Des Gefühles Schattenriss

  • Wie sehr Silene auch versuchte ihre Gedanken von den Worten der Yassalar in Schwingung versetzen zu lassen, es gelang ihr nicht. So blieb ihr keine Kraft, keine Intention und kein Grund die Yassalar zurecht zu weisen.
    Sie war ihr eigenes Recht, was half es da, zu erklären, zu erläutern und zu verstehen zu versuchen. Silene hatte die Yassalar tief blicken lassen, tiefer als es vernünftig gewesen wäre - doch Worte ließen sich nicht zurückholen, sie ließen sich nicht heranwehen und verschlingen - alleine weitere Worte konnten ihnen die Kraft noch nehmen.
    "Glaubt Ihr ich bräuchte Eure Akzeptanz?", fragte sie mit klarer, gefasster Stimme. Ihr Inneres war geklärt, alles hatte Struktur, Ordnung - und selbst in den Gedanken der Yassalar, die Silene zerstreut hatte, fand sie Sinn. Zerstreutheit zwang dazu, die Gedanken wieder aufzulesen - wie wenn der Wind durch gesammelte Aufzeichnungen fährt und sie auf dem Boden verstreut, so musste sie sich jetzt in der Lage finden, sie einzeln zu lesen. Ihre Objektivität wurde angekratzt, das missfiel ihr, scharrte es doch tiefe Gräben durch ihre Muster, warf wilde Wellen in die gleichmütige See der Seele.


    Ohne Rührung verfolgte sie die Yassalar mit ihren eisigen Blicken; wie sie sich erhob, Aufmerksamkeit erheischend den Raum querte. Ihre Gedanken all jenem gewidmet, dass sie nun über die Yassalar wusste, sann sie nach dem Grund. Es war wie sie gesagt hatte, sie hatte recht: Es ist ein Unterschied, nicht zu wollen oder nicht zu können. Silene konnte im gleichen Maße wie sie nicht konnte. Sie konnte nicht empfinden - aber sie konnte verstehen. Ihre Wille dazu war ungebrochen - diese Quelle stand ihr zur Vefügung.
    So bündelte sie ihre Aufmerksamkeit völlig auf die Yassalar um zu erfahren, was sie zu tun gedachte.

    Nur ewigen und ernsten Dingen / Sei ihr metallner Mund geweiht
    Und stündlich mit den schnellen Schwingen / Berühr' im Fluge sie die Zeit
    Dem Schicksal leihe sie die Zunge / Selbst herzlos, ohne Mitgefühl
    Begleite sie mit ihrem Schwunge / Des Lebens wechselvolles Spiel
    Friedrich Schiller - Das Lied von der Glocke

  • Und alle Augen sahen sie an, Zarasshin bemerkte es wohl.
    Sie erahnte den Schmerz der Wesen hier mit ihr in diesem Raum, die nichtsdestoweniger beklagten, was sie sich selbst nicht gönnen wollten, was sie doch so sehr begehrten: mit dieser Yassalar auf Streifzug gehen, die Aufregung spüren, etwas Verwegenes tun und wenn es nur einmal gewährt wurde und nur einmal in ihrem Leben geschah. Da war der Gedanke: sie aus der vorgegebenen Bahn zu werfen, alle Knochen zu brechen, wenn es sein musste, es wäre es wert.
    Im nächsten Leben soll mehr Gerechtigkeit sein ... wir werden sehen, ob ihr schwarz unter dem Meer geboren werdet. Zarasshin lachte gönnerhaft in die Runde.


    Worte waren ein kompliziertes Mittel. Besonders, wenn man sie nicht in der eigenen Sprache verwenden wollte. Verstand man die Bedeutung, glaubte man es gar nur. Worte, die keine Wirkung erzielen hatten wollen, waren eingeschlagen und in Aufruhr wieder aufgetaucht. Weitreichend die Klänge, auch wenn keine Wellen sie ihr zutrugen, kaum zu verhüllen ... Unmut? würde Zarasshin nun vermuten, so widersprechend es auch ertönen wollte, wenn es ein anderes Geschöpf wäre, das da saß.
    Strömte nicht alles einfach weiter? Eine andere Art von trockenem Lebewesen, eine Variante vieler, Elfen, Zwerge, Ashaironi - mit gleichem Geschmack, wenn sie ihr Blut in den Meeren verließ. Was machte es schon?
    Ihr seid alle gleich.
    Und da erhob sich jemand, lief hinaus. Er ließ ausbrechen, was Zarasshin in sich hielt, zerteilte die angespannte Ruhe in diesem Moment in erbauliche Bewegungen, nahm sie mit und glättete die Wogen in ihrer Brust ... vielleicht erkannte sie jetzt endlich, was man unter trüerischer Hoffnung verstand. Der Anblick war wie Balsam.


