Das Heute bewahren

  • Das Lächeln verstarb, als Ascan die Yassalar abwägend betrachtete. Es stimmte. Es war gut für ihn, keine ernsthaften Verletzungen davon zu tragen - er musste unter allen Umständen kampffähig bleiben - aber das konnte sie nicht wissen. Es hätte auch keine Bedeutung für sie... sie musste einen anderen Grund haben.
    Die Einsicht zuckte eisig, wie einer der nun zahlreichen Blitze, durch seine Adern.
    Tosende Wut kroch ihm den Hals hinauf und ein neuer, krachender Donnerschlag gab ihm Recht. Sie nahm ihn nicht ernst! Sie glaubte, er ließe sich mit halber Kraft abspeisen wie irgendein dahergelaufener Mensch! Ein leichter Gegner? ER??
    Seine Fäuste ballten sich hart. Nein. Ruhig.
    Sie hielt sich zurück, weil sie in seiner Schuld stand…
    UNSINN! Sie war eine Yassalar! Sie wollte ihn demütigen, weil er ihren Dank nicht akzeptieren wollte!


    Zornentbrannt öffnete sich bereits sein Mund, pochten seine Muskeln auf einen weiteren, direkten Angriff, als eine abrupte Veränderung in den Wolken seine Nerven elektrisierte, ihn wieder zu Sinnen brachte. Befreit prasselte Regen aufs Blätterdach. Ein gewaltiges, dunkles Rauschen… die letzte Stimme des Sturms… und bereits innerhalb weniger Sekunden drangen die ersten schweren Tropfen zu ihnen durch, krochen tief ins trockene Laub, rannen zielstrebig über Stoff und Haut. Ascan spürte die Kälte in seinem Nacken, seine Stirn hinab rinnen, die hitzigen Gedanken kühlen… auch wenn Blitz, Donner und Sturm seine Sinne zum Wahn reizen wollte.


    Seine Flügel falteten sich eng an seinen Rücken, während sein erneut beherrschter Blick keine Bewegung der Yassalar unbemerkt ließ. Sollte sie doch verdammt sein, wenn ihr nicht klar war, dass sie nur durch glückliche Zufälle noch fähig war, ihm ihr Mitleid zuzumuten! Er war aus der Übung gekommen und noch dazu kämpfte er ohne jene Waffen, mit denen er am besten umzugehen wusste! Eingeengt zwischen den Bäumen, konnte er nur einen Bruchteil seiner natürlichen Fähigkeiten einsetzen... und noch dazu würde der Regen seine Federn bald schwer werden lassen.
    Um diesen ungleichen Kampf zu gewinnen, musste er ihn schnell beenden!
    Nicht unerreichbar zu ihrer Rechten blitzte offene Fläche zwischen den Bäumen. Die Farben des Regens mischten sich rascher in seinem Blick. Sollte sie es nur als Fluchtversuch betrachten…


    Sein Fuß stemmte sich gegen eine der höheren Wurzeln, stieß ihn ab. So setzte er über das niedrige Gebüsch zu seiner Rechten hinweg, landete gekonnt auf einem Fuß und rannte dem helleren Rauschen zwischen den Bäumen entgegen. „… und jetzt brav mir nach“, schmunzelte er nach einem lauernden Blick über die Schulter.

  • Zarasshin begegnete seinem Blick, in dem die Erkenntnis, den Blitzen gleich, aufglomm. Es lag nicht die Abneigung darin, die ihr sonst entgegengebracht wurde ... doch ein Funkeln in den wirbelnden Augen, das eine Wut zum Ausdruck brachte, vor der die eigene gleichsam verpuffte und sie faszinierte. Sein Gesicht spiegelte seine Empörung, die Elemente, die über ihnen tobten, seinen verletzten Stolz ... So grinste sie ihn spottend an. Ihre Zunge leckte herausfordernd das tröpfelnde Nass von den Lippen. Seine Unruhe kroch ihr fast in das Gesicht, sprang sie an, als ...


    ... als ihr Grinsen gefror, wandelte sich, so dass sie es diesmal war, der die unbändige Wut in das Gesicht geschrieben stand. Es ist der Zorn, der dir schadet ... sie stieß ihn unwillkürlich mit einem Schwall Luft aus. Ihre Nackenhaare stellten sich unwillkürlich auf und ihre Kiemen blähten sich. Momente nur.


    ... als er davon rannte. Nicht sie ansprang, sondern über ein nahes Gebüsch setzte. Eben noch hatte sie geglaubt, er sei schnell mit seinen Fäusten, doch der Sylph war enorm schnell auf den Beinen. Er floh.
    Ich will ihn haben, murrte die innere Stimme übel gelaunt. Zarasshin warf ihm einen bitterbösen Blick hinterher.


    Natürlich folgte Zarasshin ihm nach. Ihr entging sein Blick, den er über die Schulter warf und sie möglicherweise beschwichtigt hätte ...

  • Nur noch wenige Meter ins Freie wollten genommen werden, als sich der Sylph plötzlich zur Seite warf, die Schwärze zwischen zwei Blitzen nutzte, um in den Schatten eines Baumes zu tauchen. Warme Feuchtigkeit lag im Atem, vermischte sich mit dem Regengrau. Er musste seinen Puls beruhigen… seine Sinne wecken… um sie abpassen zu können…


    Durch das Wetterleuchten hatte sich ein flackerndes Zwielicht zwischen die Bäume gesenkt. In das Unterholz selbst schien geisterhafte Bewegung gekommen zu sein… und etwas in diesem Treiben bemerkte die Yassalar… vernahm die Veränderung, die sie weckte… wogegen Ascan im Gespür des stillen Lebens unterging, den Gleichklang von Natur und Bewusstsein nutzte, um ihre Schritte deutlicher vor Augen zu sehen.


