Die Schuld des Blutes

  • Nie hatte Zeciass die feinen Regungen eines Gesichtes intensiver erforscht, den Blick einer Frau eindringlicher betrachtet. Jede einzelne Nuance, mit der sie mehr seinem Willen erlag, gefror in seinen Gedanken zu einem einzigartigen Kunstwerk. Es war seine Kunst in den Augen Zi'llails. Wie bitter musste die große Göttin jetzt einsehen, dass seine Überlegenheit den blassen Makel seiner Abstammung jederzeit überstrahlen würde.


    Dienen.


    So ein einfaches Wort, so beherrscht gesprochen, dass es ihn fast ein Lächeln kostete, und doch begab die weiße Yassalar sich damit vollständig in seine Hand. Kleine Tsa'lin. Nein, noch konnte sie nicht ahnen, wie vollkommen seine Macht sie unter seine Kontrolle zwingen würde.


    "Für den Anfang...", sprach er mit dunklem Gefallen, überschritt die letzte Barriere, die ihr Dolch gebildet hatte und nahm ihr Kinn zwischen Daumen und Zeigefinger. "... sprichst du mich mit Zay'rass an." So sanft wie er ihr Gesicht bei diesen Worten angehoben hatte, so unbarmherzig wischte er daraufhin den letzten Rest Schwärze von ihrer Wange. Seine Augen blickten kalt auf die schmierige Farbe an seinen Fingern.


    Plötzlich zischte es kurz und ein Lichtschauer prasselte zwischen den Regenschleiern, der Zeciass' Blick alarmiert in den Himmel schnellen ließ. Pfeifend stiegen Dutzende blasse Striemen in den finsteren Himmel, um knisternd in weißen und goldenen Kränzen zu explodieren. Es schien sich um keine Bedrohung zu handeln, doch es rief ihm in Erinnerung, dass sie sich zu nah am Geschehen befanden. "Bring mir meinen Dolch! Wir werden diese Ablenkung nutzen, um zu verschwinden!"

  • Elektrisierend durchzuckte der Schreck ihr Innerstes. Diese plötzliche Nähe, diese Berührung, diese Worte - es brachte sie halb um den Verstand. Nichts hasste sie mehr, als angefasst zu werden und doch ... war das hier anders. Während sich ihr Kern wand und sträubte, breitete sich ein warmes Prickeln auf ihren Schuppen aus, das sie so nicht kannte. Wie gelähmt wagte sie es kaum zu atmen, geschweige denn zurückzuweichen oder dem Impuls nachzugeben, seine schwarze Hand einfach wegzuschlagen.
    Zay'rass. Etwas sagte ihr, dass das nicht sein Name war, doch gleichzeitig war es ihr egal. Sie erwartete nicht, dass er ihr seinen wahren Namen nannte und es war ihr gleich, bei welchem Namen er sie nennen wollte. Such dir einen heraus, der dir gefällt.


    Ein zweiter Schreck durchzuckte ihren Körper nur einen Moment später, als das Feuerwerk zischend den Himmel zerschnitt und ihr Blick gleich seinem an den Himmel schnellte. Diesmal brachte es sie in Bewegung, löste die erstarrten Muskeln, löste ihr Gesicht aus der Hand des anderen. Mit einem Mal kehrte sie in den Moment zurück, erfasste die Situation. Sie hatte ihre Umgebung schändlich missachtet, sie befanden sich viel zu nahe am Geschehen, viel zu tief in einem von zahllosen Wachen gespickten Bereich des Viertels.
    Sie war verletzt, spürte, wie der mit warmem Blut vermischte Regen an ihrem Nacken hinabrann, doch all das zählte nun nicht, sie wollte nur noch eins: so schnell wie möglich fort von hier.


    Der Befehlston seiner Stimme perlte spurlos an ihrem Geist ab, sie hatte sich schon längst nach seinem Dolch umgesehen, ihn gefunden und aufgehoben. Die Kapuze über ihren triefnassen Kopf ziehend kehrte sie zurück, kaum dass er seinen Satz beendet hatte. Nach einem kurzen, abschätzenden Blick auf die Klinge bot sie dem Yassalar seine Waffe offen an, mit dem Griff voran, wie es sich gehörte.
    Ihre grauen Augen stachen ihm aus dem Dunkel der Kapuze entgegen. Ihre Miene zeigte nichts als Anspannung und langsam niederbrennenden Stolz. Niemals hätte sie etwas vergleichbares für einen anderen getan. Niemals.


    Der Fluchtweg ihrer Wahl war nach wie vor der Weg über die Dächer. Nass wie die Ziegel waren, mochte es ein gefährliches Unterfangen sein, doch sie wusste, wo sie ihre Füße hinsetzen konnte. Schon wollte sie sich in Bewegung setzen, doch etwas lies sie auf den anderen Yassalar warten. Fragend und finster wanderte ihr Blick in seinem Gesicht umher. Niemals zuvor hatte sie an jemanden anderen gedacht als sich selbst, wenn sie sich ihre Wege suchte.


    "Wir ...", kam es ihr leise über die regennassen Lippen und ihre Mundwinkel zuckten kurz nach oben. Schnell und stark … aber ist er geschickt wie ich?

  • Wenigstens war sie schnell von Begriff. Zeciass ergriff den dargebotenen Dolch und ließ ihn, ohne einen Blick darauf zu verschwenden, in die schmale Kerbe seines Oberschenkelgurts zurückgleiten.
    Kaum schien sie den nächsten Befehl abwarten zu können, so suchend wanderten ihre Augen über seine unbewegte Miene. Für einen Augenblick wusste er nicht, ob es ihm zusagte oder ihn nervte.
    Ihr abgehacktes Wörtchen schlichtweg ignorierend, wandte er sich ab und schritt entschlossen auf die zugewachsene Mauer zu, über die ihm der Einstieg bereits zuvor geglückt war. "Bleib hinter mir und mach dich so unsichtbar du kannst", knurrte er. "Ich kehre nicht um, falls sie dich erwischen, Tsa'lin!"


    Schon stützte er seine Sohle auf einen groben Vorsprung und zog sich an den blütenschweren Ranken nach oben. Rasch war die Mauer erklommen. In lauernder Haltung forschte Zeciass' Blick in die quer verlaufende Gasse dahinter. Noch erschallte kein verräterischer Gleichtakt harter Stiefel, doch das stetig heller prasselnde Lichterspiel am Himmel und der sanft an- und abschwellende Klang des Regens erschwerten eine vollkommen zuverlässige Einschätzung.


    Er überlegte kurz, ob er der Yassalar die Tasche mit dem Diebesgut abnehmen sollte, bevor sie so dumm sein konnte, sie zu verlieren - und sich selbst gleich mit - doch er verspürte wenig Lust, seine eigene Beweglichkeit durch eine zusätzliche Last einzuschränken.


    Und das womöglich nur für wertlosen Tand...


    So schwang er sich geschmeidig über den Rand der Mauer, nutzte noch einige Ranken als Zwischenhalt und setzte seine Füße lautlos auf dem feuchten Pflaster auf. Mit gespannten Muskeln spähte er erneut in die Schatten zu beiden Seiten. Noch immer konnte er nicht ganz unterdrücken, dass seine Kiemen in gewohnter Manier nach einer feindlichen Witterung schnappten.

  • Kaum, dass er ihr den Rücken zugewandt hatte, fiel die Maske der Beherrschtheit von ihrem blassen Gesicht und was darunter zum Vorschein kam, war alles andere als gefasst. Niemand würde sie erwischen. Er unterschätzte sie und das schmerzte Uera an einem Punkt, den sie nicht für so verletzlich gehalten hatte. Sie spie noch einmal auf das Gras aus, versuchte den aufkeimenden Zorn gemeinsam mit dem Blutgeschmack loszuwerden, ehe sich ihre Gesichtszüge wieder glätteten.


    Wie ein Schatten nahm sie seinen Platz auf der Mauer ein, als er ihn freigab. Leichter und kleiner als er, kauerte sie hoch oben auf dem Stein, strengte ihr feines Gehör an. Selbst im prasselnden Regen und unter dem Knallen der Feuerwerkskörper konnte sie definitiv Schritte auf den Straßen hören. Noch waren die Schritte fern und sie konnte nicht bestimmen, welcher Art sie waren - doch Uera legte auch wenig Wert darauf, es herauszufinden. Das plötzlich schnappende Geräusch von Kiemen irritierte Uera und sie konnte ein verärgertes Zischen und einen strafenden Blick auf den Yassalar hinab nicht unterdrücken. Zügel deine Kiemen. Es ist auch so schon schwer genug etwas zu hören., schien ihr Blick zu sagen, doch die dazu passenden Worte blieben ihr gerade noch so im Hals stecken. Sie schloss, dass er wohl noch nicht all zu lange an der Luft weilte.