    "Nein", Zarasshins Stimme teilte gleichmütig im betörenden Selbstbewusstsein die luftigen Wellen, und ihr Ton war milder und voller Geduld, drehte sich und lehnte sich rücklings, mit weit gebreiteten Armen, an die Theke, die nur mehr half sie stützend darzustellen. Einem eindringlichen Blick begegnen, der in sie drang und ihr Mund trocknete zu einem Salzsee aus. Es hatte den Anschein, die Valisar könne sich nicht bewegen, noch sprechen, auch wenn es nicht Zorn war, der sie zu diesem Ebenbild einer Statue meißelte. Es bestätigte Zarasshins Ahnungen, das, was sie zu wissen glaubte. "Euch werde ich niemals akzeptieren können, bis Ihr nicht lernt, in der Fülle zu atmen." Doch dies brauchte kein Wesen in diesem Raum jemals für sich zu erhoffen. Unerreicht blieben die Yassalar, deren Welt es war, die sie mit Füßen traten.


    Wahrscheinlich beäugten sie jetzt die Valisar auf eben genau die Weise, nur um zu sehen, was sie mit diesen Worten anzufangen wusste. Oder wollte. Oder konnte.
    Und wie konnten ihre Schatten über die Wände schnell zucken, obgleich sich blasse Pupillen gebannt schwerfällig weiter bewegten, wenn nicht alles etwas außerhalb jener lag?

  • In der Fülle zu atmen, dass hieß mehr zu atmen als die bloße Luft. Dabei trägt die Luft schon so viel mit sich - sie ist Lebenselixier, ein unabdingbarer Teil des Lebens, unersetzlich. Selbst für eine Valisar, die auf den ersten Blick nicht zu atmen schien - als habe sie es nicht nötig zu atmen - als würde sie aus sich selbst heraus existeren. Doch was bedeutete Lufts chon für die Dunkle? Sie war das Wasser.
    Die Yassalar drängte sich nicht nur Silene auf, sie drängte sich all jenen auf, die dem Charme der Gefahr auf ihrer schwarzen Haut erlagen, die mit gebannten, verzweifelt verängstigten Augen auf die lehnende Gestalt blickten, sie drängte sich der ganzen Welt auf.
    Als neuer Mittelpunkt des Geschehens, als neuer Lichtkegel auf der Theaterbühne, verhielt sich die Yassalar wie eine gekonnte Schaustellerin - kein Zweifel daran, dass alles echt war, alles ungekünstelt und wahrhaftig. Wie gleichmütig sie die Luft zerteilte, wie eindrucksvoll sie die geschaffene Leere zwsichen den Wellen mit ihrer atemberaubenden Präsenz zu füllen vermochte - Silene fehlte zum kompletten Bild lediglich der rauschende Applaus des Publikums.
    Die Schwarze hingegen fand den Applaus in anderer Weise.


    Augen, die sich auf die gleichgültigen, bläulich schimmernden Züge der Valisar richteten, wie sie dort saß, ins Antlitz der Welt gemeißet, zunächst im Zwiegespräch mit der Yassalar versunken, nun durch Massen von trockener Luft getrennt - was mochte sich dahinter verbergen, was war es, dass die Situation so aufs Äußerste reizte? Silene gab den Drang, nach einem passenden Aphorismus zu suchen auf, ließ stattdessen die Yassalar in ihrem Blick ein Nest bauen, begann sie damit einzuschließen. Kein Zweifel - die Schwarzhäutige würde sich nicht einspinnen lassen - doch was hätte die Darbietung der Meeresgeißel mehr geehrt als eine kühne Nachahmung einer Lebensküstlerin wie Silene?
    Was wäre es sonst würdig gewesen, als ein leises, bestimmtes Nicken?
    Mehr war es nicht, das die Valisar zeigte, ein flüchtiges 'aus den Augen verlieren', ein rasches Niederschlagen der Lider, ehe ihr Blick wieder wie gebannt auf den Zügen ihres farbinvertierten Ebenbildes lag.