    Sie war nah. Sein Körper spannte sich im Schatten. Seine rechte Faust ballte sich, hob sich schlagbereit, als sein linker Arm bereits aus dem Dunkel schoss, mit hartem Griff den Oberarm der vorbei eilenden Gestalt packte und aus dem Laufen heran riss.
    Ein flüchtiger Eindruck glatter Haut, da flog seine Rechte bereits auf ihr Gesicht zu.

  • Ihre baren Zehen krallten sich fest in den Boden, um sich abzustoßen, ihre Arme nahmen Schwung, um sich in der Welt ohne den Widerstand des Wasser der Trägheit zu entheben. Ihn spornt der Donner, sie nicht nur der Regen an ... es war ihr Streben, dieses Spiel zu beenden, bevor der helle Tag anbrach.


    Sie würde es später feigen Hinterhalt nennen -- anders er einer Yassalar wohl nicht begegnen konnte -- als eine Feuersbrunst, im Vergleich für Zarasshin das wohl bedrohlichste Element, ihre Schulter versengte: ein Haigebiss riss an ihrem Oberarm! Am Lauf gehindert, zerrissen in der fließendsten Bewegung, knickten ihre Knie ein, denn sie war Wasser, sie war flüssig, schmiegsam um einen Stein plätschernd, unterdessen sie heftigst zwei ... drei Schritte zurück stolperte, so dass Brocken des nassen Grases sich unter ihren Füßen aufbäumten.


    Mehr Erwiderung auf den Schmerz, der gebunden werden musste, mehr Reagieren zur erhofften Befreiung, ruckte sie mit dem Handgelenk, so dass es links sauber klackte. Unbeirrt sah Zarasshin die energische, geballte Hand, vier Finger viel zu nah an ihrem Gesicht, bewahrt war die Nase möglich durch die weiche Knie, unmöglich durch seine Absicht ... schnelle Faust begegnete, kreuzte gar ihren Kiefer, ihre Wange, das Abschließen des Meinungsaustausches ... ein Stoß ging durch den Körper der Yassalar, als sie dem Hieb nachgab, aber durch seine Hand gehalten wurde.
    Wenig zielsicher zischte der metallene Stift hervor, einem länglichen Tropfen gleich perlte er lautlos, saftig schnell durch die Luft.

  • Ein scharfer Schmerz durchzuckte den Sylph. Anstatt die Yassalar von sich zu stoßen, schloss sich die blasse Hand fester um den schwarzen Arm, versuchten rasche Atemzüge den Ursprung des Schmerzes ausfindig zu machen. Zu kurz. War er wirklich verwundet?


    Ascans Blick sprang gejagt zum Gesicht der Yassalar, als sich mit Mal eine seltsame Wärme an seinem Hals auszubreiten begann. Erschrocken fasste er hinauf. Seine Finger tasteten in warmes Blut.
    „Was zur…?“
    Etwas hatte seinen Hals seitlich verletzt. Die Wunde begann zu stechen, als er gezielter zufasste, um herauszufinden, wie tief der Schnitt war.

  • Zarasshin stöhnte gepresst, gab zischend Atem frei. Sie blinzelte, um die Welt, die sich um sie drehte, anzuhalten. Undeutliche Farben schwammen von einer Seite zur anderen.
    Schnell kam sie wieder zu Sinnen, wurde allem gewahr. Drohungen auf den Lippen, die sich bebend nach oben zogen, während sie die Zähne aufeinander biss, rot gefärbte Spucke dazwischen hervor quoll. Sag ihm, wenn er die Finger nicht von uns nimmt, schneiden wir sie ihm einzeln von der Hand! die Schwester gebärdete sich wild, wollte die Worte hervorpressen, aber Zarasshin unterdrückte den Schrei. Sie lächelte schief, doch es erschien ihr fremd und seltsam. Üblicherweise hätte sie ihn von sich getreten, ihn sogar getötet, wenn sie gekonnt hätte, ungeachtet der Schmerzen, die er ihr verursachte.
    Sie wusste, weshalb sie mit ihm kämpfte. Der Morgen kam, es war eine gute Zeit, um sich an das Gestern zu erinnern, damit das Heute bewahrt wurde. Zarasshin spuckte ihr Blut in das Gras.
    Der Zorn war verschwunden, jedenfalls für den Augenblick und hatte eine Lücke hinterlassen, die sie nun gedachte zu füllen.


    Sie war schnell wie eine Seeschlange, wenn sie ihre Gedanken auf ein Ziel richtete: mit einem Satz sprang sie ihn an. Sie hatte unbeabsichtigt eine Wunde an seinem Hals geschlagen.
    Was konnte ein Händedruck geben, das er nicht abwischen konnte, was ein gesprochenes Versprechen, wenn es vergessen werden konnte. Ein Teil von ihm sollte es sein, unauslöschbar, heiß pochend, während jedem Schritt, den er tat, jedem Flügelschlag, der ihn in die Lüfte hob ...

  • Obwohl sich seine blutverschmierte Hand noch alarmiert gegen ihren Leib richtete, war es unmöglich, ihren Vorstoß abzufangen. Das nasse Laub wurde zur Falle, als es unter seinen Stiefeln wegrutschte - ihm den letzten Halt raubte. Noch im Fallen trieb ihre Schulter in Ascans Magen, presste die Luft mit einem Keuchen hervor, während seine Schwingen sich im letzten Reflex auffächerten.


