Der Markt der Künste

  • Schon in den frühen Morgenstunden kam eine gewisse Spannung in den Straßen des Künstlerviertels auf. Der Tag, den man vielerorts in der Stadt bereits seit Tagen angepriesen hatte, scheuchte viele müde Gesichter schon zeitig aus den Betten.
    Es wurde gebaut, geräumt, geschoben, gerichtet, dekoriert, verziert und verschönert, wo immer geschäftige Hände gerade ihren Platz fanden, sodass schon beim ersten vollen Tageslicht eine beeindruckende Fülle von Kunstwerken die breiten Straßen und Plätze des Viertels bereicherte.

    Die Neugierigsten kamen bereits jetzt, um sich an den Wunderwerken zu erfreuen, die die Künstler an diesem Tag der Öffentlichkeit präsentieren wollten, doch ihre Zahl hielt sich noch in Grenzen.
    Die Künstler selbst waren es, die in kleineren oder größeren Gruppen zusammen standen und sich nach Stil, Techniken oder Arbeitsweisen der anderen erkundigten. Bekanntschaften wurden geschlossen, aufgefrischt oder gefestigt - und jungen Künstlern war die Gelegenheit geboten, sich mit Wort und Werk selbst vorzustellen.

    Ascan hatte die milde Nacht auf einem der Balkone verbracht. In einer Hängematte, die nur für ihn gemacht zu sein schien, doch das rege Treiben war auch ihm nicht entgangen. Von erhöhter Warte blickte der Sylph auf die wachsenden Besucherströme, die sich dem Markt der Künstler näherten und es ließ sich beobachten, dass viele die Gelegenheit für günstig erachteten, mit den Künstlern um einen besonders günstigen Preis zu feilschen.
    Wie das bunte Zuschauermeer, das aus allen Völkern und Bevölkerungsschichten ganz Nir’alenars zu stammen schien, wurden doch nun auch andere Gestalten von dem Treiben angelockt.
    Einige, die weniger an der sichtbaren Kunst, als an ihrer eigenen interessiert schienen, die Taschen der abgelenkten Besucher um einigen Wert zu erleichtern… und wiederum andere, die die Gelegenheit nutzen wollten, um ihre eigenen Talente in der Bardenkunst, dem Tanz oder der Akrobatik zu präsentieren.


    An diesem Ort und zu dieser Stunde durfte wohl jeder Künstler mit einem größeren und spendableren Publikum als üblich rechnen - sowie zugleich jeder Besucher davon ausgehen durfte, einen unvergesslichen Anblick mit sich nach Hause bringen zu können.


    Zwei der schmaleren Vordächer als Zwischenstufen nutzend, sprang Ascan auf die Straße hinab, richtete seine Kapuze und mischte sich nach einem flüchtigen Blick über die Schulter in den wachsenden Strom der zum Markt wehenden Leute.

  • Er war ziemlich dick, das musste man trotz Höflichkeit zugeben, und die Kleidung, die er trug, konnte das nur schwerlich verbergen. Hinzu kam sein pausbäckiges Gesicht, das rot angelaufen war und ihn nun wie eine rote Kugel aussehen ließ. Der dicke Künstler, der auf dem Stand vor sich kleine hölzerne Figuren ausgebreitet hatte, regte sich gerade lautstark auf. Wenn man genauer zuhörte konnte man erahnen, dass seine Frau, eine blasse Gestalt, wohl einige seiner Kunststücke nicht nach seinen Wünschen angeordnet hatte. Er zeterte und schimpfte, so dass man es über die halbe Straße hören konnte.


    Seine Schimpftiraden brachen erst ab, als sich eine Kundin seinem Stand näherte. Sofort wurde er sehr geschäftig und ereiferte sich über seine kleinen Kunstwerke, während man die Kundin nur nicken sah. Sie trug ein langes, rotes Kleid, das den einen oder anderen Beobachter an die Farbe erinnerte, die bis vor kurzem noch das Gesicht des dicken Künstlers geziert hatte. Ihre dunklen Augen flogen über das, was der dicke Mann anbot, dann, mitten im Satz, sah sie ihn an, schüttelte lächelnd den Kopf und drehte sich um.


