Flammende Schatten

  • Zeciass bedachte ihre Warnung mit einem kurzen Blick über die Schulter, bei dem sich das Licht ihrer Flamme in seinen Augen spiegelte. "Keine Sorge. Ich bin an Land ebenso geschickt wie im Wasser." Dass er sich gerade besonders vorsichtig vorwärts bewegte, musste er ihr nicht an die Flosse binden.
    Es stank inzwischen durchdringend nach Kloake und Zeciass ergründete widerwillig die nächste Eigenart der Trockenen, die offenkundig darin bestand, alles Unerwünschte wahllos unter die Erde abzuleiten. Nachdem er dem Feuermädchen dabei zugesehen hatte wie sie mit etwas Kraftaufwand zwei verborgene Riegel seitlich der Gittertür aufgeschoben hatte, trat er mit ihr auf den vermodernden Steg, um den das besudelte Wasser wie eine Lauge aus Dreck und Verwesung gährte. Der plötzliche Pfiff klingelte noch in Zeciass' Ohren als seine Begleiterin kurz darauf vom Warten sprach. Wen immer sie aufmerksam machen wollte, musste entweder halb taub oder besonders weit entfernt sein. Oder beides...


    Der Yassa'Dhar schüttelte den Kopf, um mit der Übelkeit erregenden Mixtur aus Gerüchen fertig zu werden. Die dunkle Ahnung, dass sich die verpestete Luft in seiner Lunge festsetzen und ihn krank machen würde, brachte ihn dazu, so weit vom Wasser zurück zu weichen wie es möglich war ohne mit dem Rücken gegen die Kanalwand zu stoßen. Die schmierige grüne Schicht, die sich dort über die Steine zog, wirkte nicht weniger ekelhaft als die schwarze Brühe selbst.
    Das einsame Licht der Flamme schimmerte auf seiner Schuppenhaut, wodurch die Dunkelheit ihn nicht vollends verbarg. Kaum wahrnehmbar hing ein Gluckern in der Luft, vermischte sich mit dem Klang von Tropfen, die sich regelmäßig von der Decke aus groben Steinen lösten. Nichts an diesem Ort schien darauf ausgelegt, etwas anderem als der Beseitigung von Unrat zu dienen und niemand hatte sich jemals die Mühe gemacht einen zweiten Gedanken daran zu verschwenden, was Jahrzehnte oder Jahrhunderte der verwahrlosten Nutzung aus diesem Loch machen würden.
    Der einzige Anblick, der hier kein Würgen in Zeciass hervorrief, war die Gestalt des Flammenmädchens und so klammerte sich sein Blick ganz an sie. "Deine Quellen haben offenbar ihren Geruchssinn verloren, wenn sie dir zu einem solchen Weg raten", keuchte er finster und konnte abermals nicht verhindern, dass sein Kopf den stinkenden Dunst abschütteln wollte. "Wie lange müssen wir hier warten?"

  • Das Flammenmädchen hatte sich angewöhnt, durch den Mund zu atmen, wenn sie die Treppe bestieg, um den Geruch, welcher selbst ihr, welche in den Straßen aufgewachsen war, an schlechten Tagen ein Würgen entlocken konnte, so gut es ging zu entkommen.
    Und doch war sie bereit den Preis zu zahlen, um an den Ort zu kommen, welcher ihr so lieb geworden war. Nicht nur wegen der großen Auswahl an Dienstleistungen, welche teilweise durchaus als exotisch zu bezeichnen waren, sondern besonders wegen bestimmter Produkten, welche einen zeitweise das Straßenleben vergessen ließen. Ihr Stolz litt gelegentlich ein wenig darunter, genauso wie ihr Geldbeutel, doch das war es durchaus wert.


