Traum und Wirklichkeit

  • „Ascan!“ Ruckartig schreckte der Syrenia auf und hob seine Wange von der Decke. Sein schlaftrunkener Blick suchte und fand Damiel O'Sander, den Leiter des Waisenhauses, der knapp neben seiner Schlafstätte hockte und ihn ansah. „Sieht so aus als hättest du gut geschlafen. Willst du was mitessen?“
    „Mitessen?“ brummte der Geflügelte fahrig und ließ seinen Kopf wieder auf die weiche Decke sinken. Der Halb-Oreade nickte geduldig. Nachdenklich maß sein Blick den Syrenia, der in voller Montur eingeschlafen war. „Es gibt Linseneintopf und ich wollte dich fragen, ob du Ereike gesehen hast, bevor du wieder spurlos verschwindest.“
    „Nein und nein... ich weiß nicht, wen du...“ Plötzlich riss Ascan die Augen weit auf und stemmte sich hastig hoch. „Wie spät ist es?“
    Der Braunhaarige blinzelte ihn irritiert an. „Kurz vor Mittag, warum willst...?“ „Verdammt!“ keuchte Ascan, während er sich schnell umsah. Der Beutel mit den Dukaten war gut verborgen. „Schließ die Luke zum Dachboden hinter dir ab!“ Schon war Ascan auf den Beinen und eilte zum Dacheinstieg.
    „Was ist los? Warst du bei Selcaria? Jetzt wart doch mal! Ascan!“ rief ihm der Braunhaarige hinterher und stürzte ihm nach, doch da war der Syrenia schon auf dem Dach und es erklang das dunkle Rauschen seiner Schwingen. Damiel beugte sich nach draußen und erwartete schon, die schwarze Silhouette des Geflügelten über den Dächern verschwinden zu sehen, da entdeckte er ihn stattdessen im Hinterhof. „Was ist nur los mit dir? Sag mir bloß nicht... “ murmelte Damiel und sparte sich mit einer dunklen Vorahnung den Rest seines Satzes. Statt weiter sinnlos zu grübeln, machte er sich auf den weniger direkten Weg nach unten, jedoch nicht ohne noch rasch die Luke abzuschließen und den Schlüssel in seiner Hosentasche zu verstauen.


    Ascan kannte den alten Hof. Nichts hatte sich seit seiner Abreise vor fünf Jahren verändert und weil die Kinder am Mittagstisch saßen, kam ihm auch niemand in die Quere, als er neben dem schmalen Kräuterbeet aufsetzte. Nachdem er dort zielsicher die richtigen Blätter abgerupft und sich zwischen die Zähne geschoben hatte, bewegte er sich auf den Brunnen zu. Noch im Gehen löste er seine Waffen von seinem Gürtel und legte sie an seinem Zielort zu Boden. Die zwischen den Stofffalten verborgenen Schnallen seines Umhangs öffnend, streifte er diesen ab, warf ihn über die leeren Holzeimer neben der Brunnenkurbel und wickelte hastig auch den Seidenstoff seiner grauen Tunika auf. Noch während er gehetzt auf der Minze kaute, schnappte er sich einen der gefüllten Wassereimer und kippte ihn kurzerhand über sich aus. In aller Eile die Spuren der Strapazen der letzten Tage abwaschend, überschlug er die Zeit, die er bis zur Brücke brauchen würde.


    Gerade als er sich das restliche Wasser aus den Haaren schüttelte, erklang unvermittelt wieder Damiels Stimme. „Ich weiß, du hasst es, wenn ich dich das frage...“ Mit unwilliger Miene drehte Ascan sein Gesicht dem ungebetenen Zaungast zu. Damiel stand nur wenige Schritte entfernt und hatte seine Arme verschränkt, wobei bittere Sorge aus seinem Blick sprach. „Aber wo warst du und wohin willst du jetzt schon wieder? Was ist passiert?“
    Ascans Augen verengten sich. „Es ist alles in bester Ordnung!" knurrte er und strich ärgerlich seine feuchten Haare nach hinten. "Hast du da nicht ein paar Kinder, um die du dich kümmern musst?“ Schon langte er wieder zu seiner Tunika, obwohl seine Haut noch nicht ansatzweise in der Mittagshitze getrocknet war.
    Ein harter Zug erschien um den Mund des Halb-Oreaden. „Wieder ganz der Alte, hm? Dein Treffen mit Sel scheint sich gelohnt zu haben...“ Nun hielt Ascan abrupt inne und warf seinem Freund einen durchdringenden Blick zu. Ungerührt hielt dieser seinem bohrenden Blick stand. „...für Selcaria“, fügte Damiel mit einem vorwurfsvollen Schnauben hinzu.
    Ein Schlag in die Magengrube hätte Ascan nicht härter treffen können. „So ist es nicht!“ begehrte der Syrenia mit kraftvoller Stimme auf und ließ davon ab, den grauen Stoff um seinen Oberkörper zu schlingen. Für einen kurzen Moment war sogar Kyleja vergessen. Einen Zeigefinger drohend erhoben, öffnete Ascan den Mund, um Damiels Behauptung richtig zu stellen. Als ihm aufging, dass er es nicht konnte. Der Heimleiter hatte ins Schwarze getroffen. Haltlos fiel die Wut aus Ascans Gesicht und wich Missmut. Er wusste, wie falsch es sich anhören musste, und dieser Umstand ließ seine Rechtfertigung nur noch bitterer klingen. „Es ist... nur ein letzter Gefallen...“


    „Sicher“, entgegnete Damiel leise. Die Enttäuschung stand dem Braunhaarigen klar ins Gesicht geschrieben. Nachdem er den Syrenia noch für einen stummen Moment gemustert hatte, löste er seine verschränkten Arme und wandte sich mit starrer Miene ab. Sein alter Freund sah kein weiteres Mal über die Schulter zurück als er wieder ins Haus ging. Ascan seinerseits hielt seine Fäuste geballt bis der Heimleiter durch die Tür im Inneren verschwunden war, dann erst holte die Erinnerung an Kyleja ihn wieder ein. Die Aussicht auf die schöne Nymphe übernahm sein Denken und spornte ihn sogleich zu neuer Eile an. Mit dem verlockenden Ziel vor Augen, seine Sorgen für eine Weile zu vergessen, zog er seine übrige Kleidung an. Nur einen Flügelschlag später stieß sich Ascan von der Querstrebe der Schaukel ab und katapultierten sich weit nach oben, wo der Flugwind die brütende Sommerhitze beträchtlich linderte.


    Zusammen mit dem Anblick Waisenhauses schrumpfte auch sein schlechtes Gewissen Damiel gegenüber. Es war keineswegs so wie sein alter Freund dachte. Er wusste, was er tat. Nur ein allerletztes Mal noch würde er Bran Boréas; der Rabe sein. Danach... war er frei.