    Mit einem amüsierten Schmunzeln auf den Lippen schlenderte Tamar weiter über den Markt und sah sich dabei sehr interessiert um. Sie blieb an einem Stand hängen, an dem eine leicht schrullige Frau selbst gefertigten Schmuck anpries. Ihre Augen glitten schnell über das Sortiment, als suche sie etwas Bestimmtes. Der geschulte Blick blieb an einem silbernen Ring hängen, der die Form einer sich windenden Schlange hatte. Tamar trat interessiert nähert.

  • Er hielt sich vielleicht länger als nötig bei den lebensgroßen Marmorfiguren auf, die teils realistischen teils mythologischen Motiven entsprachen. Manche schienen gar vollkommen der Fantasie des Künstlers entsprungen. Doch als eben dieser immer öfter herüberblickte, ihn aufs Höflichste begrüßte und immer offensichtlicher auf ein Verkaufsgespräch aus war, lenkte Ascan seine Schritte - ohne den Verlust weiterer Worte - zum nächsten Stand.


    Einen Blick warf er noch über die Schulter zurück – und verdankte es nur seinen Reflexen, dass er nicht auf den Hund trat, der sich mitten zwischen den Schaulustigen entschlossen hatte, eine Siesta einzulegen. Das Tier war alt, längst so grau wie ein Greis, und trug zahlreiche hässliche Narben in seinem borstigen Fell.
    Einem Fremden erging es im nächsten Moment wenig anders als dem Sylph, doch obwohl es ihn nur ein unelegantes Stolpern gekostet hatte, begann der Mensch sich maßlos über das Tier aufzuregen. Ascan blieb an Ort und Stelle und als der Fuß des Zornigen auszurutschen drohte, packte er ihn grob beim Arm. „Seid Ihr sicher, dass Ihr das tun wollt?“ fragte er mit einer dunklen Ruhe, die sich in vielen Jahren stets wirksamer erwiesen hatte als jede offen ausgesprochene Drohung.


    Der Fremde reagierte mit einem Blick, aus dem sowohl Überraschung als auch zusätzlicher Zorn sprachen, riss seinen Arm los und wandte sich dem Sylph zu. Doch in der Miene des Mannes hatte es zu arbeiten begonnen. Man wog ab, ob ein altes, faules Tier eine offene Auseinandersetzung wert war – zudem wusste man nicht zu bestimmen, welche Tücke sich unter der Kapuze des Gegenübers verbergen mochte.


    „Wenn ich es nicht tue, tut es eh der nächste!“ maulte der Fremde etwas gefasster und drängelte sich weiter.
    Ascan sah ihm noch nach, bis die Leiber der Umstehenden die Sicht auf ihn versperrten, dann hockte er sich zu dem Tier und berührte es mit Vorsicht an der krummen Schulter. Der antike Rüde kaute schlaftrunken auf seinem Speichel, machte jedoch keine Anstalten, sich einen sicheren Schlafplatz zu suchen.


    Nicht wenige Blicke wandten sich verwundert in seine Richtung. Der alte Hund hing so träge über Ascans Schultern, dass einige meinen mochten, das Tier habe eben das Zeitliche gesegnet und müsse nun entsorgt werden.
    Der Sylph lud den Hund achtsam in einer Seitengasse ab, wo es unwahrscheinlich war, dass sich ein wütender Fuß her verirren würde. „Schlaf besser hier…“, grinste Ascan. „…du magst deine Jahre auf dem Buckel haben, aber sich deswegen zu Muß treten zu lassen, solltest selbst du nicht vorziehen.“
    Der Rüde sah ihn aus trüben Augen an und streckte sich müßig, bevor er langsam von dannen zu schlurfen begann.


    Ascan konnte ihn nicht beneiden. „Dir ist wohl auch keine Rast vergönnt, hm…“ Er stand aus der Hocke auf, klopfte sich die grauen Haare von den Schultern und setzte ziellos einen Fuß vor den anderen, bevor er etwas an einem der Stände entdeckte, das ihm nicht ganz neu war… oder täuschte er sich?


    Den Stand einmal zur Hälfte umrundend, konnte er die Zweifel getrost vergessen. Man kannte dieses Gesicht… aber ob man selber von ihr noch gekannt werden wollte?


    Ohne etwas zu übereilen, verschränkte der Sylph die Arme vor der Brust und verfolgte wortlos, welche Schmuckstücke durch die Finger der Kunsthändlerin wanderten.

