Das Drängen der Erinnerung

  • Der Schein konnte trügen: was untrüglich gerade durchgeschienen, war weder Realität, noch Wunsch – die Yassalar konnte sich keine Freunde erlauben, selbst wenn es sie danach verlangen würde. Sie stützte sich auf sich selbst, sie gab sich Rat und sah in abertausend Wassertropfen nur die Welle, die gegen sie drängte. Zarasshin wusste nicht, wie es war den Kopf anzulehnen, um auszuruhen, eine Entscheidung einmal in geliebte Hände zu legen oder um ihrer selbst willen geschätzt zu werden. Zi’llail behüte uns, würde sie vorlaut abwehren und doch nicht wissen, wovon sie sprach. Sie wusste aber um die Yassalar und, dass ein einmal falsch gewähltes Vertrauen den Untergang bedeuten konnte.
    Selbst Tuireann, die Zarasshin besser zu kennen schien, als jeder andere, war sich bewusst, wie zerbrechlich die Bindung zwischen ihnen war: als zitterte man unter der Beobachtung eines hängenden Tropfens, wann er denn fallen würde und nicht ob er es tat. Dies stand außer Frage. Zarasshin entschied meistens nach ihrem eigenen Vorteil und nichts schien wichtiger und alle Hoffnung, die Suna fühlte, kannte Tuireann nicht.


    Und Erdfee sowie Meereswesen hörten genau zu. Uns interessieren die Landwesen auch, dachte Zarasshin, pflichtete bei und sagte sich, dass es eben diese Hartnäckigkeit wäre, die deren Untergang bedeutete, denn folgerichtig verhieß das Meer ihnen den Tod. Weshalb nicht einsehen, dass das Unterwasserreich nicht noch einmal mehr aufgeteilt werden brauchte? Eindringlinge waren sie – liefen sie auf dem Grund und Boden der Yassalar, der überschwommen gehörte. Zu gerne hätte sie ihnen eine Handvoll Erde mit dem Hinweis entgegen geschleudert, dass dies kein Land zum Laufen sei, doch Tuireanns Stimme hielt sie davon ab.
    Das bedeutet“, folgerte Tuireann, während sie kopfüber vom Eingang hing, „dass er außerhalb der Kuppel geboren wurde.“ Die Haut wie Borke ihrer Wangen verzog sich unter ihrem Grübeln. „Weshalb hast du ihn hier nach unten gebracht, Suna?“ Besprochen wurde der Mann, als wäre er gar nicht da.
    Hast du nicht bedacht, dass sein Leben in der Fremde der Tiefe kläglich sein wird?“, hakte auch Zarasshin nach, die das Innere des Turms musterte und nach der Erdfee griff, die sie von den Steinen klaubte und in ihren Zopf setzte – „Das meinte ich nicht, Zara“, entgegnete Tuireann, die jetzt an dem dicken Strang zwischen Muscheln baumelte.
    Ich auch nicht.
    Die Wasserfee hatte noch mit keinem Wort ihre Gründe erklärt, was sie speziell in diesem gesehen hatte, um seinen Wert für sie zu erklären; und was da gewesen sein musste, war versickert im Erdreich des Sternenmeers.


    Gebt mir Eure Hand, wandte sie sich wieder an den Trockenen und öffnete die schwarze Klaue mit der Handfläche nach oben, deren Umrisse man außerhalb der Pforte eben noch erahnen konnte … wohl ersichtlich aber die Krallen, die leicht nach innen gebogenen, kleinen Dolche. Sie fächerte die Finger leicht und die zart mit Schwimmhaut bewebten Zwischenräume mochten verhindern, dass er seine Finger ganz mit ihren verflechten wollte. Das halbe Lächeln zeigte eine Ahnung des Glanzes ihres Haigebisses … eine Herausforderung, der Zweifel darin, dass er es nicht ohne Zögern wagen würde nach ihrer Hand zu greifen. Trotz der heimlichen Schatten auf ihrem Sein, trotz manch auffälliger Zeichen, war Zarasshin so herrlich lebendig und freundlich, so zauberhaft fähig in ihrem Gebaren, dass man die tödliche Kraft darüber vergessen konnte. Stellt er nun unter Beweis, was seine Fee in ihm sieht?, wisperte es in ihr, schallte von einem Ohr zum anderen, nahm Zarasshin in den Würgegriff ihrer Wachsamkeit.
    Ihre silbernen Augen hoben sich schwer ihm zu, fixierten die Beute, denn schnell kniffen sich ihr die Augen wieder zusammen, denn immer war es, als lauere ihr etwas auf, wenn sie es zuvor nicht genau besah. Nichts, wogegen sie sich noch wehren könnte, der stets lauernde Verrat in ihren Reihen, ließ sie beharrlich auf das völlig Unvorhersehbare prüfen.

  • Was war er. Ein Schüler, eine Helfende Hand. Wohl er ein interessantes Gesprächsthema, so wie sich die Damen über ihn unterhielten. Doch aufbegehren dass braucht er nicht. Eine von den Dreien war schon gefährlich. Doch nun da sich alle drei gemeinsam verschworen hatten, war allein der Gedanke an Hoffnung, hoffnungslos.


    Nun, es lag am Nahsten. Sprach Suna schulterzuckend. Hätte sie ihm etwa quer durchs Meer schleifen sollen, ehe er an Land war. Wo möglich auch noch bis vor die Haustür bringen sollen, wo sich dann ihre Wege womöglich wieder getrennt hätten. Nein, warum auch. So ging es doch auch. Und in der alten Heimat hätte ihn womöglich eh nichts mehr gehalten, waren die doch auf dem Schiff gewesen, die er kannte. Doch dies war wohl etwas, was hier nicht hingehörte. Trotz alle dem, dachte Suna nach, sollte sie noch sagen, wieso grade er. Das wusste wohl nicht mal er. Suna war damals dem Schiff gefolgt und hatte alles beobachte. Den Schrecken der Piraten und das Verhalten Jonos’. Doch irgendwie war ihr es auch peinlich. Sie war einem Schiff hinter her geschwommen und hatte heimlich Menschen beobachtet. Nein, dies musste niemand weiter wissen. Und war dies denn auch wirklich der endgültige Grund ihrer Entscheidung. Es war irgendwie so viel und doch nur Kleinigkeiten, so dass sie es wohl fürs erste gar nicht beantworten konnte. Nicht ein Mal sich selbst. Und so sah sich Suna erstmal die Ruine an. Die Dunkelheit störte sie dabei wenig, das Meer konnte in Tiefen genauso dunkel werden. Doch dass diese Zara mit der Dunkelheit zu verschmelzen schien, bereitet ihr ein wenig Unbehagen. Sie war halt doch eine Yassalar und der Schrecken der Meere. Doch anscheinend auch hilfsbereit, so wie sie Jonos ihre Hand entgegenstreckte. Ein wirklich seltener Anblick, die helfende Hand eines Yassalars. Diese war wohl doch etwas anders, als die Geschichten erzählten. Oder brauchte sie Jonos’ Hilfe so sehr, dass sie ihm sogar half die Prüfungen des Weges zu bestehen. Sie hatte sich in zwischen etwas gedreht und saß nun in Jonos Blickrichtung auf dessen Schulter. Vielleicht konnte sie ihn ja wenn es absolut notwendig wurde etwas in der Dunkelheit lotsen. Doch wenn er Zaras Hand nahm, war dies vielleicht gar nicht nötig. Kurz sah sie in sein Gesicht, es ratterte in seinen Gedanken. Sein Blick lag auf der Hand.


    Ein Schatten der sich aus der Dunkelheit heraus streckt. So schien ihm die schwarze Hand, welche ihm entgegen kam. Ein Schatten der ihn in die Finsternis mit nehmen wollte. Dort wo er ihr vertrauen musste, wo er Zara blind vertrauen musste. Im wahrsten Sinne des Wortes. Dort drin, würde er nichts sehen können. Dort drin war er blind, ihr ausgeliefert. Die Hand einer Yassalar, die Hand der Geißel der Meere, die Hand Zaras. Die Erdfee hatte ihren Namen genannt. Erstaunlich, was ein Name doch verändern konnte. Er gab irgendwie ein zusätzliches Gesicht. Er war ein Puzzelstück des Ganzen. Zara. Sollte er ihr Vertrauen können, ihr, deren Klinge er kurz zu vor noch gespürt hatte? Ihr, deren krallenhafte Finger sich nach ihm reckten? Seine Augen ruhten auf ihrer Hand. Wie schwarz sie glänzte, wie ihre Finger mit einer Haut verbunden waren. Freund oder Feind? Führte ihn diese Hand in seinen Untergang. Könnte Suna ihn da noch mal retten. Andererseits, hätte sie seinen Tod gewollte, wäre dies schon längst geschehen. Der Hand folgend schweifte sein Blick ihren Arm entlang, welcher sie am Ende mit der Finsternis verschmolz. Dorthin sollte er folgen. Er schloss die Augen, sie würden ihm eh nichts nutzen. Zara, ich bin Jonos, sprach er mit leichtem Widerwillen in der Stimme und… seine Finger umschlossen ihr Handgelenk.


    Er kann vertrauen, flüsterte Suna zu sich selbst. Dies war wohl einer ihrer Gründe.

  • Tuireann ahnte, dass es da mehr zu sagen gäbe. So derb ihr Anblick auch war, so feinsinnig war die Erdfee, was Schwingungen anging. Sonst bliebe da kaum Raum zu erraten, welche Nuance der Betonung ihr Zarasshins nächtliche Laune verriet. Dagegen würde sie nie in ein Wesen dringen, um zu erfahren, welchen tragischen Hintergrund eine Geschichte wirklich in sich barg. Tuireann nahm hin, auch wenn sie deutlich zu sehen glaubte: in den Augen Sunas, die auf seinem Gesicht ruhten, lag eine wortlose Zuneigung. Wer liebt, muss fürchten, dachte Tuireann bei sich und bedauerte, dass es Zarasshin gewesen ist, auf die Jonos diese Nacht getroffen war. Er blieb gelassen und schwieg, das mochte sein Glück sein. Nicht anders sollte man ihrem Sturm begegnen, der es sich zur Aufgabe gemacht hatte, die Wellen zu brechen, die auf sie zutrieben, anstatt einfach hindurch zu tauchen.
    So wie sie Zarasshin nicht an allem hindern könnte, was unweigerlich geschehen musste, konnte sie auch das Schicksal nicht beeinflussen. Allein, sie konnte lediglich lenken, ein wenig Einfluss durch ihre Anwesenheit nehmen, sich wie kühlendes Wasser um das brodelnde Gemüt der Schwarzen legen. Tuireann schmunzelte über diesen Vergleich.


    Nur vorneweg gesagt: sich selbst einen Namen geben, sich subjektiv machen, würde ihn auch nicht retten können. Unter ihrer Klinge würde alles sich niederstrecken lassen: Bruder und Schwester, Bekannter und Feind. Unter ihrer Hand nichts gedeihen, was nicht ihren Zweck erfüllte. So nichts, wisset, nichts davon war demnach Hilfsbereitschaft, lediglich Berechnung. Und weder Freund noch Feind war sie, konnte sie das eine niemals werden, das andere dagegen recht schnell.
    Er hatte gezögert, was sie in ihrer Gewissheit nur bekräftigte, dass er sie fürchtete – was sollte das nur, ausgeliefert war er ihr ohnehin. Unentschlossen war sein Blick hin und her gewandert, in der Überlegung ganz versunken. Streng schloss sich ihre Hand zur Faust, einzeln beugte sich jeder ihrer Finger, „Zarasshin!“, zischte es vernehmlich, zugespitzt durch den Akzent der Yassalar. Vergiss den Namen nicht, so wie ich deinen vergessen werde. Merke dir die Stunde, du wirst vielleicht an sie zurückdenken. Ihr schwarzes Gesicht verschmolz endgültig mit einem Schritt rückwärts mit der Finsternis und erst dann zog sie an, nahm ihn mit in die absolute Schwärze des Turmes, als es zuerst über wenige Treppenstufen nach unten ging. Ein enger Schacht, eine Treppe, deren Anfang man nicht zu sehen vermochte, noch das Ende, wenn sie denn eines hatte. Aber so durfte man nicht denken, jeweils einen Schritt nach vorne gehen und der nächste würde folgen auf abgenutzten Stufen. So sollte man meinen, dass eine Treppe ein Ziel hatte, etwas zu verbinden, dies war ihre Eigenheit, ihr Nutzen. Also fürchte dich nicht.