    „Fünf.“, wisperte sie knapp an der Hörgrenze, bevor ihr etwas entgegnet werden konnte. Sie schloss kurz die Augen, horchte nochmals nach, ehe sich ihr Blick wieder auf den Yassalar hinabsenkte, dessen Körper wie lebendig gewordenes schwarzes Metall im Regen glänzte. Sein nasses, silberweißes Haar leuchtete im Dunkel der Gasse so hell, dass es fast in ihren Augen wehtat. „Zwei auf dem Weg von der breiten Allee hier her, drei nähern sich parallel zu dieser Straße … von links.“
    Vor ihrem inneren Auge entfaltete sich eine detaillierte Teilkarte des Viertels. Sie würde ihm sicher nicht blind hinterherlaufen, direkt in die Arme der Stadtwache und er durfte nicht erwarten, dass sie ihm noch an den Fersen klebte wie ein nasses Blatt, wenn es ernst werden würde.
    „Wohin auch immer dein Weg führen mag ... Zay'rass … der klügste Weg führt nach rechts, Richtung Dessibar.“, schloss sie etwas hörbarer, schmeckte neugierig das fremde Wort auf ihrer Zunge und landete mit einem katzenhaften Sprung neben ihm auf dem Pflaster. Es war an der Zeit, die Beine in die Hand zu nehmen.

  • Zeciass' Augen verengten sich gefährlich. Fast hätte er das vorwurfsvolle Zischen seiner Dienerin überhört. Zu ihrem Glück war ihre nächste Information hilfreich, wenn auch ungefragt, und die Situation brenzlig genug, sodass er darüber hinweg sehen konnte... vorerst.


    Ihre gekonnte Landung bemerkte er nicht ohne einen neidischen Funken Anerkennung. Sein Entschluss, sich schleunigst einige dieser Bewegungen anzutrainieren, war in der Sekunde gefällt, als er seinen Oberkörper nach rechts warf. Noch immer hörte er keine verräterischen Schritte, doch ihm war jede Richtung recht.
    Pfeilschnell flogen seine Schritte über das Pflaster. Sein Körper erschloss sich das Wechselspiel der schnellen Bewegung wie von selbst, leitete die schneidige Kraft, die ihn unter Wasser wie ein Geschoss vorantrieb, in seine Sprunggelenke weiter. Trotzdem verlangte es seine volle Konzentration, die Bewegung im optimalen Fluss zu halten. Mehr noch, weil er spürte, dass die Steine durch das Wasser rutschig wurden. Ein schlecht gesetzter Schritt und die Folgen könnten verheerend sein...

    Zum ersten Mal erwog Zeciass den Nutzen von festem Schuhwerk... nur um sich gleichzeitig dafür zu hassen. Grobe Klötze an seinen Beinen? Sollten sich die Sklavenvölker mit ihren unwürdigen Hilfsmitteln bestücken - er hatte das nicht nötig!


    Schlitternd verlangsamte er seinen Lauf vor einer nahenden Kreuzung und schloss die Hand gerade noch um einen Laternenpfahl, bevor es ihn zu weit tragen konnte. Ein penetrantes Stechen hatte sich in seinem Zwerchfell breit gemacht, doch er hätte sich schon eher den Dolch hinein gerammt, als sich auch nur einen Hauch davon anmerken zu lassen. Seine Ohren lauschten angestrengt in die Nacht, doch es war wie bereits zuvor. Die Klänge erschienen so verworren, schal und kurzlebig, dass er nicht schlau aus ihnen wurde. Fast schien ihn die Luft zu verspotten, wo ihn das Meer bestärkte.
    Er musste nicht nach hinten blicken, um zu wissen, dass die Yassalar ihm gefolgt war. "Was hörst du, Tsa'lin? Wie weit noch bis zum Wasser?" schnitten seine Fragen gedämpft durch seinen tieferen Atem.


    Dass er sie überhaupt fragen musste, war ihm ein Dorn im Auge, doch im Moment legte er mehr Wert darauf, einen Zusammenstoß mit den alarmierten Stadtwachen zu vermeiden. Stolz und Dummheit hatte er stets klar zu trennen gewusst. Sie würde nicht wagen, es ihm vorzuhalten.

  • Tsa'lin. Schon wieder dieses Wort. Er schien ihr einen Namen gegeben zu haben. Blieb nur zu hoffen, dass es kein Schimpfwort war.
    Natürlich war sie ihm gefolgt. Er hatte ein beachtliches Tempo vorgelegt. Es schien Uera zwar mehr als leichtsinnig angesichts des steten Regens und der Tatsache, dass das schlüpfrige Pflaster seinen nackten Füßen kaum Halt bot, doch trotz allem kam sie nicht umhin, seine Gewandtheit zu bemerken. Er mochte seine Schwierigkeiten auf diesem ungewohnten Terrain haben, aber jede einzelne seiner Bewegungen verriet auch den gnadenlosen Jäger in ihm.


    Geräuschlos schob sie sich aus seinem Windschatten und trat neben ihn. Ein Hauch Genugtuung lag auf ihren Zügen, als sie die Augen für einen Moment schloss, um sich besser konzentrieren zu können. Ein Moment Stille, dann ein zögerliches Neigen des Kopfes, dann schlug sie die Augen wieder auf, machte einen kleinen Schritt an ihm vorbei und lies dabei eine Hand ein wenig in der Luft schweben, als wollte sie ihn damit zurückhalten. Uera wagte einen Blick um die nächste Hausecke, die Straße hinab, aus der sie leises Getrippel vernommen hatte. Nur ein großer Straßenköter, der in einiger Entfernung nach einem trockenen Platz suchte.
    „Nichts relevantes.“, antwortete sie, wandte sich mit undurchschaubarer Miene wieder dem Yassalar zu und widmete sich dann dem zweiten Teil seiner Frage.
    Sie hatten sich dem Randbereich des Viertels genähert, wo die Wohnpaläste kleiner und merklich heruntergekommen waren, die ein oder andere Residenz leer stand und langsam zu verfallen begann. Die Straßen waren enger, weniger frequentiert und weniger lukrativ für Straßendiebe. Was wiederum bedeutete, dass das Aufgebot an Stadtwachen vernachlässigbar war. Dennoch, es war Vorsicht geboten. Jenseits der Straßenkreuzung führte die schummrig beleuchtete, leicht abschüssige Straße in sanften Biegungen weiter.
    „Das Wasser ist nah.“


    In knappen und akkuraten Worten beschrieb sie den sichersten Weg zum Kanal. Kaum hatte sie ihre Beschreibung abgeschlossen, setzte sie ihren sehniger Körper in Bewegung und hatte nach wenigen gestreckten Schritten ein ähnliches Tempo erreicht wie zuvor. Die Hauswände flogen nur so an ihr vorbei, doch ihr Gehör und ihre Augen waren stets einen Schritt vorraus.
    Sie ließ sich nie weit zurückfallen, blieb zumeist auf einer Höhe mit dem Yassalar, behielt ihn im Auge, sodass es ihm unmöglich war, eine falsche Abzweigung zu nehmen. Es gab viele blind endende Gassen hier, die nur in beengte Höfe führten, einen durch verwilderte Gärten stolpern ließen oder gar mit einer senkrechten Wand endeten. In den schmaleren Gassen mit den überhängenden Gebäuden war der Untergrund streckenweise nahezu trocken. Unter Ueras Stiefelsohlen machte es keinen großen Unterschied, doch der Yassalar musste dankbar sein für den griffigeren Untergrund.


    Ihr Körper bewegte sich wie von selbst in den tiefen, sicheren Schatten, ohne viel bewusstes Zutun und so drängten sich ihr einige Überlegungen auf, kreuzten ihre Gedanken. Keine Frage, er hatte sie in der Hand. Obwohl es ihr ein Leichtes gewesen wäre, davonzulaufen … sie traute es dem Jäger zu, sie bald wieder aufzuspüren und sie konnte sich nur ausmalen, was ihr dann blühen mochte. Außerdem … war es nicht auch immer ihr Wunsch gewesen, ihrem Volk letztlich doch dienlich zu sein? Dies hier mochte die einzige Chance sein, die sie jemals dazu erhalten würde. Der letztere Gedanke löste schließlich eine verbissene Entschlossenheit in ihr aus, die sich in ihrer angespannten Körperhaltung und im Spiel ihrer Kiefermuskeln abzeichnete, als vor ihren Augen die vom Regen genährten Fluten des Dessibar auftauchten.
    Sie würde nicht enttäuschen.