  • Als die Nymphe erwachte, blinzelte sie zunächst erst einmal verkniffen in das Licht des neuen Tages welches durch das Fenster auf ihr Gesicht fiel. Mit dem erwachen ihres Verstandes, kehrte auch die Gewissheit zurück, dass sie heute Ascan wiedertreffen würde, in Wirklichkeit.
    Mit einer schnellen Bewegung war sie aus dem Bett gesprungen und huschte ins angrenzende Zimmer, welches als Bad diente. Sie wusch gründlich Haare und Körper und trug sogar ein wenig rötliche Farbe auf ihren Lippen und Lila auf ihren Augenlidern auf.
    Zufrieden kehrte sie in das Schlafzimmer zurück und zog eines ihrer liebsten Kleider aus dem Schrank. Es war in einem dunklen Lila gehalten, wie üblich am Oberkörper eng geschnitten und fiel von ihrer Hüfte locker bis in die Mitte ihrer Oberschenkel. Ein zartes, weisses Seidenban schlang sich um ihre Hüfte und schloss sich an ihrer Seite zu einer grossen Schleife.
    Nachdem sie ihr Haar soweit gebürstet hatte, dass es weich und glänzend über ihren Rücken floss, schnappte sie sich den schwarzen Umhang und warf ihn über.
    Nach einem letzten prüfenden Blick in den Spiegel verliess sie die Wohnung und trat hinaus auf die Strasse.


    Sofort schlug ihr die Wärme des Sommers entgegen. Fröhlich und beschwingt mischte sie sich unter die Leute und machte sich auf den Weg zur Brücke. Sie war ein wenig zu früh, aber das machte nichts. Auf den Weisshaarigen lohnte es sich zu warten, das wusste sie.
    Voller Vorfreude tanzte sie beinahe durch die Strassen und schenkte den vielen Männern die ihr bewundern nachblickten oder gar versuchten sie anzusprechen in ihrem Glückstaumel nicht einen Funken Beachtung.


    In der Mitte der Brücke angekommen, blickte sie sich um. Ascan war, wie erwartet noch nicht da. Um nicht störend im Weg rumzustehen und um einen besseren Überblick zu haben, setzte sie sich auf das breite Geländer der Brücke und betrachtete die vorbeiziehenden Leute.
    Sie war sich sicher, dass der Rabe auftauchen würde. Er musste einfach.
    Sollte er es nicht tun, müsste sie sich der bitteren Enttäuschung darüber aussetzen, dass er nicht der Mann aus dem Traum war. Dann wäre ihre Suche noch lange nicht beendet und vermutlich auch noch nicht in Nir’alenar an ihrem Ziel. Zwar gab es da noch den jungen Mann aus der Vogelhandlung… aber der trug keine schwarzen Schwingen. Obwohl damit vielleicht auch ein Vogel gemeint sein könnte, statt eines Syreniae.
    Aber warum fühlte sie sich dem Raben dann so verbunden wie keinem anderen zuvor? Er musste es einfach sein. Es konnte kein Zufall sein, dass ihr warm wurde sobald sie nur an ihn dachte und, dass sie kaum mehr das Bedürfnis verspürte einen anderen Mann zu verführen oder gar zu bannen.
    So in ihre Gedanken versunken, ruhte ihr Blick versonnen auf der glitzernden Oberfläche des Flusses, auf die Ankunft des Geflügelten wartend.

  • Seine Schwingen trugen ihn so dicht über die Dächer hinweg, dass er seinen Schatten dabei beobachten konnte wie er pfeilschnell über die Gassen und belebten Plätze sprang. Manch verwunderter Blick hob sich, doch Ascan machte sich nichts daraus. Dass er still vor sich hin lächelte, bemerkte er allerdings erst, als er den gläsernen Turm der weißen Hexe am Dessibar auftauchen sah. Verblüfft rieb sich der Syrenia über den Mund, schüttelte schmunzelnd den Kopf und nutzte einen letzten Dachvorsprung an der Promenade, um sich noch ein weiteres Mal abzustoßen.


    Er konnte es nicht erwarten, sie wiederzusehen. Schon suchte sein Blick die weiße Brücke, auf der sie gewiss schon auf ihn warten würde. Vorfreude glomm in seinen Gedanken und ließ keine Bedenken zu. Was geschehen würde, wenn er seinen Fuß auf diese Brücke setzte; wie er seine Vernunft bewahren wollte, wenn er sich erneut ihrem Duft aussetzte, waren Überlegungen, die ungehört in seinem Hinterkopf verhallten.
    Knapp über der Mitte der Brücke spannte Ascan seine Schwingen weit auf, um sich den gröbsten Schwung zu nehmen. Durch die rauschenden Luftwirbel, die dadurch entstanden, brauste ein noch kraftvollerer Schlag. Der Windstoß seiner Federn fegte auf die Brücke hinab, ließ die dort Laufenden erschrocken nach oben blicken und zur Seite weichen. Nur einen Moment später landete Ascan mit wehendem Mantel in der frei gewordenen Fläche. Mit deutlich zu viel Schwung knallten seine schweren Stiefel auf das helle Pflaster, sodass der Syrenia in die Knie gehen und sich mit einer Hand abstützen musste. Noch während er sich aufrichtete, sondierte sein Blick bereits die Umstehenden, von denen nicht wenige ihn mit offenem Mund anstarrten. Dunkel raschelnd legten sich Ascans Schwingen zusammen und im selben Augenblick, in dem er über die Köpfe der Gaffenden schauen konnte, entdeckte er auch die Gestalt der Nymphe auf dem steinernen Geländer.


    Das tiefschwarze Haar und ihre weiße Haut glänzten im Mittagslicht und er konnte das Lächeln nicht unterdrücken, das ihm bei ihrem Anblick sofort wieder auf die Lippen sprang. Einen ersten Schritt in ihre Richtung setzend, streifte Ascan seine Kapuze zurück und spürte sein Herz um einen Takt stärker schlagen.
    Bei Emular... hoffentlich war das jetzt kein Traum.

  • Als die Leute anfingen aufreget zu reden und in den Himmel zu deuten, hob auch Kyleja ihren Blick. Sie erblickte die Gestalt des Syrenaie beinahe sofort und ein Lächeln legte sich auf ihre Lippen.
    Aufgeregt und kaum mehr stillsitzen könnend beobachtete sie die Landung des Geflügelten. Es war wirklich ein beeindruckender Anblick, noch beeindruckender als Ascans kurzer Flug im Traum.


    Als er sich aufrichtete und sie erblickte bildete sich ein Lächeln auf seinen Lippen. Als er schliesslich die Kapuze zurück schlug und den ersten Schritt in ihre Richtung machte, hielt es die Nymphe nicht mehr auf der Balustrade der Brücke.
    Mit einem federleichten Sprung verliess sie ihre sitzende Position und rannte förmlich auf den Geflügelten zu.
    „Ascan“, rief sie erfreut aus und sprang ihm förmlich in die Arme. Wie von selbst verschränkten sich ihre Finger in seinem Nacken als sich ihr Körper an den seinen schmiegte.
    Die Blicke der umstehenden prallten vollkommen an der Nymphe ab. Es interessierte sie weder wie enttäuscht einige der Männer reagierten die sich zuvor noch Hoffnungen bei der Nymphe ausgerechnet hatten, noch die verärgerten teilweise missbilligenden Blicke der Frauen die sie trafen.
    Viel zu sehr freute sie sich über das Erscheinen des Weisshaarigen.
    Die Luft um sie und den Syreniae herum war mit einem Mal erfüllt von einem starken, süsslichen Duft nach Wald und frischem Laub.
    Ihre Finger gruben sich tief in das weiche Haar Ascans als sie ihren Kopf in seine Halsbeuge schmiegte.
    „Ich bin so froh dich zu sehen“, hauchte sie und blickte hinauf in die stahlgrauen Augen die gemeinsam mit seinem Lächeln um die Wette strahlten.