    Ab und an zuckten Zarasshins Schultern, denn ihre Ohren lauschten sensibel auf jedes Geräusch, während sie Jonos sicher führte, bis der Gang sie ausspuckte in ein großes Rund: das Herz des Turmes der Raben. Sie ließ ihren Arm sinken und entzog sich so des Menschen Hand; hier war es nur wenig heller, aber hoch oben fehlte das Dach und ein Grau gab den Augen etwas mehr Sinn. Und sie ging weiter, trat in die Mitte und sah sich um, was verändert war. Es lag mehr Staub auf dem alten Gemäuer, mehrere große Brocken hatten sich gelöst und waren auf den Aufstieg aus festgetretener Erde gefallen, die sich rund um die Innenmauer wandte und dort endete, wo einst ein zweites Stockwerk gewesen sein musste. Unten im Halb, wo Zarasshin stand, fand man nicht einmal mehr die Trümmer der Decke. Wahrlich eine Ruine, mehr nicht … oder?
    Vor ihrem inneren Augen sah Zarasshin silberne Federn, die sich zu mächtigen Flügeln breiteten und ihre Erinnerung blickte in schillernde Pupillen, die so anziehend waren, so dass man sich in die Mitte eines saugenden Wirbels zu werfen bereit war … Ascan, wisperte es nur scheinbar von den Wänden, vielleicht, weil sie es wünschte, aber seine ihr ebenbürtige Anwesenheit war nicht mehr zu spüren. Zarasshins Blick verhärtete sich, als sie bemerkte, dass ihre Gesichtszüge ein Eigenleben entwickelt hatten. Mit einem anmutigen Sprung nahm sie ein kleines Stück Mauerwerk und drehte sich suchend um.

  • Zarasshin also, nun denn, bei ihm blieb es bei Jonos, da gab es nix anzuhängen. Gehorsam ließ er sich durch das Nichts führen. Ein Nichts, welches er nicht erblickte, seine Augen blieben geschlossen. Konzentrierte er sich doch auf die Geräusche und Gefühle. Das Widerhallen ihrer Schritte von den Wänden. Das Krähen einiger Raben. Das Knirschen unter ihren Stiefeln. Dieses Gemäuer war alt, alt und zerfallen. Wohl keine Stufe auf die er trat war eben, jede hatte Risse und Sprünge. Langsam lief er, sich jedes Mal aufs Neue mit der Stiefelspitze tastend, ihrem Zug hinter her. Sie zog kräftig und doch war ihre Haut geschmeidig, auf ihre Art. Durch das ständige Zerren merkte er es deutlich, in einer Richtung glatt, in die andere schuppig. Nicht viel anders als seine eigene Haut. Wenn er davon absah, dass ihre etwas feuchter war als seine. Ein Kurzes Schmunzeln blitzte für den Moment auf seinem Gesicht auf, ohne dass die Augen die erkennen ließen. Sie waren ja auch weiterhin geschlossen. Beide kamen sie aus so unterschiedlichen Welten, waren von so unterschiedlicher Natur und hatten doch beide Feen… und Schuppen. Auch wenn seine durch das Menschliche seines Vater schon mehr in eine Art Haut übergegangen waren. Dennoch, die Schuppen verbanden sie… und die Feen. Trotzdem, es war auch anders, nasser, gefährlicher.


    Das Bedauern in Tuireann Antlitz sah Suna nicht, ihr Blick galt dem Gemäuer und Jonos. Was dies wohl einst für ein Ort war? Allzu viel war auf jeden Fall nicht mehr davon erhalten geblieben. Risse durchzogen die Steine. Hier und da tröpfelte es Wasser aus den Rissen. Ein merkwürdiger Ort wo die Schwarze sie hinführte. Ein wenig unheimlich sogar. Bei jedem Krächzen schreckte Suna auf und zuckte zusammen. Ihr rechter Arm schlang sich um seinen Hinterkopf. Sie hielt sich fest. Dieser Ort hatte etwas Unheimliches. Irgendwas oder Irgendwer hatte hier einst gelebt. Doch wer? War dies der Grund wieso sie hier waren, um eben dies heraus zu finden. Ihr Blick welcher zuvor Ziellos umhergewandert schien um alle möglichen Eindrücke zusammeln fiel von Tuireann, welche recht ruhig zu sein schien, auf Jonos, welcher kurz schmunzelte. War sie denn die einzige der das alles hier unheimlich vorkam? Am liebsten hätte sie sich wohl wieder hinter seinem Rücken versteckt. Doch wenn alle anderen den Mut hatten, dies ohne jegliches Unbehagen erdulden zu müssen, musste sie es wohl erleiden, um wenigstens ihr Gesicht zu waren.


    Die Hand öffnete sich, ihr Griff gab ihn wieder frei. War die Dunkelheit schon durchschritten. Jonos blieb stehen und öffnete die Augen. Langsam lies auch er los. Er hatte etwas müh sich an die weiterhin über ihnen hängende Dunkelheit zu gewöhnen, doch war diese, wenn man dies überhaupt so sagen konnte, doch etwas heller. Ein dunkles Grau im Schwarz der Nacht, wenn man es so wollte. Die Decke schien aufgebrochen und ließ vereinzelte das Licht der Gestirne zu ihnen hinunter. Doch sein erster Blick galt nicht dem Ort, an dem sie geführt wurden, sondern Zara, pardon Zarasshin. Seinen Augen war geschuldet, dass er es zu Spät sah, die Regung, die Emotion in ihren Augen, ehe sie ein fast schon versteinertes Gesicht aufsetzte und alles weg warf, was einst zu sehen war. Udn doch ahnte er, war in einem kurzen Moment zuvor zu sehen. Er sah wie sich die Miene zu versteinern begann, doch auch, dass sie es zuvor nicht war. Obwohl es eine ganz neue Facette an ihr war, erstaunte es ihn wenig. Er kannte sie nur kurz, doch hatte er schon lernen müssen, dass bei ihr alles möglich war. Und doch war diese Facette, dieses Emotionale, etwas, was er an einem Ort wie diesem hier nicht erwartet hatte. Was bedeutet diese Ruine für sie? Er bezweifelte, dass sie hier einst gelebt hatte, dieser Ort war zu … trocken für sie. Doch was war es dann, oder wer? Wer hatte hier einst gelebt. Sie Sprang ein Stück hinauf und suchte etwas. Jonos jedoch drehte sich zu Tuireann, sie sollte ihm die Fragen beantworten können, welche er Zarasshin nicht stellen konnte. Doch Tuireann war mit ihr verbunden und somit wohl kaum viel gesprächiger und dennoch musste er es doch versuchen, er war es der Neugierde schuldig. Was tun wir hier und wessen Haus ist dies? Seine Stimme erklang ruhig, ja fast schon belanglos, als würde er sich nur über das Wetter erkunden. Auf Zarasshin direkt zu sprechen kommen, wollte er nicht. Dies wäre wohl zu viel des Guten gewesen.


    Suna hatte Zarasshins Blicke nicht bemerkt, wohl aber die ihres Schülers. Empfand er etwas für die Schwarze? Sie sah, wie er sie ansah. Doch dies konnte nicht sein, dies durfte nicht sein, dies wäre sein Tod. Um so mehr wunderten sie die Fragen, zumal diese nichts mit der Yassalar zu tun hatten. Wollte er doch nur erfahren, warum sie hier waren? Ihre Augen suchten Tuireann auf, welche immer noch die Wände und Decken entlang lief. Ein für sie gar nicht so ungewöhnlicher Anblick, musste sie doch auch unter dem Meer dreidimensional nach den Leuten suchen.

  • In Wellen summte der Boden um sie herum, ganz leicht vor Erregung, wenn Tuireann in der Nähe war, ganz wie Wasser, zog er Kreise allein durch ihre ganz eigene Natur. Die Erdfee hörte Jonos Frage an sie und entschied ihm eine Antwort zu geben und wenn es war nur aus Dickköpfigkeit Zarasshin entgegen zu stehen. Ihr Finger streckte sich, um der Erde zu bedeuten, Stufen zu bilden, die sie einer Prinzessin gleich von der Wand hinunter steigen konnte, um Aug in Aug mit Jonos zu wurzeln – mit dem Rücken zu Zarasshin, so dass diese nicht die Worte ihrer Lippen lesen konnte. Auch wenn es nicht zählte, denn das Rumpeln der tiefen Erde wusste mehr Eindruck zu schinden, als einer Yassalar Aufgeblasenheit und herrische Ungeduld. Die letzte erdige Stufe hing in der Luft vor seinem Gesicht und Tuireann sah ihn eindringlich an, während sie eine Hand in die dralle Hüfte stemmte und kurz zu Suna nickte. Ihr war aufgefallen, wie der Turm auf die Verwandte wirkte.
    Ein Sylphe wohnte hier; er wusste ihren Sturm zu lenken, wie meine Erde die Winde nur zu ersticken weiß“, erklärte sie, raschelnd war ihre Stimme, wie trockene Blätter, die man zwischen den Handflächen zerrieb. Tuireann zupfte sich ein wenig Moos von einem Absatz und legte es schmückend auf ihr Haar … lebensprall ist er gewesen, erinnerte sie sich, fruchtbar wie die Erde, erinnerungsträchtig und wenn sie die Augen zusammenkniff, hatte Ascan stets ein samtener Schein der Unschärfe umhüllt. „Ich wache über ihr Verhalten, so wie es mir möglich ist. Habe gewacht, bis sie ihren Schwur brach, um auf meine heilige Erde sein Blut zu vergießen..“ Allein, von Zarasshins Wollen wusste sie nichts. Sie zuckte mit den schwarzen Schultern.
    Mochte man glauben, der Sylphe lag Zarasshin auf dem Gewissen, war es natürlich nicht so – nicht nur, da sie ein solches nicht besaß. Ascan war fort, hatte die Stadt verlassen – wohin, weshalb? Weder Tuireann, noch Zarasshin wussten dies.


    Jonos!“, rief Zarasshin auffordernd, recht ungeduldig, und wandte man sich ihr zu, konnte man sie klettern sehen. Hinauf auf einen Absatz, der kaum genügend Platz für ihren schlanken Körper zu bieten schien. Ein Stein fiel unter ihrem baren Fuß hinab, als sie sich über die Kante schwang. Natürlich hatte sie gesehen, wie gesprochen wurde, desinteressiert hatte die Brise ihr ein Wort zugespielt: Sylphe.
    Eine fahrige Bewegung tat sie, als zerreiße sie ein unsichtbares Spinnengewebe. Ascan, dachte ihr Gefühl und die schwarze Hand wischte, von jähem Ekel überrieselt, dieses unsichtbare Klebrige vom Gesicht. Sie hob den Kopf und schaute Jonos von oben lauernd an; sie hatte die Augen zu glitzernden Schlitzen zusammengekniffen – sie hoffte für ihn, er gehorche ihr. Nichts an ihr war schwach geblieben von jener Zeit, da sie auf den Sylphen getroffen war.
    Auch wenn sie es kaum zugeben würde wollen: wer oder was auch immer der Sylphe gewesen sein oder nicht gewesen sein mochte, die Vorstellung, ihn nicht wiederzusehen, hatte Zarasshin eine Zeit lang nicht ertragen, ebenso wie der Gedanken unerträglich erschienen war, ihm wieder zu begegnen. Etwas rumorte in den dunklen, unerreichbaren Winkeln ihres Kopfs, zu verschlossen, um sich selbst alles einzugestehen oder auch nur fähig zu sein es gar je zu können.
    In der Hocke zog sie an einem Griff, der aus einer niedrigen Nische in der Wand lugte, und sich zuletzt als kniehohe Truhe entpuppte. An ihren ruckartigen Bewegungen konnte man erahnen, dass sie schwerer wog, wie zornig sie jäh wieder war; voller Staub war die Kiste, mit einst silbernen Scharnieren, aus dunklem Holz. Zarasshin klopfte mit der flachen Hand darauf und warf Jonos ein verächtliches Lächeln zu. „Wir werden die Truhe hinablassen, du wirst sie nehmen.“ Tatsachen. Komm zu uns, Männchen.

