Fortsetzung von "Das Morgen gewinnen"
"Am Abend wird man klug für den vergangenen Tag, doch niemals klug genug für den, der kommen mag."
(Friedrich Rückert)
...
Erschrocken in die Knie gehend, konnte Ascan sie gerade noch ergreifen, ehe ihr Kopf das Ufer traf. Fassungslosigkeit grub sich in sein Gesicht, ließ seine Hände an ihren glatten Schultern verharren, während der Blick wieder und wieder über die bewusstlosen Züge der Yassalar strich. Sichtbar stürmten Gedanken, falsche Fragen hinter seiner Stirn, ehe sie hektisch beiseite gewischt wurden, sich die Aufmerksamkeit stattdessen das strenge, nun zugleich wehrlos wirkende Gesicht entlang tastete, der hohl wirkenden Wangen, der stumpfen Haut gewahr wurde. Ascan schloss die Augen. Wütend verzogen sich seine Lippen.
Nachdem er ihren Oberkörper sachte auf das steinige Ufer gelegt hatte, hoben sich seine Arme unter ihren kraftlosen Leib. Ihren Kopf erneut an seine Schulter gelehnt, erhob er sich, schaute die wenigen Meter zum See hinab.
… Ich würde es mir doch stark überlegen, mich mit Euch ins Wasser zu begeben …
Undeutbar senkte sich Ascans Blick auf die Yassalar in seinen Armen, bis sich ein kurzes Schmunzeln aus seinen Gedanken hervor stahl.
Die ersten Wellen zerrissen erschrocken, flohen in weiten, feinen Kreisen. Ein paar Gräser strichen noch seinen Mantel entlang, neigten sich tief unter seinen Schwingen, bis auch diese letzten Grenzwächter des Ufers zurückblieben. Der Grund sank stetig ab, ließ seine Sohlen weit in den schlammigen Grund eindringen, das kalte Wasser bald ungehindert in den Stiefelschaft schwappen.
Weit und einladend öffnete sich der Blick über ebenmäßiges Kristalldunkel. Keine Erhebung, keine fremde Bewegung, die den Einklang störte, nur das gleichmäßig dunkle Plätschern, mit dem er noch immer vorwärts schritt.
Kaum dass der Wasserspiegel seine Lenden erreichte, durchströmte ihn ein kalter Schauer und löste ein deutliches, helles Rascheln aus, mit dem sich die Federn seiner Schwingen sträubten. Der Klang zog wie glasklarer Tropfenregen übers Wasser und verlor sich rasch, während die Spitzen seiner Armschwingen bereits ins kühle Schwarz eindrangen und unbemerkt zwei Strudel nach sich zogen, die das Wasser weckten.
Weit erhoben, der nassen Fläche nach besten Kräften entzogen, streckten sich seine Flügel, spiegelten die Schatten unter den Wellen. Das Wasser umschloss die auf seinen Händen treibende Yassalar fast vollständig, doch noch zögerte der Sylph, sie den Fluten zu übergeben. Ihre Kiemen befanden sich bereits unter der Oberfläche, mochten längst zu dieser Art des Atmens zurückgefunden haben. Nur ganz sicher konnte er sich dessen nicht sein, dafür war ihm der Umgang mit ihrem Volk zu unvertraut…
Seine Vernunft lachte über seine Sorge, dass er angesichts des Gedankens zögerte, ein Wasserwesen ertränken zu können… doch die Kälte des Wassers war ihm erträglich, sodass es keinen Grund gab, vorschnelle Entscheidungen zu fällen. Immerhin würde er sie, einmal in den See entlassen, nicht wieder ergreifen können…
Dunkle Augen betrachteten die Manschette, wanderten weiter, sich an Kleinigkeiten wie an allem anderen nur kurz aufhaltend, doch länger bei ihrem Gesicht verweilend. Es gab keine und viele Erklärungen für die Faszination, die sie weckte. Riskant durchaus, dass er sich tiefer in Gedanken über sie wagte. Sie gehörte zu den Dingen, von denen man sich sicher sein konnte, dass sie einem Leid brachten…
Und er hatte sich bereits in einem solchen Alptraum verloren, von dem er sich nicht abwenden konnte. Ein weiterer... und er würde wohl daran zugrunde gehen.
Langsam neigte sich Ascan vor, löste die Hand unter ihren Schulterblättern, um seine Finger behutsam über ihre Kiemen zu bewegen. Spürbar, wenn auch zart, die Bewegungen. Auch die andere Hand gab den treibenden, schlanken Körper nun frei. Ascan erlag nicht der Versuchung, dem dunklen Schemen nachzusehen, wie er im Schwarz seiner eigenen, fremden Welt verschwand. Seine Schritte führten zurück, ignorierten das kühle Säuseln im Wasser, das ihm zuvor nicht aufgefallen war.
Seine Flügel sträubten sich noch einige Male, bis er dem Ufer endlich nah genug war, um das durchweichte Leder von Rüstung und Hose zu spüren, dass sich ihm wie klebriges Eis um die Glieder wand. Ascan schlang die Arme um seinen Oberkörper, rieb seine Muskeln warm und faltete derweil seine trocken gebliebenen Flügel um seine Schultern.
Er fror erbärmlich und folgte dem Drang, noch einmal aufs Wasser zu blicken, eine Veränderung zu suchen, die natürlich nicht existierte. Nur die Stimmen schwebten noch über dem Mondenteich, ließen Ascan noch einige zeitlang in Bann gezogen lauschen, bis auch die letzten Wellen verebbt waren, die von seiner Rückkehr aus ihrem heiligen Reich erzählt hatten.