  • Ein prüfender Blick, der die kennerischen, schnellen Finger begleitete, durch die schon so viele Schmuckstücke gegangen waren. Die dunklen Augen begutachteten das ihnen Dargebotene nüchtern und distanziert, bis sie den kleinen grünen Stein entdeckten, der als Schlangenauge in den Ring eingelassen war. Ein fasziniertes Funkeln mischte sich in den Blick, erwiderte den Glanz des kleinen Edelsteins. Für einen Moment schien es, als schwebe etwas in der Luft, als fände so etwas wie ein Gespräch zwischen dem Stein und ihren Augen statt.


    Dann, ganz plötzlich, blinzelte sie. Etwas schien sie erschreckt zu haben. Behutsam, aber dennoch sehr bestimmend legte sie den Stein wieder an seinen Platz. Für einige Augenblicke schien ihre bis dahin so ruhige, beinahe stoische Art einer inneren Hektik gewichen, die ihre Augen hastig über die Auslage trieb, ohne dass diese wirklich wahrnahmen, was sie sahen. Der Ausschnitt ihres Kleides verriet, dass ihr der Atem schwer in der Brust ging. Man konnte meinen, sie habe einen Geist gesehen.


    „Alles in Ordnung?“ fragte die Verkäuferin, der Tamars seltsame Reaktion nicht entgangen war. Sie wirkte allerdings weniger von ehrlichem Interesse getrieben als von dem Wunsch, den Ring zu verkaufen. Die junge Frau im roten Kleid sah zu ihr auf und nickte. „Ja, ich habe nur an etwas gedacht. Alles in Ordnung.“
    Die Verkäuferin nickte. „Ahja. Und, gefällt Euch der Ring?“
    „Er ist durchaus hübsch.“ Gab Tamar zu und nahm ihn wieder in die Hand. „Allerdings weiß ich nicht recht, ob ich Verwendung dafür habe.“


    Sie sah sich nachdenklich ein wenig um, sah von der Auslage vor ihr zum nächsten Stand, auf die Straße, über den staubigen Boden… bis ihr Blick an einer dunklen Gestalt haften blieb. Stück um Stück kletterte er den Mantel hinauf, bis er auf Augenhöhe innehielt. Tamars Augenbrauen zogen sich nachdenklich zusammen, aber nur für den Bruchteil eines Augenblicks. Als sie ihn erkannte, legte sich ein leichtes Schmunzeln auf ihre Lippen.

  • Als ihr Blick ihn fand, hob Ascan die Hand zu seiner Kapuze. Eine zweideutige Bewegung, konnte sie doch sowohl als Gruß, als auch Sicherstellung verstanden werden, ob der Schatten des schwarzen Stoffes noch tief genug über sein Gesicht fiel.


    Er trat näher an den Stand und warf einen Blick auf die filigranen Stücke. Die Verkäuferin maß ihn mit unverhohlenem Misstrauen. Ihre Lippen schienen blasser und dünner zu werden, mehr noch, als er eine Hand auf den Auslagetisch stützte. Langfinger, Dieb, Tunichtgut, schien es aus ihren Augen zu blitzen.


    „Man scheint sich doch öfter über den Weg zu laufen“, sprach er die bekannte Fremde aus der Goldenen Schatulle an. Sein Blick streifte den Ring in ihren Fingern flüchtig.

  • Sie schwieg einen kleinen Augenblick länger, als es höflich gewesen wäre, ohne dabei ihre Augen von ihm abzuwenden. Es lag ein unbestimmtes Interesse in ihnen, als sie langsam über sein Gesicht glitten. Scharf sog sie die Luft ein, bevor sie antwortete.


    „In der Tat.“ Tamar legte den Ring aus der Hand, den sie bis eben gehalten hatte, und ging einen Schritt auf ihn zu. „Ich ging allerdings nicht davon aus, Euch noch einmal zu begegnen. Das letzte Mal, als wir uns sahen… habt Ihr mich doch recht abrupt stehen lassen.“


    Schwang Vorwurf in ihrer Stimme mit? Nein, einem Fremden war ein solches Verhalten, wie er es zuvor an den Tag gelegt hatte, nicht vorzuwerfen. Zudem waren ihre Augen, die auf den ersten Blick fast schwarz schienen, frei von jeden Vorwürfen. Nein, vielleicht wollte sie ihn einfach nur aus der Reserve locken… Sie lehnte sich leicht gegen den mittleren Stützpfeiler des Verkaufsstands. Es sah aus, als wolle sie noch etwas sagen- etwas Freundlicheres, ihrem Blick nach zu urteilen. Doch bevor ein Laut ihre Kehle verlies, schloss Tamar diese wieder. Sie würde seine Reaktion abwarten.

