Des Gefühles Schattenriss

  • Die Valisar bestellte ein Glas Wasser.
    Der Blick des Schankmädchens war zwar mehr als auffällig - vorsichtig und ein wenig furchtsam, wie Silene fand - doch war er viel zu ehrfürchtig um Silenes Würde anzutasten. Mit einem flüchtigen Lächeln auf den Lippen verschwand das Mädchen wieder um dem Wunsch der Valisar nachzukommen.
    Die Seherin hatte sich einen guten Platz reservieren lassen, sie saß in einer kleinen Einbuchtung der Wand, hatte vieles im Blick ohne den Kopf drehen zu müssen.
    Auf dem Tisch, unter ihren langgliedrigen Fingern ruhend, lag ein Buch mit dunklem Einband, doch ohne Titel. Daneben lag ein Graphitstift. Sie trug heute, wie zu besonderem Anlass, weiß - ganz im Kontrast zur schwarzen Kleidung, die sie sonst zu tragen pflegte. Elegant und großzügig geschnitten waren die Hose und die Tunika, gerade so tief ausgeschnitten, dass es den goldenen Schnitt berücksichtigte, gerade so, dass es vorteilhaft war ohne aufdringlich zuwirken.
    Die Valisar hatte ihren Sinn für Ästethik nicht verloren, ganz im Gegenteil. Durch ihr gefühlloses Kalkül konnte sie diese viel objektiver beurteilen.
    Wie der Gestalt gewordene Novembernebel sah sie aus, blütenweiß und undurchsichtig ... und am Horizont eine Ahnung des weißblauen Himmels, der dahinterlag - in Form ihrer eisigen Augen.


    Es war Falaviar, der 7. Tag der Woche, an dem sie stets ein Gasthaus zu besuchen pflegte, um zu lernen. Mimik und Gestik...
    Gerade vor wenigen Atemzügen hatte sie einen jungen Elfen ins Auge gefasst, der den Zauberbrunnen alleine betreten hatte und sich nun an einem freien Tisch an der Wand des Raumes niedergelassen hatte.
    Silene sah seinen Gemützustand schwanken. Manchmal sah er auf, ließ einen trüb wirkenden Blick schweifen, dann sah er wieder auf seine Hände herab und dachte nach. Da sich Silene ihres beunruhigend wirkenden Blickes bewusst war, wandte sie diesen bald von ihm ab und sah sich stattdessen nach anderen Gästen des elfischen Gasthauses um.
    Die einen tuschelten miteinander, ein Paar flüsterte sich liebestrunken Turteleien in die Ohren, andere lachten und unterhielten sich fabelhaft.


    Wie eine Leinwand war die Welt, bemalt mit den unterschiedlichsten, interessantesten Bildern... voller Leben. Und Silene war die Betrachterin, die starr und aus Entfernung die für sie blassen Farben beäugte.


    Warum war sie hier? Es war irrational.
    Es gab schlichtweg nichts mehr, das Silene hätte lernen können, kaum eine nützliche Gesten, die sie nicht beherrschte. Das kleine Buch war fast vollständig gefüllt mit Zeichnungen mit von Ausdruck erfüllten Gesichtern, Gesten.
    Es gab Dinge, die würde sie nicht lernen können, das Weinen zum Beispiel; aber das wäre ohnehin unnütz. Sie könnte keinen Anlass finden, es anzuwenden.


    Geheuchelte Gefühle ... eigentlich widersprach das ihrem Sinn. Ihrer gesamten Sinnhaftigkeit, ihrem "roten Faden". Wie sollten geheuchelte Gefühle sie den Weg ihres Schicksals weisen?
    Vielleicht machten sie es nur leichter ... wollte sie es denn leichter haben ihr Schicksal zu erfüllen?
    Einen letzten Blick schenkte sie dem turtelnden Paar, dann widmete sie sich den von grauen Bildern erfüllten Seiten, blätterte in dem Buch, jedes, der aus verwobenen Strichen erscheinenden Bilder streng musternd.

    Nur ewigen und ernsten Dingen / Sei ihr metallner Mund geweiht
    Und stündlich mit den schnellen Schwingen / Berühr' im Fluge sie die Zeit
    Dem Schicksal leihe sie die Zunge / Selbst herzlos, ohne Mitgefühl
    Begleite sie mit ihrem Schwunge / Des Lebens wechselvolles Spiel
    Friedrich Schiller - Das Lied von der Glocke

  • Bekannte Gesichter, nichts als bekannte Gesichter, die dort bleigrau auf dem Papier verweilten. Doch war es keinesfalls so, dass sie nur ihr bekannte Personen gezeichnet hatte, nein ... doch sie erinnerte sich noch an jedes kleine Detail dessen, was sie gesehen hatte.
    Was eine Seherin sah war jedoch nicht nur das Äußere, das Verhalten, die Gestik und Mimik ... das war es, was sie gezeichnet hatte; was sie gesehen hatte, war den Augen wohlweißlich verborgen.
    So bildete ihr Gedächtnis, das wie eine Chronik alles und jedes erfasste, zusammen mit den Bildern eine skurrile Einheit - in ihrem Kopf spielten sich jene Szenen, in denen sie das jeweilige Schicksal hatte erkennen können, immer wieder ab. Warum konnte sie nicht vergessen? Manchmal wäre es eine Gnade gewesen, zu vergessen.


    Silenes Finger glitten über die Kanten der Seiten, schlugen scheinbar willkürlich eine Seite auf. Willkür kannte sie selbstverständlich nicht: Von welchem subtilen Gefühl hätte sie sich denn leiten lassen können?
    Dieses Gesicht war ihr noch vertrauter als die anderen, denn in seine Vergangenheit hatte sie gesehen, in seine Zukunft geblickt und die Gegenwart hatte sie mit ihm geteilt. Mallalai, der Wogenwanderer.
    Doch noch viel mehr verband sie mit dem Gesicht: sie hatte Anteil genommen, obwohl sie es nicht fühlen konnte. Mit dem Korallensplitter um den Hals tat sie vermutlich mehr für ihn, als sie annahm.
    Und so viele Sätze seinerseits gingen ihr nicht mehr aus dem Kopf.


    Der Gedanke ließ sich nicht einfach beenden, selbst nach langem Überlegen nicht. Es gab keine Antwort, die man einfach finden konnte, ihre Überlegungen liefen sich tot, wie ein Hamster im Rad immer weiterläuft, obwohler nicht von der Stelle kommt. Das Fallenlassen dieses Gedanken wiederrum ließ sich nicht logisch begründen ... also ließ ihn die Valisar auch nicht fallen.


    War es wirklich mehr, das sie wahrnahm? War sie wirklich - nach wie vor - ein Teil dieser Welt, obwohl sie diese nur sehen, verstehen, erklären konnte und nichts dabei empfand? War es nur ein Trugbild, dieses Nicht-empfinden?
    Wieviel ist es, dieses "nichts"?

    Nur ewigen und ernsten Dingen / Sei ihr metallner Mund geweiht
    Und stündlich mit den schnellen Schwingen / Berühr' im Fluge sie die Zeit
    Dem Schicksal leihe sie die Zunge / Selbst herzlos, ohne Mitgefühl
    Begleite sie mit ihrem Schwunge / Des Lebens wechselvolles Spiel
    Friedrich Schiller - Das Lied von der Glocke

  • Was schlägt in der Brust einer Valisar?
    Was hält sie am Leben?
    Es mag seltsam anmuten, den Denkenden erstaunen, dass in einem solch kalten Körper das gleiche Herz schlägt wie in jedem anderen, warmen Körper.
    Genauso seltsam erscheint es, dass VAlisar die selbe Luft atmen, das selbe Wasser trinken, überhaupt Bedürfnisse haben.
    Sie scheinen nicht von dieser Welt zu sein, fern, wie magische Traumgestalten... als koste es der Realität enorme Mühe sie sichtbar zu machen. Wie ein toter, weißer Fleck ist es, wenn man sie ansieht... wie als erblicke man eine Lücke in der Welt, hinter der das Nichts sichtbar wird. Als hätte ein Maler sein Bild unvollendet hinterlassen und einen weißen Fleck vergessen mit Farbe zu bemalen.
    Und doch teilen sie sich eine Realität mit den Fühlenden, beschreiten die gleichen Wege, benutzen dieselben Worte. Es scheint fast eine Lästerung ihrer selbst, von solchen Dingen zu reden.