    "So nehme ich bereits hin, dass ich Eurer großzügigen Akzeptanz bedarf, um Sinn zu erhalten - muss ich auch hinnehmen dabei mit Euren Maßen gemessen zu werden? Was entgegnetet Ihr, wenn ich Euch mit meinen Maßen mäße?", sprach die Valisar geschmeidig-kalt, glatt wie Eis - das doch genügen Widerstand bot, um Halt darauf zu finden - die Worte drangen auf magischen Flügeln weit durch den Raum, bis sie spielerisch auf den Schultern der Yassalar landeten. Ein falsches Lächeln, abgekupfert, doch ebenso gönnerhaft wie es die Yassalar zuvor gezeigt hatte. "Sagt es mir."

    Nur ewigen und ernsten Dingen / Sei ihr metallner Mund geweiht
    Und stündlich mit den schnellen Schwingen / Berühr' im Fluge sie die Zeit
    Dem Schicksal leihe sie die Zunge / Selbst herzlos, ohne Mitgefühl
    Begleite sie mit ihrem Schwunge / Des Lebens wechselvolles Spiel
    Friedrich Schiller - Das Lied von der Glocke

  • Den Raum überspannt wie Eisesbrücke wollte es Zarasshin frösteln und sie hörte das Eis knacken, nicht Schwingen wehen. Obwohl sie die Antwort auf ihrer Zunge fühlte, zwang sie sich Schlüsse zu ziehen. Sich an anderen Sichtweisen zu erproben hielt den Geist rege.
    Sie wollte entgegnen mit der Schwester’ Zunge: tut es! Es sei mir gleich. Ich fürchte weder Maß, noch Urteil.
    Doch der Klang war mehr Aufsässigkeit, deshalb schwieg sie zunächst. Das Brodeln würde solange währen, bis sie beschloss, dass es nichts sein sollte. Das Rankengeflecht ihrer Gefühle umschlang sie, nur um sie regungslos zu pressen.


    Gab es ein strengeres Maß, als das der Yassalar, das man anlegen könnte, unter das man ein anderes Wesen zu beugen vermochte? Doch eben dies musste sie vertreiben, es sollte kein Höchstmaß, noch geringes geben.
    Und Zarasshin fegte den Geist leer, verstand, wenn man maß ohne Gefühl, auch wenn es nicht in ihrem Wesen strömte, da es sich von ihrem Instinkt entfernte, wie der abendliche Horizont, der in das Meer verblutete, den man doch nie erreichen konnte - und erkannte: ein Blick konnte nicht verurteilender sein, wenn er ohne Maß wäre, denn es gab kein Wohlwollen oder Abweichen: gut schlecht, heldenhaft, gerecht, niederträchtig und edel - was würde von ihr bleiben? Sie konnte es nur ahnen. Das glatte, abgeschliffene Erscheinungsbild mit dem einen Verhalten, das sprach, was es zeigte. Der Fels in der Brandung, ausgearbeitet von den Wellen. Stärken und Schwächen versanken in der Tiefe, vermischten sich im Strudel und waren nicht mehr.
    Jeder konnte das schwarze Ebenbild sehen - war es deswegen böse? Die Valisar in ihrer Blässe gut? So musste sie versuchen zu urteilen und messen, ohne ein genaues Maß anzulegen. Man musste lediglich sehen, was da war.
    Hier und Jetzt.
    Welche Wertmaßstäbe würde eine Valisar hinzu ziehen?
    Sie sähe wahrscheinlich ein Geschöpf sicher laufend am Abgrund der Klippe, sich dessen fortwährend bewusst, während der Übermut oft seiner Spur folgt, überlegte Zarasshin. Doch das war jedoch nicht die Frage gewesen und sie würde demgemäß antworten. Hier gab es nur eine Yassalar.
    Diese ergriff nun das schweigsam gebrachte Glas Wasser, leerte es mit einem kräftigen Schluck.


    "Tut es, sage ich.
    Ich fürchte weder blindes Maß, noch Urteil.
    "

  • "Furchtlos...", ließ die Valisar das Wort fallen... knisternd verhallte der Laut, Gesichter reflektierten den Klang mit banalem Lauschen, mit verschrecktem Geist, der im Fuchsbau ausharrte bis die Hunde vorüber waren. Hetzen war nirgendwo, kein Klang der Jagd ... doch Yassalar trugen sie stets mit sich. Sie waren zur Jagd geboren, nichts gab es, dass sie besser beherrschten, nichts dass ihren Zügen mehr Eindruck und Schönheit verlieh, als die Lust ihre Beute zu hatzen.
    Das ware es, was die Leute dachten, das war es, was die Yasslar denken machen wollten - aus lauter Angst wagt es niemand tief zu sehen - ein Trick! Eine Finte! Ein Coup! Bellende Hunde beißen nicht, doch drohende Yassalar taten es. Was war sie schlüprfig, wie wand es sich in ihren Griffen, das Wesen der Dunklen... doch war das alleine schon gesprochen genug - alle weiteren Worte würden sich wiederholen. Es war eine Lüge. Niemals würde die Yassalar dem Urteil furchtlos entgegenblicken.
    "Was macht Euch glauben, dass blindes Maß Euch erwartet?", hakte die Valisar, griff mit den eisigen Fingern des Geistes nach den Konturen der Yassalar, als wolle sie Eisblumen auf die schwarze Haut malen- "Sollte ich Euch verraten, was Ihr bereits wisst? Was könnte eine sehende Valisar anders sehen als das, was in Euch bereits sichtbar wurde? Ich bin nur so blind wie Ihr es seid."