  • Ascan hob eine Augenbraue. „Man hat nicht erwartet, dass Ihr eine Umarmung zum Abschied bevorzugt hättet…“
    Er neigte den Kopf zur Seite, sodass eines seiner Augen das Licht des Markttreibens einfangen konnte. Etwas Neckisches mischte sich in das flüchtige Funkeln der Farben, doch es erforderte ein aufmerksames Auge, sich nicht von der ungewöhnlichen Art seines Blickes irritieren zu lassen, der rasch wieder von Schatten verdeckt wurde.
    Ascan bezweifelte, dass sich die Angehörigen seines Volkes allzu oft in den Trubel dieser Großstadt wagten und so konnte er nicht sicher sein, ob die Kunsthändlerin seinen Scherz als solchen zu erkennen wusste.
    „Ich könnte Euch meinen Namen nennen, falls Euch das für den verlorenen Abschied entschädigt.“


    „Kann man Euch helfen, werter Herr? Plant Ihr, etwas zu kaufen? Wenn nicht, möchtet Ihr bitte Platz für andere schaffen“, erklang die Stimme der Verkäuferin kühl genug, um den Worten der Höflichkeit eine offenkundige Geringschätzung zu verleihen.

  • „Eine Umarmung…“ Ein dunkles Schmunzeln huschte über Tamars Lippen. „Nein, so anspruchsvoll bin ich nicht. Mir hätte eine schlichte Verabschiedung vollauf genügt.“
    Sie zwinkerte lächelnd. Dann dachte sie einen Augenblick lang über sein Angebot, seinen Namen preiszugeben, nach, und spielte dabei gedankenversunken mit dem Ring an ihrem Finger. Sie wollte gerade antworten, da fuhr die Verkäuferin ihren Gesprächspartner an.


    Ihr Kopf wandte sich beinahe automatisch der Frau zu. Tamar sah sie verblüfft an. Man musste annehmen, dass es die Unhöflichkeit der soeben gehörten Worte war, welche sie dazu verleitete, beinahe mit offenem Mund die Frau anzustarren. In Wirklichkeit war die Tochter eines Händlers erstaunt über derart kontraproduktive Verkaufsstrategien. Sie musterte die Frau gering schätzend. Leise atmete sie einmal tief ein und aus, bevor sie das Wort erhob.


    „Entschuldigt bitte, aber Ihr unterbrecht unser Gespräch.“ Meinte sie sehr bestimmend und wandte sich dann wieder Ascan zu. „Wo waren wir? Achja, Ihr wolltet mir Eur…“
    Sie kam nicht dazu, ihren Satz zu beenden. Die Verkäuferin sprach sie an, nachdem sie sich von der höflichen Abfuhr erholt hatte.
    „Dann solltet Ihr Euer Gespräch andernorts fortsetzen, um Platz für andere…“ Und bei den nächsten Worten sah sie ganz eindeutig die Hand an, welche Ascan auf dem Verkaufstisch platziert hatte. „Ehrliche Kunden zu machen.“


    Im Bruchteil einer Sekunde hatte sich Tamar der Frau zugewendet. Es war unübersehbar, dass ein kalter Zorn in ihr aufstieg, als sie die Verkäuferin mit ihrem Blick geradezu an die Rückwand des Standes presste. Selbst Ascan musste auffallen, dass sie sich schlagartig verändert hatte. Etwas Grausames lag in ihrem Blick. Mit einem Mal war die Stille bis zum Zerreißen angespannt, und obwohl neben ihnen das bunte Markttreiben weiterging, so hätte man hier eine Stecknadel fallen hören. Die Verkäuferin schluckte.


    Tamars Stimme war kalt und herablassend, als sie die Stille wie eine Klinge durchschnitt. „Ihr solltet lieber dankbar sein, dass sich jemand für Euren Plunder hier interessiert, anstatt infame Unterstellungen herumzuschreien, alte Schachtel.“ Jedes ihrer Worte war klar und Hart wie ein Messerschnitt. „Ich unterhalte mich mit wem ich will und wo ich will. Und ich schwöre Euch, wenn Ihr noch einmal mich oder meinen Freund hier der Unehrlichkeit bezichtigt, dann werdet Ihr das bitter bereuen. Habe ich mich klar ausgedrückt?“


    Die Verkäuferin nickte stumm. Sie schien tatsächlich Angst bekommen zu haben. Auch Tamar nickte, und obwohl sie ihrem Ärger Luft gemacht hatte, leuchteten ihre Augen immer noch gefährlich dunkel. Sie wandte sich wieder Ascan zu. „Kommt, wir gehen.“ Forderte sie ihn energisch, jedoch ohne den boshaften Unterton in der Stimme, auf.