    So saß auch Silene, unwirklich und doch absurd real an ihrem Tisch und schlug das Buch entschlossen wieder zu. Wieder ruhte ihre weiße Hand wie ein unzerstörbares Siegel auf dem dunklen Einband, und als das Schankmädchen wieder an ihren Tisch trat, da war es, als sei nie etwas geschehen.


    Einen der Vorteile, die es brachte, wenn man sein Leben gefühllos fristen musste - so makaber das auch klingen mag, bedenkt man,welch jämmerliches, blasses Dasein das ist - war, dass man sich im Anblick von Dngen vollständig verlieren konnte. Nicht so, wie eine verliebte Nymphe sich im Anblick ihres Liebsten verliert, nein, sondern vielmehr auf eine Art und Weise, die man nicht nachvollziehen kann, wenn man nicht selbst Valisar ist.
    Kein gefühl störte Silene dabei, die Reflexionen in ihrem Wasserglas zu studieren. Vor ihren Augen wurde die Welt nichts,, das Glas alles. Die Dreidimensionalität hob sich auf, aller Hintergrund trat nach vorne.
    Ihr Auge sah nicht länger Wasser in einem Glas - wie profan - nein, das Glas begann ein Tor zu einer anderen Welt zu werden, einer unsichtbaren Welt.
    Ihre Gedanken ruhten nun vollkommen.


    ihr drittes Auge, das verborgene, sehende Auge, empfing die sachten, plätschernden Wellen, die ihr von egschehen erzählten, die sich imn diesem Moment zubrachten, die sich bald zubringen würden oder von solchen, die sich niemals ereignen würden; doch es ging an ihr vorbei.


    Von außen betrachtet sah man nun das Paradebeispiel einer Valisar. Furchteinflößend starr, wie zu Eis geworden, aus Eis gemeißelt, regungslos.
    Ob ihr Herz überhaupt noch schlug?
    Hob und senkte sich ihre Brust beim Atmen, oder bildete sich das der Betrachter nur ein, weil sich sein Geist dagegen wehrt ein lebendiges Wesen, dass nicht atmet zu sehen?


    War es sinnlos, was Silene da tat?
    War Silene dem Sinn unterworfen?

    Nur ewigen und ernsten Dingen / Sei ihr metallner Mund geweiht
    Und stündlich mit den schnellen Schwingen / Berühr' im Fluge sie die Zeit
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    Friedrich Schiller - Das Lied von der Glocke

  • Ich komme von
    Ruine der Raben


    ~ * ~


    Weiten Schrittes durch den Abend, wo Zarasshin doch liebte erschaudernd die Nacht, die bleich mit ihrem Gesicht hungrig andere ansah, doch düstern die schwarze Haut umschlang, die in ihren Schatten schritt. Die Gedanken waren zurück geblieben, bei jenem Sylphen, der sie nun zu berühren schien, ließ nicht los, sprachen sie immerhin von seiner quälenden Nähe. Sie, die im Dunkel steht, wo Wasser ihre Sehnsüchte kühlen, sehnte sich nach den Winden.
    Ein schon immer verlassenes Geschöpf, dessen Schultern ungebeugt waren, felsenfest. Tief, sehr tief, suchte sie in Erfahrenem, um sich zu erklären, was geschehen war, dass sie wohl kaum unberührt bleiben konnte, wenn jemand sie in die Lüfte riss, wenn sie bereit war, Blut zu geben für einen Trockenen. Und als Zarasshin befreit lachen wollte, um es allemal loszuwerden - denn man kann nicht fürchten, was es nie gegeben hat - bohrte sie sich unerwartet schmerzend die Zähne in die Unterlippe, um es zu unterdrücken.


    Ein Gasthaus wie das andere, das Korallenriff bevorzugt, griff die Yassalar doch nach der Klinke des Zauberbrunnens, der nicht elfischer hätte sein können: wo Bäume statt Korallen wuchsen, Luft waberte statt Wellen - weshalb noch mehr peinigen? Weil nur Ablenkung betäuben konnte, weil sie glaubte, dass das Leben unbegreiflich größer war, als der Tod, sie inmitten dessen sitzen musste ... es war irrig, ihr Sehnen war wie ein Rausch, inmitten der Wellen, zwischen den Trockenen, noch sonst wo. Es war köstlich, unbestreitbar und Zarasshin erkannte es nicht. Ihre Gefühle verlangten nach Herzschlägen und dem Genuss, den sie brachten, ein Schauern, das kurz darauf im Herzen erlosch.
    Kurz noch schlug die kühle Luft der Straße auf sie ein, wie geschmeidige Flügel ließ sie die Yassalar dann jedoch stehen, als es stickig wurde. Ihre kleine Welt versank wieder in Schwärze, in der ihre silbernen Augen suchten ... herbeisehnten die glimmende Haut jener Mira'Tanar, die ebenso ihre Leidenschaft entfachen konnten, nur eben auf andere Art.
    Ein Elf, ein turtelndes Pärchen, Lachen und murmelnde Gespräche, die nicht einmal verstummten, als eine in meerisches Leder gekleidete Yassalar den Raum betrat. Natürlich wollte sie den Platz, von dem aus sie ihren Blick über alles werfen konnte, natürlich war er besetzt. Hindernisse waren aus dem Weg zu räumen, dachte Zarasshin, immerdar tief und leidenschaftlich zu allen Lebenslagen. Unbarmherzig hätte die Schwester in ihr herausgeschrieen: Sieh mich! und Zarasshin wäre in sich gedrungen, um sie zu beherrschen oder ihr zu verfallen - dem Wahnsinn der eigenen Gier, so jedoch brandete das höhnische Lachen gegen ihre Sinne ... so süß, so heiß, denn es war eine Valisar und Zarasshin hätte sich die langen Nägel ins Fleisch schlagen können, so verlockend war die Vorstellung, jene das Fürchten zu lehren. Es war ein Elend, dass sie gerade eine Valisar, nicht verletzen konnte und so verging ihr sogar die kindische Lust jene zu vertreiben. Wie passend.
    Ein freudloses Grinsen stülpte sich nach vorne, indes sie sich geradlinig auf den Tisch zu bewegte. Ihr Herz klopfte unbändig vor Hatz, vor Unwillen, weil es dies immer getan hatte und nun nicht ablassen wollte.

  • Die Valisar rührte sich nicht, schloss ihre Augen.
    Lediglich ein schwaches Beben ihrer Wimpern ließ erahnen, dass sie die Yassalar wahrnahm, die sich nun zielstrebig auf ihren Tisch zu bewegte. Wie ein Kriegsschiff, dass die Wellen teilte, so schien die Yassalar eine Bugwelle aus sich kräuselnder Luft vorauszuschicken; die sich der Valisar entgegenlehnte wie Sturmwinde, die an ihrer Erscheinung zerren wollten.
    In ihrer Trance, ihrer Versunkenheit mochte es Silene bemerken, doch niemals würde es ihr Inneres erreichen.
    Ihre Augen öffneten sich blind, wie aus eisblauem Wasser auftauchende Blasen von schwarzer Luft, erschienen ihre Pupillen und fixierten die Yassalar, welche ihr ein solch gewaltig freudloses Grinsen entgegenwarf, dass sie aus ihrer Trance erwachte, ihre Gedanken glasklar fließen ließ.
    Es blieb ihr keineswegs unklar, auf was die Yassalar hinauswollte, doch waren die Informationen, die sie aufnahm zu vielfältig, zu farbig, als dass Silene sie vollständig hätte erfassen können. Wäre sie in diesem Moment fähig gewesen Verwirrung zu empfinden, vielleicht hätte sich ihrer weiße Stirn in schwache Falten gelegt und ihr Blick sich fragend auf die schwarze Gestalt gerichtet, deren Herzschlag laut bis an ihre Ohren drang.
    Wie die Schritte von harten Stiefelabsätzen schallte das beständige Pochen.