    Die Valisar stand erhaben auf, wie sich der Wind in der Ebene hob, rauschend, unaufhaltsam; richtete den langen Rücken auf um die Andere - die so viel verbarg... hinter solch dichten Schleiern, dass ihre Dichte misstrauisch machte und umso mehr vermuten ließ - auf Augenhöhe zu beobachten. Das kleine schwarze Zeichenbuch glitt von weißer Hand liebkost in die tiefen Taschen der Tunika, während der klirrende Blick immer noch ruhte. Leises Klirren, wie aneinander reibende Eiskristalle, auch als sie ihr Kinn hob. "Bedenkt, dass ich weiß, dann urteilt selbst. Wenn Ihr stark genug seid."

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    Friedrich Schiller - Das Lied von der Glocke

  • Furchtlos war Zarasshin nicht zu nennen, doch es waren tiefere Gefühle, innere Zwänge, die sie trieben, wenn sie einer Gefahr sichtig wurde oder auch nur befürchtete. Verwechsele es nicht mit Angst, da doch alles herausgeschält werden konnte. Nein, furchtlos war sie nicht. Sie sah Furcht mehr als Notwendigkeit zu handeln, um sich ihr zu stellen. Merkwürdig, diesem Wort zu begegnen – glaubte die Valisar das wirklich?
    "Blind, da Eure Werte frei von Erfahrungen sein müssten ... Glück, Lust, Freundschaft, Macht." Ihr Kopf war noch geneigt, so dass ihre Augen nur herausfordernder blickten. "Ja", hauchten ihre feucht glänzenden Lippen. Mehr begehrte sie nicht. Sieh, was ich dich sehen lassen will. Mehr soll für euch nicht sein.
    Sie tauschten die Plätze. Wo sie nun saß, die Valisar stand. Untrüglich das Gefühl, dass Zarasshin in sich ahnte, dass die Valisar den Zauberbrunnen verlassen wollte. Das Buch, in das sie gerne einen Blick hatte werfen wollen, verschwand zu ihrem Bedauern.
    "Jeder Trockene kann urteilen, dazu bedarf es keiner Stärke." Sie wusste, sie wich aus, verstand absichtlich nicht. Das Funkeln in ihren Augen, das nichts mehr mit Belustigung zu tun hatte, verriet ihren Ärger. Schwäche erkannte sie nicht als solche an und damit gab es sie nicht in diesem Fleisch.

  • Die Valisar wusste. Sie wusste, dass die schwarze Gestalt sich vor ihren Augen ärgerte. Sie wollte nicht verstehen, sie stellte sich anders dar, als sie war. Spielte ein Schattenspiel vor der Valisar, vor den wachen Augen der anderen Leute - obwohl Silene nicht zu verwirren war. Sie setzte sich nicht, sah der Yassalar entgegen, auf Augenhöhe, und sah doch auf sie herab, willentlich.
    Sie wollte nicht den Geist des Vertrauens, der Gelassenheit, der Siegesgewissheit aufscheuchen, wollte nicht, dass sich etwas anderes in die eisige Distanz zwischen ihnen einmischte, ihren Blick trübte, die Yassalar wie eine Tintenwolke im Wasser werden ließ. Sie würde die andere auf ihre ganz eigene Art berühren, ohne Worte, ohne Taten, ohne Emotion. Und vielleicht würde ein eisiger Hauch zurückbleiben, auf das Herz der Yassalar niederschweben wie ein Schleier, so schwer, so eisesklar.
    Und mit dem gewaltigen Öffnen ihres dritten Auges, irgendwo tief in ihrem Inneren, wo es unsichtbar sehen konnte, fluteten die Ströme des Schicksals ihren Geist, begannen seine Wellen wieder zu flüstern, sein Gluckern und Plaudern ihre Ohren mehr zu füllen, als die Geräusche der Welt um sie herum. Sie sah viel, vieles, das sie der Yassalar sagen konnte - obleich es wenig war, das sie nicht selbst schon wusste. Doch ihre Zukunft interessierte Silene nicht.