  • Ascan wandte dem Stand den Rücken und suchte sich, seine Gesprächspartnerin im Blick behaltend, einen Weg durch die wachsende Zahl der Umstehenden. Immer öfter geriet er dabei unfreiwillig mit Fremden in Berührung oder schob sich aus Platzmangel eng an ihnen vorbei. Ein hoffnungsloses Gedränge entstand schließlich, als ihre Richtung sie über eine Treppe auf einen höher gelegenen Ausstellungsplatz führte.
    Ascan wurde Flüche los, von denen er nicht geglaubt hatte, sie jemals benutzen zu müssen.


    Seine neue Bekannte war - zu allem Überfluss - außer Sicht geraten, als sich die Menge schlussendlich lichtete.
    Ascan zog grob seine Kapuze tiefer und lenkte seine Schritte zu dem großen Brunnen im Zentrum des Platzes.


    Von dessen Rand versprach sich ein besserer Überblick. So weit konnte sie sich noch nicht entfernt haben...

  • Die Menge, die sich über den Markt schob, war ebenso dicht gedrängt wie bunt. Wer hier nicht auffallen wollte, brauche sich keine sonderliche Mühe zu geben. Tamar war daher nur für einen kurzen Moment verwundert, als sie den Fremden aus den Augen verlor. Sie blieb stehen und sah sich um, aber die Vorstellung, in diesem Gewühle jemanden wieder zu finden, war beinahe utopisch. Zudem war sie machtlos gegen die immer weiter drängelten Besucher, die sie unaufhaltsam mit sich rissen wie ein Fluss ein kleines Blatt.


    Erst als sich die Menge lichtete, konnte sie wieder stehen bleiben, ohne sich den Ellbogen anderer Leute ausgesetzt zu sehen. Sie sah sich um, ob noch Hoffnung bestand, den Fremden wieder zu finden. Eine Gestalt in einem langen schwarzen Mantel musste doch unter den üblichen Marktbewohnern auffallen! Ihr Blick schweifte über den ganzen Platz. Da, am Brunnen- nur für einen kurzen Augenblick hatte sie eine dunkle Gestalt sehen können, bevor sich erneut laut schwatzende Leute an ihr vorbei geschoben hatten.


    Obwohl sie sich nicht sicher war, was sie gesehen hatte, machte sich Tamar zum Brunnen auf. Eine Spur war besser als keine, und sie empfand es als unhöflich, nicht wenigstens nach ihrem Gesprächspartner zu suchen. Sie schlängelte sich zwischen den Marktbesuchern hindurch und sah sich erneut um, als sie am Brunnen angekommen war…

  • Als hätte sie schon immer da gestanden, entdeckte Ascan sie plötzlich nur einen Schritt weit vom Brunnenrand entfernt.
    Der Sylph trat auf die weißen, knapp einen Meter hohen Steine, die das flache Wasserbecken des Springbrunnens umrahmten und umging es auf diese Weise, sich weiter durch die Leute drängeln zu müssen.
    Ihr Blick wanderte so abgelenkt über den Platz, dass er auf diesem Wege unbemerkt hinter sie treten konnte. Dort nahm er dann ruhig Platz und betrachtete sie. Der Schnitt ihres roten Kleides erlaubte einen Blick auf ihren freien Rücken.


    Die Situation hatte etwas Verspieltes, das er nur ungern beendete, wie er sich eingestehen musste. Trotz allem gebot es die Ehre, den eigenen Anstand nicht für bloße Belustigung zu opfern.

    Ascan.“ Seine Stimme klang gut vernehmbar selbst durch das Rauschen des Brunnens… bedachte man zudem, dass er sie hätte berühren können, hätte er die Hand nach ihr ausgestreckt.
    Ein stilles Lächeln legte sich auf seine Lippen.... doch das sahen nur die Schatten.

