Die Schuld des Blutes

  • Sein vierter Tag in Nir'alenar. Seit 75 Stunden wartete er nun schon - zur Untätigkeit gezwungen - auf diesen dreimal verfluchten Varanor und noch immer war keine Nachricht im Gasthaus eingetroffen. Wollte ihn diese Akademie zum Narren halten?


    Mit finsterer Miene drehte Zeciass seine verbliebenen vier schwarzen Perlen in der Hand, während er beim Markt am neuen Hafen an einer Gebäudemauer lehnte. Es war später Nachmittag und die ersten Stände wurden bereits zusammengeräumt. Menschen schrien oder lachten, Möwen kreisten und stießen gelegentlich hinab, um sich Reste zu schnappen. Im nahen Hafenbecken dümpelten die Handelsschiffe wie träge Wale in den Wellen. Nichts an der Umgebung wirkte so, als habe sich jemand Gedanken um ein einheitliches Stadtbild gemacht. Alles wirkte unaufgeräumt, abgenutzt oder schlicht und ergreifend verwahrlost.


    Ein schäbiger Bereich der Stadt, dieses Seeviertel, und selbst die niederen Völker sahen hier um noch eine Spur erbärmlicher aus. Hatte Zeciass anfangs noch geglaubt, die hier ansässigen Bordelle hätten die zwielichtige Umgebung aus taktischem Grund als Kulisse gewählt, hatte sich seine Einschätzung bei deren Anblick schnell geändert. Die bloße Vorstellung, dort länger als einen Kiemenzug zu verweilen, prickelte selbst jetzt noch unangenehm auf seinen Schuppen.


    Widerliche, unförmige... Hart schloss sich seine Faust um die Perlen. Doch irgendeine Tätigkeit musste er ergreifen, wenn er nicht seine letzte Perle an diese trockene Stadt verschleudern wollte.
    Mit stiller Inbrust betete Zeciass zu Zi'llail. Sie konnte nicht wollen, dass er sich für Abschaum hergab. Selbst wenn es sich um reichen Abschaum handelte...


    Zwei mit Schwertern bewaffnete Kiemenlose näherten sich nicht unbemerkt seiner Position am Rande des Marktes.
    "Nein, ich hab ihn nicht erwischt. Fünf Dukaten für einen lausigen Messerstecher, kannst du dir das vorstellen? Ich hätt' das Gold auf die Chimäre von dem Einäugigen gesetzt - meine Nase hat gekribbelt, als ich das Vieh zuletzt kämpfen sah... und du weißt, dass meine Nase nur kribbelt, wenn da ein fetter Gewinn in der Luft liegt", faselte einer der Kiemenlosen im Vorbeigehen.
    Sein dümmlich grinsender Begleiter lachte. "Meine Nase kribbelt manchmal auch. Aber dann muss ich meistens niesen."
    "Jedenfalls geh ich mir jetzt neue Steckbriefe holen. Wenn ich heute wenigstens einen Langfinger erwische, klappt's vielleicht noch mit dem Wetteinsatz", verkündete der Erste zuversichtlich.


    Die schwarzen Augen des Yassalar verengten sich. Keinem der beiden Trockenen fiel beim Weitergehen auf, dass ihnen ab diesem Moment ein dritter Schatten im Nacken saß.

  • Der Kopf der weißen Yassalar pochte schmerzhaft angesichts der drückenden Wärme des Nachmittages. Uera fluchte ungehemmt, als ihr zum dritten Mal in Folge jemand so direkt in den Weg lief, dass sie fast ihre wertvolle Fracht hätte fallen lassen. Dreckiges, trockenhäutiges Pack, so ungelenkt, so ungeschickt, so … trocken! Manchmal fragte sie sich, ob das jahrhundertelange Leben an Land den Trockenvölkern das Hirn in der Schale getrocknet hatte.
    “Pass gefälligst auf wo du hintrittst, Spatzenhirn!!”, fauchte sie dem Mann hinterher, doch es kümmerte ihn nicht weiter. So war es eben, sie wurde übersehen und überhört. Niemand widmete der in staubige Straßenkleidung gekleideten jungen Frau Aufmerksamkeit, geschweige denn Respekt. Tagsüber. Innerlich musste sie beim Gedanken hämisch grinsen, was den brodelnden Zorn etwas zähmte, doch nach außen zeigte sich das nicht.
    Sie hatte – mal wieder – eine niedere, etwas zwielichtige Tätigkeit gefunden, die ihre Zeit vertrieb und ihr ein wenig Geld verschaffte. Wenn sie ihre Ware zustellen konnte und wenn ihr Auftraggeber das zahlen würde, was sie vereinbart hatten. Uera rümpfte die Nase ob des erbärmlichen Fischgestanks, der aus der hölzernen Kiste hervorquoll und beäugte im Gehen die im Takt ihrer Schritte wippenden Fischschwänze, die zwischen den Leisten der Kiste herausschauten. Sie erwog eine Entschädigung auf den vereinbarten Lohn aufzuschlagen.
    Fisch. Sie brachte eine Kiste voll Fisch vom Markt am neuen Hafen in ein Lager eines sehr dubiosen Menschen, der sie gut bezahlte. Es mochte gut sein, dass einige der Fische etwas schwerer waren als andere. Und wesentlich … älter. Natürlich hatte sich Uera nicht zurückhalten können, einen Blick in die Fischbäuche zu werfen und natürlich hatte sie darin etwas vorgefunden, das in einem normalen Fisch nichts zu suchen hatte. Aber für alle Außenstehenden transportierte sie natürlich Fisch, dem Verwesen nahe, der irgendwo in einem Lagerhaus zu Hundefutter verarbeitet werden würde.
    Ihr Weg hatte sie über den Markt am neuen Hafen geleitet, denn dort hatte sie die Kiste direkt an einem Stand in Empfang genommen und von dort aus musste sie den Platz überqueren, um in die entsprechende Gasse zu gelangen, die zum Lagerhaus führte. Sie kümmerte sich nicht um die vielen Menschen, die kopflos herumliefen, Stände abbauten und in lauthalses Geschwätz verfielen – sie hoffte nur, diesen Platz bald hinter sich zu lassen, denn die Möwen hatten sie und ihre Fracht bereits ins Auge gefasst.
    Als sie schließlich in eine Gasse einbog, die schon von weitem zwielichtig erschien, fühlte sie sich definitiv wohler. Die Möwen und das unerträgliche Gelärme blieben zurück, ihre Schritte klangen von den Hauswänden wider, es war schattig, kühl und es roch feucht. Vertraut.

  • Er hätte diesen beiden Blindgängern schon ein Dutzend Mal die Kehlen aufschlitzen können, so sorglos schlenderten sie vor ihm durch die Gassen. Obwohl er sich noch nicht gut in der Stadt auskannte, schien sich ihr Ziel jenseits des Seeviertels zu befinden.
    Zeciass hatte es aufgegeben, sich um Heimlichkeit zu bemühen. Keiner der Zwei hatte während des gesamten Weges auch nur einmal zurückgeblickt. Mit stoischer Miene ließ der Yassalar seine durchtrainierten Schultern kreisen. Vielleicht würde er sie schon allein aus dem Grund töten, dass sie nicht schneller gehen wollten...


    Ein breiter Krieger, der ihnen entgegen kam, wechselte die Straßenseite. Als sie es bemerkten, löste das große Erheiterung bei seinen Vorgängern aus. Mit lautem Gehabe und vorlauten Sprüchen versuchten sie sich gegenseitig zu übertrumpfen, um herauszufinden, wer von ihnen das Muskelpaket wohl mehr eingeschüchtert hatte.


    Endlich kamen sie vor einer Mauer in einer abgelegenen Straße zum Stehen, die über und über mit Flugblättern bestückt war. Grob gezeichnete Gesichter blickten finster von ihrem Papier auf die Näherkommenden hinab. Seine Wegweiser verabschiedeten sich flüchtig voneinander und während sich der eine sogleich dem Studium der Steckbriefe widmete, trat auch Zeciass mit verschränkten Armen an die Lohn versprechende Ausstellung heran. Seine Augen huschten über die Angebote. 3 Golddukaten für einen Giftmischer, 4 für eine entflohene Hure (lebend) und 15 für jemanden, den sie 'Der Kannibale' nannten... es schien von allem etwas dabei zu sein.


    Der Abschaum des Abschaums, kam es dem Yassalar in den Sinn.


    "Na? Dein Bild noch nicht gefunden?" drang plötzlich die verächtliche Stimme des kürzlich Verfolgten an sein Ohr. Ausdruckslos wandte Zeciass den Kopf. Gierig lag der Blick des Kopfgeldjägers auf der schwarzen Schuppenhaut des Yassalars. Offensichtlich hielt der Schwachkopf ihn für eine gute Aussicht auf seinen Wetteinsatz. Immer wieder huschten die Augen des Bewaffneten an die Wand, als hoffe er, sein Konterfei dort jede Sekunde auftauchen zu sehen.


    Ein unheilvolles Lächeln kroch in die Mundwinkel des schwarzen Jägers. "Meinst du denn ich bin wertvoller als der Messerstecher, der dir entkommen ist?"


    Unverständis machte sich auf dem Gesicht des Mannes breit, dann weiteten sich seine Augen erschrocken. "Was...? Wie...?" Auf das Gestammel folgte, wie nicht anders zu erwarten, blanke Wut. "Das geht dich einen Scheißdreck an, du schwarzer Bastard!" Die Antwort des Yassalars erschien ihm Eingeständnis genug, um sich einer Belohnung sicher zu sein. Mit singendem Klang zog er sein Schwert und ging zum Angriff über.
    Der Hieb durchtrennte nur Luft. Keuchend verfolgte der Angreifer die unmögliche Drehung seines Gegners. Seine Reflexe waren jedoch zu langsam, um sein Schicksal noch abwenden zu können. Wie durch Butter schlitzte der schlanke Dolch durch die entblößte Kehle des Mannes. Kein Tropfen des Blutschwalls berührte die Schuppen des Yassalars, der ebenso rasch wieder auf Abstand ging. Sich fassungslos an den Hals greifend und dabei wie ein hilfloser Fisch um Luft schnappend, kippte der Kiemenlose zu Boden.


    Zeciass ging in die Knie und wischte die schmale Klinge am Hemd des Sterbenden ab. Er nahm das Schwert und begutachtete es kurz. Danach löste und band er die dazugehörige Lederscheide um seine eigene Hüfte. Seine schwarzen Finger durchstöberten die Taschen, doch bis auf wenige Silberstücke, ein Säckchen mit einigen Würfeln und einem widerlichen Lappen fand sich nichts, das auch nur entfernt etwas wert gewesen wäre. Dennoch erhob sich der Yassalar nicht unzufrieden. Sein erster Todesstreich an Land. Es war erfreulich wie schnell seine Bewegungen waren, hier, wo es keinen Wasserwiderstand zu überwinden galt.