    "Ein Sehnen, wie ein Rausch ...", begann Silene, als wolle sie mit den Worten einen Zauber weben, und doch blieben sie wie Schneeflocken, die fielen. Ein wenig zauberhaft - doch gemacht um zu sterben, bevor sie den warmen Boden erreichten. "Ihr seid ein ungebeugtes, ungebrochenes Geschöpf, wohl war ... doch Euer Sehnen ist nicht das der Yasslar, es ist das eines pochenden Herzens, das nach Nähe verlangt. Wo seid Ihr hingetreten - abgewichen? Ist es etwa Liebe, die Euch Euer Blut verschenken macht - nicht in der Schlacht verloren, nicht im hasserfüllten Kampf?"

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  • Kühle mich, schenke mir mich wieder, labte sich Zarasshin an der Distanz, um wieder eins zu werden mit ihrem Herz, das so verräterisch war. Wann hätte je jemand gewollt, dass sie nahe kam? Saugte sie auf, was die Luft ihr zuspielte, in ihren Schuppen sich verfing, einsickern sollte es, tiefer, tiefer, einpressen, was nicht gehorchen wollte. Fühlte sie schon wie des Meeres Finger an ihrer Haut zupfen, als ob sie ihm in die Höhe folgte. Die Fülle würde weichen, rasen, alles sich in Nichtigkeiten zurückneigen, trunken ihr Glück, atemlos sie in der Geschwindigkeit wäre, ließe sie alles einfach zurück.
    Doch hörte sie stattdessen unbewegt erstarrt die Worte, grollte innerlich, ergab sich nicht der Erregung.
    Ich will ihre Zunge, die so offen spricht.
    Nein. Ertrage es oder verkrieche dich.

    Selten sind Kopf und Herz eines. Denken zerstört das eigentliche Fühlen, zu dem nicht immer ein Wort von Nöten ist - vielleicht sollte man manchmal beim Herz bleiben und ihm folgen. Diese Yassalar tat es niemals, selten, vielleicht. Man kann nicht sofort alles abstreifen, was einen umklammert hält, sagt die Schwester und schottet es ab; wie Recht sie hat, möchte Zarasshin meinen, obwohl sie vermutet, dass jene sich selbst zu schützen beabsichtigt. Was bliebe, wenn das salzige Blut verdünnte? Jämmerliches Ding nur, verachtenswert. Liebe undenkbar.
    Der Yassalar Herz, Heimat für ihre stummen Dinge. Der Schmerz hat sie gelehrt, unter seinem Hauch entfaltete es sich - lassen wir es an diesem einen Ort, wollen wir es nicht wecken, indem wir ihm Freiheit zugestehen, indem sie das Denken unterließe. Manchmal nur, wenn es arg zu groß schwillt, lassen sie es bluten. Es war ein gutes Gefühl, gefolgt von Unbekümmertheit, ein wenig konnte sie die Macht der Valisar erfühlen, die einem wohl vorgaukeln würde, dass man alles unter Kontrolle hatte.


    Zarasshin wusste, dass es der Valisar ernst war, dass sie mit ihrem Blick halten wollte, gönnte sie ihr desgleichen standhaft ihren. Suchte sie, auch, um nur ein Wort zu erlangen zu etwas, von dem Zarasshin wusste, dass niemand sie jemals zwingen könnte und die Yassalar wollte die Valisar, die so viel sah, nicht gehen lassen, doch würde sie. Sie konnte die Antwort in einem Wort nicht geben, fiel ihr das eben noch gedanklich gehaltene Glück aus der Hand, wurde der Augenblick zur Ewigkeit, wie die eben erlangte Kälte ihr Gesicht errang.
    Süß ist das Leben, süß der Schmerz, flüchtig ... sprich es laut! Ziehe in den Wind, zu den Sternen! ... schüttelte sie schwer in Andeutung den Kopf. Leise gab Zarasshin Applaus für das Gesagte, bevor sie die Hände auf den Schenkeln niederlegte. Das ungewisse Herz gierte, zerrte an den Fesseln, mit denen sie es hielt.
    Trotzdem, sie beugte die Stirn unter ihren Unmut, nicht der Gewalt, die die Schwester über sie bringen wollte, um sie in eine neue Richtung zu weisen: entspannte sämtliche Muskeln, doch schwer genug das steinerne Gesicht offen entgegen zu heben, die wahre Natur ihrer Gedanken zu verbergend, die fort waren, noch bevor sie die Lippen erreicht hatten.