    Auf die Frage hin, sah sie ihn nur kurz mit einem verschmitzen Lächeln an, eher sie sich wieder den dunklen Gängen zuwandte, welche vor ihnen lagen. Nach kurze Zeit gab sie ihn aber schließlich doch eine Auskunft.
    „Lange werden wir nicht warten.“ Kaum einen Moment nachdem ihre Worte verklungen waren, erschien ein kaum wahrnehmbares Leuchten am Ende eines der dunklen Gänge, begleitet von einem Geräusch, welches kaum zu identifizieren war. Doch Erelthea wusste, dass es das Platschen von Holz in Wasser – in verunreinigtem, dickflüssigem Wasser! – war und ihnen ihren Begleiter stetig näher brachte. Sie schloss die Hand und die Finsternis umhüllte sie, doch das Licht am Ende des Ganges wurde stetig größer, als es auf sie zu kam und so wurden sie schließlich wieder in das Licht einer dreckigen Laterne gehüllt, der das eine oder andere Glas fehlte.
    Diese war an einem Boot angebracht, welches von einem Fährmann geleitet wurde, der so vermummt war, dass man nicht einmal seine Gestalt erahnen könnte, wenn man es denn wollte. Sein Gefährt trieb der Vermummte mit zwei langen, schlanken Rudern an, welcher mit kräftigen Stößen durch das Wasser getrieben wurden. Erst als er an dem Steganlegte, hielt die Bewegung der Ruder inne und Stille senkte sich über sie.
    Zügigen Schrittes sprang das Flammenmädchen in das Boot, welches gefährlich schwankte und deutete ihrem Begleiter ihr zu folgen, ehe sie sich dem Fährmann zuwandte. Münzen tauschten den Besitzer, Worte waren nicht von Nöten, denn jeder der beiden stillen Beteiligten wusste wohin es ging, ehe sie sich im Schneidersitz hinsetzte und auf Zeciass wartete.

  • Für eine Überfahrt über Wasser zu bezahlen, wäre Zeciass unter anderen Umständen wie blanker Hohn erschienen. In diesem Fall jedoch setzte er seinen Fuß auf die Planken des schmalen Bootes und glich das abrupte Schwanken elegant mit dem Verlagern seines Körpergewichts aus. Ein wackeliger Untergrund war ein Kinderspiel verglichen mit den Strömungen der Tiefseeschneise und ihrer reißenden Strudel.
    Zeciass beschränkte sich darauf, durch seinen Mund zu atmen als er sich neben das Flammenmädchen sinken ließ und die Hand nah bei ihr auf das klamme Holz stützte. Seine Haltung wirkt entspannt, doch sein Blick war scharf auf den Fährmann gerichtet, dessen Paddel langsam aber stetig ins Brackwasser tauchten und das Boot in Bewegung versetzten.
    Er konnte sich nicht erinnern, jemals größere Verachtung für ein Wesen an Land empfunden zu haben als für diese vermummte Ausgeburt an Stumpfsinn, die sich das wohl erbärmlichste Loch der Insel als Arbeitsplatz auserkoren hatte. Ein Schütteln fuhr über den Leib des Yassa'Dhar und er richtete sein Augenmerk auf die Frau an seiner Seite, deren Lächeln seit dem Abstieg so rasch erschien und wieder verschwand wie ein scheuer Anemonenfisch.
    Etwas Lauerndes erschien in seinen Augen während sich ein Lächeln in seinen Mundwinkel grub. Von allen Orten unter der Kuppel hatte sie sich gezielt den einzigen ausgesucht, an dem jeder denkbare Annäherungsversuch zum Scheitern verurteilt war... und mochte er noch so geschickt sein. Zeciass beließ es bei dem kurzen Blick und konzentrierte seine Sinne auf die Wendungen, die das schmale Boot in den Gängen vollführte. Die Orientierung zu verlieren, war das Letzte, was er hier unten wollte.

  • Das Mädchen mit dem flammenden Haar – selbst hier unten, nur in dem Lichte der zerbrochenen Laterne schienen kleine Flämmchen auf ihren Haaren zu tanzen – schien den Blick des Schwarzen zu spüren. Denn obwohl ihr Blick nach vorne in ihre Fahrtrichtung gerichtet war, legte sich ein schelmisches Lächeln auf ihre Lippen, als er sie anblickte.
    „Führe den Gedanken zu Ende und du wirst mit dem Unrat dieser Stadt schwimmen gehen.“ Obwohl ihre Worte alles andere als freundlich waren, war ihr Tonfall geradezu lieblich. Trügerisch lieblich.
    Sie blickte nicht einmal zu ihm, als sie mit ihm sprach, sondern ließ ihren Blick weiter nach vorne gerichtete. Sie meinte schon die zahlreichen Geräusche des Marktes zu hören, die anpreisenden Rufe, mache lauter, manche leiser. Und auch die ganze Gerüche! Es war wie eine andere Welt. Aber es gab etwas anderes, was sie doch am meisten ansprach.