  • Mit einem so gelösten Lachen wie er es seit Ewigkeiten nicht mehr von sich selbst gehört hatte, schloss Ascan die Nymphe in seine Arme. Er hatte nicht damit gerechnet, dass sie so begeistert sein würde, ihn zu sehen. Sel hatte nie mehr als ein schmales Lächeln für sein Erscheinen übrig gehabt... selbst wenn er erfolgreich von lebensgefährlichen Missionen zurückgekehrt war.


    Während ihr Kopf sich an seinen Hals schmiegte, breitete sich der Geruch eines Waldes von ihr aus und Ascan prägte ihn sich genau ein. Wenn dieser Duft ihrer Freude entsprach, sollte er ihm kein einziges Mal mehr entgehen. Wo er sonst nicht um Worte verlegen war, fehlten sie ihm bei ihrem Anblick einfach. Dass sie ihren Nymphenblick hob, um ihm in die Augen zu sehen, machte es nicht besser und so schüttelte Ascan bloß mit einem geschlagenen Grinsen den Kopf.
    Im Grunde gab es nur eine Sache, die er tun wollte und die hatte nichts mit Worten zu tun. Kyleja noch für einen Moment länger in die blauen Augen schauend, neigte er sich vor und legte seine Lippen auf ihre. Was Traum gewesen war, würde nun Wirklichkeit werden.


    Wo ihr wohlgeformter Körper in seinen Armen lag, breitete sich eine lodernde Hitze in ihm aus. Es existierten weder eine Brücke, noch andere Gestalten. Nichts konnte seine Sinne von ihr ablenken und würde es auch nur jemand versuchen, bräuchte er nur seine Schwingen zu öffnen und sie wären auf einen Schlag davon befreit.

  • Das Lachen des Syreniae liess ein warmes, weiches Gefühl in der Nymphe aufkeimen. Es war so schön jemanden, den sie mochte zum Lachen zu bringen. Es erinnerte sie an vergangene Zeiten, Momente aus ihrer Heimat.
    Als Ascan nach einem sanften Kopfschütteln schliesslich seine Lippen auf die ihren senkte, fühlte sie sich im sprichwörtlichen siebten Himmel. Das hier war so viel besser, so viel realer, als im Traum.
    Mit einem wohligen Seufzen drückte sie sich noch enger an den warmen, muskulösen Körper des Weisshaarigen. Zärtlich streichelte ihre Zunge seine Lippen, bettelte um Einlass. Der Geruch von frischer Minze schlug ihr entgegen und vermischte sich mit dem des Waldes.
    Das Blut rauschte in den Adern der Nymphe und all jene Verlangen die ihrem Volk zu Eigen waren drängten sich mit einer unbeschreiblichen Wucht in den Vordergrund. Ihre nymphischen Gelüste bettelten förmlich um Erfüllung und sandten ein leichtes Beben in ihre Glieder.
    Beinahe krampfhaft gruben sich die Finger ihrer Rechten tiefer in das Haar des Geflügelten, während ihre Linke langsam an dessen Wange und Hals entlang strich, um sich schliesslich auf seine Brust zu legen.


    Alles um sie herum verschwamm, machte Platz für dieses wundervolle, berauschende Gefühl, das sie noch niemals bei einem Mann verspürt hatte.
    Ihr Herz schlug so laut und schnell in ihrer Brust, dass sie fürchtete er könne es spüren und hören.

  • Kylejas impulsive Leidenschaft trieb nicht nur seinen Puls in die Höhe. Ascan öffnete ihr seine Lippen und schloss zugleich seine Augen. Die Nähe der Nymphe und ihre verlangenden Bewegungen ließen seinen Kopf und seine Gedanken leicht werden. Jede Begegnung mit ihr war wie ein Feuerwerk. Wäre sie ein Aufwind gewesen, hätte sie ihn kilometerweit in den Himmel gedrückt. So aber war es seine Beherrschung, die sie mit sich riss.
    Kurz war er versucht, ihr das Kleid von den Schultern zu streifen und seinen begehrenden Blick über all das gleiten zu lassen, was der dünne Stoff nur halbseiden vor ihm verbarg, stattdessen besann er sich mühsam auf die Umgebung. Äußerst mühsam, denn noch während er sein Hochgefühl in den Sinkflug zwingen wollte, krallte sich Kylejas Hand lüstern fester in seine Haare. Drängender als ihre Berührungen war nur noch sein glühender Instinkt... und der entschied jetzt, dass sie Zuschauer nicht länger brauchen konnten.


    Ohne von Kyleja abzulassen, spreizte der Syrenia seine Flügel und griff um ihre Oberschenkel, um diese um seine Hüfte zu heben. Dass diese Haltung sein Gemüt nur noch weiter erhitzte, nahm er nur zu gern in Kauf. Seine Handschwingen trafen beim ersten Ausholen auf Widerstand, doch das kümmerte ihn wenig. Es gab genug Platz auf der Brücke und falls nicht, würde er welchen schaffen. Selbst wenn das bedeutete, dass ein paar Flügellose ein unfreiwilliges Bad nahmen...


    Aus dem Stand an Höhe zu gewinnen, kostete enorme Kraft, deswegen trug ihn sein erster Schwung nicht nach oben, sondern vorwärts, sodass seine Stiefel die Balustrade fanden. Ascan unterbrach den feurigen Kuss mit der Nymphe nur widerwillig, bedachte sie mit einem verstohlenen Lächeln und brachte seinen Mund dicht an ihre Wange, wo ihr Haar wie schwarze Seide über ihr Ohr floss. Seine Stimme schwang vor dunkler Vorfreude. "Bereit, entführt zu werden, Nymphchen?"

  • Das Öffnen seiner Lippen sandte einen Schwall seines nach Minze schmeckenden Atems auf ihre Zunge. Ein pulsierendes Kribbeln überzog ihren Körper und liess sie keinen klaren Gedanken mehr fassen. Ihr Puls beschleunigte sich und sie vertiefte den Kuss, liess Ascan erneut ihr tiefes Verlangen spüren.
    Sie verlor sich in diesem Kuss, der die Ewigkeit zu sein schien, und hinterher konnte sie kaum mehr sagen wie lange dieser Kuss angedauert hatte. Das einzige was in ihrem Kopf existierte waren seine Lippen auf ihren und der dringende Wunsch seine Haut auf ihrer Haut zu spüren.
    Erst als sich die Schwingen des Syreniae weit auffächerten und seine Hände ihre Oberschenkel umfassten, kehrte ein Funken ihres Verstandes in die Wirklichkeit zurück. Automatisch schlangen sich ihre Beine fest um die Hüfte des Weisshaarigen. Dort wo seine Hände ihre Oberschenkel umfasst hielten, brannte ihre Haut wie Feuer, lodern und verzehrend.