  • Der Boden formte sich, ganz nach ihren Wünschen und Vorstellungen. Es wirkte doch ein wenig abgehoben auf ihn, ein solches Verhalten kannte er von Suna nicht. Dieses zur Schaustellen der eigenen Fähigkeiten. Doch es konnte auch daran liegen, dass Suna hier nicht in ihrem Element war, dies war Tuireanns. Jonos wich etwas zurück, blieb aber stehen. Sein Oberkörper wich jedoch den Stufen aus. Sein Gesicht ließ sein Unbehagen deutlich erkennen. Er hatte zwar keine Angst, diese hätte ihm eh nicht geholfen, dennoch, es war halt ein ungewöhnlicher Anblick, welcher ihn auf seine Unterlippen beißen ließ. Doch die Antwort, die er nun zu hören bekam, war doch sehr interessant, sie weckte seine Überlegungen. Mit vielem hatte er gerechnet, doch nicht mit so etwas. Langsam fragte er sich, was dies wohl für ein komisches Gespann war, diese Dunkle mit ihrer Bodenhaftung. Ein Sylphe soll also in der Lage gewesen sein, ihre stürmische Natur zu lenken. Jonos kannte Sylphen nur von Erzählungen her. Das beflügelte Volk. Doch viel mehr als den Fakt der Flügel wusste er nicht über diese Wesen, die es anscheinend geschafft hatten eine Yassalar zu beeinflussen. Erstaunlich dass es also doch einen Mann in ihrem Leben gegeben haben muss. Doch sie hatte auch dessen blut vergossen. Nun dieser Punkt erschien ihm zumindest einleuchtend und passend zu ihrer Natur. Doch ein Wörtchen in diesem Satz hatte seine Pupillen sich schlagartig verengen lassen, zu diesen Reptilien-Schlitzen und seine Aufmerksamkeit ganz auf Tuireann gelenkt. Schwur. Sie hatte einen Schwur geleistet, einen Schwur der ihr wohl das vergießen von Blut untersagte. War dies immer so. Auch er hatten solch ein Versprechen Suna gegenüber abgeben müssen. Durften beide nicht töten um ihre Feen … nunja, zu behalten. War es bei Feen üblich, nur diesen die Magie zu offenbaren, welche nicht töteten. Erstaunlich so etwas einem Yassalar abringen zu können. Und wieso war Tuireann noch bei ihr, wenn diese doch den schwur gebrochen hatte? Würde Suna ebenso bleiben, wenn er dies täte? Doch anderer Seits, wieso sollte er so etwas tun. Egal wie schwach ein Opfer sein mag, lebend kann es immer irgendwann nützlich sein, tot eher selten. Den Piraten machten die Toten ja teilweise auch mehr zu schaffen als die Lebenden, denn für einen Lebend wird seltener Rache gefordert. Die sind meistens doch froh zu leben.


    Auch Suna lauschte, auf Jonos’ Schulter, Tuireanns Worten. Dabei achtete sie immer wieder auf die Veränderungen in seinem Gesicht. Wie er vor Tuireann wich, wie er Neugieriger wurde, als es darum ging, dass Zarasshin gelenkt werden konnte und wie seine Aufmerksamkeit den Höhenpunkt erreichte als es um den Schwur ging. Sie selbst nickte kurz gen Erdfee als der Schwur zur Sprache kam. Jede Fee sollte so etwas von ihrem Schüler verlangen. Sie selbst hatte es ja auch getan. Doch das Tuireann noch da war, wunderte sie nicht minder. Wenn ein Schwur gebrochen wurde, musste es Konsequenzen geben. Nun denn, vielleicht hatte es diese ja auch gegeben. Suna blickte erneut zu ihrem Schüler und sah seine Gedanken in seinen Augen. Denke nicht einmal daran zu töten, es würde dir am Ende nur mehr schaden als es Nutzen gebracht hätte. Sprach die kleine in einem rauschenden Ton und mit erhobenem Zeigefinger mahnend zu ihrem Schüler. Allein die Idee den Tod in Betracht zu ziehen behagte ihr so ganz und gar nicht.
    Doch das Spiel wurde unterbrochen. Zarasshin meldete sich zu Wort und rief nach ihrem Schüler. Ein Ton, als würde sie einen Hund rufen, so klang es in ihren Ohren. Dieser hier war immer noch ihr Schüler und nicht einmal sie selbst hatte ihn bisher in solch einem Tonfall gerufen. Doch Jonos drehte sich ohne weiteres zu ihr um. Gehorchte er ihr etwa? Ein wenig missfiel ihr dieses Schauspiel. Suna, erklang seine Stimme sanft und mit einem Lächeln blickte er sie an. Suna kannte dies, dies war sein Zeichen, wenn er mal alleine sein wollte. Suna mochte dies nicht, ihn alleine lassen. Nicht weil sie ihn brauchte. Nein sie mochte es auch gerne mal allein zu sein. Doch er, er stellte meistens irgendwelchen Unfug an, wenn er dies sagte. Ihr Blick war missbilligend und trotzdem zeigte sie ihre Flügel und hob sanft von seiner Schulter ab, die Arme verschränkt und einen Blick aufsetzend, der ihn warnen sollte. Wehe du tust was Unüberlegtes. Wehe du gehorchst ihr mehr denn mir. Doch diese Gedanken sprach sie nicht aus, aber es war ein leichtes ihr diese an zu sehen.


    Jonos ging derweil auf die Wand zu, an der Zarasshin hoch geklettert war. Ihm gefiel der Tonfall genauso wenig wie Suna und doch hatte er ein Lächeln aufgesetzt. Er wusste das dies Suna womöglich noch mehr ärgern würde, doch was sollte er machen, er war eben kein Schauspieler der das Gesicht zeigte, was alle sehen wollte. Er lächelte über seine eigene Torheit, die er nun begehen würde. Die Arme in die Seite stemmend sah er zu Zarasshin hinauf. Er ahnte dass seine Taten nicht ohne Folgen bleiben würden, doch dies war wohl der beste Moment dafür. Nun brauchte sie schließlich seine Hilfe. Nein. Er grinste ihr frech entgegen. Sag mir erst, was es mit diesem Sylphen auf sich hat und warum du Blut vergossen hast.


    Nun gut, es war nicht das, was Suna erwartet hatte, aber besonders Klug wirkte dieses verhalten nicht auf sie. Hatte sie es nicht geahnt?! Sie war auch selbst hin und her gerissen, als sie die Szene sah. Zum einen freute sie sich, dass er der Frau wohl genauso wenig gehorchte wir ihr. Seine Gehorsamkeit war also nicht von weiblichen Reitzen abhängig. Und doch ärgerte sie sich ein wenig über seine Neugierde. Sei selbst hatte er nie nach ihrer Vergangenheit so ausgefragt. Nun gut, geantwortet hätte sie ihm wohl nicht darauf, aber es hatte es ja auch nicht einmal versucht. Fast schon schmollend setzte sie sich langsam auf eine von Tuireanns Stufen. Das geht doch nicht gut.

  • Nein.
    Ihr Gesicht zeigte augenblicklich ein Schauspiel von grenzenloser Wut, gleichwohl fragte Zarasshin sich, ob Jonos wohl wusste, was er ihr abverlangte. Wenig nur gab es sie davon abzubringen seinem Trotz entgegen zu treten, entweder, um ihn auf ihre Seite zu ziehen oder auf die Knie zu zwingen … und dann würde sie sein Grinsen derart erweitern: nämlich die Mundwinkel ziehen von einem Ohr zum anderen. Eine überwältigende körperliche Präsenz der Gier nach Blut und Macht, die Aggressionen schwemmten den verständigen Geist hinweg. Er forderte? Er fragte nach einem Entweder oder?


    Alarmiert tat Tuireann ein paar entsetzte Schritte und in ihren Gedanken drehte es sich, was zu tun sein würde. Nein, Widerspruch ertrug Zarasshin wahrlich nicht mehr, konnte sie nicht gebrauchen bei ihrem Tun, es widerte die Yassalar an, auch wenn sie auf ihre ganz eigene Art barmherzig war. Und einem Nein konnte nur eine, für die Erdfee unvorstellbare, Reaktion antworten. Sie würde es nicht wagen ... denn nein, sie würde nicht bei Zarasshin bleiben, sollte sie töten. Früher oder später würde der Tatbestand eintreten, das war ihr durchaus bewusst, aber besser später als jetzt. Das Denken daran konnte Tuireann ihrer Schülerin nicht absprechen, noch verbieten, dazu lag es einfach zu tief in deren Natur verankert, indes sie hoffte allein durch ihre Anwesenheit sie lediglich zu Gewalt zu zügeln. Und da wusste Tuireann, dass sie zu viel verraten hatte, dass es ihre Schuld war, dass es zu dieser Situation gekommen war. Sie musste zusehen, ob es gut ging oder nicht.


    Der Dunklen Blick verschlang den Mann, als sie sich auf die Knie niederließ, die noch silbernen Augen nicht mehr aus seinen nahm und sich auf die Kante zuschob, die Zehen in den kantigen Untergrund verkeilte, um sich zu halten. Ihre Ellenbogen sanken und gestützt auf die Fingerknöchel lehnte sie sich kopfüber zu ihm herunter.
    Ein bitteres Lachen, das alles andere als ein Lachen war, ein Glucksen hinten in der Kehle fand es schließlich ihren Mund. Und Zarasshin wusste, was sie fühlte: sie war amüsiert. Verwegene Kühnheit wusste sie zu schätzen. Sein Problem war ja auch der Mangel an Einsicht, nicht der an Mut und Zarasshin war einfach nur schlecht darin, Dinge so hinzunehmen, wie sie waren. So gesehen würde sein einziges Leben an ihrer Welle zerbrechen müssen, denn er konnte nur seine kleine Welt übersehen, diese trockene Leere einschätzen, die kaum einen Flossenschlag, derart mit Narren gefüllt, wert war. Er breitete die Bedeutung seiner Stärke seiner eigenen Natur über jede Niederlage aus, seine Einbildungskraft blendete ihn scheinbar.
    Jonos kam ihr ziemlich anmaßend vor, hielt sie sich den Handrücken vor die Lippen, um das Lachen zu unterdrücken, während ihre Augen sich mit einem drohenden Violett füllten.


    Kurzerhand zog sie ihr Messer, „Sollten wir Euch die Daumen abschneiden, damit Ihr nie wieder etwas halten werdet?“ Ihre schwarze Zunge fuhr langsam genüsslich über den blauen Stahl, der aus ihrer Manschette stach, „Oder gleich das Schwert ziehen, um zu ermessen, ob es wohl Eurer Größe entspricht?“ Es von ihrem Rücken nehmen und es ihm von oben herab durch den Mund die Kehle hinunter in die Eingeweide stoßen, so dass es ihm zwischen den Schenkeln herausstach? Ihr spitzes Gebiss fletschte sich zu einem gefährlichen Grinsen, weit entblößte sie das schwarze Zahnfleisch. Es war, als läge dort wirklich die Nacht selbst; sie hatte die Lippen zurückgezogen und die Zähne zu einem Totenschädelgrinsen gebleckt, und ihre Augen wurden zu schwarzen Löcher, weil sie das Kinn nur tiefer senkte und diese aus dem letzten Licht nahm.
    Zarasshins linker Handballen stahl sich auf seine Stirn, würde Jonos nicht einen Schritt zurücktreten, die geglätteten Finger in seinem Haar sich wiederfinden, um seinen Kopf nach hinten zu drücken. So fühlte Zarasshin sich von seiner trotzigen Haltung verhöhnt – er sollte sterben ...würde aber weiterleben, denn sie nahm Tuireanns harte Aufmerksamkeit auf sich wahr.
    Erbost hob sie die Augen Tuireann zu, schnalzte mit der Zunge, die ihr feucht über die Lippen fuhr. Gern wollte die Yassalar etwas in Stücke zerreißen, achte ihren ruhigen Gemütszustand nicht, den sie zeigte, denn anderes wütete in ihr und wäre die Fee nicht anwesend, hätte sie längst reagiert.

