Das Morgen gewinnen

  • Vorurteile sterben ganz langsam, und man kann nie sicher sein, daß sie wirklich tot sind
    (Jules Romains)


    In dieser Nacht hatte sie sich in die Obhut ihres Stolzes begeben und es hätte niemals geschehen können, hätte sie auf ihre innere Stimme gehört, sich auf ihren Verstand verlassen; so war sie jetzt Opfer dessen geworden, was sich ihrer bemächtigt hatte. Ihr Herz schlug in stiller Gewalt gegen die Rippen.
    Gewand sprang diejenige, die eher den Schatten glich, lautlos von einem zum anderen, und während sie vergebens hoffte, dass ihre schwarze Haut sie schützte, verrieten sie ihre silbernen Haare, jede Strähne schien mit Blei erschwert, wie die silbernen Schuppen, die ihren Leib umflossen. Alles an ihr war aus flüssigem Silber, reflektierend und klar auf Schwarz, wie aus Stein geformt und ebenso hart fühlte die Yassalar sich. Selbst ihre Augen hatten das tiefe Grau des Sturmes angenommen.
    Alle ihre Sinne schwammen in Alarmbereitschaft, nahmen alle Geräusche und Bewegungen wahr, soweit sie es ihr an Land ermöglichten, gleichzeitig wusste Zarasshin, es würde nicht genügen. Zu oft glaubte sie, an einer der dunklen Biegungen überrascht zu werden, immerhin, es schien ein verwaister Bezirk zu sein. Geduld mit sich selbst, welkte in dieser Flucht hilflos dahin, so traf sie instinktive Entscheidungen für die Wahl der Straßen, denen sie folgen wollte.


    Sie prallte gegen eine Mauer und lauschte, fuhr herum, als sie Schritte vernahm, doch da war nichts, was sie zum Weiterhasten veranlasste. Der Rausch ließ sie die Zähne zeigen, es war ihr Lächeln. Eine neue Erfahrung Gejagte zu sein, nicht in der Spur zu tauchen, sondern die Fährte vorgeben. Zarasshin war es gewohnt Mittelpunkt der Angst zu sein, die Angst anderer stand ihr zu und so fühlte sie selbst jetzt nichts als Befriedigung. War es nicht Furcht, die der Kleinmut hervorbrachte, um dieses Wagnis einer Jagd auf eine Yassalar zu wagen? Ihr Volk war im Krieg, der weite Wellen zog, doch wenn sie sich rasch innerhalb der Kreise bewegte, würde sie, Zarasshin Asdis, aus dieser Tollkühnheit einiges herausschlagen.


    Ach, könnte sie doch nur den Ozean, der ein dunkler Spiegel des nächtlichen Himmels war, erreichen! Aber sie war zu Umwegen gezwungen, mit kaum etwas am Leib, seidenes Tuch um die Hüften, die breiten Schwertriemen verdeckten die Brust. Leichtsinn! grölte die innere Schwester.
    Weite Schritte, nahezu lautlos, trugen sie die Straße hinunter. Ihre Sohlen wurden so leise gesetzt, wie sie es auf den Steinen vermochte, obwohl sie selbst kaum noch etwas zu hören im Stande war, denn ihr Herz wollte ihr aus den Schläfen, wie aus den Ohren springen, lechzte nach Nässe. Zarasshin brodelte wie kochendes Wasser, was ihrem Herzschlag in nichts nachstand, sie konnte kaum an sich halten vor Rage. Aber sie lief weiter, zwang ihre Beine zu rennen, was gleichermaßen ihren Stolz wie ihre Glieder schmerzte. Es war frühe Nacht, erwärmte Gerüche, lauernde Möglichkeiten, an deren Schwelle sie sich entlang bewegte, bedauerlicherweise nicht schwimmend.
    Ein paar von ihren Verfolgern hatte sie schon zu Gesicht bekommen, möglich wurden es immer mehr, da nichts dagegen sprach, dass sich der Meute weitere angeschlossen hatten. Kleine Gruppen jagten schneller, mahnte sie sich selbst, so würde es ihre Entscheidung als Anführer sein.
    Kurz vor dem Ende der Straße, ließ Zarasshin sich aus dem nächsten dunklen Fleck fallen, doch bevor sie den nächsten Winkel erreichen konnte, prallte etwas gegen sie, reflexartig spannte sie ihre Handfläche und rammte sie dem Angreifer in das Gesicht, während sie auch schon von hinten gepackt wurde. Mit aller Kraft drehte sie sich aus dem Griff, ließ während der Drehung den Ellenbogen nach hinten stoßen ... Rufe ... Schritte ... es waren zu viele! Ernüchternd stellte sie fest, dass sie nicht lebensmüde genug empfand. Also besann sie sich und hetzte weiter, prüfte mit ihrem Geruch den Wind, das Salz, suchte nach einem Versteck ... es gab keines. Eine Seitengasse, endlos lang ... Kopfsteinpflaster, mit eng stehender Häuserflucht. Sie stützte eine Hand an kalten Stein und sah über die Schulter in die Richtung, die sie hierher geleitet hatte, dorthin, woran die Yassalar keine Erinnerung hatte je entlang gelaufen zu sein. Erschöpft sah sie aus, doch der Anblick narrte das Auge. Gedrängter Zorn schlug mit ihren Fäusten an das Haus. Das Wissen glitt warm, wie ihr Blut, als Gedanke in ihren Kopf:


    Labyrinthische Gassen, die das Licht nicht mehr erreichten, waren zu einer Falle geworden ...

