen. Das verräterische Glitzern auf den Schaumkronen, so wunderschön und gleichzeitig so bedrohlich. Sie schauderte.


    Panisch wanderten ihre Augen zwischen Ascan und der Kante der bedrohlichen Klippen hin und her.
    „Nein“, sprach sie mit fester Stimme und versuchte sich vehement aus dem Griff des Syreniae zu befreien.
    „Nein, nein, nein, nein“, immer wieder wiederholte sie dieses Wort, den Blick panisch auf die Klippen gerichtet. Bald verlor ihre Stimme an Schärfe und verklang zu einem leisen Wimmern.
    „Nein… bitte nicht… nicht die Klippen… ich kann nicht…“ mehr zu sich selbst als zu dem Syreniae murmelte sie angstvoll vor sich hin, sich stetig in seinem Griff windend.

  • Ascan wusste, dass er die Kraft besaß, sie auch gegen ihren Willen über die Klippe zu stoßen... aber die blanke Panik, die sie erfasste, ließ ihn schwanken. "Warum nicht, Ky?" fragte er so leise, dass es im Prasseln des Feuers fast unterging. "Es würde dich aufwecken." Ihr Angebot, ihm zu helfen, klang bittersüß in seiner Erinnerung. Kein Zweifel, dass sie es tatsächlich wollte... aber sie wusste ja nicht, wovon sie da sprach...


    In diesem Moment geschah es. Neue Geräusche mischten sich in das spitze Knacken, tiefe Rumoren und qualvolle Heulen des Waldbrands. Ein Splittern wie von zerberstendem Holz... rhythmisch... wie Schritte... und dazu ein auf- und abschwellendes Rauschen... so als zöge ein wiederkehrender Wind durch einen sehr großen, hohlen Riss.


    Ascans Blick, eben noch fragend auf das ängstliche Gesicht der Nymphe gerichtet, fuhr plötzlich einfach durch sie hindurch. "Er kommt..." Langsam lösten sich seine Hände von Kylejas Schultern. Er hatte geglaubt, dass ihm sein Erscheinen weniger ausmachen würde, jetzt, wo er sich bewusst war, dass er träumte. Doch dem war nicht so. Etwas an ihm unterschied sich von seinen übrigen Alpträumen... als wäre er etwas, das nicht wirklich zu ihm selbst gehörte. Ascan erinnerte sich an kein verheerendes Feuer, konnte sich die bezwingende Furcht nicht erklären, die ihn ergriff und jede Bewegung lähmte, wann immer er in seinen Träumen erschien. Woher er kam und was er von ihm wollte... Ascan hatte es nie verstanden.


    "Geh hinter mich", brachte der Syrenia noch über die Lippen, ehe er sich dem Waldrand zu wandte. Dorthin blickend, wo die drohenden Geräusche am deutlichsten hervorbrachen, erwartete er das Unheil. Sein Körper spannte sich und seine Schwingen rieben unruhig über seinen Rücken. Wild entschlossen, dieses Mal nicht der Panik zu erliegen, sondern einen klaren Kopf zu bewahren, suchte er sich einen festen Stand und ballte die Fäuste. Zum ersten Mal war er nicht allein... und die Verantwortung, Kyleja zu schützen, wog schwerer als alles andere.

  • Als sie spürte, dass er sie nicht gewaltsam über die Klippe stossen wollte, klärte sich ihr Blick und das Zittern ebbte langsam ab. Seine Frage erreichte sie trotz des Schleiers, den die Panik über sie gelegt hatte. Aber konnte sie ihm von dem einzigen Tag ihres Lebens berichten an den sie sich selbst zu denken verboten hatte?
    „Weil...", fieberhaft überlegte Kyleja was und wie sie Ascan davon erzählen sollte was ihr an Klippen solche Angst machte wenn sie sich doch selbst verboten hatte daran zu denken, geschweige denn davon zu sprechen.


    Das Krachen von zersplitterndem Holz liess die Nymphe erschrocken zusammenfahren. Für einen kurzen Moment musste sie über sich selbst den Kopf schütteln. Es war beinahe lächerlich wie sie in diesem Traum von einer Panik in die nächste verfiel, dabei hatte sie innerhalb des letzten Jahres eine so gute Selbstbeherrschung bekommen. Während sie aufmerksam in den Wald spähte, atmete sie tief ein und aus und brachte sich somit wieder in eine Verfassung die ihrer Vorstellung schon besser entsprach. Das kleine verängstigte Mädchen war wieder dort wo es hingehörte, in einer Schublade mit sieben Siegeln.