    Dem Kopfgeldjäger einen letzten Tritt in die Unterwelt mitgebend, trat er wieder zur Steckbriefmauer. Wahllos klaubte er einen Stapel Blätter zusammen. Mörder, Diebe, Geächtete... sie alle waren in seinen Augen gleich: Leichte Beute und nicht mehr wert als die Zahlen unter ihren Hälsen.
    Kurz stockte seine Hand, als er nach einem Steckbrief langte, auf dem ihm schwarze Haut und vertraut graue Augen entgegen blitzten, doch auch dieses Papier fand seinen Weg auf den Stapel.


    Kurz darauf erinnerte nur noch der Mann, der in seinem eigenen Blut auf der Straße zurückgeblieben war, daran, dass selbst in Nir'alenar ein Leben weniger Wert sein konnte als ein Schwert, 4 Silbertaler und drei gezinkte Würfel.

  • Nach einiger Zeit hatte sich Uera schließlich am verabredeten Treffpunkt eingefunden, die Kiste abgestellt, gebührenden Abstand zu ihr eingenommen und wartete nun auf jemanden, der die zweifelhafte Ware entgegennahm. Der Tag neigte sich dem Ende zu, es musste schon weit nach der 6. oder 7. Stunde sein, denn die Sonne war längst hinter den Häusern verschwunden und das Hafenviertel war in Schatten getaucht, auch wenn es noch zu hell für die Muschellichter war.
    Uera konnte ihre Ungeduld nur schwer bändigen und begann darüber nachzudenken, die Fische selbst auszunehmen und sich mit dem Inhalt davonzumachen. Doch sie blieb, denn alles andere hätte nur ungewollte Aufmerksamkeit auf sie gelenkt. Ihr Auftraggeber war schließlich der Schwager jener Frau, die Ueras Zimmer vermietete und er wusste sehr wohl, wer sie war. Und sie kannte sich mit dem Vertrieb von Drogen nicht aus. Sie kannte weitaus bessere Dinge um ihren Puls zu beschleunigen.


    Tätigkeiten wie diese raubten Uera den letzten Nerv. Sie hasste jede Minute davon, aber sie wusste auch keinen Ausweg. Sie war auf das Geld angewiesen um ihre monatliche Miete zu zahlen, Nahrung zu kaufen und ihre etwas in die Jahre gekommene Ausrüstung auszubessern. Diebstähle brachten zwar auch ein gewisses Einkommen, doch sie wusste auch, dass sie es damit nicht übertreiben durfte. Sie wusste, dass sie bereits in den Fokus der Stadtwache geraten war – sie hatte schließlich einen von ihnen sein Leben ausröchelnd auf der Straße zurückgelassen – und sie wusste, dass ein Preisgeld auf sie ausgesetzt war. Sie fürchtete niemanden, doch sie wusste auch, wann besser Vorsicht geboten war. Schon fast eine Woche war seit dem letzten Diebeszug vergangen und Uera begann unruhig zu werden, denn sie vermisste den jagenden Herzschlag, das Lauern, die Hatz. Es war ihre Droge.


    Endlich war sie des Wartens überdrüssig geworden, klemmte sich die Kiste unter den Arm und klopfte, nein, schlug mit der Faust auf das Hallentor ein. Drei, vier, fünf Atemzüge vergingen, bevor sich das Tor einen Spalt öffnete und sie von einem gereizt wirkenden Augenpaar fixiert wurde.
    “Ich hätte da eine Lieferung ...”, verkündete sie mürrisch, klopfte mit einem Finger auf das Holz der Kiste und fächelte dem Mann ein wenig der guten Luft zu. “Und ich hätte gerne meine Entschädigung.”
    “Für die Bezahlung bin ich nicht zuständig.”, entgegnete der Mann hinter dem Tor forsch, kam hervor und machte Anstalten ihr die Kiste abzunehmen. Ein schneller Schritt zurück brachte Uera außer Reichweite.
    “Sondern?”, fragte sie zischend und fasste den Kerl fest ins Auge. Er musterte die junge Frau vom Stiefelabsatz bis zu den Haaren und wieder zurück. Sie meinte fast, dass sie das ausgetrocknete Rosinenhirn hinter seiner Stirn arbeiten hörte und wie es zum Schluss kam, dass sie keine ernstzunehmende Bedrohung war. Eine Fehleinschätzung, aber Uera war nicht auf Ärger mit ihm aus. Es lohnte nicht.
    “Da müsst Ihr zu Taitor selbst gehen.”, antwortete er und streckte fordernd die Hände nach der Kiste aus. Uera seufzte tief und übergab dem Kerl schließlich die Fischkiste, ohne ein weiteres Wort an ihn zu verlieren. Sie machte auf dem Absatz kehrt, denn sie hatte es eilig nach hause zu kommen. Sie musste diesen abscheulich Fischgestank loswerden, sonst würde sie sich niemals wieder an jemanden unbemerkt anpirschen können. Und spätestens morgen würde sie sich ihr Geld bei diesem einäugigen, nach nassem Hund stinkenden Bastard von Taitor abholen, denn für den heutigen Abend hatte sie ganz andere Pläne.

    wash it all away - end up strong / these eyes have grown, these eyes have shown
    watching the horizon, hoping for / the cliffs to rise above the shore
    (Textures - Reaching Home)

    Einmal editiert, zuletzt von Uera () aus folgendem Grund: Tippfeeeehler!

  • Suchend strich Zeciass durch die Straßen, die Augen nach einem Händler offen haltend, bei dem er die unhandliche Waffe, die er erbeutet hatte, zu Geld machen konnte. Die Schatten waren näher gerückt und langsam ebbte auch das Brennen ab, das in den letzten Stunden beinahe schmerzhaft geworden war. Nachdenklich betrachtete der halbe Yassalar seinen prickelnden Handrücken, der ihm ungesund fahl erschien, und hob seinen Blick daraufhin in den petrolfarbenen Himmel. Die Sonne war nicht zu sehen... dennoch fühlte er ihren beißenden Glanz. Die verfluchte Kuppel schien zuzulassen, dass einige ihrer giftigen Strahlen bis hierher gelangten.
    "Z'Shazz zar, kiet ke norass!" zischte Zeciass und ergänzte die z'harrischen Worte mit einer hasserfüllten Geste in Richtung der gleißenden Scheibe - zumindest dorthin, wo er sie vermutete. Dass einige Bewohner sich fragend zu ihm umdrehten, kümmerte ihn nicht.


    Eine Seitenstraße weiter schenkte ihm Zi'llail jedoch endlich wieder ihre Gunst. Auf einem Ladenschild stand so seltsam zerstückelt, dass er es kaum entziffern konnte: 'Kom Orok Ka Ruk' - Allerlei An- und Verkauf.
    Hinter einer milchigen Scheibe türmte sich Krempel und auch das Haus hatte schon bessere Zeiten gesehen, doch die Tür stand einladend offen und Stimmen drangen aus dem Inneren des Ladens. Lautlos trat der Yassalar über die Schwelle und erfasste den Verkaufsraum mit ein paar misstrauischen Blicken. Ein untersetzter Kiemenloser, der mehr braune Haare am Körper trug als gesund sein konnte, stand auf einer wackeligen Leiter und reichte einer Frau unterschiedliche Objekte aus einem hohen Regal hinab. Aus seinem Mund strömte dabei eine nicht enden wollende Litanei darüber, in welchem Winkel man einen Meißel am geschicktesten verwendete.
    Erst das lautstarke Räuspern des unerwarteten Kunden brachte seinen Redefluss ins Stocken. "Ist schon spät, wir schließen gerade", sprach der Zwerg, nachdem seine silbergrauen Augen den Yassalar einmal von Kopf bis Fuß sondiert hatten. "Kommt morgen wieder." Schon widmete er sich wieder dem Regal.
    "Noch habt Ihr aber nicht geschlossen", merkte Zeciass an, der wenig Lust verspürte, die Stadt auch nur noch einen Kiemenzug länger zu durchkämmen. Er löste den Schwertriemen und hielt die Waffe daran hoch. "Ich habe hier eine Waffe, die ich Euch für einen guten Preis überlassen würde."
    Beim Wort 'Waffe' hielt der Silberzwerg kurz in der Bewegung inne. Seine Miene hatte sich geringfügig verändert als er erneut über die Schulter sah, doch sie war noch immer weit davon entfernt, eine freundliche Bezeichnung zu verdienen. "Hmpf", machte er und kletterte die gefährlich schwankende Trittleiter nach unten. "Gebt schon her, diese Waffe! Seh ich mir mal an."
    Zeciass überließ das Schwert dem haarigen Trockenen, der ihm kaum bis an die Brust reichte. Murmelnd zog dieser die Klinge hervor und studierte den Schliff mit missgünstig verzogenem Mund. Zeciass gab es auf, dem Gebrummel einen Sinn entnehmen zu wollen und musterte stattdessen die schlicht gekleidete Frau, die eben einige der Objekte auf dem Boden abgestellt hatte und sich nun den Schweiß von der Stirn wischte. Als sie bemerkte, dass er sie ansah, erstarrte sie.
    "Miese Qualität. Acht Dukaten", schnaubte der Zwerg in diesem Moment. "Zwanzig", sprach der Yassalar und entließ die nur mittelmäßig hübsche Frau aus seinem Blick. "Zwölf, wenn ich die Lederscheide dazu bekomme", grollte der Händler. Zeciass legte den Kopf ein Stück zur Seite und schätzte den Zwerg heimtückisch ab. "Fünfzehn - und ich verzichte darauf, Euren Laden meinesgleichen zu empfehlen."
    Stirnrunzelnd hob der Winzling den Kopf, nur um im nächsten Moment verstehend die Augen zusammen zu kneifen. "Oh... ist das so? Na gut... verstehe. Fünfzehn sind es wohl dann. Wartet hier." Schon machte er auf dem Absatz kehrt und verschwand mit dem Schwert durch eine halb zugestellte Nebentür.
    Zeciass verschränkte die Arme und sah zu der Frau zurück. Sie war verschwunden.