    Sein Puls raste, während sich der Augenblick des Sturzes bleiern verzerrte.
    Vielleicht wäre es bei einigen geknickten Federn geblieben - bei einigen blauen Flecken - wäre sein Hinterkopf nicht eben auf eine der hervorstehenden Wurzeln geprallt. Ein ungebremster Schlag, gegen den es keine Verteidigung gab.


    Was klar war, verschwamm. Regen, Wald und Welt sprangen blitzartig zu einem winzigen Lichtpunkt zusammen. Kraftlos fielen Ascans Hände ins Laub, sank sein Kopf auf der Wurzel zur Seite, während weit aufgerissene Sylphenaugen die Sicht verlernt hatten.
    Ein Beben lief durch den Körper des Sylphen, wo Muskeln gegen die schlagartige Entspannung rebellierten. Die prasselnden Tropfen schwemmten das Blut aus seiner Halswunde, sammelten sich in den tiefen Falten des schwarzen Stoffes. Sturmdunkle Federn sanken in Schlick und schmieriges Laub.

  • Alle Dinge gehen einmal zu Ende. Eine vertraute Lage, aber deswegen nicht weniger Angst einflößend.
    Fallen, stürzen, kein Wort es blumenreich zu umschreiben, es war schmerzhaft und weder anmutig, noch geschickt zu nennen. Sie wartete darauf, wie der Boden ihnen entgegenkam und ihr Gesicht aufschlug, aber es blieb aus, denn ihre Nase grub sich in seinen Magen, so dass sie wohl einiges an Blut hinterließ, dass aus ihren aufgeplatzten Lippen lief.
    Ihre geschärften Sinne vernahmen wohl den knirschenden Laut, das unsanfte Aufkommen des Sylphen unter ihrem Ansturm. Ihren schmerzenden Arm konnte sie so nicht los reißen, doch sie packte mit der Linken seinen Hinterkopf, erfühlte die weichen Haare, hielt sein Gesicht nah an ihrem silbernen Blick. Sie roch Blut, sie roch den Regen, sie spürte ihr Herz ruhig werden, sie spürte die Zustimmung der Schwester. Sie sah ihn überdeutlich, die Konturen des scharf geschnittenen Gesichtes, welches in der Schwäche all seine Kanten verlor. Ein Lichtstrahl fiel seitlich darauf, eine schattenhafte, wirbelnde Augenhöhle, blasse Haut. Ob er sich wohl selbst in die Augen sehen kann? Der Wunsch ihn weiter zu betrachten, war fast unwiderstehlich. Die Geschichte war voll guter Momente und dies war ein weiterer in ihrer.


    "So leicht werdet Ihr mir nicht entschlüpfen können", flüsterte Zarasshin. "Bleibt bei Bewusstsein." Irgendwie hatte sie erwartet, sie werde keinen ordentlich gesprochenen Satz hervorbringen.


    Schon griff sie härter in sein Haar. Sie wollte, dass er es erfuhr, erfahren konnte, erlebte, ohne etwas daran ändern zu können. Das Schicksal hatte ihr in die Hände gespielt. Ihre Lippen kräuselten sich. Der Bund, den sie ihm versprechen würde, sollte sie vereinen, in ... was auch immer, Zarasshin würde handeln und keine Zeit mehr an Überlegungen verschwenden. Sie würde entscheiden, er musste damit zurecht kommen, leben oder anders entscheiden, was er damit zu tun gedachte.


    Dann ging alles sehr rasant. Ein Wischen über ihren selbst zugefügten Schnitt, der sich wieder hatte geöffnet durch des Sylphen harten Griff. Das Pressen ihrer feucht überschwemmten Hand, wie geeignet doch die Schwimmhäute waren, auf seine Wunde, die ihr offen stand ... kostbares Nass ... der Regen gab seine Einwilligung, in dem er es vermischte. Blut zu Blut. Pflicht zu Versprechen und Einhaltung, Annahme ohne Wille zur Verweigerung.
    Und gerechterweise legte sie ihre Hand zurück auf ihren Arm, auf ihre Verletzung. Sollte es so ihrem Wunsch geziemen.


    "Du hast es vedient meinen Namen zu erfahren", heiser war ihre Stimme. Es war nur Recht. "Blutsbruder!"

  • „Du hast ihn verletzt.“ Vorwurfsvoll konnte man den Blick der erdenen Fee nennen.
    „Nein!“ begehrte Zarasshin auf, obgleich Tuireann ihr kaum eine Möglichkeit zur Verteidigung ließ. „Nicht wie du denkst!“ Wusste sie kaum, woher sich die Erdfee so schnell hervor gegraben hatte.
    Zarasshin lag noch bäuchlings auf dem Sylphen, grub nun überrascht die blutige Hand neben seinen Kopf in das Laub, während ihr anderer Unterarm sich ohne Wahl auf seine Brust stützte. Es sah aus, als wollte sie es verbergen, doch Tuireann musste sie besser kennen!
    Missbilligend schnalzte das kleine Wesen mit der Zunge. „Ich habe dich gewarnt, Yassalar!“ Sie beugte sich über den hellen Haarschopf des Mannes, legte eine schmutzige, winzige Hand auf dessen Stirn, strich einmal darüber und legte wieder ihren schweren Blick auf Zarasshin.
    Mehr als staunen blieb Zarasshin nicht übrig. Sie hatte gelobt, keine Bauten zur Folter zu errichten, doch niemals … „Dreck!“ fluchte sie demnach, bleckte zitternd die Zähne.
    Mit einem Sprung nach hinten, doch ohne ein weiteres Wort, verschwand Tuireann in ihrer Erde und Zarasshin senkte ihre lodernden Augen auf den Sylphen.