    Noch immer ungerührt, die Lippen nur einen Hauch breit teilend, wie zu einem Wort, dass nicht gesprochen werden wollte, löste sich ihr Blick vom Unsichtbaren hinter der Yassalar und stellte ihre Gestalt scharf, ihr Gesicht, dessen harte Züge von ihrem Inneren erzählten. Wieviel logen sie?


    "Ihr seid gekommen um mich zu Schrecken?", fragte Silene unvermittelt, und wenn es eine Steigerung von Kälte gab, so sprach diese nun aus ihrer Stimme. "So sucht Ihr wohl eine Befriedigung des Reizes, welcher darin besteht, Unmögliches durch mögliche Gedanken zu Wahrheit zumachen..."

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    Friedrich Schiller - Das Lied von der Glocke

    4 Mal editiert, zuletzt von Silene Sana'Santaly ()

  • Der Glaube, dass in Zarasshin eine andere wachte, von ihrem Willen beschirmt, hieß sie, sich selbst unter Kontrolle zu halten - was der Valisar in die Wiege gelegt war, konnte auch die Yassalar durchaus annähernd vollbringen. Worte, die sich von der inneren Schwester in Zarasshin ergossen, auf der Zunge schmolzen, ausbrechen wollten, sortierte diese sorgfältig. Kontrolle war alles. Die innere Stimme zog sich demgemäß zurück, verstummte und sie spürte die Einsamkeit in jeder Schuppe ihrer Haut, genau so, wie es sein sollte, doch sie wünschte sogleich das Gefühl zurück, das in ihr streiten wollte.
    Die Valisar war schön, wie sich ihre Lippen teilten, so makellos, dass Grausamkeit und Herrlichkeit verschmolzen, Zarasshins Brust sich schmerzlich zusammenzog, vor immer noch so realer Neugier, auch vor Sehnsucht es zu tilgen. Vorfreude lag darum auf ihrem unergründlichen Gesicht, bemerkt nur von ihren eigenen Gefühlen. Eine Valisar bedeutete Unnahbarkeit dem Gedächtnis einzuprägen. Genau das, was Zarasshin in diesen Zeiten dringend benötigte.

    Noch bevor Zarasshin etwas sagen konnte, vernahm sie klar gesprochene Worte, bestehend aus Möglichkeiten, Mutmaßungen ... und Wahrheit. Die Vergangenheit, welche sie eben noch belebt hatte, verebbte, wie eine aufgetürmte Welle ausrollen wollte, wie sie nach der Kühle in der Stimme griff, sich in den ebenbürtigen Frost hüllte, als wäre es ihr Mantel, den die Valisar trug. Aber sie konnte es nicht aufrecht erhalten, zu viel Leidenschaften tobten in dem schwarzen Wesen.
    Zarasshin huschte mit einem Gedanken nah an das blasse Geschöpf heran. Unmut sprudelte in ihrer Kehle, der ihre Stimme sich vor ihren Lippen verdunkeln lassen würde.
    Ein Wortspiel, viele Antworten möglich, es zu drehen und zu wenden. Aber es entsprach nicht ihrem Wesen, zu vermuten, was andere von ihr dachten, sondern auszusprechen, was sie in sich trug.
    Nein, meine Gedanken fragen nicht nach Möglichkeiten, sondern wählen ihre eigenen Wahrheiten und – ja, wenn ich mich an den Unmöglichkeiten reiben kann, so lasse ich mich gerne verleiten Taten folgen zu lassen, nicht bei Gedanken zu verweilen.


    Wisst Ihr denn nicht -“, die Kiemen öffneten sich flatternd, durch deren Atem ihre Stimme zu einem Hauch gesenkt wurde, so dass nur die Schemen in der Ecke zu lauschen vermochten, „Gewässer, den der Anreiz des Fließens fehlt, faulen.
    Damit nahm sie Platz, stieß die Valisar mit ihrer Hüfte ein wenig an, ließ den Blick ruhen und entdeckte das Buch, das sie sogleich fesselnd einnahm. Bücher bedeuteten Wissen und Wissen bedeutete Macht, in jeder Hinsicht.

  • Silenes Körperhaltung veränderte sich kaum, nur dass sie ihren Kopf ein wenig schräg hielt, um die Worte der Yassalar in vollkommener Schärfe wahrzunehmen, zeugte davon, dass sie sich bewegt hatte. Zustimmung druchfloss ihre Gedanken, doch sie sprach diese nicht aus, dessen bewusst, dass es die Yassalar mit Bestätigung erfüllen würde. Ingeheim wusste die schwarze Gestalt doch längst, dass sie Recht hatte.
    So schwieg Silene auf ihre Worte hin und verfolgte die Yassalar lediglich mit Blicken, bis diese sich erdreistete sie mit ihrer Hüfte anzustoßen, ihre unerschütterliche Haltung zu verändern, die zur Salzsäule Gewordene zu bewegen.
    Es blieb beim Versuch, dieses Verhalten zu deuten, doch fragte sich Silene, was sie damit bezwecken hatte wollen. War es lediglich ein Ausdruck ihrer Selbsicherheit, dass sie dies tat?
    Statt weiter zu interpretieren rückte Silene beinahe ergeben ein winziges Stück zur Seite, um der Yassalar den Raum zu geben, den sie einforderte.


    "Wenn es so ist, begleite ich Euch gerne auf dem Weg zu dieser Befriedigung, und liefere Euch diesen Anreiz.", entgegnete Silene und senkte den Blick auf ihre Hand, die immer noch wie ein Briefbeschwerer auf dem Umschlag des Buches ruhte. Dort bündelten sich wohl ihr Blick und der unergründliche Blick der Yassalar in einem Punkt. Wissen, Macht ... Macht, Wissen, dieses royale Prinzip der Macht kannte Silene nur all zu gut. Das dritte Element dieser Gleichung schien man aber oft zu vergessen. Das Geheimnis. Wissen bedeutete nur dann Macht, wenn man es für sich alleine besaß. Sonst war man lediglich ein Mitwisser ... "Wobei ich zu bezweifeln wage, dass Ihr meiner Begleitung bedürft .. oder täusche ich mich?"


    Konnten Valisar sich täuschen? Silene konnte es sicherlich. Nicht nur subtile, zerbrechliche Gefühle, Leidenschaften, Vorlieben und Abneigungen konnten in die Irre führen - auch die gnadenlose Treue Regeln gegenüber konnte sich nicht bewähren; und dass war das einzige, das Silene kannte. Regeln, Prinzipien, Funktionalität. Es gab keine Kompromisse.
    War sie mit der Yassalar so eng verbunden?

