[vor einem halben Jahr]
Mühsam erklomm Tohe die Balken zu seinem Versteck. Nicht nur, dass er all seine Kraft bei der Flucht vor den Wachen aufgebraucht hatte, den Schlag mit dem Knüppel, den ihm der eine Mann verpasst hatte um ihn zu stoppen, schmerzte immer heftiger an seiner Seite. Und so ganz verstand er immer noch nicht, was da eigentlich gerade passiert war, warum waren die Wachen ihm plötzlich nicht mehr gefolgt? Und wer war diese Gnomin und die andere komische Frau, die ihn noch nichtmal angesehen hatte? Die Gnomin hatte ihm doch tatsächlich helfen wollen und das Brot und die Äpfel für ihn bezahlen. Das hatte noch nie jemand für ihn getan. Und die Frau in Blau hatte mit ihrer Stellung, die sie aus irgendeinem Grund inne hatte, auch wenn sie nicht danach ausgesehen hatte, den Wachen Einhalt geboten. Irgendwie war sie komisch gewesen. Hielt die Männer davon ab, ihn weiter zu schleifen, schaute ihn aber nicht an. Endlich zog er sich auf die dünnen Bretter, des offenen Dachstuhls. Ein leises Gurren, der Tauben, die noch ein Stück über ihm brüteten, begrüßte ihn. Aber noch viel weniger, als die Blaue Frau, ging ihm diese rothaarige Gnomin nicht aus dem Kopf. Sie hatte ihm wirklich geholfen. Ohne sie hätte er die rechte Gelegenheit wohl verpasst um sich mit einem kräftigen Tritt – er hatte wirklich alle Kraft, die er zusammenbekommen konnte eingesetzt – zu befreien. Allerdings hatte er fast die Schmerzen in seiner Seite unterschätzt und, der Weg über die Kisten war nicht der Beste gewesen um wirklich schnell weg zu kommen. Viel zu unbeholfen hatte er sich die Kisten hochziehen müssen und die Männer waren deutlich geschickter beim Klettern gewesen als er. Doch irgendwie hatte er es in diese Gasse geschafft und als er sie am anderen Ende wieder verlassen hatte, waren sie nicht mehr hinter ihm. Trotzdem hatte er einen riesigen Umweg zu seinem Versteck gemacht und ließ sich nun erschöpft auf dem alten Sack, den er als seine Decke betrachtete, nieder. Der Hunger nagte immer noch in ihm und außer Schmerzen hatte ihm sein Versuch von der Obsthändlerin etwas zu stehlen nichts eingebracht. Irgendwann heute musste er also nochmals raus um doch noch irgendwas zu Essen zu finden.
Ja er hatte auch schon darüber nachgedacht, die Eier der Tauben zu stehlen, allerdings hatten die ihr Nest doch so geschickt gebaut, dass er so ohne weiteres da nicht ran kam und außerdem würde das bedeuten, sein Frühwarnsystem zu zerstören. Den einzigen Vorzug, denn dieser Anbau an eine Lagerhalle hatte, war dass die Tauben schnell mitbekamen, wenn sich jemand dem Dach näherte. Dafür hatte der Unterschlupf allerdings so einige Nachteile. Angefangen dabei, dass er nach drei Seiten offen war und nur ein paar Kisten mit verrosteten Töpfen und irgendwelcher Schalen, die allesamt einen Sprung hatten, ein wenig den Wind und Regen von der Westseite abhielten, war das Dach auch nicht so wirklich dicht und bei Starkregen konnte man sich nur noch in einer winzigen Ecke wirklich trocken aufhalten.
Vorsichtig zog er das viel zu große Hemd aus, was er trug, seine Federn an den Armen sträubten sich recht unangenehm gegen den Stoff und er war froh, als sie endlich wieder frei waren.
Der feste Griff der Wachen hatte zudem einiges an Schaden angerichtet und er fühlte sich wie ein gerupftes Huhn, als er so die abgeknickten Federn an den Unterarmen in Augenschein nahm. Gerade die weißen, die sich in der Nähe seines Handgelenks befanden hatte es am schlimmsten erwischt. Vorsichtig strich er über die Federn, versuchte sie wieder zu ordnen, aber bei vielen der querstehenden Federn half das nichts, die musste er wohl abschneiden und dann warten, bis sie ausfielen. Er hasste das, das fühlte sich immer Wochenlang komisch an, wenn so viele Federn zuerst viel zu abrupt endeten und dann eine ganze Zeit lang eine Lücke in seinem Federkleid war. Aber bevor er zu seinem alten schattigen Messer griff, wanderte sein Blick zu seinem Rippenbogen, der nun schon langsam anfing sich blau zu verfärben und zu pochen begann. Der Wachmann hatte wirklich ordentlich ausgeholt um ihm seinen Knüppel in die Seite zu schlagen. Behutsam tastete er über die getroffene Stelle, ein scharfer Schmerz schoss an seiner Seite entlang, ließ ihn kurz aufkeuchen und trieb ihm die Tränen in die Augen. Was ihm gleich ein aufgeregtes Flügelschlagen der Taube einbrachte.
„Isse schon gut.“ flüsterte er an das Tier gewandt, wohl wissend, dass es ihn nicht verstand, er war immer noch erstaunt darüber, dass sie so nah bei ihm brüteten.
Er hatte keine Ahnung, was er gegen die Prellung, er hoffte, dass es nicht mehr war, tun konnte, oder wie er damit umgehen sollte.
Im Waisenhaus hätte sich, auch wenn er sich eine ordentliche Standpauke anhören müssen, jemand darum gekümmert. Hätte vermutlich irgendetwas draufgeschmiert, was helfen würde. Aber was? Und wo bekam er das her?
Um seine Füße kümmerte er sich schon gar nichtmehr, die waren schon seit Tagen zerschunden und schmerzten. Für den Moment schien es eine gute Idee gewesen zu sein, seine Schuhe gegen etwas zu essen zu tauschen, aber so langsam bereute er diese Entscheidung. Andererseits, wäre er vielleicht jetzt auch schon längst verhungert, wenn er es nicht getan hätte.
Das einzige, was er jetzt für den Moment tun konnte, war also sich um seine Federn zu kümmern und eine neig zu hoffen, dass sich das Hungergefühl dabei ein wenig in den Hintergrund drängen ließ.