  • Suna betrachtete sich das Schauspiel aus einiger Entfernung. Weiterhin auf den Stufen sitzend legte sie ihren Kopf auf den Händen ab und stützte sich auf ihre Oberschenkel. Hin und her gerissen zwischen dem Schmollen, dass diese Schwarze wohl interessanter war, und dem Genervt sein, dass er schon wieder so eine Dummheit begangen hatte, sah sie sich die Szenen der wohl baldigen Grausamkeiten an. Das Säbelrasseln von Herrin und Untergebenen, wie es ihr erschien. Dabei sollte sie doch die Herrin sein. Doch der Typ, der gleich das Schwert zieht, war sie einfach nicht, zumal sie kein Schwert besaß, und wohl auch nicht brauchte wenn es drauf an kam. Doch darum ging es hier doch nicht. Was dachte sich Jonos eigentlich bei dieser ganzen Sache? Das hätte sie gerne mal gewusst. Doch er erzählte ihr ja nix. Nein der feine Herr ging einfach schnurr stracks auf den Tod zu und frage diesem ob er nicht etwas früher abgeholt werden könnte. Kurz überlegte Suna erneut einzugreifen. Doch dieser Gedanke kam nur sehr kurz in ihrem Kopf auf. Er war doch alt genug und hatte doch schon der Yassalars Verhalten oft genug gesehen um zu wissen, dass Widerworte Stahl zur Konsequenz hatten.
    Kurz schien sie sich zu erheben, als die Yassalar ihm durch die Haare ging um den Kopf nach hinten zu legen. Seine Kehle lag nun frei für den Schnitt, oder sein Unterkiefer frei für den Stich, sollte seine Zunge das Ziel sein. Doch dann wich der Wille zum Einschreiten wieder der Ärgernis und Suna sackte zusammen und entließ die Luft vibrierend aus ihren Lippen. Wenn er eben nur so merkte was es hieß, nicht auf die Fee zu hören, bitte, dann sollte es so sein. Irgendwie war Suna da auch etwas froh, dass Zarasshin für sie die Arbeit übernahm um den Jungen mal etwas zu recht zu stutzen. Verdient hatte er es ja. Nach dem Suna etwas sich den Boden betrachtete hatte, der sich wohl weiterhin unter Tuireanns Einfluss wellte, sehnte sie sich erneut nach dem Meer. Dies schlug die gleichen Wellen und ließ sich selten zähmen oder beherrschen. Selbst sie als Fee der Meere maß es sich nicht die Meere der Welt beherrschen zu können. Sie, die Wellen, taten am Ende immer was sie wollten, selbst wenn sie einen Teil davon gut beeinflussen konnte, der Rest trieb seine ganz eigenen Späße, unbemerkt und allein und doch immer im Blick von anderen. Und eben dies machte auch den Scharm des Meeres aus, seine Unbeugsamkeit und der Willen einfach weiter zu machen. Immer wieder schlugen Wellen an der Brandung auf, und zerbarsten und doch probierten sie es kurz darauf wieder … und wieder. Doch irgendwann, wenn die Zeit nur lang genug war, taten sie es immer noch, nur hatte die Brandung sich dann einige Meter verschoben, ohne dass es den Meisten aufgefallen wäre. Irgendwie, wie Jonos. Einen Teil konnte sie durchaus beeinflussen, doch der Rest. Der Rest schlug immer wieder gegen die Brandung, ob sie wollte oder nicht und erneut sollte seine Welle wohl an Zarasshin zerbersten. Doch vielleicht verschob sie sich auch dieses Mal ein klein wenig, ohne es zu merken. Oder war er die Brandung, auf der sie aufschlug? Und ihre Drohungen zerbarsten? Würde sie nun ihn verschieben?
    Ihr Blick richtete sich wieder auf, auf das glänzende Metall, welche zwischen beiden war. Das Metall, welches nun wohl irgendetwas tun würde. Ihre zu vorigen Gedanken waren immer noch nicht ausgelöscht. Sie war immer noch erzürnt über ihren Schüler. Doch dies hatte die Strömung wohl vorerst mit in die Tiefe gezogen, auf dass es ein Andermal wieder kommen sollte. Im Moment hoffte sie, dass er das richtige tat, oder wenigstens nicht allzu schwer verletzt es überstand. Doch einschreiten würde sie nicht. Dies müssten Brandung und Meer alleine regeln. Doch es blieb zu hoffen, dass Jonos das Meer werden würde.


    Die Hände weiter in die Seiten gestemmt, veränderte er seinen Stand nicht. Er versuchte nicht zu schwanken oder zurück zu weichen. Er hörte ihre Drohungen und doch, schien er nicht darauf zu reagieren. Wäre es nicht so dunkel gewesen, seine Augen hätten sich wohl verengt. Doch so, schien selbst sein Blick unverändert auf ihr zu liegen. Zugegebener Maßen war dies eine beeindruckende akrobatische Darbietung, wie sie zu ihm kam. Und doch. Hatte dies wohl nichts mit dem Folgenden zu tun, es würde nichts verändern. Jonos wollte wissen, warum er hier war. Und zwar dem Grund, hinter Vordergrund, hinter dem „er-solle-helfen“Grund.
    Ihre Hand fuhr durch sein Haar und zwang ihn die untere Seite seines Kopfes besser zu zeigen. etwas gekehlt sprach er trotzig ruhig. Weihterehs Blut wihrd dir nicht hehlfen. Uhnd auhßerdem, fihndest du es nihcht wehnihg sehlbstbehwuhsst, behwaffnet gegehn eihnen unbewaffnehten.
    Seine Worte beendete er mit einem Lächeln. Sollte sie es ihm doch bis an die Ohren ziehen, sie müssten diesen permanent grinsenden Anblick doch ertragen. Er selbst, er würde doch nur lächeln.

  • Wenn die bodenständige Tuireann schon angespannt war, dann sollte es kaum verwundern, dass Suna an ihrer Seite Beunruhigung ausstrahlte. Auch wenn sie in diesem Moment nicht mit Sicherheit sagen konnte, ob nicht heute die Nacht gekommen war, in der Zarasshin entschieden hatte, ohne eine Fee ihren Weg gehen zu wollen. Auf der anderen Seite, war es für sie kaum zu verwundern, dass Jonos noch atmete; die Lebhaftigkeit seines Temperaments, das aus Schalk und Verbissenheit gewoben schien, drängte Zarasshin geradezu, sich an ihm festzubeißen –ein Reiben an anderer Willen würde sich die Yassalar ungern entgehen lassen. Möglichweise könnte seine Unversehrtheit ein wenig leiden, doch er würde überleben … wäre er nicht der erste der Trockenen, wie Zarasshin sie bezeichnete, der wohlwollend von ihr entlassen wurde. Tuireann war sich sicher, dass sich daran erinnerte … war sie doch? Es war nicht gut, das Violett in Zarasshins Augen war wirklich nicht gut. Sie blieb, ebenso wie Suna, sitzen, hier auf dieser Stelle, sollten die beiden Narren es unter sich klären – und wer wusste schon zu sagen, ob es nicht auch einen Gewinn für das Selbstbewusstsein war, sich gegen eine Yassalar behauptet zu haben? Diese Möglichkeit zu erleben würde sie Jonos keinesfalls verweigern wollen. Vielleicht bat sie ihn einen kurzen, schwachen Augenblick stillen Schweigens um Verständnis, bevor sie sich abwandte, um sich gerader Wirbel auf eine der zuvor geformten Stufen zu setzen.


    Er nötigte sich, wie es ihr schien, wenig zu einer Ergebenheit des Tones. Was empfand er – Verachtung? Tief und lautlos kam die Ernüchterung zu ihr, das grässliche Gefühl hier nicht schnell gewinnen zu können durchfraß Zarasshin. Ihr Wesen konnte ihn nicht einnehmen, in keinerlei Hinsicht, weder unter Zwang, Bedrohung, Warnung, noch unter Belehrungen … wahrscheinlich nicht im Kampf, dazu war er zu schwach, wenn auch gewiss zäh: es würde keinen Spaß bringen. Freundlichkeit hatte sie ihm erwiesen, als sie auf dem Weg mit ihm lachte … Was für ein ärgerliches, kleines Gefühl, dass nichts davon ihn hatte ertränken können. Sie war sich so sicher gewesen zu wissen, wie das Blut unter der zarten, hellen Haut rascher floss und die Worte auf einmal klangvoller tönten.
    Doch diese eine Frage, nein, diese beantwortete sie nicht. Zu tief war dieses Gewässer, zu tückisch ... die Winde, die über ihre Wasseroberfläche strichen, waren zu ...
    Unbewaffnet?“, knurrte Zarasshin, „Eure Zunge scheint mir scharf genug, um zu verletzen.“ Sie zog sich auf würdevolle Art zurück, hielt ihre tödliche Kraft im Zaum, weil sie doch einfach nie einen Grund brauchte, um zornig zu sein, doch wusste, wenn ein Ausbruch nur noch törichte Starrköpfigkeit wäre und wenig berechtigt und eine Verschwendung von Kraft. Sie hatte sich in das berauschende Gefühl gegeben, sie war gescheitert und hatte verloren, weil sie in der Trunkenheit des Stolzes gewesen war; dass es hier nichts gäbe, ihr zu widerstehen. Ein Gefühl, für das es sich zu sterben lohnte und nun dahintrieb wie abgestorbener Schlick. Alles hatte seinen Preis.
    Geschmeidig zog sie sich hinauf, erhob sich in einen Stand, der von Hochmut nur so troff. „Geht“, sagte sie, in ihrer Stimme war abrupt wieder das Eis gewesen. Kein Harren heute, kein Feilschen, kein Blut? „Ihr seid so stur wie einer der Tritonen und Euer Grinsen ist kaum mehr zu ertragen für mich. Geht!“ Widerwille und zugleich Akzeptanz einten sich in Jonos, das eine war augenscheinlich nicht ohne das andere möglich. Seht: Hitze und Licht gehörten gleichzeitig zu einem Feuer, und so könnte sie nahe der Flamme von dem einen auf das andere schließen und Vorsicht wahren … hier, hier hatte sie nur einen schwachen Mann gesehen und nicht auf anstrengenden und halsstarrigen Irrsinn geschlossen.


    Brachten ihre Erinnerungen sie zurück zu den frühen Tagen, in denen alles faszinierend, für die Sinne überwältigend gewesen war, der ewige Kosmos des Meeres sich einer Spielwiese gleich aufgetan hatte. Die Welt mit neuen Augen sehen und begreifen, bis es ermüdend wurde, trostlos, keine wilden Stromschnellen mehr … alles schon erlebt. Heute Nacht, eben gerade, bemerkte die Yassalar, dass in ihr Sinnen ein neuer, unbekannter Strudel geflossen war.

  • Es kribbelte.
    Gefallen. Ja dies war wohl das Wort, welches am besten beschrieb, was Jonos empfand. Gefallen. Er hatte Gefallen an ihr gefunden. Gefallen an dem was sie tat, was sie ausstrahlte. Gefallen an dem, was sie nicht tat, an dem was sie nicht zuließ. Gefallen an dem, was sie bedeutete, eine Herausforderung. Es kribbelte in seinem Bauch. Ein berauschendes Gefühl überkam ihn. Doch es war eine ganz andere als er bisher erleben durfte. Sie war anders als alle die er bisher getroffen hatte. Es war ganz anders. Er musste sich eingestehen, dass er es genoss, wie sie ihn behandelte. Diese Herausforderung, dieser schmale Grad zwischen Tod und Leben. Das Aufbäumen und ihre Reaktion, das Spielen mit der Gefahr. Ja er genoss als dies, denn es war für ihn unbekannt, unbekannt und unwiderstehlich. Nun gut nicht gänzlich unbekannt, auch auf dem Piratenschiff hatte er Gefahren erlebt und auch Herausforderungen, doch all dies war ehr körperlich. Genau wie seine Frauenbekanntschaften. Hier war alles anders, nichts Körperliches trieb ihn an, nichts Sexuelles. Er hatte einfach nur Gefallen gefunden. Gefallen daran, dass er hier auch vorsichtig sein musste. Gefallen daran, dass seine Handlungen ernste Konsequenzen haben konnten.
    Sie hatte ihn los gelassen und wich zurück auf ihren Vorsprung. Sein Kopf neigte sich wieder vor und seine Augen fixierten sie, blieben die ganze Zeit auf sie gerichtet. Was tat sie nun. Die Erwartung auf das unerwartete stieg. Irgendwie hatte er die ganze Zeit nicht bemerkt, dass es seinen ganz eigenen Reitz hatte, sie ihren ganz eigenen Reitz hatte, abgesehen von dem körperlichem. Nun gut, die stählerne Klinge hatte sie ihm noch nicht spüren lassen. Hals wie Zunge waren noch intakt. Seine Hand glitt über die Kehle um doch sicher zu gehen. Er hätte ihr auch zu getraut einen unmerklich feinen Schnitt zu setzen, der ihn verbluten ließ, ohne dass er dies merkte. Hatte er gewonnen? War sein Starsinn größer als der Ihrige?


    Suna war ein wenig erstaunt, dass die Yassalar von ihrem Schüler abließ. Denn auch wenn sie es nicht gut gefunden hätte, so hätte sie es doch verstanden, wenn sie ihm zumindest die Zunge raus geschnitten hätte. Und doch war sie froh darüber, dass sie es nicht getan hatte. Jonos blieb unversehrt und Zarasshin hatte einen Schritt zurück getan. War doch Jonos das Meer? Oder wollte die Sirene ihren Seemann nur noch tiefer in die Dunkelheit locken. An Jonos Blick konnte sie sehen, dass er ihr folgen würde. Er hatte etwas in den Augen, einen Willen, einen Starsinn. Er hatte es sich also in den Kopf gesetzt. Nun denn, dann war dies wohl der falsche Moment für Magie. Suna erhob sich. Schwebte leicht über der Stufe, auf der sie zuvor gesessen hatte. Ihre Flosse berührte jedoch immer wieder kurz den Sand und hinterließ Muster. Einen Kreis. Suna hatte sich gedreht. Ihr Blick ging Richtung Ausgang, ihre Hand ruhte nun auf Tuireanns Schulter. Ihre Stimme erklang erstaunlich ruhig und für die Kleine ungewöhnlich ernst. Ich denke, wir sollten beide sich selbst überlassen. Ihr Blick ging zu Tuireann und setzte ein gespieltes Lächeln auf. Wir kommen Später zurück. Mit diesen Worte begann sie ihren Flug und löste so ein wenig Druck auf Tuireanns Schulter aus, ehe sie los ließ und voraus flog. Ihre Flosse hinterließ zwei Strahlen im Staub des Bodens.