    Aus dem Augenwinkel nahm sie wahr, wie einer der Umstehenden von den schwarzen Flügeln gestreift taumelte und sich gerade so vor einem Sturz in das kühle Nass bewahren konnte. Eine Tatsache die der Nymphe in Schmunzeln auf die Lippen und in den Kuss hinein trieb.
    Ihre Lippen prickelten und ihr Atem ging schwer, als Ascan seine Lippen von ihren löste. Seine Stimme, sein Atem der dicht an ihrem Ohr entlang strich, sandten erneut wohlige Schauer durch den Körper der jungen Nymphe. Der verheissungsvolle, raue Klang seiner Stimme liess den letzten Rest klaren Verstandes in ihr dahin schmelzen.
    Es dauerte fast eine ganze Minute, bis sie ihre Stimme insoweit beherrschte, dass sie ihm eine Antwort geben konnte.
    „Bring mich wohin auch immer du willst“, hauchte sie, noch immer atemlos von ihrem Kuss, dicht an seinem Ohr und fuhr nun eher zärtlich mit den Fingern durch sein Haar.
    Dann jedoch festigte sie ihren Griff um seinen Hals und auch die Hand welche eben noch auf seiner Brust gelegen hatte schlang sich um den Nacken des Syreniae. Immerhin wollte sie nicht unbedingt ein kühlendes Bad im Dessibar nehmen.

  • Das Blut pochte schier unerträglich in seinen Muskeln. Ascan hatte nicht vorgehabt, ihre Antwort abzuwarten, doch der Rausch des Verlangens hatte nicht nur Kylejas Atem schwer werden lassen, sondern auch ihre strahlenden Augen getrübt. Gewiss sah er selbst nicht besser aus, doch er kannte sein Element. Sie musste sich darauf besinnen können, sich an ihm festzuhalten. Die Winde konnten tückisch sein und er wollte nichts riskieren. Nicht mit ihr.
    Als ihre Zusage endlich erklang und ihr Griff fester wurde, hielt ihn jedoch nichts mehr. Ihr Sturz über die Balustrade schenkte ihnen die kurze Sensation eines freien Falls, ehe Ascans Flügel sich streckten und rauschend in den Wind griffen. Mit einer halben Drehung tauchten sie pfeilschnell unter der weißen Brücke hinweg und glitten für einen Moment schwerelos über dem Strom, bis der nächste Flügelschlag sie an Höhe gewinnen ließen und ihr Spiegelbild von den reißenden Wellen löste.


    Die Brücke und Eleria Anuriels Turm fielen rasch hinter ihnen zurück. Mit seiner Linken den Sitz Kylejas abstützend, lag seine Rechte am Rücken der Nymphe. Ihre betörende Wärme und das Gefühl ihres Körpers so eng an seinem ließen ein Beben durch seinen Körper und seine Schwingen fahren, sodass er sich nur mühsam auf eine ideale Flugbahn besinnen konnte. Die Winde scharf anschneidend und kaum höher als nötig über die Dächer des Palastviertels fliegend, suchten seine Augen fieberhaft die prachtvollen Villen ab. Ascan wusste, dass er fündig werden würde. Nir'alenar mochte eine vielbevölkerte Stadt sein, doch in den Köpfen ihrer vielen menschlichen Bewohner schien es eine Hürde zu geben, die es ihnen schwer machte, geflügelte Völker zu bedenken. Wie immer sollte er Recht behalten und so landete Ascan mit einem triumphierenden Grinsen völlig unbehelligt auf einem hohen Balkon, der in die Gartenanlage eines Anwesens wies. Reichtum und Leichtfertigkeit waren eine Kombination, die der Syrenia schon immer gern für seine Zwecke ausgenutzt hatte.


    Seinen Griff von Kyleja lösend und die Schwingen anlegend, setzte er die Nymphe ab. "Warte kurz", zwinkerte Ascan ihr verschwörerisch zu, zog seinen Dolch aus der Lederscheide an seinem Gürtel und trat an eines der breiten Balkonfenster heran, durch die ein prachtvoll eingerichtetes Schlafzimmer nach draußen schimmerte. Geübt machte sich der Syrenia am hölzernen Verschluss zu schaffen und mit einem geradezu fröhlichen Klacken sprang die Verriegelung kurz darauf unter seinen Händen auf. Einbruch war ihm schon immer ein Leichtes gewesen. Kein Wachhund konnte ihn schrecken, keine Mauer seinen Weg versperren und obwohl die meisten Haustüren Nir'alenars mit Schlössern höchster Güte ausgestattet waren, gab sich niemand dieselbe Mühe bei seinen Fenstern.
    Den Dolch wegsteckend, lächelte er über die Schulter. "Wusstest du schon, dass man bei meinem Volk ein offenes Fenster als Einladung versteht?" Wie zum Beweis stieß er das Fenster weit auf. Seine grauen Augen funkelten verrucht, als er ins Innere deutete.

  • Als sich Ascan mit ihr über die Balustrade fallen liess, sog die Nymphe heftig den Atem ein um ihn dann für einen kurzen Schockmoment anzuhalten. Es waren zwei verschiedene Dinge dem Syreniae beim Fliegen zuzusehen oder direkt dabei zu sein.
    Mit einem Schlag lichtete sich der Schleier aus Lust und Verlangen und liess zu, dass sich ein aufgeregtes Kribbeln in ihrer Magengegend breit machte. Langsam wandte sie den Kopf ein wenig, so dass sie hinab sehen konnte.
    Fasziniert starrte sie auf die glitzernde Wasseroberfläche, die unter ihr vorbei glitt. Das Spiegelbild von ihr in den Armen des Weisshaarigen löste ein bisher unbekanntes Gefühl in ihr aus, welches sich wie eine warme Flüssigkeit in ihrem Körper ausbreitete.
    Ein leichter Ruck ging durch den Körper des Geflügelten als er sie mit einem kräftigen Flügelschlag höher und somit weg von dem glitzernden Nass brachte.


    Binnen weniger Augenblicke verschwanden die Brücke und auch der Turm Eleria Anuriels und unter ihnen tauchten die prunkvollen Villen des Palastviertels auf.
    Es war ein unglaubliches Gefühl so über der Stadt zu fliegen und insgeheim wünschte sich die Nymphe er würde noch höher aufsteigen, bis hoch zur Kuppel. Dann bräuchte sie nur die Hand austrecken um diese zu berühren.
    Seine Hände die sie fest umschlungen hielten, und das leise Beben, das durch den Körper des Geflügelten fuhr, liessen die Nymphe zu einer besseren Besinnung kommen.
    Sie wollte nur noch mit ihm alleine sein, wobei ihr auch die neugierigen Blicke der Leute auf der Brücke nichts ausgemacht hätten.
    Da Ascan nun in den Sinkflug überging, richtete sich ihre Aufmerksamkeit nach unten, auf ihr Ziel. Es war ein prunkvoller Balkon der die Sicht auf einen wunderschönen Garten ermöglichte, hätte sich auch nur einer der beiden dafür interessiert.