  • Verschiedene Zuläufe hatten die Kloake ausgedünnt und den Gestank dadurch schon merklich abgeschwächt. Zugleich mischten sich unerwartete Geräusche in die totenähnliche Stille der Katakomben. Stimmen, wenn Zeciass seinen Ohren trauen wollte.
    Die Warnung des Flammenmädchens hing reizvoll zwischen ihnen. Dass sie seinen Blick so deutlich gespürt hatte, verriet ihm, dass ihre Sinne ihm näher waren als ihre kühle Distanz ihn glauben machen wollte. Am Ende des Kanals kündeten Farben von einem Lichtschein. Ob es das Ende ihrer Fahrt bedeuten würde, blieb jedoch abzuwarten.
    Zeciass ließ nur seinen Blick zur Seite wandern ohne den Kopf zu drehen und musterte die stolzen Züge seiner Begleiterin. "Woher willst du wissen, ob ich meinen Gedanken zu Ende gedacht habe?" fragte er sie so dunkel, dass sie die Vibration seiner Stimme auf ihrer Haut gespürt hätte, wäre sie mit ihm unter Wasser gewesen. Sein Oberkörper spannte sich beim Verändern seiner Sitzhaltung, was nicht zufällig sein glänzendes Muskelspiel zur Geltung brachte. "Und wer sagt dir, dass dir sein Ende missfallen würde?" In letzter Sekunde widerstand Zeciass der Versuchung, seine Hand auf das Knie seiner Sitznachbarin zu legen, welches durch den Schneidersitz in seine Richtung wies. Es war zu früh, warnte ihn sein Instinkt. So ließ er die begonnene Bewegung ausklingen, indem er über sein Schlüsselbein rieb und dabei einige seiner langen Haarsträhnen wieder auf ihren Platz hinter seiner Schulter verwies. Sein Kopf wandte sich dem Flammenmädchen ganz zu. Er wollte sehen, wie sie auf seine anspielenden Worte reagierte.

  • „Ich habe schon mehr von deinem Schlag getroffen.“ Ein kleines Lächeln zierte ihre Lippen, kaum sichtbar, aber von Hohn, Überlegenheit und Belustigung geschaffen, welcher nun auch in ihren Augen blitzte. Sie wandte ihren Kopf kaum ihren Begleiter zu, nur so wenig, dass einige ihrer Locken erzitterten und im gedämpften Licht schimmerten.
    „Das ihr alle doch an das annähernd gleiche denkt, ist nicht schwer zu erraten.“ Sie wusste, dass es nicht klug war, sich mit solchen Leuten abzugeben, doch der Reiz dahinter lockte sie an. Man könnte es selbstzerstörerisch nennen, doch sie selbst sah es nicht so. Sie selbst sah nichts weiter als den Reiz und Spaß dahinter.
    Ihre Haltung änderte sich ein kleines bisschen, als die Geräusche lauter wurden, das Licht heller und den Schimmer der schwachen Laterne verdrängte. Es wurde deutlich, dass so viel Lärm für solch einen Ort ungewöhnlich war und nur von einer großen Anzahl an Menschen zeugte. Eine große Anzahl an Menschen, welche man nicht hier vermuten würde.
    Doch sie alle hatten ein gemeinsames Ziel, denn sie wollten oder konnten sich nicht an der Oberfläche tummeln. Nein, lieber liefen sie hier unten, Unterirdisch wie Ratten, welche sich um einen Kadaver tummelten, herum.Und auch wenn sich das Flammenmädchen nicht zu ihnen zählte, war sie oft genug hier um sich auszukennen und teilweise auch genannt zu werden. Hauptsächlich wegen ihren Laster, oder aber auch um Diebesgut zu verkaufen.

  • Seine erste Ahnung hatte ihn nicht getäuscht. Es waren Stimmen, die ihnen entgegen schallten, und manche von ihnen besaßen den unverwechselbaren Klang von Marktschreiern. Ein unterirdischer Basar, vermutlich dem verbrecherischen Gesindel dieser Stadt vorbehalten, schloss Zeciass und sein sinisteres Interesse war geweckt. Wohlwollen funkelte in seinen schwarzen Augen, die noch immer auf dem Flammenmädchen lagen. Sie war also doch seine Zeit wert...


    Das Boot wurde langsamer und war kurz davor, an einer niedrigen Kaimauer anzulegen. Nur wenige Fackeln waren an den steinernen Pollern des Ufers angebracht und wo ihr Farbschein ins graue Spektrum überging, drückte sich so mancher Trockene herum, der ihre Ankunft überaus aufmerksam beobachtete. Jenseits des Kais, angelehnt an breite Steinsäulen, fanden sich die ersten Marktstände und selbst auf diese Entfernung war klar zu erkennen, dass sie nicht das gewöhnliche Angebot feilboten, das man an der lichten Oberfläche fand.