  • Geflüsterte Worte… bei Bewusstsein? War er das denn nicht…? Trübe Gedanken. Dunkles Wasser. Er konnte die schwankende Oberfläche vor sich sehen – das Gewicht auf sich spüren, das ihn allmählich tiefer drückte. War er hinab gezogen worden?


    Ein Ruck an seinem Hinterkopf. Flüchtiger Schmerz, woraufhin der Schatten vor seinem Blick festere Gestalt gewann. Regen prasselte, rann kühl in seine Augen. Wogender Schwindel und er schluckte die prickelnde Taubheit in seinem Mund. Unter seinen halb geschlossenen Lidern war es jenes schwarze Gesicht, das er erkannte. Yassa…lar… drehte sich der Name durch seinen benommenen Verstand... als sich plötzlich fremder Druck an seinen Hals legte; er unglaublich warme Finger auf seinem Schmerz spürte.
    Die Linderung, die er sogleich voller Dank verspürte, glomm schal und verräterisch hinter seiner Stirn … es konnte nicht richtig sein… nicht… durch sie


    "Du hast es verdient meinen Namen zu erfahren", flüsterten aufzuckende Blitze auf schwarzen Lippen, während der Wind aufs Blättermeer über ihr peitschte. „Blutsbruder.“
    Atem strömte in seine Lunge, als sich seine Augen der Sturmchimäre verschlossen. Die Schlüsse zerrannen ihm im Ergreifen. Seine Stirn pochte schmerzhaft und etwas bäumte sich in ihm, was er allemal spüren, doch nicht zu einem Sinn fassen konnte.
    Was war geschehen? Wieso lag er unter ihren Händen, anstatt ihr gegenüber zu stehen!?


    Noch in die aufgewühlten Fragen ergoss sich plötzlich eine berauschende Ruhe, die nicht aus ihm selbst zu dringen schien. Als wäre seine Seele plötzlich tief verwurzelt, zog der Sturm der Verwirrung unschädlich über ihn hinweg, hinterließ nur die stille Präsenz der Erde und des Waldes. Ascan konnte sich allmählich auf den Schlag, die Wunde und den Sturz besinnen… all die Teile des Geschehens, die sich in dem einen Wort trafen, dessen Härte ihn nun auch bewusst traf.


    Blutsbruder.


    Sein Blick riss auf, stieß in den der Yassalar. Er spürte deutlich ihren Körper auf seinem liegen - doch erst nach einer weiteren Sekunde durchzuckte ihn der Reflex, sie von sich hinab zu stoßen. Wütend über sich selbst, stieß der Sylph Luft zwischen den Zähnen aus. Zugleich stemmte er seinen Oberkörper in die Höhe und verfluchte die Tränen des Sturms, die seine geöffneten Flügel bleiern im Schlamm kleben ließen.
    Schwankend und mit triefenden Schwingen kam er auf die Beine, da langte seine Hand bereits zu seiner Wunde hinauf, sprang sein Blick brodelnd zu der Yassalar, die tatsächlich soweit gegangen war, sich selbst in sein Blut zu brennen.


    Yassalar. Sein Puls hämmerte in seinen Schläfen. Das Blut dieses Volkes… in seinen Adern… wie sie das seinige in ihres geschöpft hatte. Welchen Gott hatte er bloß beleidigt, als er sie gerettet hatte!? Er musste närrisch gewesen sein! Mal wieder…


    Ja, mal wieder…


    Ascans Zorn verrauchte schlagartig, als sich das zynische Grinsen in sein Gesicht stahl. Einmal mehr oder weniger. Wen sollte es jetzt noch stören? Vielleicht würde sie sogar noch unglücklicher damit sein, sein Blut zu besitzen.


    „Dann sag ihn mir… deinen Namen, Yassalar.“
    Seine Finger glitten von dem Blut an seinem Hals ab und obwohl das Gewitter noch immer seine nassen Windhiebe zwischen die Bäume schlug, war der Blick des Sylphen ruhiger geworden...

  • Es war die stumme Erkenntnis, die sich in seinen aufreißenden Blick gestülpt hatte, die Wirklichkeit schien gleichwohl fern, eben in diesen Momenten des Innehaltens, als die Zeit hier unten ein zäher Fluss war. Denn wie konnten Blitze über die künstlich geschaffenen Himmel rasen, ihre Lichter über sie zucken lassen und obgleich bewegte der Sylph sich gebannt schwerfällig, wenn nicht alles etwas außerhalb lag? Ein Moor umfing sie also, keineswegs die Wellen der Meere, noch die wirbelnden Lüfte, die sein Element waren. Etwas war geschehen, was so nicht vorher zu sehen war, was nie da gewesen ist … türmte sie neue Sünden oder war sie von ihrem Stolz betrogen?