    Dafür drang ein Geräusch an sein Ohr und eine Regung, die man nicht oft bei ihm sah, zeichnete sich in seine Gesichtszüge. Wie auf Glas gespielt, perlte eine feine Melodie durch die Luft und nach einigen schnellen Schritten entdeckte Zeciass ihren Ursprung hinter einer besonders dicht gestapelten Wand aus Krempel. Ein sehr junges Menschenmädchen hockte dort und hob nicht einmal den Blick, als er näher trat. Verzückt war sie in das Lied der kleinen Spieluhr vertieft, die vor ihr auf dem Leder eines alten Sattels stand. Der Yassalar ging wortlos neben ihr in die Hocke und fixierte die Box, auf der sich zwei Figuren drehten. "Es ist eine magische Spieluhr", lächelte das Mädchen und Zeciass musterte sie ausdruckslos aus dem Augenwinkel. "Da, du musst nur hingucken!" deutete sie mit einem Finger auf das tanzende Figurenpaar. Mit milder Verachtung stellte er fest, dass ihn die Kleine nicht im Mindesten zu fürchten schien. Dummes Kind. Seine Augen folgten ihrem Fingerzeig.


    Tatsächlich verschwamm die Gestalt des Tänzers und statt seiner Finger hielt die Tänzerin im nächsten Moment die Pfoten eines hoch aufgerichteten schwarzen Wolfes in ihren Händen. Es wirkte grotesk. Das Mädchen kicherte. "Als mein Vater noch da war, hat er mir die Geschichte erzählt." Sie räusperte sich wie zum Spaß und fing ungefragt an zu erzählen: "Es war einmal ein böses Monster. Vor dem hatten alle ganz schrecklich Angst. Aber es war so schlau und schnell - kein Jäger konnte es erschießen und keine Falle konnte es fangen. Es brachte viele Leute um und niemand traute sich mehr in den Wald, wenn es dunkel war. Nur ein Mädchen hat sich nicht gefürchtet. Sie ist in den Wald gegangen und dort hat sie das Monster getroffen. Er sah ganz böse aus, hat geknurrt und die Zähne gefletscht!" Wie zum Beweis knurrte das kleine Mädchen und hob ihre schmalen Hände wie Klauen. "Es wollte sie beißen, aber sie hat einfach seine Pfoten genommen und mit ihm getanzt. Da war der Zauber gebrochen und es verwandelte sich in einen netten Edelmann. Zusammen haben sie dann ganz lange getanzt und sich verliebt und dann sind sie zusammen nach Hause gegangen." Auf der Spieluhr verwandelte sich der Wolf wieder in den Tänzer, während die Melodie zaghaft weiterspielte.
    Zeciass wandte den Blick von der Spieluhr, als das Mädchen aufstand und ihm auffordernd ihre Hand hinstreckte. Ihre Augen funkelten von der Magie ihrer Geschichte.
    Fast hätte er gelacht.
    Was glaubte sie? Dass er das Monster war und sich verwandeln würde wie der verfluchte Wolf aus ihrem Märchen?


    "Hat dir dein Vater auch erzählt wie die Geschichte weitergeht?" fragte er sie mit warmer Stimme. Das Mädchen guckte überrascht und schüttelte den Kopf, ließ ihre Hand jedoch nicht sinken. Zeciass erhob sich in einer fießenden Bewegung und blickte aus schwarzen Augen auf das Mädchen hinab. Gespannt sah sie zu ihm auf und freute sich sichtlich, dass ihr Lieblingsmärchen scheinbar noch eine Fortsetzung hatte.
    "Die beiden kamen also zurück aus dem Wald...", begann der Yassalar zu erzählen. "... und alle waren glücklich und so stolz auf das mutige Mädchen. Der nette Edelmann blieb bei ihr. Er beschenkte sie und sagte ihr, wie schön sie doch sei, wie dankbar er ihr war und wie sehr er sie liebte. Und in der ersten Nacht, nachdem sie sein Bett mit ihm geteilt hatte und ihm ihre ewige Liebe gestand, verwandelte er sich zurück in das Monster. Und dann verschlang er sie mit Haut und Haaren. Bei lebendigem Leib."
    Ein kaltes Lächeln entblößte seine Reißzähne. "Ende."


    Der Schock hatte die Augen des Mädchens weit aufgerissen. Zeciass sah förmlich wie die heile Traumwelt in ihrem Kopf in tausend Scherben zerbarst. Die Melodie der Spieluhr war verstummt. Der Wolf stand aufrecht auf den Hinterbeinen. Zeciass wandte sich ab und nahm das Gold des Händlers entgegen. Hinter ihm ließ das Mädchen den Arm sinken und vergrub ihr Gesicht schluchzend in den Händen. Ihr Mutter eilte heran, um sie zu trösten und ihr Blick hätte Zeciass kaum hasserfüllter treffen können, doch darauf achtete er schon nicht mehr als er den Laden verließ. Ohne Frage hatte er dem Kind gerade den größten Gefallen seines Lebens erwiesen.
    Willkommen in der Wirklichkeit.

    3 Mal editiert, zuletzt von Zeciass Raphis () aus folgendem Grund: Ungesunde Blässe hinzugefügt

  • So neigte sich ein weiterer Tag eines weiteren erfolglosen Monats voller fruchtloser Tätigkeiten dem Ende zu. Wenigstens war sie mit viel Kernseife und ausdauerndem Schrubben mit einer harten Bürste den abstoßenden Geruch losgeworden und ihre Straßenkleider lüfteten draußen im Abendwind aus.
    Zerknirscht sah Uera aus dem blinden Fenster ihres Zimmers. Alles, was man von dort aus sehen konnte war ein schmutziger, kleiner Hof, vollgestellt mit Kisten, Fässern und scheinbar wahllos verteiltem Unrat. Auf einer Mauer saß der wohl hässlichste Kater, den Nir'alenar jemals gesehen hatte - fett, mit struppigem roten Fell, einem fehlenden Auge und einem zerfetzten Ohr - und jaulte erbärmlich. Abgesehen von ihm war jedoch keine Seele dort draußen unterwegs.
    Ueras Blick war alleine auf den Abendhimmel gerichtet, in Richtung des über der Kuppel aufgehenden Mondes und der aufziehenden Wolken. Heute schien der Mond als schlanke Sichel über der Kuppel, nicht ideal, aber die Kuppel selbst und die Wolken verdunkelten ihn und zerstreuten das Dämmerlicht etwas. Vielleicht würde es sogar etwas regnen? Regen bot allerdings so viele Nachteile, wie er Vorteile brachte und so hoffte Uera, dass es trocken blieb.
    Ein Blick in ihre Geldbörse verriet ihr, dass sie zwar ihre Miete bezahlen können würde - viel konnte man für eine Baracke wie diese auch nicht verlangen - aber dass sich ihr Geldvorrat dem Ende zuneigte. Eigentlich kein Problem, sie fand stets genügend Arbeit, für die sie die ein oder andere Münze bekommen konnte, aber diese Tätigkeiten befriedigten sie selbstverständlich nicht.
    Sie erlaubte sich ein tiefes Seufzen und wandte sich schließlich vom Fenster ab. Vielleicht waren die Umstände heute nicht ganz ideal für eine Taschendiebin, aber sie brauchte dringend ihren Schuss Adrenalin, alleine um die brodelnde Unzufriedenheit und ihren Frust über ihre aussichtslose Lage etwas zu betäuben. Außerdem war es immer eine gute Idee in Übung zu bleiben … und es sprach erst recht nichts gegen ein paar edle Steine und Metalle und ein wenig vergossenes Blut. Diese Aussicht vermochte es tatsächlich, ihre finstere Miene etwas aufzuhellen.
    Ein Griff unter die schmale Pritsche, die sie ihr Bett nannte, beförderte einen vollgestopften Jutesack ans Licht. Sie zog lange schwarze Beinkleider und ein schwarzes Oberteil aus dem Sack, welche aus einem weichen und doch dichtem Stoff gefertigt waren. Beide Kleidungsstücke waren zwar enganliegend, boten aber dennoch viel Bewegungsfreiheit und vor allem: sie raschelten nicht. Im schummerigen Licht ihres Zimmers leuchtete ihre graue Haut hell und die Streifen schwarzer und silberner Schuppen auf ihren Unterarmen schimmerten so dunkel wie die tiefste Sternennacht. Auch nur einen Flecken davon unbedeckt zu lassen, wäre zu auffällig gewesen und so zog sie gleichmütig die langen Ärmel über ihre Yassalarschuppen.
    Zuletzt legte Uera noch eine verzierte, lederne Weste an, die einen hohen Kragen besaß und sich vorne mit einigen Schnallen verschloss, welche Uera streng an ihrem schlanken Leib festzurrte. Das gute Stück aus edlem, geschwärztem Leder war zwar nicht sehr dick, dafür aber leicht und schütze zumindest vor Leuten, die nicht richtig zustechen konnten. Sie war ein wenig stolz auf diese leichte Rüstung, die sie vor einigen Jahren an der Alizâr'schen Grenze zu Sindor einer Söldnerin gestohlen hatte, die nicht klug genug war, auf ihr Eigentum aufzupassen. Sie hatte nachträglich eine Kapuze annähen lassen, die sie sich bei Bedarf tief ins Gesicht ziehen konnte. Am Gürtel, den sie schließlich noch anlegte, fanden sich lediglich eine Tasche und die mit ihrem frisch geschärften Dolch gefüllte Lederscheide. Mehr brauchte sie heute nicht.


    Noch eine letzte Sache. Sie trat an die kalte Feuerstelle heran und zog ein Stück Kohle aus der Asche. Schnell waren ihre gräulich-weißen Züge, ihre Lippen und jedes bisschen sichtbare Haut unter einer Schicht Kohlestaub verborgen. Ihre stahlgrauen Augen strahlten und ihr silbriges, noch feuchtes Haar, in einem kleinen Knoten am Hinterkopf zusammengebunden, kontrastierte herrlich mit der nun reinschwarzen Haut. Prüfend betrachtete sie sich in einem zerborstenen Handspiegel und grinste ihrem Spiegelbild entgegen. Perfekt.
    Sie spähte erneut aus dem Fenster, zog die langen Handschuhe über, die genügend Platz für die angedeuteten Schwimmhäute zwischen ihren Fingern ließen, schlüpfte in weiche Stiefel, zog sich die Kapuze über das Haar und den schwarzen Schal über Mund und Nase. Ein letzter Blick versicherte ihr, dass niemand - außer vielleicht der hässliche Kater - zusah, als sie das Gebäude verließ und mit ein paar geschmeidigen Bewegungen über eine Mauer und ein flaches Dach in die hereinberechende Dunkelheit entschwunden war.