  • Ein wenig erschrocken zuckte Tamar zusammen und drehte sich der Stimme zu. Sie war sich nicht einmal sicher, ob jenes Wort ihr gegolten hatte, aber die Stimme hatte so nah geklungen… Sie hielt eine Hand über die Augen, um nicht vom Licht geblendet zu werden. Dann sah sie ihn, diese dunkle Gestalt, die sich vor dem kristallklaren Wasser des Brunnens so deutlich abzeichnete. Tamar blinzelte erstaunt, als habe sie nicht erwartet, ihn wieder zu sehen.


    Ascan… Das hatte er eben gesagt. Noch bevor Tamar die Frage, was er damit gemeint haben könnte, zu Ende denken konnte, wusste sie die Antwort schon. Natürlich, das hatte sie im Gedränge beinahe vergessen. Bevor sie darauf reagierte, fiel ihr aber noch etwas anderes ein. Sie schmunzelte.
    „Schleicht Ihr Euch immer so von hinten an andere heran? Manch schreckhafte Natur könnte das durchaus missverstehen und Euch im Reflex angreifen.“


    Sie beschloss, es bei dieser kleinen spitzfindigen Bemerkung zu belassen und reichte ihm die Hand. „Ascan also? Ich bin Tamar Yalin. Freut mich.“

  • Er nahm ihre Hand. "Ascan - Bran Boréas... da Ihr mir ebenfalls Euren vollen Namen nanntet, Tamar Yalin."


    Ihr Handschlag legte eine selbstsichere Kraft an den Tag, die von ihm bewusst für einen Moment erwidert wurde, ehe er seine Hand wieder zurückzog.
    „Setzt Euch“, bot er Tamar einen der weißen Steine neben sich an.


    Obwohl sich die Stimmen und Geräusche eines voll belebten Platzes um sie zusammenschlossen, schien das Rauschen des Brunnens einen ganz eigenen, abgeschlossenen Raum zu erschaffen.
    Nur das Klingen eines Tamburins vermischte sich beschwingt mit dem stetigen Plätschern und man konnte die Musikerin ab und an erkennen, wenn sich eine Lücke zwischen den vorbei Gehenden öffnete.


    Die Schellentrommel hatte sie sich vor den Bauch gebunden und wann immer der Rhythmus einen Höhepunkt erreichte, spielte sie mit der anderen Hand geschwind ein paar heitere Töne auf der Flöte.
    Eine Gruppe von Kindern bestaunte sie mit besonders großen Augen, doch kaum ein Erwachsener hielt auf seinem Weg inne, um sich von ihrem Spiel erfreuen zu lassen.

  • Langsam zog sie die Hand zurück, als Ascan sie los gelassen hatte, und fuhr beinahe unmerklich noch einmal mit dem Daumen über die Handfläche, als wolle sie die eben gespürte Berührung Revue passieren lassen. Sie strich eine der dunklen Haarsträhnen hinters Ohr, bevor sie sich neben ihn setzte. Den Abstand zu ihm schien sie dabei genau bedacht zu haben, saß sie doch weit genug weg, um der Höflichkeit genüge zu tun, aber doch nicht so weit, als dass er glauben musste, sie würde ihn meiden. Für einen Augenblick lang genoss sie das ruhige Schweigen. Ständig wollte ihr jemand etwas erzählen, das war der Fluch ihres Berufes- umso mehr genoss sie es, für einen Moment lang nur dem Plätschern des Brunnens zu lauschen.


    Ein sanfter Windstoss drängte sich vom Brunnen her an ihnen vorbei und trug den feinen Duft, der Tamar anhaftete, hinüber zu Ascan. Jemandem, der so offenkundig Wissen über das Parfümhandwerk aus Corandir besaß, konnte dieser zarte Geruch nach Hagebutten und Jojoba durchaus bekannt vorkommen.
    Der Wind spielte mit Tamars offenem Haar, ließ an ihrem Gesicht entlang tanzen. Sie verfolgte es mit den Augen, die dann langsam weiter wanderten, bis sie an der Straßenmusikerin hängen blieben. Sie sah die Freude und Hingabe, mit der die Frau trotz all der schweren Gerätschaften an ihrem Körper musizierte, und sie sah die glühende Begeisterung in den Augen der Kinder. Eine verträumte Leichtigkeit mischte sich in ihren Blick.