    Erst die Worte des Syreniae und sein leerer Blick machten der Nymphe klar, dass nun das geschah wovor er sie hatte bewahre wollen. „Er“ kam, wer auch immer er war. Doch anstatt Angst oder Panik zu empfinden, verfinsterte sich das Gesicht der Nymphe. Sorgenvoll betrachtete sie wie aus dem stolzen Syreniae für einen kurzen Moment der kleine, verschüchterte Junge wurde.
    Sie musste jetzt für ihn da sein, das erkannte Kyleja nun und entschlossen straffte sich ihr Körper.Egal was nun geschehen würde, sie würde dem Syreniae beistehen und ihm zeigen, dass sie es ernst meinte und er keines ihrer eintönigen, langweiligen Spiele war. Minaril musste ihr die Visionen von dem Geflügelten nicht ohne Grund gesandt haben. Etwas quälte ihn und vielleicht wäre ja Kyleja diejenige die ihm verhelfen sollte diese Qual loszuwerden.


    Seine Anweisung sich hinter ihn zustellen überging die junge Nymphe, stattdessen stellte sie sich aufrecht und entschlossen dicht neben ihn, so dass er ihre körperliche Nähe spürte auch wenn er sie nicht ansah, ihr Blick folgte dem seinen. Ihre Hand griff nach seiner welche eine Faust bildete, mit sanfter Gewalt löste sie diese und verwob ihre Finger miteinander. Sanft drückte sie seine Hand. Sie spürte seine Anspannung.
    „Ich werde zu dir halten Ascan, egal was jetzt geschieht“, versprach sie und streichelte mit dem Daumen unablässig über seinen Handrücken.

  • Entgegen seiner Anweisung wählte Kyleja den Platz an seiner Seite. Ascan wollte sie am Arm packen und hinter sich ziehen, doch dieser Impuls währte kaum länger als die Zeitspanne, die sie brauchte, um ihre Finger in seinen zu verschränken. Was sie daraufhin sagte, ließ ihn entgeistert zu ihr herüberschauen. Ihr Gesicht zeigte dieselbe Entschlossenheit, die auch in ihrer Stimme geklungen hatte. Die Nymphe wirkte nicht länger wie ein zartes Pflänzchen, das beschützt werden musste... sondern stark genug, die Stellung an seiner Seite tatsächlich zu behaupten. Tiefste Dankbarkeit glomm in den Augen des Geflügelten auf.


    Die krachenden Geräusche aus dem Wald wurden leiser und erstarben kurz darauf ganz. Noch immer leckten die Feuerzungen gierig an den breiten Stämmen und schwärzten die Luft mit ihrem Rauch, doch ihnen fehlte die gleißende Gier, die sie so beängstigend gemacht hatte. Ein frischer Wind vom Meer zog auf und Ascan spürte ihn tief in seine Federn fahren. Mit festem Blick hob er den Blick zum Feuer und meinte schon, einen Wandel in seinem Traum zu erkennen, da zerriss es explosionsartig die vorderste Baumreihe. Eine Gestalt schob sich aus der lodernden Bresche, aus der das Feuer erneut seine ungezügelte Raserei spie. Der Leib des Erschienenen brannte. Sein Haar und sein gesamtes Fleisch standen lichterloh in Flammen und als er sich beim Schritt über die Waldgrenze langsam erhob, wurde seine wahre Größe offenbar. Mit seinen schwarzen Schwingen, aus denen glühende Federreste brachen, überragte er die Gestalt des Syreniae gut um das Doppelte, und genau diesen fasste der brennende Riese nun in den schrecklichen Blick seiner ausbrennenden Augen. Seine Gesichtszüge, die in der höllischen Hitze von seinen Knochen schmolzen, verzerrten sich zu einer Fratze aus purem Schmerz und Verlangen.


    Ascan wehrte sich gegen die Schockstarre, die ihn erneut zu übermannen drohte. Kylejas Nähe und ihre Hand, die seine hielt, waren alles, was ihn davor bewahrte, die Gewalt über seinen Körper zu verlieren. Mit einem Ruck brachte er sich dazu, seinen Blick aus den inzwischen ausgebrannten Augenhöhlen des Entflammten zu befreien. Die Worte, die er daraufhin aus seiner erstarrten Kehle hervorbrachte, bebten: "Er wird sich nähern. Weich ihm aus! Er darf dich auf keinen Fall zu fassen bekommen!"