  • Dunkel verfolgten seine Augen ihre zielgerichteten Bewegungen. Ihre knappen, fast tonlosen Worte entsprachen exakt der Art und Weise, mit der man auch in Zesshin Doraz einem Reinen gehorchte. Kannte sie es von dort? Etwas in ihm bezweifelte, dass sie unter diese elende Kuppel zurückgekehrt wäre, wenn sie auch nur einmal die Wunder ihrer wahren Heimat erblickt hätte. Es sei denn, sie teilte diese unverständliche Sentimentalität für das Leben der Trockenen, an der auch Tsa'Orl litt.


    Unbedeutend. Seine Meinung würde in Zukunft alles sein, was für sie zählte. Zeciass blickte in die Richtung, in die sie deutete, während sie die klügste Route zum Kanal beschrieb. Ohne kostbare Zeit zu verschwenden, brachen sie erneut auf und er spürte, dass er sicherer wurde. Seine Muskeln genossen die fordernde Beanspruchung und seine Füße fanden intuitiver die Stellen des Pflasters, die einen guten Halt versprachen. Auch sein Atem erschloss sich einen Rhythmus, der die unseligen Stiche in seiner Seite vertrieb. Für einen Moment konnte Zeciass den wohltuenden Regen bewusst wahrnehmen und verfolgen wie das warme Wasser über sein Gesicht und seine Glieder rann. Als die Straße daraufhin sogar trocken wurde, gestattete er sich einen abschätzenden Seitenblick zu seiner Dienerin.


    Die Anspannung stand ihr verräterisch deutlich ins Gesicht geschrieben. Dachte sie an Widerstand? Verrat? Noch folgte sie seinen Befehlen, aber konnte er sicher sein, dass darauf Verlass war? Sie kleidete sich wie eine Trockene, lebte und stahl von ihnen... und dachte womöglich auch noch wie sie. Diese lachhafte Illusion von der Freiheit und Gleichheit jedes Wesens. Das ewig selbe Mantra, mit dem ihm Tsa'Orl schon seit Jahrzehnten in den Ohren lag... wenn es hinter ihrer Stirn steckte, musste er es da heraus bekommen. Und zwar restlos.


    Endlich erschien der Fluss vor ihnen und Zeciass tauchte noch aus dem Spurt in die dunklen Fluten ein. Rauschend und brodelnd schloss sich sein vertrautes Element um ihn und drang mit einem tiefen Zug in seine Kiemen, die sofort gierig aufrissen und jede Witterung erfassten, die der Strom zu bieten hatte. Es dauerte einen Moment bis die schillernden Luftblasen sich gänzlich verzogen und Zeciass nutzte die Gelegenheit, um noch einmal zur Oberfläche zu schauen, auf der die Tropfen eine stetig zitternde Gänsehaut erzeugten.


    Luft und Wasser, drängte sich ihm der Gedanke auf. Zwei gegensätzliche Welten, einander so fremd, dass sie immer nur wie abgeschnitten aneinander grenzen konnten. Niemals würden sie sich vermischen.

  • Es gab einige wenige Geräusche, welche die blasse Yassalar so liebte, dass es sie geradezu nach ihnen dürstete und sich ihr scharfes Ohr in der Stille nach ihnen sehnte. Das Fauchen der Luft, wenn sie die Glut einer Esse in die Höhe jagte. Das regelmäßige, sandige Reiben eines feuchten Wetzsteins an einer Klinge. Das knirschende Schmirgeln von Diamantpapier auf einem edlen Stein. Und das Geräusch eines ins Wasser eindringenden Körpers.
    Ein Schauer überkam sie und es drängte sie, es ihm gleich zu tun, einzutauchen in die Wellen des Flusses, welcher unaufhaltsam seinen Weg durch die Stadt fraß, alles und jeden mit ins Meer ziehen wollte. Doch ihre Schritte verebbten, sie kam langsam zum Stehen, so nahe am Wasser, wie es ihr die Uferbefestigung erlaubte.


    Es regnete, mit Nachtschwärmern war kaum zu rechnen und Uera lenkte ihre Aufmerksamkeit alleine auf die unstete Oberfläche des dunklen Wassers, das den schwarzen Leib des Yassalars verschlungen hatte. Mit grauen Augen tastete sie nach ihm, versuchte ihn auszumachen, doch er war ein schwarzer Leib in schwarzen Fluten und jede Suche war vergebens.
    Still fluchte sie über die Stiefel, die sie noch eben sicher übers Pflaster getragen hatten und die ihr nun Bleigewichte an den Füßen wären, sie verfluchte die Notwendigkeit der trockenen Kleidung auf ihrer bleichen Haut, die ihr eben noch die notwendige Tarnung gegeben hatte und nun nutzlos und vollgesogen an ihr ziehen würde. Ihr war elend, denn sie wollte nichts an diesem Ufer zurücklassen und gleichzeitig wollte sie keine weitere Sekunde verlieren und dem Yassalar folgen. Für einen kurzen Moment verharrte sie regungslos in der Uferböschung, starrte in die Wellen. Entfernt knatterte eine letzte Lichtfontäne am Himmel, warf für einen kurzen Augenblick ein eigenartiges Licht auf ihre Umgebung, zeichnete ihren Schatten scharf umrissen auf das Wasser.


    „Da drüben!“, rief eine sich überschlagende Stimme. „Am Wasser! Da steht einer von ihnen!“


    Ihr kam ein gleichermaßen entnervtes wie erschrockenes Stöhnen über die Lippen. Wie hatten es diese verfluchten Trockenhäute geschafft, ihnen zu folgen?
    Mit verärgert wirkenden Bewegungen und unter zahlreichen Flüchen beugte sie sich vornüber, zog die Schnallen an den Stiefeln fester, denn sie hatte nicht vor, ihr Schuhwerk an den Dessibar zu verlieren. Die schweren Regentropfen stürzten sich geradezu vom Kuppelhimmel, als wollten sie alles trockene Leben ertränken, doch Uera schlug die Kapuze zurück, setzte ihr Gesicht dem strömenden Regen aus. Unelegant, aber mit mürrischer Sorgfalt stopfte sie sich die Kapuze in den Kragen, warf einen kurzen Blick über ihre Schulter. Sie waren noch viele Schritte entfernt. Sie schenkte den regennassen, schwerfälligen Gestalten, die mit rußenden Fackeln angerannt kamen, nur ein kurzes säuerliches Lächeln.
    Mit einem flach angesetzten Sprung durchbrach auch Uera schließlich die Wasseroberfläche, ließ sich vom aufgewühlten Nass umspülen und weit in Richtung der Hauptströmung ziehen, der sie nur mit einem gewissen Kraftaufgebot widerstehen konnte. Die relative Kälte des Stromes umfing sie wie ein eisiger Mantel. Im selben Moment, in dem sich ihre Kiemen dem Dessibar öffneten, schlug sie die silbergrauen Augen auf, um sich nach dem anderen umzusehen. Die Strömung zerrte an ihrer Kleidung, drang in die Stiefel ein, so fest diese auch an ihren schlanken Waden anliegen mochten.


    „Wohin?“, rief sie die Frage ins Wasser, übergab ihre Stimme dem Element, dem sie zustand. Sie wusste, dass er es hören würde.

  • Seine Finger schnitten ungeduldig durch die Strömung, hielten den Widerstand gegen das sanfte Drängen des Flusses, das ihn weiter ziehen wollte. Mit jedem verstreichenden Kiemenzug wurde sein Blick finsterer, mit dem er die Oberfläche taxierte. Kurz erkannte er ihren dunklen Umriss im Gegenlicht eines Himmelsfeuers wie er nah am Wasser ausharrte.
    "Xerrys!" spie Zeciass in Z'sharr hervor und seine Rechte näherte sich in kurzer, energischer Geste seinem Oberkörper. Verschwendeter Aufwand, denn sie würde ihn dort oben niemals hören, geschweige denn sehen können... ganz davon abgesehen, dass sie ihre eigene Sprache nicht verstand. Ärgerlich stieß Zeciass einen feinen Schwall Blasen durch den Mund aus.


    Seine Mimik gewann einen drohenden Ausdruck. Wenn er wegen ihrer Trödelei noch einmal auftauchen musste, würde sie es zu spüren kriegen!