    „Die Freude von Kindern…“ murmelte sie. „Es gibt wenig in dieser Welt, das schöner ist als ein fröhliches Kinderlachen. Jeder noch so triste Ort beginnt zu leuchten, wenn in ihm ein Kind lacht. Wir sollten versuchen, uns auch im Alter diese Freude zu bewahren.“ Tamar wandte ihm wieder den Kopf zu und lächelte. „Findet Ihr nicht auch?“

  • Ascan hatte aus den Augenwinkeln einen Künstler beobachtet, der, um Unauffälligkeit bemüht, eine Staffelei einige Meter von ihnen entfernt aufgestellte hatte – und nun in regelmäßigen Abständen seinen Kopf hinter dieser hervor streckte, um ihnen rasche Blicke zuzuwerfen.
    Die Hand des Sylphen wanderte gerade zu seiner Kapuze, als Tamar zu sprechen begann. Das Lächeln auf ihrem Gesicht ähnelte auf so verwirrende Weise der Freude, die in den Augen der Kinder strahlte, dass er sie einen Moment lang bloß gedankenlos anstarrte.


    Als ihm das bewusst wurde, suchte er kurz den Himmel nach einer Antwort ab und entgegnete: „Ein guter…“
    Weiter kam er nicht, denn plötzlich fiel etwas laut schluchzend auf seinen Schoß.


    Etwas… mit einem Meer an braungoldenen Locken… das kurz darauf aus tränennassen, braunen Augen hoch schaute und bitterlich schniefte.
    „Ich… Ich…“, erklang das zitternde Stimmchen des kleinen Mädchens und mit einem Blick, der wohl selbst einem Valisar einen Stich des Mitgefühls versetzt hätte, blinzelte sie Tamar an.
    „Ich…“, piepste sie und Tränen rollten über ihre Wangen.

  • Sie hatte über ihre Schulter zu dem Künstler gesehen, der anscheinend ein Bild von ihnen zu malen versuchte. Eigentlich hatte sie mit einer Antwort Ascans gerechnet; umso mehr erschrak sie, als seine Stimme von einem lauten Schluchzen unterbrochen wurde.
    Tamar wandte ihm rasch den Blick zu und zog erstaunt eine Augenbraue hoch, als sie das kleine, weinende Mädchen sah. Viele Gedanken schossen durch ihren Kopf, das war ihren Augen deutlich anzusehen. Wer war das Kind? Kannte Ascan es? Ihre Gedanken wurden jäh unterbrochen, als die Kleine sich mit einem unglaublich herzerweichenden Blick ihr zuwandte.


    „Oh, meine Kleine.“ Sie kniete sich ohne zu Zögern auf den staubigen Boden vor das Kind, so dass sie auf Augenhöhe waren. Vorsichtig wischte sie eine der Tränen von der rosigen Wange des Mädchens. „Was hast du denn?“
    „Ich…“ Die Kleine sah Tamar mit den großen, tränenfeuchten Augen an und schluchzte. Sie warf sich an die junge Frau.


    Für einen Moment war Tamar sehr perplex, das konnte sie nicht verbergen. Dann lächelte sie mitleidig und fuhr mit der Hand über den goldbelockten Kopf der Kleinen. Ihr Blick fand Ascan. „Kennt Ihr die Kleine?“ fragte sie leise.
    Dann wandte sie sich sofort wieder der Kleinen zu und flüsterte ihr beruhigende Worte ins Ohr. Man konnte meinen, es sei nicht das erste Kind, das ihren Weg kreuzte, so ruhig und liebevoll, wie Tamar mit der Kleinen umging.

  • Beteuernd öffnete er die Hände. „Ich sehe sie zum ersten Mal.“


    Die Schluchzer des Mädchens wurden durch Tamars Fürsorge ein wenig leiser. Schließlich wischte sich die Kleine übers Gesicht. „Mein… mein Name ist Milena“, schluckte sie und guckte aufgelöst zu Tamar hoch. „Meine Eltern…“ Sie drehte sich soweit, dass sie zu Ascan schauen konnte. „Meine Eltern sind…“, ein neuer Schluchzer schüttelte sie. „… einfach weg. Ich weiß nicht… wo sie sind. Eben waren sie noch da…“ Neue Tränen kullerten ihr Gesicht hinab.


    Ascan warf Tamar einen kurzen Blick zu, legte dann seine Hand beruhigend auf Milenas Kopf. Sie mochte sieben… vielleicht acht Jahre alt sein. Ohne Frage war die Kleine in dem Trubel verloren gegangen.