  • Die Nacht eroberte gerade auch die letzten Winkel der Stadt als Zeciass den Gewinn des Tages auf den Zimmertisch warf. 15 Goldukaten und 4 Silbertaler in einem kleinen Stoffbeutel und ein weiterer, in dem die Würfel lagen. Es war ein Anfang, aber es reichte nicht, um seine Unruhe zu mildern. Seit mehreren Nächten schlief er nun hier, im Gasthaus zum Korallenriff, und obwohl man seine Forderung, einen großen Zuber mit Salzwasser in sein Zimmer zu bringen, gegen Aufpreis befolgt hatte, hatte er sich um keinen Deut wohler gefühlt.


    Durch eine flüchtige Berührung erhellten sich weitere Lichtmuscheln im Raum und Zeciass trat vor den mannshohen Spiegel. Kritisch wanderten seine Augen über sein Gesicht, die Schultern und den definierten Oberkörper. Der Anblick zerschmetterte jedes Triumphgefühl, das er zuvor empfunden hatte. Wo sie den ganzen Tag über dem trockenen Licht ausgesetzt gewesen waren, waren seine Schuppen matt und schon mehr dunkelgrau als schwarz. Auch sein Gesicht erschien ihm für seine Verhältnisse ungesund blass.
    Es hätte ihn schockiert, wenn er es nicht schon früher erlebt hätte.
    Vor Jahrzehnten, als er noch jung gewesen war, hatte er einmal wochenlang existiert, ohne den anderen Hunger zu beachten. Es war ein Experiment gewesen. Wie viel er auch gegessen und geschlafen hatte, seine Kräfte hatten immer weiter nachgelassen. So fahl, krank und grau war er damals geworden, dass selbst Tsa'Orl ihn besorgt nach seinem Wohlergehen gefragt hatte. Vielleicht wäre er gestorben, wenn der quälende Hunger seine Sturheit nicht schließlich von selbst besiegt hätte.


    Nun geschah dasselbe - nur ungleich rascher je länger er sich dem Licht unter der Kuppel aussetzte. Während er sein Spiegelbild noch finster musterte, regte sich der Hunger in seiner Tiefe und starrte ihm in der nächsten Sekunde aus seinen schwarzen Augen entgegen. Zeciass wandte den Blick ab. Mit einer Hand zog er die Steckbriefe hervor, die er hinter seinen Gürtel gesteckt hatte und suchte mit der anderen die Gesichter heraus, die am höchsten dotiert waren. Alle übrigen ließ er achtlos zu Boden fallen. Mit dieser Auswahl verließ er das Zimmer, sperrte hinter sich ab und klemmte den Schlüssel hinter seinen Oberarmstulpen.


    Sein Weg führte ihn in die Nacht, den magischen Lichtern des Adelsviertels entgegen. Die Kopfgeldjagd versprach seine Gedanken auf angenehme Weise zu beschäftigen - und mit Zi'llails Segen würde sich zugleich eine ansprechende Beute für seinen Hunger finden.


    Die Nacht war angenehm warm und tatsächlich erklang aus einer Richtung des Adelsviertels so anziehende Musik, dass es seine Schritte wie von selbst dorthin lenkte. Der einladende Eindruck täuschte. Mit einem raschen Schritt hinter einen schützenden Toreingang entging der Yassalar den Blicken einer Brigade Stadtwachen. Sie schritten schnell aus und waren zügig an seinem Versteck vorbei patrouilliert. Niemand bemerkte den dunklen Schemen, der sich daraufhin wieder aus dem Schatten löste. Es schien ein wichtiges Fest im Gange zu sein, denn die Anzahl an Wachen war bemerkenswert. Kaum näherte man sich dem hell erleuchteten Bereich, in dem das bunte Treiben vonstatten ging, stieß man auf gleich mehrere Wachposten.
    Statt sich davon abschrecken zu lassen, sah Zeciass es als willkommene Herausforderung. Hier würde es sich lohnen, auf der Lauer zu liegen, denn solche Schutzvorkehrungen traf man nicht umsonst. Man rechnete fest mit uneingeladenen Gästen...


    Mehrere Male umrundete er im Schutze der Schatten den nahtlos abgesicherten Bereich, bis er schließlich die vielversprechendste Öffnung in der Verteidigung erspäht hatte. Eine Grundstücksmauer, die früher einmal sicher gewesen sein mochte, war nun von schmückenden Blumenranken so überwuchert, dass es selbst für ihn als ungeübten Kletterer ein Leichtes darstellte, in den dahinter liegenden Innenhof zu gelangen. Zu allen vier Seiten von hohen Mauern eingeschlossen, herrschte tiefste Dunkelheit in dem kleinen Garten. Nur durch den Spalt eines Tores, das von hier aus auf den Platz der Festlichkeiten führte, sickerte warmes Licht in die Schatten. Irgendein Narr musste vergessen haben, es anständig zu schließen.


    Zeciass warf einen Blick durch den hellen Spalt. Ein prachtvoll erleuchteter Platz erstreckte sich jenseits der hohen Mauer. Seine Mitte war umringt von weißen Bänken und Tischen, auf denen üppige Speisen aufgebahrt lagen. Farbenfrohe Girlanden und Blumen schmückten die Fassaden der umliegenden Häuser, während gut betuchte Kiemenlose sich reihenweise um ein einzelnes Paar scharten, dem die Festlichkeit in besonderem Maße zu gelten schien.


    Niemand beachtete das halboffene Tor in den stillen Hinterhof. Die Stadtwachen schienen vollauf damit beschäftigt, alle übrigen Zugänge zum Platz abzusperren. Zeciass zweifelte nicht daran, dass es ein aussichtsloser Spießrutenlauf für jeden Dieb wäre, sich einen Weg durch jene Gassen zu suchen. Langsam zog er sich vom Tor zurück und lehnte sich diesem gegenüber an die Mauer. Es war ganz einfach. Jeder Abschaum, dessen Ergreifung sich überhaupt für ihn lohnen würde, könnte das Fest nur über diesen Hof betreten und verlassen - und genau dann war es für ihn an der Zeit, die Falle zuschnappen zu lassen.


    Geräuschlos zog der Yassalar seinen Dolch aus seinem Oberschenkgurt hervor, beruhigte seine Atmung und behielt so, vollkommen mit der Nacht verschmolzen und mit geschärften Sinnen, seine Umgebung im Auge.

  • Heute wollte Uera sich nicht mit ein paar ärmlichen Trunkenbolden zufriedengeben, denen schon ein kleines Kind die Geldkatze stehlen konnte und welche die Hälfte ihres Geldes schon versoffen hatten. Heute wollte sie Gold sehen, keine Kupferkrabben.
    Innerlich vibrierte sie vor Erwartung, doch sie bewegte sich leise und vorsichtig. Auch im Seeviertel kannte man ihr Gesicht und es konnte nie falsch sein, Vorsicht walten zu lassen. Hier genügte es ihr noch, mit gesenktem Blick durch unbelebte Gassen zu huschen, aber sobald sie das Seeviertel verlassen hatte, mied sie die offene Straße. Die Gebäude begannen prunkvoller zu wirken, die Grundstücke waren zunehmend befestigt, von Mauern umgeben und mit Toren verschlossen. Die Gärten waren groß und voller reizend gestutzter Bäumchen, zwischen denen Marmorstatuen oder Springbrunnen standen. Die Wohnbereiche der Adligen interessierten sie heute jedoch nicht, sie steuerte die öffentlicheren Bereiche an, die Promenaden und Treppen, die Arkaden, Höfe und Brücken.


    Uera kürzte durch den gepflegten Garten eines Adelshauses ab, hinter dessen edlen Buntglasfenstern bereits das Licht erloschen war. Auf diesem Weg konnte sie die gut ausgeleuchtete Allee vermeiden, durch die sich zu dieser Tageszeit ein steter Strom wohlgekleideter, parfümierter Trockenhäute bewegte, unter die sich auch gerne die ein oder andere Stadtwache mischte.
    Sie gab sich wenig Mühe, die Blumen zu schonen, die sich lieblich an die mannshohe Gartenmauer schmiegten, als sie sich hinaufzog um von dort in die dahinterliegende schmale Gasse zu gelangen. Niemand war zu sehen, doch sie hörte sich rasch nähernde Stimmen und so schwang sie sich über die Mauer, setzte beinahe lautlos auf und verschwand sogleich hinter einer Anschlagssäule. Es näherten sich vier Männer, die sich nicht gerade leise unterhielten, lachten und deren Stiefelsohlen vertraut auf dem Pflaster klackerten. Wachen.


    „... ich sag's euch … die Braut! Dieser Anblick … ich war selten so abgelenkt!“
    „Pff. Halt die Klappe! Mich hatten sie am Küchenausgang abgestellt und ich habe nichts als Küchenabfall und runzlige Mägde zu Gesicht bekommen!“
    „Hehe ... muss sich eben zu benehmen wissen, wenn man mit den feinen Damen und Herren zu tun haben möchte.“
    „Oh, halt doch die Schnauze, Draeb!“


    Ueras Hand hatte sich bereits um den Griff ihres Dolches geschlossen, sie blieb jedoch völlig unbemerkt, als die Herren an ihr und der Säule vorbeigingen und dabei zeterten wie ein Haufen Waschweiber. Sie lehnte sich aus dem Schatten, sah den Männer nach, wie sie die Gasse verließen und entschied, dass sie sich diese Hochzeit näher ansehen würde.
    Mit ihrem scharfen Gehör vernahm schon von Weitem die liebliche, süßliche Musik und begann, wieder von Schatten zu Schatten zu gleitend, sich der Festlichkeit zu nähern. Unvermittelt trat aus einer Seitengasse direkt vor ihr eine Wache und um ein Haar wäre Uera mit ihr zusammengeprallt, wäre sie nicht im letzten Moment stehen geblieben und hätte sich hinter den schmalen Umriss einer Laterne gepresst. Die Wache ging unbehelligt ihrer Wege. Ueras Puls raste, ihre Hände schwitzten, ihr Atem ging flach. So viele Wachen hatte sie schon lange nicht mehr an einem Fleck gesehen. Sie gebot sich zur absoluten Vorsicht, zur Geduld und gleichzeitig wuchs die Vorfreude und das Verlangen in ihr, fremdes Gold und fremdes Geschmeide in ihre Taschen zu füllen.
    Die Diebin hielt sich von den Fronten der Gebäude fern, bewegte sich in deren Rücken, wo sich lediglich Dienstboten- und Lieferanteneingänge fanden, wo vereinzelt Karren standen und sich einige Kisten türmten. Mit wenig Mühe hatte sie über eine Außentreppe und einen kleinen Kletterakt entlang einer Balustrade das Dach eines angrenzenden Hauses erklommen. Ihre Augen erfassten ein hohes, flaches Dach, welches im scharfen Schatten eines Giebels dem Hof der Festlichkeit zugewandt war. Leise und ungesehen huschte sie in den Schatten des Giebels und genoss den uneingeschränkten Überblick, den sie nun über den Hof hatte. Sie selbst verblieb ungesehen, ein unförmiger schwarzer Umriss in einem dunkeln Schatten.