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    Friedrich Schiller - Das Lied von der Glocke

    2 Mal editiert, zuletzt von Silene Sana'Santaly ()

  • Was Zarasshin an der Valisar beobachtete, erbebte in ihr, rief nach ihr und sie bejahte es. Sie wusste, dass sie die Wahrheit gesagt hatte. Liebreizend, meinte sie Schwester dazu nur, wo Zarasshin der Valisar gern Glauben schenkte, dass der Weg der Yassalar nicht zu stürmisch für dieses Wesen war, dass jene genug Kraft aufzubringen vermochte, ihn beschreiten zu können. "Ts", zischte sie, eine Antwort schuldig bleibend, denn eine Valisar könnte Verständnis nur bescheiden heucheln.
    Ihr Gesicht schmolz zu einem pikiertes Grinsen, doch es lag keine Gefahr mehr in der Luft. Leere Worte aus einem leeren Wesen. Wer bot sich schon freiwillig an, als Futter der Schattenhaie? Schwäche, urteilte Zarasshin leichtfertig. Es würde niemals eine Befriedigung ihres Antriebes geben, denn sogleich könnte sie niedersinken auf den Grund der Meere. Ich bin Yassalar, nicht mehr und nicht weniger will ich sein. Sie sah ihre Strenge als Stärke, ihre Zurückhaltung als Talent, ihre Kontrolle als Kraft. Nicht vergessen, wie leicht manipulierbar sie waren, wie verführbar, wie lenkbar, wenn man nur die richtigen Mittel fand. Der Trockenen Alltag erschien ihr zu leicht getragen, als dass sie von der Strenge wussten, die hieß, dass alles Leben aus Leben entstand und die sie verdrängt hatten.
    Ihre scharfen Fingernägel kratzten über die Tischplatte, denen sie ihr Mal aufdrängte, nur um zu Überlegungen anzustiften, an denen sie doch nicht teilhaben durfte. Es war gleich.


    Vielleicht konnte die Valisar aber auch tiefer die Worte in ihrer Seele lesen, als es ihr angenehm war. Doch das ausdruckslose Gesicht fachte Zarasshins Bewusstsein ob dieser Überlegenheit nicht weiter an, sollte sie noch so lange in es starren, konnte es sie nicht antreiben und ja, es erschien ihr nur um so verführerischer, wo es ihren Zorn verschlossen hielt.
    Das Starren behielt sie bei, suchte, forschte, flocht die Hände, nur um ihrem Kinn ein Bett darauf zu geben. Hell und dunkel, brauchten sie noch Worte? Ein Meer aus Empfindung, Ahnungen und Ungesagtem schwappte um sie herum, um ihre Botschaften zu tragen, die wohlmöglich niemals angenommen werden mochten.
    Welche Geheimnisse hütete die Valisar, welche Worte suchte ihr Augenglanz auf weichen Seiten? Der silberne Blick sank erneut auf das behütete Buch mit dem dunklen Einband. Übe dich in Geduld, ermahnte Zarasshin sich selbst. Höre und sehe, erfahre, was kommen wird.


    Indes war es das Wasserglas, nach dem sie griff, das kaum genug Inhalt für ein Meeresgeschöpf enthielt, doch ein Ausweg für ihre allzu schnellen Finger war, die liebend gerne nach dem Buch getastet hätten.
    Eine Pause, während ihre Entscheidung endgültig am Fels zerschellte.
    Zarasshin kannte die sanft geschwungenen Lippen, die blassen Poren der Haut, noch bevor sie sprechen würde ... oft will die Zeit nicht weiterziehen, man verirrt sich in manchem Moment, in dem alles viel klarer erscheint. Und so fraß er sich durch ihre Gedanken, bis er in den Augen angelangt war, wo er noch nicht stecken bleiben wollte, nein, weiter ging es zu ihren Ansichten und Absichten. "Erzählt mir, was eine Valisar dazu treiben würde, ich habe Zeit zur Genüge." Doch weniger Geduld, als es scheinen mag.

  • Silene war sich nicht sicher, welche Antwort die Yassalar ob dieser Frage erwartete. Sie begann damit tiefer zu schauen, als nur die ersten zwei Ebenen der Frage zu analysieren - die wörtliche Sachebene, die der Valisar vorgaukelte, dass die Yassalar Zeit zur genüge hatte, stellte sie in den HIntergrund .. und die Sinnebene, die von ihrer Ungeduld erzählte, von all den ungesagten Worten, Empfindungen und Gedanken, die um ihre schwarze Gestalt, wie eine Gewitterwolke, tief hingen, wurde klarer und schärfer umrissen.
    Silene hatte nicht vor in den Gedanken der Yassalar zu lesen, nein - dazu war sie nicht befugt, doch sie empfing in diesen vielen Schwingungen ein Detail, dass sie dazu zwang, zu antworten, wenn sie ihrem Kodex treu bleiben wollte.


    "Pflicht.", antwortete Silene, so kurz und unvermittelt, dass es wie ein Monument wirkte, dass es klang wie das Geräusch eines, ins dunkle Wasser geworfenen Steines. Und um die Macht des Wortes nicht zu brechen, und doch um sie geschmeidig zu halten, blickte Silene wieder direkt in die opalsilbernen Augen der Yassalar. "Und wer die Pflichttreue bis zum Tod kennt, der wird nicht mehr verwirrt von Gewinn und Schaden, Leben oder Untergang... Es sei denn, und das versteht sich von selbst, er hat Gefühle."


    Silene betrachtete die geschlossene Hand der Yassalar um ihr Wasserglas, in dessen Sphären sie zuvor gereist hatte, dessen Klarheit nun durch schwarze Haut verdunkelt wurde. Silenes Gedanken richteten sich auf einen neuen Aspekt der Situation. Sie beide saßen an einem Tisch, rein zufällig, wenn man an den Zufall glaubte und ihn nicht widerlegen konnte, sich gegenseitig physisch nahe, doch mental so fern, so fern.
    Silenes sehendes, inneres Auge schloss sich behäbig. Hier war nicht wichtig, was die Botschaften ihrer Gedanken waren - Silene hatte genug gehört und gesehen.


    "Aus der Leere tönt kein Lied. Kein Lied der Sehnsucht, dass dem Schmerz Schönheit verleiht ... kein Lied des Mutwillens, das einem Geier gleich über dem Kopfe kreist und nach Beute schaut. Die Pflicht ist die Rettung - sonst fällt man der Schwäche und dem Schweigen zum Opfer.", fügte sie hinzu, und wollte dabei nicht tröstend oder erklärend wirken. Sie wollte gar nicht wirken. Sollte die Yassalar die Worte nehmen wie sie waren und sich selbst darin zurechtfinden, so war SIlenes Pflicht erfüllt. Wenn nicht, so ebenfalls.
    Dies war die Gestalt Silenes Gleichgültigkeit.

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    Friedrich Schiller - Das Lied von der Glocke

  • Pflicht stand in Bruderschaft mit Loyalität und Anspruch und Zarasshin konnte nicht einmal erahnen, was die Valisar annehmen ließ, solch ein schweres Wort in ihrer Gegenwart zu sprechen, dass es niedersank. Stockend atmete sie die wohl bekannte Forderung in ihre Welt, in der flackernd die Besinnung aufstob, dass sie selbst ihre Pflichten vernachlässigt hatte. Sie zeigte ihr typisches spöttisches Lächeln, indes sie den starren Blick hielt, das Buch entschlüpfend. Ein unwirklicher Moment für Zarasshin, den man über die Welt streuen wollte, nur dass alle mit ihnen inne hielten und es nicht sehen würden, während die Zeit in allen pochte, grub, jedoch nichts anhaben konnte. So entschwand der Atem, der Moment, der Zeitraum wieder. Hier spielte jemand mit jener Eigenschaft, die das Heilmittel gegen all Zarasshins Schwächen war, die sie Gefühle nannte. Ihr Herz schwieg entsetzt, wo sie nicht verhindern konnte, dass es aus dem Kelch der Vergangenheit trank.
    Und jenes Geschöpf sprach offen zu ihr, schien erkannt zu haben, an welcher Klippe sie zerschellen würde, in welchem Strudel zerrissen. Von Leben und Untergang, Verwirrung und - Gewinn.


    Zu ihr, die Befriedigung empfand, wenn ein Geschöpf sich zu ihren Füßen wand.
    Zu ihr, die glaubte, sich und andere beherrschen zu können.
    Zu ihr, die selbst Angst vor dem Tod hatte, den sie mit einem einzigen Schlag ihres Schwertes zu bringen vermochte.
    Zu ihr, die sich nach dem Wind unter starken Flügeln sehnte.
    Zu ihr, deren Pflicht sie mit allem verband, was Zarasshin ehrwürdig erschien.