  • Die Winde waren noch immer uneins und unruhig über diesem reich aus schmalen Klüften und steinernen Graten, die die großen Seelen der Ströme aufrissen, Hochwinde gebaren, die sich wie wilde Kinder nach den vorherrschenden Brüdern streckten, sich aufschwangen, eindrangen, bloß um kurz darauf ihrer trügerischen Macht beraubt zu werden. Was unbändig vom höheren Inland hinab drängte, eben noch um die Gipfel gebraust war, brach sich hier die Kraft am unsichtbaren Kuppelbau, zwängte sich hinauf oder hinab oder kehrte durch Ausweglosigkeit gezähmt in den Kreislauf zurück, der Beleriar wie ein nie endender und doch stets gleich bleibender Fluss umrundete. Alles zog zum Meer. Man flog in Nir’alenar am sichersten, wenn man sich dieser Richtung ergab. Wer unachtsam war, erlag dem Sog, ordnete sich dem leichteren Gleiten unter… und fand sich im Seeviertel wieder, das Meer vor Augen. An der Grenze zu dem, was ihnen gewährt worden war… um wie Ameisen unter Glas gefangen darin herum zu krabbeln und im eigenen verbrauchten Atem allmählich zu versiechen.


    Mit einem kraftvollen Flügelschlag stemmte sich Ascan gegen den Wind, brachte Abstand zwischen sich und die Kuppel, hinter der sich das Dunkel der nächtlichen See herauf beschwor. Die Nachtschatten außerhalb der Grenze blickten ihm nach, fingen sich in der Reflektion seiner Schwingen und ließen sich schweigend mittragen, gleitend über dem fern verwandten Meer aus Lichtern und schlafenden wie schlaflosen Seelen.
    Eine Windstimme stürzte sich hinab, verstummte zwischen den geduckten Dächern und den in Winkeln gewebten Straßen. Nur ein Wispern in der Luft blieb zurück, flüsterte vom Sterben, vermischte sich mit dem sanft wiederkehrenden Geräusch seiner Flügel, bis das eine zum anderen wurde.
    Ein nächtlicher Himmel sprach anders von sich als einer bei Tage. Sein Hauch schlich sich tiefer in den Verstand; seine Schleier woben sich schützender und verräterischer zugleich; seine Bewohner waren Schatten, allesamt bewegt, beunruhigt, besänftigt durch dieselben Kräfte. Auch er war zum Schatten geworden, der auf eine tiefere, endlos weit entfernte Finsternis hinab blickte.
    Zu fern wirkte es, als dass man sich erinnerten könnte, jemals Teil davon gewesen zu sein.

    Ascan ließ einen tieferen Atemzug seine Gedanken befreien. Etwas ging dort unten vor sich. Wo ausgestorbene Straßenadern hätten liegen sollen, pulsierten Bewegungen, wehten Fetzen von aufhetzenden Rufen zu ihm herauf. Was er dort sah, war keineswegs ein zielloses Unterfangen. Die Fünfergruppen… kleine schwarze Erhebungen, die einem menschlichen Auge unsichtbar geblieben wären… bewegten sich systematisch - und schnell. Es war eine Treibjagd durch blinde Gassen, welche nur einen Weg zuließen: Hinein in einen schmalen, lang gezogenen Distrikt. Zwei kurvenreiche, eng gefädelte Häuserreihen bildeten die Falle, vor der sich der verstreute Pulk schon bald in zwei starke Jägertrupps aufteilen würde. Vorausgesetzt, sie würden ihr Opfer nicht schon zuvor erwischen.
    Seine schwarzen Flügel legten sich an, ließen die Szenerie seinen Augen näher kommen.
    Es sah bereits nach dem Ende aus, als jenes gejagte Geschöpf eine Kreuzung erreichte und seinen Häschern geradewegs in die Arme stürzte. Ein Zusammenschluss dunkler Leiber, dann ein Lösen. Die Befreiung musste ein Paradebeispiel an Reflexen gewesen sein, doch kein Zweifel… es würde kein Sieg auf lange Zeit sein.
    Kraft wurde verwandt, die störrischen Aufwinde beim Sturzflug zerfetzt. In den Adern prickelnde Geschwindigkeit stellte sicher, dass er das Ende der Sackgasse noch vor ihrem Opfer erreichte. Dort, wo die Dachschräge in einen steinernen Mauervorsprung mündete, setzten Ascans Stiefel auf. Die Schwerelosigkeit von sich abgleiten lassend, sank er auf dem Gesims in die Hocke, hakte den Daumen unter den Rand seiner Kapuze und konzentrierte seine Augen tief ins Dunkel, wobei diese selbst zu ebenso schwarzen Tümpeln wurden.
    Die unglückliche Gestalt war ihrem Schicksal gefolgt. Ein Körper bedrängt von Steilwänden, die Feinde im Genick. Helles Haar, das selbst noch im lichtlosen Raum glomm. Zu dunkel der Körper, um den Kontrast nicht…


    Weit rissen sich die schwarzen Augen auf. Unter eisigem Atem verkrampften sich jene Muskeln, die sich eben noch bereit gefühlt hatten, dem Unglück des Verfolgten ein glückliches Ende zu bereiten.
    Wütender Unmut verzerrte Ascans Züge, ließ ihn den Blick abwenden und stattdessen in den Himmel richten. Sollte sie ihren Stolz an jener Überzahl erproben! Seine Hand ließ die dunkle Kapuze fahren. War es doch sicher nicht reine Unschuld, die die Yassalar in diese Lage getrieben hatte!


    Seine Schwingen spannten sich bereits, lechzten kribbelnd in den Winden, die ihn erneut empor zu tragen versprachen. Tief unten wurden Schritte im Straßenschacht laut. Die Finsternis entließ die Schemen der Jäger.
    Ascan drehte den Nacken, massierte seine Halsmuskeln als würden sie schmerzen. Schadenfrohe Laute entsprangen der Front der Verfolger, tasteten sich lauernd vor zu jener Yassalar. Noch einmal fing sich der Blick an ihr. Form und Ton von Stimme und Gestalt. Bekanntes Wesen.
    Gezogene Waffen blitzten in Händen, die gewillt waren, sie tief in schwarzes Fleisch zu treiben, ausstehende Schuld in verruchtem Blut zu ertränken. Strafe… Vergeltung … Sühne?
    Die Zähne des Sylph knirschten aufeinander, als sich seine Schattengestalt weit über den Abgrund vorneigte, die Finger an eisenkalter Kraft vermissten.