    Zu viel Licht., war das erste, was ihr einfiel. Der gut gefüllte Platz war sehr gut ausgeleuchtet, jeder einzelne Eingang befand sich an ungünstiger Stelle und stank förmlich nach Stadtwache. Eine Herausforderung … in ihr flammte das kalte Feuer des Ehrgeizes auf. Angestrengt analysierte sie die räumlichen Gegebenheiten weiter, doch immer wieder gelang es der Musik, sie abzulenken. Uera knirschte verärgert mit den Zähnen. Sie hatte Musik schon immer gehasst, diese ekelhaft wohligen Klänge, die sich ins Gehör schlichen die Gedanken verwirrten. Doch sie lenkte auch die Besucher des Festes ab … und die Wachen. Es würde für sie ein Leichtes sein, den Taschen und Beuteln der Unaufmerksamen etwas näher zu kommen. Wenn sie sich Zugang verschaffen konnte.
    Ihre Augen leuchteten auf, als sie einen angrenzenden, vollkommen im Dunklen liegenden Garten erspähte. Keine Wache in der Nähe, kein Auge war auf das Tor gerichtet, das einen ungesehenen Zugang zum Platz bot. Sie plante eine Route über die Dächer und Mauern, auf der sie leise und zügig dorthin gelangen konnte. Von dort würde es auch ein leichtes sein, wieder zu verschwinden.
    Ueras Lippen teilten sich zu einem blitzenden Grinsen. Eine solche Gelegenheit musste genutzt werden.


    Nur Augenblicke später glitt sie geschmeidig von einer überwachsenen Mauer hinab in den Garten. Bevor sie sich weiterbewegte, lauschte sie angestrengt. Eine solche Gelegenheit wie diese ... würde sicher auch nicht lange anderen Dieben verborgen bleiben. Die Geräusche und die in den kleinen Garten quellende Musik machten es schwer, andere Geräusche auszumachen. Ihre Yassalaraugen vermochten die Dunkelheit zu durchdringen, doch alles was sie sah war ein Grau in Grau aus Vegetation und Mauern und so wähnte sich alleine, als sie sich in kleinen, vorsichtigen Schritten dem Tor näherte, um hindurchzuspähen.

  • Die Schritte hatten sich überaus vorsichtig genähert und waren fast nicht zu hören gewesen. Mit einem Geschick, das er einem Kiemenlosen bis zu diesem Moment nicht zugetraut hätte, überwand eine schwarzgekleidete Gestalt die Mauer, setzte ihren Fuß auf das kurz geschorene Gras und verharrte dann mitten in der Bewegung. Zeciass hatte nicht oft Gebrauch von seiner Gabe gemacht, die seinen Körper mit dem Dunkel zu verschmelzen schien. Bis heute wusste er nicht genau, wie sie tatsächlich funktionierte. Er wusste nur, dass außer ihm kein anderer Yassalar sie zu besitzen schien und wie bereits die vorigen Male ergriff eine stille Faszination von ihm Besitz.


    Sein argwöhnischer Gast hatte den Kopf gedreht und einen Kiemenzug lang begegnete ihr suchender Blick dem seinen; tauchte in ihn ein. Der Moment war kurz, doch so intensiv, dass er in seinem Verstand einzufrieren schien. Sie war eine Yassalar. Sein ruhiger Pulsschlag erhöhte sich, doch keine Regung brach den Bann, den die Schatten und er zu weben wussten. So wanderten ihre Augen weiter und er blieb ihr verborgen.


    Ganz die Jägerin, als die sie sich weiterhin wähnte, neigte sie sich dem Lichtspalt zu, der einen guten Einblick auf den Platz gewährte. Zeciass' Kiemen öffneten sich und erst jetzt bemerkte er, dass er nicht mehr geatmet hatte. Langsam schöpfte er neue Luft und seine Augen verengten sich. Er erinnerte sich an ihren Steckbrief. Fünfzehn Dukaten waren für ihren Kopf ausgeschrieben. Zwanzig gar, sollte sie bei der Übergabe noch am Leben sein...


    Gedanken jagten hinter seiner Stirn, während sie sich in das Treiben jenseits des Tores vertiefte. Flüchtiger Widerwille zeichnete sich auf seinem Gesicht ab, doch rasch kehrte eine berechnende Kälte in seine Augen zurück. Seine Finger spürten den Griff des Dolches und seine Schultern nahmen die Kühle der Mauer in sich auf.


    Noch lohnte es sich nicht. Er würde warten...

  • Alle Aufmerksamkeit galt dem Brautpaar, welches damit begann sich im Takt der Musik zu wiegen und zu drehen und in einer eigenen Welt versunken schien, einer Welt, in der es nichts gab außer das Gesicht des jeweils anderen. Selbst die Mägde, welche noch die Speisebretter umklammert hielten, sahen dem Paar völlig verzaubert beim Tanzen zu. Viele der reich geschmückten Gäste hielten Gläser und Becher und bereits aus der Ferne konnte man verschütteten Rotwein riechen, den die verlegten Natursteinplatten der Tanzfläche begierlich aufsogen.
    Nur ein graues Paar Augen war nicht auf das Brautpaar gerichtet, sondern tastete die Umgebung ab. Sachte schob eine schlanke, behandschuhte Hand das Tor ein wenig weiter auf, darauf bedacht, dabei in Deckung zu bleiben und kein Geräusch zu verursachen. Sie hatte Glück, denn das Tor bewegte sich geschmeidig in seinen Angeln.
    Uera atmete noch einmal tief ein, dann leerte sie ihre Lungen vollständig und mit einer einzigen fließenden Bewegung wand sie sich durch den knapp mehr als handbreiten Spalt, zog ihn lautlos hinter sich zu. So lange sich das Brautpaar drehte und drehte, konnte sie sich ungesehen bewegen … sobald die Musik stoppte, musste sie sich in Position gebracht haben. Geduckt huschte sie fort von ihrem geheimen Zugang, hin zu den Tischen und Bänken, an welche sich die Gäste wohl als nächstes begeben würden. Die Gerüche vieler Speisen hingen schwer in der Luft, je näher Uera kam, desto dichter und weniger atembar schien ihr die Luft.
    Hinter einem stattlichen Blumengesteck aus weißen Rosen und üppigen Palmwedeln fand Uera zunächst ein Versteck, doch hier würde sie nicht lange bleiben können. Es bot lediglich nach vorne Schutz vor Blicken und sobald sich die Gäste um die Tische scharten, war ihre Deckung dahin. Die Musik stoppte und mit ihr setzte auch Ueras Herz einen Schlag aus. Ihr Blick blitzte durch die Blätter, fixierte Braut und Bräutigam, welche sich lachend verneigten, aber keine Anstalten machten, die Hand des jeweils anderen loszulassen. Die Musiker setzten zu einem neuen Lied an, ungleich schneller und lebhafter als das triefend süße Stück, dass sie zuvor gespielt hatten.
    Der großen Zi'llail sei Dank..., seufzte es tief in Uera, ihr Puls beruhigte sich wieder etwas und sie atmete tief. Ihre Muskeln surrten und die Anspannung, die sie bis in die Fingerspitzen spürte, war nicht ansatzweise vergleichbar mit dem, was sie bei ihren Straßenraubzügen verspürte. Es war eine andere, herausfordernde Art des Stehlens im Vergleich zum kaltblütigen, blitzschnellen Zustechen, Rauben und Verschwinden … es bedurfte einiges mehr an Geschicklichkeit. Sie wusste nicht, wem sie hiermit etwas beweisen wollte, doch sie wollte es und so fasste sie das Versteck ins Auge, dass sie schon vom Tor aus erspäht hatte.
    Wer auch immer diese Hochzeit geplant und gestaltet hatte, hatte damit ein großes Herz für Diebe bewiesen. Denn um die konzentrisch angeordneten Tische war genügend Grünzeug und Blütenschmuck angebracht worden, nur unterbrochen von mit Blumengirlanden geschmückten Bögen, dass Uera im Schutze dieser den Platz umrunden konnte, ohne gesehen zu werden. Wenn sie es geschickt anstellte.
    Nichts anderes hatte sie vor und so tastete sie sich näher an die Gäste und ihren Rückzugsort heran, bis sie nahe genug herangeschlichen war, um die mit Geldkatzen behangenen Gürtel begutachten zu können. Ein etwas untersetzer, abseits stehender Mann würde später bemerken, dass ihm einige Goldmünzen fehlten und eine Dame, deren entzückendes, perlenbesetztes Handtäschen all zu verloren an ihrer Seite baumelte, würde daran einige der wertvollen schwarze Perlen vermissen. Ein zauseliger, alter Kerl würde sich später ärgern, dass er seine goldberahme Lesebrille zuhause vergessen hatte. Die Musik nahm an Tempo zu und die Leute begannen zu jubeln und zu klatschen.
    Ein vorbeifliehender Schatten huschte an einem der Girlandentore vorbei und glitt in eine schlanke Lücke zwischen den Blumengestecken und einer der drei alten Platanen, die den Hof bei Tage beschatteten und nun mit Laternen behangen waren. Mit dieser im Rücken und der restlichen Blumendekoration vor sich, wollte die Yassalar unbemerkt warten, bis sich die Gäste gesetzt hatten. Es lockte die ein oder andere unbeobachtete Hand- und Manteltasche und möglicherweise ein paar verlorene, golden schillernde Armkettchen.
    Als die Musik fürs erste verstummte, ahnte niemand, dass ein ungeladener Gast unter ihnen weilte, der im Schutze von Baum und Blattwerk verborgen blieb und hämisch in sich hineingrinste.

    wash it all away - end up strong / these eyes have grown, these eyes have shown
    watching the horizon, hoping for / the cliffs to rise above the shore
    (Textures - Reaching Home)

    3 Mal editiert, zuletzt von Uera () aus folgendem Grund: peinliche Tipp- & Grammatikfehler

  • Kaum hatte sie sich durch den Spalt gewunden, zögerte auch Zeciass nicht länger. Sich aus der Umarmung der Schatten lösend, gelangte er mit weit ausgreifenden Schritten an das Tor. Vorsichtig zog seine Hand es gerade so weit auf, dass es bei flüchtiger Betrachtung noch immer verschlossen wirken musste, und entdeckte die dunkle Gestalt seiner Diebin, die hinter einem ausladenden Blumengesteck in Deckung gegangen war. Jede Faser ihres Körpers schien angespannt und kurz eroberte so etwas wie Sorge seine Gedanken... bittere Sorge um seine zwanzig Dukaten, die er in diesem Moment in sie investierte. Dass sie es ja nicht wagte, sich erwischen zu lassen!