    Die Befreiung aus dem Blick war wie ein Schlag ins Gesicht. Stiller Zorn. Fühlte sie sich überrascht, bloßgestellt und schmerzend begannen ihre Kiefer sich zu spannen.
    Und einen Moment lang, ließ sie das Leid in sich aufwallen, ließ es zu, dass er sie beugte, den Groll überflutete, nur um den Willen zu entfachen, der sie wieder aufrichtete. Singendes Blut und eine Unnachgiebigkeit, die sie nicht schwanken ließ, obwohl man an ihr riss. Ein Wechselspiel, wie die der Schatten an der Wand, in ihrem Gesicht, tanzten Ergebenheit und Widerwillen darüber, nahmen sich an der Hand.
    Doch die Neugier gewann, indes es im Grunde keine neu erworbene Weisheit enthielt. Hatte sie nicht einst gesagt, man schwimmt entweder mit den Schattenhaien oder man treibt mit den Fischchen? Nur sie hatte den großen Schwarm aus den Augen verloren.


    Sind es Worte, die Ihr kennt oder die Ihr für mich fandet?“, dann bleibt nur ein banges Schauern. Ihr Blut rauschte bis in ihre Ohren, pulsierte deutlich in der Ader an ihrem Hals ... nie lernt man von denen, die gleicher Meinung sind – was gab es dann hier?

  • Silene hatte ihre Worte fortgesandt wie eine Pfeilsalve... bewusst, doch nicht abzielend und doch hatte sie genau getroffen. Vielleicht hatte Zarasshin auch selbst dazu beigetragen, in dem sie sich aufflatternd in ihre Schussbahn bewegt hatte.
    Alle Abbilder der Reaktionen, die in Zarasshin unweigerlich ablaufen mussten, waren nicht überraschend für Silene, sie waren logische Folgen einer logisch getroffenen Entscheidung. Ihre Worte hatten sich tief in der Yassalar vergraben, wie ein Speer mit hässlichen Widerhaken verfangen und eine wahre Sturmflut von meeresschäumenden Gefühlen ausgelöst.
    Lediglich die Ergebenheit hatte Silene nicht erwartet, die sich fließend mit Widerwillen durchmischte, doch war sich die Seherin sicher, dass ihre Worte nicht annähernd so tief vorgedrungen waren, als sie es zu tun vermocht hätten, denn ihr schwarzhäutiges Gegenüber hatte sich trotz allem erfolgreich unter Kontrolle.
    Sie musste sich nicht ihrer seherischen Fähigkeiten bedienen um zu sehen, dass es Neugierde war, Wissbegier, welche die Yassalar an ihren Platz fesselten wie Ketten.Nicht umsonst war sie hier - und Silene war sich der Tatsache sicher, dass die Yassalar längst ohne ein Wort gegangen wäre, wenn es keinen handfesten Grund für ihre Begegnung gäbe - wenn dort nicht etwas war, dass sie von Silene gewinnen konnte; etwas, dass sie hier erfahren würde und nachdem es sie dürstete wie es nur Wasseratmer dürsten konnte.
    Silene wusste nicht, was es war, denn ihr drittes Auge blieb geschlossen; die plätschernden, plaudernden Stimmen, die ihr sonst alles zuverlässig herbeitrugen, prallten nun an ihr genauso ab wie an jedem anderen, der sie nicht zu hören vermochte.
    Es würde sich ergeben.


    "Ersteres.", entgegnete Silene und sah die Yassalar wieder direkt an. "Denn ich bin vertrauter mit ihnen, als Ihr es je sein werdet."


    Silene hob ihre freie Hand um sich mit einer grazilen Handbewegungen eine silberne Strähne - nicht unähnlich dem Silberhaar ihres Gegenübers - aus dem geisterhaften Gesicht zu streifen, ohne den Blick von der Yassalar abzuwenden. Man sah Silene ihre vielen Jahre nicht an, wie man einem Menschen ansah, dass er alterte - doch wenn man sensibel genug war, dann erkannte man die Augen, die zu viel gesehen haben, als dass man es in einem endlichen Leben verwerten konnte. Viel zu viel.
    Ihre Hand legte sich gelassen und doch wie berechnet auf die hölzern-rauhe Oberfläche des Tisches, nicht weit der Kratzer, welche die Yassalar ihr zugefügt hatten.


    "Doch habe ich sie scheinbar für Euch gefunden. Auch wenn ich nicht für Euch danach gesucht habe.", fügte sie hinzu, das bange Erschaudern, das Pochen des rauschenden Blutes in Zarasshins Ohren wie in ihren eigenen hörend. Keine der geläufigen Trost spendenden Lösungen schienen in Sichtweite zu sein. Das Einsamste hatte begonnen. Das zerstörerischste Selbstgespräch zu dem man fähig war ... wie ein Erdrutsch vom Land ins Meer niedergegangen, lärmend ins schäumende Nass versinkend- "Was wäre die Erfüllung der Pflicht, wenn sie keine Opfer kostet? Darum müsst Ihr selbst wissen; Was erwartet Ihr... und was ist es Euch wert?"

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    Begleite sie mit ihrem Schwunge / Des Lebens wechselvolles Spiel
    Friedrich Schiller - Das Lied von der Glocke

  • Es gab keine Oberflächen, die von solcher Ebenheit waren, dass keine Rille zu finden, dass selbst glattes Eis zu fassen war. Zarasshin zeigte keine erkennbare Reaktion, es war als hätte ihr Gegenüber gar nichts gesagt, mehr waren es ihre Gedanken, die sich in Strudeln verloren. Sie ließ ihre Sinne schlagartig erwachen, alle richteten sich jener zu, sah wie sie die Strähne verschob, in ihren Augen ruhte der Jahre Glanz. Fast tat es weh, sie zu betrachten.
    Und Zarasshins Unwille wuchs aus einem Zupfen in ihrem Geist zu einem Klumpen in ihrem Bauch. Man verlangte stets nach jenem, was einem kaum begreiflich war. Und besonders Zarasshin fragte sich, weshalb sie nicht schon früher die Begegnung mit einer Valisar gesucht hatte. Dabei dachte sie einst, die Mira’Tanar wären ein bizarres Volk.
    Eigentlich war sie äußerst fasziniert, so sehr sie versuchte zu misstrauen, fand sie dennoch eine Folgerichtigkeit, in dem was die Valisar sagte.


    In ihr selbst lauerten entgegen Stärke und Aufruhr, die sich der Gelassenheit entgegenstellen wollten; in jedem von ihnen gab es das Raubtier und sie wollte es gerne in sich wecken, denn sie mochte nicht vollendet erliegen ... doch der Valisar Worte rissen sie erneut aus dem Zorn, dumpf schlug sie auf dem Wasser auf. Allein ergoss es sich in die Bewegung ihrer Hand, die sich flach auf den Tisch legte, neben das Weiß.
    Wer ist sie, dass sie dich hinzureißen vermag? Ein Nichts, ein Nichts ... sei taub der inneren Stimme gegenüber … die Valisar handelte nicht aus prägnanter Überlegung, wie sie vorgab, lediglich weil sie nicht anders konnte. Dann gab es nichts zu begehren als Stumpfsinn?


    Ich vermag anderes zu sein, zu dem Zi'llail mich geformt hat“, die Stille seufzte, wie wahr die Worte waren. Sinnig für die Yassalar, leitend für sie selbst. Zi'llail hatte die Form gegeben, Zarasshin den Inhalt: sie konnte und wollte wesentlich mehr sein. Mit diesem Gedanken konnte sie sich ein wenig entspannen, Narion war nicht so gnädig gewesen. Zarasshin schnupperte. „Ich weiß es zu füllen und – es ist alles wert, das ich zu geben und nehmen im Stande bin.“ Von Opfern gar nicht zu sprechen.