  • Aus dem Augenwinkel bemerkte sie, dass der Syreniae ihr den Kopf zuwandte und sie wandte ihm ebenfalls ihr Gesicht zu.
    Als sie den erstaunten Ausdruck auf dessen Gesicht sah, bildete sich ein gewinnendes, liebevolles Grinsen auf ihren Lippen. Sie würde ihm beweisen, dass sie genau die richtige für ihn war, auch ohne ihren Bann würde er sich früher oder später dauerhaft für sie entscheiden.


    Als jedoch die flammende Gestalt aus dem Schutz des Waldes trat, richtete sie ihre Aufmerksamkeit wieder geradeaus. Gleichzeitig wanderte auch ihre zweite Hand zu der des Syreniae und umschloss diese ebenfalls.
    Es war ein grausamer Anblick, der dafür sorgte, dass sich die feinen Härchen auf dem Körper der Nymphe alarmiert aufstellten. Das brennende Fleisch, die schwelenden Knochen, das zerfallene Gesicht mit den ekelhaften Augenhöhlen und die glühenden Federn jagten ein Schaudern durch den Körper der Schwarzhaarigen. Doch um Ascans Willen riss sie sich zusammen und liess sich nichts anmerken.
    Mutig starrte sie diesem Ding entgegen und drängte den Würgereiz zurück während sie den entstellten Körper genauer betrachtete. Irgendwie erinnerte sie diese Gestalt an Ascan. Das schwarze Gefieder musste einmal ähnlich prächtig ausgesehen haben wie das des Mannes, dessen Hand sie noch immer unterstützend umschlungen hielt.


    Die Worte des Geflügelten neben sich, nahm sie mit einem konzentrierten Nicken zur Kenntnis.
    „Wie schnell kann er sich bewegen? Und wird er zu uns sprechen?“, fragte sie nun ihrerseits und liess die brennende Gestalt und die lodernden Flammen dabei keine Sekunde aus den Augen.
    Sie würde schnell sein müssen, sollten die Flammen sie einmal erwischen würde ihr ohnehin nur der Sprung von den Klippen bleiben. Kyleja wusste nicht was schlimmer für sie wäre, in diesem Traum bei lebendigem Leibe zu verbrennen oder am Fusse dieser Klippen zu zerschellen und wenn dies nicht reichte jämmerlich zu ertrinken.
    Sie setzte den linken Fuss einen halben Schritt hinter den anderen, um schnell nach hinten ausweichen zu können, lockerte ihren Griff an der Hand des Geflügelten jedoch um keinen Millimeter. Stattdessen fuhr sie mit ihrer rechten Hand langsam, mit sanftem Druck den Arm des Syreniae hoch und runter. Es war gewiss besser ihn spüren zu lassen, dass sie nach wie vor an seiner Seite und für ihn da war. Er musste diesen Alptraum schon viel zu oft gehabt haben, allein ohne Unterstützung.

  • Die Luft flirrte über dem lodernden Koloss und während seine Schritte sich unbarmherzig in ihre Richtung setzten, zischte zuerst das versengte Gras und dann der nackte Fels unter seinen Sohlen. Kein Laut drang aus dem verzerrten Mund des Brennenden, hinter dessen aufplatzenden Lippen sich die ersten Zähne bleckten. Weder der Zerfall seiner Muskeln noch der maßlose Schmerz schienen ihn aufhalten zu können und noch immer war sein ausgehöhlter Blick unverwandt auf den Syrenia gerichtet.


    "Er bewegt sich... wie jetzt... und er spricht... nie", murmelte Ascan und stemmte sich gegen die lähmende Taubheit, die seine Arme und Beine nach oben kroch. Kylejas Berührungen halfen ihm dabei, sich mehr auf sich selbst und weniger auf den Näherkommenden zu konzentrieren. Er wusste nicht, wann es jemals soviel Anstrengung gefordert hatte, seine Schwingen aufzuspreizen, doch schließlich fand er die Kraft in sich. So dunkel und drohend wie die Gewitterfront spannten sie sich der dämonischen Ausgeburt entgegen. Unter grimmig gesenkten Brauen fixierte Ascan das schreitende Ungetüm und langte zum Halfter an seiner linken Seite. Die tanzenden roten Reflexionen des Infernos spiegelnd, kam der beeindruckende Revolver zum Vorschein, dessen tödliches Gewicht sicher im Griff des Geflügelten lag.