    Die Beine der Nymphe waren ungewöhnlich weich als der Syreniae sie wieder auf ihre eigenen Füsse stellte. Haltsuchend lehnte sie sich an die Brüstung, ein Schmunzeln auf den Lippen angesichts der verschwörerischen Geste.
    Kopfschüttelnd beobachtete sie wie Ascan mit geübten Handgriffen das Fenster öffnete und schliesslich aufstiess. Mit einem beinahe mädchenhaften Kichern stiess sie sich von der Balustrade ab.
    „Wusstest du, dass man bei meinem Volk ein gemachtes Bett als Einladung versteht?“, erwiderte sie mit einem verführerischen Zwinkern und trat mit ausladenden Schritten, die einen mehr als ansehnlichen Hüftschwung offenbarten an dem Syreniae vorbei ins Innere des Hauses. Im Vorbeigehen streichelte sie mit den Fingerspitzen über seine Wange.
    Langsam und grazil drehte sie sich kurz vor dem prunkvollen Bett zu Ascan um, ein verheissungsvolles Lächeln umspielte ihre Lippen. Ihre rechte Hand streckte sie aus und sie krümmte den Zeigefinger für diese typische „Komm-her-Geste“.
    „Sag mein schwarzer Engel, nimmst du diese Einladung an?“, hauchte sie und blickte mit erwartungsvollem Blick und einem deutlichen Funkeln in den Augen zu dem Weisshaarigen auf. Die Hand noch immer einladend ausgestreckt.

  • Ihre vielsagende Antwort ließ ein leises Lachen in Ascan aufsteigen. Sein Blick fixierte sie schon beim Näherkommen und als würde die verlockende Anmut, die sie an seiner Nase vorbei führte, noch nicht ausreichen, um seine ganze Aufmerksamkeit zu fesseln, hinterließen ihre zarten Finger eine glühende Spur auf seiner Wange. Ascan spürte seinen Atem für einen Moment stocken, bevor er unversehens tiefer wurde und sein Blick auf die Nymphe sich wohltuend trübte. Ihm war als zögen ihn unsichtbare Fäden, die so angenehm waren, dass selbst sein Verstand sich immer tiefer in ihnen verwickelte. In der Gier versunken, sie ganz und gar zu besitzen; an sich zu spüren und sich jedem denkbaren Verlangen mit ihr hinzugeben, verblassten alle andere Gedanken.


    Seine Lider senkten sich halb, während er hinter ihr das Zimmer betrat und sich in der Vorstellung verlor, wie sie gleich ohne ihr Kleid aussehen würde. Stumm und gebannt vom wohligen Rausch ihrer Magie, betrachtete er Kylejas verführerische Erscheinung, die sich langsam wieder zu ihm umdrehte. Ihre lockende Geste verstand er nur zu gut, wogegen ihre Worte nur noch schemenhaft an seinem Geist vorüber glitten. Das dunkle Schmunzeln aus seiner Brust entstammte mehr seinen Trieben als seinem wachen Bewusstsein, als er zu ihr schritt und dabei die Schnallen seines schwarzen Umhangs öffnete.


    Falls ihm jemals eine Frau bestimmt gewesen war, konnte es nur sie sein. Sie würde ihn komplett verrückt machen, prophezeite ihm ein verbissener Teil seiner selbst, der aus unerfindlichem Grund gegen jede Liebe zu ihr gefeit schien, aber dessen Einwände erklangen nur leise und fern. Sie waren vergessen, noch bevor Ascan die ausgestreckte Hand der Nymphe ergriff und einen Kuss auf ihre zarte Haut atmete. Was ihrer prunkvollen Umgebung im ersten Moment alle Ehre machte, war jedoch kaum mehr als ein Spaß, der den albernen Schick des Adels so gründlich verhöhnte, dass Ascan selbst kurz danach lachen musste. Nur die Freiheit adelte und der Syrenia fühlte sich schon im nächsten Augenblick grenzenlos frei, als er sich mit einem grinsenden Knurren Kyleja schnappte und sie miteinander im ergaunerten Bett landeten.



    (…)

  • (...)


    Der Kuss, den er ihr abschliessend schenkte, war zärtlich, beinahe keusch. Er hinterliess ein warmes Gefühl in ihrem Bewusstsein.
    Auf dem halb gespreizten Flügel des Syreniae ruhend, stützte Kyleja ihren Kopf auf ihren Arm und betrachtete Ascan. Er sah so wunderbar glücklich und zufrieden aus, wie er dort neben ihr lag. Noch immer glänzte ein feiner Schweissfilm auf seiner Haut, doch die warme Luft, die von draussen herein strömte, würde diesen in Kürze trocknen.
    Ein sanftes, für eine Nymphe äusserst liebevolles Lächeln, legte sich auf ihre Züge und der Blick aus ihren dunklen Augen wurde weich. Dieser Mann war den bisherigen Aufwand mehr als wert und alles weitere würde er ebenfalls wert sein.
    Ein Gedankengang, der sie zurück zu den vielen Fragen brachte. Zurück zu der Gewissheit, dass Ascan die Insel verlassen wollte.


    Ihre Fingerspitzen streckten sich nach der Haut des Geflügelten aus, zeichneten komplizierte Muster auf seinen Körper, die nur sie allein deuten konnte. Die warmen, weichen Federn strichen bei jedem Atemzug über ihre Haut. Und dennoch wurde ihr Blick allmählich ernst.
    „Ascan…“, begann sie und ihr Blick fing den verträumten des Weisshaarigen auf, hielt ihn fest. Auch wenn die Müdigkeit seine Glieder schwer werden liess, er würde nun endlich ihre Fragen beantworten.
    „Du hast im Traum gesagt, du willst die Insel verlassen… Ich versprach, dich ziehen zu lassen…“ Ihr Blick verlor sich für die Dauer eines Wimpernschlages im Nichts. Bei dem Gedanken daran, Ascan ziehen zu lassen, sich erneut auf die Suche zu machen, bildete sich ein kalter Klumpen in ihrem Inneren. Ein Gefühl, welches sie noch nie bei einem Mann gespürt hatte. Kyleja ignorierte es, das kam gewiss von den Empfindungen der vergangenen Stunden. Stattdessen konzentrierte sie sich wieder auf den Geflügelten. Ihre Finger fanden die feine Narbe in seinem Gesicht, zeichneten die hautfarbene Linie nach.
    „Warum willst du diese Insel so dringend verlassen, Ascan?“, ihre Stimme war sanft, leise. Und dennoch lag etwas Unterschwelliges darin, welches sie selbst nicht hineingelegt hatte. Schmerz, Angst, Enttäuschung. Sie würde es sich zum jetzigen Zeitpunkt niemals eingestehen, aber es schmerzte sie, daran zu denken Abschied zu nehmen. Abschied von diesem Mann, der ihr so vertraut vorkam, obwohl sie ihn erst wenige Tage kannte. Den sie besitzen wollte und von dem sie besessen werden wollte. Wenn sie ein reines Herz gehabt hätte, wenn der Nymphenfluch nicht wäre, sie hätte es ihm augenblicklich zu Füssen gelegt. Ihn angefleht, geradezu gebettelt, dass er sie nicht verlassen würde. Aber so beliess sie es bei der Frage nach dem „Warum“. Vorerst.
    Ihre dunkelblauen Augen liessen diesen Gefühlssturm nicht nach aussen dringen. Noch immer lag der Schleier der Erschöpfung auf ihnen, der sanfte, liebevolle Ausdruck mit dem sie Ascan bedachte.