    Nächtliche Aufwinde peitschten den Schacht entlang, brandeten hinauf, fingen sich in den weißen Strähnen vor seinem Gesicht. Ascans Hände krallten sich unter den Sims, zogen den Leib mit Schwung hinab. Erneut nutzten seine Stiefel den Stein zum Abstoß. Zu schmal die Schlucht für ausgebreitete Schwingen, doch angewinkelt, die Luft wie geknickte Klingen durchschneidend, bot sich Raum.
    Tosendes Gebrüll, wo ein Dutzend Männer vorstürmten - und mit Mal ein Geschöpf, aus Schwärze und Schwingen bestehend, auf ihr sicher geglaubtes Opfer niederstieß; kaum am Boden mit dessen Schatten verschmolz... und sich dunkle Schwingen drohend langsam erhoben.


    In Irritation und Furcht eingehüllt, wurden Schritte plötzlich zögernd gesetzt, versuchten Augen, die erschreckende Erscheinung zu verstehen, die sich ihnen bot.
    Angstgespendete Zeit, die Ascan nutzte und seine Arme fest um den schlanken schwarzen Unterleib schloss, sich eng an ihren Rücken lehnte, ein einziges Wort dem überfallenen Gehör spendend.
    „Ruhig.“
    Einen Bann der Stille heraufbeschworen, wartete er lauschend, atmete das Salz ihres Körpers ... bis die Verfolger sich mit Mal besannen. Den Schrecken niederringend, warfen sie sich erbost der neu entstandenen Kreatur der Nacht entgegen. Ascans Augen schlossen sich halb, sahen den Wind kommen. Luftige Krallen fetzten sich an totem Gemäuer heran, stießen die Angreifer voran, brüllten hinein in Ascans Schwingen, den Sylph mitsamt seiner Ergriffenen empor reißend.
    Ein pfeilschneller, gerader Aufstieg, der den Atem stahl und sie erst weit oben besänftigt in die Welt der Nacht entließ. Glücklich wohl, wurde ihm gewahr. Hätte auch nur einer seiner Flügel die Mauer gestreift, wären sie zum Spielball des neu geborenen Windstroms geworden.
    Doch nun lagen alle Gefahren tief zu ihren Füßen. Alle Gefahren… bis auf eine… und deren silbernes Haar schmiegte sich viel zu sanft an seine Wange.

  • Ihr Herz wollte sich endlich mäßigen.


    Etwas stimmte nicht, aber Zarasshin war nicht beunruhigt ... Stillschweigen ... Aufmerksamkeit, ihr Körper wandte sich ab, um es den Sinnen zu erleichtern ... sie sind da, schöpften ihre Lippen Kraft zu einem unverschämten Grinsen, das sich zu einem flüchtigen Lächeln hinabsenkte, ehe sich ihre Arme zu einem Willkommen breiteten. Nur ein paar Schritte in die gekommene Richtung zurück, zeigte sie keine Zaghaftigkeit, zog sie sich weit näher heran. Sie verachtete ihre Rohheit, ihre Sturheit und bewunderte ihre Ausdauer. Gestalten von kleinem Wuchs, für Zarasshin schmutzig mit all ihren Haaren am Körper, selbst Elfen derb im Gesicht, sie stießen sie ab. Es sind abgerissene Gestalten, zerlumpt und unterernährt, Menschen - wer weiß, der Hunger, die Wut und die Verzweiflung stehen ihnen in die Augen geschrieben. Sie sahen die Schuld einer ganzen Rasse in ihr.


    Übergib sie mir! zischte das Biest mit ungewohnt weicher Stimme, wollte das Leben verschlingen, das sich ihr bot, und Zarasshin schaute ihren noch schwärzeren Schatten an und wusste, dass er ein Albtraum für jene sein konnte, doch gegen eine Übermacht würde er unter ihren sich bewegenden Leibern verschwinden, denn er war an ihren eigenen Körper gebunden. Sie werden Blut weinen!
    Unseres, das sich auf ihren Gesichtern spritzend verteilt hat
    , war es spottend gemeint, doch der bittere Geschmack grub sich in ihre Zunge, die ihr die Kehle vor Wassernot verengte. Die Manschetten klackten aufeinander als sie die Ellen gegeneinander schlug, um Eisenstifte einrasten zu lassen, bevor jene nah waren.


    Waren nicht ihre Kraft und Durchhaltevermögen unerreicht? Kostbares Nass ... immer wieder der eine Gedanke, der bald übermächtig werden würde, ihre Schwäche, ihr Verhängnis ... sie hatte Grenzen, sie war nicht unfehlbar und sie wussten es auch.
    'Ihr seid vielleicht verzweifelte Wesen, aber dennoch seid ihr keine Yassalar!', zürnten ihre Gedanken und ihr Vertrauen in sich selbst umschloss sie wie eine Faust, 'denn ich kenne weder Furcht, noch Schmerz.'... und sie war froh, wie es sich verhielt. Wären es Yassalar, so wäre die Beute längst erlegt, nicht gestellt, nicht atmend und sich windend im Schutz der Nacht.
    Wenn du sie töten willst, dann tu es bald. Wahr sprach die Schwester, die ihr Wille war, wie sie der Körper, denn die Schuppen gierten nach dem Meer, wie die andere nach dem Kampf. Kein Zweifel lag in der Forderung, denn wo noch trockene Schwäche war, konnte ein williger Geist die Oberhand erringen. Sie lauschte, lächelte. Jetzt war sie bereit sie zu empfangen. Zarasshin bediente sich der Schwester Gefühle und kalte Gleichkültigkeit durchströmte sie endlich, die Zweifel vergingen und sie hieß das Gefühl willkommen, die reine Willenskraft.
    Feiglinge sterben viele Male vor ihrem Tod, sie hat aber auf diesen einen gewartet, den einen nach einer erfolgreichen Jagd, der in Wahrheit ihr den Tod bringen würde. Angst war unbedeutend, denn sie dient nur dazu, das Leid zu verstärken und die eigene Lage erbärmlich zu machen, so wie ihr Volk sie benutzt, sich daran zu ergötzen. Zarasshin würde es gern länger und intensiver genießen... kurz durchflutete sie ein Gefühl des Triumphes, ein wahrlich hochtrabendes orgastisches Gefühl der Euphorie, es brannte in ihrer beiden Nerven, es verschlug ihnen den Atem, es machte sie einen Moment blind, ihr Bauch kribbelte. Oh Schwester, ich ertrage es kaum!