  • "Ihr könnt Euch glücklich schätzen.", entgegenete die Valisar, schnell, humorlos und kalt. Worte, die aus ihrem Mund wie eine Ohrfeige klingen mochten, von eisiger, jähzorniger Hand ausgeführt ... doch war es lediglich die Kälte, die ihrem Gegenüber entgegenschlug, sich voller Kraft gegen sie lehnte wie eine Woge aus eisigem Wasser. Die Yassalar hatte es auf den Punkt gebracht.
    Wenn Silene es vermocht hätte, sie hätte sich verletzt gefühlt. Doch da ihr diese Art und Weise des Ausdrucks verwehrt blieb, und weil sie nicht empfand, was sie hätte empfinden müssen schwieg sie die schwarze Gestalt ausdauernd an.
    Was war sie für ein Wesen? So voller Stolz, so voller Kraft und Macht ... und gerade sie sollte mit ihren Worten eine Valisar zu verletzen vermögen? Welches Recht nahm sie sich dazu heraus? Welch Trugschlus mochte dahinter stecken? Silenes blick heftete sich auf ihrer beide Hände, wie sie schwarz neben weiß mit einander kontrastierten. Klare Beweggründe, noble Sätze - was sie sein konnte, was sie sein wollte - es war ihr alles Wert. Alles, dass sie nehmen konnte, alles, dass sie geben konnte.
    Umgekehrt stellte sich Silene die gleiche Frage: Wieviel war es ihr selbst wert, ihre in ihrer nunmehr nutzlose Hülle, ihre des wahren Lebens beraubte Seele wachsen zu sehen?


    "Es ist viel, dass Ihr gebt und nehmt um das zu füllen, was Eure Gottheit Euch einst formte... Ihr strebt damit einem einzigen Ziel zu, Ihr mögt eine gerade Strecke dorthin kennen - ich lüge nicht, wenn ich sage, dass Leichen Euren Weg säumen - und doch habt Ihr Euch verirrt... wie seltsam."


    Silene wusste, dass ihre Worte vermutlich mehr auslösen würden, als es sie es berechnen und abschätzen konnte, doch genau das war es, dass sie sah. Was tat eine Yassalar hier? War sie nicht mehr dazu prädestiniert in den Meeren Jagd auf Mira'tanar zu machen, mit den Schattenhaien zu schwimmen?
    Silene sehnte sich nicht nach diesen unendlichen Möglichkeiten, nach dieser Variabilität der eigenen Persönlichkeit. Ihre Persönlichkeit hielt sich längst nicht mit solchen Dingen auf - es gab sie gewissermaßen nicht mehr. Das Einzige, das davon geblieben war, war ihr Kodex - konservierte Verhaltensmuster, aufgebaut auf logischen Schlüssen und Erinnerung.


    "Ich kann meine wahre Bestimmung vielleicht niemals erfüllen, doch auf meinem Weg ist keine Verirrung. Er ist gerade, leer, offen."

    Nur ewigen und ernsten Dingen / Sei ihr metallner Mund geweiht
    Und stündlich mit den schnellen Schwingen / Berühr' im Fluge sie die Zeit
    Dem Schicksal leihe sie die Zunge / Selbst herzlos, ohne Mitgefühl
    Begleite sie mit ihrem Schwunge / Des Lebens wechselvolles Spiel
    Friedrich Schiller - Das Lied von der Glocke

  • Lebhaftes Bild der Säumenden am Wegesrand, so dass sie warm lächelte. Die Härten der Jugend hatten nicht den Willen brechen können, war es ein bitterer Kampf zu dieser Erfahrung, mühselig, doch solch einen Schluss zog Zarasshin schon lange nicht mehr, so war es just ihre Einflussnahme auf ihre Belange, ihr Handeln, welche nur durch sie selbst bestimmt sein sollten, denn willentlich unterdrückte sie Instinkte, richtete sich selbst aus. Desgleichen schlaffe Körper schwer zu Boden fielen, leichte davon glitten, andere weinten, jene stumm blieben - setzte das Leid der Meere ihren Schritt bereits darüber. Enttäuschend war die Feststellung auf der Zunge wie im Geist, dass es keinen Unterschied gab, welcher, mehr süßer oder bitterer, zu erkennen gab, wen sie ihrem Weg opferte.
    Doch halt! Einen hatte es gegeben ... Juveno, wirrer Elf, den der Zauber der Unschuld hatte umgeben, siegreich war er gewesen.


    Nicht ohne Genugtuung erreichte Zarasshin nun jedoch die Erkenntnis, dass auch eine Valisar einen wunden Punkt in sich trug, von dem sie gerade die Haut ein wenig abgeschält. War Schweigen die Antwort?
    Langsam begann das Begreifen. Wann war zuletzt das Glück bei Zarasshin gewesen? Gefährliche Brandung, zu bodenlos dieses Gewässer, träumend in dunkel tiefer See, soll es ruhen, war es das weiche Gleiten anderer Tage. Aber jeder Zeit war gewiss, es zu rufen, um aus dem Füllhorn der Vergangenheit zu schöpfen, sich zufrieden glücklich zu schätzen.
    Gerade deshalb waren es verschlungene Strömungen, stürmische Fülle, nicht gerade, wie die Valisar es sprach, gab es kein williges Fließen. Allein, das Wesensmerkmal war, dass Zarasshin ihren Weg schwimmen wollte, gleich wie er war. Das Innerste im ewigen Ton, stets rege ohne Rast zu füllen diese Form.
    "Valisaaaarrr", eine schmeichelnde Bewegung der Lippen nur, so als wäre der Name nie ausgesprochen. Valisar bedeutet sich zu tasten durch dunkle Nacht, Schluchten in jedem Tag, wenn die Freude verglüht - "Nachklang einer Welt, wenn jeder Quell versiegt", sagte sie laut - die Wirklichkeit vermag den Fluch nicht zu wecken. Der Lärm des Zauberbrunnens verklang.
    Ihre Gedanken sprangen. "Was ist Eure wahre Bestimmung?" Worte, die einen jeden streben lassen. Zarasshin leckte sich über die Lippen, wandelte sich ihre Haltung entsprechend wechselhaft wie Ebbe und Flut, bemüht, ein nichts sagendes Gesicht zu machen.

  • Kalt registrierte Silene die Regungen im Gesicht der Yassalar. Erst warmes Lächeln, Genugtuung und jene schmeichelnde Bewegung ihrer schwarzen Lippen als sie den Namen ihres Volkes schmeckte. War es Phaszination sie sich in Zarasshins Augen widerspiegelte? Dieses Gefühl kannte viele Nuancen ... es gab die Phaszination am Makaberen am Abartigen ... es gab sie für Kinder und Erwachsene glecihermaßen, wenn sie Neues entdechten, es gab die absolute Verlorenheit in der Bewunderung, es gab neidvolle Phaszination ... gierige.
    Wie sie die Lippen befeuchtete, ihre Haltung wandlend wie eine Katze vor einem Mauseloch ... ihre Mühe den Ausdruck von ihrem Gesicht zu verscheuchen hätte sie sich ersparen können. Dafür bedarf es mehr als den Willen ... mehr als nur Disziplin und Beherrschung.


    "Nicht jeder Quell versiegt, Yassalar.", entgegnete sie leise und als sie Zi'llails Namen für das Volk der Dunklen aussprach, klangen die Laute wie Glasscherben ... schmeichelnd mochte es für die schwarze Gestalt sein, einen solchen Namen tragen zu können, sich damit zu schmücken die Geißel der Meere zu sein. "Der Wille, das Wissen und das Schicksal vergehen nicht."