  • Tamar schwieg einen Moment lang verwundert. Ein weinendes Mädchen vor sich und einen beinahe tröstenden Ascan… beides Dinge, auf die sie nicht unbedingt gefasst gewesen war.
    Vorsichtig strich sie der Kleinen die Haare aus dem verheulten Gesicht.


    „Milena heißt du? Mein Name ist Tamar.“ Sie lächelte aufmunternd. „Keine Sorge, wir finden deine Eltern bestimmt.“ Das Mädchen schniefte ein wenig ungläubig, bis Tamar sich erhob und ihr die Hand anbot. „Komm, suchen wir deine Mama.“
    „Mir eine… meine Mama suchen?“ Da nickte die Kleine, wischte sich rasch die Tränen am Ärmel ab und griff dann Tamars Hand. Die junge Frau lächelte.
    „Also, wo hast du sie denn zuletzt gesehen?“ „Da!“ Milena deutete mitten in die Menge und wollte sofort loslaufen. Mit einem Lächeln ließ sich Tamar mitziehen. Sie drehte rasch den Kopf nach Ascan um und bedeutete ihm mit einer freundlichen Kopfbewegung, ihr zu folgen.

  • Eher gleichgültig als interessiert ging Violet durch die Menschenmengen die sich hier mittlerweile eingefunden hatten. Dennoch schätzten ihre schon beinahe giftgrünen Augen jede Frau und jeden Mann genaustens ab die an ihr vorbeigingen. An einigen blieb ihr Blick etwas länger hängen, bei anderen wiederrum schaute sie wieder sofort angewiedert weg.
    Wie geschmacklos. oder Die wäre am besten zu Hause geblieben. oder auch Dass sich so jemand überhaupt auf die Straße traut. waren einige von Violets Gedanken. Bei manchen rümpfte sie sogar die Nase und war ziemlich angewiedert. Zugegeben, ihre feine Nase nahm zwischendurch Gerüche auf, wo ihr beinahe sofort speiübel wurde und sie froh war wenn jemand mit einem wohligen Geruch an ihr vorbeiging.
    Mit erhobenem Haupt und einem recht herablassendem Blick ging Violet weiter durch die Massen, blieb hier und dort stehen wenn sie etwas sah, dass ihr Interesse weckte. An einem Schmuckstand verweilte sie einige Zeit, empfand aber nichts davon als brauchbar und wandte sich daher wieder ab.


    Violet bemerkte wie einige der hir anwesenden Männer ihr eindeutige Blicke zuwarfen, wo sie aber die meisten davon nicht weiter beachtete da sie einfach nicht ihren Vorstellungen entsprachen. Einem einzigen, einem recht jungen Mann von großer Statur, blauen Augen und dunklem, mittellangen Haar und mit einem hübsch geschnittenen Gesicht warf sie ein Zwinkern zu welches er erwiederte.
    Violet malte sich schon ihre Chancen aus und wollte zu ihm herübergehen, da würde sie von jemanden angerempelt. Wütend über soviel Blindheit fauchte sie gereizt auf.
    "Kannst du nicht aufpassen wohin du gehst oder hast du etwa Tomaten auf den Augen?", rief sie erzürnt und sah jetzt erst, dass es ein kleines Mädchen war dass den "Unfall" angerichtet hatte. Violets Augen hatten sich zu Schlitzen verengt welche das Mädchen reichlich pikiert ansahen.

  • Ascan schlug einen 'leichten' Umweg ein, um einen Blick auf die Zeichnung des Künstlers zu werfen. Es war wenig Genaues zwischen den vielen Farben zu erkennen und die Frau auf dem Bild besaß keine nennenswerte Ähnlichkeit mit Tamar - der Typ neben ihr sah ihm noch weniger ähnlich.


    So brauchte es einen Moment, bis auch er hinter Tamar und Milena erschien.
    Die beiden standen einer Frau gegenüber, die wenig erfreut über diese Tatsache zu sein schien. Ascan verfolgte eine kleine Gestalt aus den Augenwinkeln, doch der Gnom näherte sich nicht weiter und so vergaß er ihn.


    Bei der Gelegenheit suchte sein Blick die Musikerin. Auch sie schien weitergewandert zu sein. Nirgends Klänge der freundlichen Melodie. Vielleicht fand sie an anderer Stelle ein besseres Publikum.


    Eine Cat'shyrr, machte es den Anschein, doch diese Einsicht nutzte ihnen wenig bei der Suche nach Milenas Eltern.

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