    Es sah jedoch nicht danach aus, als sie sich daraufhin wie ein schmaler Riffhai an die Kiemenlosen heranpirschte. Mit zufriedenem Gesichtsausdruck lehnte er sich vom Spalt zurück, um im nächsten Moment alarmiert den Kopf herum zu reißen. Eine seitlich gelegene Tür zum Hauptgebäude hatte sich geöffnet. Verhaltenes Flüstern und Kichern erklang, ehe ein halb entkleideter Trockener ungelenk hüpfend im Türrahmen erschien, bei dem Versuch, etwas auf seinen Fuß zu ziehen. "Rosalie, jetzt beeil dich! Das ist doch schon das Lied für den Trautanz!" keuchte er etwas außer Atem. "Du hast gut reden! Weißt du überhaupt, wie viele Schichten so ein dummes Kleid hat?" antwortete ihm eine junge, wenn auch etwas ungehaltene Frauenstimme. "Natürlich weiß ich das! Ich habe eben erst jede einzeln geöffnet!" lachte der Kiemenlose und etwas Dünnes aus Stoff flatterte ihm zur Antwort an den Kopf.


    Der Blick des jungen Mannes wanderte zum Tor. Überrascht zog er die Augenbrauen hoch. "Hast du das Tor etwa nicht hinter dir geschlossen, Rosalie?" "Wieso denn ich?" erklang die Gegenfrage von hinter der Tür. "Ich hatte schon genug mit deinem Gürtel zu tun, wenn du dich erinnerst." Ihr Lachen perlte anrüchig ins Freie. Mit besorgter Miene trat der junge Trockene durch die kunstvoll gestutzten Büsche auf das Tor zu, das im Dunkel des Gartens wie ein lang geschlitztes Auge glomm. Ein harter Schmerzblitz fuhr durch seinen Hinterkopf, gefolgt von tiefster Schwärze.


    "Ferdinand, ich brauche jetzt meinen Handschuh wieder!" Eine schlanke, weiße Hand tastete sich an der Tür entlang. Die nachtblinden Augen der jungen Frau spähten suchend in die Schatten des Gartens, ohne etwas erkennen zu können. "Ferdinand? Ferdinand? Lass die Scherze, du weißt, ich fürchte mich doch so allein im Dunkeln!" Langsam wagte sie sich einige Schritte in den Garten, die eine Hand ängstlich vor den Mund gehoben, die andere zurück gestreckt, bis ihre Fingerspitzen schließlich den letzten Kontakt zur Tür verloren.


    "So allein bist du nicht."


    Die fremde Stimme an ihrem Ohr jagte ihr einen eisigen Schock durch die Glieder. Bevor sie jedoch einen spitzen Schrei heraus brachte, schnürte ihr ein eiserner Griff die Kehle zu. Verzweifelt nach Luft schnappend, fuhren ihre Hände empor, glitten panisch über Haut, die zu glatt und zu kühl für die eines Menschen war. Dann wich schlagartig alle Spannung aus ihrem zarten Leib.


    Zeciass lockerte seine Hand um ihre Kehle, ohne sie ganz loszulassen und während sein Blick noch immer auf das Tor gerichtet blieb, übernahm sein anderer Hunger die Kontrolle über seine Sinne. Flüchtiger und feiner als Wasser rann die süße Essenz der Kiemenlosen durch seine Finger, prickelte seine Muskeln entlang bis sie spurlos in dem tosenden Nichts verschwand, das sie noch gieriger als sonst verschlang. Die Zeit verstrich und er verlor sich, während er nahm und nahm und noch immer mehr von dem nahm, was ihren Lebensfunken am Leuchten erhielt. Ihr Licht flackerte unter seinen Händen, doch anstatt es als Zeichen zu nehmen, sich von ihr zu trennen, riss er noch stärker daran, zog er mit Macht auch das letzte Glimmen heraus, das sie noch bot und verleibte es sich ein.


    Leblos glitt der Körper der Frau aus seinen Armen zu Boden. Zeciass blinzelte benommen, sammelte sich, ehe er auf den Rest hinab sah, den seine Gier zurückgelassen hatte. Totes Fleisch. Ausdruckslos griff er in den weichen Stoff des Kleids, hob sie an und legte die nun leere Hülle der jungen Frau in den Gang hinter der Tür. Ebenso verfuhr er mit ihrem Liebhaber, der die Nacht mit dem Segen seiner Gottheit jedoch vielleicht sogar überleben würde.


    Mit einem entschlossenen Ruck schloss er die Tür und im Anschluss, deutlich achtsamer, auch das Tor zum Festplatz, bevor er knapp dahinter Aufstellung nahm. Erneut langte Zeciass nach dem Dolch und spielte versonnen mit der Klinge, während er darauf wartete, dass die kleine Diebin in seine Falle zurückkehren würde.
    Mit reich gefüllten Taschen und unachtsam im Rausch ihrer gelungenen Jagd...

  • Die Yassalar mit dem geschwärzten Gesicht spähte zwischen dem Schmuckwerk aus Grün hindurch und stellte zu ihrer Zufriedenheit fest, dass sich mittlerweile die meisten Gäste zu ihren Plätzen begeben hatten und lauthals anfingen zu singen und zu feiern. Sie hielt nach interessanten Opfern Ausschau, doch es fiel ihr schwer sich zu entscheiden. An nahezu allen Handgelenken und Fingern leuchtete Gold und Silber auf, hier und da strahlte ein Rubin an einer Kette, ein Diamant an einem Ring und es klimperten Goldblättchen an Ohrringen. Eine bleiche, schwarzhaarige Dame, die einen Schuss Elfenblut abbekommen haben musste, trug gleich mehrere Ketten aus schwarzen Perlen und Perlmuttscheiben, würdig eines Yassalarhalses. Was erlaubt sich dieser widerlicher Abschaum!, spie Uera in Gedanken und hätte ihr den meerischen Schmuck am liebsten von ihrem langen Schwanenhals gerissen. Sie hieß die Trockenhaut vieles, das besser unausgesprochen blieb.
    Plötzlich blieb Uera jedoch der Atem in der Kehle stecken. Ihre Fingerspitzen prickelten. Ein phaszinierendes Collier aus einem dutzend perfekt geschliffener Saphire hatte ihren Blick gefangen. Für einen Augenblick vergaß sie beinahe, wo sie sich befand. Uera schluckte, ihr Hals war trocken. Unmöglich. Sie konnte niemandem unbemerkt eine Kette vom Hals stehlen, solange dieser noch bei völligem Bewusstsein war. Die Djirin, welche dieses edle Schmuckstück trug, setzte sich ganz in Ueras Nähe auf eine der Bänke, überschlug die langen Beine und verwickelte einen dort sitzenden Edelmann in ein belangloses Gespräch. Die in blankes Silber gefassten, von kleinen Diamanten umringten Steine leuchteten wie tiefe Seen, in denen sich der Mond spiegelte, zum Greifen nah und doch unerreichbar. Ein ziehender Schmerz füllte ihren Brustkorb, als sie die Aussichtslosigkeit der Situation erkannte. Sie musste es haben! Die Enttäuschung quälte sie, ihre Hände ballten sich zu Fäusten, ihre Zunge befeuchtet ihre Lippen nervös, doch sie verharrte an Ort und Stelle. Vielleicht …
    Ueras Miene verdunkelte sich zusehends. In ihr wuchs das Verlangen nach Chaos, die Lust darauf, Unruhe zu stiften. Es bereitete der Yassalar Mühe, diesen Drang zu zügeln, zumindest, bis sie einen Plan geschmiedet hatte.
    Ein kühler Wind strich mit einem Mal durch den Hof, lies die Krone der Platane über ihr rascheln und die Kerzen in den schaukelnden Laternen flackern. Die Wolken hatten das durch die Kuppel dringende Mondlicht mittlerweile vollständig verdunkelt und die hereinbrechende Nacht roch für Ueras Nase intensiv nach Regen. Eine Bedienung huschte mit leeren Händen an Ueras Versteck vorbei und kam wenige Momente später mit einem Tablett voller kleiner, mit klarer Flüssigkeit gefüllter Gläschen zurück. Ueras Gedanken rasten auf eine Idee zu. Eine Schweißperle kroch ihre schwarze Stirn hinab.
    Das Mädchen stolperte über etwas, das zuvor nicht dagewesen war und wurde von einem kleinen Gegenstand am Kopf getroffen. Klirrend zersprangen zehn, elf kleine Gläser auf dem steinernen Boden und das Mädchen lies einen spitzen Schrei hören. Viele Köpfe drehten sich nach der Quelle des Geräusches um und sie hätten sich rasch wieder abgewendet – wenn die weiße Schürze des Mädchens nicht plötzlich in gleißend blauen Flammen gestanden hätte. Der Wind hatte wohl eine Laterne gelöst, die auf sie herabgestürzt war.
    Im aufwallenden Chaos der plötzlich übereinander stolpernden Adligen hatte Uera ihr Ziel nicht aus den Augen verloren. Die Djirin war mindestens einen Kopf größer als sie, doch das machte keinen Unterschied als Uera diese umgerempelt hatte und die hochgewachsene Frau schimpfend auf dem Bauch landete. Uera beugte sich kurz über sie und war sofort wieder wie vom Erdboden verschluckt, während das Mädchen weiter wie am Spieß schrie.
    Ueras Herz pochte laut, ihre Ohren schmerzten, sie musste nun schnell sein, unglaublich schnell, wenn sie den Platz verlassen wollte, bevor die kurzlebige Flamme des Alkohols wieder erloschen war, die Djirin sich aufrappelte und das Fehlen ihres Schmuckes bemerkte. Außerdem hatte das Geschrei mit Sicherheit die Wachen auf den Plan gerufen. Mit langen, flinken Schritten entfernte sie sich von all dem Tumult und glitt ungesehen durch das Tor, durch das sie zuvor hineingelangt war, schob es hinter sich zu.