    "Niemand ist hier, um dich zu retten, niemand dich zu betrauern«, schleuderte das erste Männchen ihr entgegen. Der Anführer hob seinen Knüppel wie zur Verstärkung seiner Worte. Es war ein rauer Kerl mit einem langen, verdreckten Gesicht, reichte der Yassalar gerade mal bis zur Brust und seine Augen sprangen ihm mit den Worten fast aus den Höhlen. Das Biest betrachtete ihn kurz interessiert, doch dann machte sich bemitleidende Ungeduld breit.
    "Warum sollte dies Anlass sein zu Trauer oder Freude?" fragte sie zurück. Und Zarasshin spürte das Eis, wie es in ihr birst und ihre zwei Seelen davon brannten. Sie waren endlich wieder eins.


    Es schwang am Rand ihrer Wahrnehmung wie ein Vogelruf, den man vielleicht normal zu hören vermochte, sich aber dann darüber hinaus steigerte, an den Nerven vibrierte ... setzte in ihren Erinnerungen Bilder frei: verstaubte Bücher, Stimme in den Schatten einer Kapuze verborgen ... schwarze Federn flogen auf und man hätte nicht sagen können, woher sie gekommen waren, der Wind fauchte sie ihr zu. Zarasshin stand die Überraschung in das frostige Gesicht geschrieben, Blut rauschte vor Beschämung in ihren Ohren. Sie hatte es nicht bemerkt. Zuckte, als sie den Druck wahrnahm, den Arme an ihre Hüfte brachten. Aber sie verhielt still ... Zarasshin bleckte die Zähne. Selbst mit ersterbender Kraft würde sie kämpfen, um den Feind doch noch zu töten. Wollte er zusehen, wollte er helfen?
    "Ruhig."
    Dieser Augenblick und wie er verging. Er roch vertraut.
    Sie sah die schmeichelnden Winde, die nun nur um sie wehten. Der Angreifer Luft stand still.
    Sie ahnte die Winde, die da entstanden, wo die Stimme sprach, die jetzt wieder verflog. Die Winde, die sich jenen entgegen stellen wollten.
    Sie würde sich nicht von ihm als Opfer halten lassen ...
    Doch sie schnellten in die Höhe, warfen sich inmitten die engen Häuser und in ihrer Vorstellung neigten sich Bäume im Sturm der Flügel und Steine regneten hernieder, die Begeisterung zerriss mit ihrem Schrei die entstandene Stille.


    Es war ein Traum für ein anderes Leben gewesen.

  • Hoch oben verzerrte sich die Welt in Geschwindigkeit, dass Augen tränten, Lippen vertrockneten, so sehr man sich auch bemühte zu sehen, zu begreifen, nur um eine Winzigkeit zu erkennen, bevor sie sich in Schemen verlor. Die Stadt breitete sich schmerzlich unvertraut unter ihr aus, während ihre Tränen schweigend auf sie fielen, sich in der funkelnden Schwärze verloren, nie gesehen, nie bemerkt. Tränen vom Wind, Tränen auch, weil kein Yassalar es zuvor hatte sehen können, Tränen, die sie nicht halten konnte, weil sie erst jetzt spürte, wie schwach ihr Körper war, den sie kaum mehr spürte ... doch vor allem: der Sylph sie verraten hatte! Sie beraubt hatte, um den einen Kampf, den letzten Kampf ... die Schwester schwieg entsetzt vor diesem Ende, dieser Schmach, die an ihr klebte und die auch weder der Wind, noch das Meer, würden mit sich nehmen können. Fast hätte ihr Ellenbogen sich den Weg zu seinen Rippen gesucht ... lass mich fallen! ... aber ... aber sie hing wie ein Tintenfisch ... als die Wut bebend sie erfasste, sie es doch sehen wollte, alles, was die Höhe, sein Flug ihr bot, verfing sich so in ihrem eigenen fehlbaren Netz. Ihr Meer, ihr süß vermisstes Meer, glitzernde Pracht, wahrlich ein schwarzer Schild, der nach ihr rief, um sie vor dem Wind zu beschützen, um sich um sie zu hüllen ... doch ... sieh, sieh! Denn musste man nicht alles so an sich reissen, was gegeben wurde? Es einprägen, nutzen.