  • Mit Bedauern verfolgte Ascan wie das Lächeln allmählich vom Gesicht der Nymphe verschwand. Die glückliche Erschöpfung, die eben noch seinen Verstand eingeschläfert hatte, wich und Verwirrung erschien dafür in seinen Augen. Er schüttelte den Kopf und rieb mit der Hand über seine Stirn, um die feuchten Haarsträhnen zur Seite zu wischen, die dort klebten.


    Er erinnerte sich daran, dass er ihr gesagt hatte, dass er Beleriar verlassen würde. Seine Gedanken kreisten und gerieten dabei immer wieder durcheinander. „Das ist jetzt alles unwichtig“, gab Ascan mit einem milden Lächeln auf und betrachtete die atemberaubend schöne Nymphe an seiner Seite. „Wie könnte ich gehen wollen, jetzt, wo ich dich gefunden habe?“
    Kaum hatte er die Worte gesprochen, gelang es ihm nicht länger, sein Lächeln aufrecht zu erhalten. Sein Blick glitt über ihren verlockenden Anblick hinweg und richtete sich auf das geöffnete Fenster. Die Kuppel glomm im magischen Licht, das aus dem Ozean hinab sickerte. Sie war schön und bedrückend zugleich. Das schönste Gefängnis, das eine Göttin jemals hätte ersinnen können; aber ein Gefängnis blieb sie dennoch... und nun existierte derselbe magische Widerstand nicht länger nur um ihn herum, sondern auch in ihm selbst.


    „Ich könnte dich niemals verlassen, Ky. Mach dir keine Sorgen“, schüttelte er den Zweifel ab und sah Kyleja wieder an. Ihr dunkles Haar verschmolz förmlich mit seinem Flügel und ihre weiße Haut strahlte im Kontrast dazu wie frisch gefallener Schnee. Dieses Mal blieb das Lächeln auf seinen Lippen.

  • Der Geflügelte wirkte zusehends wacher, was der Nymphe nur recht sein konnte. Mit den Fingerspitzen strich sie ihm eine Haarsträhne aus der Stirn, die hartnäckig geblieben war.
    Sie lächelte über seine ersten Worte. Es klang so unglaublich schön in ihren Ohren. Für diesen Moment verbot sie sich den Gedanken daran, dass seine Worte nicht der Wirklichkeit entsprachen. Es war wie in einem Traum, man wusste, dass es nicht die Realität war und dennoch wollte man um keinen Preis daraus aufwachen. So ging es auch der Schwarzhaarigen nun. Selbst wenn die Worte des Syreniae nur durch ihren Bann zustande kamen, so wollte sie dieses Gefühl welches sie in ihr auslösten geniessen, solange wie es ihr möglich war.


    Sie verfolgte das Minenspiel des Weisshaarigen aufmerksam. Als seine Augen sich wieder auf sie richteten, lächelte er. Es war ein ehrliches Lächeln, begleitet von ehrlich klingenden Worten. Doch noch während die Stimme des Geflügelten im Raum verklang, entglitten die Gesichtszüge der Nymphe.
    Ein heftiger Ruck ging plötzlich durch ihren Körper. Bilder flossen an ihrem inneren Auge vorbei, Bilder einer längst vergangenen Zeit, Ereignisse die sie längst vergessen haben wollte, eine Person die sie mehr als alles andere aus ihrer Erinnerung tilgen wollte.
    Wie paralysiert starrte sie den Weisshaarigen an und schien dennoch durch ihn hindurch zu sehen.
    „Ma… Malum.“ Ihre Stimme bebte, zitterte und brach bei diesem einen Wort, diesem simplen Namen. Unaufhaltsam sammelten sich Tränen in ihren dunkelblauen Augen, kullerten über ihre Wangen und tropften auf das schwarze Gefieder.


    Urplötzlich fand sie sich an einem Tag in ihrer Vergangenheit, ihrer Jugend, wieder. Die Hand hielt sie noch immer ausgestreckt, dorthin wo gerade eben noch Malum gestanden hatte. Jetzt erinnerte nur noch der Stoffbeutel daran, dass er hier gewesen war.
    Zitternd trat sie an den Rand der Klippen. Wie oft hatte sie hier gestanden und den Blick nach unten auf die schäumenden Wellen und die Weite des Meeres genossen.
    Wie immer tanzten die Schaumkronen auf dem Wasser ihren magischen Reigen. Das Rot welches sich in das reine Weiss mischte, strafte den unschuldigen Sonnenaufgang im Hintergrund tausend Lügen.Mit einem Aufschluchzen fiel sie nahe an der bedrohlichen Kante auf die Knie, der blutbeschmierte Dolch glitt aus ihrer Hand, landete klirrend neben ihr auf dem kalten Stein.
    Ein markerschütternder Schrei drang aus ihrer Kehle über ihre Lippen, stürzte sich die Klippen hinunter so wie Malums Körper es gerade getan hatte, verlor sich in den Untiefen des Meeres und dem Spiel des Windes.


    Mit einem Flirren ihrer Lider kehrte die Nymphe wieder ins Hier und Jetzt zurück. Nicht fähig ein einziges Wort über die aufeinander gepressten Lippen zu bringen, stürzte sie sich in die Arme des Geflügelten. Sie vergrub ihr Gesicht in seiner Halsbeuge. Nur das Beben ihrer Schultern verriet dem Betrachter, dass es sich hier nicht mehr um eine romantische Umarmung handelte.

  • Das Lächeln fiel aus ihrem Gesicht und ihr Körper fuhr wie unter einem Schlag zusammen. Völlig entgeistert fragte Ascan sich, was an seinen Worten falsch gewesen war, da entkam ein einzelnes Wort ihren blass gewordenen Lippen.


    Malum?