    Nein, so durfte es nicht enden, es durfte überhaupt nicht enden. Es endete nicht. Sie waren hiermit noch nicht fertig. Wo war die Entscheidung? Rückzug war doch keine Option. Immer wieder schaffte sie es ihn zu überraschen doch diese Überraschung ließ ihn Wut empfinden. Er merkte wie es in ihm zu köcheln begann. Sein Blut geriet in Wallung. Gehen?! Jetzt?! Nein, er ging noch nicht. Nicht ehe… Ja was auch immer passieren sollte, dies war es nicht, dies war nicht das Ende. so würde er nicht gehen. Es funkelte in seinen Augen, welche weiterhin auf sie gerichtet waren und sein Grinsen blieb bestehen. Sie konnte es also nicht ertragen, nun denn Pech gehabt. Er konnte das Ende ja auch nicht ertragen, aber das musste er auch nicht. Er kletterte ihr nach, wohl nicht so behände wie sie, aber doch zügig. Er schob sich auf den Schmalen Vorsprung, auf dem auch sie schon einen sicheren Stand gefunden hatte und drängte sich ihr so auf. Er kam ihr nahe. Nein, sprach er mit dem größten Trotz in der Stimme den er aufbringen konnte. Sein Blick blieb auf ihren Augen, das Violett dass er sah, schien ihn nur noch mehr anzustacheln. Es pulsierte in ihm. Nein, wiederholte er. Nein. Es endet hier nicht. Sie waren noch lange nicht am Ende. Sein Grinsen war es, welches sie anwiderte. Er behielt es auf. Seine Zunge war es, die ihn verletzte. Nun denn.
    Seine Hand fuhr hoch, sollte sie dem nicht ausweichen oder gegensteuern, ihr Kopf gen seinen gepresst wurde und sie die scharfe Zunge zu spüren bekam.

  • Was sah sie da in seinen Augen? Sollte da etwa ein lebendiger, trotziger Funke sein? Interesse und Abscheu spielten in den ihren, als sie kaum glauben wollte, was da in seinen Bewegungen begann und sich Wellen gleich fortsetzen sollte. Fühlte sie nur den harten Schlag ihres Herzens bis hinauf in den Hals und es ließ sich nicht beruhigen in der springenden Ader. Jedes Ding und jedes Wesen konnte nur eines sein, dieses aber muss es ganz sein und Jonos war eben so, wie er gezeigt hatte zu sein: närrisch und wagemutig zugleich, von jedem ein Halbes in ihm. Denn ein stärkeres Wesen barg sich anscheinend unter der dünnen Haut, das sich nicht so leicht schrecken ließ. Skepsis und Widerstand gegen die Angst, prallte ihr drohendes Wesen ab an seiner Natur.
    Zum ersten Mal fiel Zarasshin auf, dass jemand ihr widerstand, wenn sie versuchte zu spielen, die Angst keinen Einfluss nahm. Nicht nur Geschöpf, sondern zugleich auch Schöpfer ihrer eigenen Bedrängnis, kam er hinauf … gekrochen zu ihr, was wieder die Glut schürte, die gerade am verlöschen gewesen war. Zarasshins Vernunft senkte sich, so wie ihr Kinn sich hob, nahezu zerschlagen von der heutigen Nacht, ihr Herz ein Stein, den sie sich nicht selbst aufgeladen.


    In dieser Zeitspanne kreisten Tuireanns Augen in den Mustern Sunas, denen sie mit einem Fingerzeig kleine Steinchen nachfolgen ließ, bis eine leichte Berührung sie aufsehen hieß. Ihr Blick zeigte Verwirrung über das soeben Gehörte und nur deshalb konnte der sanft ausgeübte Druck der Wasserfee sie sich erheben lassen. Ihre kräftigen Arme breiteten sich verständnislos aus und beinahe hätte sie ihrem Unmut Raum in Schimpftiraden verschafft, als es sie lächeln ließ – man sollte wirklich nicht übersehen, was gerade geschehen war: Zara hatte ihre Aggressionen überwunden, den Teil in sich zurückgenommen, der die Gelüste und Instinkte der Yassalar auslebte.
    Ja, dachte sie, später – sie würde stets die Erde finden, auf der Zarasshin Asdis ging … dem ungeachtet, sie konnte nicht. „Nein, Suna“, antwortete Tuireann, „wenn ich gehe, wird nichts mehr sie hindern können.“ Zugegeben, die Erdfee fand keine Abneigung gegen Jonos in sich, so dass sie ihn im Stich lassen könnte und gerade eine Wasserfee sollte um die Art der Yassalar wissen. Denn, was er wollte, stand für Zarasshin nicht zur Diskussion, gleich, was das Stück Trockenholz denken mochte, was er zu tun habe: nichts davon könnte eine Yassalar zu beeindrucken wissen.


    Da, er sagte es schon wieder. „Nein?“, wisperte sie mit Lippen, die sich kaum bewegen wollten, so dass sie sich nur wie eine zaghafte Welle öffneten und schlossen, weil sie es dennoch taten. Bevor Jonos ganz bei ihr war wappnete sie sich gegen seinen so zerbrechlichen Körper, der für die Yassalar wie zuckende Flammen war, um ihn samt seiner Dreistigkeit von sich zu stoßen und ihm im Wölben der Brauen deutlich zeigte, dass ihre Geduld nicht ewig währte. Blieb also nur die empfindlichen Sinne zu strafen mit dem Verbleiben in Langsamkeit, das zähnliche Gefauche wurde getarnt mit Luftholen, kämpfte Zarasshin gerade gegen sich selbst an, damit ihr Zorn sich nicht unweigerlich selbst Ausdruck verschaffen würde.
    Von allen Empfindungen war ihr die der Überlegenheit am meisten im Kopf verhaftet und darin wie Hochwasser gestiegen und daran versuchte sie sich nun zu halten, wie an einem Stück Treibholz auf stürmischer See. Wurde er von Neugierde getrieben oder gar Dummheit? War sein Gerechtigkeitssinn derart ausgeprägt, dass er ohne Weiteres sein kleines Leben aufs Spiel zu setzen bereit war?


    Ihre Lider rissen auf, als sie der Bewegung seiner Hand gewahr wurde, deren Ziel ihr Nacken sein musste. Stille, wenn all der Lärm erlosch, langsam schmolz die Umgebung von den Rändern her dunkel. Sie tötete nicht unentwegt. Glaubte man das? Auch wenn sie andererseits lediglich versuchte sich zu erinnern, wie es ging barmherzig mit ihnen zu fühlen: deren ganzes Leben erschien ihr grauenhaft unerträglich, diese armen, leidenden Wesen. NEIN! Diese aufsässigen, törichten und erbärmlichen Geschöpfte – so dass ihre hell bewimperten Augen sich zusehends mit unverhohlenem, schwarzem Zorn füllten. In ihr entzündete sich der gewaltige Drang um sich zu schlagen, so dass ihre Lippen zitterten, ihr Blick zu flackern begann, als sie seine Hände zu spüren glaubte – wie konnte er es wagen? Seltsam, obwohl sie einen Moment kaum wusste, wie ihr geschehen war … wag es, wag es!, tobte die Schwester, lass es zu! Und kurz berührten sich ihre Zungen.


    Tuireann ahnte es, bevor sie es sah. Zarasshin verfestigte ihren Stand auf dem Grund, sie wandte sich um, in zusammen geraffter Zeit – sie erkannte es in der Schwarzen Gesicht, das sie sich von seinem Griff ziehen ließ, von Jonos, zu ihm heran, Stirn an Stirn, Haut an Haut; seinem Grinsen musste er sich nun selbst gegenüber sehen.
    Dann streckte sich Zarasshins Arm, wie von selbst, drehte die Handfläche nach außen und umfasste den Knauf, der über ihre Schulter ragte.


    Welches Gefühl aller Gefühle in Zarasshin, als das blaue Metall summte … es übernahm ihre Haut, brauste die Nervenbahnen entlang und fegte alle Unentschlossenheit aus ihren Tun; es sang für sie, glaubte sie es zu hören, war es ihr ein vollendeter Genuss. Es brauchte nicht viel, der tränende Stahl war scharf gleich einer Koralle.


    Im gleichen Moment warf Tuireann ihre Arme hoch, beschwor Fels und Erde, Gestein und die Natur ihr zu folgen. Ihre Handflächen pressten sich in die Luft, fast gegen einen unsichtbaren Widerstand Zarasshin zu. Es gab ein Rumpeln und Murren um sie herum, als die Steine fielen, die Erde unter den Wünschen der Fee sich bäumte. Zarasshin hatte keine Chance, als sie von Jonos weggerissen wurde … hatte die Schwertspitze ihn gestreift?

  • Lehrst du ihm das Fliegen, wenn er vor dem Abgrund steht. So wird er keine Angst haben, keinen Respekt vor dem Fall keinen Dank für das Fliegen. Lässt du ihn sich hinunter stürzen und aufprallen, weis er was der Fall bedeutet und wird auf dich hören, wenn du ihm das Fliegen lehrst. Sunas Worte klangen leise und als hätte sie es schon dutzende Male erlebt. Und das hatte sie auch und war zwar genervt davon, dies vermutlich noch viele dutzende weitere Male zu erleben, doch sie hatte auch gelernt damit zu leben. Jonos musste erst einmal aufprallen. Ihn dabei aufzuhalten würde den Aufprall nur auf Später aufschieben, doch niemals verhindern. Nur mochte Suna sich das nicht mit ansehen. Wenn er sich verletzen wollte an der Yassalar, so bitte, so war dies sein Wunsch. Er tat es nicht um sie zu schützen, also würde sie ihn auch nicht schützen. Jonos war nicht hart, es würde ihn mit Sicherheit weh tun, und Schmerzen bereiten. Doch er war hartnäckig und würde danach weiter machen. Eigentlich Schade, dass er nur so lernte. Aber seine Hartnäckigkeit hatte er danach wenigstens auch beim Lernen.
    Suna wandte sich ab, drehte sich und hielt sich die Ohren zu. Sie schloss die Augen. Sie wollte nicht erfahren, wie er die Gefahr der Yassalar lernen würde. Eine Träne floss über ihre Wange. Sie hatte Angst um ihn, Angst wegen dem, was die Yassalar im Stande war mit ihm zu tun. Doch sie war sich sicher, er würde es am Ende überstehen und zu ihr zurück kommen. Und hoffentlich das auch an einem Stück. Bilder formten sich vor ihrem geistigen Auge, Bilder, welche ihn verletzt da liegen ließen. Es blieb ihr nur noch zu hoffen, dass die Yassalar ihn noch brauchte für ihr Vorhaben, und das möglichst an einem Stück.


    Ein dumpfer Schlag war zu hören. Es war schnell gegangen. Ein pochender Schmerz ging durch seinen Hintern. Braun hatte er gesehen. Und nun? Er saß wieder unten auf dem Boden. Er musste wohl so gelandet sein. Erde hatte sich aufgetürmt. Jonos stellte das linke Bein auf und legte den linken Arm auf seinem Knie ab. Der Rechte untersuchte sich selbst. Er schien unverletzt. Sein Blick blieb auf den Vorsprung geheftet. Etwas warmes lag auf seinem linken Oberarm. Sein Kopf drehte sich in die Richtung, doch seine Augen blieben noch für einen weiteren Moment auf dem Vorsprung haften, als könnte er dort weiterhin Zarasshin sehen. Er blutete. Die Wunde war nur Oberflächlich. Das Metall musste ihn gestreift haben. Sie hatte also versucht ihr Schwert gegen ihn zu nutzen. Mit zwei Fingern der Rechten nahm er etwas Blut vom Arm. Warm schmeckte es. Es war sein Blut. Doch da war noch etwas. Er erinnerte sich. Erinnerte sich daran, wie eine Yassalar schmeckte. Erneut kam ein kurzes Schmunzeln auf. Sie hatte es also zugelassen. Nun gut, als erfolg würde er dies nicht verbuchen, schließlich hatte sie ihn ja wohl auch zugleich versucht mit ihrem Schwert zu erschlagen. Nun denn, eine schwarze Witwe also. Und dennoch, das Hochwasser blieb. Sie hatte es also zugelassen. Trotz alle dem, sollte er es wohl so schnell nicht noch einmal probieren. Wenn jeder Kuss mit einem Schwerthieb einherging, würden die Männer dies wohl nie lange durchstehen.
    Doch das rum Sitzen und darüber lamentieren brachte ihn nicht weiter. Jonos erhob sich. Vorerst kam er wohl so nicht weiter bei ihr. Wenn er mehr erfahren wollte, sollte er ihr wohl doch vorerst helfen. doch seine Schritte lenkten ihn erst einmal zurück zu Suna, welche immer noch die Hände auf die Ohren hielt und weiterhin abgewandt von ihnen saß.