    Hoffend, dass ihre Beine ihn nicht behinderten, schwang sie diese mit Qual nach oben, hakte den unbeschuhten Spann über seine Beine, bog Zarasshin ihren Oberkörper dem seinen entgegen, umklammerten ihre baumelnden Hände endlich ihren Oberkörper, seine Arme nicht zu fassen bekamen, weder in Stoff und Haut klaubten, sich nicht halten konnten ... fuhren zielstrebig nach hinten, ein scharfes, inniges Lachen, als Zarasshins Handflächen festes Gesäß umfassten, um sich mit seinem Körper in eine Linie zu begeben. Im Hochgefühl warf sie den Kopf in den Nacken, an seine Schulter, die Mulde dazwischen, presste die Wange an seine, da er sie so tief gepackt hielt. Sollte er seine Beute spüren und erschaudern! Der Wind begegnete ihren kurz geschlossenen Augen und sie war Mut und Vertrauen in einem, ließ ihn über sich gleiten, wie der kurze Rausch, wenn man aus dem Meer stößt, die Luft zerteilt, doch die Schwerkraft einen wieder nach unten zerrt ...
    ... hier gab es sie nicht. Fliehende Winde, die sie nicht greifen konnten, eine Leichtigkeit, die sie nie zuvor empfunden hatte. Sie begegnete in diesen Momenten ihrer herrlichsten Nacht und wusste es durchaus zu schätzen.


    Breite die Arme aus und fliege, gehorchte sie ihren Gedanken, spürte den Sog seiner schlagenden Flügel auf ihren schutzlosen Schwimmhäuten, die sich streckten, in eine Leere, die nicht beängstigend war, mehr berauschend, ein Gefühl, welches sie nie mehr von sich lassen wollte. Kam es dem Tod nah, den sie sich hatte schenken wollen? Ja, das tat es.

  • Wo bereits störrisches Geschrei, wehrendes Gefecht erwartet wurde, blieb seine dunkle Gefährtin unverhofft still. So widerstandslos; wehrlos in seinen Armen… hatte die Faszination der Höhe sie hypnotisiert oder war es allein die Furcht vor dem Todessturz, die ihre Fäuste zu zähmen verstand?


    Ascan lächelte in die Nacht hinein. Von Wind zu Wind gleitend, fiel die Kuppel hinter ihnen zurück, mehrten sich die Lichter und trieben die Schatten zu ihren Füßen zusammen, wenngleich sie hier oben… im Herzen der Dunkelheit… niemals Macht erlangen würden.


    Ascans Augenbrauen zogen sich zusammen, als schlanke Hände plötzlich an ungewohnte Stelle langten… Halt suchten? Man ließ sie mit aufbebenden Schwingen gewähren, da sie nicht hatte sehen können, wohin sie griff. Es änderte nichts, das sich noch ändern ließe. Die Verbundenheit spann sich längst unausweichlich. Jede einzelne ihrer Bewegungen wurde hier oben zum Teil seiner Kraft - Schatten seines Schattens, den er bereitwillig an sich gezogen hatte, als er entschied, sich selbst in ihr zu sehen.


    Ihr intelligentes Anpassen, der Hauch schwarzer Haut an seinem Gesicht fingen seine Aufmerksamkeit erneut. Der Blick folgte den im Licht der unteren Welt schimmernden Armen, wie sie sich streckten, als wollten sie den Wind selbst begrüßen, unter sich locken. Betörende Begeisterung. Doch Gedanken jener Art gewährte er nicht länger Beachtung, versenkte sein ganzes Sinnen zurück ins Beherrschen der Winde, bis das Ziel erreicht sein würde. Seine Augen füllten sich mit dem mannigfaltigen Funkeln der nächtlichen Stadt, während er das eine, das schwarze Auge suchte.

  • Dunkelheit war ein dehnbarer Begriff.
    Dunkelheit in der Tiefe konnte von den Augen der Yassalar durchdrungen werden, ganz und gar stockfinster in den Abgründen der See. Aber es war vertraut, wo andere zögerten. Das nichtige Erkennen, was vor einem lag, wollte Zarasshin keine Ängste bescheren, die Ungewissheit hatte ihren Reiz, ebenso das Vertrauen in diesen schweigenden Geist, der keinen Ton an sie richtete, obwohl die luftige Dunkelheit sein Reich war. Er würde sehen können und sie teilhaben. Alles war ihm hier möglich und sie erspürte den Genuss, den es ihm bescheren mochte.
    Die Dunkelheit in den Himmeln legte sich beruhigend auf sie, der Zorn wurde ihr mit der Flüssigkeit von der Haut gezerrt. Keine Bedrohung wirkte auf sie, die Atmossphäre war zu einem Gleiten geworden, als sie eins in seinen Bewegungen wurde. Es war wie ein großes, dunkles Meer oberhalb allen Geschehens. Keinen Lichtstrahl wollte Zarasshin sehen, der es wohlmöglich brechen könnte.
    Dunkelheit in der Luft bedeutete auch, dass sie ein wenig von dem fühlte, wenn der Sturm über dem Meer losbrach und sie in einer Höhle den Höhepunkt abwartete. Immer das größte Toben, um sich dann in Schrauben in das Herz zu werfen, peitschend sich den Elementen entgegen zu werfen. Wie würde es sein? Wie hier oben?


    Wahr war, dass sie die Bewegung seiner Wange spürte, erahnte, dass es die Lippen waren, die sich in ihre Richtung verzogen, nur um es selbst zu zeigen, was sie als Lächeln kannte. Wenn das Wesen, das er war, so vollkommen hier oben gleiten vermochte, wie es ihr Körper in der dichten Tiefe der Ozeane tat, würde ihn ihr leichter Körper kaum behindern können. Er würde sie kaum bemerken, würde kaum bemerken, dass sie begann diesen zu drehen ... gleichmäßig, um nicht einzugreifen, press an ihn gedrückt, sich haltend wie an einem Wal, der sie durch das Wasser zog.
    In einem drehte sie die Schultern, fassten ihre Hände nach den seinen, schwang ihre Hüfte herum, ihre Beine vertauschten ihr Halten.
    Begierig waren ihre Augen geweitet, die Euphorie mochte ihm entgegenstrahlen, denn nichts anderes als Ekstase fühlte sie. Zarasshin schnupperte deutlich, sie war so nah, der Wind berauschte ihren Rücken, fuhr nicht zwischen sie.