    Unvermittelt sprang seine Erinnerung in eine Zeit zurück, an die er seit Jahrzehnten kaum einen Gedanken verschwendet hatte. Die Bilder zeichneten sich so klar an die Wasseroberfläche, dass er sie nur in stummer Überraschung verfolgen konnte...
    Mit bebenden Lippen hatte Rakistra den Blick auf ihren Finger gesenkt. "Wieso denn, Zay'rass? Ich hab doch alles genau so gemacht wie ich sollte...", klang ihm das weinerliche Jammern der Zehnjährigen wieder so klar in den Ohren als hätte er ihre Hand eben erst losgelassen. "Du warst eben zu langsam", erinnerte er sich an seine eigene Stimme. Sie klang nicht einmal tief und doch schon so kompromisslos wie die eines Reinen, den er in ihren kindlichen Rollenspielen stets verkörpert hatte. "Wenn ein Unreiner zu langsam ist, wird er bestraft. So einfach ist das!" "Das ist so ungerecht, Zeci!" "Sag das nochmal und ich brech dir noch einen!" "Das werd ich Tsa'Orl sagen!" "Dann sag ich ihm, dass du Urumgies aus seinem Garten gestohlen hast!" Erschrocken war der blauhaarigen Nixen-Yassalar der Mund aufgeklappt als sie stammelte: "A.. Aber die... die hab ich nur für dich genommen und keine einzige davon gegessen..." Er hatte nur kalt gelächelt: "Gestohlen ist gestohlen! Und zu langsam ist zu langsam! Du bist zu dumm, Raki, also sei gefälligst still! Freu dich lieber, dass es nur dein kleiner Finger war!"


    Das brausende Eintauchen Tsa'lins zerriss den Bildfluss vor seinem inneren Auge. Wie lange war das her gewesen? Achtzig... neunzig Jahre?


    Mit raschen Beinschlägen überwand Zeciass die Entfernung zur Trödlerin, deren Bewegungen durch das Gewicht der Niederen-Kleidung langsam und unbeholfen ausfielen. Kopfschüttelnd stieg er hinter ihr auf und seine Hand krallte sich mit eiserner Härte in ihren Nacken, noch bevor sie sich derart träge zu ihm umdrehen konnte. "Schau dich nur an, Tsa'lin!" rann seine Stimme abfällig und gleichzeitig beschwörend in ihr Ohr. "Legst dich freiwillig in Fesseln, wo deine Natur dich zur tödlichsten aller Jägerinnen machen würde..." Noch kurz hielt er sie gepackt, dann stieß er sie kraftvoll von sich. "Wir schwimmen stromabwärts bis ich dir ein Zeichen gebe. Wollen wir hoffen, dass dich bis dahin keine anderen Yassalar sehen. Ich will mich nicht schon am ersten Tag für dich schämen müssen, Schmutzblut!"


    Schon trug ihn ein einzelner Schwimmzug an ihr vorbei und ließ ihn mit der Strömung verschmelzen, die ihm endlich ihren Nutzen erwies. Es dauerte nicht lange bis ihm die erste Flussbiegung vertrauter erschien als die übrigen. Das in den Stein geritzte Wegzeichen, das Zeciass kurz darauf am nächsten Brückenpfeiler entdeckte, ließ ihn Tsa'lin ein knappes Handzeichen geben. Nur einen Augenblick später entstieg seine schwarze Gestalt der sanft abfallenden Böschung. Aus purer Gewohnheit achtete er bereits darauf, beim Verlassen des Wassers kein verdächtiges Geräusch zu erzeugen, doch das Bedauern, sein wertvolles Element hinter sich zurückzulassen, würde sich wohl niemals gänzlich abschütteln lassen.
    Im Gegensatz dazu erklang Tsa'lins Betreten des Ufers nur zu deutlich in seinen Ohren, wo ihre vollgesogene Kleidung bei jeder Bewegung aneinander rieb. Als wäre das nicht genug, quietschten ihre Stiefel schon beim ersten Schritt an Land so erbärmlich, dass Zeciass nur flüchtig die entstandene Furche zwischen seinen Augenbrauen massierte und sich entschied, es zu ignorieren. Schweigend und sehr zügig machte er sich auf den noch verbleibenden Weg zum Gasthaus zum Korallenriff und vermied einen Blick über die Schulter. Am liebsten hätte er in diesem Moment alles vermieden, was ihn in irgendeiner Weise mit der triefenden Jammergestalt einer Yassalar in Verbindung brachte, die ihm nun folgte.


    Selbst zu so später Stunde war die Tür zum Gasthaus nicht verriegelt. Nur ein Wachmann hob erschrocken den Blick als Zeciass die Tür schwungvoll öffnete. Das kannte der Yassalar schon zur Genüge, zog den eisernen Schlüssel mit der eingravierten Nummer aus seinem Armstulpen und hielt ihn so, dass der Trockene ihn erkennen konnte. Jener nickte bloß erleichtert und sank auf seinen Stuhl zurück, die Hand von seinem Schwertgriff lösend.
    Die Luft war hier drinnen wärmer und im vorderen Gastraum hörte man das Knacken eines Feuers. Zeciass strebte jedoch augenblicklich zur Treppe ins obere Stockwerk. Je eher sie ins Zimmer gelangten und er die Tür zu dieser trockenen Stadt hinter ihnen schließen konnte, desto besser. Es gab da so Einiges, das er seiner frisch gefangenen Unreinen erklären musste...


    ... und er würde dafür sorgen, dass er sich niemals würde wiederholen müssen.

  • Schau dich nur an, Tsa'lin!, raspelte seine eindringliche Stimme noch lange in ihren Ohren, auch dann, als er sie längst wieder losgelassen hatte. Sich dem Strom übergebend, den stromlinienförmigen Körper nur mit kleinen Bewegungen im Fluss haltend, mahlte sie nur stumm mit den Backenzähnen. Legst dich freiwillig in Fesseln ... wo deine Natur dich zur tödlichsten aller Jägerinnen machen würde. Sie hatte sich eine schnippische Antwort verkniffen, auch wenn sich hinter ihrer Stirn vielerlei Entgegnungen formten, die sie ihm nur all zu gerne entgegengeworfen hätte. Aber er hatte Recht, mit all seinen Worten. Die Fesseln der Gewohnheiten, die sie sich in Jahren des Lebens unter den Trockenen angeeignet hatte, boten jedoch auch alle ihre Vorteile. Sie boten ihr ein weitgehend unentdecktes Leben, mitten unter den Staubatmern, unter den Erbärmlichen. Ungesehen, unverdächtigt. Und diese Fesseln waren schneller abgelegt, als er vielleicht dachte. Sie fragte sich, ob er das auch realisierte … ob es vielleicht gerade das war, was ihn davon abgehalten hatte, sie auszuliefern.


    Sie begegneten auf der kurzen Strecke im Fluss niemandem, wofür Uera aus tiefstem Herzen dankbar war. Dennoch erlaubte sie sich den erheiternden Gedanken, dass es der Yassalar offenbar eher in Kauf nehmen würde, sich vor einem anderen bloßzustellen, als sie klägliches, ausgeblichenes Etwas zurückzulassen. Mit dem gleichen Maß an Neugierde wie Skepsis versuchte Uera sich auszumalen, was der Schwarzgeschuppte mit ihr vorhaben mochte und ein eisiger Stich in der Magengegend erinnerte sie daran, dass sie keine Ahnung hatte, was sie erwarten mochte.


    Uera schleppte sich aus dem Wasser, der Stoff ihrer Kleidung erstickend eng auf ihrer Haut klebend, das Gesicht bleichgewaschen. Sie verabscheute dieses Gefühl so sehr, dass sie sich am liebsten an Ort und Stelle die Kleider vom Leib gerissen hätte. Ein prüfender Griff versicherte ihr, dass sie ihre Gürteltasche samt Inhalt noch bei sich trug. Ihre Stiefel erzeugten leise quietschende Geräusche, als sie die Böschung hinauf lief, obwohl sie lange nicht so vollgelaufen waren, wie sie zunächst befürchtet hatte. Die gedanklichen Flüche von vorhin wiederholten sich in ähnlicher Form, als sich ihre Augen neidend auf den Yassalar richteten, der sich um einiges würdevoller aus dem Wasser erhoben hatte und nun nahe an einem Nervenzusammenbruch schien.
    Mit einem schweifenden Blick hatte sie sich rasch orientiert, folgte den Schritten ihres Gebieters jedoch nur zögerlich, als er eiligen Schrittes auf die Tür eines Gasthauses zuging. Das Korallenriff.
    Zu teuer, zu sauber, zu hell für Uera. Sie bevorzugte die zwielichtigen Tavernen der Stadt, falls sie einmal den ein oder anderen Gedanken ertränken wollte. Dort wo sie einzukehren pflegte, hob niemand besonders lange den Blick von seinem Krug, egal wer eintreten mochte. Unabhängig von diesem Gedanken hätte sie jetzt durchaus etwas vertragen können. Etwas starkes. Leise seufzend öffnete sie ihren Haarknoten, schüttelte die nassen Silberhaare noch vor der Tür aus, bevor sie eintrat.