    Die Worte, die sie in ihrer Kehle nach oben trieb, waren demnach nicht jene, die schließlich wie von Trockenheit durchtränkt von ihren Lippen brachen. "Das Herz ist töricht." Es will immer verführen. "Und die erfüllte Liebe wäre die, die man zu Grabe bettet."

  • Die gesprochenen Worte waren ihr nicht neu, sie erregten keine besondere Aufmerksamkeit in ihren Ohren, denn sie waren bekannt, ausgereizt, totgetreten und verbraucht. Alleine die Tatsache, dass sie aus den Gedanken einer Yassalar zu stammen schienen, war ihr es wert, sich ihnen tiefer zu widmen.


    Schmerz. Wie hart konnte ein Herz werden, wenn es immer wieder groben Schmerzen ausgesetzt wurde? Wie tief und schmerzend konnten Narben sein? Auch in Silene bargen sich Narben, doch waren sie blass, als habe sie diese Wunden in einem anderen Leben erhalten, in einer anderen Welt, einer anderen Zeit. Doch wo verbarg die Yassalar ihr Herz? War es in der Kapsel des Herzens, wie sie sich tief verbarg, musste es sich verstecken? Verletzt, verschüchtert, angstvoll - wie ein kleines Kind?


    Mehr als Selbstschutz war es nicht, dass dieses Kind seine schützende Hülle nie verließ, sich in ihrer weichen, warmen Hülle vergrub, die Ohren zuhielt, die Augen verschloss. Und wenn es endlich wagte, einen zaghaften Schrei von sich zu geben, so wurde seine Stimme heiser und kratzig. Und sollte es dennoch laut genug sein, um den Verstand einzuholen - so wurde seine Stimme für töricht gehalten. Die Schwarze war jemandem begegnet, der es wohl zu trösten vermocht hätte - doch war sie zu grob mit sich gewesen.
    Dabei waren es Kinder, welche die Welt sahen wie sie war, sie alleine hatten noch die Reinheit dazu, die Welt wahr zu sehen - und sie besaßen genug Mut um die Wahrheit auszusprechen. Es war nicht töricht auf es zu hören. Es war töricht es zu verbergen.


    "Kaum seltsam, dass auch Ihr das Herz als töricht empfindet." Sie löste die Finger vom Tisch und trat einen Schritt vor, nicht der Yassalar entgegen, sondern in einem spitzen Winkel zu ihr, sodass ihr der direkte Blick nur aus den Augenwinkeln möglich war. "Ist nicht die ganze Welt töricht ... was könnte sie anderes sein?"


    Die Valisar wandte sich der schwarzen Gestalt wieder zu, ergab sich den opalfarbenen Blicken, gab die unwirkliche Geistergestalt ihrer selbst preis. Sie betrachtete ihre eigenen Handflächen, ehe sie wieder aufsah. "So ist es nicht die erfüllte Liebe, die alle besitzen wollen - weil der Reiz der Liebe darin besteht, sie zur Vollendung treiben zu wollen, was unmöglich ist. Zumindest in diesem Leben."


    Silene hielt den Gedanken einen Moment in ihren Händen, beobachtete ihn, bis er schließlich zwischen den langen, weißen Fingern hindurchgerieselt war, wie der Sand einer Sanduhr. Sie wirkte ein wenig wie eine der alten, mythischen Gestalten, wie sie in den alten Theatern gezeigt wurden. Die Zeit war dahin, wieder ein paar Momente, die zur Vergangenheit gehörten. Tragisch, nicht wahr?
    Es viel ihr nicht schwer, den schwarzen Zügen zu entnehmen, was sie verbargen, ihr anderes Auge schloss sich nicht, ohne dass sie es wollte. "Ihr seid nicht so unverletzlich wie es scheint. Lasst Eurer Herz frei, damit Ihr es richtig versteht. Ihr raubt Euch selbst die Kraft - zumindest glücklich seid und werdet Ihr so nie werden."