    "Ich kenne dich, Schweigender", sagte sie mit der Gewissheit, dass er sie hören konnte. "Wenn ich meine Schuld zahle, dann mit dem Höchsten, was mein Leben wert ist: ich vergieße mein Blut, denn nichts ist teurer in diesem Meer als Yassalarblut!"
    ... Es ist ein erleichterndes Gefühl, den Balast abzuwerfen ... kramten ihre Gedanken in der Erinnerung der Hallen, hatte sie diesen Satz zu ihm gesagt? ... sollte er sich nicht daran versuchen, sonst wäre ihre Schuld bald beglichen. Sie verstand nun, dass es ihn nach oben zog, dass er selbst in dunklen Räumen auf Regale steigen musste, anstatt daneben zu stehen. Hatte er nicht überlegen müssen, mit ihr in das Wasser zu steigen, sie hing an ihm wie ein Stück Treibholz, das sich verfangen hatte. Die Gefühle, die sie hier oben empfand, waren belanglos, sie zählten nicht, auch wenn Schwermut sie ergriffen hatte ... sie zählten nicht und würden verwehen, wenn ihre Füße die harte Realität traten.


    Und ihr Mund war so ausgedörrt, dass sie alles für einen Schluck Wasser gegeben hätte.

  • Kraftvoller schlugen seine Flügel, eroberten neue Höhe, während der Fürstenpalast unter ihnen zu einem glitzernden Spielzeugschloss verkümmerte. Die sich anschmiegenden Winde tuschelten von einem Wirbel nicht allzu weit entfernt, doch ihre Lockungen verflossen machtlos in seinen Gedanken.
    Weit fächerten sich die Handschwingen seiner Federn, tasteten ins trügerische Schwarz, in welche Richtung es sie heranziehen würde, da ging auch von der Yassalar in seinem Griff neue Bewegung aus. Vorsichtig gewiss, doch man hatte es bereits nahen gespürt - die Anspannung bemerkt, mit der Gewicht neu verlagert werden musste. Sie wagte erstaunlich rasch, sich auf die Sicherheit seiner Flugkünste zu verlassen und er gewährte ihr ihren Mut, half ihrem Vorhaben voran, indem er die Muskeln seiner Arme entspannte, Raum gab.
    Fasziniert wurde verfolgt… das Wenden Schritt für Schritt nachvollzogen. Selten hatte sich die Eleganz Flügelloser auch in seiner schwankenden, launischen Welt bewährt. Welch mutigen Meisterkämpfer; welch reich mit Farbe und Geschmeide verzierte Dame hatte er schon mit sich empor genommen, die - kaum des Bodens beraubt - zu erbärmlich zitternden Kartoffelsäcken mutiert waren, nicht mehr fähig, einen anderen Gedanken zu fassen, als den, sich an seinen Gliedern festzukrallen, bis das Blut aus den verkrampften Händen floh.


    Der Druck ihres Körpers an seiner Lederrüstung rann wärmer durch seine Muskeln, als er bereit war, zuzulassen. Es bewies sich erschreckend klar, dass sie ihrem Ruf gerecht war - jene attraktive Anmut der Yassalar kein Geschwätz unter Unwissenden gewesen war.
    Ihr Gesicht... zu nah… ihre Augen... zu berauscht…
    Sein Griff hatte sich längst geteilt, um ihre neu gewählte Position sicherer zu unterstützen, unbedacht ihre Taille umschlungen wie die baren Schultern umfasst… sie dadurch in eine Haltung geführt, in der machtvolle Erinnerungen ihm den Kontrast zur Realität gefahrvoll verschleierten… Verwirrung stifteten wie zugleich klaren Verstand lähmten.


    „Ich kenne dich, Schweigender“, zerrissen kühne Worte die schwindenden Gedanken. Harte Worte, denen man lauschte, sich von den Augen, den Lippen fortzerren ließ. Sich wieder fand, um die Lider für einen atemlosen Moment zu senken.


    Ascan öffnete den Blick, begegnete ihrem. „Dein Blut ist am wertvollsten da, wo es jetzt ist.“ Überraschend zog er die Flügel dicht heran, sodass diese sich kühl über den Rücken der Yassalar deckten. Meterweit ließ er ihre Körper fallen, dem Sog der lauernden Windhose auf diese Weise ein Schnippchen schlagend, und erst, nachdem er den Sturz mit seinen sich neu öffnenden Schwingen abgefangen hatte, kehrte seine Aufmerksamkeit zu seiner – Schuld bietenden - Begleiterin zurück. „Und läge mein Interesse darin, dich leiden zu sehen… hätte ich nur dort oben zu warten brauchen… belassen wir es dabei.“


    Seine Stimme blieb ernst bei diesen Worten. Er hatte nicht vor, irgendeinen Ausgleich für seine Handlungsweise anzunehmen, geschweige denn zu erfahren, ob es Schuld oder Unschuld gewesen war, die er beschützt hatte … und plötzlich ließ sich seitlich ihres Halses der Mondenteich erkennen, der schwarz und so finster wie die Schatten über seinen Ufern zu ihnen heraufblickte. Stilles Herz. Ascans Augen forschten von selbst in jenem dunklen Spiegel, fahndeten nach den körperlosen Schemen des Himmels, entdeckten sich selbst unter ihnen. Verzerrte Realität…
    Ein gequältes Grinsen. Dort unten oder hier oben…?
    Abermals rauschte der Wind an ihnen vorbei, legte sich Druck auf ihre Ohren, während die Erde ihnen wutentbrannt entgegen sprang. Ein Aufprall könnte es sein. Zerbrechlicher als Glas wären ihre Körper angesichts der Wucht, die dieser Grund für sie bereithielt - sie, die so dreist gewesen waren, seiner Kraft entfliehen zu wollen.
    Lebende, schwarze Segel, die den Tod zurückhielten. Sand und Kiesel knirschten, wo sich langsam Füße auf sie senkten, geraubtes Gewicht zurückgegeben wurde. Die Ruhe der kleinen Wellen floss magisch durch die Luft, der Samt des Wassers trug jedes Blatt, jede Rose, unbeeindruckt von den Winden, welche weit weit oben ihre Herrschaft um den Himmel ausfochten.