    Ein ungutes Gefühl überkam sie, als sie die regnerische Nacht hinter sich ließen und das warme, trockene Innere des Gasthauses betraten. Sie hatte die letzte Chance einer Flucht ungenutzt verstreichen lassen. Es war vorbei, hatte keinen Zweck mehr. Sie ergab sich dem Lauf der Dinge. Wenn sie heute in ihr Verderben geführt werden würde, so war es ihr Schicksal.
    Den mehr als fragenden Blick des Wachmanns quittierte sie mit einem drohenden Funkeln aus ihren stahlgrauen Augen. Schweig. Zu seinem Glück beging er nicht den Fehler, sie anzusprechen.
    Ihre Schritte hinterließen nasse Abdrücke auf dem sauberen Boden, doch es war ihr einerlei. Sie folgte ihrem Zay'rass stumm und mit unlesbarer Miene die Treppe hinauf, wagte ob der angespannten Stimmung nicht, ihn anzusprechen. Doch als sie schließlich das Zimmer erreichten, das er sich wohl gemietet hatte, erschien ein dünnes Lächeln auf ihren Lippen.


    "Nicht übel.", sagte sie mit einem Hauch von Ironie in der trockenen Stimme, strich sich einige nasse Haarsträhnen aus dem Gesicht, trat nach ihm über die Schwelle. Ihr Blick streifte die saubere, gepflegte Einrichtung anerkennend. "Warum nicht aus dem Vollen schöpfen?"
    Das Lächeln fiel von ihrem Gesicht ab wie ein totes Blatt von einem Baum, als sie sich dem Yassalar zugewandt hatte. Zum ersten Mal seit er sie in dem kleinen Hinterhof angegriffen hatte, gönnte sie sich einen längeren Blick, versuchte in seiner Körperhaltung und in seinem Mienenspiel einen Anhaltspunkt dafür zu finden, was als nächstes geschehen würde.
    "Nun.", sprach sie mit ausdrucksloser Stimme und ein kühler Ausdruck zeichnete sich auf ihrem blassen Gesicht ab. "Warum sind wir hier."

  • Er ließ die Yassalar nach sich eintreten, schloss die Tür in aller Ruhe und ließ den Mechanismus, der jeden störenden Einfluss aussperren würde, mit Drehen des Schlüssels einrasten. Ihre Worte und die anerkennende Betonung verrieten, dass sie der Einrichtung der Niederen etwas abgewinnen konnte. Schon wieder musste er an Tsa'Orl denken.


    Sich mit dem Rücken an die rohe Holztür lehnend, neigte Zeciass den Kopf und ließ seine Augen auf der Yassalar verharren, deren gesamtes weiteres Schicksal auf seinem Willen beruhte. Noch immer blickte sie ihn kühl an. Noch immer hatte sie nicht verstanden, dass keines ihrer Worte von Bedeutung für ihn war. Zum ersten Mal seit er Nir'alenar betreten hatte, gab sich der Yassa'Dhar keine Mühe mehr, seine Mimik unter Kontrolle zu halten. Hier gab es niemanden, den es in Sicherheit zu wiegen galt. Jede beherrschte Ansehnlichkeit glitt aus seinen Zügen, ließ seine Augen als die schwarzen Pfühle zurück, aus denen die Leere in seiner Brust starrte. An manchen Tagen, in denen der andere Hunger zu stark wurde, wagte er es nicht einmal selbst, diesem Anblick im Spiegel zu begegnen.


    Der sonore Klang seiner Stimme gehörte zu seinem anderen Selbst, das mit dem Element der Verführung jagte. "Zuerst, Tsa'lin, wirfst du mir die Tasche mit dem Diebesgut zu..." Seine Hand löste sich nahezu bedächtig aus der Verschränkung seiner Arme und forderte ihre Gürteltasche. "Dann wirst du diese niedere Kleidung ablegen. Restlos. Stück für Stück. Und wenn nichts mehr davon an dir klebt, werde ich mir ansehen, wie viel einer wahren Yassalar noch an dir ist." Seine Augen hielten ihre, ließen sie nicht zu Boden oder in die Ferne blicken.


    Ein Teil von ihm lauerte auf die Widerworte, die ihr womöglich entschlüpfen würden. Er wusste wie demütigend es sein konnte, sich vor einem Reinen die Blöße geben zu müssen. Ein Yassalar verteidigte seine Würde vor allen Völkern bis aufs Blut, doch vor einem Reinen... bedeutete das alles nichts mehr. Man war kaum mehr wert als das Wasser, das ihnen zum Atmen diente, und kluge Unreine schluckten ihre minderwertige Würde, wenn sie am Leben bleiben wollten.
    Würde sie das begreifen oder waren die verdummenden Illusionen der Trockenen bereits zu tief in ihren Verstand gesickert?


    Er hatte nicht vor, es ihr leicht zu machen. Er brauchte Gewissheit, dass sie verstand, was sie geopfert hatte. Sie würde ihm nichts nutzen, wenn ihre Treue nur ein fahler Schatten war, kaum dunkler als die Blässe auf ihren Wangen.

  • Sie hielt seinem Blick regungslos stand als die Sekunden verstrichen, in denen sie keine Antwort auf ihre Frage erhielt. Das Rauschen ihres eigenen Blutes in den Ohren schwoll zu einem alles dämpfenden Dröhnen an, sie konnte den Blick nicht von den dunklen Iriden abwenden, die einen eigenartigen Sog entwickelten, je länger sie hinsah.
    Ein fröstelndes Gefühl nistete sich in ihrem Nacken ein, breitete sich unaufhaltsam aus, während ihre Gedanken jegliche Richtung verloren. Alles, an was sie noch denken konnte, war eine alte Erinnerung. Eine Erinnerung an ihren ersten Blick in die Tiefsee. Der in die schwärzeste See stürzende Blick, so tief, dass sie niemals ein Lichtstrahl durchdringen konnte, so tief, dass man ihren Grund nie lebend erreichen würde. Die endlose, übermächtige Tiefe, die jeden Körper zerschmetterte unter dem Druck zahlloser Tonnen Wasser. Die unermessliche Kälte, die aus dem Abgrund hervorquoll, aus der dunklen Ungewissheit, lauernd, lockend, ziehend. Völlig unbewegtes Wasser, keine Strömung, kein Wirbel, keine Regung. Kein Geräusch. Was mochte dort lauern ...


    Nur gedämpft vernahm sie seine Worte, doch sie waren laut genug, um sie der Oberfläche wieder etwas näher zu bringen. Eine steile Falte entstand zwischen ihren Brauen, sie wollte etwas sagen, doch ihr erstarrter Verstand fand keine Worte in der Leere. Sie verfolgte seine ruhigen Bewegungen, musterte jeden einzelnen Finger der fordernd ausgestreckten Hand. Erst mit einiger Verzögerung begriff sie den Inhalt seiner Worte und nur langsam versickerte die Schwere, die sich auf ihre Glieder gelegt hatte und ihre verkrampfte Haltung löste sich etwas.
    Sie hatte nicht damit gerechnet, dass es ihm nach ihrer Beute und ihrer nackten Haut verlangte … war es nicht nur eine List, ein Manöver, eine Übung, die zeigen sollte, was sie aufgeben würde, um ihm dienlich zu sein? War der Befehl, sich vor ihm zu entblößen nicht nur ein träger Versuch zu sehen, wie viel Gegenwehr sie aufbringen konnte?
    Sie wusste nicht, welcher Teil seiner Worte dieses Verlangen in ihr geweckt hatte, doch alles was sie tun konnte, war ihr schmales Gesicht zu einer Grimasse zu verziehen und ihm den in die Höhe gereckten Mittelfinger ihrer rechten Hand zu präsentieren. Sie ging davon aus, dass er bereits gelernt hatte, was diese Geste der Trockenen zu bedeuten hatte.


    "Interessiert dich der Inhalt meiner Tasche so sehr?", fragte sie mir rauer Stimme und als fiele ein besonderes Licht auf sie, flog ein sachter bläulicher Schimmer über ihre Iris. Sie ahnte, dass er auch diesen Worten absolut keine Wichtigkeit beimaß. Vermutlich hörte er nicht mal zu.
    Wenn er herausfinden wollte, wie viel einer wahren Yassalar an ihr war, würde sie ihm gerne ein paar Einblicke in ihr Inneres anbieten, aber dass ihr Äußeres keinem yassalarischem Maßstab genügte, musste ihm auch so klar sein. Sie schälte ihre weißen Hände aus den Handschuhen, hob sie auf Augenhöhe, brach den Blickkontakt und besah einen Moment nachdenklich die durchscheinenden Schwimmhäute, die sich zwischen den gespreizten Fingern spannten. Dann blickte sie wieder in die abgrundtiefe Schwärze in seinem Gesicht, versuchte mit aller Kraft dem schwindelerregenden Sog zu widerstehen.
    "Und was sagen dir ein paar Schuppen über meine Nützlichkeit?"