    Nichts konnte den Triumph beschreiben, der in dem kohleschwarzen Gesicht glomm, als die Dunkelheit des kleinen Gartens sie empfing. Mit beschleunigter Atmung, berauscht, glühend, und mit einem breiten Grinsen im Gesicht ging sie ein paar langsame Schritte, um wieder zu Atem zu kommen. Uera lachte atemlos und strich kennerhaft über die verschiedenen, perfekten Schliffe der funkelnden Saphire des Colliers im Inneren ihrer Gürteltasche.
    Sieh zu, dass du Land gewinnst!, mahnte ihre innere Stimme, doch sie hielt einen Moment inne. Ein unangenehmes Gefühl beschlich die Yassalar, ein Gefühl das sie dazu brachte, die Luft anzuhalten und ihre Hände neben den Körper sinken zu lassen. Sie hörte nichts und sie sah nichts, doch wurde sie das Gefühl nicht los, beobachtet zu sein. Ein Grummeln am Himmel kündigte ein Sommergewitter an und die Spannung in der Luft wuchs ins Unterträgliche. Leise fielen die ersten vereinzelten Tropfen auf die Blätter der Pflanzen. Ueras schmale Schultern spannten sich auf eine unbehagliche Art und Weise, als sie langsam den Kopf drehte, um über ihre Schulter zu blicken.

  • Er hatte sich genug an ihrer Ahnungslosigkeit ergötzt.


    Noch bevor sich das Gesicht der Yassalar ganz zu ihm gewandt hatte, krallte sich seine Hand in den Kragen ihrer Kapuze. Mit ungeminderter Kraft riss er die schlanke Gestalt rückwärts und machte zugleich einen Ausweichschritt. Der Schwung der Bewegung ließ die Diebin hart mit dem Hinterkopf gegen die Mauer prallen. Noch bevor sie etwas tun konnte, erschien er bereits vor ihr und presste seinen Dolch so eng an ihre gestreckte Kehle, dass ein feiner Rinnsal Blut hervorquoll und die Klinge entlang rann.


    Einen Lidschlag - mehr hatte es nicht gebraucht, um ihren Triumph in seinen zu verwandeln. Seine Falle war zugeschnappt. "Kess'zhim sza e feyss!" schärfte er ihr mit schneidender Stimme ein. Wie zum Beweis seiner Worte drang sein schwarzer Blick unheilvoll in ihren.


    Der erste Blitz zuckte und im plötzlich grellen Lichtschein irritierte Zeciass etwas an ihrem Gesicht. Schon im nächsten Augenblick, als es wieder dunkel wurde und das blasse Spektrum der Nachtsicht alle Details verwischte, erinnerte er sich nicht einmal mehr daran, was es gewesen war. Doch es störte ihn. Es störte ihn so sehr, dass er, ohne abzuwarten, seine freie Hand benutzte, um erst ihre Kapuze nach hinten zu schlagen und anschließend den lästigen Stoff von ihrem Gesicht zu reißen.

  • Ein greller Blitz aus Schmerz durchzuckte ihren Schädel, als ihr Hinterkopf gegen die Mauer geschleudert wurde, ihre Zahnreihen schlugen aufeinander und der Aufprall presste jede Luft aus ihrer Lunge. Ein zweiter, dumpfer Schmerz folgte gleich einem Donnergrollen und gab ihr das Gefühl, dass ihr Schädel zersprang.
    Gefangen zwischen einer Klinge an ihrer Kehle und der Mauer in ihrem Rücken, blieb ihr nichts als der von Schrecken ergriffene Blick nach vorne, ihrem Angreifer direkt ins Gesicht. Der salzige, metallische Geschmack ihres Blutes breitete sich auf ihrer Zunge aus.
    Zwischen den Wellen des Schmerzes, die alles in Dunkel tauchten, sah sie die schimmernden Züge des Schwarzhäutigen deutlich vor sich und als seine Worte an ihr Ohr drangen, der scharfe Klang den Schleier um ihr Bewusstsein zerriss, fühlte sie ihr Herz in tausend Stücke zerbersten. Yassalar.
    Sie verstand kein Wort, doch der schwarze Blick, der sich tief in ihren pochenden Schädel zu bohren schien, war eindeutig. Eine falsche Bewegung und es würde die letzte ihres Lebens sein. Hinter ihrer Stirn fochten Bewunderung und Furcht einen aussichtslosen Kampf.
    Bebend rang sie nach Luft. Er entblößte ihr Gesicht, nahm ihr die letzte Möglichkeit auch nur einen einzigen Teil ihres Gesichtes vor ihm zu verbergen. Ueras Gedanken überschlugen sich.
    Niemals ohne einen Kampf. Reflexartig bleckte sie die zusammengebissenen Zähne, rosa gefärbt durch ihr eigenes Blut, versuchte ihrem schmerzverzerrten Gesicht einen möglichst wehrhaften Ausdruck zu verleihen. Ein lautloser Blitz zerbrach die Dunkelheit.
    "Vorsichtig", presste sie hervor und wie niemals zuvor bereute sie es, kein Wort Z'sharr zu sprechen.
    Völlig unvermittelt schnellten ihre Hände an die Dolchhand des Yassalars, packten das kräftige Handgelenk mit einem eisernen Griff und drückten es mit aller Kraft fort von ihrer Kehle. Der gebotene Gegendruck verlieh ihrem leichten Körper genügend Halt um sich gegen die Mauer in ihrem Rücken zu stemmen, flink ein Bein heran zu ziehen und dem Yassalar einen gewaltigen Tritt zu verpassen, in welchem alle Kraft steckte, die sie aufbringen konnte. Plötzlich befreit, doch mit benebelten Sinnen stolperte sie davon, auf die nächste Mauer zu in der Absicht diese zu erklimmen.

  • Schon als sie die Zähne fletschte, drängte ihn sein Instinkt, der störrischen Yassalar schlichtweg den Kopf von den Schultern zu schneiden - doch sein Geiz weigerte sich stur, die fünf zusätzlichen Dukaten aufzugeben. So verbissen sie in diesem Moment erschien, so verwirrt war Zeciass, als ihre Antwort plötzlich im Zungenschlag der Niederen erklang. Vorsichtig...?


    Ein Fehler, denn es kostete ihn die eine Sekunde, die sie nutzte, um seinen Dolch fortzustoßen. Wo der nächste Gedanke hätte folgen sollen, zog sich sein Blickfeld auf einen Punkt puren Schmerzes zusammen. Unterdrückt keuchend ging er die Knie, eine Faust in den Boden rammend, mit der anderen den Dolch verlierend. Übelkeit und Pein rissen wie blutwilde Haie an seiner Selbstbeherrschung und der schützende Griff hinab konnte daran auch nicht mehr ändern.
    Mit bebenden Schultern kämpfte Zeciass mühsam um die erneute Kontrolle über seine Muskeln. Sie würde ihm nicht entkommen! Das würde er sie hundertfach büßen lassen!


    In rasender Wut hob sich sein Blick, erfasste das schwarze Biest knapp vor der überwucherten Mauer, über die sie wohl zu entkommen dachte. Witternd rissen seine Kiemen auf, doch erst ein tiefer Atemzug durch seinen Mund brachte seinen Körper wieder in die Gänge. Den Dolch schlichtweg vergessend, jagte er der Flüchtenden hinterher. Mehr Glück als Geschick trug dazu bei, dass sich seine Hand im allerletzten Moment um ihren Stiefel schloss. Mit der blanken Kraft seiner Wut riss er die Yassalar von der Mauer zurück in den Garten, wo sie der Länge nach im Gras aufschlug.


    Unter schwerem Atem hoben und senkten sich seine Schultern. Wieder zerschnitt ein Blitz die Schatten. "Ich schwöre bei Zi'llail das bereust du!" brandete sein ganzer Hass auf die am Boden liegende hinab.

  • Dem letzten Blitz folgte zaghaft ein leises Donnern. Um ein Haar hätte sie es geschafft, doch jede Faser ihres Körpers war von Schmerz getränkt und als sie mit dem Gesicht voran auf dem feuchten Gras landete, bemerkte sie, wie ihr langsam aber sicher die Kraft ausging. Sie raffte sich auf, drehte sich so schnell sie konnte auf den Rücken, spuckte auf den gepflegten Rasen aus und fand erst jetzt Zeit, einen klaren Gedanken zu fassen und - vor allem - ihren Dolch zu ziehen.
    So nahe war sie einem der ihren erst ein einziges Mal in ihrem Leben gewesen, doch der letzte Yassalar, dem sie begegnet war, hatte sie nicht in diesem Aufzug gesehen. Geschwärzt, versteckt unter einer Staubschicht. Sie spürte schwere Tropfen auf ihrer ungeschützten Haut zerplatzen. Mit ihrer Tarnung würde es bald nicht mehr weit her sein, wenn der Regen stärker würde.
    „Schwör auf Zi'llail so viel du willst!“, spie sie ihm mit rauer Stimme entgegen, bemerkte, dass er beiläufig sein Z'sharr abgelegt hatte. Jeden Moment erwartete sie, dass sich der Yassalar auf sie stürzte und jeden verstreichenden Augenblick nutzte sie, um ihre Kräfte zu sammeln. Wie viele würde er ihr geben, schwer atmend, wie er vor ihr stand?
    Das Herz schlug ihr bis zum Hals, ihre Zunge befeuchtete nervös die nach Blut und Asche schmeckenden Lippen, trug ungewollt etwas Kohle davon. Es schien, als hätte Zi'llail wahrlich noch eine Rechnung mit Uera offen, nun da sie ihr ihresgleichen auf den Leib hetzte. Ihre Augen leuchteten inzwischen in einem bedrohlich wirkenden Blau, ihre Lippen bebten wie ihre Schultern und der Dolch, den sie gut sichtbar vor sich hielt. „Was hattest du erwartet. Was willst du von mir?“
    Tatsächlich konnte sie sich nicht vorstellen, was er von ihr wollte. Ihr Leben, mutmaßte sie. Doch wofür? Geld? Ein Kopfgeldjäger? Im Geiste musste sie lachen … war ihr Kopf doch weitaus weniger wert als das, was sie momentan in ihrer Tasche trug. War sie endlich einem der ihren begegnet, nur um zu sterben? Oder war dies die Prüfung, auf die sie seit so vielen Jahre wartete?

  • So wie sie sich am Boden wand, ihn anzischte wie eine verwundete Korallennatter, war nichts von ihrer yassalarischen Anmut geblieben. Zu gern hätte Zeciass ihr Blut gewittert, das süße Aroma ihrer Panik im Wasser geschmeckt, doch seine Sinne blieben wie eingeschnürt an die schalen Gerüche der Luft gekettet. Nur der bittere Nachgeschmack seines eigenen Schmerzes klebte widerwärtig auf seiner Zunge.