    Niemals hätte er sie erneut in jenes schwarze Netz der Häuserschluchten entlassen, aus dem er sie eben erst gefischt hatte. Dieser Ort war wie geschaffen für ihre wassergewohnte Natur und ihm bot sich die Möglichkeit, neuen Atem zu schöpfen und langsam zur Welt unter seinen Beinen zurück zu finden.
    Ein letzter Moment verstrich, in dem sich Berührungen zu Erinnerungen festigen konnten, ehe der Griff so leicht gelöst war, freigegeben wurde von Nähe und Pflicht. Den Boden brauchten sie gewiss nicht mit vier Beinen stützen.

  • Sie wäre nicht Yassalar gewesen, hätte ihr Anspruch nicht seine Kraft der Arme zu schätzen gewusst, die ihre Bewegungen zuließen, mehr noch einen Raum boten, in dem sie selbst losließen in ihrer Spannung, um ihr die Drehung zu gewähren. Ein wechselhaftes Spiel ihrer Körper, die sich in nichts nachstanden, weder in Anmut, noch Disziplin: Besonderheiten, welche sich keineswegs gegenseitig wiedersprachen. Das eine konnte durchaus in dem anderen liegen und es in seiner Einfachheit zur Vollkommenheit ergänzen. So lebendig, so voller Kraft war es, dass ihr ein Stöhnen entrann, tief in ihrer Kehle, so makellos anders als ihre beherrschte Distanz, die sie zu allem wahrte. Überrascht stellte Zarasshin fest, dass es zwischen ihnen eine elementare Kraft gab, die dafür Sorge trug, dass sie sich anzogen, wie abstießen. Rasse, Kultur und Erziehung starrten sich mit ihren Augen an, trennten sie über ihr Starren hinweg und wollten sich doch aneinander reiben.


    Aber er wies ihre Schuld von sich. Die Verwunderung, die hinter ihrer Stirn arbeitete, gelang es nicht ihr Gesicht zu zeichnen. Zarasshin musste hart schlucken, ihr nicht vorhandener Atem wollte kaum noch ihre Brust erreichen, um Worte zu finden, die sogleich erstickten. Ihn zurecht zu weisen musste warten, auch wenn es ihr alles zusammenpresste, was sich da in ihr steigerte. Der Sylph hatte zu nehmen, was sie ihm schuldete! Keineswegs würde sie ihre Worte wiederholen! Sollten sie ihn jedes Mal umwehen, wenn er in diese Lüfte stieg – solange würden sie hier oben verweilen, bis er sie mit sich nahm, Zarasshin wollte sie nicht mehr zurück. Und als wollte er ihr heißes Blut besänftigen, das nun an ihm klebte, umgaben sie seine kühlen Federn, verbargen ihren Zorn vor der nächtlichen Welt. Doch es würde nicht genügen, ihre Äußerung hier zu behalten, einzuschließen, so dass sie es zurücknehmen wolle.


    Sie fielen durch die Leere. Sofort erhob sich der Schwindel, wie ein Tier aus der Tiefe, um sie einzuhüllen. Der Geruch des Wassers griff nach ihr, noch bevor ein Sinn zu sehen vermochte und fuhr mit Krallen durch seine Flügel, um sie zu erreichen. Marternd richtete sich ihr ganzes Sein nur auf das verlockende Nass und sein Sturz war nicht schnell genug. Die Zeit löste sich zu jener Pfütze auf und verbreitete sich bis in die luftigen Höhen ... der Sylph war nicht mehr fähig, ihr Obhut zu gewähren, denn die Yassalar war schon fort ... nur um durch seine Worte zurück gerissen zu werden, die sie kurz zu halten vermochten, bis sie sich abermals losriss. „Und läge mein Interesse darin, dich leiden zu sehen… hätte ich nur dort oben zu warten brauchen…“ Seine Worte hingen zwischen in ihnen in Raum und Zeit.
    „Ja“, hauchten ihre Lippen, kaum hörbar antwortend, abwesend ... verweile hier und ihr Leid wird in deinen Armen beginnen ... sie litt bereits, noch beherrschte es sie nicht vollends, aber es war keine Zeit zum Überlegen, sie musste in das Wasser, das sie rief, das ihr zeigte, wie abhängig ein Wesen wie sie doch war ... bis sich sich losreissen wird, um dich mit in die Tiefe zu nehmen ... . So wehrlos, so armselig ... als die Bestie erwachte, vor Zorn, das der Sylph die Schwäche der Yassalar sah, sie bemerken musste. Jeder sollte die perfekte Schöpfung anerkennen, die sie war, doch nun ... nun ... wäre der Sylph weit davon entfernt und die innere Stimme bebte vor Groll.
    Das wäre ein Fehler, flüsterte die Schwester in Zarasshins Gedanken, rüttelte an ihrem Gefängnis, trümmerte auf den letzten Tropfen Bewusstsein, der noch blieb, als die Erde nah war, gelenkt auf die Beine, als der ungewohnte Griff sich löste. Stark, wo Zarasshin selbst schwankte, kroch sie hinaus und veranlasste, dass Zarasshin stand. Die Qual des Durstes überkam sie übermächtig, ihr Verstand drohte ihr mehr und mehr zu entgleiten. Aber sie blieb beherrscht an Ort und Stelle. Ihr Antlitz war verzerrt, denn es verlangte sie, dass der Verhüllte warten wollte, während der violette Blick davon stürzte, eintauchend in die Eingeweide des Mondenteichs. Und das Letzte, das sie sah, war eine harmlose Brise, die mit einem Seufzen über den Stoff seines Mantels strich, seine Hände ruhten auf seinen Oberschenkeln, natürlich und entspannt zusammengerollte Finger.
    N E I N!
    Dann glitt sie hinüber in die Dunkelheit, fiel erst auf ein Knie, bevor sie vor seinen Füßen zusammenbrach.