  • Ein machtverwöhnter Reiner wäre über ihr frevelhaftes Verhalten vermutlich in pure Raserei verfallen, hätte sie angeschrien und ihr den Starrsinn aus dem Leib geprügelt, doch Zeciass konnte nicht einmal enttäuscht reagieren, geschweige denn überrascht. Wer in Zesshin Doraz als Unreiner überlebte, dem ging es in Fleisch und Blut über, stets den schlimmsten denkbaren Fall zu erwarten - und darin bestätigt zu werden.


    "Ich wusste, ich kann mich nicht auf dich verlassen." Seine Stimme klang schal wie Wasser, das schon zu lange unbewegt war. Er schloss die Augen. "Du bist keine Unreine, die sich unter die Niederen verirrt hat." Ein bitterer Zug erschien um seinen Mund als er wieder aufsah. "Du bist nur eine Trockene, die sich schwarze Farbe ins Gesicht schmiert und meint, sie wäre eine Yassalar. Wie könnte ich jemals darauf vertrauen, dass du mir nicht in den Rücken fällst, wenn du es nicht einmal schaffst, dich von einer nutzlosen Schicht Kleidung zu lösen? Behalt deine Tasche und lass deine geliebten niederen Sachen von mir aus an.."


    Zeciass stieß sich von der Tür ab und schaute die Yassalar nicht mehr an, während er ruhig zum Fenster trat und auf die nächtliche Straße hinabsah, auf die noch immer der strömende Regen prasselte. Unbeteiligt verfolgte sein Blick eine Pferdekutsche, die gemächlich über das Pflaster ratterte. "... dann bist du Morgen passend angezogen, wenn ich dich bei der Stadtwache abliefere."

  • Ihr Blick stach unsichtbare Löcher in den schwarzen Rücken, den er ihr zugewandt hatte. Ihm in den Rücken fallen … ein verlockendes Stichwort, doch etwas hielt sie zurück, eben dies zu tun. Erst leise, dann immer lauter begann sie flach und humorlos zu lachen. Sie glaubte ihm kein Wort. Nicht eines.
    Ihr Blick glitt spurlos über die Muskelstränge seiner Arme, seiner Schultern, seines Rückens, die im schwach durch das Fenster fallenden Licht tiefe Schatten warfen. Wie er dort stand, am Fenster zur Straße, den Blick auf die nasse und doch unerträglich trockene Stadt gerichtet … es war nichts als ein Spiel für ihn. Er spielte mit ihr wie eine Katze mit ihrer Beute spielen mochte, wissend, dass sie ihr nicht entkommen konnte. Er versuchte, sie mit einer aussichstlosen Situation zu erpressen, die sie längst als solche akzeptiert hatte.


    Einen Atemzug dauerte es, dann tauchte sie nahe neben ihm auf und ihr Gesicht wirkte teilnahmslos, auch wenn sich in ihren Augenwinkeln ein kleines Bedauern andeutete.
    "Dann bleibt mir wohl keine Wahl … Zay'rass.", raunte sie und ihr Blick glitt ähnlich dem seinen über die im Dunkeln und Stillen liegende Straße. Noch immer tropfte es aus ihrem Haar und sie begann zu frieren, was sich in gelegentlichem Schaudern und einem immer sichtbarer werdenden Blauschimmer ihrer Lippen zeigte.
    Schweren Herzens löste sie schließlich ihren Gürtel, befreite ihn von der goldschweren Gürteltasche und ihrem Dolch. Den Dolch legte sie unweit von sich selbst auf dem schmalen Fensterbrett ab, ihren Gürtel legte sie zusammengerollt daneben, genauso wie die zuvor abgelegten Handschuhe. Es tat weh, doch sie widerstand der Versuchung, einen letzten Blick auf die edlen Steine in ihrer Tasche zu werfen. Es würde den Abschiedsschmerz nicht lindern. So kurz nur hatten sie ihr gehört … so kurz nur! Doch wie gewonnen, so zerronnen und so reichte sie dem Yassalar ihre Tasche, sah ihn dabei von der Seite an, nicht ohne ein kurzes Aufleuchten von Widerwillen in den Augen. Dann richtete sich ihr Blick wieder aus dem Fenster, auf einen unsichtbaren Punkt im Bindfadenregen.


    "Das hier ist mehr Wert als all das Geld, das aktuell auf meinen Kopf ausgesetzt ist. Zusammen mit meinem Kopfgeld … eine nette Summe. Möge es dir mehr nutzen als der Stadtwache."

  • Ihre Spiegelung in der Scheibe verriet ihm die Blicke, mit denen sie ihn musterte. Das Lachen, das sich ihrer schlanken Kehle entrang, hätte kaum unpassender sein können. Lebensverachtend. Sie benahm sich wie ein Kind, das nicht wusste, was es tat.
    Scheinbar versunken auf die Straße blickend, blieb keine Bewegung, mit der sie sich näherte, ungesehen. Nur ein Zucken, das auf einen Angriff hindeutete und er hätte seine Klinge in seiner rechten Hand gehalten, die bewusst nah an seinem Oberschenkel schwebte. Sie würde sterben bei dem Versuch, ihn zu überraschen.
    Statt einen Angriff zu führen, kam sie jedoch friedlich an seine Seite, fast schon zutraulich genug, um naiv zu erscheinen, und genauso ahmte sie seinen Blick auf die Stadt nach. Als gäbe es dort tatsächlich etwas, das sehenswert gewesen wäre. Ihre Worte ließen annehmen, dass sie zur Vernunft gekommen war und es schien für einen Moment nicht unwahrscheinlich. Ihr Körper wirkte schwach wie er unter dem feuchten Stoff zitterte. Der Stoff auf ihrer Haut kühlte sie offensichtlich aus, wogegen seine blanken Schuppen die Nässe längst verloren hatten.
    Dass sie den Gürtel abstreifte, verfolgte er ausdruckslos, doch mit innerer Genugtuung. Ebenso das Ablegen ihrer Waffe.
    Selbst, wenn sie seinem Befehl jetzt nachkam, würde er sie bestrafen. Ein direkter Befehl eines Reinen duldete keine Widerworte, keine sinnlose Diskussion. Im Kampf könnten bereits wenige Sekunden des Zögerns über Leben und Tod entscheiden...


    Er griff nach der Tasche, die sie ihm reichte. Nicht zu übersehen, dass sich etwas in ihren Augen dagegen sträubte. Grund genug, den Inhalt einmal genauer zu betrachten. Zeciass zog eine Hand voll der Diebesbeute hervor.
    Ihre Einschätzung schien ihm nicht unangemessen. Der Wert der Schmuckstücke war ihm unbekannt, doch allein die edlen Metalle, die in manchen Stücken verarbeitet worden waren und die augenscheinliche Kunstfertigkeit belegten ihre Angabe. Keine schlechte Arbeit, das musste er gestehen. Dann jedoch fügte sie ihre letzten Worte hinzu. Seine Hand krallte sich so fest um die Wertschätze, dass diese knirschend zusammengedrückt wurden. Stechend richteten sich seine Augen auf ihr Gesicht, das sich erneut dem Fenster zugewandt hatte.


    Sie weigerte sich allen Ernstes noch immer!


    Im Angesicht solch starrsinniger Dummheit ballte sich purer Hass in seinen Schläfen. Fahrig ließ er Gold und Geschmeide in die Tasche zurückrieseln und legte sie auf das Fensterbrett. Noch in derselben, fließenden Bewegung nahm er ihren abgelegten Dolch und wog ihn prüfend in der Hand. Zum ersten Mal seit er der weißhäutigen Yassalar begegnet war, schlich sich ein Lächeln auf seine Lippen. Ein Lächeln, aus dem nichts als Bosheit sprach. "Wenn das so ist... gönne ich mir den Spaß doch lieber selbst. Immerhin... legst du offenbar keinen nennenswerten Wert auf dein Leben."


    Seine schwarzen Augen erfassten die seiner unwürdigen Dienerin. "Sag, Tsa'lin... wusstest du, dass es in Zesshin Doraz eine Folterkunst gibt, die den Tod so lange hinaus zögert... die Schmerzen so lange dehnt und nährt, bis sich die Seele vor unermesslicher Qual selbst verschlingt?" Langsam ließ er die Dolchspitze ihren Oberkörper hinauf wandern. "Man kann ihn förmlich sehen... diesen grandiosen Moment, in dem sie zu Nichts zerfällt... noch bevor der letzte Tropfen Leben aus ihrer traurigen Hülle rinnt." Unheilvoll blitzten seine Reißzähne im Kontrast zu seinen schwarzen Zügen. "Lass uns herausfinden, wie laut deine Seele schreien kann."