    Wie an Schnüren gezogen, kam er ihr vermeintlich näher und Zarasshin konnte weder sagen, ob er sich nun in Erregung würde erheben oder in Unterwerfung des Unveränderlichen zurücksacken wollte, gar uferlos erschien er ihr und eben darum, wurde er von ihr so interessiert beobachtet. Wollte sie bleiben, um ihm bei den ersten Schwimmversuchen beiseite zu sein. Zarasshin fühlte in sich, dennoch war da nichts, was sich gar verändert, möglich leichter, zeigte, so rührte es allein wohl von seinem harten Fall.
    Bliebe er so, könnte sie ihm keinerlei Vorwurf ob der Fee machen, sondern würde sich abwenden … bliebe er so, wäre es bedauerlich, wie hart er auf den Kopf gefallen war, so dass es ihn nicht mehr zu dem erhebenden Geist zu treiben vermochte, den er ihr zeitweise offenbart hatte.
    Könnten es die nass verklebten Flügel sein, die ihn schwer zu Boden zerrten oder das tropfengleiche Gewicht des Meergeschöpfes auf seiner Brust, so unerwartet nah und weniger abstoßend wie zuvor zugrunde gelegt? Möglich, dass es seinen Blick jetzt zum Guten verklärte, sollte er ihn wieder offen auf diese Yassalar werfen. Egal, was es war, es sollte ihn nicht hindern.
    Sie erhob deshalb unmerklich nur den Oberkörper, vielleicht mochte er sich daran hinauf ziehen, weniger aus Verlegenheit, mehr aus Bedauern, denn solch ein Geschöpf sollte nicht in Schlamm versinken, der seine Leichtigkeit zu spotten vermag. Zarasshin wollte nicht absichtlich locken, wehrte sich dennoch, sich selbst zurück zu ziehen, immerhin – sie verlangte von ihm, dass er den harten Schlag überwand.


    Endlich kam Leben zurück zu ihm, zischend durch seinen Atem gab er es preis. Atem, den sie aufnahm, weil er zwischen ihnen wehte, schmeckte und durch ihre Kiemen entließ, wie er zuvor seine Lippen passiert hatte und endlich wollte er sie von sich haben. Der Augenblick des Innehaltens verging, was zäh war, strömte schneller und sein Aufrichten, was ihr Fortstoßen bedeutete, erfasste sie mit Befriedigung: die Flut begann! Damit konnte sie umgehen, bekanntlich verlor sie übereilt ihre Aufmerksamkeit an leblosen Dingen. Denn stehendes Wasser faulte.


    Leicht in den Knien, vorbereitet, mit offenen Händen, erwartete sie süffisant grinsend und aufgewühlt in Gefühlen, sein weiteres Handeln. Und er erwiderte es, sahen sie einander neu und ihre Aufregung wollte sich einfach nicht mäßigen.
    Was, was? Sprich! Ihr Antlitz zeigte Zweifel, die sie sofort von sich wies.
    … deinen Namen, Yassalar.
    Ha! Sie streckte herausfordernd den Arm, als seine Hand von dem wunden Hals sank … einen Kratzer sah sie nur … ließ den Regen das Blut von den silbernen Schuppen waschen, über lange Finger rinnen, und mit sich nehmen – sollte die Fee auch das ihre in der Erde schmecken. Vereint.
    Sein ruhiger Blick hielt sie fest, erfüllte sie, bremste ihr Blut, wäre sie unfähig, auch nur einen Schritt zu tun, das stand sie ihm zu. Ihre Gier war gestillt.
    Es war ein guter Kampf gewesen, ein Aufbäumen, das jetzt in die Ruhe nach dem Sturm einkehrte, wollten die Elemente, die ihnen beigestanden hatten, sich schließlich ebenso ernüchtern.
    Das Kampf-Ritual musste beendet werden, da eine Trophäe zu ihr gefunden hatte, wie sie ihr Versprechen erhärtet … sie berührte ihre rechte Schulter mit den Fingerspitzen der linken Hand.


    Angeberei wäre es gewesen, zu nennen, dass es der Name der größten Stadt der Yassalar sei, vielleicht sagte es ihm einfach nichts; so schätzte sie die Einfachheit, reckte das Kinn und sprach dunkel, zischend und prägnant: „Zarasshin.“

  • Er beobachtete das Wasser, das nahezu widerstandslos von ihrer dunklen Haut perlte. Die brüllenden Winde zerrten an seinem Schweigen, während das Licht der Blitze vergeblich nach einem verräterischen Ausdruck in seinen Gesichtszügen suchte.


    „Ascan,“ sprach er schließlich. Er ließ den Blick von ihr gleiten, schaute ins Nichts, wobei sich seine Flügel langsam öffneten… sich zu ihrer vollen, imposanten Spannweite ausbreiteten. Eisige Tropfen suchten sich ihren Weg zwischen den breiten Federn, stürzten an ihren Enden schmutzigtrüb zu Boden.
    Ein Schwingenschlag von sattem, schwerem Klang, der einen Sprühregen aus Wassertropfen ins Laub und gegen die Baumrinden prasseln ließ. Daraufhin wurden seine Flügel auf halber Höhe wieder träg und hielten in ihren Bewegungen inne.
    Als plötzlich ein ohrenbetäubendes, krachendes Grollen aus dem Leib des Schwärze über ihnen erklang… drohend… zu nah…
    Sein Blick schwang - versunken in Instinkten - zu jener Zarasshin zurück, die die überwältigend finstere Ehrfurcht ebenfalls spüren musste…. falls sie auch nur geringfügig dazu imstande war, sich des Bebens seines Blutes in ihren Körper bewusst zu werden.