    Fließend gingen ihre Gedanken dazu über die Frage der Yassalar zu analysieren ... sie forderte sie heraus? Kaum ein Wesen, dem sie begegnet war, hätte eine Antwort auf diese Frage gehabt. Lediglich sie selbst war sich darüber stets im Klaren gewesen. Sie kannte die Feigheit nicht, sich selbst ins Antlitz zu sehen. Nichts hinderte sie daran ihre Aufgabe gewissenhaft zu erfüllen - nichts.
    "Die Valisar wurden geschaffen um einen gewissen Zweck zu erfüllen ... Wir waren Boten zwischen dieser Welt und der Welt der Götter - wir wurden geschaffen um Lilliande und Yanariels Lehre zu verbreiten ... Liebe zu schaffen. ", begann sie, obwohl sie sich insgeheim sicher war, dass die Yassalar längst wusste auf was sie hinauswollte. "Dies mögt Ihr als meinen ursprünglichen Zweck ansehen ... doch meine Bestimmung ist es längst nicht mehr. Meine Fähigkeiten zu sehen, was dem Auge verborgen ist; meine Aufgabe, den Suchenden meine Augen zu leihen ... das ist es, was mich dazu berechtigt zu leben, das ist es, was mein Leben bestimmt."

    Ungerührt starrte die Valisar ihrem Gegenüber entgegen, abwartend, ob sie sich zufrieden gab mit diesen Worten, abwartend ob sie damit begann in ihr zu lesen. In der Valisar zu lesen, die sonst mit einem Blick in anderen laß.

    Nur ewigen und ernsten Dingen / Sei ihr metallner Mund geweiht
    Und stündlich mit den schnellen Schwingen / Berühr' im Fluge sie die Zeit
    Dem Schicksal leihe sie die Zunge / Selbst herzlos, ohne Mitgefühl
    Begleite sie mit ihrem Schwunge / Des Lebens wechselvolles Spiel
    Friedrich Schiller - Das Lied von der Glocke

  • "Willen kann man brechen, Wissen geht verloren und das Schicksal wird erfüllt", richtete Zarasshin, zufrieden bei Weitem nicht, niemals. Damit waren die Quellen vergangen, die Valisar sah nicht wahr.
    Allein dem Wissen gestand sie zu, wieder gefunden zu werden und allemal nutzvoll und gewinnbringend Einsatz zu finden. Man konnte durchaus von verloren gegangenem Wissen profitieren, wenn man es alleinig fand wie besaß.
    Ein gebrochener Wille war brach liegender Mut. Ohne diese Kraft war alles nichts und wertlos, erbärmliche Dinge hatten mit ihr nichts zu tun.
    Milder dachte sie an das Schicksal, das sie alle erfüllen würden, reisend auf dem Fluss, denn auf dieser Strömung gab es kein Entkommen mehr und keinen Weg zurück.
    Und Liebe, ja, welch abgenutztes Wort, das sie mit Schwäche gleichsetzte und da sie diese in letzter Zeit zu sehr an sich selbst wahrnahm, erwachte der Grimm aus ihrer dunkelsten Nacht. Zarasshin senkte das Kinn, wies es von sich, so dass es an ihren Schuppen abprallen mochte, während sie sehr genau zuhörte. Sie mochte Geschichten, egal, welchem Quell sie entsprangen, den Kern der Wahrheit besaßen sie alle, auch wenn die Zeiten darüber geschwemmt waren, um sie auszuwaschen.
    Licht und Güte, auch das Feuer ... nichts davon sah sie in der blassen Gestalt, allein die Schönheit war geblieben. Wäre sie Narion gewesen, so hätte sie die gefallenen Valisar mit ihrem Feuer gebranntmarkt -- eine wirklich schreckliche Strafe in der Vorstellung eines Meerwesens. Schrecklicher als der Verlust aller Gefühle ... doch wo bleibt der Antrieb? fragte die Schwester. Zugegeben, knirschte Zarasshin.
    Eine Seherin.


    "Schicksalstage, Seherin, wenn der Zeiten Höhe überschritten ... die Vergangenheit ist übergroß und tragend, doch was kann es helfen, wenn man um Geschehens weiß? Die Gegenwart dem Wahnsinn hinwendend und schon vergessen, da sie sich der Vergangenheit zuneigt, die Zukunft will es entscheiden, doch sie ist abhängig von dem Hier und Jetzt, als dass sie zu klar will gesehen werden." Zarasshin schnalzte abwertend mit der Zunge, langsam glitt ihr Blick über die weißen Hände, deren Haut so glatt und schimmernd unter dem seichten Licht der Kuppel war. "Es mag mir nicht einleuchten, was euch bestimmend erscheint und antreibt. Wenn der Zeiten Höhe überschritten, Seherin, seid Ihr dem Wahnsinn verfallen und die Bestimmung der Meere sei erfüllt." Die Yassalar fuhr mit dem Finger über die zarte Haut der Hand einer Valisar, wissend wollend, ob sie so eisig war, wie sie schien. "Für diese Tatsache ist keine Seherin von Nöten." Ließ ab, lächelte spottend, die wahrlich keine Tatsachen zu sehen vermochte. "Das habe ich für Euch gesehen."

  • Silene ließ geschehen, was die Yassalar geschehen machte, sie gewährte ihr die Worte, die Berührung. Wie ein Kind war die Schwarzhaut, welches der festen Überzeugung war, dass es weiter sehen konnte, weiter denken konnte. Wenn sie tief in sich hineinhorchte, und die zerschmetternde Stille für einen Moment zu überhören vermochte, so vernahm sie nur Desinteresse. Tatsächlich reichte das Interesse an der Yassalar nicht sehr tief, wobei es doch groß, neu war. Neue Dinge waren Nahrung für ihren Geist, der noch längst nicht an seine Grenzen gelangt war.


    "Ihr verwechselt ein paar Dinge.", gab Silene zu bedenken. Die Yassalar mir überlegen?, dachte Silene und sah ihrem Gegenüber in seine Augen. Nein, war sie nicht. Aber sie trug ihren Blick erstaunlich hoch für eine Normalsterbliche. "Der Zeiten Höhe ist längst überschritten. Doch solange mein Wissen bei mir bleibt, bin ich dem Wahnsinn nicht unterworfen. Ich kenne ihn gut ... er begleitet mich wie Euch der Tod mit jedem Schritt begleitet - mit dem Unterschied, dass selbst Ihr gegen den Tod machtlos seid."


    Silene hob ihre berührte Hand, betrachtete sie, als sähe sie ein graues Stäubchen dort, wo die Yassalar sie zuvor berührt hatte. Silene ließ ein Lähceln über ihr Gesicht huschen, als sie zu der Dunklen hinübersah, ein Lächeln, dass so abstrus real aussah, dass Silene sich selbst hinterfragte - ein Prozess der niemals enden würde. "Was Ihr seht, mag irgendwann eintreten ... doch wie könntet Ihr verstehen, was mir das bedeutet? Wie könntet Ihr begreifen, wie stark ein Antrieb aus purem, unerschütterlichen Wissen ist... wie tief es ist, wenn man gefühllos sieht. Vergebens."

    Nur ewigen und ernsten Dingen / Sei ihr metallner Mund geweiht
    Und stündlich mit den schnellen Schwingen / Berühr' im Fluge sie die Zeit
    Dem Schicksal leihe sie die Zunge / Selbst herzlos, ohne Mitgefühl
    Begleite sie mit ihrem Schwunge / Des Lebens wechselvolles Spiel
    Friedrich Schiller - Das Lied von der Glocke

    Einmal editiert, zuletzt von Silene Sana'Santaly ()

  • Man leidet. Man verlangte nach Herzschlägen und dem Genuss, den sie brachten, ein kurzer Kuss, der im Herzen erlosch. Es war nicht so schrecklich, wie es klang. Man konnte es beherrschen, wohl wahr. Vielleicht musste man es auch nicht verstehen, wenn man nicht Yassalar geboren war. Auch Zarasshin hatte einmal angenommen, dass das Leben unbegreiflich größer war, als der Tod, und dass sie darum, es jede Nacht auf das Neue tilgen und in sich aufnehmen musste ... es war irrig, es war wie ein Rausch. Manchmal. Es war köstlich, unbestreitbar. Wir alle haben Blut an unseren Händen, wie in unseren Adern, welches nicht das unsere ist, auch wenn wir es nur achtlos zurücklassen oder es unbewusst vernichten. Auch du, Valisar. Denn war es nicht gerade das geglaubte Wissen, das in den Wahnsinn trieb? Und andere in den Tod, weil sie dir glauben?
    Sieh, ich lebe, ich bin. Ja, gewiss, Tod, nimm meine Hand, denn die Freiheit folgt deinem Schmerz.