    Der Boden hatte gewackelt. Es war Still. Fest presste sie die Finger in die Ohren. Es war Dunkel. Ihre Augen kniffen so kräftig sie konnte. Sie wollte nicht wissen, was das passierte. Nun eigentlich doch, doch… wenn es schlimm war? Nein sie wollte es nicht wissen. Sollte er doch seine Fehler machen, wie er wollte. Dummer Schüler! Nur bitte sei nicht so Dumm einen zu großen Fehler zu machen. Das letzte was sie mitbekommen hatte, war dass er zu ihr hoch kletterte. Doch der Rest..., dem hatte sie sich verschlossen.
    Sie schreckte kurz hoch. Jemand hatte ihre Schulter ergriffen. Langsam nahm sie die Hände weg vom Kopf und tastete nach der Hand, welcher auf ihrer Schulter ruhte. Es war Jonos’. Er lebte noch. Erleichtert atmete sie einmal tief durch. Törichter Narr, erklang ihre Stimme leicht piepsig aggressiv, aber auch irgendwo erleichtert. Sei sah zu ihm auf. Er war unverletzt, nun ja, bis auf diesen kleinen Kratzer. Doch nichts ernstes, nichts, welches für ihn zu Gefahr werden konnte. Hatte sich diese Zarasshin so sehr zurück gehalten. Dies wäre doch ungewöhnlich für eine Yassalar. Doch hier war wohl alles ungewöhnlich. Sie flog in die Höhe und ließ sich sanft auf seiner Schulter nieder. Als er sich drehte, um wohl wieder zu der Schwarzen zu gehen, sah die kleine Fee den Grund, für die geringe Verletzung. Tuireann hatte ihre Hände im Spiel gehabt, oder besser gesagt ihr Element. Dies war also das wackeln zuvor, ihr verdankte sie also den heilen Schüler. Sie drehte sich auf Jonos’ Schulter Tuireann zu und sprach flüstern. Danke.


    Jonos sprach der weil zu Zarrashin, welche seine Augen noch nicht hatten finden können. Ok, ich helfe dir erst mit der Kiste, lass sie runter.

  • Was geschehen war, ist geschehen, und was einmal nicht geschah, wird niemals geschehen. Es musste nicht so kommen. Jonos musste nicht aufprallen – solange ein Schicksal abwendbar war, das seinen Fall bedeutete, solange würde Tuireann sich bemühen. Und sie war da gewesen, um die Gefahr von ihm abzuwehren, denn sonst wäre da nun nichts mehr zu lernen. Gewiss, ein jeder hielt seine Schicksalsfäden in den Händen, es war an einem selbst zu entscheiden, wer Macht über einen besaß, man lenkte seine Schritte, man befahl die Wirklichkeit sich nah – und nur Jonos und Zarasshin konnten sich selbst befreien.
    Sofort erhob sich mit Zarasshins missbilligendem Blick der Schwindel, wie ein Tier aus der Tiefe, um die Kleine einzuhüllen, aber es traf sie nicht unvorbereitet. Tu das nicht ..., flüsterte es warnend in ihren Gedanken, doch nichts konnte sie mehr von ihrer Schülerin abbringen, weil sie ihr das Wichtigste war, das sie je für sich hatte finden können. Der Tod begleitete ihr Leben jetzt wie der Schatten das Licht und Tuireann hatte das noch nicht akzeptiert.


    Fast war Zarasshin von dem inneren Kampf zermalmt und der lauernde, berechnende Wahnsinn streckte mit tobenden Fingern sein Antlitz durch ihre fahlen Augen. Ihr zarter, von diesem Sturm gerüttelter Körper, beugte sich unter seinen Peitschenhieben, als Tuireanns Macht sie auch schon zurück schleuderte, dessen rumpelndes Echo ihr als eine lebendige Kraft entgegenschlug – ihre Lippen waren nur noch ein Fletschen und sie spürte, wie es gegen sie drückte. Ihre Augen glitzerten im Halbdunkel, als das restliche Licht der Umgebung seine Farbe in sie ergoss und zischend auf das Brodeln darin stieß.
    Es schien, als habe Zarasshin nur noch ein paar Augenblicke Kraft sich selbst zu halten: die Fasern, die ihren Verstand hielten, standen kurz vor dem Reißen und es würde in dem engen Raum des Turmes losbrechen. Wahrscheinlich fühlte sie bereits, als wäre genau das schon längst passiert. In der Hocke, lauernd nach vorne geneigt, starrte sie über den aufgeworfenen Erdhügel, drei Finger auf dem Boden gaben ihr Gleichgewicht. In der Rechten hielt sie noch immer das Schwert fest umgriffen – eine gespannte Harpune, bereit für den Abschuss.
    Kaltblütig und zugleich gierig heiß, ohne Illusionen, im seltsamen Gegensatz der Empfindungen trachtete sie immer noch nach dem Leben des anderen. Die Kämpferische, die Hungrige, die Durstige spürte, dass es ihr in die Kehle stieg, der Drang, der sie einhüllte, der von ihr ausströmte, sie umgab. Und als sie losgerissen war, fiel Zarasshin ein kaum merkliches Zucken hinter sich selbst her, bevor sie es begriff und zu sich kam, war sie doch mitten in Tuireanns Sturm geraten.
    Wortlos erwiderte sie deren Blick, ihre Klinge hatte ins Leere gefasst, ihre Stimme war irgendwo hängengeblieben. Sie war hellwach und alles hatte Umrisse so scharf wie ausgeschnitten. Die Erde war zu schwer für sie. Sie selbst zu schwer für diese trockene Welt.


    Zarasshin hatte einst ihren eigenen Wahnsinn durchschritten, hatte sich durch ihre persönliche Hölle gekämpft und wenn sie ehrlich war, war sie gestärkt daraus hervor getreten. Danach wusste sie um die Wahl, diese war leichter zu treffen. Zuletzt glaubte sie, dass es nichts mehr gäbe, dass sie noch einmal einer Bewusstseinsspaltung entgegen bringen könnte, den zwei Seiten, die in ihr um die Vorherrschaft rangen. Es jetzt beenden, dieses Bündnis mit der Erdfee, um sein Leben willen. Schrecklich und furchtbar waren die Yassalar, ihre Kraft schaffte das Recht; einem Sturmwind gleich fegte die Jagd vorüber, nur um weiterzuziehen, kein Blick fiel je zurück, so wie Zarasshin ihn nun zu Boden senkte.
    Sie wählte die Magie; es fühlte sich langsam an, als würde sie stets gegen eine Welle anlaufen und von ihrer Würde, sich nicht darunter zu beugen, wäre zuletzt kaum mehr etwas übrig.
    Die Schwester, die sich als Schatten über Zarasshin stülpte, sah gefährlich aus, das ließ sich nicht abstreiten – sie selbst jedoch, vernahm nur Tuireanns Flehen, spürte genug von dem kleinen Wesen, um zu begreifen, wie sehr sie darum bat, sie nicht gehen zu lassen. Zarasshin war wie trunken von ihrem Zorn. Verachtung, Spott und Hass, damit kam sie zurecht, doch das Leid unter dem zu erwarteten Wutausbruch schnitt tief in sie, denn auch sie wollte Tuireann nicht ziehen lassen. Ihr Dasein brachte so viele Qualen mit sich, dass es ihr dafür ein gerütteltes Maß Sinneslust schuldig sei und diese empfand Zarasshin im höchsten Grad bei Tuireann.


    Jonos war aufgestanden. Da war das Blut an seinem Arm gewesen, hervor gelockt durch ihr Schwert, da war ihr innerer Wahn, der sie bestürmte, ihre sich aufschraubende Verzweiflung, die Ketten, an denen gerüttelt wurde, weil der metallische Blutgeruch berauschte. Es hatte keine Macht über sie! Zum Glück wandte er sich ab, entfernte sich und nahm den Geruch mit.
    Ihre Gefühle wateten durch einen Alptraum, wankten durch einen Schleier aus violetter Brühe, an dem sie sich verbrannten, immer wieder stürzte sie in die Tiefe und traf auf blutige Klumpen Fleisch, kroch auf wunden Händen und Knien an ein bekanntes Ufer. Langsam verbarg sie das tränende Schwert wieder in seiner ledernen Scheide, nahm ihm die Aussicht auf einen Tod. Zarasshin reckte sich Wirbel um stolzen Wirbel. Den Dank aus Sunas Mund hatte sich Tuireann wirklich verdient.
    Die Zeit löste sich ihr zu einer Pfütze auf und breitete sich zerrinnend aus, als sie es, wesentlich ruhiger als sie sich fühlte, aussprach: „Gut.“ Keine Fragen mehr, Jonos nahm ihren Willen an.
    Mit ihrem baren Fuß gab sie der Kiste ihren ersten Schub nach vorne, am Rand dann nahm sie den Griff in beide starken Hände, doch da sie wusste, wie schwer sie werden würde, lehnte sie sich zurück und ging leicht in die Knie, damit das Gewicht sie nicht vornüberzog. Zarasshin war sich über die Höhe bewusst, die sie beide überspannen mussten, legte und sammelte ihre ganze Spannung in ihren Körper, holte einmal tief Atem, bevor sie die Truhe über die Kante schob. Sofort krallte sie die Zehen in die wenige Erde, rammte sie eine Ferse gegen einen kleinen Vorsprung aus Stein, als der Zug nach unten sie erfasste. Die Luft wollte sich schlagartig vor Anstrengung aus ihrer Lunge pressen, indes Zarasshin sie stoßweise entließ. Bedächtig ging sie tiefer in die Knie und wartete auf Jonos‘ Zugriff, wenn die Truhe in seine Reichweite kam. Vielleicht hätte sie wenigstens noch die Genugtuung, dass die Kiste ihn erschlug.

  • Dort war sie. Wenn sie sich nicht bewegte konnte sie fast vollständig mit dieser dunkeln Umgebung verschmelzen. Sie stand wieder bei der Kiste. Ohne viele Worte fing sie auch schon an, an ihr zu ziehen. Sie war wohl schwer, so wie Zarasshin sich stellt und zug. Auch Jonos bereitet sich auf die Kiste vor, als er merkte wie schwer sie zu sein schien. Er nahm einen breiteren Stand ein und ging leicht in die Knie. Damit konnte er ihr zwar die Kiste erst ein zwei Zentimeter später abnehmen, dafür konnte er sie dann aber auch besser halten. Was hatte der Sylph wohl in dieser Kiste aufbewahrt, dass ihr es so wichtig war. Oder hatte er es gar für die Yassalar aufbewahrt? Waren es Sachen von ihr? Nun vielleicht konnte er ja später einen Blick darauf werfen, doch vorerst musste die Kiste hier wohl raus geschafft werden. Jonos stellte sich fast direkt unter die Kiste, um sie möglichst eng am Körper vorbei zu führen. Seine Hände reckten sich gen Zarasshin und der Kiste. Er spürte wie das Blut nun die Richtung wechselte und nicht mehr zur Hand, sondern zur Schulter floss. Suna indes erhob sich von seiner Schulter aus in die Luft und ließ ihm Platz zum Bewegen.
    Er hatte oft genug Schiffe be- und entladen dürfen, da sollte diese Kiste kein Problem dar stellen, auch wenn sie schwer war. Immerhin es war eine Kiste, die konnte er wenigstens packen. Bei Säcken war das immer so ein Problem. Sie veränderten permanent ihre äußere Form, verlagerten ihren Schwerpunkt, was es wiederum erschwerte die Balance zu halten. Kisten waren schwer, schwer aber starr. Sie veränderten sich nicht und boten oft genug Angriffsmöglichkeiten um sie nicht zu verlieren.
    Seine Fingerspitzen ertasteten das Holz der Seite. Langsam schoben sie sich voran. Jonos stellte sich noch näher direkt unter die Kiste. Wenn er sie jetzt nicht halten könnte, sein Kopf wäre wohl dahin. Die Sehnen der Arme spannten sich, als sie die Kiste umfassten. Eine Hand war auf der Unterseite, die andere an der Rechten um auch seitlichen Halt zu geben. Sie sollte schließlich nicht zur Seite hinunter Fallen. Jonos konnte nicht abschätzen, ob der Inhalt zerbrechlich war, aber er war schwer. Als er die Kiste Langsam näher zu sich zog, um sie gegen seinen Brustkorb zu lehnen, merkte er jedoch, wie der Inhalt rutschte. Das Gewicht drückte die Luft aus seinen Lungen. Mit Müh konnte er sie etwas zurück halten um in mehreren Stößen auszuatmen. Seine Atmung wurde flacher und schneller. Das Gewicht drückte auf seine Rippen und ließ ihn schwerer Atmen. Kurz zitterten seine Knie. Der Rechte fuß wanderte nach hinten. Jonos ging weiter in die Knie, vergrößerte den Abstand zwischen den Füßen, um mehr Halt zu gewinnen. Als er meinte die Kiste sicher zu halten, stellte er sich Grader hin. Der Oberkörper war weiterhin nach hinten gezerrt, um die mit der Kiste mittig über den Füßen stehen zu können. Schweißperlen bildeten sich auf seiner Stirn. Die Muskeln in seinem drahtigen Körper waren angespannt. Die Stränge am Rücken spannten das Hemd. Wie zwei weitere Wirbelsäulen stabilisierten sie seinen Rücken, eine zu Rechten, eine zur Linken.
    Mit der gespaltenen Zunge ging er sich über die Lippen. Die Worte klangen abgehakt und gepresst, aufgrund der Kurzatmigkeit. Wohin… mit ihr?