    Lächerlich schwach und verzweifelt zitterte der Dolch in ihrer vorgestreckten Hand. Er betrachtete die Geste mit hässlichem Spott, ließ seinen Blick ihren Arm entlang wandern und hielt erst in ihrem Gesicht inne. Was er dort sah, veränderte seinen Zorn - machte ihn kälter, kalkulierter. Wo sie sich über die Lippen geleckt hatte, glänzten diese in einem stechenden Weiß. Auch ihr restliches Gesicht war inzwischen gespickt von bleichen Makeln. Nichts weiter als eine Unreine, die sich dreist selbst schwärzte. Die armselige Maskerade hätte einen gelungenen Witz abgegeben, wenn ihm in diesem Moment zum Lachen gewesen wäre. So jedoch... brachte es ihn auf eine völlig neue List.


    Zeciass verbannte die bebende Wut aus seinen ebenmäßigen Zügen, spannte seine Muskeln und richtete seinen stromlinienförmigen Körper zu vollkommener, berückender Größe auf. Die Regentropfen berührten ihn kaum, so rasch glitten sie an seinen schwarz glänzenden Schuppen ab. Eindrucksvoller als manch wahrer Reiner verkörperte er das Ideal, das Zi'llail ihm in ihrer gnadenlosen Gunst auferlegt hatte - ohne die Absicht, ihm jemals seine rechtmäßigen Privilegien zu gewähren.


    Doch nicht heute Nacht. Nun würde Zi'llail sehen, was er längst wusste. Dass er das letzte fehlende Stück war - der krönende Abschluss einer überragenden Schöpfung, die einmal nicht nur das Meer, sondern alles Leben auf Erden beherrschen sollte.


    "Mach die Augen auf, Schmutzblut", troff seine Stimme auf die Liegende hinab. "Die Sprache deines eigenen Volkes nicht zu sprechen, ist bereits verdammenswert genug! Aber einen Reinen nicht zu erkennen, wenn er direkt vor dir steht...!" Wie von den Göttern gesandt, untermalte erneuter Donner seine Worte. Verborgen hinter seiner Maske aus Überlegenheit, schlug sein Herz hart und kraftvoll in seiner Brust. Das war seine wahres Wesen!


    Seine Augen verengten sich, als er sich langsamen Schrittes auf die gestürzte Yassalar zu bewegte. "Lass jetzt den Dolch sinken..."

  • Mach die Augen auf, Schmutzblut, hallte es in ihrem Kopf wider. Sie waren offen. Ihre mit Nachtsicht gesegneten Augen versuchten seine Gestalt in allen Details zu erfassen, jeden abperlenden Regentropfen auf der wie eingeölt wirkenden Haut zu verfolgen. Sein Anblick verworr ihre Gedanken immer mehr, je länger sie hinsah. Sie wusste, was sie vor sich hatte. Und er wusste nun offenbar auch, was sie war. Der Regen wurde stärker, wusch ihr Gesicht immer heller und versickerte in ihrer Kleidung.


    Für den Bruchteil eines Moments wollte sie dem Befehlston des Yassalar Folge leisten, einen Moment lang wollte zumindest ihr Körper gehorchen. Dann schloss sich ihre Hand um so fester um den Griff ihres Dolches. Sein spöttischer Blick schmerzte dort wo er auf ihr lag mehr, als ihr pochender Kopf und der oberflächliche Schnitt an ihrem Hals vereint. Neben grenzenloser Bewunderung begann Trotz in ihr aufzusteigen. Sie wusste ihn überlegen … doch er hatte seine Waffe verloren, sie hielt ihre noch in der Hand und diesen Hauch einer Überlebenschance wollte sie nicht aufgeben, trotz der deutlichen Aufforderung.


    Er kam ihr näher, näher als es ihr recht war und sie schob sich auf dem nassen Gras davon, kam wieder auf die Füße, hielt Abstand. Sie bemühte sich, dem Yassalar fest in die schwarzen Augen zu blicken, reckte ihr Kinn ein wenig.
    "Was ...", begann sie, kämpfte die aufwallenden, wild durcheinanderjagenden Gedanken nieder ohne ihren Blickkontakt zu unterbrechen. "Womit habe ich diese Ehre verdient?"
    Keine Ironie verbarg sich in ihrer Stimme, denn sie meinte es genau so, wie sie es gesagt hatte. Warum stand diese Ausgeburt der Perfektion vor ihr, gerade ihr, und wollte ihr an den Kragen? Was hatte sie getan um das zu verdienen? Auf ihren rußverschmierten Lippen tauchte ein schmales Lächeln auf. Offensichtlich war sie es sogar Wert, einen sicherlich sehr schmerzhaften Tritt einzustecken, denn noch war sie am Leben.
    Langsam richtete sie sich vollständig auf, streckte die langen, schlanken Gliedmaßen, raffte die Schultern nach hinten und lenkte den stolzen Blick geradeaus, wo er seinem ungerührt begegnete.

  • Ihr Widerwille fraß sich tief und ätzend in seinen Stolz. Die Vorstellung wie Zi'llail sein Versagen verlachte, drohte ihn schier wahnsinnig zu machen. Die niedere Yassalar sprach von Ehre und wagte es dennoch, ihm zu widerstehen. Es machte ihn krank; ließ sein Blut vor Wut schäumen und kostete ihn die gesamte Erfahrung eines Jahrhunderts, sich diese Raserei nicht anmerken zu lassen.


    Etwas aus der Schwärze, die sonst nur hungernd in seiner Brust schlummerte, brach sich Bahn. Er wollte sie! Sie sollte sich vor ihm krümmen - und wenn nicht im Gehorsam, dann im Schmerz! Zur Hölle mit dem Kopfgeld, diese Yassalar würde ihm gehören! Ihm allein!


    "Was du verdienst und was nicht, werde ab jetzt ich entscheiden", wischte er ihre Frage mit einer Handbewegung zur Seite ohne dass er im Schritt inne hielt. Die langen weißen Haare schmiegten sich im erstarkenden Regen eng an seine nachtfarbene Schuppenhaut. "Du solltest mir als Kopfgeld nützen", erklärte er finster, während seine Augen ihre nicht freigaben. "Aber..." Seine linke Augenbraue wanderte er Stück nach oben. " ...da du trotz deiner niederen Abstammung zu wissen scheinst, was Ehre ist... lasse ich dir Schmutzblut ausnahmsweise die Wahl."


    Wieder schnitzten mehrere Blitze die Details des Gartens heraus, warfen die Schatten der beiden Yassalar als unheimliche Scherenschnitte auf den Rasen. "Ich habe einen Auftrag in dieser Stadt zu erfüllen", hob Zeciass seine Stimme, verlieh ihr den beschwörenden Klang, der die Frauen in seine Arme trieb, nur um umso kraftvoller weiter zu sprechen. "Und solange ich hier bin, wirst du mir dienen! Andernfalls landest du in den trockenen Händen der Stadtwachen, die dich suchen... und findest ganz schnell heraus, warum du ihnen lebend sogar noch mehr wert bist als tot. Eine passende Strafe für eine Verräterin, die Zi'llails gewollte Ordnung und den Platz unter ihresgleichen vergessen hat, denkst du nicht auch?"


    Nur einen Deut vor der Spitze ihres Dolches kam er zum Stehen. Gefährlich blitzte die scharfe Spitze vor seiner ungeschützten Brust, doch nichts hätte Zeciass in dieser Sekunde unbedeutender sein können. Sollte es ihm nicht gelingen, heute Nacht diese Yassalar von seinem Machtanspruch zu überzeugen, sollte Zi'llail über ihn richten. Hoheitsvoll senkte sich sein Blick auf die Waffe, nur um daraufhin unbeeindruckt das Gesicht der Yassalar zu betrachten.


    Er hatte die Ehrfurcht bei seinem Anblick in ihren Augen gesehen. Sie würde ihn niemals töten.

  • Gegen ihren Willen flackerte ihr Blick einen Augenblick lang auf die Klinge hinab. Oft schon hatte sie diese Klinge den Puls eines Wesens schmecken lassen und diesen ohne Zögern für alle Zeit zum Schweigen gebracht, doch niemals zuvor hatte es sie mit einem derartigen Unbehagen erfüllt. Das berauschende Gefühl der Macht über Leben und Tod wollte sich nicht einstellen, es blieb alleine das demütigende Gefühl ausgeliefert zu sein, ihr hart und schmerzhaft schlagendes Herz und ihr Atem, der gepresst und gequält klang.


    Die Wahl vor die er sie stellte, war eine Farce. Es gab keine Wahl. Es hatte ihn nur Momente gekostet, ihr ganzes Weltbild zu ergründen und er traute sich offenbar zu, es so gut zu kennen, dass er sich völlig ungeschützt vor ihre Klinge stellte, die Klinge, die schon vielen anmaßenden Wesen den letzten Atemzug geschenkt hatte. Selbst wenn sie es gewollt hätte, hätte sie nicht zustoßen können.
    Er konnte es nicht wissen, doch für Uera schien er der letzte Stein in einem Mosaik zu sein, dass nun endlich ein Bild ergab, die Gelegenheit, auf die sie schon seit jeher gewartet hatte. Es war als würde seine Stimme ihrem Körper jede Spannung nehmen. Ihr Griff um den Dolch wurde lockerer, ihre Knie weich und es kostete immer mehr Kraft, den Blick auf die dunklen Augen zu konzentrieren, und ihn nicht an dem perfekt geformten Körper hinabgleiten zu lassen, dunkler als die schwärzeste Nacht, glänzender als der reinste Obsidian, die sie in ihrem Leben bisher gesehen hatte.


    Ohne ihr bewusstes Zutun entfernte sich die rasiermesserscharfe Klinge etwas von seinem Sternum. Sie würde es nicht wagen, ihn zu zeichnen. Nicht so. Allein der Gedanke daran ließ Übelkeit in ihr aufsteigen. Nur eine Armlänge vor ihr stehend war seine Präsenz übermächtig, das Bedürfnis mehr Abstand zu gewinnen war gleich stark wie das ziehende Gefühl, diese glattschuppige Haut berühren zu müssen. Es war ihr offen lesbar ins Gesicht geschrieben.
    Er erwartete eine Antwort, eine Entscheidung. Ihre Augen verengten sich misstrauisch und nahmen einen etwas ungläubigen Ausdruck an. Was, wenn es nur eine Täuschung war?


    „Dienen.“, wiederholte sie trocken, bestätigend, sich völlig bewusst, dass sie hiermit ihre Entscheidung traf. Der Dolch fand mit einem schleifenden Geräusch seinen Platz an der Lederscheide an ihrem Gürtel. „Wie?“

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