    Langsam hob sich das Kinn des Entflammten, der jetzt kaum noch ein Dutzend Schritte von ihnen entfernt war, und etwas in seinem monströsen Gesicht schien die Waffe zu erkennen. Plötzlich griffen seine Schritte weiter aus. "Wollen doch mal sehen, was du aushältst, Röstknochen", grollte Ascan, den Lauf zielsicher auf dessen Stirn richtend. Der Schuss donnerte ohrenbetäubend und sein Rückstoß fuhr bis in Ascans Schulter hinauf. Gleichzeitig riss es den Schädel des brennenden Hünen nach hinten. Brodelndes Blut und Knochensplitter spritzten. Ein Wanken ging durch die ungeheure Gestalt, doch nur wenige Atemzüge später blickte er wieder nach vorn und setzte seinen Weg fort.


    Scharf die Luft ausstoßend, feuerte Ascan erneut. Eines der Geschosse zerfetzte dem Giganten die komplette Wange und riss ihm dabei mehrere Zähne aus, ein weiteres bohrte sich tief in seine Schulter und brachte ihn fast aus dem Gleichgewicht. Die dritte Kugel zertrümmerte seine Kniescheibe mit einem so grässlichen Splittern, dass man es beinahe selbst spüren konnte und nun schwankte und kippte der Leib des Getroffenen. Schon wollte Ascan triumphierend lächeln, da fing dieser sich und stampfte noch umso machtvoller heran. Pure Wut fraß sich in Ascans Züge, während er den ersten Schritt rückwärts setzte und Kyleja dabei mitzog. "Es macht ihm nichts aus..." Der wandelnde Leib schien aus nichts als Feuer und purem Willen zu bestehen. Den Blick der Nymphe suchend, löste Ascan seinen Arm aus ihrem bestärkenden Griff und legte seine Hand in ihren Nacken. "Halte Abstand, bitte!" schärfte er ihr ein und drückte seine Stirn kurz gegen ihre. "Ich werde ihn zu den Klippen locken." Mit diesen Worten löste er seine Hand von ihrem Hals und genoss dabei noch einmal die Weichheit ihrer schwarzen Haare, die über seine Finger glitten. Sein Lächeln war eine einzige Lüge. "Es wird alles gut. Wir sehen uns an der Brücke."

  • Kritisch beobachtete die Nymphe das Geschehen. Immun. Es war nutzlos auf dieses Wesen zu schiessen. Sie wandte sich dem Syreniae zu.
    „Und was geschieht mit dir wenn ich jetzt gehe?“, fragte sie, während sie ebenfalls einen Schritt von diesem Lodernden Hünen wegtrat. Selbst wenn sie gewusst hätte wie sie aufwachen sollte, sie konnte Ascan nicht einfach so alleine lassen in seinem persönlichen Albtraum.
    Die Art wie er mit sich gekämpft hatte, war deutlich genug für die Nymphe gewesen. Er brauchte sie.


    Langsam löste sie ihre Hand von der des Geflügelten und ging in die Hocke um einen grossen Stein aufzuheben.
    Mit einer fliessenden Bewegung, so als würde sie einen ihrer Dolche werfen, schleuderte sie diesen auf das Ungetüm. Mit einem Geräusch, das ihr durch Mark und Bein fuhr, krachte der Felsbrocken dem Brennenden ins Gesicht. Die restlichen Knochen zersplitterten und ein Gemisch aus Blut und Knochensplittern spritzte aus der entstandenen Wunde.
    Doch der Flammende hielt nur für die Zeitspanne inne, die es brauchte bis der Stein aus seinem Gesicht, oder dem was davon übrig geblieben war, rutschte und zu Boden fiel.
    „Verdammt“, fluchte die Schwarzhaarige und betrachtete die Umgebung auf der Suche nach einer Lösung. An den Klippen blieb ihr Blick hängen.
    Ein Flackern in den Augen wandte sie sich wieder an Ascan.
    „Flieg! Lock ihn über die Klippen damit er ins Wasser stürzt“, schlug sie vor und machte eine entsprechende Geste in Richtung der Klippen.


    Langsam trat sie einen Schritt zur Seite, damit Ascan auch genug Platz haben würde um mit dem Flügeln zu schlagen. Dabei vergass sie, dass sich hinter ihr noch immer der Brennende in Ascans Richtung bewegte.
    Die sengende Hitze sorgte dafür, dass sich ihre Haarspitzen kräuselten. Ruckartig fuhr sie herum und konnte gerade noch mit einem Satz nach hinten den leckenden Flammen ausweichen.
    Wachsam blieb sie knapp hinter dem Syreniae stehen, den Blick konzentriert auf die lodernde Gestalt gerichtet.