    „Wir sollten nicht länger unter den Bäumen bleiben.“ Seine Hand griff über die Schulter zurück, bekam den schweren, kalten Stofffetzen zu fassen. Seine Augen verweilten undeutbar auf Zarasshin, bevor sie im Dunkel der Kapuze verschwanden. „Wir befinden uns fast im Auge des Sturms.“

  • Tropfen flogen auf, ihr Echo hallte für Zarasshin fühl- und hörbar wider und verloren sich so in der Ewigkeit. Die Luft war morgenfrisch und sie stand einfach nur wie betäubt da. Ascan ... so brachte er es fertig, ihren Unmut erneut aufzupeitschen, wenn er gerade am verklingen war. Doch gibt es einen Felsen, der so hart ist, dass das Meer ihn nicht abtragen könnte?
    Töte, wenn du es willst, aber zaudere nicht damit. Während man zuhört und beobachtet, schweigt man ebenfalls. Es gibt Zeit, sich eine Antwort zu überlegen oder auch, ob man den Sylphen nun erhoben hatte oder sich selbst erniedrigt.
    Schlüssig sich wenig zu fühlen, wenn man solche Pracht sah und Zarasshin hätte es gern genauso abgeschüttelt, wie er den Regen, während ihre Finger kribbelten. Sie lauschte dem schweren Seufzen der scharfen Stimme, festgeschnallt auf ihrem Rücken, während die Schwester an ihr schabte und der Regen alles mit sich nahm, was an ihr kleben mochte, doch ihr Arm blieb ihr pochend. Sie zürnte ihm, ob der Selbstsicherheit, zürnte ihm einfach.
    Er war ein Sylph, die Flügel gehörten zu ihm, wie ihre Kiemen und Schwimmhäute zu ihr, sein waren die Federn, ihr die feinen Schuppen. Doch ihm konnte man sie herunter schneiden … niedere Absichten, ihrer nicht wert. Ein Kampf war es immer wert, ob er sich nun auszahlte oder nicht, doch hier hatte sie verloren. In jeglicher Hinsicht. Noch nie hatte Zarasshin sich gewünscht mit den Tropfen verschmelzen zu können, damit sie verborgen war, unsäglich schwankend.


    „Ich werde dir nicht folgen“, sagte sie nur. Vielleicht war das Auge eines Sturms genau das Richtige für eine Yassalar wie sie. Offensichtlich gab es eine Grenze, was ihre Bereitschaft betraf, ihr Leben sofort vergelten zu wollen. Es gab eine Sache ...


    „Es ist ihre Erde, nicht mein Wasser, es ändert alles.“ Zarasshin wölbte die Brauen, sprach mehr abwesend zu sich, als zu ihm. „Was im Wasser geschieht, schert sie wenig … doch Blut auf der geheiligten Erde …“ Fast hätte sie aufgestampft, in der Hoffnung, dass es bis zu Tuireann dröhnen wollte. Es war kein Opfer an die Götter gewesen, das sie dargebracht hatte, es war kein Kampf um ihr Leben gewesen, den sie zur Verteidigung geführt hatte. Tuireann verstand dabei keinen Spaß.

  • Seine Finger öffneten und schlossen sich ungeduldig.
    Nein, sein Blut bewirkte wahrlich nichts in ihr. Ihre Bewegungslosigkeit rief ihn zum Handeln, doch als der Schritt sich gerade in ihre Richtung tun wollte, sprach sie ihre Weigerung. Ascan verlagerte sein Gewicht zurück. Wie naiv sie doch war…


    Dennoch drangen die unbestimmten Worte zu ihm vor. Das Rätsel, wen genau sie in diesen ansprach, band ihn mit Neugier. Seine Sinne zitterten im Konflikt – die Unruhe, die Furcht gegen den Drang, zu erfahren, was sie eben jenes nicht spüren ließ.


    „Verrat mir, wen du meinst, Zarasshin…“
    Der Name strich mit ungewohnter Schärfe aus seinem Mund. Er verharrte und fast schien es, als wolle er es ausgleichen, als seine nächsten Worte merklich sanfter klangen. „Wer ist… oder wer sind sie?“

  • „Wie bitte?“ fragte sie zurück, fuhr erschrocken zusammen, als sich eine Stimme zu Wort meldete. All ihre Muskeln waren angespannt, vibrierten unter der Haut und begehrten wild gegen die gewählte Bewegungslosigkeit.
    Sie wollte die eine Hand heben, was in einem kurzen Schmerzblitz endete, der ihren Arm in die Schulter hinaufraste. Das musste zuerst gerichtet werden. Der Baum, dessen Wurzel seinen Verstand benebelt hatte, war am nächsten. Mit einem heftigen Schlag gegen den harten Untergrund renkte sie sich die Schulter wieder ein, die bei seinem Griff aus dem Gelenk gerutscht war. Langsam zeigte ihr Körper doch Spuren. „Wellenbrecher“, wimmert sie leise, drehte sich zur Seite und straffte das Kinn. Mit geschlossenen Lidern atmete sie den Duft des Regens ein, der ihr half gegen die fürchterlichen Schmerzen anzukämpfen. Zarasshins Bewusstsein schien sich zu verdunkeln, wollte sie verschlucken und sie keuchte, schüttelte den Kopf, um bei Sinnen zu bleiben. Es war ein anderes, dass sie die Zähne aufeinander beißen musste, um nicht zu schwanken. Ihr Körper verriet sie und das schmerzte ihren Stolz sehr.


    Sie drehte sich ihm zu, um seine Frage zu beantworten, ohne dass ihr die scharfe Betonung darin aufgefallen wäre, war es doch der Tonfall, in dem sie selbst stets sprach :
    „Tuireann, eine mir verbundene Erdfee. Sie fühlte das Blut in der Erde, sah dich und zog ihre eigenen, mich verdammenden, Schlüsse.“ Kurz hielt sie inne. „Ich habe in meinem Leben gefunden, was mir wichtig erscheint, so bin ich es mir schuldig, daran festzuhalten ... und nichts wird mich davon abbringen.“ Lass uns zusammen weinen, schluchzte eine leise Stimme.