    Ratlos, was er tun sollte, um sie zu beruhigen, konnte Ascan nur besorgt die Hand an Kylejas erbleichte Wange legen und mit seinem Daumen ihre Tränen zur Seite streichen. „Kyleja... Liebste... alles ist gut“, redete er beruhigend auf sie ein, doch ihr Blick verlor sich in so weiter Ferne, dass er bezweifelte, dass sie seine Stimme hörte. Gleichzeitig überstürzten sich seine Überlegungen, ob er auf seinen Reisen oder damals in Nir'alenar eine ähnliche Bezeichnung gehört hatte. Nichts wollte ihm einfallen und er verfluchte stumm all sein nutzloses Wissen.


    Eine neue Regung floss über ihre tränenüberströmte Mimik, aus der Ascan so viel und zugleich so wenig lesen konnte, dass es zum Verzweifeln war. Kurz darauf fiel Kyleja ihm förmlich in die Arme und er zögerte keine Sekunde, sie fest zu umarmen und ihr den Halt zu bieten, den sie suchte. Seine rechte Schwinge faltete sich halb auf und schwang nach vorn, um einen dunklen Schild gegen alles zu bilden, was sie erschreckt haben könnte... und sollte es auch nur in ihren Gedanken existieren. Umschlossen von der beruhigenden Dunkelheit wartete er schweigend darauf, dass das Beben ihrer Schultern nachlassen würde.


    Die qualvolle Ungewissheit begleitete jeden Atemzug, der auf diese Weise verging. Er konnte sie gegen alles und jeden verteidigen, aber er konnte nicht alles heilen... und er befürchtete, dass seine Worte eine Wunde aufgerissen hatten, die sie nur selbst wieder schließen konnte...

  • Minuten verstrichen. Minuten in denen Kyleja kaum etwas von dem mitbekam, was ausserhalb ihrer Gedanken geschah. Noch immer kreiste alles in ihrem Kopf um Malum und den fürchterlichen Anblick seines Blutes, welches das Wasser rot färbte.
    Die sanfte Dunkelheit unter Ascans schützendem Flügel half der Nymphe, sich zu beruhigen und die grauenvollen Gedanken abzuschütteln. Langsam verebbten die Tränen und ihr Atem beruhigte sich. Für einige Sekunden verharrte sie noch in der festen Umarmung des Geflügelten. Lauschte seinen ruhigen, tiefen Atemzügen.
    Als sie sich sicher war, dass sie sich soweit im Griff hatte, dass sie auf seine Fragen, die nun unweigerlich aufkommen mussten, antworten konnte, richtete sie sich ein wenig auf und blickte in das sorgenvolle Gesicht des Syreniae.
    Ihre Hand legte sich an seine Wange und ein dankbares Lächeln legte sich auf ihre Züge.
    „Danke, Ascan“, hauchte sie. Ihre Stimme klang noch immer rau und ihre Augen waren deutlich gerötet vom Weinen.
    Vorsichtig bewegte sie sich in den Armen des Weisshaarigen, brachte sich in eine bequeme Position die ihr dennoch die Wärme und den Schutz seiner Umarmung bot. Um nichts in der Welt würde sie diese liebevolle Geste Ascans in diesem Moment missen wollen.
    Die Sorge stand dem Raben noch immer ins Gesicht geschrieben.
    „Es ist okay… Das.. hatte nichts mit dir zu tun…“ Versuchte sie ihn zu beruhigen. Ihr Kopf bettete sich auf seine Brust, so dass sie ihm noch immer ins Gesicht sehen konnte. Ihre Finger streichelten sanft über seine Haut.

  • Ihr Zittern ließ nur langsam nach, doch schließlich schien sich der schlechte Einfluss zu verflüchtigen, der sie überfallen hatte. „Aber ich habe es ausgelöst, nicht wahr?“, widersprach Ascan so ruhig, dass es mehr eine Feststellung als eine Frage war. Skeptisch lag sein durchdringender Blick auf ihr und der Schatten über ihnen lichtete sich, kaum dass er seine Federn zurückzog. Kyleja wirkte gefasst genug, um ihm zu antworten. Innerlich dankbar, dass sein Körper zu erschöpft war, um auf ihre Reize zu reagieren, strich er ihr über das nachtschwarze Haar und legte einen warmen Klang in seine Frage. „Wer... oder was ist Malum, Ky?“


    Er wusste, dass er sich dafür hassen würde, sollte sie nun erneut in Tränen ausbrechen. Dieses Wissen änderte jedoch nichts daran, dass er es erfahren musste. Nie zuvor hatte eine Frau eine ähnlich starke Faszination auf ihn ausgeübt und alles, was sie ihm über sich verriet, würde er hüten wie seine eigene Seele. „Erzähl mir, was passiert ist. Vertrau mir.“

  • Auf den ruhigen Widerspruch, der gleichzeitig eine Frage war, nickte die Schwarzhaarige.
    „Deine Worte haben mich an… etwas erinnert“, gab sie zu und erwiderte den skeptischen Blick mit aller Ruhe und Besinnung die sie aufbringen konnte. Sie wollte nicht, dass er sich vorwürfe machte.
    Dennoch musste sie bei seiner nächsten Frage hart schlucken, obwohl sie bereits damit gerechnet hatte. Konnte sie ihm wirklich ausgerechnet davon erzählen? Sie zögerte.
    Erst als er sie bat ihm zu vertrauen, nickte sie leicht. Er hatte Recht. Das hier war ein Vertrauenstest. Wenn sie wollte, dass er ihr irgendwann einmal glaubte, dass sie wirklich etwas für ihn empfand, musste sie sich ihm öffnen.
    „Es ist eine alte Geschichte…“, begann sie und atmete noch einmal tief durch.
    „Malum Paveyl lebte ganz in der Nähe von dem Ort an dem ich Aufwuchs. Er war ungefähr zwei Jahre älter als ich und ein Mensch. Von klein auf verbrachte ich viel Zeit mit ihm, er war immer wie ein Bruder für mich. Er brachte mir bei mit Dolchen umzugehen, lange bevor meine grosse Schwester mir erlaubte mit ihren Dolchen – den silbernen die du im Tempel bei mir gesehen hast – zu trainieren. Damals verschwendete ich kaum einen Gedanken daran, was der Grund dafür war, dass er so viel Zeit mit mir verbrachte.“ Sie machte eine kurze Pause um Atem zu schöpfen.
    „Wir wurden gemeinsam älter, wurden beide immer mehr von Kindern zu Erwachsenen und irgendwann dämmerte mir, dass er nicht nur mein Freund war weil er mich als Person schätzte. Je mehr ich verstand, was es hiess eine Nymphe zu sein, desto mehr Zeit verbrachte er mit mir und irgendwann verlor er sich an mich.“ Kyleja bemühte sich um einen sachlichen Ton, versuchte die Ereignisse der Vergangenheit nicht zu nah an sich heran kommen zu lassen.
    „Ich war noch so jung, gerade 16, als wir einen Ausflug zu den Klippen unternahmen die ich so liebte. Dort… gestand er mir seine Gefühle… und ich dachte ich würde sie erwidern, ehrlich erwidern. Wir dachten ich könnte meinen Fluch mit ihm überwinden, dem Dasein als Nymphe entkommen. Aber mit dem Ende dieser Nacht… Ich habe nie verstanden… Wir trafen jemanden, einen anderen Mann… Und Malum und er…“ Ihre Stimme begann zu stocken und ihre Finger krallten sich haltsuchend an den Weisshaarigen.
    „Sie kämpften miteinander… wegen mir… und irgendwann… Malum wurde verwundet und der andere zog sich zurück nachdem ich ihn… überzeugt hatte… als ich mich zu Malum umdrehte… hatte er den Dolch aus der Wunde… Er ist über die Klippe… Es ging viel zu schnell… Da war nur noch sein Blut…“ Ein erneutes Schluchzen wollte sich einen Weg aus ihrer Kehle bahnen, doch sie schluckte er herunter. Es war genug. Sie musste langsam anfangen damit zu leben. Und Ascan davon zu erzählen hatte eine Last aus ihrem Inneren genommen.
    Tief atmete sie durch.
    „Deswegen wollte ich auch im Traum nicht… über die Klippen springen“, fügte sie noch erklärend hinzu. Ihre dunkelblauen Augen fanden die stahlgrauen des Geflügelten.
    „Ich habe das noch nie jemandem erzählt… Es hat gut getan mit dir darüber zu reden… Danke.“ Sie beugte sich ein Stück nach vorne und legte ihre Lippen auf die des Syreniae. Sanft und nur ganz kurz währte dieser Kuss. Dennoch lag etwas in diesem Kuss, dass sie niemals in einem Kuss gefühlt hatte. Vielleicht war es so etwas wie Liebe.

