Um zu begreifen, was die Höhe ausmacht, musst du dich erst nach oben schwingen, wo du die Tiefe nachempfinden kannst, wo Sprünge den Abgrund überbrücken. Im Strecken, Gleiten, Greifen wächst du über dich hinaus und ziehst dich über die Gefahr hinweg. Ein neuer Abend, eine neue Nacht – eine neue Zeit.
Bruchstückhaft zogen Dinge an ihrem inneren Auge vorüber, während Zarasshin konzentriert auf einem Dach entlang lief.
Der Abend hatte sich an seinen Aufstieg zur Nacht gemacht, in der Ferne glomm, was übrig war von einem Tag innerhalb der Kuppel. Die Weite hielt ihr Blickfeld gefangen, fühlte sie sich fast wie von Wind und den Wellen getragen, wogte sie auf ihren ganz eigenen Beweggründen beinahe vergessend einem kaum ersichtlichen Ziel entgegen. Ihr Spiel, ihr Übermut – warf sie sich im Übermut und Eifer hinein in ihr Himmelstreiben, denn man konnte nie genug üben mit einem fremden Element.
Und doch ermüdete es sie, so dass sie langsamer werden musste. Es war viel schwieriger, die Emotionen zu benennen, die sie jetzt sich selbst im Zorn gegenüber empfand, als eine weite Häuserschlucht zu überspringen. Zu schwerfällig, würde sie es benennen, was andere mit Anmut beschreiben mussten, ja, anerkennen, dass eine Yassalar, geschlüpft in den Weiten des Meeres, selbst in der Leere mit Grazie beschenkt war.
Ihr fischgleicher Körper war so kühn, in Lust und Jubel und Kampf, erhaben zwischen Erde und Himmel, im Fallen und Jagen und Stürzen, als sei sie ohne Gewicht. Sie stürzte sich nicht nur hinab, sondern auch hinauf, nutzten Ecken, Kanten, Risse im Gemäuer, triumphierte sie über das Gleichgewicht.
Ein Lachen stieß sie aus, gab es ihren Göttern hin, warf einen grimmigen Blick hinauf, um nur noch schneller zu werden, in Aufforderung, dass man sie niemals fangen könnte, offenbarte sie die Freiheit ihrer Natur. Der Atem der Welt war ihr Pfad, der Arm, der sie wiegte, sie warf.
Abrupt hielt Zarasshin Asdis inne. Sie schmeckte die Nacht, diese Spur wollte sie haben, flimmerten ihre Jagdinstinkte auf, schlug sie ihren geschmeidigen Körper hinab in eine Bauchlage. Von der Höhe erfasst, zur Tiefe gezwungen fiel sie hinab, landete sie zart und unbemerkt. Wie auch?, – angetan mit schwarzem Meeresleder, dem es kaum möglich war, ihren strammen Leib zu verhüllen, blieb sie eins mit der Finsternis. Handbreite Bänder, die sich wie Schlangen um sie wanden und jede Bewegung lebendig begleiteten. Ihr mächtiger Trieb hetzte sie weiter in eine dunkle Straße, in der ihre leichten, baren Schritte kaum erklangen und das leise Echo übertrug sich auf ihr Blut. Wer hatte behauptet, sie habe kein Ziel diesen Abend? Schnell bewegte sie sich durch das Labyrinth der Stadt dahin zurück, woher sie ursprünglich gekommen war. Und vergangen war aller Spaß, die Ernsthaftigkeit fesselte Zarasshin in die Aufgabe, die sie sich gestellt hatte.
Es wurde still, die Stadt ging leiser.
Mit unbewusster Eleganz trat sie zu dem einzigen Mann, den sie hier hatte sehen können. Er war ihr fremd, sie kannte ihn nicht. Aber das war irrelevant, er schien ihr kräftig genug, er stank nach Hafen und Pech, dass er vor ihr Augenmerk geraten war und zimperlich war sie noch nie gewesen.
„Ihr“, sprach sie ihn an und reckte stolz das Kinn, unnahbar waren ihre Schultern gestrafft … siehe ihre Pupillen silbern, Vorsicht, wenn sie violett sich färben, „werdet uns begleiten.“ Man sollte keine voreiligen Schlüsse ziehen, welche Absicht sich hinter einem solchen Angebot verbergen mochte.