    Ihr kleines Lächeln, so überlegen es auch war, genügte ihm. Ohne Eile hob Zeciass die Hand, legte sie sanft ans Kinn seiner Begleiterin und drehte ihr Gesicht zu sich. "Wie bedauerlich", lächelte er versonnen. "Sieht aus als hättest du mich vollkommen durchschaut." Schon ließen seine Finger wieder von ihr ab und der Yassa'Dhar erhob sich, um mit einem einzigen entschlossenen Schritt auf den Kai zu treten. Dort wandte er sich halb um und bot dem Flammenmädchen in einer fließenden Geste seine Hand. Das Lächeln war von seinen dunklen Zügen verschwunden als hätte es nie existiert. Ob sie sich von ihm helfen lassen würde?

  • Die altbekannten Geräusche lullten sie ein, gaben ihr ein Gefühl von Sicherheit. Trügerischer Sicherheit und so auch Aufmerksamkeit. Sie wusste, das man hier keinen Moment unaufmerksam sein wollte, wollte man mit heiler Haut wieder an die Oberfläche kommen. Hier konnten einem schon so manche finsteren Gestalten entgegen treten und einem um den Geldbeutel und gelegentlich auch um das Leben erleichtern. Doch Angst verspürte sie nicht. Das Flammenmädchen mochte die Gefahr.


    Als wäre nie etwas geschehen, als wäre da kein Mistrauen ihrem Begleiter gegenüber, legte sie ihre Hand in die seine um sich heraushelfen zu lassen. Nicht das sie es nötig hatte. Sie war schon oft genug alleine hier gewesen und hatte es immer wieder heil heraus geschafft, doch das Spiel gefiel ihr. Sie mochte es mit dem Feuer zu spielen. Oder warn es die anderen, welche mit dem Feuer spielten?
    „Darf ich dich auf dem Nachtmarkt willkommen heißen? Hier wirst du alle deine Wünsche erfüllen können. Auch die unartigen.“

  • Ihre Hand, auf der erst noch vor Kurzem eine Flamme getanzt hatte, legte sich warm in seine. Sein unbewegtes Gesicht gab ihr keinen Hinweis darauf, wie er über ihre vertrauensvolle Geste dachte, während Zeciass ihr auf die Kaimauer half. Den festen Griff um ihre Hand lösend und bei ihren Worten zum unterirdischen Treiben schauend, nickte der Yassa'Dhar bloß.
    "Ich erfülle mir meine Wünsche immer. Egal wo ich bin", entgegnete er so nebensächlich, als sei es kaum der Rede wert. Zeciass setzte seine ersten Schritte in Richtung der Marktstände, ehe er noch einmal verharrte und über die Schulter zum Flammenmädchen zurück sah. "Besonders die... wie sagtest du gleich...?" Er schien kurz überlegen zu müssen, dann stahl sich ein verschmitztes Lächeln in seinen Mundwinkel. "... unartigen."


    Seine Augen wanderten an ihrer Gestalt hinab und ein schwer deutbarer Ausdruck erschien in ihnen. Es war eine merkwürdige Skepsis, die in seinen dunklen Worten schwang. "Betrachtest du diese Führung als beendet, Flammenmädchen? Oder begleitest du mich nun... freiwillig... noch etwas länger?"

  • Seine Worte verwunderten sie nicht. Keines seiner Worte würden sie wohl noch überraschen. Er war eine mysteriöse Person, finster, finsterer als so manche, welche sich hier herum trieben und Verbrecher nannten. Doch das steigerte nur den Reiz dieses Abenteuers und so kam sie auf ihn zu, trat näher an ihn heran. Andere Leute wären geflohen, wenn sie die Gefahr gewittert hätten. Sie nicht, denn sie wusste, dass sie nur dann, wenn sie sich in riskante Situationen bringen würde, auch ihren Spaß haben würde. Und Erfolg. Darauf zielte sie in dieser Situation nicht ab, doch es konnte sich immer etwas ergeben.


    „Oh, ich denke ich werde dir auch weiterhin freiwillig Gesellschaft leisten.“ Und um die schon angespannte Situation – denn die Spannung zwischen ihnen beiden war beinahe greifbar – noch weiter zu strapazieren, hakte sie sich bei ihm unter. Das Feuer tanzte in ihren Augen. Das Spiel machte ihr Spaß und sie hatte noch keine Lust wieder damit aufzuhören.

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