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  • "Ihr kennt die Yassalar scheinbar nicht" , sagte Zarasshin trocken, ihr Leben verlief vielleicht nicht ganz nach ihren Wünschen, doch sie hing daran. Ihre Wirklichkeit, ihr glücklich Sonnenreich, war in der blauen Finsternis der Meere, in gleich bleibender Gnadenlosigkeit, die sie nicht zu vergessen weiß.
    So wünschte sie bei sich der Valisar viel Glück mit den widerstrebenden Herzen, es würde kein Einfaches sein, doch aufgeben wäre niemals eine Option. Für keinen von ihnen beiden. Mehr war sie hingerissen von dem Versuch, den jene beitrug, sie zu deuten und zudem in einem Zustand von großer Müdigkeit, der entschwundene Tag lag schwer auf ihr – brennende Gedanken bewegten das Herz, das Blut blieb doch wie Eis. Der wache Himmel lächelt nicht mit Freundlichkeit auf uns herab, meine düsteren Gedanken weiß er nicht zu erhellen, nur Beute fehlt mir noch. Wieder presste Zarasshin die Gleichgültigkeit zurück in ihre Haut, die da hatte von ihr sprühen wollen. Es gab keine Entschuldigung, wenn sie der Valisar schadete, doch immer gab es Konsequenzen und sie war nicht bereit dazu, in diesem Moment. Denn wer straft, was unschuldig ist? "Beleidigt mich nicht." Ein Augenblick der intimen Bedrängnis, dem sie sich dementsprechend verweigern musste, dem ungeachtet, sie konnte sich kaum lösen.

  • Wie könnte ich Euch kennen, Yassalar?, flüsterten ihre Gedanken heiser, streichelten die Gewissheit sacht, dass sie nicht ändern konnte, was nicht zu ändern war. Bis man ein Wesen kannte, vergingen Jahre und selbst dann war es ein leichtes, Neues an ihnen zu entdecken. Für Fühlende.
    Das war es, was sie doch an ihren Beziehungen fanden, das war es, was sie begehrten - sie brauchen andere um sich selbst zu kennen. Sich zu spüren.
    Wahrlich, so waren sie - so war auch SIlene einst gewesen! Nur wenig erinnerte sie noch daran, noch weniger erinnterte die Anwesenden daran. Wie sollte sie die Yassalar kennen, wenn diese sich selbst nicht kannte?
    Die kupferne Münze, die sie aus der Tasche gezogen hatte, war kalt, sie drehte sie zwischen den Fingern, als flüstere sie ihr Wahrheiten zu, die keiner sonst vernehmen konnte. Der tänzerische Körper setzte sich fließend in Bewegung, hielt auf die Yassalar zu, den eisernen, gläsernen Blick aus den toten Augen auf der anderen ruhend, ausdruckslos.


    Doch streifte sie an ihr vorbei, ihre Bahn zog sie zum Tresen unweit der Yassalar, auf den sie leise klirrend die Münze für ihr Wasser fallen ließ. Nahe wallte die Präsenz der schwarzen Frau, nahe waren ihre Gedanken, zuckten und bebten wie sie ihrem Kopf entsprangen, sprangen auf unsichtbaren Lüften zum Auge der Valisar.


    "Sagt nicht, dass Ihr unverändert bleiben werdet, jetzt, da viele Worte gesagt wurden.", sprach die Valisar fast windig, scharfkantig. "Und das auch, weil eine Valisar - wie höhnisch das Schicksal ist - Euch dort berührte wo es Euch beleidigt."


    Die Luft um die Valisar herum schien rasch abzukühlen als sie ihren Geist auf die Reise schickte und seine Präsenz die schwarzen Wangen der anderen streifte. Wie sie es vermochten Emotion zu zeigen, wie sie meerisch schimmerten!
    "Ihr benutzt die Macht nicht, die in Euch wohnt - sie ist der meinen überlegen.", sagte Silene, entließ die Stimme in die Luft, die der Yassalar kühl entgegenwehte. Wären die silbernen Haare Zarasshins nicht so streng zurückgekämmt, der Lufthauch hätte sie bewegt. Es ist eine Schande, dass Ihr Euer Herz nicht sorgsamer verwendet, sodass es tun kann, zu was es geschaffen wurde. Ich hatte Euch für klüger gehalten. Gewiss, das seid Ihr... sagt mir, dass ich mich getäuscht habe! Sagt es! "Wenn Morden und Stechen Euer Begehr wäre - so wärt Ihr diesem längst nachgekommen. Liebt. Verschwendet Euch nicht zu solch niederen Zwecken. Ihr seid zu klug und zu begabt dazu."