    Suna indes hielt weiter Abstand. Dies war sein Metier. Still und mit verschränkten Armen beobachtet sie, wie er der Kiste habhaft wurde. Sie war wohl schwer. Dafür hatte die Yassalar ihn also gebraucht. Als Lastenträger. Nunja, damit verdiente er ja auch sein Geld, da sollte er dies schon packen können. Nur hier würde er wohl keine Entlohnung erhalten, oder zumindest kein Geld fürs Bordell. Das konnte ja auch Vorteile haben. Als er sie langsam sicher hielt, flog Suna wieder zurück zu Tuireann. Und sprach so, dass die beiden Schüler sie nicht hören konnten, oder wenigstens ihrer nicht. Danke, dass du das Schlimmste verhindert hast. Du hast für uns deine Bindung aufs Spiel gesetzt. Er wird dies nicht erkennen. Daher nimm bitte meinen Dank als den von uns beiden an. Ich hoffe er ist nun vorsichtiger. Aber sag mal, weist du, was es mit der Kiste auf sich hat?
    Suna war was das anging wohl genauso neugierig wie ihr Schüler, wenn nicht sogar noch etwas mehr.
    Dass sie zu Tuireann geflogen war, hatte Jonos selbst nicht mitbekommen. Seine Gedanken drehten sich um das halten der Kiste und um die Frage, was die Dunkelschuppige damit vor hatte.

  • Seine Kraft an der Truhe erleichterte es ihr auf einmal; plötzlich bemerkte Zarasshin, wie die harte Spannung in ihren Schultern erlöst wurde, um zu einem leichten Vibrieren abzuflauen. Irgendwie gab er ihr das Gefühl, dass er sie richtig zu packen wusste, schien Jonos stärker als er aussah. Zufrieden mit sich und ihrer Auswahl, enttäuscht ob der Aussicht ihn taumeln zu sehen, gab die Yassalar Stück für Stück der Tiefe nach, um in die Hocke zu sinken, während der Mann sie wenigstens mit schnelleren Atemzügen belohnte.
    Zufrieden knurrend, so dass es fast erleichtert klang, gab sie die Kiste ab und rutschte auf den Bauch, bettete je einen Ellenbogen in einer Handfläche zu, um sich, nach unten sehend, darauf abzustützen. Befriedigt sah sie die Schweißperlen auf seiner Stirn, versöhnt vernahm sie die stoßweise hervor gepressten Worte. Wohin? … nun …


    Tuireann sah besorgt auf, ihre braune Hand machte eine schlichtende Bewegung. Sunas liebenswürdiger Blick fesselte sie, half der Maske, die in ihren ernst ruhenden Zügen eingemeißelt war, weicher zu werden. „Keinen Dank, Suna. Es war eine Erfahrung wert.“ Hatte Suna es etwa auch gesehen, wie der stumme Kampf zwischen ihnen stattgefunden hatte? Vielleicht hätte sie selbst besser mehr an ihr sehen, um deuten zu können, wenn sie nur darauf geachtet hätte. Schatten und Grauen sind nur eine Flanke des Lebens, Lärm und Kampf an Zarasshins Seite und auch wenngleich es den Yassalar scheinbar aufgetragen war, die Abgründe zu beschwören, es ihre Lebenswahl ist, standen dort auch nur zwei Sterbliche. „Hast du je gehört, dass man mit Logik ankommt gegen eine Leidenschaft?“, dass man dem Fieber zureden kann: Fieber fiebre nicht oder dem Feuer: Feuer brenne nicht? Kann man Zarasshin nicht einfach sagen, sie solle nicht fühlen, wie sie fühlt? Sein, als was sie geboren ist … Hinter dem Dunkel versteckte es sich leicht … Tuireann seufzte. „Ich glaube, ich habe Augen im Herzen“, fügte sie an. Leise Zuversicht pochte von innen an die Herzwand, schon wieder ließ die Hoffnung nicht locker. Vielleicht lohnte es sich nicht, sich um den Zorn eines einzelnen zu kümmern, denn wie schön wäre es, einmal seinen eigenen Zorn zu haben?


    Gleich zwei schwarzen Sonnen brannten sich dann ihre Augen auf Jonos, das dunkle Zwielicht funkelte darin, als nur die Pupillen sich hoben und seine Geste nachahmend, leckte eine schwarze Zunge sich über die Lippen.
    Zum Marktplatz?“, im Händlerviertel, weil dort der Brunnen Nir’alenar mit dem Meer verband, „zum Seeviertel“, da sich hier der Hafen mit den gestrandeten Schiffen befand. Zarasshin nahm ihr freundlichstes Lächeln auf das Gesicht. Lass mich mutmaßen: jetzt wirft er sie hin, flüsterte die innere Schwester und die boshafte Freude erweiterte sich bis in ihre Augen, „oder tragt sie in das Adelsviertel.“ Zum Mondenteich. Sie war nicht derart boshaft das weit entfernteste Ziel von ihm zu fordern … „Die Wahl überlasse ich ganz Euch.“ – und seiner Kraft, seinem Willen, seinem Stolz.
    Doch dann … das Lächeln, das sie sich auf die Lippen gesammelt hatte, mit jedem Vorschlag, mit jedem Wort mehr, fiel ihr von den Lippen; es blieb liegen, eiskalt, und so hörte sie ihr Herz an die Rippen pochen wie an hartes Holz.

  • Suna wusste nicht ganz was sie Antworten sollte. Was hatte Logik mit dieser Situation zu tun. Weder Jonos noch Zarasshin hatten sehr logisch gehandelt. Ob es nun Leidenschaft oder einfach nur Dummheit war, wollte Suna auch lieber gar nicht erst wissen. Denn die vermutliche Antwort, würde ihr nicht gefallen. Und überhaupt was war schon Logik, eine Hülle für Erklärungen und Gedanken für die, denen es an Leidenschaft fehlte. Logik, dieses flexible etwas, das immer so gedreht werden konnte wie es der jeweilige Brauchte. Von Tod über Liebe bis hinzu Gut und Böser, jeder Aspekt lies sich logisch erklären und doch beantwortet er gar nichts. Nun gut, die Leidenschaft erklärte dafür reichlich wenig, zumindest nicht verständlich, doch war sie meistens ein eindeutigerer Lehrmeister, als es die Logik je vermochte.
    Der zweite Satz hingegen beeindruckte Suna, sie wusste was ihr der Erdfeen Worte sagen sollten und überlegt, ob auch sie so etwas von sich behaupten konnte. Nun als wahrer Menschenkenner oder Sonstiger-Lebewesen-Kenner hätte sie sich wohl nicht bezeichnet und wirklich in der Seele Jonos’ konnte sie auch nicht lesen. Aber vielleicht lag es auch einfach daran, dass es da nicht viel zu lesen gab.
    Suna wusste nicht, was sie darauf antworten sollte und so beließ sie es bei einem zustimmenden Nicken und wandte kruz darauf ihren Blick wieder gen den zwei schülern, die wohl ihre Leidenschaft vorerst wieder etwas gezügelt hatten.


    Den Ganzen Weg wieder zurück?! Wie bitte? Schoss es Jonos durch die Gedanken. Sein Blick wirkte leicht entgeistert. Sein Mund öffnete sich und blieb vorerst auch einen Spalt offen, als wollte er zum Aufschrei ausholen, doch kein Laut verließ seine Lippen. Doch während sie weiter sprach machte sich Skepsis in ihm breit und auch abermals auf seinem Gesicht. Die Linke Braue hob sich und schob sich dabei auch dichter an die rechte heran. Die Stirn in Falten gelegt, schloss sich auch endlich wieder sein Mund. Seevirtel, Adelsvirtel? Sie wusste wohl nicht wohin damit. Was für ein flexibler Inhalt mochte wohl in der Kiste sein, dass sie an so vielen Orten sein konnte um ihr zu dienen? Oder war nur die neue Eigentümerin so flexibel, dass sie all diese Orte für ihre Zwecke nutzen konnte?
    Jonos ging weiter in die Knie um anschließen die Kiste so zu drehen, dass sie längs auf seinen Beinen abgelegt werden konnte. So saß er mitten in der Luft mit der Kiste auf den Oberschenkeln als Gegengewicht. Die Arme für einen Moment auf dem Deckel ausruhend, atmete er tief durch. Mit dem rechten Ärmel wischte er sich den Schweiß von der Stirn.
    Sag …mir doch bitte, …was du damit genau vor hast, …damit ich auch die Entscheidung treffen kann, wo sie wohl am besten aufgehoben wäre. Seine Stimme klang weiterhin leicht gepresst, doch war kam die Luft mit jedem weiteren Wort mehr zurück und beruhigte seinen Atem.

  • Es war Suna anzusehen, dass sie nicht ganz verstand. Natürlich Logik, denn es folgte ebenso einer Gesetzmäßigkeit, wenn man versuchte einer Yassalar die Konsequenzen ihres Handels begreiflich zu machen, als wenn man es einem weniger mit Leidenschaft geschlagenem Wesen erklärte. Zu oft waren die Gefühle in Zarasshin berauschender, als dass sie mit Vernunft einzugrenzen wären. Feuer, du wirst das ganze Viertel in Asche legen, wenn du brennst, Wasser, du wirst die Menschen auf dem Schiff ertränken, wirst du stürmend darüber herfallen … Yassalar, die Menschen, die Elfen, all die anderen Völker werden zerbrechen unter deiner Gewalt. Zarasshin würde die meiste Zeit wenig Gedanken an die Folgen verschwenden, risse ihr Zorn sie mit sich. Keine Einsicht, wenn man ihr erklärte, dass sie Jonos als Träger für sich gefunden habe, so dass sie ohne ihn die Last selbst zu schultern habe. Es war keine Dummheit, wusste Tuireann, es war das Wesen der Yassalar. So umsichtig vorausschauend und zielorientiert sie auch agieren konnten, entzündete sich ihr Stolz, gab es wenig Halten nur: kalte Berechnung oder grausame Zerstörung. Wenigstens konnte man Zarasshin nicht vorhalten, sie täusche ihren Gegenüber und schleiche sich hinterrücks an. Und nur aus diesem Grund wusste Tuireann wie einschätzbar Zarasshin war, auf ihre ganz eigene und sonderbare Art.


    Wunderbares Mienenspiel. Zarasshin hatte nicht nur Augen, sondern auch Ohren und andere Sinne. Einer davon konnte ruhen, die anderen waren wachsam, niemals träge, auch wenn es so schien. Jetzt war sie nicht ganz Auge und Beobachtung, doch vor allem anderen dies. Das Verlangen ihrer Augen lag auf Jonos Körper, dem reizenden Muskelspiel unter seiner Haut, als dicke Striemen wie Peitschenhiebe darauf, seinen glänzenden Augen, die sich vor Anstrengung verengt hatten: schien sein Schweiß sie nicht abzustoßen, sondern in der Mitte zu entzünden. Sein flacher Bauch pumpte den Atem und vibrierend hielt sein Körper dem Gewicht stand, während Verästlungen von Adern sich wölbten. Rebellion und eine Zusage im gleichen Atemzug.
    Aber die Luft blieb schwer und anscheinend zu warm für sie, schwieriger aus den Lungen zu treiben, hatte man sie einmal dahinein bekommen, obwohl er es sein müsste, dem sie sich verweigerte so schnell durch die Kehle zu gehen, wie er sie für die Anstrengung brauchte; sein Atem beruhigte sich wieder. Sich umkreisende Blicke wie Schattenhaie, das kalte Lächeln sie nicht gezähmter machte. Ein ganzer Schwarm jetzt zwischen ihnen. Wie schön seine Augen waren, wenn sie funkelten und glitzerten und ich bin der Grund dazu … gib mir die Wut, lass sie fliegen, wir wollen sie fangen, um sie der unseren hinzu zufügen.
    Sie muss natürlich ins Meer, Jonos“, nachsichtig erklärt, als wäre seine Frage eine ganze Absurde, denn sie beabsichtigte nicht Ascans Truhe an Land zu öffnen, „nur dort ist sie mir am besten aufgehoben.“ Der Sylphe würde nicht zurück kommen sie zu holen. Ganz verständnislos wurde Zarasshins Blick auf Jonos – hatte er sich das nicht denken können, als sie ihm all diese bestimmten Orte nannte? Kannte eine Yassalar sich in Nir'alenar besser aus als ein Trockener, der diese Stadt mittlerweile seine Heimat nannte?
    Und je länger er hier stand und seltsame Fragen stellte, desto schwerer würde die Truhe wohl werden; nicht an Inhalt, sondern sich labend an der Munterkeit seiner Muskeln, bis zuletzt nur Müdigkeit darin zu finden wäre.