  • Es blieb keine Zeit für lange Erklärungen. Der Flammende kam ihnen jetzt bedrohlich nahe. Kylejas Angriff auf den alptraumhaften Riesen verschaffte ihnen zwar etwas Zeit, doch das Resultat blieb dasselbe. "Keine Angst, er tötet mich nicht. Nicht wirklich", versicherte Ascan der Nymphe und schüttelte kurz den Kopf, um die Bilder loszuwerden. Bevor er dazu kam, noch etwas hinzuzufügen, leuchteten ihre Augen beim Anblick der Klippe auf.
    Sie hatte kaum das letzte Wort ihres Plans ausgesprochen, da hatte Ascan schon verstanden und die Flügel des Monstrums gemustert. Das Wenige, das von ihnen übrig war, taugte nicht zum Fliegen. Böse Vorfreude ließ den Syrenia lächeln. Sein Täubchen war nicht nur bildschön, sondern auch blitzgescheit...


    Schon hoben sich seine Schwingen und der Syrenia stieß sich mit einem kräftigen Sprung vom Boden ab. Noch während Ascan mit dem ersten Schlag an Höhe gewann, setzte ihm fast das Herz aus, denn Kyleja kam dem Brennenden gefährlich nahe. Es war pures Glück, dass der sie nicht zu sehen schien. Beim Aufstieg des Raben war der monströse Hüne, der inzwischen kaum noch Fleisch auf den Knochen trug, an Ort und Stelle verharrt. Jetzt hoben sich seine blicklosen Augenhöhlen ruckartig und eine unnatürliche Bewegung, die dem Aufwallen einer Lavakruste glich, glitt durch seinen verzehrten Körper. Dürr und weit spreizte sich sein monströses Flügelgerippe und mit einem hässlichen Fauchen gingen auch die letzten seiner Federn in hellen Flammen auf. Der durchdringende Gestank, mit dem sie sich in Asche auslösten, erreichte sogar Ascan, der den Aufwind von den Klippen nutzte, um mühelos höher aufzusteigen. Tief unter ihm schäumte die Brandung und wälzte sich machtvoll in die scharfen Steine, während stumme Blitze über ihm die Wolkenwand in flimmernde Helligkeit tauchten. Er hätte es genießen können, wenn da nicht diese Ausgeburt des Schreckens unter ihm gelauert hätte. Mit weiten Schritten begann diese zu laufen. Die skelettartigen Flügel schlugen und plötzlich war sich Ascan nicht mehr sicher, ob die Gesetze, die außerhalb des Traums galten, auch für dieses Wesen zutreffen würden. Als sich die schreckliche Gestalt vom Klippenrand löste und mit einem hohen Sprung in seine Richtung vorstieß, sprang Ascans Blick zu Kyleja.


    Er sah sie auf der Klippe und ihre weiße Haut leuchtete im eisigen Licht der Blitze. Was immer jetzt geschah, das schwor er sich, er würde sie wiederfinden. Im selben Augenblick zerschnitten die knöchernen Flügel mit einem scharfen Zischen die Luft. Weit streckte sich der verbrannte Arm des Monsters Ascan entgegen, die klauenhaften Finger zum Griff geöffnet. Seine alptraumhafte Kraft machte ihn unangreifbar, doch die Gabe zu Fliegen verlieh sie ihm nicht. Längst verlor der aufglühende Leib an Höhe und seine blanken Flügel schlitzten vergeblich den Fallwind auf.


    Gebannt verfolgte Ascan den Fall seines Schreckens, sah dessen grauenhafte Gestalt an den spitzen Graten der Steilwand zerschellen, bevor die kohlschwarzen Überreste ins Schäumen der Brandung prasselten. Wie von selbst fingen seine Schwingen die Aufwinde und hielten ihn nahezu unbewegt in den schwankenden Luftströmen. Noch immer war sein Blick nur in die Tiefe gerichtet. Der Alptraum war... abgewehrt. Dieses Mal hatte das Meer nicht ihn, sondern den Brennenden verschlungen...