    Ihre Hand entließ die Münze aus deren Griff, strich einen Moment an der Kante des Tresens entlang und ruhte schließlich wieder auf dem Rücken der anderen Hand. Ein winziger Moment der stummen Zwiesprache zwischen den gläsernen Augen der Valisar und den tiefen, opalenen Augen der Yassalar, dann war es vorbei - sie schritt anmutig von dannen, der Pforte des Zauberbrunnens entgegen, ließ die Yassalar zurück, mit ihr alles, was sie ihr gesagt hatte. Die Worte der Yassalar hingegen nahm sie mit, behielt sie ... bald würde auch ihr Angesicht in dem kleinen Skizzenbuch vermerkt sein. Es war ein denkwürdiges.

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  • Manches ist dem Auge verborgen und die Valisar barg mehr in sich. Zarasshin war unterlegen in den Gedankengängen aufzufinden, was verborgen lag. War das der Seherin Kern? Sie lachte leise, denn sie nahm an, nicht alles zu verstehen, was gesagt war, vieles blieb Ahnung. Dort verspürte sie auch nicht den Wunsch zu wissen. Viele Flüsse haben ihre eigenen Gesetze. "Aber die Tiefe erkennt die Tiefe", legte einen Zeigefinger an die Lippen und es überkam sie heftiges Entsetzen, das sogleich wieder erstarb, bedeutungslos, so lange her wie ewig.
    Es war eine Welle vorangetrieben, durch einen Kiesel, den die Valisar genommen und in Zarasshins Dunkelheit geworfen hatte – Wellen, die den Platz füllten, den der kleine Stein inne gehabt und Wellen, jetzt dort, um das Wasser zu verdrängen. Das Seelenmeer war verändert, kurz nur hatte es die Hand der Valisar erschwert bis sie ihn zurückgeworfen hatte. Der Wurf hatte getroffen, nichts verfehlt, da selbst dessen Bahn die Strömung bewegte, ein Hauch der Luft seine Lebendigkeit war.
    Zarasshin kehrte aus dem Schweigen zurück, als der Blick sie verlassen hatte. "Ich habe Verstand", flüsterte ihre Stimme, es war, als hätte sie geschlafen, erschrocken setzte sie sich gerade, "ich darf nicht handeln, als wäre er mir nicht gegeben."

  • "Gut.", sagte sie, und es war als fiele die Entscheidung wie ein Stein vom Himmel, rasch, kalt, wie ein Fallbeil hackte es die Welt entzwei, schied Finsternis vom Tag, wie es einst die Götter getan hatten. "Eriadne leuchte Euch den Weg.", sagte sie noch, die Hand bereits auf das Holz der Tür gelegt, die Gewissheit wie Frost auf ihrem Eisherz, dass sie sich eines Tages wiedersehen würden, dass dann andere Worte fallen würden doch die gleichen Münder sie sprachen. Dass wieder Schwarz neben Weiß herrschen würde, herrschen über zwei Welten, ihre eigenen Welten, die sich nicht ferner hätten sein können und sich doch überschnitten.
    Der Fuß berührt den selben Grund, die Lunge atmet die selbe Luft. Wir leben in einer gemeinsamen Wirklichkeit, Dunkle!
    Sie würde nun ihrer Wege gehen, arbeiten, vegetieren, denken. Das war alles, das sie tun konnte und zugleich auch das, was sie tun musste. Es war an ihr, zu beweisen wir mächtig die Gottheiten der Liebe sein konnten, Wesen aus purer Emotion zu schaffen, welche selbst unter dem Fluch, der sie vernichten sollte, lebten. Lebten, dem Fluch trotzten, die blanke Sinnhaftigkeit der Sinnlichkeit entgegenhielten, die sie einst ihr eigen genannt hatten.
    Ihre Gedanken streiften die Yassalar wieder, die ihr Herz in einem traumwandlerischen Zustand behielt, verwirrt und gedämpfter Wachheit, nicht im Bewusstsein, dass es nicht tat für was es geschaffen wurde. Eriadne würde ihr leuchten, doch würde sie immer noch die Nacht im Gesicht tragen, die glühende Leidenschaft im Herzen, die Pflicht im Bewusstsein.
    Fahl fiel ein blasses Winterlicht vom Himmel, doch glänzte ihr weißes Haar, schimmerte ein Blauton auf ihren Zügen, als sie den Zauberbrunnen verließ und die gepflasterte Straße betrat. Ein kühles Pochen füllte ihren Kopf, ein leises Beben führte ihre Hand zu ihrem Herzen. Und doch schlug es. Stumme Worte flohen durch das Gespinst ihrer Gedanken. Was bedeutete schon ein Wort?
    Gut.

    Nur ewigen und ernsten Dingen / Sei ihr metallner Mund geweiht
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