    In allen Geräuschen ringsum, im Blättersäuseln, im zerrenden Wind, in den plätschernden Wellen, vernahm sie den Abschiedsgruß.
    Wie ist das möglich? Aus unbestimmten Gründen und alle Prinzipien in ihr wehrten sich dagegen, alles, was man sie gelehrt hatte, aber es war so. Die Gefühle, die sie bewegten, gefielen ihr ganz und gar nicht, und weil ihr Zuneigung vollkommen fremd war, konnte sie diese als solche auch nicht erkennen. Ascan war eine Freude unter all den Trockenen. Ihr Zusammentreffen offenbarte eine Unzahl an Facetten ... Zarasshin suchte im dunklen Ausschnitt seiner Kapuze vergeblich nach seinen Augen, aber sie wusste, selbst wenn sie diesen Blick erhaschen könnte, würde er selbst doch verborgen bleiben. Gefühle schwächen dich, ermahnte sie sich selbst, während sie die silbernen Augen schloss.
    Der Sturm fegte heftiger wirbelnd zwischen sie, konnte dennoch nicht die Trübsal um ihr Herz vertreiben. Sie war verletzt, hungrig und erschöpft.

  • Er wusste, dass es heranrückte, dass es ihn überwältigen würde, doch für einen Moment länger nur wartete Ascan auf ihre Antwort, verfolgte er die Kraft, mit der sie ihrem eigenen Körper und ihren sichtbaren Schmerzen gegenüberstand.


    Sinnlos, abtun zu wollen, dass es ihm imponierte. Die Selbstbeherrschung dieser Frau… die er bereits für die Verkörperung der Unbeherrschtheit gehalten hatte. Sie als Yassalar abzutun… unzureichend. Ein unwürdiger Deckmantel, hinter dem man zu große Unwissenheit verbarg. Oder ein Art, zu verdecken, was man schon längst spürte?
    Ascan würgte den Gedanken geradezu zornig ab, als sie endlich ihre Antwort an ihn richtete.
    Daran festzuhalten… auf dass nichts abbringen könne…


    Der Druck der nahenden Macht wuchs, sprang heran und verband sich mit den gesprochenen Worten, sodass es schwer wurde, zu unterscheiden, ob es ihre oder seine eigenen gewesen waren. Zu ähnlich… verwirrend ähnlich... Der Sylph legte die Hand an seine Stirn, verlor kurz den Atem in der Kraft einer heran drückenden Windböe. Wenn er jetzt nicht ginge, würde sie Zeugin werden, wie er sich verlor.
    Sprach sie von einer Fee? Eine Fee… möglicherweise… jenes dunkle Geschöpf auf dem Tisch einer Bibliothek…?


    Die Erinnerung stürzte sich in die nächste Windböe und verschwand… zerrissen… verschlungen vom tosenden Dunkel, das ihn… betrachtete… umwehte… durchströmte…?
    Seine Finger gruben sich hart zwischen seine Augenbrauen, als seine Augen noch einmal unter dem Rand der Kapuze hinwegtauchten, die Gestalt Zarasshins suchten – einem Sinn folgend, den er nicht mehr nachvollziehen konnte. Die Seele des Donnersturms zerrte am letzten Widerstand in seinen Gliedern, rüttelte an der bloßen Substanz seiner Muskeln, seiner Knochen, bis nichts mehr bleiben würde außer Kraft und Wind selbst.


    Mit knisternder Spannung rückte der Sturm in den Zenit, entließ seine Blitze, Winde, sein Donnern zugleich und Ascan… hörte einfach auf… Wo es nicht mehr galt, wo Körper endete und Sturm begann, zerstob Bewusstsein. Gedanken flohen aus Form und Sinn, lösten sich auf in den Wirbeln, die nichts auf Erden berührten.


    Die Körperspannung des Sylphen wich ohne sein zutun, während sich sein Gesicht gen Himmel hob, jeder hinabstürzende Wind in den Mantel fuhr und das vertraute Geschöpf zum Schwanken bringen wollte. Ascans Atem ging stoßweise, erschöpft, mitgerissen zugleich. Gedankenlose, zeitlose Momente verstrichen, während der Puls des Sturms die Uhren der Welt belächelte.


    In der Erinnerung blieb nie etwas davon zurück, ganz gleich, wie lange der Geist im Gewitter befreit und doch gefangen blieb… und auch diesmal wanderte der Sturm nach einigen Minuten des grandiosen Blitzfeuerwerks voran, zerriss das Band zu der verwandten Seele, die in ihm wehte, sodass sich das laute Aufbrüllen des Sylphen im Donnerschall verlor. Als Sohn des Sturms, niemals Sturm selbst, war er bestimmt. Träge wandte sich das Auge des Sturms ab und folgte brodelnd weiter dem Weg zur Küste, um an der Grenze zur Kuppel schließlich, trotz all seiner zornigen Energie, unbarmherzig auseinander gerieben zu werden.


    Zurückgeschleudert in die Welt der starren Elemente ging Ascan in die Knie und fing sich hart mit den Armen. Schwer atmend wirbelten losgelöste Gedankenfetzen hinter seiner Stirn, schlossen sich langsam Bewusstsein und Empfindung wieder zu einer Einheit zusammen. Erst jetzt konnte er wahrnehmen, dass der Sturm sich entfernte und er sich – wieder einmal - nicht darauf besinnen konnte, was eben mit ihm geschehen war.
    Sich aufrichtend, leckte er sich das Regenwasser von den Lippen, um den bitteren Geschmack in seinem Mund zu vertreiben. Die Yassalar kam ihm in den Sinn und mit dem unguten Eindruck, bei etwas beobachtet worden zu sein, das fremden Augen nicht zustand, suchte er ihren Anblick im allmählich dünner werdenden Regenschleier.