  • Logik folgte Gesetzmäßigkeiten, dies war gar keine Frage. Doch Logik folgte unterschiedlichen Gesetzen, unterschiedlichen Gewichtungen. Nahm man einen Bösen gefangen, so war es doch nur Logisch ihn zu töten, um zu verhindern dass er mehr Schaden anrichten konnte. Doch war es genauso Logisch ihn von seinen bösen Gedanken los zu reißen zu versuchen, damit er einem später helfen konnte, auch dies war Logisch. Ebenso Logisch war es ihn an den Pranger zu stellen, damit alle anderen ihn als Abschreckendes Beispiel nahmen. All dies war Logisch und folgte einer Gesetzmäßigkeit, doch all dies war eine andere Lösung für ein und die selbe Grundlage. Logik konnte alles begründen, je nach dem was man mit ihr begründen wollte. Logik allein war daher für die kleine Wasserfee kein guter Ratgeber, nur mit etwas Leidenschaft und Gefühl zusammen, mochte sie doch Berge versetzen. Denn wenn alles in einem nach dem Selben schreit und die Logik diesen Schrei noch verstärkt, so ist der daraus gerufene Wille unaufhaltsam.


    Ins Meer also mit der Kiste, wieso wollten sie dann in das Adelsvirtel oder in das Händlervirtel. Nun denn sie hatte wohl ihre Ideen, wie sie von dort aus die Kiste ins Meer bringen konnte, doch trotz alle dem, war allein der Gedanke die Kiste den ganzen Weg zu schleppen ermüdend. Und überhaupt, wer wusste schon, ob der Inhalt Wasserfest war, am Ende zerstörten Salz und Feuchtigkeit nur alles, was sie haben wollte und nichts war gerettet, außer vor anderen Augen, aber dafür auch vor den eigenen. Jonos fuhr sich mit den Händen durch die Haare, die Ellenbogen auf der Kiste lassen, welche weiterhin auf den Knien und Oberschenkeln ruhte. Mit einem Ruck nahm er sich hoch. Sein Hals spannte sich bei der Anstrengung, die Adern, welche die Kraft durch seinen Körper schickten, stachen überall hervor und schienen die Haut in Wellen zu legen. Die Kiste erhob sich von seinen Knien. Ein Stück ging sich nach vorne, zusammen mit dem Oberkörper von Jonos. Der Stand verbreiterte sich weiter. Schnaufend aus atmend ließ Jonos die Kiste zugig, wenn auch fest kontrolliert auf dem Boden nieder. Mit dem Absetzen der Kiste, ließ die Zitternde Spannung in Rücken, Beinen wie auch Armen nach. Gefolgt von einem langem Pusten senkte sich sein Brustkorb nieder. Die Kiste stand auf dem Boden, wollte er Luft für weitere Fragen haben, musste er den Muskeln nehmen. Auch wenn sein Gesichtsausdruck sich entspannte, die drahtigen Muskeln, wie auch die Adern, welche die Haut unter Spannung gesetzt hatten, taten es kaum. Denkst du nicht… Ein schnaufen entlassen von den Nasenflügeln unterbrach kurz seine Worte… Dass der Inhalt, sollten es Pergamente sein, unter Wasser… Jonos verlagerte das Gewicht von einem auf den anderen Fuß um kurz danach sich doch wieder nach vorne über zu beugen und sich auf den Knien abzustützen. .. etwas leiden könnte? Für mehr hatte er noch nicht Luft. Sein ganzer Körper war nun auch in permanenter wenn auch weniger Bewegung, war dieser doch nun auf Arbeit eingestellt und wunderte sich über die Frühe Pause, während immer noch das Blut in gewellten Stößen durch seine Adern und auch seinem Kopf schoss, was seine Gedankengänge leicht zu beeinträchtigen schien.

  • Allerdings setzte der Mann das Gewicht nun zu Boden, anstatt die Last nach draußen zu tragen; seine Muskeln erschlafften, wo das Blut noch sichtbar wild ob der Anstrengung durch dicke Adern tobte. Um die ganze Aufmerksamkeit einer Yassalar buhlte man nicht; weder machte man Zarasshin einen Vorwurf keinen Willen zu zeigen, noch bat man darum, es doch einmal zu tun; länger zu verweilen, nicht zu flüchten aus ihrer Gegenwart, Minuten zu schinden. Gut, dass er zu dieser Zeit zu ihr sprach, in der sie weder anderweitige Beschäftigungen hatte, noch zu viel Energie, um wirklich noch einmal aufzufahren. Die trockene Luft machte ihr das Sein schwerer.
    Ihr Kinn hob sich lediglich ein wenig, als es ihren Nacken heiß überlief. Genügten ihm ihr flüchtiges Augenmerk, die Drohungen, ja selbst diese kurzen Debatten nicht? Es klang, als wolle Jonos sich wirklich Sorgen um ihr Eigentum machen. Wie geahnt, Zarasshin verstand ihn nicht. Also – warum sollte sie es auch wollen? Warum sollten wir dich durch und durch verstehen wollen?
    Möglicherweise verwischten sich die Grenzen für ihn. Ein Sachverhalt, der nicht ganz eindeutig darlegte, dass es sich hier um Besitzanspruch und kurze Leibeigenschaft handelte. Sie waren keine Freunde und würden es niemals sein. Der Mann war hier, weil sie es wollte. Die Schwarze baute auf Zwang und Gehorsam, Anbetung und Pflichtgefühl, Angst und Hass. Wie sie wieder einmal bemerkte, war die Weltordnung in Zesshin Doraz eine einfach strukturierte, im Gegensatz zu den Verflechtungen dieser trockenen Stadt. Wussten diese in ihrer seltsamen Lebensweise nicht um ihren Platz.
    Und da ihre Gedanken gerade immer noch in seiner Gestalt ihren Mittelpunkt hatten, so stießen Jonos‘ Worte gegen ihre Geduld, wie gegen einen ausgespannten Seidenfaden, welcher leicht durchgerissen werden konnte – und dennoch durch eine strenge Fügung zur Unverwundbarkeit bestimmt war; der sich dem Auge verbarg und erst offenkundig wurde, wenn man ihn fast schon berührte. Ein Faden, der jetzt leicht in ihren Überlegungen summte.
    Natürlich sprach er Recht – wenn es sie nur interessieren würde, was in der Truhe sei. Aber das wusste er ja nicht.


    Zarasshin rollte sich herum – im Schauer ihrer Haut, in einem Sprung ihrer anmutigen Glieder, im Trunk der Augen, in ihres Ohres Rausch, so dass sie geschmeidig neben ihm zu stehen kam, spürte sie mit den Händen durch die Luft wie durch Wasser. „Denkst du nicht auch“, und die Luft vibrierte stählern unter der eingepeitschten Härte, als sie das Wort betonte. Zarasshin war nicht zornig zu nennen, sie war seltsam friedlich, sich flüchtig fragend, wann sie sich persönlicher geworden waren, „dass dies nicht deine Sorge zu sein braucht?“ Gedehnt und verernstet.
    Was sie dachte, was der Inhalt wäre? Alles was zählte war, was sie wollte und ihm mitteilte. Geschähe es nicht so, geschähe es ein wenig anders. Doch leer würde keine Stelle bleiben, allein, sie würde ihm nichts anderes eröffnen. Die Gelassenheit galt es zu erhalten, gegen das Nichts, in dem nur die Wut schwamm. Die Minuten wurden zu einem weglos verwachsenem Dickicht, dessen Stimme ihren Klang besaß. Wenn sie seinen Willen nur so einfach brechen könnte, wäre Zarasshin zufrieden und Jonos ruiniert.
    Ihre Mundwinkel zuckten in einem freudlosen Lächeln, klammerte sie sich an seine trotzige Haltung, wie an einem Stück Treibholz fest. „Hast du nicht eine Aufgabe erhalten?“ Es war kein direkter Vorwurf, eine Feststellung, dass sie es fast leid war, sich seinen Trotz gefallen zu lassen, und doch bereit war, es ein weiteres Mal zu akzeptieren – zu diskutieren, anstatt zu handeln. Zarasshin hatte die Untergrenze des Zorns erreicht und ihr Inneres floss in einem Gleichklang, obwohl es schäumte, um auch ihr letztes Bewusstsein von Ärger tiefer zu ziehen. Ebbe und Flut, beide Gezeiten rangen in ihr um die Vorherrschaft. Hoffnung und Resignation. Aber was einmal entschieden war, musste so sein: die Kiste hatte ins Meer zu gelangen und sie würde Frieden halten.
    Doch alle Ruhe konnte es nicht hindern, dass ein grimmiges Flackern ihr über die silbernen Schuppen lief, als sie so voll gänzlicher Unbefangenheit halblaut die Feststellung aussprach: „Und je schneller wir das hinter uns bringen, desto schneller können wir wieder unserer Wege ziehen.“ Lebend und unverletzt. Ein fadenscheiniges Wispern, erzwungen aus ihrer trockenen Kehle. Dann bin ich dich los und du mich.

  • Du?!, Ich?! War er selbst damit gemeint? Hatte die Schwarze ihn eben geduzt? Wäre er mehr bei Kräften gewesen, so hätte er es wohl anders würdigen können, doch so erhob sich lediglich eine Augenbraue und die Atmung wurde für einen Moment ruhiger. Als versuchte er alle störenden Geräusche für einen Moment zu unterdrücken nur um darauf zu achten, ob das Wort erneut fallen würde. Ein Wort das sie bisher recht selten gebraucht hatte und nun doch so selbstverständlich. Oder hatte er sich nur verhört, war da nie ein ‚Du’ gewesen, sondern nur ein Gedanke der ihn abzulenken versuchte, erneut. Nun denn, selbst sollte es nur ein Gedanke gewesen sein, so blieb immer noch die Frage warum der Gedanke nur ein ‚Du’ erzeugte, für gewöhnlich kreisten seine Gedanken doch um …andere Themen.
    Und da kam es auch schon zum zweiten Male. Ja sie waren beim Du angekommen. Irgendwie merkwürdig, nun denn, aber alles hier war doch merkwürdig, da konnte ein Du ja wohl nicht stören. Eigentlich machte es auch nix, ob du oder Sie, am Ende, würde er ja doch die Kiste allein schleppen dürfen. So entschied er, dies erst einmal zu übergehen, oder zumindest genauso einfach hinzu nehmen, wie sie es gesagt hatte.
    Er bereitete die Kiste für das Tragen vor, wollte er sie über eine längere Strecke tragen, bot es sich an, sie auf dem Rücken zu haben. Denn so verteilte sich das Gewicht auf seinen ganzen Körper und nicht nur auf die Arme. Um Dies tun zu können, hob er die Kiste seitlich an, so dass eine der Kurzen Seiten auf dem Boden blieb und alles auf Eck stand.
    Nun denn, dann sag aber nicht ich hätte dich nicht gewarnt. Wenn’s nen Wasserschaden am Ende hat, bin ich nicht verantwortlich.
    Während er sprach hob er die Kiste weiter an, so dass ihr Winkel steiler und steiler wurde. Ein Teil des Inhaltes rollte innerhalb der Kiste nach unten und kam dort mit pochenden Geräuschen an der Seitenwand auf. Schade, dass sie es jetzt nicht öffnen wollte. Es täte ihn schon interessieren, was da drin war.
    In der Spalt zwischen Erde und Kistenboden zwänkte sich Jonos hinein, mit dem Rücken zum Kisten Boden. Tief hocken lag das Gewicht nun auf seinem Rücken und seine Hände umgriffen die untere schmale Seite. Ruckartig stand er auf. Erneut spannte sich alles. Die Kiste nun auf seinem Rücken stand er nach vorne gebeugt bereit zum los gehen. Auch wenn er sich noch nicht ganz sicher war, wo es hingehen sollte.

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