  • Erschrocken in die Knie gehend, konnte Ascan sie gerade noch ergreifen, ehe ihr Kopf das Ufer traf. Fassungslosigkeit grub sich in sein Gesicht, ließ seine Hände an ihren glatten Schultern verharren, während der Blick wieder und wieder über die bewusstlosen Züge der Yassalar strich. Sichtbar stürmten Gedanken, falsche Fragen hinter seiner Stirn, ehe sie hektisch beiseite gewischt wurden, sich die Aufmerksamkeit stattdessen das strenge, nun zugleich wehrlos wirkende Gesicht entlang tastete, der hohl wirkenden Wangen, der stumpfen Haut gewahr wurde. Ascan schloss die Augen. Wütend verzogen sich seine Lippen.

    Nachdem er ihren Oberkörper sachte auf das steinige Ufer gelegt hatte, hoben sich seine Arme unter ihren kraftlosen Leib. Ihren Kopf erneut an seine Schulter gelehnt, erhob er sich, schaute die wenigen Meter zum See hinab.
    … Ich würde es mir doch stark überlegen, mich mit Euch ins Wasser zu begeben …
    Undeutbar senkte sich Ascans Blick auf die Yassalar in seinen Armen, bis sich ein kurzes Schmunzeln aus seinen Gedanken hervor stahl.


    Die ersten Wellen zerrissen erschrocken, flohen in weiten, feinen Kreisen. Ein paar Gräser strichen noch seinen Mantel entlang, neigten sich tief unter seinen Schwingen, bis auch diese letzten Grenzwächter des Ufers zurückblieben. Der Grund sank stetig ab, ließ seine Sohlen weit in den schlammigen Grund eindringen, das kalte Wasser bald ungehindert in den Stiefelschaft schwappen.
    Weit und einladend öffnete sich der Blick über ebenmäßiges Kristalldunkel. Keine Erhebung, keine fremde Bewegung, die den Einklang störte, nur das gleichmäßig dunkle Plätschern, mit dem er noch immer vorwärts schritt.
    Kaum dass der Wasserspiegel seine Lenden erreichte, durchströmte ihn ein kalter Schauer und löste ein deutliches, helles Rascheln aus, mit dem sich die Federn seiner Schwingen sträubten. Der Klang zog wie glasklarer Tropfenregen übers Wasser und verlor sich rasch, während die Spitzen seiner Armschwingen bereits ins kühle Schwarz eindrangen und unbemerkt zwei Strudel nach sich zogen, die das Wasser weckten.


    Weit erhoben, der nassen Fläche nach besten Kräften entzogen, streckten sich seine Flügel, spiegelten die Schatten unter den Wellen. Das Wasser umschloss die auf seinen Händen treibende Yassalar fast vollständig, doch noch zögerte der Sylph, sie den Fluten zu übergeben. Ihre Kiemen befanden sich bereits unter der Oberfläche, mochten längst zu dieser Art des Atmens zurückgefunden haben. Nur ganz sicher konnte er sich dessen nicht sein, dafür war ihm der Umgang mit ihrem Volk zu unvertraut…
    Seine Vernunft lachte über seine Sorge, dass er angesichts des Gedankens zögerte, ein Wasserwesen ertränken zu können… doch die Kälte des Wassers war ihm erträglich, sodass es keinen Grund gab, vorschnelle Entscheidungen zu fällen. Immerhin würde er sie, einmal in den See entlassen, nicht wieder ergreifen können…


    Dunkle Augen betrachteten die Manschette, wanderten weiter, sich an Kleinigkeiten wie an allem anderen nur kurz aufhaltend, doch länger bei ihrem Gesicht verweilend. Es gab keine und viele Erklärungen für die Faszination, die sie weckte. Riskant durchaus, dass er sich tiefer in Gedanken über sie wagte. Sie gehörte zu den Dingen, von denen man sich sicher sein konnte, dass sie einem Leid brachten…
    Und er hatte sich bereits in einem solchen Alptraum verloren, von dem er sich nicht abwenden konnte. Ein weiterer... und er würde wohl daran zugrunde gehen.


    Langsam neigte sich Ascan vor, löste die Hand unter ihren Schulterblättern, um seine Finger behutsam über ihre Kiemen zu bewegen. Spürbar, wenn auch zart, die Bewegungen. Auch die andere Hand gab den treibenden, schlanken Körper nun frei. Ascan erlag nicht der Versuchung, dem dunklen Schemen nachzusehen, wie er im Schwarz seiner eigenen, fremden Welt verschwand. Seine Schritte führten zurück, ignorierten das kühle Säuseln im Wasser, das ihm zuvor nicht aufgefallen war.
    Seine Flügel sträubten sich noch einige Male, bis er dem Ufer endlich nah genug war, um das durchweichte Leder von Rüstung und Hose zu spüren, dass sich ihm wie klebriges Eis um die Glieder wand. Ascan schlang die Arme um seinen Oberkörper, rieb seine Muskeln warm und faltete derweil seine trocken gebliebenen Flügel um seine Schultern.
    Er fror erbärmlich und folgte dem Drang, noch einmal aufs Wasser zu blicken, eine Veränderung zu suchen, die natürlich nicht existierte. Nur die Stimmen schwebten noch über dem Mondenteich, ließen Ascan noch einige zeitlang in Bann gezogen lauschen, bis auch die letzten Wellen verebbt waren, die von seiner Rückkehr aus ihrem heiligen Reich erzählt hatten.

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