  • Bereits das Knirschen von Stein auf Stein in seiner zusammengeballten Hand, die Vorstellung der Juwelen, wie sie in ihren Fassungen gegeneinander rieben, hatte ihr körperlich spürbare Schmerzen bereitet, doch was folgte, krönte all dies mit der intensivsten und tiefsten Angst, die sie jemals gespürt hatte. Noch bevor er die Klinge gegen sie erhob, ihre Klinge, die sie selbst bei mörderischer Schärfe hielt, hatte sie die dunkle Erkenntnis gewonnen, die sie wie zur Salzsäule erstarren lies. Sie wusste, sie hatte den Punkt erreicht, den sie nicht hätte überschreiten sollen. Und sie wusste, dass es sehr wahrscheinlich längst zu spät war, einen Schritt zurück zu machen.
    Ihr Herz jagte, schlug so hart, dass man es an ihrem Hals pochen sehen konnte. Ihr Innerstes zog sich krampfhaft zusammen, als könne sie so vor der Klinge zurückweichen, doch deren Schärfe blieb schneidend nah, so nah, dass sie sich einbildete, das klingende Geräusch hören zu können, mit dem sie durch Haut und Fleisch schnitt.
    Seine Worte phaszinierten Uera, fesselten ihren Geist, auch wenn sie im gleichen Moment wusste, dass er von ihrer Seele sprach, aus der er das Leben pressen würde bis nichts mehr zurückblieb, das ihr Körper beherbergen könnte. Dennoch verblieb eine abnorme Neugierde in ihr, die einen Moment lang die Überhand gewann. Wie viel Schmerz würde ihre Seele, ihr Körper verkraften, wenn sie ihn nicht davon abhalten konnte, ihr die zweifelhafte Ehre yassalarischer Folter zukommen zu lassen?


    "Meine Seele ist in deiner Hand.", flüsterte Uera und es fiel ihr schwer, dem stechenden Blick standzuhalten. Sie atmete bebend ein, erschauderte, halb wegen der lähmenden Angst, halb wegen dem kalten Stoff, der die Wärme aus ihrem Körper saugte. Kraftlos wirkend hob sie die Hände ein wenig, entwaffnet, ausgeliefert. Mit unendlich langsamen Bewegungen und unter seinem wachsamen Auge schob sie einen Ärmel hoch, entblößte den Anfang eines verschwommen wirkenden Streifens schwarzer Haut, durchsetzt von Silberschuppen, der sich entlang der pochenden Pulsader zog und sich ungesehen weiter an ihrem Arm hinaufzog. Der Rest ihrer Haut leuchtete hell im Dunkel des Raumes, reflektierte mit einer Spur von perlmutternem Schimmer das wenige Licht. "Mit ihrer unvollkommenen, traurigen Hülle."


    Betend, dass der Anblick der Zeichen ihrer meerischen Herkunft seinen Zorn etwas besänftigen mochte, versuchte sie erfolglos aus seinem unbewegten Gesicht zu lesen. Noch immer wagte sie es kaum zu atmen ob der Nähe des Dolches zu ihrem Körper. Mit jedem Atemzug erwartete sie den Auftakt zu einem langen, qualvollen Sterben und in ihren grauen Augen zeigte sich ein unstetes Schimmern, als tobte hinter den glänzenden Flächen ein hoffnungsloser Kampf. Er wollte sie testen und auf des Messers Schneide stehend prüfen, doch was er bisher gekostet hatte war der Starrsinn und die Widerspenstigkeit, die in Uera wohnten und welche langsam, aber sicher unter der Furcht erstickten.
    Vielleicht hätte sie zustoßen sollen, als er vor ihre Dolchspitze getreten war. Vielleicht war dies alles der größte und der letzte Fehler, den sie in ihrem Leben begehen würde. Vielleicht war dies die allerletzte Chance, das Schicksal zu ihren Gunsten zu wenden.

  • Zeciass sah die nackte Angst in der trockenen Yassalar empor kriechen. Ein bitteres Geschenk, von dem sie bald mehr besitzen würde als ihr Verstand verarbeiten konnte.
    "Erzähl das Zi'llail", entgegnete er eisig und das bedrohliche Lächeln verschwand schlagartig von seinen Zügen. "Wenn du es noch wagst, so wie du gerade auf ihre Gesetze spuckst." Bedächtig brachte er die Dolchspitze unter ihr Kinn und begutachtete ausdruckslos die Spuren schwarzer Schuppen auf ihrem Arm, die sich verzweifelt gegen die schillernde Blässe abzeichneten.


    Sollte das tatsächlich alles sein, was ihr an Reinheit geblieben war? "Nicht deine Hülle ist das Traurige und Unvollkommene an dir, Tsa'lin", erklärte er dunkel und wandte sich vom Mahnmal ihrer besseren Abstammung ab, um ihren unsteten Blick in seinem zu ertränken. Ganz von selbst wurde seine Stimme lauter, zorniger. "Sondern dein Unwissen und deine Respektlosigkeit! Ich musste treue Diener in Zesshin Doraz zurücklassen, die gestorben wären, um meinen Befehlen folge leisten zu dürfen - und du stirbst lieber als es zu tun! Ich hätte dich von deiner krankhaften Vorliebe für die Niederen erlöst - dir das Herz deines Volkes zurückgegeben, aber du bist einfach zu dumm, dein Glück zu begreifen, Schmutzblut!"
    Echter Zorn blitzte in seinen Augen. Mit einer plötzlichen Handdrehung brachte Zeciass den schlanken Dolchgriff nach vorn und rammte das kantige Ende gegen ihre Körpermitte. Der weiche Stoff ihres Oberteils bot ihr keinen Schutz. Es war nur ein einzelner, wohldosierter Hieb, der ihr Zwerchfell und damit ihre Atmung lang genug lähmen würde, um sie vor Schmerz auf die Knie zu zwingen.


    Seine Schultern bebten ohne dass er es verhindern konnte. Raki hätte ihr Leben riskiert, wenn er es verlangt hätte! Freiwillig, obwohl sie wusste, dass er kein Reiner war! Wäre sie nicht so dumm gewesen, hätte er damals nicht... Mit blankem Hass verbannte Zeciass die Erinnerung zurück in den Abgrund, den er schon vor Jahrzehnten verschlossen hatte. Diese verwirrte Yassalar war nicht Rakistra und er würde nie wieder einen Fehler wie damals begehen.


    Tsa'lin würde gehorchen oder sterben. Es war Gesetz und hier und heute war er derjenige, der es vollstrecken würde.

  • Er traf sie völlig unvorbereitet. Kein Bauchmuskel konnte angespannt werden und der Atem, den sie eigentlich hätte ausstoßen sollen, um die Folgen des Schlags zu lindern, blieb ihr in der Brust stecken. Sie wollte atmen, schnappte verzweifelt nach Luft, doch ihr Körper füllte sich nur mit einem krampfenden Schmerz, unter dem sie sich krümmen musste.
    Trotz des Anflugs von Panik konnte sie ein Schnappen der Kiemen unterdrücken, es war ohnehin nutzlos und schmerzhaft in der Trockenheit, und da sich ihr Sichtfeld zunehmend verdunkelte und zusammenzog, schloss sie die Lider. Uera schwankte, spürte sich auf die Knie sinken, sich schwer auf den Holzdielen aufstützen und wenn sie es vermocht hätte, so wäre ihr sicher ein Schmerzensschrei entkommen.
    Ihr Bewusstsein floh vor ihr und das Ringen nach Luft wurde immer unerträglicher, alle Gedanken blieben auf der Strecke und in ihrem Kopf hallten nur einige seiner Worte nach, als wollten sie Uera in die Dunkelheit begleiten. Erlöst … Herz deines Volkes … Schmutzblut …


    Ein rasselndes Aufschnaufen brachte nach nicht enden wollenden Sekunden des Erstickens endlich wieder Atemluft in ihre schmerzenden Lungen und das erste, was sie von sich gab, war ein schmerzerfülltes Wimmern. Diesem erbärmlichen Geräusch folgte zugleich ein kräftiges Husten und schließlich ein zitterndes Schweigen. Da ihr Gesicht dem Boden zugewandt war, konnte der Yassalar es nicht sehen, doch schmerzverzerrt wie es schien, so zuckte auch ein Grinsen über die Züge hinweg. Mit einer fahrig wirkenden Geste wollte sie Worte untermalen, die sie noch nicht über die Lippen bringen konnte und sie hustete heftig, bevor sie mit rasselndem Atem zu ihm aufblickte, sich halb aufrichtete. Ihre Iris war eisgrau, als wäre alle Farbe aus ihr gewichen, die Pupillen waren weit und unfähig, seinen Umriss scharfzustellen.