  • Ihre Geschichte bewegte ihn stärker als seine Mimik es zeigte und nachdem der Kuss endete, blieb Ascan noch eine Weile still, schaute in die Ferne und streichelte dabei gedankenverloren über Kylejas Rundungen. Eine steile Furche grub sich in die Stirn des Syreniae, als er seine Brauen zusammenzog. Seine Augen wurden kälter und hart, doch als er zu der Nymphe in seinen Armen zurücksah, verschwand dieser beunruhigende Ausdruck von seinen Zügen und die dunklen Gedanken blieben unausgesprochen. „Ich hätte dich nicht zu diesem Sprung gedrängt, wenn ich das gewusst hätte“, murmelte er stattdessen und betrachtete Kyleja so schuldbewusst, dass nichts an ihm mehr bedrohlich wirkte.


    Der Verlust steckte ihr noch in den Knochen, das war offensichtlich. Er glaubte ihr, dass sie den Tod dieses Mannes nicht gewollt hatte und er wusste aus eigener Erfahrung, wie zermürbend es sein konnte, ein Leid mit niemandem teilen zu können. Manches wurde mit der Zeit nicht leichter, sondern fraß sich tiefer, bis ein Loch in der Seele blieb, das nicht mehr zu füllen war. Doch sie war noch so jung. Keine ihrer Geschichten konnte wahrhaft alt sein. Das machte den Schmerz zwar frisch, doch es machte ihn auch heilbar.

    Ascan hasste allein schon die Vorstellung, dass sie einen anderen geliebt haben könnte, doch er verbarg die Eifersucht hinter einer ruhigen Fassade. „Er muss dir viel bedeutet haben...“ Bewusst ließ er den Namen des Toten unausgesprochen. Sie sollte sich ihre Qual von der Seele reden, mit der Vergangenheit abschließen und Malum vergessen. Er würde niemanden dulden, der ihr Schmerz zufügte. Schon gar keinen Geist.

  • In die Stille hinein, stachen die harten, kalten Blicke des Syreniae mit denen er die Luft vor sich nahezu erdolchte. Es bedurfte keinem Laut von ihm um Kyleja verstehen oder zumindest ahnen zu lassen was er dachte. Doch als er sie wieder ansah, verschwand dieser Ausdruck aus seinem Gesicht und sie verdrängte diese Gedanken aus ihrem Kopf.
    Sein schuldbewusster Blick trieb ihr ein liebevolles und zugleich beruhigendes Lächeln aufs Gesicht.„Du wusstest es nicht, das ist schon in Ordnung.“ Sie strich mit den Fingerspitzen über seine Wange.


    Bei seinen nächsten Worten hielten ihre Finger in den liebkosenden Berührungen inne. Es war ein harmloser Satz und dennoch bestätigte er, was sich die Nymphe bereits gedacht hatte. Er schien zu denken, dass Malum ihr Geliebter gewesen war.
    Ernst blickte sie in seine stahl-grauen Augen.
    „Ascan, Malum stand mir all die Jahre viel zu nah als das ich mich in ihm hätte verlieben können, ich hätte nicht einmal eine Liebelei mit ihm eingehen können… Er war einfach nur mein grosser Bruder und irgendwie auch ein Vaterersatz für mich – ich habe meinen echten Vater niemals kennen gelernt weisst du… Doch Malum hat mich geliebt und als ich den anderen Mann mit meinem Duft betört habe um ihn zum Gehen zu bewegen… hat Malum erkannt, was es heisst in eine Nymphe verliebt zu sein… er hat sich allein entschieden von den Klippen zu springen… und das obwohl er mir versprochen hat immer für mich da zu sein und mich niemals zu verlassen… weisst du Ascan, es tut weh wenn jemanden den man wie ein Familienmitglied liebt ... zu verlieren“ Sie atmete tief durch um die Tränen zurück zu halten, die bereits wieder verräterisch in ihren Augen brannten.
    „Das was ich für Malum empfinde unterscheidet sich in jeder Hinsicht von dem, was mich zu dir hinzieht“, hauchte sie und neigte den Kopf um ihre weichen Lippen auf die Wange des Geflügelten zu legen. Zärtlich zeichneten ihre Lippen seine Kieferlinie mit gehauchten Küssen nach, beschworen ihn in der Absicht die Eifersucht aus seinem Herzen zu tilgen, ihm zu zeigen, dass er der Einzige für sie war.
    Dennoch spürte die Nymphe in sich dieses Gefühl, welches sie bereits so oft gespürt hatte nachdem sie einen Mann für sich gewonnen hatte. Es war eine stetige Unruhe, eine Art von innerer Unzufriedenheit. Gram darüber, dass es nicht der richtige Mann gewesen war. Doch Ascan war anders, Minaril hatte das vorher gesehen. Und so rang die Nymphe dieses grässliche Gefühl nieder. Sie war noch immer voller Neugierde was den Raben betraf. Die Schwarzhaarige wollte noch so viel von ihm wissen. Und wenn er letztendlich doch nicht die wahre Liebe sein sollte, so könnte er vielleicht ein enger Vertrauter werden.
    Inzwischen waren ihre Lippen bis zu seinem Mundwinkel gewandert. Zärtlich knabberte sie an seiner Unterlippe, bevor sich ihre Lippen schliesslich zu einem zarten Kuss gänzlich auf die des Syreniae senkten. Sie hatten noch so vieles zu bereden, aber nun da sie sich wiedergefunden hatten, verspürte die Nymphe keine Eile mehr. Sie hatten Zeit und sie würde sich diese Zeit nehmen.

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