    Unendlich weit entfernt erschienen ihm plötzlich die Klippen und selbst der Gedanke an Kyleja verblasste, bevor er ihn noch einmal erreichen konnte. Es war das Ende seines Traums und nichts konnte die weißen Nebel daran hindern, langsam den Wald, die Klippen und schließlich auch ihn zu überdecken. Die Konturen seiner Gestalt verschwammen und als tauche der Himmel selbst in sein Abbild, war der Geflügelte nach wenigen Atemzügen gänzlich verschwunden.

  • Der Syreniae stieg mit nur wenigen Flügelschlägen in den Himmel hinauf, ein wahrhaft ansehnlicher Anblick. Die schwarzen Schwingen zeichneten sich bei jedem Blitz erhaben und eindrucksvoll gegen den schwarzen Gewitterhimmel ab.
    Doch die Faszination währte nur kurz. Das knistern und zischen des Feuers machte der Nymphe schnell klar, dass sie sich noch immer im Gefahrenbereich befand. Mit wenigen, schnellen Schritten hatte sie sich in Sicherheit gebracht.
    Mit angehaltenem Atem sah die Schwarzhaarige zu, wie sich die beinahe komplett verbrannten Flügel des Flammenden spannten und er sich mit einem gewaltigen Sprung von der Klippe löste. Doch zum Glück waren die Schwerkraftgesetze hier in dieser Traumwelt die gleichen wie ausserhalb.Gebannt verfolgte Kyleja den Sturz des Ungetüms. Mit einem Zischen erloschen die Flammen als der schwere Körper ins Wasser fiel. Rauch und der Geruch von verbranntem Fleisch durchtränkten noch immer die Luft.
    In der Befürchtung die Gestalt könnte doch noch über den Rand der Klippen geklettert kommen, hielt die Nymphe ihren Blick noch einen Moment auf die Kante gesenkt. Näher zu treten und nachzusehen traute sie sich doch nicht.


    Doch als die Nymphe, nachdem sie sich sicher war, dass diese Kreatur verschwunden war, schliesslich den Blick hob um mit einem Lächeln den Syreniae wieder in Empfang zu nehmen, war dieser bereits verschwunden.
    Das breite Lächeln der Nymphe schwand dahin. Er war einfach verschwunden. Niedergeschlagen betrachtete sie den Himmel, der sich allmählich klärte und den Blick auf die Sonne begann freizugeben.
    Anscheinend war dies das Ende des Traums. Gerne hätte sie noch ein wenig mehr Zeit mit dem Geflügelten verbracht. Andererseits … So würde sie ihn nach dem Aufwachen schon bald wieder sehen. Ein sanftes Lächeln kehrte bei diesem Gedanken zurück auf das Gesicht der Nymphe. Sie würde ihn endlich wieder richtig spüren und küssen können. Bei diesem Gedanken legte sich bereits ein erwartungsvolles Kribbeln über ihren Körper wie eine Decke.
    Doch zuerst musste sie aufwachen….


    Nach einem letzten Blick auf die Klippen betrat sie den Wald, der mit einem Mal wieder so aussah wie vor dem Auftauchen des Flammenden Monstrums. Da war keine Spur von den alles verzehrenden Flammen, kein Anzeichen darauf dass die Bäume eben noch schwarz und verkohlt ausgesehen hatten. Zaghaft berührte sie den Stamm eines Baumes. Nein, da war nichts. Keine Wärme, kein Knistern, nur das kühle Holz und die Ahnung von etwas lebendigem.
    Erleichtert wanderte die junge Frau zwischen den Bäumen hindurch, sog tief die erfrischende Luft und den Duft ihrer Heimat in sich auf.
    Auf der Lichtung angekommen, dort wo sie sich vor einer gefühlten Ewigkeit noch als Kind erhoben hatte, liess sie sich im weichen Gras nieder. Während sie sich auf der Lichtung umsah und noch einmal darüber nachdachte was eigentlich passiert war in diesem Traum, überfiel sie die Müdigkeit. Gähnend streckte sie sich auf dem weichen Grün aus.
    Sie schloss die Augen, das Bild des Syreniae mit den weit gefächerten Schwingen vor sich, daneben den kleinen Jungen vom Anfang dieses Traumes. Sie hatte Fragen an Ascan, und er würde sie ihr beantworten. Am Tag, auf der Brücke.
    Die Dunkelheit legte sich über sie, sanft wie eine Decke, und die Nymphe empfing sie mit einem Lächeln auf den Lippen. Auch wenn er anders verlaufen war als geplant, so hatte sich dieser Traum mehr als gelohnt.
    Ihr letzter bewusster Gedanke galt Minaril, ein Dank für diesen Traum.

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