    Doch die Valisar meinte nicht den Tod, der in ihrer Spur lief, den Tod, den sie vor sich hertrieb. Es war das Dahinsiechen, das die Alten ergriff und niemals die Yassalar würde erwischen können, da sie die Kampfarena Leben siegreich verlassen würde. Das nannte Zarasshin Gewissheit, denn die Schwachen werden nicht geduldet.


    "Auch Ihr seid begleitet vom Tod, Valisar, es nicht fühlen, streitet nicht das Vorhandensein ab." Nicht zu wissen, was kommen, was die Zukunft bringen wird, die Furcht, die es inne hat, die einen umfängt, ist dem gleich, was Lebewesen empfinden, wenn sie an die Ungewissheit denken, die ihr Ende betrifft - es ist stets ein kleines Ableben. Allein die Yassalar fürchten es nicht, folgen sie offenen Auges dieser Strömung und öffnen die Arme in einem Willkommen. "Und niemand, auch die Valisar nicht, wissen um die Zukunft, denn sie ist ein Spielball in den Händen der Götter."
    Sie betrachtete das wohl imitierte Lächeln, niemand konnte etwas anderes sein, wir sind, was wir sind und die Valisar war wohl viele. Die Frage war nur, von wem sie dieses gelernt hatte. "Ich möchte es nicht wissen, niemals kennen lernen, was es heißt ohne Gefühle zu sein. Es wäre mein Abgrund, der Gegensatz meines Lebens, etwas, das ich fürchten könnte." Denn es ist nicht der Tod, der mich bangen lässt. "Ich bringe den Tod, doch erwischen wird er mich nicht, denn solange ich hier sitze, kann er mich nicht fangen und wenn er kommt, bin ich nicht mehr da, um ihn zu begrüßen." Tiefgründiges Funkeln. "Das Wissen treibt Euch an -", Zarasshin zuckte mit den Schultern, sie trieb nicht das Wissen, sondern die Suche danach? "Bei Zi'llail, versucht und erklärt es mir." - und wenn man den Yassalar nichts als wahr abnahm, so lag ihr sehr viel daran, dass es ihre einzige eigene Wahrheit war. "Ich würde jeden Flecken zu betreten versuchen, der es mir zu verschaffen verspricht, jede Chance ergreifen Wissen mir anzueignen - so treibt es gewissermaßen auch mich."
    Dann sah sie auf, denn es verlangte sie nach Wasser und würde man es ihr nicht bringen, so würde sie selbst dafür Sorge tragen, dass sie es bekam.

  • Vernunft. Vernünftig war was die Yassalar dachte, dass es ihr Abgrund wäre, ohne Gefühle zu sein ... der Gegensatz zum Leben - der Tod? - und dass es etwas sein kann, dass sie fürchetet. Die elegante, schwarze Schönheit gehörte einem Volk an, das die Furcht leugnet - sie nicht kennen will ... und sie doch besser kennt als manch ein anderer.
    Ein Zupfen der Zeit an den Gewändern ihrer Seele ließ sie aufhorchen, ließ sie erinnern, an jene Tage, die so weit zurücklagen, dass sie in der Ferne mit den Träumen junger Jahre verschmolzen. Waren es glückliche Zeiten gewesen? Waren sie sinnvoll gewesen... gar vernünftig gelebt?
    Begleitet von Tod ... Silene zweifelte. Es war den Valisar nicht gegeben worden zu sterben, wenn ihre Zeit gekommen war. Man hatte ihnen die Zeit genommen, sie ihnen geraubt und damit auch den Sinn, wenn sie ihre Aufgabe erfüllt haben sollten. Wenn Zeit nicht verging ... für was lebte man dann?


    "So seid ihr flinker als der Tod...", antwortete Silene und löste ihre Haltung in einer fließenden Bewegung auf - erneut war es die Yassalar welche warten musste. Sie verschränkte die Hände ineinander, bettete sie wie im Gebet gefaltet vor sich auf dem Tisch und sah der Yassalar lange entgegen. Silenes Götter hatten den Tod an ihr vorüberschreiten lassen ... er jagte nicht mehr hinter ihr her. Er würde irgendwann an einer Weggabelung verschnaufend auf sie warten. Und sie würde vielleicht entscheiden seiner Einladung nachzukommen. "Wenn die Fülle eines Lebens geraubt worden ist, Tage leer, Atemzüge flach und der Trieb nach dem Leben gestorben ist... so bleibt nur noch die Zeit, unendliche Zeit ... die verschwendet werden kann, denn sie wird dadurch nicht geringer. Und doch bin ich existent.
    Es ist das Wissen darum, dass ich existiere. Das Wissen, dass nichts umsonst geschieht, dass sich das Schicksal nicht verirrt, dass ich selbst dennoch in der Lage bin, es zu ändern - das ist es was mich antreibt. Es ist anderes Wissen, als ihr es meint - meines nennt sich Gewissheit."

    Nur ewigen und ernsten Dingen / Sei ihr metallner Mund geweiht
    Und stündlich mit den schnellen Schwingen / Berühr' im Fluge sie die Zeit
    Dem Schicksal leihe sie die Zunge / Selbst herzlos, ohne Mitgefühl
    Begleite sie mit ihrem Schwunge / Des Lebens wechselvolles Spiel
    Friedrich Schiller - Das Lied von der Glocke

  • Waren es überhaupt Gedanken, die ihr durch den Kopf gingen, sah Zarasshin sie auf diese unheilvoll ruhige Art an. "Flinker als ... alles", formten ihre Lippen lautlos. Die Überzeugung von sich selbst war groß in Zarasshin, wie sie das Abschweifen der Valisar verfolgte, die scheinbar nicht fest hier verwurzelt war. Doch zugegeben, so größenwahnsinnig war sie dann nun nicht, auch wenn es in Ironie schnell gesprochen war. Versprach es eine Lüge, die die Yassalar als nicht ersehnenswert betrachtete, denn alles sollte im Hier verhaftet sein und Zarasshin wusste ob ihrer Grenzen.
    "Meine Gewissheit, dass es sich so verhält, wenn die Ströme mich tragen, meine Überzeugung, dass es auch an Land so ist. Es ist vorurteilsvoll, von mir betont, ich nehme es als meine Wahrheit an, auch wenn die Tatsachen sich dem entziehen, denn sie wissen, dass es so nicht sein kann." Konnte die Valisar folgen? "Ihr zerstreut meine klar strömenden Gedanken - sprecht Ihr von Wissen und nennt es zuletzt Gewissheit." Für sie bedeutete dies, dass eine andere Valisar es anders darstellen würde, wo sie doch alle gleich sehen sollten. "Beendet das Suhlen in Eurem Schicksal und klammert Euch an Heiteres. Es ist ein Unterschied, nicht zu wollen oder nicht zu können. Euer Unvermögen kann ich akzeptieren." Sie fragte sich, für was sie tiefer verachten konnte: offensichtlichen Gefühle oder Hingabe an ein Schicksal, das man betont verändern wollte, doch wenig Kraft zu finden schien. Unendlich viel Zeit - für was, für was? "Ha!", stieß sie aus und erhob sich, was könnte man alles vollbringen. Ein schwaches Bedauern durchzog ihre Brust. Für Zarasshin waren diese trübsinnigen Gedankenflüsse beendet, doch noch war ihr Interesse an der Valisar nicht versiegt - eine Quelle, die sie noch weiter zu piesacken trachtete.


    Mit flüssigem Körper erhob sie sich, um der Theke ihre volle Aufmerksamkeit zu schenken, schlängelte sich zwischen den Tischen hindurch und erhob sich selbst zum Mittelpunkt der Schenke.

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