    In ihrem Herz wohnte keine Liebe für die niederen Völker … in ihrem Herz wohnte nur eins: der unbezwingbare Wille ihr Bestes zu geben dem Volk ihrer Ahnen nützlich zu werden. Er musste sie strafen, es war seine Pflicht … sie hatte sich dumm verhalten indem sie sich widersetzt hatte. Doch was wäre ihre Loyalität schon wert, wenn sie diese jedem entgegenbrachte, der ihr mit einem Messer in einem dunklen Hinterhof auflauerte und sie um ihr Leben erpresste?
    Auf der anderen Seite war das, was er ihr bieten konnte, unbezahlbar … es war in seiner Macht, ihrem Leben einen Sinn zu geben. Sie verachtete sich selbst dafür, diese einfache Einsicht nicht schon früher getroffen zu haben. Es ging um mehr als sie überblicken konnte, es ging niemals um ihr Leben … es ging nie um sie. Sie war nur ein einzelnes, völlig insignifikantes Steinchen in einem Mosaik. Und sie musste sich in dieses einfügen. Er hatte vollkommen recht … sie hatte ihr Glück nicht begriffen, hatte ihre Chance nicht gesehen.


    Die Schmerzen durchtränkten ihren Körper mit einer eigenartigen Kraft, denn sie hatte gelernt, dass er ein Freund sein konnte … ein treuer Freund, wenn man ihn gewähren lies. Sie war zäh und während manch ein anderer womöglich noch auf dem Boden liegend nach Atem gerungen hätte, raffte sie bereits die Schultern und der Ausdruck ihrer blassen Züge wurde einsichtig, fast anerkennend.
    "Ich habe jede Strafe verdient ...", quälte sie dünn hervor, holte mehrmals flach und mühevoll Luft und sprach dann unter höchster Anstrengung weiter, "... was kann ich tun, Zay'rass … damit du mir eine zweite Chance gewährst?"

  • Ihre jetzige Qual war nur ein seichter Vorgeschmack, kaum mehr als ein dünnes Aroma meilenweit entfernten Blutes. Während sie sich noch vor ihm krümmte, sich zitternd auf den Boden stützte, schaute er abwägend zu dem Wassertrog an der Wand gegenüber des Bettes. Vor seinem inneren Auge sah er sich das Gesicht der Yassalar bereits ins kalte Wasser drücken, gerade so weit, dass ihre Kiemen es nicht berührten. Schlussendlich, wenn er den Spaß an ihrer Folter verlor, würde er sie ertränken wie eine Trockene. Ein verdientes Ende. So voller Schande wie sie selbst.


    Ihr Wimmern ließ ihn herabsehen. Es rührte Zeciass nicht an, denn Töne wie dieser flossen seit seiner Kindheit aus den Kerkerzellen der Sklavenbezirke. Geschüttelt von Husten gestikulierte sie fahrig und hob schließlich den Blick, der ihn kaum zu erfassen schien. Dass sie sich bereits wieder auf die Beine kämpfte, sprach für ihre Zähigkeit - und bewies, dass sie noch nie davon gehört hatte, dass man vor einem Foltermeister keine Stärke demonstrieren durfte.


    So leichtsinnig und naiv...


    Etwas an ihrer Art, ihn zu betrachten, schien sich jedoch geändert zu haben. Wo Furcht und Hass lauern sollten, schimmerte zum ersten Mal seit ihrem Zusammentreffen ein Anflug von Ergebenheit an die Oberfläche. Zeciass drehte den Dolch in seiner Hand, während er ihren mühsam hervor gepressten Worten lauschte.
    Noch einen Moment länger begutachtete er ihren Ausdruck. Je intensiver er darüber nachdachte, desto rätselhafter wurde sie ihm. Sie begab sich unter seinen Befehl, doch nicht, um ihr Leben zu retten. Sie verschlang ihn mit Blicken, doch weigerte sich, sich vor ihm zu entkleiden. Sie strebte nach dem Ideal ihres Volkes, doch lebte freiwillig unter den Niederen...


    Es wollte ihm keine Erklärung in den Sinn kommen - und möglicherweise war es gut, dass er es nicht verstand. Etwas in ihrem Denken war seltsam verdreht, aber nicht so durch und durch trocken wie er bereits angenommen hatte. Einiges von ihrem Wissen konnte sich als nützlich erweisen und noch immer war es ein - zugegeben - verführerischer Gedanke, sie als Dienerin zu behalten. Selbst wenn ihr Betragen fremdartig und ihr Gehorsam ungenügend war.


    "Du verdienst so Manches", knurrte er und hieb den Dolch mit der Spitze voran ins Fensterbrett, wo er vibrierend stecken blieb. "Es gibt keine zweite Chance, Tsa'lin. Nicht im Glauben und nicht im Leben. Zi'llail verzeiht nicht und ein Hai wird seine Zähne nicht einfach wieder aus deinem Arsch ziehen, wenn er dich erwischt hat." Er verschränkte die Arme und musterte die angeschlagene Yassalar kalt. "Aber du gehörst mir und ich entscheide, ob ich dich richte oder verschone. Befolge meinen Befehl - du kennst ihn - und ich überlege es mir."

  • Sie hörte ihm aufmerksam zu, obwohl sie noch immer damit beschäftigt war, eine Atemtiefe zu finden, welche das Stechen in ihren Lungenflügeln zu mildern vermochte. Der Schmerz steckte noch immer wie ein Messer in ihrer Körpermitte und schien sich tiefer und tiefer zu bohren, verhinderte, dass sie sich vollständig aufrichten konnte.
    Langsam wurde ihr Blick klarer, doch seine Gestalt und sein Gesicht verschwammen noch immer vor dem schattigen Hintergrund des Zimmers. Rätselte er etwa über sie? Investierte Gedanken in sie? Wahrscheinlich würde er recht behalten und Zi'llail würde ihre Augen niemals gnädig auf sie richten, doch die Gunst dieser Göttin war ohnehin ein unerreichbares Traumgespinst. Sie maßte es sich nicht an, so etwas wie Gnade von der Göttin der Rache und des Hasses zu erwarten, bereits danach zu fragen erschien ihr vermessen. Viel mehr brannte ihr eine andere Frage unter den Nägeln … würde sie Gnade von ihm erwarten können?
    Kalt lagen seine Augen auf ihrem bemitleidenswerten Anblick und seine verschränkten Arme brachten noch mehr Distanz und Ablehnung mit sich, als sein schwarzer Blick alleine schon ausdrückte. Sie suchte erfolglos nach dem Vergnügen, welches ihm ihr Schmerz breiten sollte. Gab es tatsächlich noch den Hauch einer Chance, oder war es nur ein ausgefeiltes Spiel, eine List, eine Täuschung? Längst hätte er sich nehmen können, was er wollte und doch … was hielt ihn davon ab?


    Was es auch war, ihre Optionen hielten sich in Grenzen. Jedes Sträuben würde mehr Schmerz bedeuten, jede Bewegung in die falsche Richtung würde mit eiserner Härte bestraft werden und wenn sie heute Nacht sterben sollte, dann wollte sie ihren Tod nicht durch unnötige Widerworte herauszögern.
    Mit diesen schicksalsergebenen Gedanken kämpfte sie sich schließlich auf die Beine, schwankte etwas und obwohl es sie mit schwindelerregenden Schmerzen erfüllte, streckte sie den sehnigen Körper, versuchte ihn geradeaus anzusehen. Mit klammen Fingern öffnete sie die Schnallen, welche die Lederweste verschlossen, schälte sich ungelenk heraus und lies das schwere Kleidungsstück achtlos zu Boden fallen.


    "Ein Hai würde sich an mir einen Splitter in den Gaumen ziehen und mich freiwillig wieder ausspucken.", spottete sie krächzend, kehrte ihm im gleichen Atemzug den Rücken zu und zog mit einer schmerzhaften, aber halbwegs kontrollierten Bewegung auch die letzte Schicht Stoff aus, der nasskalt auf der Haut ihres Oberkörpers geklebt hatte. Die Luft auf ihrer nackten Haut fühlte sich eisig an, ließ sie erschaudernd die Arme vor der Brust verschränken, während ihr schuppengezeichneter, schmaler Rücken seinem Blick schutzlos ausgesetzt war. Ausgehend vom Kreuzbein kroch dort ein schwarzer Streifen an ihrer Wirbelsäule empor, verbreiterte sich auf Höhe der sich abzeichnenden Schulterblätter und verschwamm dort mit dem Weiß ihrer Haut, bis das Schwarz völlig verblasst war. Wenn er genau hinsah, würde er dort zwischen dem Schwarz und Weiß und dem silbernen Funkeln einzelner Schuppen schwache Narben entdecken, die leise von der ein oder anderen Tracht Prügel in ferner Vergangenheit erzählten.


    Stillschweigend flackerte ihr Blick über ihre Schulter, sah nach dem Yassalar und nach einer Regung in seinem kalten Gesicht.

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