  • Sie hielt für ihn den Gewalten stand, grub die Zehen in die Erde, trotzte dem Sturm, der ihn unwissend zerbrach und seinen Geist mit nahm, zerpflügte, was sich bereits nicht mehr selbst fand, um ihn erneut fallen zu lassen. Zarasshin hieß den Regen weiterhin auf ihrer schuppigen Haut willkommen, öffnete sich den Perlen des Himmels, während sie abwartete.
    Zu empfinden, was er empfand, war nur begrenzt erreichbar. Es war dennoch ein Fest der Sinne und fast hätte sie jubelnd die schmerzenden Arme erhoben, um die tosenden Mächte zu sich zu rufen seinem Rausch beizuwohnen, wären sie nicht schon in ihm gewesen.
    Wenig unberührt stand sie also von allem, verfolgte sein Auflösen, wartete, um einzugreifen, denn unbestimmt begriff sie, was vor sich ging: es waren die windigen Wellen, die ihn umherschleuderten, hinabzogen, nur um ihn hinaufzuschleudern in unbekannte Höhen.
    Sie verstand.
    Es war ihre Aufgabe, der Gefahr Einhalt zu gebieten, wenn die Klippen ihn anzögen, um seine Knochen daran zerschellen zu lassen. Es war ihre Angelegenheit zu verhindern, wenn etwas in die Enge um sie einbrechen wollte – sie würde für ihn töten, um ihm die Zerschmelzung zu ermöglichen, die seine Zähne orgastisch klappern ließ, sie würde abwehren, dass nicht gesehen wurde, was ihn scheinbar schändete, merklich verführte und definitiv angreifbar machte.


    Als er auf die Knie sank, hob sich ihr Antlitz gen Himmel, ihren Blick würde er nicht fangen können, denn nichts hatte sie gesehen, was sich darin spiegeln würde. Hätte sie sich an dem Anblick laben wollen, wie die innere Schwester gebot, hätte sie sich selbst erniedrigt. Zarasshin, dessen ungeachtet, sah es mit anderer Anschauung: es lag nicht in seiner Macht, dem zu entgehen, war er ein Kind der Elemente und sie hatte seine Warnung in den Wind geschlagen.


    „Ich vergesse nicht“, sagte Zarasshin zweideutig. „Auf ein Wiedersehen, Ascan. Möge das kostbare Blut dir mächtige Träume schenken.“

  • Die letzten Schatten der tiefen Wolken tanzten zwischen ihnen und Ascan betrachtete ihren erhobenen Blick, der ihm nicht offenbaren würde, was sie über das Gesehene dachte.
    Ihre Worte jedoch erweckten ein Lächeln auf seinen steinernen Zügen. Er neigte den Kopf kaum merklich und berührte mit der rechten Hand seine Kapuze. „Gebt gut auf Euch Acht, Zarasshin, Tochter dunkler Wellen. Schatten wie wir finden wieder zusammen… so liegt es in der Natur.“


    Seine Hände sanken tief in seine Manteltaschen und noch ehe er an ihr vorbei ging, stahl er sich einen letzten Anblick der schwarz glänzenden Schönheit. Vielleicht war es dieser Moment, an den er sich erinnern würde, wenn alles andere im Wind der Zeit verblasste. Vielleicht würde auch der letzte Gedanke bei ihr sein, wenn die Stille zum endgültigen Mal groß genug sein würde, um das Rauschen ihres geteilten Blutes zu hören… aber das war nichts, über das es sich lohnte, nun nachzudenken.


    Ascan schmunzelte still, als die wieder erwachende Ruhe des Waldes ihn umfing. Ein entschlossen aufklarender Himmel kündigte sich an und die Berührung des Sturmes verflog rascher, als man erwarten würde.
    Es schien… als wollte es heute tatsächlich noch ein sonniger Tag werden…

  • Zarasshin nickte harsch. In der Nacht vereinigten sich sonderbare Gestalten, wie Gedanken gar leicht, so wird alles vom Tag verscheucht, der mit seinem Licht trennt, was noch nicht zusammen gehört. So sollte es sein, sie würden ohne Bedauern scheiden, denn es lag wenig in ihrer Natur Dinge zu betrauern, die das Leben schrieb. Ihren Einfluss hatten sie in Worten geltend gemacht und Zarasshin wusste gewiss, dass sich Wege auch dreimal kreuzten, ob dann wieder zum Schlechten, würde sich zu gegebener Zeit herausstellen. Da er selbe Ansichten pflegte konnte sich auch das Schicksal nicht auflehnen, denn es musste einsehen, dass schon früher der nächtliche Abschied beginnt, dann, wenn man an das Licht sinnt.
    Wir leben.
    Es ist nicht genug!
    Es wird niemals genug sein.


    Zarasshin schnupperte die junge Luft, die seicht durch den Park floh, geschmeidig sanft setzte sie ihre Beine in Bewegung und begann zu laufen. Kaum Laute drangen unter ihren Füßen hervor, verletzten nicht die Stille der Natur, wenn sie daran abstieß.
    Mitten im Sprung in das schwarze Wasser formte sich der Gedanke seiner sich abwendenden Gestalt, und damit verbunden, das Ersehnen des Anblickes, dass er sich ihr wieder würde zuwenden.


    ~*~

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